giftet, insektenfressende von vergifteten insekten und ... albert schweitzer, peru. der kinderkopf...

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giftet, insektenfressende von vergifteten Insekten und Raubvogel von ihrer Beute getotet. Man muB hoffen, daB das Warnungs- zeichen (Abb. 32) von Nutzen wird. 1m alten Deutschland lebte der Totenkopf noch wahrend des Zweiten Weltkrieges als Regimentsemblem in den Feld- und Pelz- mutzen der Totenkopfhusaren, eine beliebte Bezeichnung fur die Leibhusarenregimenter in Danzig und ein Husarenregiment in Braunschweig. Ober diese hat der alte Generalfeldmarschall VON MACKENSEN eine Arbeit herausgegeben; er selbst trug immer eine solche Kopfbedeckung (Abb. 33). Das Kranium kann auch als anregendes Sinnbild benutzt wer- den, also zu einem ganz anderen Zweck als Furcht einzujagen. In Neapels Nationalmuseum findet sich ein groBes farbreiches Mosaik mit einem Totenkopf, der auf einem mit Schmetterlings- flugeln dekoriertem Rand ruht (Abb. 34). Dieses Bild will in er- ster Linie nicht an den Tod erinnern, sondern vor aHem die Gaste des Trikliniums, des romischen Speisetisches, auffordern, die Ge- legenheit zum Schmausen, zum Essen und Trinken zu benutzen und sich zu freuen, so lange es noch Zeit ist. Ein Schmetterling, Acherontia atropos, hat eine Zeichnung, die einem Kranium ahnelt und hat deshalb den Namen Totenkopf- schmetterling. Nach dem Volksglauben ist er ein schlechter Vor- bote; zum Gluck ist er sehr selten. 9. Kiinstliche Umformung des Kopfes Die abnormen Schiidelformen wurden schon im einleitenden Kapitel kurz abgehandelt und durch Beispiele belegt. Wir kom- men jetzt zu der kunstlich hervorgerufenen Umformung des Kraniums. Es handelt sich hier urn eine sehr alte, kulturhistorisch interessante Sitte, die eine groBe Verbreitung in verschiedenen Teilen der Welt gehabt hat und in gewissen Gebieten der Alten und Neuen Welt noch fortlebt. Eine solche Umformung des Schadels ist nur bei Sauglingen und wahrend der aHerersten Jahre moglich, wenn der Kopf des Kindes noch weich und plastisch ist und die Suturen, die Nahte, zwischen den Schiidelknochen noch offen stehen. Dann braucht man nur einen leichten, anhaltenden Druck, urn eine von der normalen mehr oder weniger stark ab- F. Henschen, Der Menschliche Schädel in der Kulturgeschichte © Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg 1966

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Page 1: giftet, insektenfressende von vergifteten Insekten und ... Albert Schweitzer, Peru. Der Kinderkopf wird durch eine Platte auf der Stirn umgeformt. (Aufnahme von ROLF BLOMBERG 1963)

giftet, insektenfressende von vergifteten Insekten und Raubvogel von ihrer Beute getotet. Man muB hoffen, daB das Warnungs­zeichen (Abb. 32) von Nutzen wird.

1m alten Deutschland lebte der Totenkopf noch wahrend des Zweiten Weltkrieges als Regimentsemblem in den Feld- und Pelz­mutzen der Totenkopfhusaren, eine beliebte Bezeichnung fur die Leibhusarenregimenter in Danzig und ein Husarenregiment in Braunschweig. Ober diese hat der alte Generalfeldmarschall VON MACKENSEN eine Arbeit herausgegeben; er selbst trug immer eine solche Kopfbedeckung (Abb. 33).

Das Kranium kann auch als anregendes Sinnbild benutzt wer­den, also zu einem ganz anderen Zweck als Furcht einzujagen. In Neapels Nationalmuseum findet sich ein groBes farbreiches Mosaik mit einem Totenkopf, der auf einem mit Schmetterlings­flugeln dekoriertem Rand ruht (Abb. 34). Dieses Bild will in er­ster Linie nicht an den Tod erinnern, sondern vor aHem die Gaste des Trikliniums, des romischen Speisetisches, auffordern, die Ge­legenheit zum Schmausen, zum Essen und Trinken zu benutzen und sich zu freuen, so lange es noch Zeit ist.

Ein Schmetterling, Acherontia atropos, hat eine Zeichnung, die einem Kranium ahnelt und hat deshalb den Namen Totenkopf­schmetterling. Nach dem Volksglauben ist er ein schlechter Vor­bote; zum Gluck ist er sehr selten.

