hospitation in sandomierz polen

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BERICHT 06.06.2010 Polen-Hospitation in Sandomierz (17.05.10 – 28.05.10) Mathäus Kuliberda Polizeipräsidium Frankfurt Verkehrsüberwachung Adickesallee 70 60322 Frankfurt

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Hospitation in Sandomierz Polen

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Page 1: Hospitation in Sandomierz Polen

BERICHT

06.06.2010 Polen-Hospitation in Sandomierz

(17.05.10 – 28.05.10)

Mathäus Kuliberda

Polizeipräsidium Frankfurt

Verkehrsüberwachung

Adickesallee 70

60322 Frankfurt

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BERICHT

P O L E NP O L E NP O L E NP O L E N ---- HO S P I T A T I ON I N S A NDOHO S P I T A T I ON I N S A NDOHO S P I T A T I ON I N S A NDOHO S P I T A T I ON I N S A NDOM I E R Z ( 1 7 . 0 5 . 1 0 M I E R Z ( 1 7 . 0 5 . 1 0 M I E R Z ( 1 7 . 0 5 . 1 0 M I E R Z ( 1 7 . 0 5 . 1 0 –––– 2 8 . 0 5 . 1 0 )2 8 . 0 5 . 1 0 )2 8 . 0 5 . 1 0 )2 8 . 0 5 . 1 0 )

EINLEITUNGEINLEITUNGEINLEITUNGEINLEITUNG

Im Mai sollte ich eine 11-tägige Hospitation in Sandomierz/PL absolvieren.

Leider wurde die Stadt genau in diesem Zeitraum von einer der größten

Flutkatastrophen des Landes heimgesucht. Es wurden mehr als 100 km² Land

überflutet und über 10.000 Menschen mussten evakuiert werden.

Aufgrund der tragischen Situation habe ich freiwillig auf alle Programmpunkte der

Hospitation verzichtet und bot meine Hilfe bei der Flutkatastrophe an, die auch

dankend angenommen wurde.

Der Bericht wird überwiegend von der tragischen Flut handeln, da ich kaum

Möglichkeiten hatte in den normalen Polizeialltag einzutauchen.

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Die StadtDie StadtDie StadtDie Stadt ---- SandomierzSandomierzSandomierzSandomierz

Sandomierz ist eine Stadt in Süd-Ost-Polen (Woiwodschaft Heiligkreuz), direkt an der

Weichsel zwischen Krakau und Warschau gelegen.

Sandomierz kann auf eine über 1000-jährige Geschichte zurückblicken, weshalb sie

heute aufgrund einer wunderschönen Altstadt viele Touristen anzieht.

Früher gehörte

Sandomierz zu den

größten Städten Polens

und war Sitz von Fürsten

und eine königliche

Residenz. Heute zählt

Sandomierz ca. 25.000

Einwohner.

Die Altstadt, sowie der

größte Teil von

Sandomierz liegen auf

sieben Hügeln linksseitig der Weichsel. Diese Hügel sind die letzen Ausläufer des

Heiligkreuzgebirges, das zu den ältesten in Europa zählt.

Rechtsseitig der Weichsel befinden sich mehrere Stadtteile von Sandomierz, sowie

kleine Dörfer und Siedlungen. Dieses Gebiet wurde durch die Flut komplett

überschwemmt.

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Begrüßung / UnterkunftBegrüßung / UnterkunftBegrüßung / UnterkunftBegrüßung / Unterkunft

Nach einer langen Anreise über 1200 km wurde ich offiziell vom IPA Präsidenten der

Woiwodschaft Heiligkreuz, sowie zwei weiteren Funktionären der IPA empfangen.

Weiterhin nahm an der Begrüßung der Stellvertreter des Polizeikommandanten

Sandomierz und mein Betreuer teil. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte die Weichsel

einen besorgniserregenden Wasserpegel erreicht, sodass der Polizeikommandant

nicht persönlich erscheinen konnte, da er sich in einer Krisensitzung befand.

Trotz der Lage wurde ich sehr herzlich empfangen und zu einem Mittagessen in

einem historischen Restaurant eingeladen.

