helmut schmidt und die philosophie - frankfurter hefte

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Philosophenkönige Die Philosophen sollen nach Platon Könige werden. Das haben die Philoso- phen gerne zitiert und manche glauben immer noch daran. Doch Kant erklärt, Platon habe sich geirrt. Die Philosophen seien nicht geeignet, ein hohes Staatsamt wahrzunehmen. Es sei daher noch nicht einmal zu wünschen, dass sie leitende poli- tische Positionen übernähmen. Die Begründung ist nicht, dass die Philosophen auf die politischen Aufgaben nicht hinreichend vorbereitet sind. Hier hätte Platon sogleich mit dem Hinweis auf die von ihm eingeplante Ausbildung von mindestens fünfundvierzig Jahren parie- ren können.Kant hat vielmehr ein originär platonisches Argument, indem er auf die Arbeitsteilung verweist: Das Regieren und das Philosophieren sind zwei verschiedene Tätigkeiten, die sich nicht in einer Aufgabe vereinen lassen. Wer regiert, hat die im Zusammen- leben vieler Menschen tagtäglich anste- henden Probleme mit dem ernsthaften Versprechen einer Lösung anzugehen. Er hat gegensätzliche Ansprüche auszuglei- chen, Entscheidungen zu fällen und in die Tat umzusetzen. Sein Geschäft ist die »aus- übende Rechtslehre«, bei dem er auf öf- fentliche Zustimmung angewiesen ist. Die- se Wendung Kants gibt eine gute Defini- tion dessen, was als Spezifikum des Poli- tischen gelten kann: Es stehen die Anwen- dung und die Umsetzung praktischer Vor- haben im Vordergrund. Da sie sich unter den Bedingungen öffentlicher Rechtfer- tigung zu vollziehen haben, müssen sie nicht nur auf einen für viele erkennbaren Erfolg angelegt sein; sie sind auch auf Zu- stimmung im Augenblick angewiesen. Da- durch ist die Politik hochgradig anfällig für Stimmungen, denen sie sich in dem durch sie geförderten Meinungsstreit ohnehin nicht verschließen kann. Während die Politik, so langfristig sie auch rechnen und so viel Zukunft sie auch versprechen mag, die Gegenwart zu beste- hen hat, ist die Philosophie in ihrem Anspruch auf Erkenntnis und Einsicht auf Dauer angelegt.Während der Politiker da- von abhängig ist, dass er sein Gegenüber im Augenblick der Entscheidung über- zeugt, muss sich der Philosoph um Argu- mente bemühen, die, wenn nicht für alle Zeiten, so doch mit Blick auf alle denkba- ren Gegenpositionen zwingend sind. Der Politiker hat es in erster Linie mit Menschen zu tun, denen er Sachverhal- te nahe bringen muss, um ihrem Ver- langen nach Schutz und Sicherheit entge- gen zu kommen. Der Philosoph hingegen muss sich ganz auf die Sachverhalte kon- zentrieren, um zu einem möglichst gesi- cherten Wissen zu gelangen. Das hat er triftig und schlüssig darzutun. Streng ge- AKTUELLES 28 NG|FH 1/2|2009 Seit Platon wiegen sich die Philosophen in der Überzeugung, kraft ihres über- legenen Wissens und der ihnen zuwachsenden Weisheit am Ende die einzig wirk- lich befähigten Herrscher zu sein. Kant widersprach, Regieren und Philosophieren seien zwei verschiedene Tätigkeiten. Ist Helmut Schmidt aber nicht der lebende Gegenbeweis? Volker Gerhardt (*1944) ist seit 1992 Professor für Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. [email protected] Volker Gerhardt Helmut Schmidt und die Philosophie

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Philosophenkönige

Die Philosophen sollen nach PlatonKönige werden. Das haben die Philoso-phen gerne zitiert und manche glaubenimmer noch daran. Doch Kant erklärt,Platon habe sich geirrt. Die Philosophenseien nicht geeignet, ein hohes Staatsamtwahrzunehmen. Es sei daher noch nichteinmal zu wünschen,dass sie leitende poli-tische Positionen übernähmen.

Die Begründung ist nicht, dass diePhilosophen auf die politischen Aufgabennicht hinreichend vorbereitet sind. Hierhätte Platon sogleich mit dem Hinweis aufdie von ihm eingeplante Ausbildung vonmindestens fünfundvierzig Jahren parie-ren können.Kant hat vielmehr ein originärplatonisches Argument, indem er auf dieArbeitsteilung verweist: Das Regieren unddas Philosophieren sind zwei verschiedeneTätigkeiten, die sich nicht in einer Aufgabevereinen lassen.