9. Kiinstliche Umformung des Kopfes

Die abnormen Schiidelformen wurden schon im einleitenden Kapitel kurz abgehandelt und durch Beispiele belegt. Wir kom­men jetzt zu der kunstlich hervorgerufenen Umformung des Kraniums. Es handelt sich hier urn eine sehr alte, kulturhistorisch interessante Sitte, die eine groBe Verbreitung in verschiedenen Teilen der Welt gehabt hat und in gewissen Gebieten der Alten und Neuen Welt noch fortlebt. Eine solche Umformung des Schadels ist nur bei Sauglingen und wahrend der aHerersten Jahre moglich, wenn der Kopf des Kindes noch weich und plastisch ist und die Suturen, die Nahte, zwischen den Schiidelknochen noch offen stehen. Dann braucht man nur einen leichten, anhaltenden Druck, urn eine von der normalen mehr oder weniger stark ab-

F. Henschen, Der Menschliche Schädel in der Kulturgeschichte© Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg 1966

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weichende Form hervorzurufen, je nach den Forderungen der herrschenden Mode.

Nach WELCKER solI schon die Lage des Sauglings im Bette die Form des Schadels beeinflussen, andauernde Riickenlage gibt nach ihm einen kiirzeren Kopf, wahrend standige Seitenlage eine langere Kopfform begiinstigt. Andererseits ist es wohl denkbar, daB ein Kind mit ausgesprochenem Langschadel Seitenlage einnimmt, wahrend ein kurzschadeliges Kind auf dem Nacken besser ruht.

Eine kiinstliche Umformung des Sauglingsschadels diirfte wohl kaum mit einer Schadigung des Gehirns verbunden sein, voraus­gesetzt, daB die Kapazitat der Schadelhohle nicht verkleinert wird. Das Gehirn ist namlich selbst sehr plastisch, wenn der Druck nur leise einsetzt und nicht plotzlich erhoht wird. Das sieht man u. a. bei lang sam wachsenden, raumbeengenden Prozessen im Innern des Schadels, z. B. bei gewissen Hirntumoren, die bisweilen eine erstaunliche GroBe erreichen konnen ohne nennenswerte Sym­ptome zu geben. Jedoch ware es ganz falsch, kategorisch jede schadliche Wirkung zu verneinen. Ein Spezialist der Nasenkrank­heiten, KINDLER, der sich mit dieser Frage beschaftigt hat, betont mit Recht, daB starkere Deformierung unter Umstanden eine Ver­engung der Augenhohlen mit Hervorpressung der Augapfel und Formveranderungen an den Nebenhohlen der Nase verursachen kann. CILENTO, der auf einer der Inseln des Bismarck-Archipels, New Britania, auffallend viele FaIle von Epilepsie beobachtete, ist geneigt, die Krankheit mit der dort gebrauchten starken Defor­mierung der Schadel in Verbindung zu bringen.

Leichtere Umformungen der Schadel sind bisweilen schwer von Funden eigenartiger Schadelformen zu unterscheiden, die auf Aus­wahl von solchen oder auf Rassenabweichungen zuriickzufiihren sind; derartige Verwechslungen sind tatsachlich vorgekommen. Wenn es sich um Kranien handelt, die langere Zeit in der Erde waren, und deren Knochensubstanz durch saure, nasse Erde auf­gelost ist, sind postmortale Deformierungen oft vorhanden. Solche diirfen also nicht mit intravitalen Abweichungen verwechselt werden. Derartige mehr oder weniger plattgedriickte Schadel habe ich vor aHem in Agypten gesehen.

Welches sind nun die Motive der uralten, eigenartigen Sitte einer Umformung der Schadel? Es ist anzunehmen, daB der Sinn

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nicht immer derselbe gewesen ist. In gewissen Fallen kann dieser Brauch vielleicht mit kultischen oder magischen V orstellungen zusammenhangen, in anderen Fallen sicherlich mit dem Wunsch, sich und seine Kinder von der groBen Masse zu unterscheiden, in anderen wieder mit bestimmten Mode- oder Schonheitsidealen. Einige Male haben die Miitter angegeben, daB die Umformung des

Abb. 35. Indianerfrau mit ihrem Kinde bei Doktor BINDER, Amazonenkranken­haus Albert Schweitzer, Peru. Der Kinderkopf wird durch eine Platte auf der

Stirn umgeformt. (Aufnahme von ROLF BLOMBERG 1963)

Schadels das Kind gegen gewisse Krankheiten schiitzen soUte! Bei gewissen Indianerstammen ist die Abplattung des Hinter­kopfes eine Folge rein praktischer MaBnahmen. Bei den Wande­rung en des Stammes werden die kleinen Kinder und ihre Kopfe ganz einfach an Brettern festgebunden, die auf dem Riicken ge­tragen werden, wodurch man das Hin- und Herschleudern der Kopfe beim Springen und Klettern verhindern will. Bisweilen war das Brett unten zugespitzt, so daB die kleinen Kinder bequem parkiert werden konnten und nicht beim Aufschlagen der Zelte, bei Tanzen und Schlagereien im Wege waren.

