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Sabine Büttner: Die Französische Revolution – eine Online-Einführung 1 VERLAUF DER REVOLUTION Inkubationsphase: Vorrevolution Die Systemkrise des Ancien Régime, das gewachsene Selbstbewusstsein des Bürgertums und die katastrophale Finanzlage verstärkten gegen Ende des 18. Jahrhunderts die sozialen und politischen Gärungen in der Gesellschaft. Die Krise äußerte sich zunächst in der Auseinandersetzung zwischen absoluter Monarchie und Adel. Die Revolte der traditionellen Eliten, die mit Hartnäckigkeit ihre Privilegien gegen die verspäteten Reformversuche der Krone verteidigten, brachte schließlich aber eine Bewegung in Gang, die weit über die ursprünglichen Absichten und Akteure hinausging. schwindende Autorität „Halsband-Affäre“ Luxus und Verschwen- dungssucht Schmäh- schriften 1. Prestigeverlust der Krone Das Königtum hatte im Jahrhundert der Aufklärung viel von seiner integrativen Kraft und seiner sakralen Aura eingebüßt. Das Bild des Monarchen als Inbegriff des Staates und der väterlichen Autorität verlor zunehmend an Überzeugungskraft, und Ludwig XVI. wird allgemein als zu „schwach“ charakterisiert, als dass er es hätte wiederbeleben und ausfüllen können. In den 1780er Jahren verlor die Krone v.a. durch die „Halsband-Affäre“ Marie-Antoinettes weiter rapide an Ansehen: Kardinal Rohan, am Hof in Ungnade gefallen, versuchte seine Stellung wiederzuerlangen, indem er der Königin ein Diamanten-Collier im Wert von 1,6 Mio. Livres zukommen lassen wollte. Initiatorin und Vermittlerin des Geschäfts war die betrügerische Gräfin Jeanne La Motte, die den Kardinal mit gefälschten Briefen zu dem Vorgehen überredet hatte, dann jedoch mit dem Halsband verschwand. Als der leichtgläubige Kardinal das teure Schmuckstück nicht bezahlen konnte, trat der Juwelier mit seinen Forderungen direkt an den Hof heran, in der Annahme, dass Rohan im Auftrag der Königin gehandelt habe. Der Skandal war perfekt. Obwohl Marie-Antoinette daran unschuldig war, fiel die Affäre auf sie zurück. In den Augen des Volkes galt sie nun als die „österreichische Hure“, und die weit verbreiteten Gerüchte über den überzogenen Luxus und die Verschwendungssucht des Hofes schienen einmal mehr bestätigt. Angesichts der geltenden Zensurbestimmungen äußerte die Öffentlichkeit ihre Meinung in geheimen Schmähschriften, Gedichten und Gerüchten. Ein „Bestseller“ der verbotenen Literatur war Les amours de Charlot et Toinette / Essai historique sur la vie de Marie- Antoinette, ein obszönes Pamphlet gegen die Königin. angestrebte Finanzreform 2. Adelsrevolte Das zentrale Problem der französischen Monarchie war der drohende Staatsbankrott. Zur Sanierung des Haushalts legte der Generalkontrolleur der Finanzen, Calonne, 1787 einen Reformplan vor, der vorsah, die groben Ungleichheiten des Steuersystems aufzuheben, den Getreidehandel zu liberalisieren und die Binnenzölle abzuschaffen. Um das übliche Bewilligungsverfahren durch die Parlements (Gerichtshöfe) zu umgehen, wollte er die Gesetze von einer eigens nach Versailles berufenen „Notabeln-

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Sabine Büttner: Die Französische Revolution – eine Online-Einführung

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VERLAUF DER REVOLUTION

Inkubationsphase: Vorrevolution

Die Systemkrise des Ancien Régime, das gewachsene Selbstbewusstsein des Bürgertums und die katastrophale Finanzlage verstärkten gegen Ende des 18. Jahrhunderts die sozialen und politischen Gärungen in der Gesellschaft. Die Krise äußerte sich zunächst in der Auseinandersetzung zwischen absoluter Monarchie und Adel. Die Revolte der traditionellen Eliten, die mit Hartnäckigkeit ihre Privilegien gegen die verspäteten Reformversuche der Krone verteidigten, brachte schließlich aber eine Bewegung in Gang, die weit über die ursprünglichen Absichten und Akteure hinausging.

schwindende Autorität

„Halsband-Affäre“

Luxus und Verschwen-dungssucht

Schmäh- schriften

1. Prestigeverlust der Krone Das Königtum hatte im Jahrhundert der Aufklärung viel von seiner integrativen Kraft und seiner sakralen Aura eingebüßt. Das Bild des Monarchen als Inbegriff des Staates und der väterlichen Autorität verlor zunehmend an Überzeugungskraft, und Ludwig XVI. wird allgemein als zu „schwach“ charakterisiert, als dass er es hätte wiederbeleben und ausfüllen können. In den 1780er Jahren verlor die Krone v.a. durch die „Halsband-Affäre“ Marie-Antoinettes weiter rapide an Ansehen: Kardinal Rohan, am Hof in Ungnade gefallen, versuchte seine Stellung wiederzuerlangen, indem er der Königin ein Diamanten-Collier im Wert von 1,6 Mio. Livres zukommen lassen wollte. Initiatorin und Vermittlerin des Geschäfts war die betrügerische Gräfin Jeanne La Motte, die den Kardinal mit gefälschten Briefen zu dem Vorgehen überredet hatte, dann jedoch mit dem Halsband verschwand. Als der leichtgläubige Kardinal das teure Schmuckstück nicht bezahlen konnte, trat der Juwelier mit seinen Forderungen direkt an den Hof heran, in der Annahme, dass Rohan im Auftrag der Königin gehandelt habe. Der Skandal war perfekt. Obwohl Marie-Antoinette daran unschuldig war, fiel die Affäre auf sie zurück. In den Augen des Volkes galt sie nun als die „österreichische Hure“, und die weit verbreiteten Gerüchte über den überzogenen Luxus und die Verschwendungssucht des Hofes schienen einmal mehr bestätigt. Angesichts der geltenden Zensurbestimmungen äußerte die Öffentlichkeit ihre Meinung in geheimen Schmähschriften, Gedichten und Gerüchten. Ein „Bestseller“ der verbotenen Literatur war Les amours de Charlot et Toinette / Essai historique sur la vie de Marie-Antoinette, ein obszönes Pamphlet gegen die Königin.

angestrebte Finanzreform

2. Adelsrevolte Das zentrale Problem der französischen Monarchie war der drohende Staatsbankrott. Zur Sanierung des Haushalts legte der Generalkontrolleur der Finanzen, Calonne, 1787 einen Reformplan vor, der vorsah, die groben Ungleichheiten des Steuersystems aufzuheben, den Getreidehandel zu liberalisieren und die Binnenzölle abzuschaffen. Um das übliche Bewilligungsverfahren durch die Parlements (Gerichtshöfe) zu umgehen, wollte er die Gesetze von einer eigens nach Versailles berufenen „Notabeln-

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anti-absolutistische Opposition der

Parlements

Notabeln-Versammlung

Einberufung der Generalstände-Versammlung

Versammlung“ (Aristokraten, Kleriker, geadelte Bürger) absegnen lassen. Die Parlements waren mit zunehmender Schwäche des Königtums immer mehr zu Orten der anti-absolutistischen Opposition geworden, wo der (Amts-)Adel seine Privilegien und traditionellen Rechte verteidigte. Hier kam die Spannung zwischen absoluter Monarchie und Adel voll zum Tragen. Doch die Notabeln-Versammlung verweigerte die Zustimmung zu den geplanten Reformmaßnahmen ebenfalls. Unterstützt wurde sie zunächst auch von bürgerlichen Gegnern der Finanzreform, die gegen Absolutismus und Steuerzwänge aufbegehrten. Ludwig XVI. sah sich gezwungen, Calonne zu entlassen und löste am 25. Mai 1787 die Versammlung auf. Das Parlement von Paris, unterstützt von der Bevölkerung, führte den anschließenden Machtkampf mit dem König weiter. „Das Volk“, so Voltaire, „sieht im Parlament nur den Feind der Steuern, und die Reichen ermutigen das Murren des Pöbels.“ Im Sommer 1788 schlossen sich die Provinzen dem Aufbegehren an. Als in der Dauphiné eine Tagung des Parlements verboten wurde, kam es in der Provinzhauptstadt Grenoble zu einem Aufstand. Gegen den Willen des königlichen Statthalters versammelten sich darauf die Provinzialstände in der Ortschaft Vizille. Die Versammlung, auf der die Vertreter des Dritten Standes die Mehrheit stellten, forderte für ganz Frankreich die Einberufung der Generalstände (État Généraux), die mit dem Recht der Steuerbewilligung ausgestattet sein sollten. Ludwig XVI. lenkte angesichts des massiven öffentlichen Drucks schließlich ein und berief am 8. August 1788 die Ständeversammlung für Mai 1789 – zum ersten Mal seit 1614 - nach Versailles ein.

Forderung nach Gleichheit

Abstimmung nach Ständen vs.

Abstimmung nach Köpfen

3. Verselbständigung des Dritten Standes Im Streit um die Zusammensetzung und den Abstimmungsmodus der Generalstände zerbrach die Koalition aus Adelsrevolte und bürgerlichen Kräften rasch. Der Dritte Stand hatte Ziele, die über den Anti-Absolutismus hinausreichten und sich gegen die privilegierten Stände richteten: Gleichheit vor dem Gesetz und Teilhabe an der politischen Macht. Die Parlements verlangten die Einberufung der Generalstände in der „gewohnten Ordnung“, die Adel und Klerus automatisch die Mehrheit gesichert hätte: Jeder der drei Stände sollte gleich viele Abgeordnete stellen, die Abstimmung sollte nach Ständen erfolgen. Demgegenüber forderte der Dritte Stand die Verdopplung seiner Vertreter und ein Stimmrecht nach Köpfen. Die berechtigte Hoffnung auf Unterstützung aus den Reihen aufgeklärter Adliger oder des niederen Klerus stellte ihm so die Möglichkeit vor Augen, seine Interessen - die Interessen der Nation - durchzusetzen. Der König versuchte eine Kompromisslösung und verdoppelte nach dem Vorbild der Provinzialstände in Vizille die Anzahl der Vertreter des Dritten Standes. Die Frage des Abstimmungsmodus blieb zunächst offen und barg weiterhin Sprengstoff.

Politisierung der

4. Vorbereitungen der Generalstände-Versammlung Die Zeit der Vorbereitung der Wahlen zur Generalstände-Versammlung war eine Zeit der

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Öffentlichkeit

Beschwerdehefte

anti-absolutistisch, pro-monarchisch

Hoffnung und des intensiven öffentlichen Meinungsaustauschs. In Cafés und Clubs, Freimaurerlogen und mittels Tausender von Flugschriften wurde heftig diskutiert, polemisiert und die Möglichkeiten der Gesellschaftsreform erörtert. Nöte, Wünsche und Erwartungen der Gemeinden und Körperschaften gelangten in Form von über 60.000 cahiers de doléances (Beschwerdehefte) über die Hände der Abgeordneten vor das Forum der Ständeversammlung. Alle drei Stände waren sich einig in den liberalen Forderungen nach einer Beschränkung der absolutistischen Vollmachten des Königs. Zu den zentralen Anliegen gehörten auch die Steuerreform, die Abschaffung lokaler Missstände sowie persönliche Freiheitsrechte. Die Stimmung war jedoch zu diesem Zeitpunkt keineswegs anti-monarchisch, vielmehr erwartete man die Lösung der Probleme und die „Versöhnung der Nation“ durch den Monarchen.

5. Fazit

1. Die Krise, die in der Inkubationsphase der Revolution zum offenen Ausbruch kam, war struktureller Natur und hatte sich schon seit längerem vorbereitet. Die Regierung zeigte sich nicht mehr im Stande, die Reform des Systems aus eigenen Kräften zu leisten.

