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Gesundheitsförderung an Hochschulen

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  • Gesundheitsförderung

    an Hochschulen

  • Inhalt

    Vorwort der Techniker Krankenkasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

    Vorwort der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

    Gesundheitsförderung an Hochschulen Warum Gesundheitsförderung in Hochschulen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Hochschulen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Unterscheidung zwischen Gesundheitsförderung in Hochschulen und

    gesundheitsfördernden Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Strategische Partner auf dem Weg zu einer

    gesundheitsfördernden Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Der Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    Statusgruppen an Hochschulen Gesundheit von Studierenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ver waltung,

    Beratung und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Gesundheit von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern . . . . . . . 19 Gesundheit von Professorinnen und Professoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

    Entwicklung und gesetzliche Grundlagen der Gesundheitsförderung Internationale Entwicklung der Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Die Europäische Union als Akteur der Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . 29 Gesundheitsförderung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Gesundheitsförderung auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Gesundheitsförderung auf Länderebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Gesundheitsförderung auf Kommunalebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

    Veröffentlichungen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement der TK, Band 20 – herausgegeben von der Techniker Krankenkasse, Hamburg, Fax 040 - 690 92-258. Internet: www.tk.de. Vertrieb und Kunde, Fachreferat Gesundheitsmanagement: Thomas Holm (verantwortlich). Autoren: Prof. Dr. Thomas Hartmann, Juliane Seidl (Dipl.-Gesundheitswirtin, Mag. phil. Health Promotion), Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, Magdeburg. Redaktion: Dr. Brigitte Steinke, Sabine König. Medienmanagement: Micaela Berger. Gestaltung: KloseDetering Werbeagentur GmbH. Produktion: Yvette Lankau. Litho: Hirte GmbH & Co. KG, Hamburg. Druck: TK-Hausdruckerei.

    © Techniker Krankenkasse. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung. 2. Auflage, Februar 2014.

    2 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

    http:www.tk.de

  • Prävention und Gesundheitsförderung Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Ziele, Zielgruppen und Handlungsstrategien

    beziehungsweise -bereiche der Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Prinzipien und Merkmale der Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Der Setting-Ansatz in der Gesundheitsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Vernetzung als Strategie der Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

    Methoden der Gesundheitsförderung Arbeitssituationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Arbeitsunfähigkeitsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Benchmarking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Experteninterview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Fokusgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Gefährdungsbeurteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Gesundheitsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Gesundheitswerkstatt der Techniker Krankenkasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Gesundheitszirkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Gütesiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Hochschulbezogene Gesundheitsberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Mitarbeiter- beziehungsweise Studierendenbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Onlinebefragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Unfallstatistiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Instrumente der Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Projektmanagement in der Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

    Gesunde Hochschule – Übersicht über die Kooperationsprojekte

    der Techniker Krankenkasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

    Weiterführende Literatur zur gesundheitsfördernden Hochschule . . . . . . . . 91

    Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

    Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 3

  • Vorwort der Techniker Krankenkasse

    Der 1999 angestoßene Bologna-Prozess hat die deutschen Hochschulen und damit auch die Studierenden vor vielfältige Anforderungen gestellt. Von den Studierenden werden zunehmend Zeitdruck, Hektik des Hochschulbetriebs und fehlende Rückzugsmöglichkeiten als belastende Faktoren genannt (NRW-Gesundheitssurvey, 2007). Der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) aus dem Jahr 2011 belegt, dass vor allem auch ältere Studierende im mentalen Bereich gesundheitliche Beschwerden haben.

    Gesundheitsförderung für Studierende sollte sich deshalb vor allem den psychischen Belastungen des Studiums widmen. Es gilt, individuelle Gesundheitskompetenz zu entwickeln, die im anschließenden Berufsleben ein ebenso wertvolles Rüstzeug darstellt. Für die Hochschule insgesamt bedarf es eines struktur- und kulturverändernden Gesundheitsmanagements für alle Statusgruppen, um im Wettbewerb attraktiv zu bleiben.

    Seit mehr als zehn Jahren unterstützt die Techniker Krankenkasse schon deutsche Hochschulen mit fundierter Prozessberatungs- und Organisationsentwicklungskompetenz. Sie gibt Impulse und Anleitung, begleitet Konzeption und Umsetzung und leistet auch finanzielle Förderungen auf dem Weg zu einer gesundheitsfördernden Hochschule. Die bedarfsgerecht für Hochschulen entwickelten Präventionsmaßnahmen reichen von vielfältigen Gesundheitskursen wie „TK Studifit“ bis hin zu speziell auf Studierende zugeschnittenen Stresstrainings.

    Im Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen ist die TK am aktiven Dialog der Hochschulen untereinander beteiligt. 2012 realisierte die TK erstmals mit der HIS GmbH und sechs Hochschulen ein Benchmarking-Verfahren zur „Gesundheitsförderung an deutschen Hochschulen“. Mit dem dort entwickelten Kriterienkatalog für Gesundheitsförderung erhalten interessierte Hochschulen eine weitere wertvolle Umsetzungshilfe.

    Mit der hier vorliegenden Broschüre „Gesundheitsförderung an Hochschulen“ möchten wir das Verständnis und die Akzeptanz für Gesundheitsförderung in Hochschulen weiter etablieren und so neue Handlungsimpulse für eine gesunde Zukunft geben. Wir danken den Autoren für ihre engagierte Arbeit.

    Thomas Holm Leiter Gesundheitsmanagement Techniker Krankenkasse

    4 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Vorwort der Autoren

    Die vorliegende Broschüre „Gesundheitsförderung an Hochschulen“ ist eine Fortschreibung des Leitfadens für Gesundheitsexperten „Gesunde Hochschule“ aus dem Jahr 2008. Zwischenzeitlich haben sich die Rahmenbedingungen für die 421 bundesweiten Hochschulen erheblich verändert. Noch nie waren so viele Studierende und Beschäftigte an den Hochschulen in Deutschland tätig beziehungsweise eingeschrieben. Im Jahr 2012 waren es rund drei Millionen Menschen.

    Seit der Einführung des Setting-Begriffs durch die Ottawa-Charta (1986) wurde der Setting-Ansatz als Kernstrategie der Gesundheitsförderung sowohl durch internationale als auch durch nationale Dokumente und Gesetzesvorlagen bestätigt und fortgeschrieben. Die Lebenswelt Hochschule ist ein international etabliertes Setting der Gesundheitsförderung. Der Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen ist weltweit das größte nationale Netzwerk. In Wechselwirkung mit den gesundheitsbezogenen Studiengängen in Deutschland werden die Forschung und der Praxistransfer auf dem Weg zur gesunden Hochschule befördert.

    Expertinnen und Experten finden in dieser Broschüre den neuesten Stand aus Praxis, Wissenschaft und Forschung zur gesundheitsfördernden Hochschule. Sowohl die Durchführung von Maßnahmen und Projekten zur Prävention und Gesundheitsförderung in einem Setting als auch die Entwicklung eines gesund

    heitsfördernden Settings selbst gelten als sehr erfolgversprechend. Auf diese Weise können Verhaltens- und Verhältnisprävention im direkten Lebensumfeld der Zielgruppen stattfinden und in deren Alltag integriert werden.

    Wir möchten uns ausdrücklich bei Frau Dr. Brigitte Steinke und Frau Sabine König für die kollegiale Zusammenarbeit, stetige Hilfe und konstruktive Kritik bedanken. Ohne sie und die Unterstützung der Techniker Krankenkasse wäre die vorliegende Neuauflage nicht zustande gekommen. Unser Dank gilt auch Frau Dr. Ute Sonntag von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen, die dieses Vorhaben stetig unterstützt hat. Hervorgehoben werden soll auch Frau Diana Siebert, die als Autorin der Erstauflage dieser Broschüre nicht mehr mitwirken konnte, deren Handschrift allerdings auch die Neuauflage prägt.

    Prof. Dr. Thomas Hartmann Hochschule Magdeburg-Stendal

    Juliane Seidl (Dipl.-Gesundheitswirtin, Mag. phil. Health Promotion) Hochschule Magdeburg-Stendal

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 5

  • Gesundheitsförderung an Hochschulen

    Warum Gesundheitsförderung in Hochschulen?

    Als wichtigste bildungspolitische Institution übernehmen Hochschulen die Ausbildung zukünftiger Führungskräfte und Entscheidungsträgerinnen beziehungsweise Entscheidungsträger. Seit 1997 sind gesundheitsfördernde Hochschulen Bestandteil des „GesundeStädte-Projektes“ der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO).

    Die WHO hat erkannt, dass das Setting Hochschule vielfältige Möglichkeiten bietet, um die gesundheitlichen Belange der Statusgruppen zu gestalten und auf diese einzuwirken.

    Hochschulen geraten, wie Kindertageseinrichtungen beziehungsweise Schulen, als Bildungsinstitutionen zunehmend in den Fokus der settingorientierten Gesundheitsförderung. Hochschulen haben das Potenzial, ein gesundheitsbezogenes Bewusstsein herauszubilden, was von den Absolventinnen und Absolventen in andere Gesellschaftsbereiche hineingetragen werden kann. Für Wissenschaft und Praxis ist das Führungsverhalten der Schlüsselfaktor auf dem Weg zu einem erfolgreichen betrieblichen Gesundheitsmanagement – unabhängig von der jeweiligen Organisationsform. Des Weiteren erfüllen die Hochschulen mit der Ausbildung von Multiplikatorinnen beziehungsweise Multiplikatoren für die Gesundheitsförderung eine bedeutende gesellschaftliche Aufgabe.