Wer regiert, hat die im Zusammen-leben vieler Menschen tagtäglich anste-henden Probleme mit dem ernsthaftenVersprechen einer Lösung anzugehen. Erhat gegensätzliche Ansprüche auszuglei-chen, Entscheidungen zu fällen und in die

Tat umzusetzen. Sein Geschäft ist die »aus-übende Rechtslehre«, bei dem er auf öf-fentliche Zustimmung angewiesen ist. Die-se Wendung Kants gibt eine gute Defini-tion dessen, was als Spezifikum des Poli-tischen gelten kann: Es stehen die Anwen-dung und die Umsetzung praktischer Vor-haben im Vordergrund. Da sie sich unterden Bedingungen öffentlicher Rechtfer-tigung zu vollziehen haben, müssen sienicht nur auf einen für viele erkennbarenErfolg angelegt sein; sie sind auch auf Zu-stimmung im Augenblick angewiesen. Da-durch ist die Politik hochgradig anfällig fürStimmungen, denen sie sich in dem durchsie geförderten Meinungsstreit ohnehinnicht verschließen kann.

Während die Politik, so langfristig sieauch rechnen und so viel Zukunft sie auchversprechen mag, die Gegenwart zu beste-hen hat, ist die Philosophie in ihremAnspruch auf Erkenntnis und Einsicht aufDauer angelegt. Während der Politiker da-von abhängig ist, dass er sein Gegenüberim Augenblick der Entscheidung über-zeugt, muss sich der Philosoph um Argu-mente bemühen, die, wenn nicht für alleZeiten, so doch mit Blick auf alle denkba-ren Gegenpositionen zwingend sind.

Der Politiker hat es in erster Linie mitMenschen zu tun, denen er Sachverhal-te nahe bringen muss, um ihrem Ver-langen nach Schutz und Sicherheit entge-gen zu kommen. Der Philosoph hingegenmuss sich ganz auf die Sachverhalte kon-zentrieren, um zu einem möglichst gesi-cherten Wissen zu gelangen. Das hat ertriftig und schlüssig darzutun. Streng ge-

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Seit Platon wiegen sich die Philosophen in der Überzeugung, kraft ihres über-legenen Wissens und der ihnen zuwachsenden Weisheit am Ende die einzig wirk-lich befähigten Herrscher zu sein. Kant widersprach, Regieren und Philosophierenseien zwei verschiedene Tätigkeiten. Ist Helmut Schmidt aber nicht der lebendeGegenbeweis?

Volker Gerhardt

(*1944) ist seit 1992 Professorfür Praktische Philosophie an derHumboldt-Universität zu Berlin.

[email protected]

Volker Gerhardt

Helmut Schmidt und die Philosophie

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nommen ist das Wissen sein einziges Mit-tel, um mit und in seinem Metier zu über-zeugen.

Man sieht: Es gibt elementare Unter-schiede in den Einstellungen, in den Ver-fahren und in den Zielen von Politik undPhilosophie. Demgegenüber fällt die Ge-meinsamkeit, dass beide in ihrer Tätigkeitso überzeugend zu sein haben, dass sie An-deren ein Beispiel zu geben vermögen,kaum ins Gewicht. Denn wir erwarten vonjedem, ganz gleich, ob er Philosoph oderPolitiker, Pilot oder Polizist, Pastor oderProfisportler ist, dass er sich exemplarischverhält und damit Anderen als Vorbild die-nen kann.

Kopernikanische Wende

Platon und Kant sind sich allerdings einigdarin, dass der Staatsmann und der Philo-soph ein gemeinsames Interesse am Wohl-ergehen der Menschen haben. Beide, Politi-ker und Philosoph, sind auf das Ganze einesLebenszusammenhangs bezogen, und bei-den sollte es darum gehen, das individuellewie das gesellschaftliche Befinden der Men-schen zu befördern.Wenn nun der eine diesdurch sein Handeln erreichen muss, wäh-rend der andere das Glück hat, darübernachdenken zu dürfen, dann haben sie, nachKant, die besondere Pflicht, wechselseitigaufeinander zu hören. Daraus folgt, dass esdem Politiker obliegt, dem Philosophen Ge-hör zu verschaffen, so wie es für den Philo-sophen selbstverständlich sein sollte, sichauch im politischen Raum kundig zu ma-chen. Wenn der Politiker klug ist, holt ersich den Rat des Philosophen, den der Phi-losoph, wenn er seine Pflichten kennt, nachMöglichkeit nicht verweigern sollte.