2. Die Entwicklung von 1787/1788 macht deutlich, dass die Revolution nicht aus einem einfachen Gegensatz zwischen „rückständigem“ Adel und „aufstrebendem“ Bürgertum erwuchs, sondern aus mehrschichtigen, auch innerständischen Spannungen, die sich zunächst in einem gemeinsamen Angriff auf die absolutistische Monarchie – nicht auf den Monarchen selbst - entluden.

3. Die anti-absolutistische Koalition von Drittem Stand und Adel zerbrach bald nach der Einberufung der Generalstände. Stattdessen kam es zu neuen Frontstellungen im Kampf um die politische Teilhabe am Staat.

Streit um den Abstimmungs-

modus

Beginn der Revolution Mit der Revolution der Abgeordneten begann die „große Revolution“, die sich im Sommer 1789 gewaltsam Bahn brach. Es handelte sich jedoch nicht um eine einheitliche Bewegung, sondern um die Aktionen verschiedener Trägergruppen mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten, die sich zwar gegenseitig stimulierten, aber nicht koordiniert waren und jeweils eigene Ziele verfolgten. 1. Von den États Généraux zur Nationalversammlung Die gemeinsame Front gegen den absolutistischen Machtanspruch konnte die Spannungen unter den Ständen nicht lange verdecken. Das Verlangen nach gesellschaftlicher Gleichberechtigung musste den Dritten Stand in Konflikt mit Adel und hohem Klerus bringen: Sobald die Generalstände Anfang Mai 1789 in Versailles zusammentraten, stand der grundlegende Streit um die Abstimmungsmodalitäten - nach Ständen oder nach Köpfen - auf der Tagesordnung. Die Auseinandersetzung zog sich über mehrere Wochen hin, ohne dass die eigentlichen Aufgaben in Angriff genommen werden konnten. Am 10. Juni forderte der Dritte Stand

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Sièyes: Dritter Stand ist die

Nation

Ballhausschwur

Assemblée Nationale

Constituante

(Tiers) - zum Großteil Vertreter des Bürgertums, darunter viele Juristen - die Abgeordneten der anderen beiden Stände dazu auf, sich mit ihm zu vereinigen. Einige reformoffene Vertreter des Klerus folgten dem Appell. Am 17. Juni erklärte sich die Tiers-Kammer auf Vorschlag des Abbé Sièyes zur „Nationalversammlung“ (Assemblée Nationale). In seiner Begründung vertrat Sièyes die Auffassung, dass die Nation nicht durch den König oder eine privilegierte Elite allein repräsentiert werden könne, sondern nur durch die Masse des Volks, den Dritten Stand. Mit dieser Proklamation der Volkssouveränität hatten die Vertreter des Dritten Standes einen revolutionären Weg beschritten, dem sich am 19. Juni nach knappem Mehrheitsbeschluss auch der Klerus anschloss. Als die Abgeordneten am 20. Juni den Versammlungssaal verschlossen fanden, wichen sie ins nahe gelegene Ballspielhaus aus und schworen sich, „niemals auseinander zu gehen und sich überall zu versammeln ... bis die Verfassung geschaffen und auf dauerhaftes Fundament verankert ist.“ Schließlich gingen auch Teile des Adels zur allgemeinen Versammlung über, die sich am 9. Juli in Assemblée Nationale Constituante (Verfassungsgebende Nationalversammlung) umbenannte und damit ihrer wesentlichen Zielsetzung Ausdruck verlieh: Umbau von Staat und Gesellschaft auf dem Weg der Verfassungsgebung. Dem König - unschlüssig und in seiner Autorität deutlich geschwächt - blieb nichts anderes übrig, als der Nationalversammlung, die nun als konkurrierende Souveränität im Staate an seine Seite getreten war, seine Zustimmung zu erteilen.

Unruhe in Paris Entlassung Neckers

Demonstra- tionen

14. Juli: Bastille-Sturm

2. Erhebung in Paris Die Stimmung in Paris war aufgeheizt: Über Aufbruchseuphorie und Freiheitshoffnung hing drohend die Gefahr einer militärischen Repression durch die Truppen, die der König im Pariser Raum zusammengezogen hatte. Gleichzeitig erreichten die Brotpreise in der Hauptstadt ihren Jahrhunderthöchststand; Hunger und bevorstehender Staatsbankrott wurden zur existentiellen Bedrohung für viele. Am 11. Juli entließ Ludwig XVI. Necker, den populären „Finanzkontrolleur“, sowie weitere liberale Minister. Damit schien das Signal zur aristokratischen Gegenrevolution gegeben zu sein. Als die Nachricht von Neckers Entlassung in Paris ankam, versammelten sich aufgebrachte Bürger im Palais Royal, wo Camille Desmoulins angesichts der drohenden Truppen-Intervention zum Widerstand aufrief. Die Unruhe in der Stadt stieg, Handwerker, Ladenbesitzer, Gesellen und Gehilfen sammelten sich zu Demonstrationszügen, es wurden Straßenblockaden errichtet und eine Bürgermiliz organisiert. Am 14. Juli erbeuteten die aufgebrachten Massen im Zeughaus 32.000 Gewehre und zogen bewaffnet zur Bastille, dem Pariser Stadtgefängnis, das als Inbegriff der Unterdrückung durch das Ancien Régime galt. Die Aufständischen zwangen den Kommandeur nach blutigen Gefechten zur Kapitulation und befreiten sieben Gefangene. Der König musste erneut nachgeben: Am folgenden Tag zog er die Truppen zurück und setzte Necker wieder in sein vorheriges Amt ein. Als Zeichen der Verbundenheit mit seinem Volk steckte er sich beim Besuch in Paris unter großem Beifall die Kokarde an, die binnen weniger Tage zum Erkennungszeichen der Revolutionäre geworden war.

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kommunale Freiheiten

Übernahme der Hoheitsrechte

„Commune“

Demokratisierung und lokale

Selbstverwaltung

3. Munizipalrevolution Die Revolution war kein Pariser Ereignis, sondern fand an unterschiedlichen Schauplätzen statt. Die übrigen Städte und Gemeinden des Landes nahmen die Initialzündung aus der Hauptstadt bereitwillig auf, um die lange unterdrückten kommunalen Freiheitsrechte zurückzuerobern und die Gängelung durch die königlichen Beamten abzuschütteln. Komitees und Gemeindeausschüsse übernahmen die wesentlichen Hoheitsbefugnisse: Polizei, Justiz, Verwaltung, Lebensmittelversorgung. Fast überall wurden Bürger- bzw. Nationalgarden zum Schutz der neuen Ordnung ins Leben gerufen. Paris gab sich durch die Wahl von 300 Delegierten eine provisorische Regierung, die Commune, die eine neue Stadtverfassung ausarbeiten sollte. Die Pariser Nationalgarde bestand aus etwa 30.000 Freiwilligen, die das bisher Erreichte schützen und die Stadt vor Anarchie bewahren sollten. Die „Regierungsübernahme“ verlief nicht überall gleich, meist jedoch friedlich: In manchen Kommunen wurde das alte Stadtregiment vollständig ersetzt, in anderen traten revolutionäre Ausschüsse an die Seite der bisherigen Verwaltung und kontrollierten sie. Die Vertreter der königlichen Zentralgewalt und die Steuerpächter flüchteten oder wurden vertrieben; die Gemeinden hatten sich die lokale Selbstverwaltung erobert und ihre Strukturen demokratisiert.

schlechte Versorgungslage

„Grande peur“

Ziel: Abschaffung des Feudalsystems

Reaktionen der National-

versammlung

4. Revolution auf dem Land Die Nachrichten von den Ereignissen in Versailles und Paris - vermittelt über Flugschriften und mündliche Propaganda – trafen in den ländlichen Gegenden auf eine angespannte Stimmung, die sofort in offene Aufstände umschlug. Die Missernte des Vorjahrs und die damit verbundene Wirtschaftskrise hatten die Versorgungslage der Landbevölkerung prekär werden lassen. Viele Bettler und Arbeitslose streiften durch die Gegend und vagabundierende Banden verunsicherten die Bauern. Die Gerüchte über eine „aristokratische Verschwörung“ und ein mögliches militärisches Eingreifen der revolutionsfeindlichen Kräfte steigerten die Nöte und Ängste der Landbevölkerung zur sog. Grande peur („große Furcht“), einer Art kollektiver Panikerscheinung. Die vielfältigen revolutionären Aktivitäten zielten in erster Linie auf eine Abschaffung des Feudalsystems. Der Zorn der Bauern richtete sich demgemäß gegen die örtlichen Grundherren: In der Normandie, in den Ardennen, im Elsass, in der Franche-Comté und im Saônetal stürmten und verbrannten sie Schlösser, verweigerten die Zahlung von Abgaben und vernichteten äußere Zeichen der Feudalität, wie z.B. die in den Archiven bewahrten Rechtstitel der feudalen Ansprüche. Die Gemeindestrukturen wurden nach dem Vorbild der Städte neu organisiert, Bürgermilizen und Bauernkomitees gebildet. Die bürgerlichen Abgeordneten der Nationalversammlung sahen sich durch die Geschehnisse auf dem Land herausgefordert: Auf der einen Seite stand die Angst vor Anarchie und vor der Bedrohung des Privateigentums – auch zahlreiche Bürger waren Besitzer von Landgütern -, auf der anderen Seite die Gefahr, die einheitliche Front des Dritten Standes zu zerstören und mit gewaltsamen Ordnungsmaßnahmen den

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Bürgerkrieg zu riskieren.

„Opfernacht der Privilegierten“

Abschaffung der Feudalität

Verfassungsarbeit

Erklärung der Menschen- und

Bürgerrechte

Vetorecht des

Königs, Ausgestaltung der

Legislative

5. Beginn der Verfassungsarbeit Die Nationalversammlung reagierte auf die ländliche Revolution nach einigem Hin und Her mit der Anerkennung der Forderungen der Bauern. In der berühmten „Opfernacht der Privilegierten“ vom 4./5. August 1789 verzichteten Aristokratie und Geistlichkeit feierlich auf feudale Vorrechte wie Steuerprivilegien, Fron und persönliche Dienstleistungen und stimmten dem Freikauf von allen dinglichen Rechten zu. Auch Städte und Provinzen opferten alte Sonderrechte. In den Debatten der folgenden Tage entschied sich die Versammlung darüber hinaus für die Abschaffung des Kirchenzehnten und der Ämterkäuflichkeit. Mit der Vernichtung der Feudalität hatte die Nationalversammlung dem System des Ancien Régime die Grundlage entzogen. Nach der Auflösung der ständischen Gesellschaftsstruktur und dem Wegfall regionaler Sonderrechte zeigte sich Frankreich nun prinzipiell einer einheitlichen Rechtsordnung unterworfen. Das Ergebnis muss jedoch relativiert werden: Die Bauern genossen nun zwar persönliche Freiheit, wirtschaftlich gesehen war die „Befreiung“ für viele allerdings eine Enttäuschung, da die finanzielle Ablösung der auf dem Boden liegenden Rechte für die meisten nicht erschwinglich war und z.T. durch schikanöse Ausführungsbestimmungen erschwert wurde. Im August widmete sich die Nationalversammlung wieder der Verfassungsarbeit und machte sich an die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechte nach dem amerikanischen Vorbild von 1776. Das Ergebnis der leidenschaftlichen Debatten wurde am 26. August 1789 in Gestalt der Déclaration verabschiedet. In 17 Artikeln legte Die Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers das Fundament der neuen Ordnung, in deren Zentrum die rechtliche Gleichstellung (égalité) aller Bürger stand. Als unveräußerliche und „natürliche“ Rechte des Menschen wurden Freiheit (liberté), Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung festgeschrieben. Die staatliche Souveränität lag gemäß Art. 3 nicht mehr beim König, sondern bei der Nation. Garantiert wurden außerdem das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Gewaltenteilung und Schutz des Privateigentums. Ende August verhandelte die Nationalversammlung noch zwei weitere richtungsweisende Punkte: Sollte der König ein Vetorecht gegen die Beschlüsse der Legislative haben? Und sollte neben der Nationalversammlung eine zweite Kammer nach dem Vorbild des englischen House of Lords mit erblichen Sitzen eingerichtet werden? Die Abgeordneten einigten sich auf einen Kompromiss, der dem König zwar ein aufschiebendes Veto zugestand, lehnten aber die Einführung eines Zwei-Kammer-Systems und die damit verbundene Schwächung der Legislative ab. Diese Auseinandersetzungen ließen erstmals eine deutliche Spaltung zwischen den „Männern der Monarchie“ und den „Patrioten“ hervortreten.