    Hochschulen, die Gesundheitsförderung auf allen Ebenen als Querschnittsaufgabe implementieren, sichern sich im zunehmenden Wettbewerb einen Standortvorteil. Konzeptionell sind daran in den letzten Jahren besonders diejenigen Hochschulen interessiert, die sozial-, pflege- und gesundheitsbezogene Studiengänge anbieten. Dies sind traditionell die Fachhochschulen und neuerdings auch die Pädagogischen Hochschulen. Durch das veränderte Kompetenzprofil der Bachelorabschlüsse ist den Studierenden in dem Prozess auf dem Weg zur gesundheitsfördernden Hochschule in den letzten Jahren eine immer wichtigere Rolle zugewachsen. Dies kann im Rahmen des anwendungsbezogenen Projektstudiums ebenso erfolgen wie durch die Bearbeitung wissenschaftlich begründeter Fragestellungen zur gesunden Hochschule durch die Bachelor- beziehungsweise Masterarbeiten. Im letzten Jahrzehnt prägten in diesem Feld vor allem Promotionen den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt (vgl. weiterführende Literatur zur gesundheitsfördernden Hochschule). Insofern kommt den Universitäten hier auch ein besonderer Stellenwert für die Entwicklung gesundheitsfördernder Hochschulen zu. Dies ist im Vergleich zu den Fachhochschulen vor dem Hintergrund besonderer Ressourcen der gesundheits- und sportwissenschaftlichen sowie psychologischen Institute beziehungsweise Fakultäten zu sehen, die in den letzten Jahren wichtige Befunde zur gesundheitlichen Situation der Statusgruppen an Hochschulen vorgelegt haben.

    6 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Hochschulen in Deutschland

    In Deutschland gibt es staatliche und private Hochschulen. Staatliche Hochschulen sind in der Regel Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Stiftungen. Seit der Föderalismusreform im Jahr 2007 unterliegen die Hochschulen ausschließlich der Ländergesetzgebung, da das Hochschulrahmengesetz (HRG) außer Kraft gesetzt wurde.

    Hochschulen sind Einrichtungen des Bildungswesens für Wissenschaft, Lehre und Studium und dem tertiären Bildungssektor zugehörig. Der vordringliche Zweck einer Hochschule liegt in der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten an zukünftige Akademikerinnen und Akademiker. Die Ausübung der Weiterbildung ist dem quartären Sektor zuzuordnen, zu dem auch die Volkshochschulen gehören.

    Der sekundäre Bildungssektor an den Hochschulen wird durch die Vielfalt der Berufe der Beschäftigten mit zahlreichen Ausbildungsmöglichkeiten repräsentiert, die an den Universitätskliniken auch die Berufsfachschulausbildung für die Gesundheitsfachberufe umfassen. Die 32 deutschen Universitätskliniken an 38 Standorten unterscheiden sich in vielfältiger Weise von den anderen Hochschulen und sollen hier nicht näher vorgestellt werden.

    Im Zusammenhang mit der Gründung von hochschulspezifischen Kindertageseinrichtungen hat sich mittlerweile auch der primäre Bildungssektor an den Hochschulen etabliert. Bereits daraus wird ersichtlich, wie viele unterschied

    liche Zielstellungen und Adressaten im Setting Hochschule anzusprechen sind. Zusätzlich gibt es traditionell unterschiedliche Hochschularten mit differenzierten Aufgabenstellungen, die sich jedoch durch die Einführung der zweigestuften Bachelor- und Masterabschlüsse immer stärker angleichen. Die Leuphana Universität Lüneburg ist bereits eine standortbedingte Verschmelzung von Fachhochschule und Universität. Die in der Regel größeren Universitäten (Anzahl: 108) und kleineren Fachhochschulen (Anzahl: 210) bilden die zwei Hauptgruppen unter den Hochschularten. Hochschule ist einerseits der Dachbegriff für alle Hochschularten, andererseits verdrängt der Begriff durch die Ländergesetzgebung immer stärker die Bezeichnung Fachhochschule. Dies ist einerseits dadurch begründet, dass der Zusatz „FH“ für die zweigestuften Bachelor- und Masterabschlüsse im Vergleich zum Diplom keine Anwendung mehr findet. Andererseits gibt es im angloamerikanischen Bildungssystem keine Fachhochschulen, so dass für den tertiären Bildungssektor immer der Begriff „University“ und im Fall der Fachhochschulen die Bezeichnung „University of Applied Sciences“ gilt. Damit trägt die „Universität für angewandte Wissenschaften“ zu weiterer Begriffsverwirrung bei. In Bezug auf die Abschlüsse haben weiterhin nur die Universitäten das Privileg, den Doktorgrad zu verleihen, der im europäischen Kontext die achte und letzte Bildungsbeziehungsweise Qualifikationsstufe darstellt. Auf Grund ihrer bildungspolitischen Rolle seien noch die Pädagogischen Hochschulen erwähnt, die den

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 7

  • Universitäten rechtlich gleichgestellt sind und nur noch in Baden-Württemberg existieren.

    An den Hochschulen vollzieht sich seit der Einführung des Bachelor- und Mastersystems ein rasanter Veränderungsprozess, der vor allem durch die sprunghafte Zunahme der Studierendenanzahl

    und eine sehr ungünstige Entwicklung im Beschäftigungssystem gekennzeichnet ist. Zurzeit sind die Hochschulen in Deutschland die Lebens- und Arbeitswelt für über 500.000 Beschäftigte und über 2,5 Millionen Studierende.

    Anzahl der Hochschulen nach Hochschularten in Deutschland

    Wintersemester 2011/2012 (n = 421)

    Fachhochschulen

    Kunsthochschulen

    Verwaltungsfachhochschulen

    Theologische Hochschulen Pädagogische Hochschulen

    Universitäten

    Abb. 1: Anzahl der Hochschulen in Deutschland, aufgeschlüsselt nach Hochschularten, im Wintersemester 2011/2012 (Statistisches Bundesamt 2012)

    Die Abbildung 1 veranschaulicht die Anzahl der Hochschulen nach Hochschularten in Deutschland im Wintersemester 2011/2012.

    Unterscheidung zwischen Gesundheitsförderung in Hochschulen und gesundheitsfördernden Hochschulen

    Ausgehend von der Differenzierung zwischen „Gesundheitsförderung in einem

    Setting“ und „einem gesundheitsfördernden Setting“ (vgl. S. 55 f.) kann in der Theorie auch zwischen „Gesundheitsförderung in Hochschulen“ und einer „gesundheitsfördernden Hochschule“ unterschieden werden. In der Praxis der Hochschulen ist diese Polarität weniger eindeutig und durch starke Wechselwirkungen eng miteinander verzahnt. Im Rahmen des „Wettbewerbs guter Praxis: Gesunde Hochschulen“ (vgl. S. 79)

    8 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • konnte gezeigt werden, dass die Entwicklungsschritte zur gesunden Hochschule in drei aufeinander folgende Kategorien, das heißt Maßnahmen, Projekte und Organisationsentwicklungsprozesse, einzuordnen sind.

    „Gesundheitsförderung in der Hochschule“ bezieht sich auf Einzelaktivitäten und Aktionen der Gesundheitsförderung, wie Gesundheitstage beziehungsweise Bewegungsangebote. Demgegenüber schließt der Ansatz der „gesundheitsfördernden Hochschule“ explizit die gesamte Organisation und alle Mitglieder einer Hochschule in den Prozess mit ein. Hierbei werden Maßnahmen im Sinne der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie der Gestaltung von Studienbedingungen umgesetzt.

    Die betriebliche Gesundheitsförderung beziehungsweise das betriebliche Gesundheitsmanagement können als Teilkomponenten der gesundheitsfördernden Hochschule betrachtet werden, die sich auf die Aspekte der Hochschule als Unternehmen beziehen und vor allem die Beschäftigten in den Mittelpunkt der Maßnahmen zur Gesundheitsförderung stellen. Zurzeit gibt es noch keine Erfahrungen, wie die Studierenden als größte Zielgruppe im Setting Hochschule in das betriebliche Gesundheitsmanagement einzugliedern sind. Darüber hinaus bedürfte es zusätzlicher Anpassungsstrategien, wie auch kleine Hochschulen mit wenigen hundert Studierenden einzubinden sind. Aktivitäten einer gesundheitsfördernden Hochschule beabsichtigen, die personalen Voraussetzungen und die Lern-, Lehr- und Arbeitsumgebung zu verändern und zu verbessern. Eine gesundheitsfördernde Hochschule vermittelt nicht nur gesund

    heitsbezogenes Wissen beziehungsweise stellt einzelne verhaltenspräventive Angebote bereit, sondern geht über diese Maßnahmen hinaus. Zentrales Anliegen ist vielmehr, das Thema Gesundheit in alle politischen, bildungsbezogenen und administrativen Entscheidungen zu integrieren.

    Strategische Partner auf dem Weg zu einer gesundheitsfördernden Hochschule

    Die Akteure einer gesundheitsfördernden Hochschule sind so vielfältig, wie deren Verortung innerhalb der Hochschulstrukturen es ist. Aktivitäten können sowohl aus der Ver waltung heraus entstehen als auch aus den wissenschaftlichen Instituten beziehungsweise Fachbereichen. Gesundheit ist ein Querschnittsthema, so dass die Initiativen aus den verschiedensten Institutionen beziehungsweise Zuständigkeiten einer Hochschule erfolgen können. In den letzten Jahren haben die gesundheits- und sportwissenschaftlichen sowie psychologischen Institute beziehungsweise Fakultäten maßgebliche Impulse setzen können. In Bezug auf die Verwaltung und deren Personal hat sich in den letzten Jahren zumindest an den großen Universitäten neben dem Arbeitsschutz und dem betriebsärztlichen Dienst ein betriebliches Gesundheitsmanagement etabliert.

    Am Beispiel der Zusammensetzung eines Hochschularbeitskreises Gesundheitsförderung wird dies exemplarisch aufgezeigt (vgl. Tab. 1). Die kontinuierliche Mitarbeit der internen und externen Kooperations- beziehungsweise Netzwerkpartner ist abhängig von der jeweiligen Interessenlage, der beruflichen Prägung und den zeitlichen sowie finanziellen Ressourcen.

