“herr bundeskanzler, das sind zwei aromatische kerne …”

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Heinz Riesenhuber – von der Chemie in die Politik Heinz Riesenhuber hat von 1955 bis 1965 Chemie und Volkswirt- schaft in Frankfurt und München studiert. Nach Stationen in der Industrie wechselte er 1982 in die Politik – an die Spitze des Bundesministeriums für For- schung und Technologie. Nachrichten: Gibt es etwas, das Sie heute noch an die Chemie bindet? Riesenhuber: Fachlich relativ wenig. Es gibt Zufälligkeiten, bei denen man sich freut, dass einem etwas einfällt. Kohl hat einmal bei ei- nem Gesetz von Umweltminister Töpfer, in dem es um polychlorierte Biphenyle ging, im Kabinett gefragt: „Weiß hier irgendjemand, was das ist?“ Da konnte ich antworten: „Herr Bundeskanzler , das sind zwei aromatische Kerne, verbunden über eine direkte C-C-Bin- dung, mit einer unterschiedlichen Zahl von Chloratomen.“ – Pernlich habe ich mit den führenden Herren der chemischen Industrie, und mit dem Verband der Chemischen Indus- trie sowieso, immer einen guten Kontakt ge- habt. Herr Bundeskanzler, „H das sind zwei aromatische Kerne …“ Nachrichten aus der Chemie: Herr Riesenhuber , warum haben Sie Chemie studiert? Heinz Riesenhuber: Es war nicht von Haus aus meine erste Leidenschaft. Damals haben mich in Frankfurt Adorno und Horkheimer fasziniert. Doch mein Vater, Einkaufschef bei der Degussa, meinte, ich solle etwas lernen, mit dem man überall in der Welt sein Geld verdienen kann. Gefesselt hat mich dann im Chemiestudium, dass das, was theoretisch stimmte, auch im Labor geklappt hat. Die organischen Praktika fand ich allerdings lang und über gewisse Stre- cken nicht besonders erleuchtend. Dagegen kann ich mich an Sinn und Ziel meiner Doktor- arbeit „Gitterstörungen in mikrokristallinem Eisenphosphatgut erinnern. AUSGEFRAGT Ausgefragt – In dieser Rubrik stellt Christian Ehrensberger Menschen vor, die dereinst Chemie studiert haben, denen man das heute aber nicht mehr ansieht. (Anregung: Heribert Offermanns, Karikatur: Alfred Moser) Nachrichten: Wie haben Sie es geschafft, neben einem weithin als eines der härtesten geltenden Studium anderen Neigungen nachzugehen? Riesenhuber: Ich fuhr im Labor immer meh- rere Ansätze parallel, verursachte die meis- ten Explosionen und schaffte meine Praktika mit brutaler Kraft. Zeit r anderes war mir wichtig, und so setzte ich mich bei Adornos Oberseminar unauffällig in die letzte Reihe und gewann einen ganz anderen Blick in die Welt. Zu dieser Zeit habe ich noch nicht ernsthaft Politik betrieben. Nachrichten: Und wann begannen Sie ernst- haft mit der Politik? Riesenhuber: Ab 1962 war ich in Arbeits- kreisen der Jungen Union mit interessanten Themen aktiv – Investivlohn r Arbeitneh- mer zum Beispiel. Darüber sprach ich da- mals zwei Stunden mit dem IG-Bau-Vorsit- zenden Georg Leber. Bis heute ist das nicht so umgesetzt, wie wir es uns ursprünglich gedacht hatten. 1966 ging ich zur Metallge- sellschaft, zunächst in einer Projektleitung mit chemischen Aspekten: die chlorierende V erflüchtigung von Zinn und die thermi- sche Gewinnung von fein verteilten Metall- anteilen. Nach einer weiteren Zwischensta- tion wurde ich Bundesminister. Nachrichten: War das nicht ein harter Schnitt? Riesenhuber: Der berufliche Wechsel war in- sofern kein harter Schnitt, als mir persönliche Beziehungen geblieben sind oder sich neu entwickelten. So lebe ich auch heute weniger in einer Kultur der Ehemaligentreffen als viel- mehr in aktiven Netzwerken, die sich in einer freundschaftlichen Selbstverständlichkeit im- mer wieder erneuert haben.