Hinhalte-Taktik des

6. Ludwig XVI. und die Revolution Ludwig XVI. reagierte auf die revolutionären Ereignisse, die in kürzester Zeit die

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Königs

Zug der „Marktfrauen“ nach Versailles

„Heimholung“ des Königs

Fundamente seiner Macht überrollt hatten, uneindeutig und mit einer passiven Hinhalte-Taktik. Obwohl er die Arbeit der Nationalversammlung mit juristisch spitzfindigen Vorbehalten behinderte, die Bestätigung ihrer Erlasse verweigerte und offen mit der Drohung militärischer Interventionen spielte, blieb ihm meist keine andere Wahl, als vollendete Tatsachen hinzunehmen und sich eher unfreiwillig an der Spitze der Bewegung zu wiederzufinden. So musste er sich z.B. in der „Opfernacht der Privilegierten“ als „Wiederhersteller der französischen Freiheit“ feiern lassen. Über die tatsächlichen Hintergründe seines Handelns lässt sich nur spekulieren: Vertraute er auf die Unverletzlichkeit der monarchischen Stellung und die baldige Aufspaltung des revolutionären Lagers? Glaubte er an die Möglichkeit der gewaltsamen Widerherstellung des Verlorenen? Oder hoffte er auf die militärische Hilfe seiner europäischen „Kollegen“? Die andauernde schlechte Versorgungssituation und die Angst vor dem in Versailles stationierten flandrischen Regiment führte am 5./6. Oktober zu einem zweiten großen Pariser Volksaufstand („Journée“), dem Zug der „Frauen von Paris“ nach Versailles. Etwa 6.000 Frauen - die meisten von ihnen stammten aus dem Arbeiterviertel Faubourg Saint-Antoine und aus dem Marktviertel - machten sich am frühen Morgen des 5. Oktober auf den Marsch zur königlichen Residenz, um vom König die Verbesserungen der Lebensmittelversorgung zu fordern. Da es die Frauen waren, die für die Ernährung der Familien verantwortlich waren, sahen sie sich in dieser Frage in besonderem Maße zum Handeln genötigt. Gegen 18 Uhr kamen die Frauen in Versailles an und nahmen an den Sitzungen der Nationalversammlung teil. 15.000 Nationalgardisten unter dem Kommando Lafayettes, die für Ruhe sorgen sollten, allerdings mit den Frauen sympathisierten, trafen einige Stunden später ein. Bei ihnen befanden sich zwei von der Pariser Stadtverwaltung entsandte Kommissare, die den Auftrag hatten, den König nach Paris zu holen. Noch am selben Abend hob Ludwig XVI. sein Veto gegen die Menschenrechtserklärung sowie gegen die Abschaffung der Feudalrechte auf und unternahm erste Schritte zur Verbesserung der Ernährungslage. Als es am nächsten Morgen zu Tumulten kam, erklärte sich die königliche Familie unter dem Druck der Massen bereit, nach Paris überzusiedeln. In einem triumphartigen Zug geleiteten die Frauen und die Nationalgardisten, die ihre Bajonette symbolhaft mit Brot bespickt hatten, die königliche Kutsche in das Tuilerien-Schloss. In Paris lebte der gedemütigte König nun unter direkter Aufsicht seines Volkes.

7. Fazit

1. Das Kalkül des Königs und seiner Berater, durch die Zulassung der Generalständeversammlung die politische Erosion abzufangen, hatte sich als falsch erwiesen.

2. Die Umgestaltung auf dem Weg der Reform, wie ihn die bürgerlichen Abgeordneten angestrebt hatten, wurde schnell von der Revolution - im Sinne gewaltsamer Veränderungen – überholt.

3. Die Nationalversammlung und das aufständische Volk hatten in dieser ersten Phase der Revolution entscheidende Schritte zu einer Umstrukturierung des Staatswesens eingeleitet, allerdings war ihre Lage noch keineswegs gefestigt, sondern stets von einer möglichen Gegenrevolution bedroht.

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4. Je weiter die Nationalversammlung mit ihrer Reformarbeit ins Detail ging, desto deutlicher zeichnete sich eine Spaltung in Parteiungen ab, die ihre Position schwächen konnte.

5. Fraglich war außerdem, wie sich der König in die neue Verfassung integrieren ließ, hatte er sich doch mit seiner Schaukel-Politik als wenig vertrauenswürdig erwiesen.

6. Die Versorgungs- und Finanzlage blieb weiterhin sehr schwierig und barg viel sozialen Sprengstoff.

Liberalisierung der

Wirtschaft Verstaatlichung des

Kirchenbesitzes

Assignaten

Steuerreform

Konsolidierung und Verfassungsgebung (Herbst 1789 bis Herbst 1791) Nach dem vorläufigen Sieg der Revolution standen die Verantwortlichen vor der Aufgabe, die neue Ordnung auszugestalten. Die Arbeit mündete in der Verfassung von 1791, die das Modell der konstitutionellen Monarchie entwarf. 1. Reformarbeit der Nationalversammlung (Assemblée Nationale Constituante) Dringender Handlungsbedarf bestand auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Hier setzten die bürgerlichen Abgeordneten auf Liberalisierung: Gewerbefreiheit und Selbstregulierung des Marktes durch Angebot und Nachfrage, Chancengleichheit aller Produzenten auf einem nationalen Markt ohne Binnenzölle und ohne Privilegierungen. Am 2. November 1789 beschloss die verfassungsgebende Nationalversammlung (Konstituante), sämtliche Kirchengüter zu „nationalisieren“, d.h. zu verstaatlichen, um durch ihren Verkauf den immensen Schuldenberg des Staates zu tilgen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Staat, für den Unterhalt der Kleriker zu sorgen. Ein Jahr darauf verlangte die Nationalversammlung von allen Kirchenleuten den Eid auf die Verfassung, den viele Geistliche nicht zu leisten bereit waren. Die Kirche verlor durch diese Maßnahmen ihren Status als eigenständige, vom Staat unabhängige Macht. In der Folge führte die revolutionäre Kirchenpolitik zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft. Da man dringend Geld brauchte, wurden Staatsschuldscheine (Assignaten) auf die konfiszierten Kirchengüter ausgegeben, die durch die zu erwartenden Einnahmen aus dem Verkauf gedeckt waren. Je weiter das Finanzdefizit wuchs, desto mehr Assignaten wurden ausgegeben. Das Papiergeld wurde bald zu einer Parallelwährung, die stark inflationäre Wirkung zeigte. Als die Assignaten im Frühjahr 1796 nur noch 8% des Ausgabewertes besaßen, wurden sie zurückgezogen. Eines der Hauptanliegen der Bevölkerung, wie es in den cahiers de doléances zum Ausdruck gebracht wurde, war die Abschaffung des ungerechten Steuersystems. Nach dem Ausbruch der Revolution zahlte kaum jemand mehr Abgaben an den Fiskus, wodurch 1789 nur ein Bruchteil der erwarteten Einnahmen einging. Die Konstituante strich die meisten indirekten Steuern und erhob allgemeine Steuern auf Immoblilienbesitz, bewegliches Vermögen sowie Gewerbe- und Handelserträge. Daneben gab es noch einige Verbrauchssteuern und Zölle. Das Fehlen eines geeigneten Beamtenapparats und die fortgesetzte Praxis der Steuerhinterziehung bei weiten Teilen der Bevölkerung verzögerten den regulären Eingang von Steuern allerdings noch ein paar Jahre.

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Neuordnung der Verwaltung

Justizreform

Minderheiten-schutz

Besondere Bedeutung und Dauerhaftigkeit kommt der Neuordnung der Verwaltung zu. Der bisherige hierarchisch-zentralistische Verwaltungsstruktur wurde ersetzt durch einheitlich gegliederte Bezirke mit lokalen Selbstverwaltungsrechten. Das Königreich wurde in 83 Départements eingeteilt, die wiederum in Distrikte, Kantone und Gemeinden untergliedert wurden - eine Verwaltungsstruktur, die bis heute existiert. Mangels Übung und einer geeigneten Beamtenschaft funktionierte die demokratische Selbstverwaltung zunächst kaum, so dass die Jakobiner 1792/93 zu mehr Zentralismus zurückkehrten. Im Bereich des Justizwesens wurden die Überreste des Ständestaates, die Parlements und die zahlreichen feudalen Sondergerichte, abgeschafft. Gemäß den Prinzipien der Gewaltenteilung und der Menschenrechtserklärung waren die Gerichte von der Exekutive unabhängig und der Rechtsschutz des Individuums gestärkt. Die Rechtssprechung erging im Namen der Nation und wurde von gewählten Richtern ausgeübt. Rechtlichen Schutz genossen nun auch Minderheiten wie die nicht-katholischen christlichen Konfessionen und die Juden, die 1791 das volle Bürgerrecht erhielten. Am 28. September 1791 schaffte man in Frankreich die Sklaverei ab.

konstitutionelle Monarchie

indirektes Zensus-Wahlrecht

Hauptmerkmale der

Verfassung

Parteiungen

2. Verfassung von 1791 Die Zielsetzung der Konstituante (verfassungsgebenden Versammlung) erfüllte sich in der Ausarbeitung der Verfassung, die am 3. September 1791 in Kraft trat. Nach intensiven und leidenschaftlichen Debatten in den Ausschüssen hatte sich das Modell der konstitutionellen Monarchie gegen die Idee der Republik durchgesetzt. Die Monarchie sollte erhalten bleiben, der König aber nicht mehr mit „absolut“ herrschen, sondern im Rahmen gesetzlicher Vorgaben und auf der Basis der Volkssouveränität quasi als „oberster Beamter Frankreichs“ die Exekutive ausüben. Es lässt sich darüber streiten, inwiefern die Verfassung die Prinzipien von 1789 umgesetzt hat: Eine relativ starke Einschränkung der Gleichheit war durch das indirekte Zensuswahlrecht gegeben. Wählen durften nur die ca. 4,3 Mio. „Aktivbürger“, d.h. Männer über 25 Jahre, die einen gewissen Steuersatz (2-3 Livres jährlich) zahlten. Die Aktiv-Bürger wählten Wahlmänner, die wiederum einem noch höheren Zensus (7-10 Livres) unterlagen, und die über die 745 Abgeordneten entschieden, die ihrerseits eine jährliche Steuerleistung von 52 Livres aufbringen und Grundbesitz vorweisen mussten. Die wichtigsten Merkmale der Verfassung sind:

- Menschen- und Bürgerrechtserklärung als Grundlage der Verfassung - Trennung von Exekutive, Legislative und Judikative - Volks-, bzw. nationale Souveränität - Freiheit und Gleichheit der Chancen vor dem Gesetz - Trennung von Kirche und Staat - demokratische Umgestaltung der Verwaltung und des Gerichtswesens - Verantwortlichkeit aller Organe vor der Verfassung und dem Gesetz - Ein-Kammer-Legislative - suspensives (aufschiebendes) Veto des Königs - zweistufiges Zensuswahlrecht

Einmal mehr zeigte sich in den Verfassungsdebatten die Formierung bestimmter

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öffentliche Meinung

Parteiungen: Parteigänger des Königs, konstitutionelle „Patrioten“, Demokraten. Populäre Vermittler zwischen Hof und Nationalversammlung waren Lafayette und Mirabeau. Heftige Kritik an Beschränkungen der Volkssouveränität durch das Zensuswahlrecht wurde u.a. in der radikalen Tagespresse geübt. Die Bildung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die Publizistik und in den Clubs gewann mehr und mehr Einfluss auf die Tagespolitik.