Der Pflicht, als Berater zu wirken, hatsich schon Platon nicht entzogen. Dreimalist er nach Syrakus gereist, um einen sichaufgeklärt gebenden Tyrannen bei der Re-gierung zu helfen. Dreimal ist er gründlichgescheitert.

Das kann sich immer wiederholen. Da-her ist es wichtig zu wissen, dass die durchArbeitsteilung begründete Trennung zwi-schen Philosophie und Politik eine ganzandere Form der Beratung nach sich zieht.Ich scheue mich nicht, sie als ursprünglichdemokratisch zu bezeichnen: Da die Politikvon ihrer Anlage her ein öffentliches Ge-schehen ist, hat der Philosoph die Pflicht,sich öffentlich zu äußern. Was schon fürsein Verhältnis zu den Wissenschaften gilt,kommt nun auch in seiner Beziehung zurPolitik zur Geltung: Er hat als Kritiker zuwirken. Er hat zu allen zu sprechen, damitalle zu einem Urteil gelangen können, mitdem die Politik sich nicht nur auseinander-zusetzen hat, sondern dem sie sich letztlichunterwerfen muss.

Und damit die Bestimmung des Gan-zen durch das mehrheitliche Urteil allermöglich ist, hat die Politik den öffent-lichen Raum mit der gleichen Grundsätz-lichkeit zu sichern wie die Grenzen ihresTerritoriums. In ihm hat sie die Stimmeder Philosophie auch dann zu ertragen,wenn sie ihr lästig ist – selbst in jenenFällen, in denen sie einzelnen Personenoder Parteien gefährlich sein kann.

Helmut Schmidt hat seit dem Beginnseiner politischen Laufbahn von der Ar-beitsteilung zwischen Politik und Philo-sophie gewusst. Er sah sich nicht nur vieleJahre genötigt, sie in seiner Partei und ge-genüber außen stehenden Kritikern zuverteidigen. Er scheint sie durch seine bei-spielhafte Karriere nach dem Ausscheidenaus den staatlichen Ämtern zugleich auchzu widerlegen.

Helmut Schmidt, den man zwei Jahr-zehnte lang als bloßen »Macher« undvisionslosen »Pragmatiker« abzuwertensuchte, obgleich er gerade auch in seinengrundsätzlichen Einsichten und in seinenweit reichenden Zielvorstellungen so gutwie allen anderen Politikern seiner Genera-tion überlegen war, hat sich im Urteil derbundesdeutschen Publizistik, kaum dasser das Bundeskanzleramt verlassen hatte,

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zum Philosophen gewandelt – zum strate-gischen Vordenker einer Weltzivilisation,der er durch seinen überall auf der Erdeprononciert gegebenen und fundiert be-gründeten Rat bis heute dient.

Politik im Zeichen der Ethik

Henning Albrecht hat jüngst in seinemklugen Buch nachgezeichnet, welche philo-sophischen Theorien für Helmut Schmidtvon besonderer Bedeutung waren undsind. Da ist die jüngere Stoa, die mit MarcAurels Selbstbetrachtungen schon demSchüler Orientierung und dem Soldatenelementare Lebenshilfe bot. Da ist die Mo-ralphilosophie Immanuel Kants, deren Ein-flüsse ebenfalls schon in den 40er Jahrenspürbar waren und auf die der reife Poli-tiker, insbesondere in seiner Zeit als Bun-deskanzler, mehrfach zurückkommt. Da istMax Webers epochemachender Vortragüber Politik als Beruf, und da ist schließlichder Kritische Rationalismus Karl R. Pop-pers, dessen Abhandlung über die OffeneGesellschaft und ihre Feinde schon denSPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestagbeeindruckte und dessen Sozialphiloso-phie der Bundeskanzler in seiner Einlei-tung zu einem viel beachteten Sammel-band erörtert hat.

In den 80er Jahren kommt es auf Ini-tiative von Helmut Schmidt auch zu per-sönlichen Begegnungen mit dem bedeu-tenden Denker,mit dem ihn in dessen letz-ten Lebensjahrzehnt eine freundschaftli-che Beziehung verbindet. Leider ist KarlPopper nach seinem Tod das Schicksalwiderfahren, nur noch wenig Beachtungzu finden. Seine Einsichten gelten als zueinfach, obgleich jeder weiß, dass sie rich-tig sind. Die Zunft der Philosophen ziehtlieber einen Denker vor, der weder als klarnoch als einfach gelten kann, und dessenGrundannahmen weder wahr noch falschsind, wohl aber ziemlich abstrakt genanntwerden müssen.