Dieser warme Empfang nahm mir die letzte Nervosität, die ich bezüglich der

Hospitation noch hatte und freute mich auf die nächsten zwei Wochen.

Auf Wunsch des Bürgermeisters wurde ich in einer Dienstwohnung für offizielle Gäste

der Stadt untergebracht. Die Wohnung lag mitten in der wunderbaren Altstadt und

war mehr als ausreichend ausgestattet.

ProgrammProgrammProgrammProgramm

Wie bereits erwähnt, habe ich auf das Programm der Hospitation freiwillig verzichtet.

Nichtsdestotrotz möchte ich die vorgesehenen Programmpunkte vorstellen, da sie

meiner Meinung nach eine hervorragende Hospitation zur Folge gehabt hätten.

Das Programm sah u.a. gemeinsamen Streifendienst mit der Verkehrspolizei, sowie

normaler Schutzpolizei vor. Des Weiteren waren Besuche bei der Bereitschaftspolizei,

Kriminalpolizei (verschiedene Abteilungen, wie z.B. Erkennungsdienst,

Drogenfahndung) geplant.

Der einzige Programmpunkt der realisiert werden konnte, war im Rahmen der

Prävention ein gemeinsamer Vortrag meines Betreuers und mir am Collegium für

Fremdsprachen in Sandomierz zum Thema Drogen. Der 90-minütige Vortrag wurde

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komplett auf deutsch gehalten.

Weiterhin sollten an Wochenenden Sehenswürdigkeiten der Region und die Stadt

Krakau besichtigt werden.

Anhand des Programms konnte man sehen, dass die polnischen Kollegen sich viel

Mühe für die Vorbereitung der Hospitation gegeben haben. Umso trauriger ist es,

dass die Programmpunkte nicht realisiert werden konnten.

DIE FDIE FDIE FDIE FLUTLUTLUTLUT

Vom Hospitanten zum FluthelferVom Hospitanten zum FluthelferVom Hospitanten zum FluthelferVom Hospitanten zum Fluthelfer

In der Nacht nach meiner Ankunft klingelte um 3:20 Uhr mein Telefon.

Es war mein Betreuer Wieslaw Stepien. Er teilte mir mit, dass soeben der

Alarmzustand ausgerufen wurde und alle Beamten der KPP Sandomierz

(Kreiskommandatur der Polizei Sandomierz) sich sofort auf der Dienststelle

einzufinden haben.

Mein Betreuer sagte, dass dies für mich natürlich nicht gelte und ich ausschlafen

kann.

Für mich war jedoch sofort klar, dass ich mithelfen will, so dass wir beide um 3:45

Uhr den Dienst antraten.

Auf der Dienststelle bot ich dem Komendanten meine Hilfe an, die dankend

angenommen wurde. Unterdessen wurde schon Verstärkung der Wasserschutzpolizei

aus dem ca. 600km enfernten Olsztyn (Allenstein) angefordert. Dies bestätigte, dass

meine Entscheidung richtig war.

Ab dem Zeitpunkt war ich vollständig in die nächsten Einsätze integriert.

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Die polnischen Kollegen, die ich dort kennenlernte, dankten mir ebenfalls für mein

Engagement, so dass ich vom ersten Tag an das Gefühl hatte, zur dortigen

Dienststelle dazuzugehören.

Ich muss zugeben, dass ich die positive Aufnahme der polnischen Kollegen nicht in

diesem Maße erwartet habe, was mich besonders freute.

Der DeichbruchDer DeichbruchDer DeichbruchDer Deichbruch

Nach wenigen Stunden der Bereitschaft ereilte uns die Nachricht, dass wenige

Kilometer vor Sandomierz ein Deich dem Druck der Weichsel nicht standhalten konnte

und brach.

Das Gebiet rechtsseitig von Sandomierz wurde mit einer Geschwindigkeit von ca. 1m

pro Stunde überschwemmt.

Obwohl am Abend und in der Nacht zuvor die Polizei Durchsagen gemacht hatte und

Busse für die Evakuierung zur Verfügung stellte, nutzten leider nur wenige Einwohner

diese Möglichkeit und erkannten die Gefahr nicht bzw. wollten dies nicht wahrhaben.