Emigranten

europäische Monarchen

Reaktionen der Bevölkerungen

strikte Ablehnung durch den Papst

3. Reaktionen von außen Die erste Welle der Emigranten, die im Sommer 1789 Frankreich verließen, waren prominente Aristokraten wie etwa die Brüder des Königs, der Graf de Provence und der Graf d’Artois. Versuche, den König zu entführen und in den vermeintlich königstreuen Provinzen Aufstände zu provozieren, blieben erfolglos. Nach der „Nationalisierung“ der Kirche verließen zahlreiche Angehörige der höheren Geistlichkeit das Land. Die Regenten der europäischen Nachbarländer hatten zunächst wenig Angst vor dem Übergreifen der Revolution und sahen keine Veranlassung zu einem „absolutistischen Gegenkreuzzug“ (S. Lobert). Es kam zwar zu lokalen Aufständen im Gefolge des französischen Vorbilds, diese waren jedoch unabhängig voneinander und konnten so leicht niedergehalten werden. In weiten Kreisen der Bevölkerung, unter Intellektuellen und Aufklärern, sogar in Teilen der Aristokratie stieß die Revolution anfangs auf große Sympathie. Diese verkehrte sich jedoch zunehmend in Schrecken und Ablehnung, als die Revolution immer gewalttätigere Formen annahm. Papst Pius VI. konnte mit der französischen Revolution, v.a. aber mit der neuen Kirchenordnung, nicht einverstanden sein. Schon die Menschenrechtserklärung hatte er als „gottlos“ bezeichnet. Er bannte die Priester, die den Verfassungs-Eid geleistet hatten, sprach der Nationalversammlung jegliche Legitimation zur Verstaatlichung und Entmachtung der Kirche ab und rief zu internationalen Gegenmaßnahmen auf.

4. Fazit

1. An die stürmische erste Phase der Revolution schloss sich das „glückliche Jahr“ (F. Furet / D. Richet) an, eine Phase relativer Ruhe, die Raum zur Verfassungsarbeit ließ. Es herrschte die Illusion, der Umbau des Staates könne in Zusammenarbeit mit der alten Ordnung, die vom König repräsentiert wurde, gelingen.

2. Mit der Abschaffung der Feudalität, der Erklärung der Menschenrechte und der Verfassungsreform schuf die Nationalversammlung eine wichtige Grundlage moderner Staatlichkeit, die kaum mehr rückgängig gemacht werden konnte.

3. Gleichzeitig wurde der Druck von der Straße und durch die öffentliche Meinung immer stärker und setzte die Nationalversammlung unter Zugzwang.

4. Was die Reformarbeit massiv bedrohte, waren die immer noch ungelösten Finanzprobleme, die Angst vor der Konterrevolution und die schwankende Haltung des Königs.

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Assemblé Nationale

Législative ungelöste Probleme Maßnahmen gegen

Emigranten und „Refraktäre“

„Ackergesetz“

Revolution in der Krise (1791 bis 1793) Als die liberale Umgestaltung des Ancien Régime sich nicht verwirklichen ließ, brach Frankreich mit dem Übergang zur Republik im September 1792 vollständig mit der monarchischen Tradition. Durch den Ausbruch des Krieges erhielt die Revolution eine neue Dimension und geriet in den Sog eines starken Wechselverhältnisses zwischen Innen- und Außenpolitik. Ihre Verteidigung gegen innere und äußere Gegenkräfte führte zu wachsender Gewalt und schweren Krisen. 1. Assemblée Nationale Législative Nachdem die Constituante mit der Verfassungsgebung ihre Hauptaufgabe erfüllt hatte, wurde am 1. Oktober 1791 eine neue Nationalversammlung gewählt, die nun als gesetzgebende Nationalversammlung (Assemblée Nationale Législative) für ein Jahr tätig sein sollte. Tagungsort war die Manège, der ehemalige Reitsaal des Tuilerien-Schlosses. Die Abgeordneten waren zu einem überwiegenden Teil Juristen und grundbesitzende Bürger, meist junge, politisch unerfahrene Männer. Sie lassen sich grob drei politischen Parteiungen zuordnen: auf der „Linken“ die Brissotins oder Girondisten, in der „Mitte“ die Indépendants (Unabhängige) und auf der „Rechten“ die Feuillants. Die offenen Probleme, mit denen sich die Legislative zu befassen hatte, waren zahlreich: die Enttäuschung der Kleinbauern über die Ergebnisse der Agrarpolitik, der politische Ausschluss breiter Bevölkerungskreise durch das Zensuswahlrecht, die anhaltende Wirtschafts- und Versorgungskrise, das Kirchenschisma zwischen eidverweigernden („Refraktären“) und revolutionstreuen Priestern, der Umgang mit den gegenrevolutionären Kräften Hof, Kirche und Emigranten. Die wichtigsten Dekrete der Jahre 1791 und 1792 richteten sich mit Maßnahmen wie Konfiskation des Besitzes und Deportationen v.a. gegen Emigranten und eidverweigernde Priester. Außerdem wurde die Königsgarde aufgelöst und in der Nähe von Paris ein Lager für 20.000 Nationalgardisten aus den Provinzen eingerichtet. Auf Druck der Bauern und Sansculotten kam im August 1792 ein „Ackergesetz“ zustande, das die entschädigungslose Abschaffung aller Feudalrechte, für die kein Rechtsanspruch nachgewiesen werden konnte, beschloss.

Flucht nach Varennes

2. Ludwig XVI.: Flucht, Absetzung, Hinrichtung Ludwig XVI. war nicht ernsthaft bereit, den revolutionären Wandel zu akzeptieren und plante mit Hilfe des emigrierten Adels und den europäischen Monarchen die Entwicklung wieder rückgängig zu machen. Am 20./21. Juni 1791 versuchte der Monarch mit seiner Familie von Paris nach Metz zu fliehen. Doch das Unternehmen war nicht besonders gut geplant und die königliche Kutsche wurde bereits in Varenne von der Bevölkerung und der Nationalgarde gestoppt. Vier Tage später musste der König von Nationalgardisten flankiert nach Paris zurückkehren, wo ihn eine riesige Volksmenge schweigend empfing. Diese Flucht zerstörte den Mythos der Monarchie endgültig, das Doppelspiel und die gegenrevolutionären Absichten Ludwigs XVI. waren offensichtlich geworden. Das Parlament beschloss eine vorübergehende Amtsenthebung. Der König schwor

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Absetzung und Gefängnis

Prozess

Hinrichtung

daraufhin zwar am 14. Juli feierlich auf die Verfassung, setzte aber in der Praxis seine Blockade-Politik mit Hilfe des Veto-Rechts fort. Gut ein Jahr später, im Tuilerien-Sturm am 10. August 1792, wurde der Vertrauensverlust des Volkes in die Monarchie ausdrücklich: Der König wurde abgesetzt und mitsamt seiner Familie im Temple-Gefängnis inhaftiert. Der Nationalkonvent strengte wenig später einen Prozess gegen den Monarchen an. Die Anklage stützte sich auf Dokumente des Königs, die im „eisernen Schrank“ (armoire de fer) in den Tuilerien entdeckt worden waren, und woraus die konspirativen, gegenrevolutionären Aktivitäten des Königs hervorgingen. Die Versammlung erklärte ihn des „Verrats an der Freiheit und des Anschlags auf die allgemeine Sicherheit“ für schuldig und stimmte am 18. Januar 1793 mit 387 zu 334 Stimmen für die Todesstrafe. Am 21. Januar 1793 fand die öffentliche Hinrichtung Ludwigs XVI. durch die Guillotine statt, Marie-Antoinette folgte ihm zehn Monate später, am 16. Oktober 1793, aufs Schafott.

Deklaration von Pillnitz

Kriegsdebatten

Kriegsgegner Robespierre

Kriegserklärung

Niederlagen

3. Krieg Die beständige Furcht vor konterrevolutionären Angriffen von innen und außen wurde verstärkt durch den Fluchtversuch des Königs und die Deklaration von Pillnitz (27. August 1791), in der Österreich und Preußen auf Druck der Emigranten erklärten, „dass sie die Lage, in der sich der König von Frankreich augenblicklich befindet, als Gegenstand des gemeinsamen Interesses der Souveräne Europas betrachten“. Damit war eine – wenn auch verhaltene – Interventionsdrohung ausgesprochen. Frankreich hatte sich im Europa der Allianzen völlig isoliert. In der Nationalversammlung entbrannten bald heftige Debatten über den Krieg, die zu deutlichen Polarisierungen unter den Abgeordneten führten. Für den Krieg sprachen sich vor allem die Girondisten aus, die erwarteten, dass auf diese Weise die revolutionäre Dynamik der Unterschichten nach außen abgelenkt werden könne und sie selbst die Regierung übernehmen könnten. Mit nationalistischer Propaganda und missionarischem Sendungsbewusstsein warben sie für den Krieg und den universalistischen Geltungsanspruch der Ideale von 1789. Gemäß dem Motto „Krieg den Palästen, Friede den Hütten!“ sollten die despotischen Herrschaften zerstört und die Völker befreit werden. Einer der Hauptbefürworter des Krieges aus den Reihen der Girondisten war Brissot, der ebenso wie Robespierre Mitglied des Jakobiner-Clubs war. Robespierre hingegen warnte eindringlich vor dem Krieg und seinen unkontrollierbaren Folgen: „Schafft bei Euch selbst Ordnung, bevor Ihr daran geht, die Freiheit anderswohin zu tragen!“ Solche Mahnungen fanden jedoch keine Beachtung. Am 20. April 1792 erklärte der Nationalkonvent Österreich den Krieg. Zur Überraschung der Revolutionäre trat bald darauf Preußen an der Seite des Habsburgerreichs in den Krieg ein. Was aus französischer Sicht zunächst als „offensive Verteidigung“ der Revolution begann, sollte sich in den nächsten beiden Jahrzehnten zu einem großen europäischen Krieg ausweiten, der erst durch den Wiener Kongress 1815 endgültig beendet wurde. Freiwilligenregimenter wurden ausgehoben, die Truppen der Föderierten sammelten sich in Paris. Die schlecht gerüsteten und desorganisierten französischen Armeen mussten

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Sieg bei Valmy (20.9.1792)

Erste Koalition der Gegenmächte

(1792-1795)

zunächst mehrere Niederlagen hinnehmen, während die preußischen Verbände Richtung Paris vorrückten. Doch dann wendete sich das Blatt. Die Revolutionstruppen errangen bei Valmy einen psychologisch wichtigen Sieg, stießen ins Rheinland vor und besetzten ohne Widerstand Speyer, Worms, Mainz und Frankfurt. Im Südosten wurden Nizza und Savoyen „befreit“. Für die europäischen Monarchien bedeutete der französische Vormarsch eine doppelte Herausforderung: Zum einen drohte Frankreich durch die territoriale Expansion eine hegemoniale Stellung einzunehmen, zum anderen verbreitete es das Modell der revolutionär umgestalteten Gesellschaft und bedrohte damit die Herrschenden auch von innen heraus. Angesichts dieser Entwicklungen und voller Empörung über die Hinrichtung des Königs reihten sich 1793 auch Großbritannien, die Niederlande, Piemont und Spanien in die Erste Koalition gegen Frankreich ein.