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Page 1: “Herr Bundeskanzler, das sind zwei aromatische Kerne …”

Heinz Riesenhuber – von der Chemie in die Politik

Heinz Riesenhuber hat von 1955 bis 1965 Chemie und Volkswirt-schaft in Frankfurt und München studiert. Nach Stationen in der Industrie wechselte er 1982 in die Politik – an die Spitze des Bundesministeriums für For-schung und Technologie.

Nachrichten: Gibt es etwas, das Sie heute noch an die Chemie bindet?Riesenhuber: Fachlich relativ wenig. Es gibt Zufälligkeiten, bei denen man sich freut, dasseinem etwas einfällt. Kohl hat einmal bei ei-nem Gesetz von Umweltminister Töpfer, in dem es um polychlorierte Biphenyle ging, im Kabinett gefragt: „Weiß hier irgendjemand, was das ist?“ Da konnte ich antworten: „Herr Bundeskanzler, das sind zwei aromatische Kerne, verbunden über eine direkte C-C-Bin-dung, mit einer unterschiedlichen Zahl vonChloratomen.“ – Persönlich habe ich mit denführenden Herren der chemischen Industrie, und mit dem Verband der Chemischen Indus-trie sowieso, immer einen guten Kontakt ge-habt.

Herr Bundeskanzler, „Hdas sind zwei aromatische Kerne …“

Nachrichten aus der Chemie: Herr Riesenhuber, warum haben Sie Chemie studiert?Heinz Riesenhuber: Es war nicht von Haus aus meine erste Leidenschaft. Damals haben michin Frankfurt Adorno und Horkheimer fasziniert. Doch mein Vater, Einkaufschef bei der Degussa,meinte, ich solle etwas lernen, mit dem manüberall in der Welt sein Geld verdienen kann. Gefesselt hat mich dann im Chemiestudium, dass das, was theoretisch stimmte, auch im Labor geklappt hat. Die organischen Praktika fand ich allerdings lang und über gewisse Stre-cken nicht besonders erleuchtend. Dagegenkann ich mich an Sinn und Ziel meiner Doktor-arbeit „Gitterstörungen in mikrokristallinem Eisenphosphat“ gut erinnern.

AUSGEFRAGT

Ausgefragt – In dieser Rubrik stellt Christian EhrensbergerMenschen vor, die dereinst Chemie studiert haben, denen man das heute aber nicht mehr ansieht.(Anregung: Heribert Offermanns, Karikatur: Alfred Moser)

Nachrichten: Wie haben Sie es geschafft, neben einem weithin als eines der härtesten geltenden Studium anderen Neigungen nachzugehen? Riesenhuber: Ich fuhr im Labor immer meh-rere Ansätze parallel, verursachte die meis-ten Explosionen und schaffte meine Praktikamit brutaler Kraft. Zeit für anderes war mir wichtig, und so setzte ich mich bei AdornosOberseminar unauffällig in die letzte Reiheund gewann einen ganz anderen Blick in die Welt. Zu dieser Zeit habe ich noch nicht ernsthaft Politik betrieben.

Nachrichten: Und wann begannen Sie ernst-haft mit der Politik?Riesenhuber: Ab 1962 war ich in Arbeits-kreisen der Jungen Union mit interessantenThemen aktiv – Investivlohn für Arbeitneh-mer zum Beispiel. Darüber sprach ich da-mals zwei Stunden mit dem IG-Bau-Vorsit-zenden Georg Leber. Bis heute ist das nichtso umgesetzt, wie wir es uns ursprünglichgedacht hatten. 1966 ging ich zur Metallge-sellschaft, zunächst in einer Projektleitungmit chemischen Aspekten: die chlorierendeVerflüchtigung von Zinn und die thermi-sche Gewinnung von fein verteilten Metall-anteilen. Nach einer weiteren Zwischensta-tion wurde ich Bundesminister.

Nachrichten: War das nicht ein harter Schnitt?Riesenhuber: Der berufliche Wechsel war in-sofern kein harter Schnitt, als mir persönlicheBeziehungen geblieben sind oder sich neu entwickelten. So lebe ich auch heute weniger in einer Kultur der Ehemaligentreffen als viel-mehr in aktiven Netzwerken, die sich in einerfreundschaftlichen Selbstverständlichkeit im-mer wieder erneuert haben.