Man kann leicht eine Anzahl verschiedener Typen von Defor­mierung des Schadels unterscheiden, aber ein naheres Eingehen

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auf die Systeme der Anthropologen und Ethnographen ist nicht notig. Wenn man eine kleine Holzplatte vor der Stirn anbringt und dieselbe mit Binden evtl. in Kombination mit einer ahnlichen Platte im Nacken fixiert (Abb. 35), so bringt man eine Abplattung

Abb. 36. Negerprinzessin mit bandag;ertem, stark deformiertem Kopf (nach KINDLER)

des Kopfes hervor, der von vorne gesehen hoher und breiter als gewohnlich aussieht (Abb. 37). Diese fronto-okzipitale Umfor­mung des Schadels wurde schon im klassischen Altertum Makro­kephalie, GroBschadel, genannt; wir kommen unten auf die Frage zurtick. - Wenn man den Kindeskopf zwischen einer Platte tiber dem Scheitel und einer anderen etwa parallel sitzenden Nackenplatte unter standigen leichten Druck setzt, so erhalt man eine andere Kopfform, die parieto-okzipitale (Abb. 38). Diese Deformierung ist bisweilen kolossal weit getrieben, wie bei einem stidamerikaruschen Schadel, der in Abb. 39 wiedergegeben ist. -

4 Henschen, Dec menschliche Schadel 49

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Durch Binden rings urn den Kopf des Kindes tiber dem Scheitel und tief unten im Genick entsteht ein dritter Typ mit einem lan­gen, niedrigen Kopf (Abb. 43). - SchlieBlich kann man durch Druck von Seite zu Seite die schmale Kopfform erzielen, die Abb. 40 U. 41 zeigt. - Bei allen dies en verschiedenen Typen einer

Abb. 37. Deformiertes Kranium eines Patagoniers in Norma lateralis. Starke Verkiirzung des Schadels

Umformung des Schadels scheint es sich tiberwiegend urn Frauen gehandelt zu haben, die Manner sind meistens in der Minoritat.

Durch die Ausgrabungen des deutschen Archiiologen KURTHS in Jericho weiB man, daB die uralte Sitte, den Kopf umzuformen, schon wahrend der vorkeramischen Zeit im dritten vorchrist­lichen Jahrtausend praktiziert wurde. 1m alten Agypten kennt man sie wenigstens vom zweiten Jahrtausend ab, etwa gleichzeitig ist sie auf Zypern und Kreta bekannt. Man hat den Eindruck, daB es sich hierbei vorwiegend urn Frauen edler Geburt, aus regierenden Dynastien usw. gehandelt hat. Wer kennt nicht die Bilder der

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schonen Konigin Nephertiti? Auch die Kopfe der beiden Tochter des Pharao Amenophis IV. (Achnaton) sind ziemlich oft abgebil­det (Abb. 44). Alle diese Kopfe haben eine eigenartige, stark ver­langerte Form, die auf die meisten Menschen unserer Zeit keinen unangenehmen, sondern eher einen "rassigen" Eindruck macht. Der danische Medizinhistoriker SNORRASON meint, daG Achnaton

Abb. 38. Schadel aus Neu-Pommern mit starker Abplattung der Stirn. Norma lateralis

die Idee, die Kopfe seiner beiden Tochter umzuformen, von den Inseln Kreta oder Zypern geholt hat, die damals in reger Verbin­dung mit seinem Land standen. Oder wollte dieser auch sonst eigenartige Pharao noch in irgendeiner anderen Weise als durch die neue Religion aus dem Rahmen fallen?