Volksbewegung

Ziel: soziale Demokratie

Sansculotten

Föderierte in der Hauptstadt

Forderung: Neuwahlen und

Absetzung des Königs

Entscheidung für Neuwahlen

4. Politisierung der Massen Der Krieg verstärkte auch die innenpolitischen Auseinandersetzungen. Die regierende Nationalversammlung musste die Handlungsinitiative immer mehr an die Volksmassen und an außerparlamentarische politischen Gruppierungen wie die Clubs und die Komitees der 48 Pariser Sektionen (Verwaltungsbezirke) abgeben. Die sich verselbständigende Volksbewegung entstand aus dem Verlangen nach Absicherung der Existenzgrundlage: eine zentrale Forderung war die Festlegung von Höchstpreisen für Brot und andere Lebensmittel. Zunehmend wurden nun aber auch politische Vorstellungen formuliert, die sich gegen die Dominanz des Großbürgertums und die aufkommenden kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen richteten und auf die Ausgestaltung einer soziale Demokratie abzielten. Dementsprechend trat zu den republikanischen Tugenden „Freiheit“ und „Gleichheit“ ab 1791 auch die „Brüderlichkeit“. Motor dieser Volksbewegung waren die „Sansculotten“, kleine Ladenbesitzer, Dienstboten, Angestellte, Handwerker und Künstler, meist aus den Pariser Vororten. Die „Sansculotten“ waren - seit dem 14. Juli 1789 - die Hauptakteure der Pariser Journées (Volksaufstände), wie sie auch in den Jahren 1792-95 noch mehrmals entscheidend zum Verlauf der Ereignisse beitragen sollten. Im Juli 1792 trafen 20.000 Nationalgardisten („Föderierte“) aus ganz Frankreich zum Nationalfeiertag, dem dritten Jahrestag des Bastille-Sturms, in der Hauptstadt ein. Unter ihnen war auch das Regiment aus Marseilles, dessen Marschlied als „Marseillaise“ Berühmtheit erlangen sollte. Die Kriegslage war zu diesem Zeitpunkt äußerst kritisch, die Stimmung in der Hauptstadt angsterfüllt und explosiv. Aus den Pariser Sektionen wurden Forderungen nach Neuwahlen und nach der Absetzung des Königs laut, da dieser seine Veto-Politik nicht aufgab. Schon ein Jahr zuvor, am 17. Juli 1791, hatte eine Volksversammlung auf dem Marsfeld für den Übergang zur Republik demonstriert, war aber von Nationalgardisten blutig aufgelöst worden. Während die Girondisten weiterhin mit dem König zusammenarbeiteten und die Volksbewegung einzudämmen versuchten, erkannte Robespierre die irreversible Eigendynamik der Entwicklungen an und machte sich zum parlamentarischen Sprachrohr

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Tuilerien-Sturm

revolutionäre Commune

„September- morde“

des Volkes. Nach seinem erfolgreichen Plädoyer beschloss die Legislative Neuwahlen nach dem allgemeinen Wahlrecht. Der neue Nationalkonvent sollte die Aufgabe haben, eine republikanische Verfassung zu erarbeiten. Der Parlamentsbeschluss konnte „die Straße“ jedoch nicht sofort beruhigen. In der Nacht auf den 10. August riefen Sturmglocken eine große Menschenmenge zusammen und 15.000 Sansculotten und Föderierte stießen zum Tuilerien-Schloss vor. Die königliche Familie hatte sich bereits in Sicherheit gebracht, doch die Schweizergarde verteidigte das Schloss, wobei etwa 100 Angreifer getötet wurden. Nach der erfolgreichen Einnahme machten die Eroberer fast alle 600 Schweizergardisten auf brutale Weise nieder. Am selben Abend konstituierte sich auch eine revolutionäre Pariser Stadtverwaltung (Commune insurrectionelle), welche die bestehende Commune gewaltsam ablöste und in der Folgezeit eine zentrale Machtposition neben der Legislative einnahm. Von der Commune gingen bald erste „Wohlfahrtsmaßnahmen“ aus: Royalisten, Eidverweigerer und andere „Verdächtige“ wurden in großer Zahl verfolgt und verhaftet, Hausdurchsuchungen durchgeführt und Getreidevorräte beschlagnahmt. Vom 2. bis 4. September 1792 kam es zu einer Eskalation der Gewaltbereitschaft. In den sog. „Septembermassakern“ drangen aufgebrachte Sansculotten in die Gefängnisse ein und ermordeten aus Angst vor „Verschwörern“ blindlings gefangene Aristokraten, Priester sowie viele kriminelle Häftlinge, die politisch völlig unbeteiligt waren.

Absetzung des Königs

Parteiungen des Konvents

Beschlüsse des Girondisten-

Konvents

5. Nationalkonvent und Republik Das endgültige Ende der Monarchie wurde am 21. September 1792, einen Tag nachdem die Revolutionsarmee bei Valmy einen entscheidenden Sieg errungen hatte, vom neu gewählten Nationalkonvent mit der Absetzung des Königs besiegelt; ab dem darauffolgenden Tag rechnete man offiziell den Beginn der Republik. Aufgrund der Kriegssituation übernahm das Parlament zur legislativen auch die exekutive Gewalt. Die letzten Anhänger der Monarchie, die Feuillants, wurden aus dem Nationalkonvent vertrieben. Die Girondisten, dadurch nach „rechts“ gerückt, waren bis Mitte 1793 die tonangebende Fraktion des Konvents, so dass man für diese Zeit vom „Girondisten-Konvent“ spricht. In der Mitte des politischen Spektrums befand sich die „Ebene“ (Plaine) - abfällig auch „Sumpf“ (Marais) genannt -, die für die Kontinuität der bürgerlichen Revolution stand, während die Linke nun von den Montagnards („Berg-Partei“) um Robespierre, Danton und Marat dominiert wurde. Zwischen Montagnards und Girondisten entstand ein tiefer Graben. Während die einen sich zunehmend auf die Volksmassen stützen und eng mit den Sansculotten kooperierten, verstanden sich die anderen als Vertreter des Besitzbürgertums und weigerten sich, eine Politik der „Anarchie“ und „Gleichmacherei“ zu unterstützen. Zu den wichtigsten Beschlüssen des Girondisten-Konvents gehören:

- Einführung des Zivilstandsregisters anstelle der kirchlichen Registrierung von Geburt, Taufe und Sterbefall

- Einrichtung der „Volksvertreter in Mission“ zur Durchsetzung der Konventsbeschlüsse in der Provinz

- Einsetzung eines Revolutionstribunals - Gründung des „Wohlfahrtsausschusses“ (Comité du Salut Public) auf Antrag

Dantons

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- Dekret über Höchstpreise für Getreide (kleines bzw. erstes Maximum) - Dekret über eine nationale Zwangsanleihe (1 Mrd. Livres)

6. Fazit

1. Mit der Abschaffung der Monarchie fand eine zweite Revolution statt. Die „Straße“ verdrängte die verfassungsmäßigen Organe bei der politischen Initiative weitgehend. Die radikaleren Kräfte bestimmten das Geschehen und schreckten die gemäßigten durch zunehmende Gewalt ab.

2. Die Ausnahmesituation des Krieges diente als Rechtfertigung für die Aufhebung der Gewaltenteilung. Parallel zur eigentlichen Exekutive wurde die Pariser Commune zu einem wichtigen Machtzentrum der öffentlichen Gewalt.

3. Zu den Ursachen für die Kriegsinitiative des durch die Revolution eigentlich stark „geschwächten“ Frankreich gibt es verschiedene Deutungen: H.Taine und F. Furet / D. Richet sehen den Grund in einer hysterischen Überreiztheit der Revolutionäre als Reaktion auf die (überschätzte) Bedrohung von außen. Viele deutsche Historiker seit H. Sybel interpretieren die Kriegseuphorie v.a. der Girondisten als Ablenkungsmanöver von den innenpolitischen Schwierigkeiten. A. Aulard / A. Mathiez hingegen sehen in Ludwig XVI. den Drahtzieher der Kriegsinitiative, der nach seinem Kalkül - entweder als siegreicher Führer der Revolutionsarmeen oder als wiederhergestellter absolutistischer Monarchie – nicht verlieren konnte.

bedrohliche Wirtschaftslage

militärische Niederlagen

allgemeine Wehrpflicht

Radikalisierung: Terreur und Tugend (1793/94) Ab Sommer 1793 trat die Revolution in ihre labilste Phase ein: äußerlich bedroht von der Koalition der gegnerischen Monarchien, innerlich vom Bürgerkrieg, den politischen Polarisierungen und der verschärften Wirtschaftskrise, griff die Revolutionsregierung zu radikalen Maßnahmen und errichtete eine Notstandsdiktatur. 1. Republik im Belagerungszustand Die ökonomische Situation der jungen Republik war aufgrund der Kriegswirtschaft und der politischen Neuerungen schwieriger denn je. Die Inflation stieg mit der Verbreitung der Assignaten, Grundnahrungsmittel wurden immer teurer, Kapitalflucht und Steuerhinterziehung vergrößerten das Haushaltsloch zusätzlich. In der ersten Hälfte des Jahres 1793 hatte das Kriegsglück die französischen Armeen wieder verlassen. Bei Neerwinden in den Österreichischen Niederlanden mussten sie im März eine schwere Niederlage hinnehmen und wurden im Laufe des Sommers wieder an die Grenzen Frankreichs zurückgedrängt. Die Revolutionsregierung reagierte darauf mit neuen Freiwilligenaushebungen für den „Volkskrieg für die Freiheit“, konnte aber nicht die intendierten 300.000 Mann mobilisieren. Im August wurde deshalb die allgemeine Wehrpflicht für alle unverheirateten Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren eingeführt (Levée en masse), was die Stärke der Armeen auf 800.000 Soldaten anwachsen ließ.

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Entmachtung der Girondisten

Mit der Verschlechterung der militärischen Lage verloren die Girondisten, die zu den engagiertesten Befürwortern des Krieges gehörten, deutlich an Prestige. Als sie zudem gegen die „Linke“ vorgingen und Hébert, den Wortführer der Volksbewegung, verhaften ließen, gärte es in den Pariser Clubs und Sektionen. Wieder waren es die Sansculotten, die in der angespannten Situation des Frühsommers 1793 mit einem Volksaufstand (31. Mai - 2. Juni 1793) eine Änderung der Machtverhältnisse herbeiführten. Etwa 80.000 Sansculotten und Nationalgardisten belagerten am 31. Mai den Konvent und erzwangen die Auflösung des Regierungsausschusses sowie den Ausschluss von 73 protestierenden Gironde-Abgeordneten. Am 2. Juni wiederholte sich das Schauspiel, mit dem Ergebnis, dass nun weitere führende Girondisten verhaftet wurden. Einige von ihnen wurden wenige Monate später hingerichtet (darunter auch Brissot).