Aufgrund dessen wurden die meisten

von der Flut überrascht.

Durch einen ungünstigen Verlauf der

Weichsel wurde der rechtsseitige Teil

von Sandomierz nicht aus Richtung der

Weichsel überschwemmt, wie man

annehmen würde, sondern von

„hinten“, was niemand vorhersehen

konnte.

Die einzige Zufahrt zu dem überschwemmten Gebiet war eine Brücke über die

Weichsel in Sandomierz (die einzige Brücke im Umkreis von ca. 40 km nach Norden

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und 30 km nach Süden). Bereits am Brückenende begann das überschwemmte Gebiet,

so dass räumlich nur wenig Platz für Einsatzkräfte und Hilfsmaßnahmen blieb.

AufgabenstellungAufgabenstellungAufgabenstellungAufgabenstellung

Am 1. Tag wurden wir mit den Aufgaben der Verkehrslenkung und –überwachung

betraut, was mich als Verkehrspolizisten natürlich besonders interessierte.

Unsere Aufgabe bestand darin, die linke Seite für die Einsatzkräfte verkehrsfrei zu

halten. Zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass sich die

Verkehrsstrategie der polnischen Polizei nur wenig von der deutschen Konzeption

unterscheidet, so wie ich sie aus Frankfurt kenne. Nähere Details bezüglich

Verkehrspolizei konnte ich leider nicht erfahren, da ich mit zwei Beamten der

Drogenfahndung eingesetzt war, die nach

eigenen Angaben nicht mal ein Strafzettel

ausfüllen konnten. So konnte ich den

Kollegen zumindest zeigen, wie es z.B.

am günstigsten ist ein Fahrzeug

abzustellen, um den Verkehr umzuleiten.

Mein Betreuer dankte mir und gelobte

Besserung, wenn er im September uns

besucht.

Bereits zum Ende des ersten Tages wurden wir von der polnischen Bereitschaftspolizei

abgelöst und direkt an der Flut eingesetzt.

Dort hatten wir die Aufgabe, die Rettungsmaßnahmen mit der Feuerwehr

abzustimmen, wie z.B. Koordinierung der Anfahrt von Krankenwagen und Bussen zur

Evakuierung, Betreuung der Evakuierten etc.

Nach ca. 17 Stunden ging mein erster richtiger Tag der Hospitation zu Ende.

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Nach der Ankunft der Wasserschutzpolizei aus Olsztyn wurden wir ab dem 2. Tag mit

jeweils einem Ortskundigen Kollegen (das war mein Betreuer) und einem Kollegen der

Wasserschutzpolizei auf einem Polizeiboot eingesetzt.

Die Dienstzeiten waren im 12h-Rhythmus von 06:00 Uhr bis ca. 18:00 Uhr, wobei wir

seltenst pünktlich Feierabend machen konnten. Viel mehr kam es vor, dass wir 13-15

Stunden pro Tag gearbeitet haben.

Die Aufgaben waren vielfältig. Zum einen mussten wir weiterhin Menschen evakuieren

oder den Menschen, die sich entschlossen haben in ihren Häusern zu bleiben,

Proviant bringen. Es waren

jedoch mehr als Hundert

Menschen die ihre Häuser

nicht verlassen wollten.

Die Ausmaße der

Überschwemmung waren

jedoch enorm – um die weiter

entlegenen Dörfer zu

erreichen, musste man mit bis

zu anderthalb Stunden

Anfahrtszeit rechnen. Und

selbst dann konnte man nicht genug Proviant mitnehmen, um alle dortigen Bewohner

zu versorgen.

Eine weitere Aufgabe bestand darin, Hinweisen nach Vermissten nachzugehen. So

kam es auch vor, dass wir Flutopfer bergen mussten.

Weiterhin kam es in den ersten Nächten vor, dass Plünderer gesichtet wurden, sodass

ein generelles Verbot für private Boote ausgesprochen wurde. Dieses Verbot hatten

wir zu überwachen.