HIPPOKRATES, wie spater PLINIUS, erzahlen, daG die Kinder vor­nehmer Perser deforrnierte Kopfe haben, sie sind sogenannte Makrozephalen. Derartige Menschen sollen besonders an der Kiiste des Schwarzen Meeres leben. Es ist unter solchen Umstanden von groGem Interesse, daG XENOPHON, der "den Riickzug der Zehn­tausend" aus Persien zum Schwarzen Meer leitete, an einer Stelle

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berichtet, er sei durch das Land der "Makronen" marschiert; wahrscheinlich entspricht dies den Makrozephalen. Schadel von solchen Makrozephalen hat man in unseren Tagen in Grotten am Schwarzen Meer gefunden; anfanglich glaubte man, daB es sich urn eine ausgestorbene Menschenrasse handele.- Die Sitte, die K6pfe der kleinen Kinder umzuformen, wurde urn 645 n. Chr. von

Abb. 39. Sehr stark deformiertes Kranium eines Indianers aus der Gegend des Tacarigua-Sees in Venezuela. Die Stirn ist etwas konkav, der ganze Schadel stark verlangert. (Nach STEWART in Handbook of South American Indians

6, 49, 195 0 )

dem chinesischen Reisenden HIUEN-THSANG beschrieben, der da­mals Kashgar besuchte; wahrscheinlich war der Brauch in China unbekannt.

Man kennt die ktinstliche Schadeldeformation aus dem weiten Gebiet vom westlichen Asien tiber Osteuropa, via Krim, Donau, Balkan, Ungarn, Deutschland bis nach Frankreich hinein. Auch in Italien sind zahlreiche FaIle bekannt geworden. Es gibt Forscher, die die Sitte mit dem Eindringen der Hunnen in Europa oder mit den groBen Volkerwanderungen in Verbindung bringen, die ja zum Teil zusammenfallen dtirften. Zahlreiche Funde von defor-

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mierten Kraruen aus Europas V orzeit erlauben nunmehr ein de­tailiertes Studium. Ein besonders interessantes Kraruum wurde

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oben kolossal verlangertem Kranium mit deutlich sichtbaren Schniirfurchen, die eine Rekonstruktion der Behandlung des Kin­deskopfes gestattete (HEUKEMES et aI., KINDLER). Der Schadel kann mit den Kopfen der agyptischen Prinzessinnen erfolgreich wetteifern (Abb. 42).

Die Umformung des Schadels, speziell bei Frauen, hat sich in Europa an gewissen SteUen durch das Mittelalter bis in unsere

Abb. 42. Rontgenaufnahme des kiinstlich deformierten Schiidels einer Frau, die vor etwa 300 Jahren in der Niihe von Heidelberg starb. Mit Erlaubnis von

Professor W. KINDLER

Zeit erhalten. Der Typ ist die durch Binden oder eng anschlieBende Miitzen bewirkte Abplattung und Verlangerung des Kopfes. Fiir uns im Norden hat diese Form ein bestimmtes historisches In­teresse, sie ist namlich durch zwei Frauenkranien in der Grab­kammer des guten mittelalterlichen schwedischen Konigs MAGNUS LADULAS in der Ritterholmkirche in Stockholm vertreten. Die beiden Kranien ahneln einander sehr und haben alten Frauen an­gehort. Nach dem schwedischen Archaologen C. M. FURST stammt das eine Kranium "mit aUer Sicherheit" von der Konigin HELVIG, der Gemahlin des Konigs MAGNUS, die mit etwa 70 Jahren starb (Abb. 43). Das andere Frauenkranium, dessen Besitzerin in einem Alter von iiber 60 Jahren gestorben war, ist nach FURST "sehr

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wahrscheinlich" der Prinzessin RIKISSA MAGNUSTOCHTER zuzu­schreiben, die in einem Alter von 6 Jahren dem Kloster Sancta Clara geschenkt wurde; spater wurde sie dort Priorin. Diese beiden Kraruen zusammen mit einem dritten, das man in der Grabkapelle des Ritters RAGNVALD KNAPAHOVDE in der Klosterkirche Vreta

Abb. 43. Schadel der schwedischen Konigin HELVIG mit starker Abplattung und Verlangerung des Kopfes. (Nach FURST und OLSSON : Magnus Laduhis

och Karl Knutssons gravar i Riddarholmskyrkan, Stockholm 1921)

in bstergotland fand, sind nach dem sehr erfahrenen H iRST die einzigen drei schwedischen Kraruen mit einer solchen Umformung. Konigin HEL VIG stammte aus Holstein, "aus Gegenden oder auch der Nachbarschaft der Gegenden, wo die Sitte, Kinderkopfe so zu behandeln, damals existierte". Das Kranium in V reta hat sicherlich "einer sehr vornehmen Frau angehort, vielleicht einer Konigin", die moglicherweise yom Ausland nach Schweden gekommen war und mer starb", sagt FURST. Noch ein vierter, ahnlich behandelter Schadel ist bekannt, und zwar aus Danemark, er hat der Tochter