Ich spreche von John Rawls, der beiHelmut Schmidt so gut wie keine Rollespielt. Das sollte den Philosophen zu den-ken geben. Dazu gehört auch die Tatsache,dass der Altkanzler Popper treu gebliebenist, ohne sich je als dessen Anhänger zubezeichnen. Popper hat seinerseits zurSchmidt-Festschrift im Jahre 1989 einenText beigesteuert, den man zu den wich-tigsten Abhandlungen der Politischen Phi-losophie im 20. Jahrhundert rechnen kann.

Überlegene Diskussionmit Philosophen

Philosophen sei die penible Rekonstruk-tion der Vorgeschichte und des Verlaufsjener sagenumwobenen Jubiläumskonfe-renz der Friedrich-Ebert-Stiftung zum 200.Jahrestag von Kants Kritik der reinen Ver-nunft im Jahre 1981 empfohlen.Auf diesemKongress trat ein damals hoch angesehenerPhilosophieprofessor mit dem Anspruchauf, man könne keine Politik machen, eheman nicht ihre Grundbegriffe aufgearbeitethabe. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt,dass er sich gleich daran gemacht hat, denin der Tat basalen Begriff des Interessesnachzubuchstabieren. Doch über die erstenSchritte ins Feld des gesellschaftlichenHandelns kam er in seiner Rede nicht hin-aus. Auch in seinen Schriften ist er uns dielogische Propädeutik der politischen Spra-che schuldig geblieben. Sie hat, so glaubeich, der Politik auch nicht gefehlt.

Nach diesem peinlichen Auftakt ließesich leicht sagen, dass es dem Kanzler einLeichtes gewesen sei, als Philosoph zu über-zeugen. Doch das wäre nicht fair. Denn hiergeschah ganz zwanglos, was man zwanzigJahre später unter dem Titel Philosophymeets Politics mühsam zu inszenieren such-te. 1981 begegneten sie sich in einer einzi-gen Person! Helmut Schmidt entwickeltebeim Kant-Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung 1981 in zunehmend freier Rede ei-ne wahrhaft philosophische Reflexion über

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politische Verantwortung und sittlicheVerpflichtung. Er gab selbst ein Beispiel fürdie von ihm wiederholt eingeklagte Nach-denklichkeit und demonstrierte ihre Un-verzichtbarkeit in der Analyse des Zusam-menhangs von Freiheit, Wissen und Ge-wissen, von Menschheit und Mitmensch-lichkeit. Er machte deutlich, warum der Si-cherung des Friedens der höchste Stellen-wert zukommt, warum die Vernunft selbst-kritisch zu sein hat und von der sittlichenVerbindlichkeit nicht zu trennen ist.

Auch in der nachfolgenden Debattedominierte der Kanzler, obgleich ihm sei-ne Berater angesichts so vieler professio-neller Denker Zurückhaltung anempfoh-len hatten. Doch die Philosophen hieltenselbst mit Blick auf die anstehenden Prob-leme der Nachrüstung und der Kern-ernergie am Geländer ihrer Kategorienfest, während Schmidt, begriffsstark, refle-xionsmächtig und textsicher anschaulichmachte, dass die allgemeinen Prinzipiender Vernunft nicht zu erkennen geben, wasman konkret zu tun hat. Sein Diktum, wasder Augenblick des Handelns erfordere,das müsse jeder »schon selber rausfin-den«, bezeichnet die Grenze, die definitivzwischen Theorie und Praxis verläuft –und zwar sowohl in der Politik als auch inder Ethik.

Sittliche Verpflichtung zum Pragmatischen

Umso mehr muss es überraschen, im Buchvon Henning Albrecht auch einen HelmutSchmidt zu entdecken, der sich philoso-phischen Rat geben lässt. Der Autor be-richtet von einem Briefwechsel zwischenHelmut Schmidt und dem Aufklärungs-forscher Norbert Hinske, der dem Kanzlerin einer der Regierung damals wenig ge-wogenen Tageszeitung vorgeworfen hatte,er berufe sich zwar auf Kant, wisse aber garnicht, was dessen Begriffe bedeuten. Daswar starker Tobak, denn in Wahrheit ging

es nur um das Wort »pragmatisch«, dasHelmut Schmidt stets in Verbindung mitder sittlichen Verpflichtung des Politikersverwendet hatte.