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 9

  • Hochschularbeitskreis Gesundheitsförderung

    Arbeitskreiskoordinator/-in Gesundheitsförderung

    Intern Extern

    Akademische Institute Arbeitsagentur Fachrichtungen* Kulturbereich Arbeitsschutz**

    Arbeitsschutz** Marketing Betriebsärztlicher AStA Mensa Dienst**

    Auszubildende

    Behinderten beauftragte

    Personalrat

    Personalver antwortliche

    Gesundheits fördernde Settings

    Gewerbeaufsicht

    Betriebsärztlicher Dienst**

    Fachbereiche

    Pressestelle

    Psychosoziale Beratung**

    Gewerkschaften

    Krankenkassen

    Psychosoziale Fakultäten Sozialberatung Beratung**

    Frauenbeauftragte Studierendenge Selbsthilfegruppen

    Gleichstellungs meinde (Konfession) Stadtverwaltung beauftragte Studienberatung Unfallkasse

    Hochschulleitung Umweltschutz Wissenschafts Hochschulsport beauftragte beauftragter

    Hochschulverwaltung Wohnheim

    * Arbeitsmedizin, Biologie, Gesundheitswissenschaften, Medizin, Pädagogik, Psychologie, Soziologie,

    Sportwissenschaften

    ** Der Arbeitsschutz, der Betriebsärztliche Dienst und die Psychosoziale Beratung können auch extern

    vergeben sein.

    Tab. 1: Zusammensetzung beziehungsweise potenzielle Schnittstellen eines Hochschularbeitskreises Gesundheitsförderung mit internen und externen Mitgliedern (ergänzt nach Stößel 2006 und nach Weissinger 1996)

    Die externen Partner der Gesundheits-förderung an Hochschulen sind in der Regel auf Bundes- und/oder Landesebe-ne organisiert. Zu ihnen gehören bei-

    spielsweise die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), das Deut-sche Studentenwerk (DSW), der freie zusammenschluss von studentInnen

    10 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • schaften (fzs), die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Kanzlerinnen und Kanzler beziehungsweise Personalräte der Fachhochschulen beziehungsweise Universitäten, der Verband der Deutschen Betriebs- und Werksärzte (VDBW), der Verband Deutscher Sicherheitsingenieure (VDSI) und die Gewerkschaften. Des Weiteren sind als Projektförderer beziehungsweise -träger die gesetzlichen Krankenkassen, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und die HochschulInformations-System GmbH (HIS) zu nennen. Auf Landesebene sind die externen Partner die Landesunfallkassen, die Landesvereinigungen für Gesundheit und die Landesministerien für Kultur beziehungsweise Wissenschaft sowie Gesundheit und Soziales.

    In Ergänzung zu den strategischen (internen und externen) Partnern nehmen Netzwerke an Hochschulen eine Sonderrolle ein. Kennzeichnend für die Netzwerke sind das Themenspektrum um Gesundheit, Soziales und Umwelt sowie der Versuch eines zumeist bundesweiten Informationsverbundes und -austauschs. Hochschulbezogene Netzwerke sind zum Beispiel der Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen, Familie in der Hochschule, das HochschulNetzwerk BetriebSuchtGesundheit sowie ein Netzwerk auf Grundlage der COPERNICUS-Charta der europäischen Rektorenkonferenz zur nachhaltigen Entwicklung aus dem Jahr 1994 (vgl. S. 60).

    Der Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen

    Der Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen (AGH) orientiert sich an der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (1986) der WHO und versteht sich dem Setting-Ansatz verpflichtet. Auf dieser Grundlage verfolgt der AGH das Ziel, an Hochschulen gesundheitsfördernde Lebens- und Arbeitsbedingungen zu initiieren und zu unterstützen. Die Projekte werden durch den Arbeitskreis miteinander vernetzt.

    Der bundesweite AGH besteht seit 1995 und wurde von der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e. V. und dem Forschungsverbund Gesundheitswissenschaften Niedersachsen (FGN) gegründet. Der Arbeitskreis ist offen für alle Hochschulen und deren Statusgruppen sowie Institutionen, die im Hochschulbereich und in der Gesundheitsförderung tätig sind. Ende 2012 waren 355 Personen aus 106 deutschen Hochschulen, sechs ausländischen Hochschulen (Dänemark, Österreich und Schweiz) sowie 30 Personen aus anderen Institutionen beziehungsweise Organisationen im Arbeitskreis über einen E-Mail-Verteiler organisiert. Oft sind sie Mitglied oder koordinierende Instanz eines Steuerkreises oder hochschulinternen Arbeitskreises Gesundheit(sförderung). Sie sind zum Beispiel als Hauptamtliche der Gesundheitsförderung an den Hochschulen tätig, gehören zum Arbeitsschutz, dem Betriebsärztlichen Dienst, dem Hochschulsport, der Sucht- und Sozialberatung oder sind als Dozentinnen beziehungsweise Dozenten und Studierende in einem gesundheitswissenschaftlich ausgerichteten Studiengang tätig beziehungsweise eingeschrieben.

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 11

  • Mitglieder der im Arbeitskreis zusammengeschlossenen Hochschulen und Institutionen treffen sich regelmäßig zu Arbeitstreffen. Zusätzlich finden themenspezifische Workshops und Tagungen statt, die dem wissenschaftlichen und praxisnahen Austausch zu Themen der gesundheitsfördernden Hochschule dienen. Auf der Internetpräsenz des AGH (www.gesundheitsfoerderndehochschulen.de) sind eine tabellarische Chronologie und ein Archiv über alle Aktivitäten des Arbeitskreises seit seiner Gründung eingestellt. Darüber hinaus initiiert, koordiniert und begleitet der Arbeitskreis Projekte, an denen mehrere Hochschulen beteiligt sind.

    Der AGH orientiert sich am Paradigma der Salutogenese (vgl. S. 48) und beschäftigt sich mit folgenden Leitfragen:

    Welches sind die gesundheitsrelevanten Bedingungen an einer Hochschule?

    Wie wird Gesundheit im Setting Hochschule hergestellt und

    aufrechterhalten?

    Gütekriterien | Unter diesen Fragestellungen entwickelte der AGH die zehn Gütekriterien für eine gesundheitsfördernde Hochschule (vgl. Abb. 2 a). Die Verabschiedung erfolgte zum zehnjährigen Bestehen des Arbeitskreises nach einem über zweijährigen Diskussionsprozess. Die zehn Gütekriterien sind jeweils mit Erläuterungen hinterlegt. Ihre Verabschiedung stellt einen wichtigen Meilenstein für die Arbeit in einem Netzwerk nach dem Setting-Ansatz dar. Schlagwortartig entsprechen die Gütekriterien den folgenden Themen:

    Themen der AGH-Gütekriterien

    1. Setting-Ansatz

    2. Salutogenese

    3. Leitbild

    4. Querschnittsaufgabe

    5. Steuerungsgruppe

    6. Transparentes Informationsmanagement

    7. Gesundheitsförderung

    8. Nachhaltigkeit

    9. Chancengleichheit

    10. Vernetzung

    Abb. 2 a: Die Themen der zehn Gütekriterien des Arbeitskreises Gesundheitsfördernde Hochschulen

    12 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

    http:hochschulen.dewww.gesundheitsfoerdernde

  • Die Mitarbeit beim wenig formalisierten Arbeitskreis ist nicht an Voraussetzungen beziehungsweise Aufnahmekriterien gebunden. Die Gütekriterien dienten bisher ausschließlich der Orientierung und stellen vor allem Handlungsempfehlungen dar.

    Die Entwicklung der zehn Gütekriterien war notwendig, um die Vielfalt der zurzeit 421 Hochschulen in Deutschland und die unterschiedlichen Professionswege und Aufgaben der Arbeitskreismitglieder in den Hochschulen abzudecken. Im Vordergrund steht dabei, sowohl die bereits gesetzlich vorgegebenen gesundheitsbezogenen Rahmenbedingungen einzubeziehen als auch die vielen Schnittstellen zu thematisieren, die eine gesundheitsfördernde Hochschule auszeichnen.

    Die sehr umfassenden Gütekriterien sind nicht unter der Maßgabe entstanden, eine Checkliste und ein darauf aufbauendes Zertifizierungsverfahren für ein Qualitätssiegel festzulegen. Ein Gütesiegel soll das „Produkt“ Hochschule für die Gewährleistung bestimmter Rahmenbedingungen verlässlich auszeichnen. Das Beispiel der familienfördernden Hochschulen zeigt, dass ein Qualitätssiegel und das damit einhergehende Zertifizierungsverfahren unter bestimmten Rahmenbedingungen von den Hochschulen angenommen werden.

    Das Profil einer gesundheitsfördernden Hochschule ist vor allem für diejenigen Einrichtungen erstrebenswert, die eine überproportionale Anzahl sozial- beziehungsweise gesundheitsbezogener Studiengänge aufweisen. Dieser Zusammenhang lässt sich am Beispiel der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Niedersachsen besonders gut nachvollziehen.

    Dreh- und Angelpunkt dieser Entwicklung ist die Einführung und personelle Ausstattung des betrieblichen Gesundheitsmanagements an Hochschulen. Diese auf die Führungsebene und die Organisationsentwicklung einer Hochschule abzielende Strategie befindet sich zurzeit in einer rasanten Entwicklung. Eine bundesweite Erhebung darüber, wie viele Beschäftigte an Hochschulen im betrieblichen Gesundheitsmanagement tätig sind und was sie machen, ist bisher noch nicht erfolgt. Obwohl ein betriebliches Gesundheitsmanagement gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, werden zumindest an den personalstarken Universitäten eher entsprechende Profile beziehungsweise Stellen geschaffen und besetzt. Die Techniker Krankenkasse (TK) unterstützt die Implementierung des betrieblichen Gesundheitsmanagements an den Hochschulen seit über zehn Jahren. Die bundesweit agierenden Prozessberaterinnen und Prozessberater (vgl. S. 90) bieten sowohl finanzielle Unterstützung bei Eigenleistungen der Hochschule als auch fachliche Expertise. Darüber hinaus wandelt sich die Rolle des klassischen risikoorientierten Arbeitsschutzes und mit ihm die Aufgaben der Fachkraft für Arbeitssicherheit. Es wird mehr und mehr eine ressourcenorientierte Perspektive auf Gesundheit eingenommen. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass zurzeit ein Gütesiegel für gesundheitsfördernde Hochschulen ausgehend von den zehn Gütekriterien entwickelt wird. Das Ziel besteht vordringlich darin, mit der Verleihung des Gütesiegels den Prozess der Qualitätsentwicklung an den Hochschulen weiter voranzubringen.