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Organisation der HilfsOrganisation der HilfsOrganisation der HilfsOrganisation der Hilfs---- und Rettungsund Rettungsund Rettungsund Rettungsmaßnahmenmaßnahmenmaßnahmenmaßnahmen

Wie wurden die Hilfsmaßnahmen organisiert? Wie sah es am Brückenkopf, unserer

Hauptanlaufstelle, aus?

In Sandomierz wurde ein Krisenstab eingerichtet, der aus Feuerwehr,

Rettungsdiensten, der Polizei und dem Bürgermeister bestand. Welche

Entscheidungen dort gefällt wurden und ob weitere Organe dort vertreten waren, ist

mir leider nicht bekannt.

Vor Ort wurden die Rettungsmaßnahmen von der Feuerwehr koordiniert, wobei die

Polizei sicherstellen musste, dass die Rettungsmaßnahmen ohne größere Störungen

ablaufen konnten. Weiterhin war die Polizei für die Sicherheit im überschwemmten

Gebiet zuständig (Plünderer). Die Zusammenarbeit zwischen Feuerwehr, Polizei und

Rettungsdienst verlief aus meiner Sicht sehr gut.

Es ist zu erwähnen, dass der Bereich, von dem wir aus agierten, immer wieder von

vielen Menschen aufgesucht wurde, die ihre Häuser anschauen wollten etc.

Dies, sowie Störungen durch

Schaulustige, behinderte die Arbeit

zum Teil erheblich. Doch man musste

den Opfern logischerweise mit viel

Einfühlungsvermögen begegnen. An

einen „normalen“ Platzverweis war da

nicht zu denken.

Eine große Rolle bei den

Rettungsmaßnahmen spielten Caritas,

sowie weitere Wohltätigkeitsverbände. Diese bauten eine Verpflegungsstelle auf, die

für die Einsatzkräfte bestimmt war und darüber hinaus verwalteten sie den Proviant,

der den Zurückgebliebenen durch die Feuerwehr und Polizei gebracht wurde.

Das Essen, Kleider, Hygieneartikel wurden durch Geschäfte, verschiedene Firmen und

andere Organisationen, aber vor allem durch die verschonten Bewohner von

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Sandomierz gestiftet.

Man konnte den Zusammenhalt der Bevölkerung deutlich sehen und spüren. Alle

zogen an einem Strang.

Ein weiterer großer Schwerpunkt des Kampfes gegen die Flut war der Kampf um die

Glashütte der Fa. Pilkington (stellt u.a. Autoscheiben für VW her).

Die Fabrik stand im überschwemmten Bereich, war aber, wie auch eine Siedlung der

Fabrikarbeiter in unmittelbarer Nähe, durch zusätzliche Wälle geschützt. Da diese

jedoch durchnässt waren und ebendfalls zu

brechen drohten, arbeiteten Tag und Nacht

mehrere hundert Arbeiter, Soldaten und

Einwohner an den Wällen und verstärkten sie

mit Tausenden Sandsäcken. Es standen

schließlich 2000 Arbeitsplätze auf dem

Spiel.

Wie die Arbeit dort vor Ort genau aussah, ist

mir nicht bekannt, weil wir anderweitig

eingesetzt waren. Abschließend kann ich

jedoch sagen, dass die Wälle gehalten haben und der Kampf gewonnen wurde.

Physische und psychische BelastungPhysische und psychische BelastungPhysische und psychische BelastungPhysische und psychische Belastung

Obwohl man über 10 Stunden täglich – und das 10 Tage lang – körperlich arbeiten

musste, spürte man anfangs gar keine Müdigkeit. Man hat dermaßen aus

Überzeugung und eigenem Willen gehandelt, dass die Auswirkungen, die Müdigkeit,

erst nach Ende der zwei Wochen spürbar wurde.

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Eine viel höhere Belastung war psychischer Natur!

Man war ständig von Menschen umgeben, die ihr ganzes Hab und Gut verloren haben.