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des Konigs SVEN TVESKAGG (Spaltbart), Prinzessin EST RID, an­gehort, die in der ersten Biilfte des 11. J ahrhunderts lebte. Diese Umformung des Schiidels hat man also nur an Kopfen kleiner Miidchen vorgenommen und durch Bandagierung des weichen

Abb. 44. Eine cleT Tbchter von Pharao AKHNATON mit starker Abplattung und VerIangerung des Kopfes

Schiidels erreicht. Aber diese ausliindische Sitte hatte keine Nach­folge, weder in Schweden noch in Diinemark. Die Konigin BEL VIG wurde in ihrer Beimat behandelt und bandagierte ihre Tochter in ahnlicher Weise, aber mit diesen beiden starb die Mode aus.

Die Sitte, die Kopfe der kleinen Madchen mit Binden oder engen Miitzen umzuformen, hat nach G. BACKMAN 1949 bis in unsere Tage in der Bretagne und Normandie und auf der lnsel Marken in der Zuiderzee fortgelebt, die Insel wurde im 13. Jahrhundert bevolkert. FURST, der diese Insel 1920 besuchte, erzahlt, daB man mit dem Gebrauch fortfahre, da die Tradition das gebiete. Die

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eigentiimliche Kopfform der Einwohner der lnsel und besonders der Frauen fesselte iibrigens schon im 18. Jahrhundert die Auf~

Abb. 45. Kopf einer Tonstatuette aus der Esmeraldas-Kiiste von Ecuador, wahrscheinlich von 200-400 n. Chr. Der Kopf mil3t vom Hinterkopf zum

Kinn 6,5 cm. (Gabe ROLF BLOMBERGS, beim Verf.)

merksamkeit der damaligen Anthropologen, aber erst in unseren Tagen ist ihre artifizielle Natur erwiesen worden. Auch im Tal von

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Garonne, in der Nahe von Toulouse, existierte die Sitte noch vor kurzem.

Es scheint nicht bekannt zu sein, ob der Brauch, den Schadel zu deformieren, in lndien und Ostasien groBere Verbreitung ge­habt hat oder nicht. Dagegen ist bekannt, daB die Sitte bei gewis­sen Negerstammen in Afrika existiert (KINDLER) (Abb. 36).

Eigenttimlicherweise findet man diese Gewohnheit auch in Stid­amerika und auf gewissen Inseln der Stidsee seit alten Zeiten weit verbreitet. Dies ist um so bemerkenswerter, als der amerikanische Doppelkontinent, soviel man weiB, wahrend etwa 15000 Jahren von Europa und Asien vollkommen isoliert war. Die Sitte ist seit den ersten Jahrhunderten n. Chr. aus verschiedenen Teilen Amerikas bekannt und existierte einmal von Gronland bis Pata­gonien, obwohl in verschiedenen Typen. Eine Statuette, die nach dem schwedischen Entdeckungsreisenden ROLF BLOMBERG auf 200-400 n. Chr. datiert ist, zeigt eine verlangerte Kopfform, die an jene der agyptischen Prinzessinen und der Frau aus der Mero­wingerzeit in der Nahe von Heidelberg erinnert (Abb. 45). Sonst scheinen die fronto-okzipitale und parieto-okzipitale Form die haufigste gewesen zu sein, wie wahrscheinlich auch heute. LARCO HOYLE berichtet tiber eine Reihe von solchen alten Schadeln aus dem Viru-Tal in Peru, wo die normale Schadelform vom Kurz­zum Langschiidel wechselte, und bemerkt, daS die Deformierung besser bei Brachyzephalen als bei Dolichozephalen "gelang", was ja auch zu erwarten ist. Ein Bild, das ROLF BLOMBERG zur Ver­ftigung stellte (Abb. 35), zeigt ein Kind unter "Behandlung", es scheint ganz zufrieden zu sein. Die bilaterale Zusammenpressung des Schadels, wie bei der Gr6nlandfrau (Abb.41 U. 42), scheint recht selten zu sein, das Resultat muS aber als sehr befriedigend betrachtet werden.

10. Trepanation des Schadels

Die in jeder Hinsicht interessanteste Form von Schadelartefakten ist die operative Lochbildung im Schadeldach, eine Operation, welche nicht ganz zutreffend als Trepanation bezeichnet wird. Das griechische Wort 1:1.?,vnavov (Trypanon) bedeutet eigentlich Drillbohrer, aber die Bezeichnung Trepanation wird auch ftir