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 13

  • Gütekriterien

    Eine gesundheitsfördernde Hochschule …

    1. … arbeitet nach dem Setting-Ansatz.

    2. … orientiert sich am Konzept der Salutogenese und nimmt Bedingungen und Ressourcen für Gesundheit in den Blick.

    3. … integriert das Konzept der Gesundheitsförderung in ihre Hochschulpolitik (zum Beispiel Leitbild, Führungsleitlinien, Zielvereinbarungen, Dienstvereinbarungen oder andere Vereinbarungen).

    4. … berücksichtigt Gesundheitsförderung als Querschnittsaufgabe bei allen hochschulinternen Prozessen und Entscheidungen sowie in Lehre und Forschung.

    5. … beauftragt eine hochschulweit zuständige Steuerungsgruppe mit der Entwicklung von gesundheitsförderlichen Strukturen und Prozessen, in der die relevanten Bereiche der Hochschule vertreten sind.

    6. … betreibt ein transparentes Informationsmanagement und formuliert Ziele und Maßnahmen auf der Grundlage einer regelmäßigen Gesundheitsberichterstattung in Form von verständlichen, transparenten und zugänglichen Informationen und Daten. Die gesundheitsfördernden Maßnahmen werden während und nach der Umsetzung im Sinne einer Qualitätssicherung evaluiert.

    7. … führt gesundheitsfördernde Maßnahmen durch, die sich sowohl an einer Verhaltens- als auch an einer Verhältnisdimension orientieren und partizipativ ausgerichtet sind.

    8. … verpflichtet sich dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Dies bedeutet, dass bei der Gesundheitsförderung gleichermaßen soziale, ökologische, ökonomische und kulturelle Aspekte einschließlich der globalen Perspektive zu berücksichtigen sind.

    9. … integriert Gender Mainstreaming, Cultural Mainstreaming sowie die Gleichbehandlung von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Menschen mit Behinderungen als wesentliche Teile in das gesundheitsfördernde Konzept.

    10. … vernetzt sich sowohl mit anderen Hochschulen als auch mit der

    Kommune/Region.

    Abb. 2 b: Gütekriterien des Arbeitskreises Gesundheitsfördernde Hochschulen (Stand: 05/2005)

    14 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Die Projektdatenbank des AGH umfasst 289 Projekte zu verschiedenen Themen mit Bezug zu den zehn Gütekriterien. Besonders gut und aktuell dokumentiert sind die Wettbewerbsbeiträge aus dem Jahr 2011 (vgl. S. 79), die sowohl in der Projektdatenbank als auch auf der Inter

    netpräsenz zum Wettbewerb dargestellt sind. Die zehn Gütekriterien mit den jeweiligen Erläuterungen können auf der Internetpräsenz des AGH (www. gesundheitsfoerdernde-hochschulen.de) in einer deutschen und englischen Fassung eingesehen werden.

    Statusgruppen an Hochschulen

    Die Statusgruppen im Setting Hochschule umfassten Ende 2012 über drei Millionen Studierende und Beschäftigte. Die Beschäftigten setzen sich aus nichtwissenschaftlichem und wissenschaftlichem Personal zusammen und entsprechen einem Anteil von 20 Prozent. Die Studierenden bilden in der Regel 80 Prozent der Zielgruppe in einer Hochschule (vgl. Abb. 3). Die Professorinnen und Professoren werden anteilig am wissenschaftlichen Personal gesondert erfasst. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht umfangreiche Fachserien der jährlichen Entwicklung von Hochschulkennzahlen (www.destatis.de). Die Sonderrolle der verbeamteten beziehungsweise angestellten Professorinnen und Professoren sowie die anteilig hohe Anzahl Studierender geben Hochschulen eine einzigartige Organisationsstruktur. Darüber hinaus ist jede der 421 Hochschulen in Deutschland ein Unikat, mit weitgehend eigenständigen Teilbereichen wie Fakultäten, Fachbereichen beziehungsweise Instituten, die einen gemeinsamen Weg zur gesundheitsfördernden Hochschule finden müssen. Die heute vorliegenden Erkenntnisse in Bezug auf die vier Statusgruppen der Hochschulen resultieren aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen der

    letzten 15 Jahre. Die hohe Heterogenität und die Modernisierung der Hochschullandschaft sowie die starken Veränderungen in der Arbeitswelt insgesamt erschweren es, zu repräsentativen Aussagen zum Gesundheitsstatus der Hochschulmitglieder zu kommen. Im Folgenden sollen die Statusgruppen näher vorgestellt werden.

    Gesundheit von Studierenden

    Studierende bilden die größte Statusgruppe im Setting Hochschule. Die Studienzeit gilt als zeitlich begrenzte Entwicklungsphase von besonderer Qualität und verlangt von den Studierenden ein hohes Maß an Selbstmanagement. Herausforderungen liegen sowohl in der Finanzierung des Studiums als auch im privaten sowie sozialen Bereich. Im Studium können gesundheitsbezogene Lebensstilfaktoren geformt und gefestigt sowie Ressourcen entwickelt werden. Belastungen der Studienphase ergeben sich zum Beispiel aus Leistungsanforderungen, hohem Zeitaufwand, Verdichtung der Studienabläufe, häufiger Orientierungs- und Perspektivlosigkeit, Doppelt-und Dreifachbelastung durch Nebentätigkeiten und/oder Familiengründung sowie fehlende beziehungsweise unzu-

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 15

    http:www.destatis.dehttp:gesundheitsfoerdernde-hochschulen.de

  • reichende Entspannungs- und Rückzugs- bis zu 50 Prozent eines Altersjahrgangs möglichkeiten. Es wird prognostiziert, studieren werden. dass in Deutschland in Zukunft sogar

    Anzahl der Personen an Hochschulen nach Statusgruppen

    Im Jahr 2011 (n = 2.991.708)

    Professoren/Professorinnen

    Abb. 3: Anzahl der Personen an Hochschulen in Deutschland, aufgeschlüsselt nach Statusgruppe, im Jahr 2011 (Statistisches Bundesamt 2012)

    Nicht wissenschaftliches Personal (Ver waltung und Technik)

    Wissenschaftler/-innen (exkl. Professoren/Professorinnen)

    Studierende

    Das Thema Gesundheit von Studierenden hat Konjunktur. Medien berichten über gesundheitliche Probleme der Studierenden, wodurch der Eindruck entsteht, dass sich der Gesundheitszustand von Studierenden drastisch verschlechtert hat. Es wird dabei zumeist von der Hypothese ausgegangen, dass sich Studentinnen und Studenten von ihren nicht studierenden Altersgenossen durch besondere Merkmale unterscheiden. Im Vordergrund stehen dabei die im Vergleich zu den gleichaltrigen Berufstätigen noch vielfältigen Abhängigkeiten in finanzieller und institutioneller Hinsicht. Da sich Studierende in der Regel erst Mitte des dritten oder im vierten Lebensjahrzehnt vollständig vom Elternhaus lösen, könnte

    dies den Prozess der Entwicklung psychosozialer und materieller Unabhängigkeit erschweren. Im medizinischen Sinne gelten die Studierenden als gesunde Altersgruppe.

    Die Entwicklung des wissenschaftlichen Interesses an den gesundheitlichen Belangen von Studierenden in Deutschland kann im Wesentlichen in drei Phasen zusammengefasst werden. In der ersten Phase konzentrieren sich die Studien auf Untersuchungen zur psychischen Gesundheit, deren Ursprünge bis in die 1960er Jahre zurückreichen und im Zusammenhang mit der Gründung der ersten studentischen Beratungsstellen stehen. Studien der zweiten Phase fokussieren

    16 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • auf den Gesundheitszustand und die gesundheitlichen Verhaltensweisen sowie die Ressourcen von Studierenden. Sie stehen im Zusammenhang mit der Etablierung der Gesundheitswissenschaften in den 1990er Jahren. Die dritte Phase ist eng verknüpft mit dem bildungspolitischen Diskurs des letzten Jahrzehnts, vor allem mit den Veränderungen der Studienstrukturen im Zuge der sogenannten Bologna-Reform. Hier stehen die Stressbelastungen durch die spezifische Studiensituation in Bachelorstudiengängen im Vordergrund.

    Die Erhebungsbereiche aller Studien konzentrieren sich dabei in aufsteigender Reihenfolge auf folgende Schwerpunkte bezogen auf die Studierenden:

    soziale und wirtschaftliche Situation

    Bewegung und Ernährung

    Konsum von Alkohol, Tabak, Medikamenten und illegalen Drogen

    psychische und psychosoziale Situation

    Multiple gesundheitliche Aspekte

    Förderungsprojekte der Techniker Krankenkasse (TK) im Kontext einer gesundheitsfördernden Hochschule

    Beispiel 1 | Gesundheitssurvey für Studierende in Nordrhein-Westfalen

    Das Gesundheitslabor der Arbeitsgruppe Bevölkerungsmedizin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld führte mit Unterstützung der TK und der Landesunfallkasse Nordrhein-Westfalen einen Gesundheitssurvey für Studierende an 13 Universitäten und vier Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen durch. Das Projekt startete 2005 und war zunächst für die Dauer von zwei Jahren angelegt. Die Erhebungen erfolgten im Sommersemester 2006 und im Wintersemester 2006/2007. Ziel des Gesundheitssurveys Nordrhein-Westfalen war die Erfassung von Gesundheitsressourcen und -risiken der Studierenden. Es sollten nach Möglichkeit Präventionspotenziale erkannt werden, um geeignete Maßnahmen und Interventionen für die Gesundheitsförderung dieser Statusgruppe aus einer verlässlichen Datenbasis abzuleiten. Im Fokus der landesweiten Befragung standen Aspekte der mentalen Gesundheit.