Montagnards-/Jakobiner-Konvent

Notstandsdiktatur

Wohlfahrts-ausschuss

Sicherheits-ausschuss

zentralistisches

Überwachungs-system

2. Provisorische Revolutionsregierung Nach der Ausschaltung der Girondisten übernahmen die Montagnards, zu einem Großteil Mitglieder des Jakobiner-Clubs, die Führungsrolle im Konvent. Unter dem Druck der Sansculotten forcierten sie revolutionäre Maßnahmen und nutzten verstärkt die schon im Frühjahr eingerichteten Ausschüsse und Komitees als Instrumente der provisorischen Notstands-Regierung. Diese wurde im Oktober und Dezember 1793 durch Dekrete „bis zum Friedensschluss“ institutionalisiert, ohne dass sie jedoch durch die Verfassung legitimiert gewesen wäre. Insgesamt gab es 21 Ausschüsse, de facto wurde die exekutive Gewalt aber von zweien ausgeübt: dem Wohlfahrtsausschuss (Comité du Salut Public) und dem Sicherheitsausschuss (Comité de la Sûreté Générale). Die zentrale Aufgabe des Wohlfahrtsausschusses war die „Abwehr innerer und äußerer Feinde der Revolution“. Er traf alle wichtigen Entscheidungen, lenkte den provisorischen Vollzugsrat bzw. die Vollzugskommissionen, die an die Stelle der Exekutive (Regierung und Ministerien) getreten waren und kontrollierte alle Behörden. Die Konventsabgeordneten wählten monatlich neun, später zwölf Vertreter aus ihren Reihen in den Wohlfahrtsausschuss, den sie mit Sondervollmachten ausgestattet hatten. Trotz der theoretischen Kontrollfunktion des Konvents regierte der Wohlfahrtsausschuss weitgehend unabhängig. Die führenden Köpfe des Gremiums waren Robespierre, Couthon und Saint-Just. Der Sicherheitsausschuss war mit seiner Zuständigkeit für Polizeigewalt und Rechtsprechung das gefürchtete Instrument des Terrors. Um den Gang der Revolution im ganzen Land überwachen zu können, wurden Überwachungsausschüsse bzw. Revolutionskomitees in jeder städtischen Sektion und jeder Gemeinde eingerichtet. Sie kontrollierten die örtliche Verwaltung ebenso wie die Bürger und sorgten für die Durchführung der Terreur-Dekrete. Alle zehn Tage legten sie dem Sicherheitsausschuss einen Bericht vor. Als konkurrierende Institution überprüften zudem sog. Nationalagenten die Umsetzung der Gesetze und erstatteten ihrerseits Bericht. Die politische Kontrolle der Armeen übernahmen Revolutionskommissare bzw. „Volksvertreter in Mission“ (mit weiten Vollmachten ausgestattete Regierungsgesandte).

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dirigistische Wirtschaftspolitik

militärische Erfolge

Emigranten

Kulturrevolution

3. Maßnahmen der Revolutionsregierung Mit dirigistischen Wirtschaftsmaßnahmen - Zwangsanleihen, Festsetzung von Höchstpreisen („kleines und „großes“ Maximum), Ausgabe von Brotmarken, Einfrieren der Löhne - gelang es der Revolutionsregierung, die schlimmsten Engpässe zu beseitigen. Den Forderungen der Bauern kam man mit drei weiteren Erlassen entgegen:

- Veräußerung der Emigrantengüter in kleinen Parzellen - Aufteilung der Allmende (Gemeindeland) zu gleichen Teilen - entschädigungslose Aufhebung aller verbliebenen Herrenrechte

Ab Mitte 1794 besserte sich auch die militärische Lage wieder. Die Revolutionsarmeen konnten am 26. Juni bei Fleurus einen entscheidenden Sieg über Österreich erringen und die österreichischen Niederlande annektieren. Von da an rückten die französischen Truppen expansiv in ganz Europa vor. Der Status der Emigranten verschlechterte sich weiter: Hatte schon die Assemblée Nationale Législative die Emigration strafbar gemacht und mit Verbannung, Güterkonfiskation und Todesstrafe im Falle der Rückkehr belegt, so wurden die Emigranten während der Terreur völlig entrechtet. Entsprechend groß ist die Zahl der Flüchtenden in dieser Phase: 80% aller Emigranten verließen erst ab 1793 das Land. Auch auf kulturellem und geistigem Gebiet sollte eine Revolution, eine Umwertung der Werte, stattfinden. Für massive Dechristianisierungs-Bestrebungen setzte sich vor allem die Gruppe um Hébert ein. Als Religions-Ersatz wurde ein „Kult der Vernunft“ eingeführt. Robespierre, der den Atheismus ablehnte, setzte jedoch später ein Dekret durch, das die Anerkennung eines „Höchsten Wesens“ durch das französische Volk verordnete. Um den völligen Kontinuitätsbruch deutlich zu machen, versuchte die Regierung mit der Einführung des Revolutionskalenders eine neue Zeitrechnung zu etablieren, die den bisherigen Lebensrhythmus auflösen sollte.

Terror als Instrument der

Schreckens-herrschaft

Gesetz über die Verdächtigen

Prairial-Dekrete

Ventôse-Dekrete

4. La Terreur Das berühmt-berüchtigte Werkzeug der Jakobiner-Herrschaft war die Terreur (Terror). Ursprünglich gedacht als Mittel, die Ordnung aufrecht zu erhalten und anarchische Gewalt, wie sie sich etwa bei den Septembermorden gezeigt hatte, zu unterbinden, diente der Terror nicht nur zu politischen Eingriffen auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet, sondern auch zur umfassenden Ausschaltung jeglicher Opposition. Grundlage dafür war zunächst das „Gesetz über die Verdächtigen“ vom 17. September 1793, das die sofortige Verhaftung aller Verdächtigen erlaubte. Als verdächtig wurden alle angesehen, die sich durch ihr Verhalten oder ihre Äußerungen als „Parteigänger der Tyrannen“ und „Feinde der Freiheit“ erwiesen hatten. Das „Prairial-Dekret“ vom 10. Juni 1794 verschärfte das Vorgehen gegen die „Feinde des Volkes“ noch einmal. Als solche galten alle Anhänger der Monarchie, die Gegner der Republik bzw. des Konvents und seiner Politik; Definitionen also, die beliebig dehnbar und interpretierbar waren. Zudem war jeder Bürger zur Denunziation verpflichtet und besaß das Recht, die „Volksfeinde“ festzunehmen. Die sog. „Ventôse-Dekrete“ (26. Februar / 3. März 1794) erlaubten es darüber hinaus,

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Revolutions-tribunal

Rechtfertigung des Terrors

den Besitz der Verdächtigen zugunsten bedürftiger „Patrioten“ zu beschlagnahmen. Sie stellten gleichzeitig den Gipfel der sozialen Zugeständnisse der Berg-Partei dar, sind aber bezeichnenderweise nie in Kraft getreten. Seit März 1793 war das Revolutionstribunal als Sondergerichtshof mit der Verurteilung der Feinde der Revolution betraut. Wer hier angeklagt war, hatte kein Recht auf anwaltliche Verteidigung oder Revision. Als Strafmaß war ausschließlich Freispruch oder Todesstrafe vorgesehen, das Urteil musste nach Schuldspruch innerhalb von 24 Stunden vollstreckt werden. Allein in den zwei Monaten des „großen Terrors“ (Grande terreur) wurden 1376 Verurteilte auf der Guillotine, dem „Rasiermesser der Nation“, hingerichtet. Robespierre, der führende Kopf des Wohlfahrtsausschusses, legitimierte den „Despotismus der Freiheit“ als Kampf gegen die Tyrannei und verteidigte den „Schrecken“ als notwendiges Instrument der Tugend. Das Ziel - die Erhaltung der Republik und der revolutionären Errungenschaften - rechtfertigte in seinen Augen die Mittel.

Aufstände in den Provinzen

Trägergruppen

Niederschlagung durch

Konventstruppen

Vendée

Föderalisten

5. Bürgerkrieg Nicht das ganze Frankreich war bereit, dem Kurs der Pariser Notstandsdiktatur zu folgen. In den Provinzen machte sich seit dem Frühjahr 1793 die Unzufriedenheit über den zentralistischen Dirigismus der Jakobiner, die wachsenden Kriegslasten und die schlechte Wirtschsaftslage in regionalen Aufständen Luft. Direkter Auslöser waren in vielen Gegenden die Massenrekrutierungen für die Revolutionsarmeen. Im Herbst 1793 hatte die Aufstandsbewegung 60 der 83 Departements erfasst. Vor allem im Nordwesten sowie im Süden und Südosten lehnten sich die religiös geprägte Landbevölkerung, Aristokraten, zurückgekehrte Emigranten, eidverweigernde Priester und entmachtete politische Gegenspieler der Jakobiner auf. Die örtlichen Vertreter der Pariser Regierung wurden verjagt bzw. in ihrer Arbeit behindert, in Lyon wurde das jakobinische Stadtregiment gestürtzt. Die Regierung reagierte mit großer Härte und ließ die Unruhen von einem massiven Aufgebot an Konventstruppen bis zum Dezember 1793 niederwerfen. Die entsandten Revolutionskommissare (Fouché, Carrier) setzten mit Strenge und Vergeltungsmaßnahmen die Autorität der zentralen Staatsmacht wieder durch. In der Vendée hatten die Regierungstruppen die größten Probleme, den Aufstand unter Kontrolle zu bringen, denn hier hatte er ein recht hohes Maß an Organisation und Schlagkraft erreicht: Bauernheere, Freikorps und abgezogene Fronttruppen hatten sich zu insgesamt drei gegenrevolutionären Armeen zusammengeschlossen, die von aristokratischen Offizieren geführt wurden. Vertreter und Anhänger der Republik wurden verfolgt und getötet, eine eigene royalistische Zivilverwaltung war im Aufbau. Der Konvent sah in dem Geschehen eine große Bedrohung und beschloss die systematische Zerstörung der Vendée. Dem umfassenden und vernichtenden Gegenschlag der Konventstruppen fielen Tausende von Menschen zum Opfer. Im Süden konzentrierte sich der Bürgerkrieg auf die Städte Marseilles, Toulon, Toulouse, Bordeaux, Nantes und Lyon, wo die Girondisten besonders stark gewesen waren, und wo deren Sturz die föderalistischen Kräfte gegen die Pariser Zentrale mobilisierte. Im Norden lehnte sich die Normandie auf und schickte eine kleine Armee Richtung

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Hauptstadt, die allerdings schnell gestoppt wurde. Im Herbst 1794 hatten die Konventstruppen in den meisten Gebieten wieder die Oberhand.

republikanisch

Erweiterung der Menschenrechte

Verfassungsorgane

6. Jakobiner-Verfassung von 1793 Am 10. August 1793 wurde die neue republikanische Verfassung im Rahmen einer feierlich inszenierten Zeremonie verkündet, nachdem sie das Volk durch ein Referendum angenommen hatte. Sie wurde jedoch bis zum Friedensschluss ausgesetzt und trat niemals in Kraft. Die Verfassung unterschied sich von ihrer Vorgängerin in erster Linie durch das Fehlen der monarchischen Spitze und durch das allgemeine Wahlrecht für alle männlichen Bürger über 21 Jahre. In Artikel 1 wurde als Staatsziel das „allgemeine Glück“ festgeschrieben. Die Menschen- und Bürgerrechtserklärung war um das Recht auf Arbeit, Unterricht, Versammlungsfreiheit und Unterstützung in Notlagen erweitert worden. Beim Eigentumsrecht wurden allerdings keine der Einschränkungen vorgenommen, wie sie Robespierre einige Zeit zuvor angedacht hatte. Obwohl die Prinzipien der Volkssouveränität und der Egalität betont wurden, stellte die neue Verfassung somit keinen Angriff auf die Interessen des Bürgertums dar. Die allgemeine Wehrpflicht wurde ebenfalls in die Verfassung aufgenommen. Die Exekutive sollte von einem „Vollzugsrat“ ausgeführt werden, dessen Mitglieder aus Kandidaten der Departements der Nationalversammlung gewählt werden sollten und von denen im Halbjahres-Turnus jeweils die Hälfte ausgetauscht werden sollte. Auch die Mitglieder der Nationalversammlung sollten jährlich neu gewählt werden. Als Element der direkten Demokratie war unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit eines Volksentscheids durch die Urversammlungen der Wahlberechtigten der Kantone vorgesehen.