Gleichwohl schrieb der Kanzler seinemKritiker einen Brief und bat ihn um Auf-klärung. Hinske antwortete mit dem Hin-weis, dass Kant zwischen »technisch«,»pragmatisch« und »moralisch-praktisch«unterscheide, und die Sittlichkeit im stren-gen Sinn des kategorischen Imperativs aufdas moralisch-praktische Handeln be-schränkt sei.

Der Kanzler bedankte sich für die Be-lehrung, nahm sie bereitwillig auf und ließeine Passage, in der er sich erneut auf das

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Pragmatische bezog, noch einmal durchden Gelehrten korrigieren. Wann hätteman je von einer solchen Bereitschaft ei-nes Mächtigen gehört, den Rat in einemphilologischen Detail so wichtig zu neh-men? Das ist nur mit einem durchdrin-genden Interesse an der Sache zu erklä-ren.

Die Pointe ist allerdings, dass HelmutSchmidt mit seinem früheren und,Gott seiDank, auch weiter beibehaltenen Begriffs-gebrauch völlig im Recht gewesen ist:Wenn er davon gesprochen hätte, er wolle»moralisch-praktisch zu sittlichen Zwe-cken« handeln, würde er nur eine Tauto-logie in die Welt gesetzt haben. Das Mo-ralisch-Praktische ist ja bereits durch dieSittlichkeit definiert. Hier liegt der ganzeZweck des Handelns in der Wahrung dereigenen Autonomie.

Ist damit nicht doch bewiesen, dass inihm das Politische und das Philosophischezusammenfallen? Was wird aus der ein-gangs so aufwändig entwickelten Alter-native? Ist Kant durch einen seiner bra-vourösen Schüler widerlegt?

Selbst in der Nachdenklichkeitein politischer Kopf

In seiner ethischen Orientierung setztHelmut Schmidt selbst einen politischenPrimat, dem sein philosophisches Nach-denken folgt. Der Ethiker und poltischeTheoretiker, der er in höchst eigenständi-ger Weise ist, zeigt daher auch keine Nei-gung, seinen Prinzipien ein System zuGrunde zu legen, aus dem die sittlichenForderungen abzuleiten wären. Folglichbleibt er selbst in seiner kaum eine Frageauslassenden Nachdenklichkeit ein politi-scher Kopf.

Philosoph ist er im Sinne eines Mora-listen, der sich darauf verpflichtet, ein mo-ralischer Politiker zu sein. Man wird ihndaher nicht mit Cicero vergleichen, der einbedeutender Politiker war und darüber-

hinaus den Ehrgeiz hatte, der platonischenPhilosophie im Ganzen eine römischeForm zu geben. Aber seinem ständigenphilosophischen Begleiter, dem KaiserMarc Aurel kommt Helmut Schmidt dochziemlich nahe.

Helmut Schmidt würde vermutlich wi-dersprechen. Um seinem Einspruch zu ent-gehen, lassen sich drei uns zeitlich näherliegende Parallelen nennen: Bismarck, Ra-thenau und Churchill. Alle drei waren Ge-nies des politischen Handelns; alle warenmit einer großen intellektuellen Begabungausgezeichnet, haben politisch Großes ge-leistet und überdies ein bedeutendes lite-rarisches Werk hinterlassen. Ihnen istHelmut Schmidt ebenbürtig, auch wenn erals Autor mehr veröffentlicht hat als alledrei zusammen.

Sein Werk steht im Zeichen der ethi-schen Frage. Es nimmt die weltpolitischenLehren ernst, die aus der Wirtschaftskrisedes Jahres 1928, aus den weltpolitischenFolgen der Not, aus dem Weltkrieg undaus der mit der Entwicklung der Technikerstmals für alle sichtbar gewordenenGefahr der weltweiten Selbstvernichtungder Menschheit gezogen werden müssen.Indem sich Helmut Schmidt im Laufe sei-nes Lebens dieser Probleme mit wachsen-der Intensität annimmt, erkennt man, dassseine immer deutlicher zu Tage tretendeHinwendung zur Philosophie selbst wie-der politischen Einsichten gehorcht.

Darin ist er immer Politiker geblieben,aber die Philosophen täten gut daran, ihnso ernst zu nehmen, als sei er einer von ih-nen. Der Philosophie könnte das nur zuGute komme, ohne dass sie Kants Unter-scheidung zwischen Philosophie und Poli-tik rückgängig machen muss.

(Gekürzter Text der Rede anlässlich derÜbergabe des von der Helmut und LokiSchmidt-Stiftung geförderten Buches vonHenning Albrecht Pragmatisches Handelnzu sittlichen Zwecken. Helmut Schmidtund die Philosophie an Helmut Schmidtam 13. November 2008 in Hamburg.)

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