    Die Ergebnisse sind auf der Internetpräsenz des Arbeitskreises Gesundheitsfördernde Hochschulen (www.gesundheitsfoerdernde-hochschulen.de) sowie in den Fachpublikationen nachzulesen.

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 17

    http:www.gesundheitsfoerdernde-hochschulen.de

  • Insgesamt ist festzustellen, dass es Längsschnittstudien, aus denen wissenzunehmend verlässliche Daten zur aktu- schaftlich fundierte und komplexe Empellen gesundheitlichen Lage von Studie- fehlungen für die Praxis abgeleitet werrenden gibt. Was fehlt, sind allerdings den können. aussagekräftige und umfassende

    Förderungsprojekte der Techniker Krankenkasse (TK) im Kontext einer gesundheitsfördernden Hochschule

    Beispiel 2 | Gesundheitsberichterstattung bei Studierenden

    Seit 2008 werden periodische Erhebungen zum Thema Gesundheit im Studium (GiS) an der Freien Universität Berlin durchgeführt. Die Daten werden mittels Onlinebefragungen gewonnen und die Ergebnisse in Projektberichten beziehungsweise einzelnen projektbezogenen Veröffentlichungen festgehalten. Das empirische Design entspricht seit 2010 einer Kombination aus Quer-und Längsschnittstudie. Die Daten ermöglichen nunmehr eine vergleichende Betrachtung der gewonnenen Erkenntnisse. Die wiederkehrenden Themen der Onlinebefragungen sind:

    subjektive Gesundheit (Wohlbefinden und Beschwerden)

    studentisches Engagement und Burnout

    Studienbedingungen/Studiensituation (zum Beispiel Zeitaufwand, Anforderungen, Mitwirkung in Veranstaltungen, Handlungs- und Zeitspielräume, soziale Unterstützung)

    Gesundheitsverhalten (Ernährung, Bewegung, Substanzkonsum)

    demographische Daten/soziale Situation (Studienfach, Fachsemester, Alter, Geschlecht, Bildungsherkunft)

    Die Erfahrungen der Freien Universität Berlin können seit 2012 auch durch andere Hochschulen genutzt werden.

    Kontakt: Dr. Dr. Burkhard Gusy: University Health Report – Eine Kooperation verschiedener Hochschulen in der Gesundheitsberichterstattung bei Studierenden

    18 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Mit einer hochschulbezogenen Gesundheitsberichterstattung, wie sie im Beispiel 2 vorgestellt wird, soll eine Grundlage für spezifisch abzuleitende Aktivitäten und deren Wirkung geschaffen werden. Zurzeit gibt es in Deutschland noch keine etablierte hochschulbezogene Gesundheitsberichterstattung, aus der eine repräsentative Datenbasis gewonnen werden könnte.

    Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Verwaltung, Beratung und Technik

    Gesundheitliche Probleme und Befindlichkeitsstörungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Verwaltung, Beratung und Technik resultieren vorwiegend aus den Arbeitsanforderungen und den Umgebungsfaktoren für eine immer älter werdende Belegschaft. Dazu gehören zum Beispiel Angst vor Arbeitsplatz-und Statusverlust, Neustrukturierung und die Tendenz zu befristeten Arbeitsverhältnissen beziehungsweise Arbeitsverhältnissen mit geringerer Grundvergütung. Weiterhin haben psychosoziale Faktoren, wie zum Beispiel das Vorhandensein von sozialen Konflikten, das Arbeitsklima, Langeweile und/oder Unterbeziehungsweise Überforderung, eine hohe Bedeutung für den Gesundheitszustand dieser Statusgruppe. Die hohe Heterogenität der Arbeitsbereiche des verwaltungsbezogenen und technischen Personals an Hochschulen macht keine generellen Aussagen zur Belastungssituation möglich, zumal auch hier nur wenige empirische Untersuchungen vorliegen.

    Gesundheit von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

    Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören ebenfalls einer sehr heterogenen Statusgruppe an. Belastende Faktoren sind auf die Arbeitsbedingungen beziehungsweise -anforderungen sowie subjektive physische und psychische Belastungen zurückzuführen. Als Beispiele können hier Zeit- und Entscheidungsdruck, Arbeitsverdichtung, oft fehlende Anerkennung und hohe Abhängigkeit von den Vorgesetzten, steigende Studierendenzahlen und zunehmender Umfang an administrativen Tätigkeiten sowie in der Regel eine fehlende angemessene Vergütung genannt werden. Besonders belastend dürften, trotz eines hohen Einsatzes, die weitgehend schwer zu kalkulierenden akademischen Karrierechancen der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein. Aktuelle empirische Untersuchungen zum Gesundheitszustand dieser Zielgruppe liegen nach unserer Kenntnis nicht vor.

    Gesundheit von Professorinnen und Professoren

    Eine Professur ist in Deutschland in der Regel mit einer eigenständigen Tätigkeit in Lehre und Forschung an einer Hochschule verbunden. Ende 2011 waren rund 42.600 Professorinnen und Professoren an den Hochschulen in Deutschland beschäftigt. Der langsam, aber ständig steigende Anteil von Frauen beträgt fast 20 Prozent. Die Professorin beziehungsweise der Professor ist kein akademischer Grad, sondern eine Amtsbeziehungsweise Berufsbezeichnung. Die Transparenz des Begriffs wird dadurch erschwert, dass es zahlreiche weitere Möglichkeiten gibt, dass Personen auch

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 19

  • ohne eine weitere wissenschaftliche Leistung den Titel verliehen bekommen können. Dies ist zum Beispiel bei einer Honorarprofessur der Fall, die nicht als solche kenntlich gemacht werden muss.

    Von besonderem Interesse ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Professorinnen beziehungsweise Professoren und Studierenden. Dies kann in Abhängigkeit von der Hochschulart, den Fächern und den landespolitischen Vorgaben von Hochschule zu Hochschule beziehungsweise von Fachbereich zu Fachbereich sehr stark variieren. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass das Betreuungsverhältnis von Professorinnen beziehungsweise Professoren zu Studierenden seit den 1970er Jahren im internationalen Vergleich unzureichend ist. Derzeit verschärft sich die Situation dadurch, dass ein überproportionaler Anstieg der Studienanfängerzahlen zu verzeichnen ist und die Lehre in den Bachelor- und Masterstudiengängen einen höheren personellen Einsatz erfordert. Im direkten Zusammenhang damit steht eine kaum entwickelte Kultur der Personalentwicklung an Hochschulen, um auf diese Rahmenbedingungen angemessen zu reagieren.

    Darüber hinaus sind Professorinnen und Professoren für den Arbeitsplatz Hochschule und die Zunahme komplexer Aufgabenstellungen nur unzureichend ausgebildet. Diese und andere Entwicklungen haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Belastungssituation am Arbeitsplatz Hochschule und die gesundheitlichen Folgen für die Professorinnen und Professoren ins Blickfeld geraten sind. Wie in den anderen pädagogischen Berufen auch sind es oft die psychischen Belastungen, die zu Symptomen wie Schlaflosigkeit und chronischen Kopf- und Rückenschmerzen führen können.

    Die Autonomie und das gesellschaftliche Ansehen einer Professorin beziehungsweise eines Professors ermöglichen eine hohe Arbeitszufriedenheit, die als Kompensation für viele Anforderungen gelten kann. In der Autonomie liegt allerdings auch die Gefahr einer Entgrenzung des eigenen Arbeitsvermögens. In diesem Zusammenhang kann eine steigende Lehrbelastung schnell zu Erschöpfungszuständen führen. Empirische Erhebungen zur Gesundheit von Professorinnen und Professoren, die über die Schilderung von Einzelschicksalen hinausgehen, gibt es bislang nicht.

    Entwicklung und gesetzliche Grundlagen der Gesundheitsförderung

    Die internationale und nationale Entwicklung der Gesundheitsförderung steht in enger Wechselwirkung mit der Entwicklung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Europäischen

    Union (EU). Der Prozess wird einerseits durch die seit den 1970er Jahren entstehenden sozialen Bewegungen vorangetrieben, andererseits durch die Weiterentwicklung institutioneller

    20 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Strukturen. Innerhalb von 30 Jahren hat sich die Perspektive auf Gesundheit von der individuellen Ebene mit ausschließlich medizinischem Fokus zu einer intersektoralen, bevölkerungsbezogenen Perspektive herausgebildet.

    Als Geburtsstunde ist die Präambel der WHO von 1948 anzusehen. In der Verfassung steht: Gesundheit ist der Zustand des umfassenden körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen, ist eines der Grundrechte jedes Menschen, ohne Unterscheidung nach ethnischer Herkunft, der Religion, der politischen Überzeugung sowie der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung.

    Die rechtliche Zuständigkeit in der Europäischen Gemeinschaft (EG) hat sich für das Thema Gesundheit von den Vertragsstationen Maastricht (1993), Amsterdam (1999) bis Lissabon (2009) ständig erweitert. Begleitet wird dies durch zwei finanziell geförderte Aktionsprogramme zur öffentlichen Gesundheit (2003–2008; 2008–2013). Weitere Instrumente sind Grün- und Weißbücher zu relevanten gesundheitsbezogenen Themen und daraus abzuleitende gesetzliche Vorgaben beziehungsweise nationale Handlungsprogramme.