Richtungskämpfe der Jakobiner

Danton

7. Diktatur des Wohlfahrtsausschusses Obwohl der Konvent und die regierenden Ausschüsse dem Druck der Sansculotten-Bewegung immer wieder nachgegeben hatten, gelang es letztlich nicht, die radikalisierte Volksbewegung politisch zu kanalisieren und zu befrieden. Ein Versuch, die Macht der außerparlamentarischen Organe einzuschränken, war eine Verordnung, die den Sektionen nur noch zwei Treffen pro Dekade (d.i. zehn Tage) erlaubte. Die zunehmende Entfremdung zwischen den Volksmassen und der Führungsriege des Wohlfahrtsausschusses beschrieb Saint-Just mit den berühmten Worten: „Die Revolution ist erstarrt.“ Nach der Entspannung der militärischen Lage Mitte 1794 kam es unter den Jakobinern selbst zu heftigen Richtungskämpfen, die öffentlich in Zeitungen und schließlich auch blutig auf der Guillotine ausgetragen wurden. Um Danton gruppierten sich die Indulgents, die „Nachsichtigen“, die nach dem notwendigen Terror eine Politik der Versöhnung und des innenpolitischen Ausgleichs anstrebten.

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Hébert

Robespierre

Germinal-Prozesse

„Grande Terreur“

Sturz und Hinrichtung Robespierres

Hébert und die „Ultras“ aus den Reihen des Cordeliers-Clubs hingegen versuchten, die politische Führung der Sansculotten-Bewegung zu übernehmen. Sie scheuten sich nicht davor, ab Februar 1794 auch offen gegen die Politik der Regierungsmehrheit zu kämpfen. Ihre politische Zielsetzung war neben der konsequenten Dechristianisierung vor allem eine radikalere Sozialpolitik. Zu diesem Kreis gehörten auch die radikalsozialen Enragés um den Priester Jacques Roux. Der dritte Protagonist, Robespierre, und seine Anhänger wollten den Terror bis zur endgültigen Rettung der Republik fortführen. Ihnen gelang es, die Opposition von rechts und von links als „Gefahr für das Vaterland“ zu brandmarken und in den sog. „Germinal-Prozessen“ Hébertisten und Dantonisten auszuschalten. Der erste Schlag traf die Hébertisten. Die Führungsgruppe der Linksopposition wurde am 14. März 1794 vor dem Versuch, eine weitere Volkserhebung zu organisieren, verhaftet. Man beschuldigte sie einer angeblichen Verschwörung mit dem Ausland und richtete sie zehn Tage nach ihrer Festnahme hin. Danton und seine Mitstreiter, darunter auch Camille Desmoulins, mussten am 5. April 1794 als „korrupte Terroristen“ beschimpft das Schafott besteigen. Die Hochphase des Terrors im Juni und Juli 1794 kostete viele Opfer. Auch die Commune wurde von „Anarchisten“ befreit, niemand konnte sicher vor plötzlicher Verhaftung sein. Doch die blindwütigen Maßnahmen konnten den Machtzerfall der Robespierristen nicht aufhalten, die sich selbst isoliert hatten. Robespierres Waffe richtete sich schließlich gegen ihn selbst: Am 9. Thermidor II (27. Juli 1794) wurde er im Konvent von seinen Gegenspielern, später “Thermidorianer” genannt, verhaftet und am darauffolgenden Tag nach einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch ohne Gerichtsurteil hingerichtet. Etwa 100 seiner Anhänger wurden ebenfalls mit dem Tode bestraft. Viele Menschen feierten das Ende der jakobinischen Schreckensherrschaft und tanzten befreit auf den Straßen.

8. Fazit

1. Der radikale Terror zerstörte das Bündnis zwischen der vom Bürgertum getragenen „Verfassungsrevolution“ und der „Volksrevolution“. Ohne die Unterstützung der aktiven Volksmassen hatte die Notstandsdiktatur keine tragende Basis mehr.

2. Die Sansculotten-Bewegung sah ihre Wünsche nach umfassenderen Besitzumschichtungen und Sozialmaßnahmen nicht ausreichend erfüllt. Für Teile des Bürgertums hingegen war der soziale Umsturz zur Hauptbedrohung geworden und die Rückkehr zu Ruhe und Ordnung dringlichste Aufgabe. Da die Jakobiner selbst dem Bürgertum zuzurechnen waren, waren sie nur bedingt bereit, Eingriffe in die Eigentumsordnung durchzusetzen.

3. Dem Terror lag keine Staatstheorie der Jakobiner zugrunde, er entstand vielmehr aus der Hilflosigkeit der Handelnden angesichts der innen- und außenpolitischen Bedrohungssituation.

4. Die Zeitgenossen wie auch heutige Forscher diskutier(t)en die Notwendigkeit und die Berechtigung der Terror-Maßnahmen. Für viele ist die Revolution als Ganzes durch die Gewaltexzesse der Notstandsdiktatur diskreditiert. F. Furet / D. Richet z.B. sehen in der Terreur einen „kanalisierten Bürgerkrieg“. Die Befürworter hingegen, darunter auch moderne Historiker wie A. Soboul,

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rechtfertigen die Terror-Maßnahmen als staatspolitische Notwendigkeit, ohne die die existentiell bedrohte Revolution gescheitert wäre. Diese divergierenden Interpretationen spiegeln immer auch unterschiedliche politische Ansätze wider.

Zusammensetzung des Konvents

„Entjakobini-sierung“

Maßnahmen

Direktorium und Napoleon Nach dem Ende der Jakobinerherrschaft versuchte die gemäßigte bürgerliche Konventsmehrheit die Republik zu konsolidieren, konnte jedoch im Spannungsfeld zwischen Royalisten auf der einen, Neo-Jakobinern auf der anderen Seite keine Stabilität schaffen. Die Direktorialverfassung und wiederholte Staatsstreiche sind die Etappen auf dem Weg zu Napoleons Machtübernahme und dem offiziellen „Ende der Revolution“. 1. Thermidorianer-Konvent (28. Juli 1794 – 26. Oktober 1795) Die von Barras geführten „Thermidorianer“ besetzten nach dem von ihnen herbeigeführten Sturz Robespierres alle wichtigen Staatsämter. Allerdings fanden sie kaum eine erfolgversprechende Ausgangsbasis vor: Fünf Jahre nach Beginn der Revolution war Frankreich schwer gezeichnet von Krieg und Bürgerkrieg, wirtschaftlichem Elend und der Desillusionierung der Ideale. Die Mehrheit des Konvents bildeten nun konservative Republikaner und Anhänger der konstituionellen Monarchie, die im Wesentlichen die Ergebnisse der ersten Revolutionsphase sichern wollten. Im linken Spektrum konnte sich eine neo-hébertistische Gruppierung halten, der sich ein Teil der Jakobiner anschloss, die meisten Montagnards gingen jedoch zur gemäßigten Mitte (Plaine) über. Die Zeit der Umgestaltungs-Euphorie war vorbei, für viele stand nun der eigene Machterhalt im Zentrum der Politik. Schritt für Schritt löste der Thermidorianer-Konvent den jakobinischen Herrschaftsapparat auf. Der Wohlfahrtsausschuss und das Revolutionstribunal wurden entmachtet und aufgehoben, die verantwortlichen Jakobiner und Sansculotten schonungslos verfolgt. Der Jakobiner-Club wurde geschlossen (12. November 1794), ebenso die „Volksgesellschaften“. Auch äußere Zeichen wie die Jakobinermütze, das Singen der Marseillaise oder das Duzen waren nun verpönt. Politische Gefangene und ein Teil der Emigranten erhielten Amnestie. Die anti-klerikale Tendenz der vorausgegangenen Regierung behielt auch der Thermidorianer-Konvent bei und beschloss die strikte Trennung von Kirche und Staat. Auf dem wirtschaftlichen Sektor erfolgte eine Re-Liberalisierung, planwirtschaftliche Bestimmungen wie das „Maximum“ wurden außer Kraft gesetzt. Die Gewinner waren das handeltreibende Großbürgertum, Armeelieferanten und Käufer von Nationalgütern. Auf dem neuen freien Markt hatten Korruption und Spekulation Hochkonjunktur. Auf gesellschaftlicher Ebene entwickelte sich eine neue Salon- und Vergnügungskultur, in der sich die Lebenslust und Luxussucht des neureichen Bürgertums ausdrückte.

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wirtschaftliche Notlage

Germinal-Aufstand

Prairial-Aufstand

Zwei-Drittel-Dekrete

Vendémiaire-Aufstand

2. Aufstände Die Aufgabe der dirigistischen Wirtschaftspolitik führte zu einem weiteren Anstieg der Inflation, die sich auch durch die Ersetzung der Assignaten durch sog. „Territorialmandate“ auf die noch verbliebenen Nationalgüter nicht aufhalten ließ. Hinzu kamen schlechte Ernten und ein äußerst strenger Winter 1794/95. Die Preise der nun frei gehandelten Lebensmittel waren für viele nicht mehr erschwinglich, Hunger machte sich in den Armenvierteln breit. Unzufriedenheit und Existenzängste der „kleinen Leute“ führte zu neuen Aufständen. Am 12. Germinal III (1. April 1795) belagerte eine Menge aus den Pariser Vororten den Konvent. Eine Delegation der Aufständischen trug der Konventsversammlung ihre Forderungen vor. Doch den Regierungstruppen gelang es, die Menge ohne Blutvergießen zu zerstreuen und in den darauffolgenden Tagen noch circa 1600 Sansculotten zu entwaffnen. Einer der letzten großen Volksaufstände der Revolution, vom 1.-3. Prairial III (20.-23. Mai 1795), mobilisierte noch einmal 40.000 Menschen, die mit den Parolen „Brot und die Verfassung von 1793!“ und „Brot oder Tod!“ die Regierung zum Handeln aufforderte. Auch diesmal konnten Regierungstruppen die Revolte rasch auflösen. Abgeordnete der Thermidorianer beruhigten die Vororte mit der Zusage besserer Versorgungsmaßnahmen. Gleichzeitig wurden strikte Repressionen eingeleitet: im Faubourg Saint-Antoine als Keimzelle der Aufstände ebenso wie in den Pariser Sektionen wurden die Waffen konfisziert, zahlreiche Abgeordnete der alten Ausschüsse bzw. der Bergpartei und etwa 1200 Sansculotten wurden verhaftet. Die bürgerliche Mitte wusste ihre Machtposition auf Kosten des demokratischen Systems erfolgreich zu sichern. Vor den Neuwahlen zum Nationalkonvent schloss sie mit den „Zwei-Drittel-Dekreten“ eine Machtverschiebung von vorne herein aus, indem sie festlegte, dass zwei Drittel der neuen Abgeordneten aus dem alten Konvent übernommen werden mussten. Dieses Vorgehen löste einen Aufstand von rechts aus. Royalistische Kandidaten, die sich durch das Wahlsystem übervorteilt sahen, wiegelten die wohlhabenden Großbürger gegen die „Jakobiner“ auf. 20.000 Bewaffnete versuchten den Konvent zu stürzen, wurden aber schließlich von dem jungen General Bonaparte, der auf Geheiß Barras’ die Verteidigung übernahm, zurückgedrängt.