Man evakuierte Menschen und musste ihnen klar machen, dass sie das Haus verlassen

müssen, weil akute Lebensgefahr droht und zwang sie damit ihr Haus, ihr Eigentum

den Fluten zu überlassen. In diesen Momenten sah man, dass das Herz der Menschen

brach und man fühlte sich mitschuldig für die Tragödie.

Als Beispiel möchte ich die Evakuierung eines älteren Ehepaares aufführen, die bereits

auf dem Dachboden waren und zu

diesem Zeitpunkt bereits fast alles

verloren haben. Das Ehepaar wollte

sich partout nicht evakuieren lassen,

obwohl sie schon mit den Füßen im

Wasser standen. Erst nach einer guten

halben Stunde, vieler vergossener

Tränen und lautstarker

Ausseinandersetzungen entschieden

sie sich mit uns zu kommen.

Man hat sich praktisch die ganze Zeit mit den Flutopfern unterhalten, man munterte

sie auf, ließ sie auf der Schulter ausweinen und für manche war man der Sündenbock.

So war man neben einem physischen Helfer auch ein Seelsorger.

Für mich kam noch erschwerend hinzu, dass nach ca. 2 Tagen (das Zeitgefühl hat

man schnell verloren) weitere Dienstwohnungen durch die Stadt den Flutopfern zur

Verfügung gestellt wurden. Da wir uns aber alle eine gemeinsame Küche teilten, habe

ich auch nach dem Dienst nicht immer die Möglichkeit gehabt mental komplett

abzuschalten.

Zeit, das Erlebte zu verarbeiten, hatte man leider nicht. Erst nach der Rückkehr nach

Deutschland konnte ich die Tragödie, die dort herrschte, verarbeiten.

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Doch nicht nur die Menschen setzten mir psychisch zu. Ich sah ertrinkende Tiere, wie

Schweine, Katzen oder Füchse. Den meisten konnten wir nicht helfen und mussten

zusehen, wie sie quallvoll verendeten.

Tiere, die gerettet wurden, konnten aufgrund der Masse an Opfern nicht sofort den

Besitzern zugeordnet werden und wurden vorübergehend in Tierheime verbracht. Für

mich war es ein grausamer Anblick.

Ein weiteres wichtiges Beispiel für die psychische Belastung war die Bergung einer

Wasserleiche. Bei einer Fahrt mit dem Boot bemerkte ich einen Körper am Rande

einer Straße. Beim genaueren Hinsehen war es ein älterer Mann, der dem Zustand

nach bereits mehrere Tage unter Wasser war. Wie sich später herausstellte, handelte

es sich um einen Bedürftigen einer Caritas-Einrichtung.

Da wir vor der Bergung der Leiche auf die

Staatsanwaltschaft und den Erkennungsdienst warten

mussten, blieb uns nichts anderes übrig, als die

Leiche an eine Laterne festzubinden (es herrschte eine

Strömung) und zu warten. So vergingen zwei Stunden,

in denen neben unserem Boot eine Leiche schwamm.

Zunächst konnte man den Anblick nicht ertragen,

doch nach gut einer Stunde nahm man das mit so

einer unglaublichen Gleichgültigkeit hin, dass man

sogar aus Langweile neben der Leiche zu essen

anfing. Das war für mich der Punkt, an dem ich

merkte, dass man mit der ganzen Situation so

schlecht umgehen konnte und folglich die Psyche

solche Reaktionen zuließ.

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Weitere ErlebnisseWeitere ErlebnisseWeitere ErlebnisseWeitere Erlebnisse

Der Aufenthalt in Polen war von vielen Erlebnissen geprägt. Zwei besondere

Erlebnisse, in einer anderen Situation würde ich von Abenteuer sprechen, möchte ich

jedoch etwas ausführlicher schildern:

Rumänischer SattelzugRumänischer SattelzugRumänischer SattelzugRumänischer Sattelzug

Nach ungefähr fünf Tagen, das Wasser stand noch bei ca. 2 Metern, traten wir

morgens unseren Dienst wie gewohnt an. Als wir jedoch mit dem Boot entlang einer

der überfluteten Straße fuhren, erlebten wir eine Überraschung:

Ein Sattelzug (40t) stand quer auf der Fahrbahn und das Wasser reichte bis zur

Frontscheibe. Wir wunderten uns natürlich, weil der LKW gestern noch nicht da stand.