    Die Europäisierung der Prävention und Gesundheitsförderung erfolgt nicht ohne Widerstand der zurzeit 28 EU-Mitgliedsländer, insbesondere auch aus Deutschland. Hier kommt erschwerend hinzu, dass Gesundheit auf der Ebene der 16 Bundesländer geregelt ist. Die Steuerung der Bundesebene bleibt begrenzt auf Handlungsprogramme,

    Modellprojekte und Gesetzesänderungen vor allem im Rahmen des Sozialgesetzbuches (SGB). Daraus sind entsprechende Aufträge beziehungsweise Verpflichtungen für die Leistungsanbieter beziehungsweise -erbringer abzuleiten. Während zwei Anläufe zum Bundespräventionsgesetz im letzten Jahrzehnt gescheitert sind, hat sich insbesondere über den § 20 SGB V eine umfangreiche Förderungslandschaft für Prävention und Gesundheitsförderung durch die gesetzlichen Krankenkassen aufgebaut. Hiervon profitieren letztendlich seit Jahren unter dem Aspekt der betrieblichen Gesundheitsförderung beziehungsweise dem Setting-Ansatz auch die Hochschulen. Darüber hinaus hat in den letzten 20 Jahren die Anzahl gesundheitsbezogener Studiengänge an den Hochschulen zugenommen. Die Vielfalt wird durch die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe noch weiter anwachsen.

    Internationale Entwicklung der Gesundheitsförderung

    Die WHO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen (vgl. Abb. 4). Sie wurde 1948 in Genf gegründet und bearbeitet alle gesundheitspolitischen Fragestellungen mit dem Ziel, der Bevölkerung in allen 194 Mitgliedsstaaten den bestmöglichen Gesundheitszustand zu gewährleisten. Es gibt weltweit sechs Regionalbüros:

    WHO Afrikanische Region (Regionalbüro Brazzaville, Demokratische Republik Kongo, www.afro.who.int)

    WHO Amerikanische Region (Regionalbüro Washington, D.C., USA, new.paho.org)

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 21

    http:new.paho.orgwww.afro.who.int

  • WHO Europäische Region (Regionalbüro Kopenhagen, Dänemark,

    www.euro.who.int)

    WHO Östliche Mittelmeer-Region (Regionalbüro Kairo, Ägypten, www.emro.who.int)

    WHO Südostasiatische Region (Regionalbüro Neu-Delhi, Indien,

    www.searo.who.int)

    WHO Westpazifische Region (Regionalbüro Manila, Philippinen,

    www.wpro.who.int)

    Aufbau der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation

    UN United Nations

    New York

    WHO Regional Office for Europe

    WHO Regional Office for

    Africa

    WHO Regional Office for Southeast

    Asia

    WHO Regional Office for the

    Western Pacific

    WHO Regional Office for the

    East-Mediterranean

    Pan-American Health

    Organization

    Copenhagen Brazzaville New Delhi Manila Cairo Washington, DC

    UNESCO UNICEF ILO WHO FAO UNCTAD UNDP UNEP United Nations

    Educational, Scientific

    and Cultural Organization

    Paris

    United Nations

    Children's Fund

    New York

    International Labour

    Organization

    Genf

    World Health Organization

    Genf

    Food and Agriculture

    Organization of the United

    Nations

    Rom

    United Nations

    Conference on Trade und

    Development

    New York

    United Nations

    Development Programme

    New York

    United Nations

    Environment Programme

    New York

    Abb. 4: Ausgewählte Sonderorganisationen und Programme der Vereinten Nationen (UN) sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ihre sechs Regionalbüros (mod. nach Gareis und Var wick 2006)

    Bei der internationalen Entwicklung der Gesundheitsförderung gelten vor allem die Weltgesundheitskonferenzen zur Gesundheitsförderung als wichtige Meilensteine. Die WHO-Gesundheits

    konferenzen (vgl. Abb. 5) verstehen sich in erster Linie als eine Antwort auf die wachsenden Erwartungen an eine neue öffentliche Gesundheitsbewegung.

    22 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

    www.wpro.who.intwww.searo.who.intwww.emro.who.intwww.euro.who.int

  • Internationale Entwicklung der Gesundheitsförderung

    Globale WHO-Rahmenprogramme

    1978: Konferenz und Deklaration von Alma-Ata zur primären Gesundheitsversorgung

    1979: „Globalstrategie für alle 2000“ GFA

    1998: globale Strategie „Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert“

    Europäische Internationale Gesundheitsförde-Programmebene rungsprogramme und Konferenzen

    1981: europäisches Regionalprogramm über Gesundheitserziehung und Lebensweisen

    1984: europäische 1984: WHO-Programm Gesundheits-Regionalstrategie „Gesundheit für alle“ (38 Einzelziele) GFA 2000

    1991: Revision

    1998: neue Europäische Politik „Gesundheit für alle/Gesundheit21“ (21 Einzelziele)

    2005: Aktualisierung des Rahmenkonzepts „Gesundheit für alle“ für die Europäische Region der WHO

    förderung „Diskussionsgrundlage über Konzept und Prinzipien der Gesundheitsförderung“

    1986: Ottawa-Konferenz und -Charta zur Gesundheitsförderung

    1988: Adelaide-Konferenz und -Empfehlung zur gesundheitsfördernden Gesamtpolitik

    1991: Sundsvall-Konferenz und -Stellungnahme: Entwicklung gesundheitsfördernder Lebenswelten

    1997: Jakarta-Konferenz und -Erklärung zur Gesundheitsförderung für das 21. Jahrhundert

    2000: Mexiko-Konferenz und -Erklärung der Gesundheitsminister zur Gesundheitsförderung; Rahmen für nationale Aktionspläne

    2005: Bangkok-Konferenz und Charta zur Gesundheitsförderung in einer globalen Welt

    2009: Nairobi-Konferenz zur Gesundheitsförderung „Nairobi Call to Action for Closing the Implementation Gap in Health Promotion“

    Abb. 5: Historische Wendepunkte und Einflüsse der Gesundheitsförderung auf internationaler Ebene (mod. nach Kaba-Schönstein 2011 a, S. 152)

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 23

  • Es sei an dieser Stelle auf die Leitbegriffe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hingewiesen, die sich vor allem in den Beiträgen von Frau Lotte Kaba-Schönstein ausführlich mit allen Aspekten der Entwicklung der Gesundheitsförderung beschäftigen.

    Auf der Konferenz von Alma-Ata, UdSSR, (1978) wird Gesundheit als ein grundlegendes Menschenrecht deklariert und die primäre Gesundheitsversorgung zu einem Schlüsselkonzept der WHO erklärt. Neben dem Gesundheitssektor werden erstmals auch Sozial- und Wirtschaftssektoren als verantwortlich für die gesundheitliche Entwicklung benannt und deren Zusammenwirken wird unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger als notwendig erachtet. Die Deklaration von Alma-Ata ist ein zentrales Dokument der Strategie „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“ und Grundlage der daraus hervorgehenden Zielsetzungen zur Gesundheitsförderung. Die gesundheitspolitischen Ziele, die in dieser Strategie festgehalten sind, gehen auf die Resolution der 30. Weltgesundheitsversammlung in Genf aus dem Jahr 1977 zurück. Dort wurden die vorrangigen Ziele von der WHO und den Regierungen festgeschrieben.

    In den folgenden Jahrzehnten sollte nach Möglichkeit ein bestimmter Grad an Gesundheit für alle Bürgerinnen und Bürger bis zum Jahr 2000 erreicht werden, der es ihnen ermöglicht, ein sozial und ökonomisch produktives Leben zu führen. Im Jahr 1998 wurde die Strategie umbenannt in „Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert, Gesundheit21“, um den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.

    Auf der 62. Tagung des Regionalkomitees für Europa wurde im September 2012 das „Europäische Rahmenkonzept ,Gesundheit 2020‘ für gesamtstaatliches und gesamtgesellschaftliches Handeln zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden“ proklamiert. Die 53 Mitgliedsstaaten der WHO Europa haben sich auf das gemeinsame Rahmenkonzept „Gesundheit 2020“ geeinigt und legen darin die strategische Ausrichtung und die grundlegenden politischen Handlungsfelder der Mitgliedsstaaten und des WHO-Regionalbüros für Europa fest.

    Das Rahmenkonzept bestätigt und aktualisiert die zentralen Aspekte von „Gesundheit für alle“. „Gesundheit 2020“ unterstützt und ermutigt die Gesundheitsministerien der Länder, die zentralen Akteure zur Erreichung dieser Ziele für eine gesündere europäische Region zusammenzuführen. Die strategischen Ziele von „Gesundheit 2020“ sind die Verbesserung der Gesundheit für alle und die Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheiten sowohl innerhalb als auch zwischen den Mitgliedsländern. Des Weiteren wird die Verbesserung von Führung und partizipatorischer Steuerung für die Gesundheit angestrebt. Die vier vorrangigen Handlungsfelder dieses Rahmenkonzeptes sind:

    Investitionen in Gesundheit durch einen Lebensverlaufsansatz und Stärkung der Handlungsfähigkeit der Menschen

    Bekämpfung der großen gesundheitlichen Herausforderungen durch nichtübertragbare und übertragbare Krankheiten in der Europäischen Region

    24 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Stärkung von bürgernahen Gesundheitssystemen, von gebührenden Kapazitäten in den öffentlichen Gesundheitsdiensten sowie von Vorsorge-, Surveillance- und Gegenmaßnahmen für Notlagen

    Schaffung widerstandsfähiger Gemeinschaften (Community

    Resilience) und unterstützender Umfelder

    Das Konzept und die Prinzipien der Gesundheitsförderung werden seit den 1980er Jahren in den Industriestaaten Europas, Nordamerikas und Australiens kontinuierlich fortgeschrieben. Für diese Entwicklung waren insbesondere die Konferenzen von Ottawa (1986) und Jakarta (1997) ausschlaggebend. Im Folgenden werden die bisher insgesamt acht Gesundheitsförderungskonferenzen der WHO einzeln vorgestellt.