Anlehnung an 1791

3. Direktorialverfassung Die veränderten politischen Gegebenheiten wurden in eine neue Verfassung – die dritte Revolutionsverfassung – gegossen, die am 22. August 1795 verabschiedet wurde. Sie entsprach den Interessen des bürgerlichen Lagers und bedeutete eine klare Absage an die Idee der sozialen Gleichheit. Die Direktorialverfassung, die im Wesentlichen auf den Vorschlägen des Konvents-Präsidenten Boissy d’Anglas basierte, kehrte in vielen Punkten zu der Verfassung von 1791 zurück: indirekter Wahlmodus, erweitertes Zensuswahlrecht, Gewaltenteilung, Sicherung der individuellen Freiheit. Die Menschenrechte wurden durch einen Pflichten-Katalog ergänzt. Eine zentrale Stellung nimmt die Sicherung des Eigentums ein. Artikel 1 nennt als „Rechte des Menschen in der Gesellschaft“: Freiheit, Gleichheit, Sicherheit,

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kollektives Staatsoberhaupt

schwache Legislative

jährliche Neuwahlen

Direktoren

Eigentum. Die dominante Machtstellung eines Einzelnen – sei es eines Königs oder Diktators – sollte verhindert werden. Dementsprechend bestand die Exekutive aus einem kollektiven Staatsoberhaupt, den fünf Direktoren. Dieses Direktorium (Directoire) verfügte allerdings über bedeutende Machtmittel und war für die innere und äußere Sicherheit des Staates verantwortlich. Die Minister wurden vom Direktorium ernannt und waren nur diesem, nicht dem Parlament, verantwortlich. Die Legislative bestand aus einem Zwei-Kammer-System: dem Rat der 500, der das Recht zu Gesetzesinitiative besaß, und dem Rat der Alten (250), der den Gesetzesvorschlägen zustimmen musste. Eine Schwachstelle der Verfassung war sicherlich die fehlende Kontinuität aufgrund der jährlichen Neuwahlen eines Drittels der Abgeordneten und eines Direktors, was zu unsicheren Mehrheitsverhältnissen und Wahlmüdigkeit bei den Bürgern führte. Im Kreis der Direktoren konnte Barras bis zum Staatsstreich Napoleons die Führungsrolle behaupten. Die wichtigsten seiner Mitdirektoren waren Reubell, La Revellière-Lepeaux, Carnot und Merlin de Douai. Die Regierung bestand damit zunächst noch immer aus Repräsentanten des revolutionären Bürgertums.

instabile Macht-verhältnisse

Babeufs „Verschwörung der

Gleichen“

Staatsstreich vom 18. Fructidor V

(4.9.1797)

4. Staatsstreiche Dem Directoire fehlte die klare politische Linie und ein tragfähiges Konzept zur Beendigung der Revolution und zur Entschärfung des gesellschaftlichen Konfliktpotentials. In der Verteidigungshaltung gegen Angriffe von rechts und links griff das Direktorium selbst zum Mittel der Staatsstreiche und autoritärer Unterdrückungsmaßnahmen, die ihm die Unterstützung des Volks kosteten. Die Demokratie wurde zur bloßen Fassade, hinter der sich die sukzessive Machtübernahme des Militärs vollzog, das als einzige anerkannte und funktionierende Ordnungskraft im Staat übrig geblieben war. Ein letzter sansculottischer Aufstandsversuch wurde schon im Vorfeld erstickt. Es handelte sich um die „Verschwörung der Gleichen“ unter der Führung des radikal-sozialen Journalisten Babeuf. Babeuf griff in seiner Zeitung Tribun de Peuple die Protagonisten und Nutznießer der Direktoriumsgesellschaft an und postulierte für den Agrarsektor Forderungen nach Umverteilung und Sozialisierung von Grundbesitz und Produktionsmitteln. Ziel der Verschwörung im Frühjahr 1796 sollte der Sturz des Direktoriums und die Wiederherstellung einer Jakobiner-Regierung gemäß der Verfassung von 1793 sein. Am 10. Mai 1796, dem Vorabend der geplanten Aktion, wurde die Verschwörung aufgedeckt und Babeuf und seine Anhänger verhaftet. Wenig später wurden sie hingerichtet. Der nächste Angriff des Regierungskollegiums kam von rechts. Bei den Wahlen im März 1796 zeigte sich, dass die gemäßigte Mitte im Rat der 500 durch eine steigende Zahl revolutionsfeindlicher Abgeordneter des rechten Spektrums bedroht wurde. Dadurch zeichnete sich auch die Zuwahl des rechten Politikers Barthélemy ins Direktorium ab, wo mit Carnot bereits ein Vertreter der Rechten saß. Um den drohenden Verlust der Mehrheit zu verhindern, initiierten Barras, La Revellière-Lepeaux und Reubell einen

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Staatsstreich vom 22. Floréal VI

(11.5.1798)

Staatsstreich vom 30. Prairial VII

(18.6.1799)

Staatsstreich vom 18. Brumaire VII

(9.11.1799)

internen Putsch. Mit Rückendeckung der Generäle ließen sie Carnot und Barthélemy sowie 53 weitere Abgeordnete unter dem Vorwurf der bourbonischen Verschwörung verbannen. Die Wahlergebnisse von 49 Departements wurden kurzerhand für ungültig erklärt. Um bei der nächsten Wahl die Gefahr royalistischer Mehrheiten von vorne herein zu bannen, nahm das zweite Direktorium diesmal schon im Vorfeld Einfluss auf die Kandidaten. Unfreiwillig ermöglichten sie damit aber auch vielen Neo-Jakobinern den Einzug in die Wahlversammlung. Die Direktoren ordneten deshalb eine Überprüfung der Neugewählten an und erzwangen die Annullierung der Wahl aller missliebigen Abgeordneten. Von einem demokratischen System konnte schon lange nicht mehr die Rede sein. Am 30. Prairial VII (18. Juni 1799) wiederholte sich das Spiel in einer weiteren Variante, doch nun war der Rat der 500 Hauptakteur. Die Frühjahrswahlen hatten unter dem Eindruck der kritischen Kriegssituation einen Linksruck im Parlament bewirkt. Barras und Sièyes, der Nachfolger Reubells, erzwangen unter Mithilfe jakobinischer Abgeordneter den Rücktritt der übrigen drei Direktoren und ersetzten sie durch Männer, die Sièyes’ Linie unterstützten. Vorübergehend lebt das Jakobinertum wieder auf. Der letzte Staatsstreich in dieser Reihe besiegelte das Ende des Direktoriums. Sièyes hatte das Ziel vor Augen, durch eine Änderung der Verfassung die ersehnte Stabilisierung der gemäßigten Richtung zu erreichen. Bei seinem Putsch-Plan setzte er auf Napoleon Bonaparte, der als mittlerweile populärster Revolutionsgeneral die nötige Unterstützung der Armee zu garantieren versprach. Eingeweiht waren außerdem Mit-Direktor Ducos, die meisten Minister sowie der Großteil der Abgeordneten beider Kammern. Am 11. September 1799 streuten die Putschisten das Gerücht eines bevorstehenden Umsturzes. Daraufhin wurde Napoleon zum Kommandanten der Pariser Truppen ernannt, Sièyes und Ducos traten gemäß ihrer Absprache zurück. Barras resignierte, die anderen beiden Direktoren wurden unter Hausarrest gestellt. Am nächsten Tag sollte das Parlament den Machtwechsel legitimieren, wobei es zu einigen Turbulenzen kam. Noch in der Nacht stimmte dann jedoch ein Teil der Abgeordneten der Auflösung des Direktoriums und der provisorischen Übergangsregierung der drei Konsuln Bonaparte, Ducos und Sièyes zu.

„Ende der Revolution“

verbrämte Militärdiktatur

Erster Konsul als

5. Konsulatsverfassung Die Aufgabe der provisorischen Regierung war es, gemeinsam mit den Ausschüssen der Legislative eine neue Verfassung zu erarbeiten, welche am 15. Dezember 1799 verkündet wurde. Am selben Tag proklamierte Napoleon das Ende der Revolution: „Bürger! Die Revolution hält an den Grundsätzen, die an ihrem Beginn standen, fest. Sie ist beendet!“ Das Ergebnis der Verfassungsarbeit war eine auf Napoleon zugeschnittene, verschleierte Militärdiktatur, die sich einen demokratischen Anstrich gab. Sièyes und Ducos sahen sich in ihren Erwartungen enttäuscht und traten zurück. An der Spitze des Staates stand auf zehn Jahre gewählt der Erste Konsul Napoleon, der

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starke Exekutive

Wahlsystem

Plebiszit

Kaiser Napoleon

von den beiden Mit-Konsuln Cambacérès und Lebrun beraten und vertreten wurde. Das Amt des Ersten Konsuls war mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, die das Recht der Gesetzesinitiative, Ernennung und Kontrolle sämtlicher staatlicher Funktionsträger, Kriegserklärung und den militärischen Oberbefehl umfassten. Diese Machtfülle der Exekutive kam einer Aufhebung der Gewaltenteilung gleich. Die Zwei-Kammer-Legislative aus Corps législatif und Tribunat waren faktisch machtlos. Das Wahlsystem war mehrstufig angelegt und erlaubte den Bürgern nur sehr bedingt, Einfluss auf die Zusammensetzung der Abgeordneten-Kammern zu nehmen. Um den demokratischen Anschein zu wahren, ließ Napoleon 1800 ein Plebiszit zur Konsulatsverfassung durchführen, das 3 Mio. Ja-Stimmen und 1562 Nein-Stimmen bei 4 Mio. Enthaltungen ergab. Napoleon nutzte seine Beliebtheit aufgrund seiner militärischen Erfolge und ließ sich nach dem Friedensschluss von Amiens 1802 zum Konsul auf Lebenszeit ernennen. Im Dezember 1804 krönte er sich zum „Kaiser der Franzosen“.

Frieden von Basel

Napoleons Italienfeldzug

Ägypten-Feldzug

Zweite Koalition (1799-1802)

6. Permanenter Krieg (1795-1799) Im Friedensschluss von Basel (5. April 1795) schied Preußen, das stärker an seinem Anteil an der dritten polnischen Teilung interessiert war, aus dem Kreis der Koalitionäre aus und erkaufte sich die Neutralität durch die Abtretung des linken Rheinufers. In Holland gründete Frankreich die „Batavische Republik“, die österreichischen Niederlanden wurden annektiert. Das Direktorium setzte wie die vorhergehenden Revolutionsregierungen den Krieg aus Angst vor monarchischer Restauration im Falle eines Friedensschlusses fort. In Italien ging Napoleon 1796/97 erfolgreich gegen Österreicher und Piemonteser vor. Er handelte dabei z.T. sehr eigenmächtig, fand sich aber durch seine Siege bestätigt. Im Frieden von Campo Formio (17. Oktober 1797) musste Habsburg Oberitalien an Frankreich abtreten und schied ebenfalls aus der Ersten Koalition aus. Napoleon gründete mehrere italienische Tochterrepubliken, die wie alle französischen Satellitenstaaten kräftig ausgebeutet wurden. Vom italienischen Erfolg beflügelt wandte sich Napoleon im Mai 1798 nach Ägypten, wo er die Engländer strategisch treffen wollte. Doch das Unternehmen endete in einer Niederlage. Am 1. August 1798 vernichtete der britische General Nelson die französische Flotte bei Aboukir nahezu vollständig. Gegen das offensichtliche Expansionsstreben der französischen Republik schloss sich am 16. November 1798 eine zweite Koalition aus England, der Türkei, Russland (bis 22. Oktober 1799), Neapel und Österreich zusammen. Der Krieg gegen die Zweite Koalition endete in den Friedensschlüssen von Lunéville (1801) und Amiens (1802), die Frankreich eine Atempause verschafften und Napoleon die Gelegenheit gaben, den Staat nach seinen Vorstellungen umzuformen.

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7. Fazit

1. Napoleon kehrte mit der Konsulats-Verfassung zwar nicht zu den politischen Vorstellungen von 1789 zurück, er restaurierte aber ebenso wenig das Ancien Régime. Viele Ergebnisse der Revolution – die Abschaffung der Ständegesellschaft, die Freiheit des Individuums, die wirtschaftliche Liberalisierung, die Verfassung als Grundlage der Gesellschaftsordnung - blieben unangetastet.

2. Wie auch in den vorausgegangenen Revolutionsphasen war diese letzte von einer dynamischen Wechselbeziehung zwischen Krieg und Innenpolitik bestimmt.

3. Auch wenn Napoleon das Ende der Revolution verkündet hatte, so zogen sich doch die politischen Auseinandersetzungen um die Prinzipien und Modelle, die mit der Revolution ins Spiel gekommen waren, durch das ganze 19. Jahrhundert.

Empfohlene Zitierweise: Bitte zitieren Sie nach der Online-Fassung unter: http://www.historicum.net/themen/franzoesische-revolution/einfuehrung/