Wir schwammen an die Kabine und wurden von zwei rumänischen LKW-Fahrern mit

großen Augen angeschaut. Da die beiden Herren leider keine Fremdsprachkenntnisse

besaßen, war es schwer die

näheren Umstände des

ungewöhnlichen Anblicks zu

erfahren. Es dauerte einen

Tag, bis wir über die

Geschichte des Sattelzuges

komplett im Bilde waren.

Die zwei Fahrer wollten nachts

mit dem Sattelzug aus

Richtung Tarnobrzeg nach

Stalowa Wola. Da die beiden

Städte das überflutete Gebiet trennte, wäre ein Umweg über 50km erforderlich

gewesen. Dies wollten sich die beiden Rumänen ersparen und umfuhren ein

Kontrollpunkt der Polizei. Sie kämpften sich insgesamt 8 km (!!) durch die bis zu 2 m

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hohe Flut, bis irgendwann der Sattelauflieger aufschwamm und sich querstellte.

Aufgrund der Tatsache, dass sie eine 50.000 € teure Arbeitsmaschine versenkt haben,

waren sie natürlich etwas nervös und geknickt.

Die Meldung von dem LKW ging quer durch die polnischen Medien und hatte die

positive Auswirkung, dass sie bei vielen ein Lächeln der Schadensfreude auf das

Gesicht zauberte.

Unfall auf einem AmphibienfahrzeugUnfall auf einem AmphibienfahrzeugUnfall auf einem AmphibienfahrzeugUnfall auf einem Amphibienfahrzeug

Während der ganzen Maßnahmen war das polnische Militär mit mehreren

Amphibienfahrzeugen im Einsatz. Ihre Aufgabe bestand darin, Menschen quer durch

das Gebiet zu transportieren. Vereinfacht gesagt war es eine Art Fähre. Das

Amphibienfahrzeug war zweikettig und hatte zusätzlich noch zwei Schrauben. Es war

a. 2,6 m hoch und konnte über 50 Personen transportieren.

Aus Neugier wollten wir

auch einmal mit so einem

Fahrzeug fahren und

begaben uns an Deck.

In einer Nebenstraße, die

normalerweise von ca.

1,5m tiefen Gräben

umsäumt ist, fuhr der

Fahrer etwas zu weit rechts,

wodurch eine Kette

ruckartig in den Graben

rutschte und das Amphibienfahrzeug um ca. 50° zur Seite kippte. Es war ein Wunder,

dass von den ca. 15 Personen niemand über Bord fiel.

Ergebnis der Aktion war bei einem Kollegen und mir eine fast komplett zerissene

Uniform, da wir an einem Stahlkasten festhingen. Wir können von Glück sprechen,

dass wir sonst nur mit dem Schrecken davon kamen.

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Deutsche UnterstützungDeutsche UnterstützungDeutsche UnterstützungDeutsche Unterstützung

Nach ein paar Tagen nach Beginn der Flut wurde aus Deutschland das THW um

Unterstützung gebeten. Das THW sagte zu und kam mit mehreren Großpumpen aus

Gießen, die für das Abpumpen im Bereich der Glasfabrik bestimmt waren.

Als ich das THW zum ersten Mal im Einsatzgebiet sah, fragte ich nach, ob vielleicht

eine Übersetzungshilfe gebraucht wird. Dies war auch der Fall, weil eine der Pumpen

defekt war und spezielle Ersatzteile /-schrauben gebraucht wurden. Ich konnte den

Kollegen vom THW helfen, so dass die Pumpe schnellstmöglich wieder instandgesetzt

werden konnte.

MedienMedienMedienMedien

Zu der Zeit, als ich in Polen war, wurden mehrere Gebiete durch verschiedene Flüsse

überschwemmt.

Die grösste Katastrophe ereignete sich hier in Sandomierz. So war diese Stadt

mehrfach im Blickpunkt der Medien.