    1986 Ottawa, Kanada 1. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung

    Auf der 1. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottawa, Kanada, ist die Ottawa-Charta unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern aus 35 Ländern, hauptsächlich Industriestaaten, verabschiedet worden. Die Ottawa-Charta gilt bis heute als das Schlüsseldokument der weiteren konzeptionellen Entwicklung und der internationalen Verbreitung von Gesundheitsförderung. In der Ottawa-Charta wird Gesundheitsförderung wie folgt definiert: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie dadurch zur Stärkung ihrer

    Gesundheit zu befähigen“ (WHO 1986, S. 1). Die Ottawa-Charta wird seither in den Folgekonferenzen zur Gesundheitsförderung stets bilanziert und kontinuierlich weiterentwickelt.

    Die Ottawa-Charta benennt für die Gesundheitsförderung drei zentrale Handlungsstrategien:

    Interessen vertreten

    befähigen und ermöglichen

    vermitteln und vernetzen

    Darauf aufbauend ergeben sich fünf zentrale Handlungsebenen:

    Entwicklung einer gesundheits fördernden Gesamtpolitik

    Schaffung gesundheitsfördernder Lebenswelten

    Unterstützung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen

    Stärkung persönlicher Kompetenzen und Ressourcen

    Neuorientierung der Gesundheitsdienste

    Die darunter zu verstehenden inhaltlichen Ausführungen sind in Abbildung 10 zu finden.

    1988 Adelaide, Australien 2. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung

    Auf der 2. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Adelaide, Australien, wird die erste Handlungsebene „Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik“ der Ottawa-Charta weiter ausdifferenziert.

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 25

  • In den Adelaide-Empfehlungen werden Gesundheit und Chancengleichheit als zentrale Elemente aller Politikbereiche, einschließlich der Verantwortung, für Gesundheitsverträglichkeit vorgeschlagen. Sogenannte Gesundheitsverträglichkeitsprüfungen (Health Impact Assessment) zielen darauf ab, Planungsmaßnahmen auf potenzielle gesundheitliche Konsequenzen und deren Verteilung in der Bevölkerung zu prüfen beziehungsweise in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

    Die Schaffung von unterstützenden physischen und sozialen Umwelten, in denen Menschen befähigt werden, ein gesundes Leben zu führen („make the healthier choice the easiest choice“), wird ebenso hervorgehoben.

    Die Adelaide-Empfehlungen benennen für die Gesundheitsförderung sechs zentrale Handlungsbereiche:

    Unterstützung der Gesundheit der Frauen

    Lebensmittel und Ernährung

    Tabak und Alkohol

    Schaffung unterstützender Umwelten

    Entwicklung neuer Bündnisse für Gesundheit

    Verpflichtung zu einer globalen Verantwortung für öffentliche Gesundheit

    1991 Sundsvall, Schweden 3. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung

    Die 3. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung in Sundsvall,

    Schweden, widmet sich der zweiten Handlungsebene der Ottawa-Charta „Schaffung gesundheitsfördernder Lebenswelten“. Sie ist die erste Konferenz mit globaler Beteiligung (81 Länder) und einer gleichgewichtigen Teilnahme von Delegierten aus Industrie- und Entwicklungsländern. Die Delegierten rufen in der Sundsvall-Stellungnahme dazu auf, sich aktiv an der Schaffung und Gestaltung gesundheitsförderlicher Lebenswelten zu beteiligen und den Gesundheits- und Umweltbereich miteinander zu verknüpfen. Themen wie zum Beispiel gesundheitliche Chancengleichheit, Armut sowie Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung sind hier von zentraler Bedeutung. Es wurde festgestellt, dass das Ziel von Alma-Ata „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“ nicht zu erreichen ist.

    1997 Jakarta, Indonesien 4. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung

    Die 4. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung in Jakarta, Indonesien, steht unter dem Motto „Neue Akteure für eine neue Ära: Gesundheitsförderung auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“. Die Konferenz, die erstmals in einem sogenannten Entwicklungsland stattfindet und den privatwirtschaftlichen Sektor einbezieht, bilanziert die Erfahrungen und Ergebnisse seit der Verabschiedung der Ottawa-Charta. Die Kernbereiche und Strategien der Ottawa-Charta werden bestätigt, neu bewertet und weiterentwickelt. Die Definition der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung weist in der Jakarta-Erklärung folgende Veränderungen auf: „Gesundheitsförderung ist ein

    26 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Prozess, der Menschen befähigen soll, mehr Kontrolle über ihre Gesundheit zu erlangen und sie zu verbessern durch Beeinflussung der Determinanten für Gesundheit“.

    Die Jakarta-Erklärung benennt für das 21. Jahrhundert fünf Prioritäten:

    Förderung sozialer Verantwortung für Gesundheit

    Ausbau der Investitionen in die Gesundheitsentwicklung

    Festigung und Ausbau von Partnerschaften für Gesundheit

    Stärkung der gesundheitsfördernden Potenziale von Gemeinschaften und der Handlungskompetenzen des

    Einzelnen

    Sicherstellung einer Infrastruktur für die Gesundheitsförderung

    2000 Mexiko-Stadt, Mexiko 5. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung

    Die 5. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung in Mexiko-Stadt, Mexiko, fokussiert das Thema „Abbau gesundheitlicher Chancenungleichheiten“. Erstmals finden hier zwei parallel ablaufende Programme an zwei Tagen statt. Eines der Programme ist gänzlich auf die Delegation der (Gesundheits-) Ministerien ausgerichtet. Die Konferenz verabschiedet eine Erklärung zur Gesundheitsförderung, die nicht nur die geladenen Delegierten, sondern auch die Gesundheitsminister der teilnehmenden Staaten betrifft. Die Erklärung beinhaltet folgende Vorhaben: „Die Lücke der Gleichstellung schließen“

    und „den Rahmen für landesweite Aktionspläne zur Gesundheitsförderung [ausweiten]“. Im Rahmen der Strategie „Gesundheit21“ wird eine Verbindung der praktischen Anwendung der Mexiko-Erklärung mit aktuellen Prozessen zur Entwicklung von nationalen Gesundheitszielen und -indikatoren hervorgehoben.

    Die Mexiko-Erklärung fokussiert zwei zentrale Anliegen:

    Festlegung der Förderung der Gesundheit als grundlegende Priorität im Hinblick auf Politiken und Programme von lokaler bis internationaler

    Ebene

    Verpflichtung zur Übernahme der Führungsrolle seitens der nationalen Gesundheitsministerien, unter besonderer Berücksichtigung der aktiven Beteiligung gesellschaftlichen Gruppen und Sektoren und Maßnahmen, die Partnerschaften stärken, sowie der Bildung und Stärkung von effizienten Netzwerken

    Des Weiteren werden folgende drei Anwendungsbereiche von Gesundheitsförderungsstrategien und -methoden benannt:

    Verbesserung von Determinanten der Gesundheit beziehungsweise Gesundheitsfaktoren sowie Abbau von Krankheits- beziehungsweise Risikofaktoren

    alle Bevölkerungsgruppen und Settings

    alle gesellschaftlichen Ebenen

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 27

  • 2005 Bangkok, Thailand 6. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung

    Auf der 6. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Bangkok, Thailand, wird unter dem Motto „Handlungsbedarf bei Politik und Partnerschaft: Gesundheitsdeterminanten“ die Bedeutung von Gesundheitsförderung beziehungsweise der Globalisierung und der Auswirkungen auf die Gesundheit sowohl für Entwicklungs- und Schwellenländer als auch für Industriestaaten betont. Auf der Konferenz wird die Bangkok-Charta zur Gesundheitsförderung in einer globalen Welt gemeinschaftlich verabschiedet. Sie zeigt die Bedeutung von Gesundheitsförderung in einem neuen, globalen Kontext und fordert unter anderem zu einem globalen Gesundheitsabkommen auf. Die Entwicklungsziele für das 21. Jahrhundert (Millennium Development Goals) haben das Thema Gesundheit bereits verstärkt ins Zentrum der Aktivitäten unterschiedlicher Politikbereiche gerückt.

    Die Bangkok-Charta benennt vier Schlüsselbereiche, in denen Gesundheitsförderung zu verorten ist:

    lokale Agenda

    alle Regierungsebenen

    Gemeinschaften und Zivilgesellschaften

    gute Unternehmensführung

    2009 Nairobi, Kenia 7. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung

    Auf der 7. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Nairobi, Kenia, wird das Thema „Förderung von Gesundheit und Entwicklung: die Lücke der Implementation schließen“ unter Beteiligung von Delegierten aus 100 Ländern behandelt. Auf Grundlage der Entwicklungen seit der Verabschiedung der Ottawa-Charta lässt sich mittlerweile die Bedeutung von Gesundheitsförderung als integrative und kostengünstige Strategie und essentielle Komponente von Gesundheitssystemen belegen. In der Nairobi-Erklärung fordern die Delegierten die Regierungen, Zivilgesellschaft, Entwicklungsorganisationen und Gesundheitsdienste auf, Gesundheitsförderungsprogramme gemeinsam zu stärken und zu verankern, um dadurch die Zahl der vermeidbaren Krankheiten und vorzeitigen Todesfälle zu reduzieren. Die Potenziale der Gesundheitsförderung sollen verstärkt genutzt und Prinzipien der Gesundheitsförderung in alle Politikbereiche integriert werden. Dabei gilt es, vermehrt passende und nachhaltige Umsetzungsstrategien zu etablieren.