Ich, als deutscher Beamter in deutscher Uniform, fiel den Opfern vor Ort nur wenig

auf. Das lag zum einem an der Ähnlichkeit zur polnischen Uniform als auch am Stress

der Opfer, dem sie zu diesem Zeitpunkt ausgesetzt waren. Den anderen Kollegen der

Polizei, Feuerwehr oder Helfern der Hilfsorganisationen war ich wohl als deutscher

Polizist bekannt, da man sich täglich sah und logischerweise ins Gespräch kam.

Nicht einmal wurde ich schief angeguckt bzw. ist mir jemand skeptisch

gegenübergetreten. Von ausnahmslos allen wurde ich stets freundlich begrüßt und

hatte sehr viele angenehme Gespräche.

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Durch die Medienpräsenz vor Ort wurden auch diese auf mich aufmerksam, so dass

ich in verschiedenen polnischen Fernsehsendern, sowie Zeitungen mehrere Interviews

geben durfte. Auch dies war für mich eine neue und lehrreiche Erfahrung.

Darüberhinaus waren aufgrund der Lage der polnische Premier Donald Tusk, sowie

der Generalkommandant der polnischen Polizei in Sandomierz anwesend. Ich hatte

sogar die Ehre mit dem Generalkommandanten ein persönliches Gespräch zu führen.

VerabschiedungVerabschiedungVerabschiedungVerabschiedung

Am letzten Tag in Sandomierz wurde ich von der Polizeiführung verabschiedet. Aus

dem Grund kam neben dem

Polizeikommandanten von Sandomierz

auch der Polizeikommandant der

zuständigen Woiwodschaft.

Es wurde mir für die Hilfe gedankt und

ein offizielles Dankesschreiben, samt

verschiedener Andenken überreicht.

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IPAIPAIPAIPA----TREFFENTREFFENTREFFENTREFFEN Zusätzlich zu der geplanten Hospitation wurde ich von der IPA der Woiwodschaft

Heiligkreuz zu ihren Feierlichkeiten anlässlich des 10-jährigen Bestehens eingeladen.

Die Feierlichkeiten fanden in Kielce (Hauptstadt der Woiwodschaft Heiligkreuz) statt,

an denen ich gerne teilnahm.

Anwesend waren u.a. der polnische IPA-Präsident, sowie weitere IPA-Vorsitzende der

verschiedenen Woiwodschaften. Des Weiteren waren auch Delegationen aus Litauen,

Russland und der Ukraine vor Ort.

Bei der offiziellen Feier wurde mir auch von der IPA für meinen Einsatz gedankt, was

mich besonders freute.

Bei der anschließenden

„inoffiziellen“ Feier konnte ich

sehr viele neue Kontakte

knüpfen, nicht nur mit

polnischen Kollegen, sondern

auch zu Polens östlichen

Nachbarn.

Auch dies war für mich eine

interessante Erfahrung und

nach den letzten zwei Wochen

auch eine schöne.

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FAZITFAZITFAZITFAZIT Ich fuhr voller Hoffnungen nach Polen, aber auch mit einigen Vorurteilen gegenüber

der polnischen Polizei. Doch bereits nach dem ersten Tag merkte ich, dass meine

Vorurteile unbegründet waren.

Auch wenn die Hospitation nicht wie geplant stattgefunden hat, so konnte ich

Erfahrungen sammeln, die mir sowohl dienstlich als auch privat von großem Nutzen

sein werden.

Des Weiteren konnte ich in dieser Zeit sehr viele neue und interessante Menschen

kennenlernen. Das Wichtigste ist jedoch, dass ich nicht nur neue Menschen gefunden

habe, sondern auch neue Freunde, mit denen ich den Kontakt auch in der Zeit nach

der Hospitation pflegen werde.

Trotz der Flutkatastrophe würde ich meinen Aufenthalt in Polen als äußerst gelungen

betrachten und bin dankbar für die gemachten Erfahrungen.

Gleichzeitig hoffe ich, dass ich noch die Möglichkeit haben werde, eine „normale“

Hospitation zu absolvieren.