    Die Nairobi-Erklärung benennt fünf zentrale Anwendungsbereiche:

    Kapazitätsentwicklung für Gesundheitsförderung

    Gesundheitssysteme

    Partnerschaften und intersektorale Aktionen

    Empowerment von Gemeinschaften und Gemeinden

    28 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Gesundheitskompetenz und Gesundheitsverhalten

    Ebenso werden fünf Verantwortungsbereiche für Regierungen und Entscheidungsträger vorgestellt:

    Führung und Fachkräfte stärken

    Mainstream Health Promotion fördern

    Empowerment von Gemeinschaften und Gemeinden beziehungsweise Individuen unterstützen

    partizipatorische Prozesse verstärken

    Wissen schaffen und anwenden

    2013 Helsinki, Finnland 8. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung

    Die 8. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung fand im Juni 2013 unter dem Motto „Health in all policies“ in Helsinki, Finnland, statt.

    Die Europäische Union als Akteur der Gesundheitsförderung

    Seit den 1990er Jahren ist die EU ein wichtiger Akteur und Geldgeber der Gesundheitsförderung. Über die Finanzierung ausgeschriebener Programme und Forschungsprojekte hinaus übernimmt die EU vor allem eine Koordinierungsfunktion in der Zusammenarbeit der zurzeit 28 Mitgliedsstaaten.

    Neben den Aktionsprogrammen spielt für die Entwicklung der Gesundheits

    förderung auf europäischer Ebene auch die Gesundheitsforschung eine wichtige Rolle. Darüber hinaus sind der Aufbau einer europäischen Gesundheitsstatistik durch Eurostat, der Auf- und Ausbau einer europäischen Gesundheitsberichterstattung sowie der Auf- und Ausbau eines gesundheitlichen Verbraucherschutzes von besonderer Bedeutung. Die Tabelle 2 fasst die historischen Ereignisse und deren Inhalte bezogen auf die Aktivitäten der EU im Zusammenhang mit Gesundheit und Gesundheitsförderung zusammen.

    Europäische Union (EU)

    Jahr Ereignis

    1970er Erstes Europäisches Gesundheitsprogramm „Europa gegen den Krebs“

    1993 Vertrag von Maastricht, Artikel 129

    Regelung der Zuständigkeiten der EU für Gesundheitswesen und Gesundheitspolitik

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 29

  • Jahr Ereignis

    Verbesserung von Gesundheitskompetenz und institutionellen Grundlagen

    Errichtung eines Gesundheitsministerrats

    1996 Erstes Aktionsprogramm zur Gesundheitsförderung, -aufklärung, -erziehung und -ausbildung innerhalb des Aktionsrahmens im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens

    1999 Vertrag von Amsterdam, Artikel 152

    Erweiterung der Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft für Gesundheitsbelange

    Verfahren der „Offenen Methode der Koordinierung“

    2002 Neues, einheitliches Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich öffentliche Gesundheit 2003–2008

    Ablösung der themenbezogenen Aufteilung der bislang acht Einzelprogramme

    Förderung von Gesundheit und Verhütung von Krankheit durch Beeinflussung der Gesundheitsfaktoren in allen gemeinschaft lichen Politik- und Arbeitsfeldern als ein Hauptzielbereich

    2006 Health in All Policies (HiAP)

    2007 Weißbuch der Europäischen Kommission „Gemeinsam für die Gesundheit: ein strategischer Ansatz der EU für 2008–2013“

    Rahmenprogramm zu zentralen Gesundheitsfragen

    2007 Zweites Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich öffentliche Gesundheit 2008–2013

    Instrument der Kommission zur Umsetzung der Gesundheits strategie „Gemeinsam für die Gesundheit (2008–2013)“

    2009 Vertrag von Lissabon, Artikel 168

    Verbesserung der rechtlichen Grundlagen für gemeinschaftliche Politik im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung

    Tab. 2: Auswahl an Schritten der EU zu einer Ausweitung des Mandats im Zusammenhang mit Gesundheit sowie Prävention und Gesundheitsförderung (vgl. Kaba-Schönstein 2011 d)

    30 | Gesundheitsförderung an Hochschulen

  • Aktionsprogramme | Seit den 1990er Jahren werden EU-Aktionsprogramme zur öffentlichen Gesundheit und Gesundheitsförderung entwickelt. Die einzelnen Aktionsprogramme sind:

    1996–2000: Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Gesundheitsförderung, -aufklärung, -erziehung und -ausbildung; Aktionsplan zur Krebsbekämpfung; Aktionsprogramm zur Prävention von Aids und bestimmten anderen übertragbaren Krankheiten; Aktionsprogramm zur Suchtprävention

    1997–2000: Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Gesundheitsberichterstattung

    1999–2001: Aktionsprogramm, betreffend durch Umweltverschmutzung bedingte Krankheiten

    1999–2003: Aktionsprogramm zur Verhütung von Verletzungen; Aktions

    programm, betreffend seltene Krankheiten

    Diese aufgeführten Einzelprogramme wurden im Jahr 2002 von einem neuen, einheitlichen Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich öffentliche Gesundheit (2003–2008) mit folgenden Zielen ersetzt:

    Verbesserung des Informations- und Wissensstandes in Bezug auf Gesundheitsfragen im Interesse der Weiterentwicklung des Gesundheits

    wesens

    Verbesserung der Fähigkeit zur schnellen und koordinierten Reaktion

    auf Gesundheitsgefahren

    Gesundheitsförderung und Verhütung von Krankheiten durch Beeinflussung der Determinanten in allen gemeinschaftlichen Politik- und Tätigkeits

    feldern

    Mit dem Programm soll eine effizientere Abstimmung zwischen den Initiativen und den Aktionen der EU und der Mitgliedsstaaten gewährleistet und die Koordination bestehender und künftiger Netzwerke im Bereich der öffentlichen Gesundheit verbessert werden.

    Im Zusammenhang mit Programmen beziehungsweise Gesetzesinitiativen kann es auf EU-Ebene zur Veröffentlichung sogenannter Grün- beziehungsweise Weißbücher kommen. Die Bücher enthalten Expertisen zu den jeweiligen Themengebieten. Während das Grünbuch als Grundlage für eine öffentliche und wissenschaftliche, im Ergebnis offene Diskussion dienen soll, fasst das Weißbuch die daraus hervorgehenden offiziellen Handlungsvorschläge für die Gemeinschaft zusammen.

    Weißbuch | Im Jahr 2007 wurde das Weißbuch „Gemeinsam für die Gesundheit: ein strategischer Ansatz der EU für 2008–2013“ als ein neues, einheitliches Konzept vorgelegt. Zentrales Anliegen ist es, Gesundheitsbelange in alle Politikbereiche zu integrieren. Die entwickelte Strategie, die im Weißbuch skizziert ist,

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 31

  • soll richtungsweisend sein, um Herausforderungen und Aufgaben in Gesundheitsfragen effektiv bewältigen zu können. Die Vorgehensweise stützt sich auf vier Hauptprinzipien:

    eine auf gemeinsamen Gesundheitsvorstellungen beruhende Strategie

    Gesundheit ist das höchste Gut

    Gesundheit in allen Politikbereichen

    mehr Mitsprache der EU in der globalen Gesundheitspolitik

    Die drei strategischen Ziele sind:

    Förderung der Gesundheit in einem alternden Europa

    Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gesundheitsgefahren

    Förderung dynamischer Gesundheitssysteme und neuer Technologien

    Das zweite aktuelle Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit (2008–2013) baut auf seinem Vorgängerprogramm auf und ist Hauptinstrument zur Umsetzung der Strategie der Europäischen Kommission „Gemeinsam für die Gesundheit 2008– 2013“. Es hat folgende drei übergeordnete Ziele:

    besserer Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger

    Gesundheitsförderung, einschließlich des Abbaus von Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung

    Schaffung und Verbreitung von gesundheitlichen Informationen und

    Erkenntnissen

    Das Aktionsprogramm hebt die Bedeutung von Investitionen in die Gesundheit beziehungsweise Gesundheitsförderung hervor. Die Notwendigkeit zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten und die Beeinflussung von sozioökonomischen Determinanten der Gesundheit werden ebenso betont.

    Grünbuch | Auf Grund der Bedeutung für das Setting Hochschule sei an dieser Stelle stellvertretend auf das Vorgehen der EU zur Erhaltung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung hingewiesen. Am Beispiel der oben geschilderten Vorgehensweise hat die Europäische Kommission im Jahr 2005 das Grünbuch „Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern – Entwicklung einer Strategie für die Förderung der psychischen Gesundheit in der Europäischen Union“ veröffentlicht. Im Jahr 2008 beschlossen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der EU-Konferenz „Gemeinsam für psychische Gesundheit und Wohlbefinden“ darauf aufbauend den „Europäischen Pakt für psychische Gesundheit und Wohlbefinden“. Nach einer Serie von thematischen Konferenzen hat der Rat der EU am 6. Juni 2011 die „Schlussfolgerungen des Rates zum Europäischen Pakt für psychische Gesundheit und Wohlbefinden: Ergebnisse und künftige Maßnahmen“ im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Dies verschafft dem Thema für die nächsten Jahre eine übergeordnete gesamtgesellschaftliche Bedeutung, von der speziell auch die Hochschulen auf verschiedene Weise betroffen sind.

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  • Gesundheitsförderung in Deutschland

    Die WHO hat in Wechselwirkung mit der EU die Entwicklung der Gesundheitsförderung in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Die Ottawa-Charta von 1986 und die internationalen Konferenzen zur Gesundheitsförderung bilden die Richtschnur auch für die deutsche Gesundheitsförderungspolitik. Die Amtssprache der Gesundheitsförderung ist Englisch. Entsprechend den heterogenen Interessenlagen der staatlichen und nicht staatlichen Organisationen hat es in den vergangenen Jahrzehnten sehr wechselhafte Konjunkturen der Gesundheitsförderung in Deutschland gegeben. Das Spannungsverhältnis ist dabei im Wesentlichen durch drei Faktoren geprägt:

    die unterschiedlichen Zuständigkeiten und rechtlichen Regelungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene für Gesundheitsbelange

    die sektorale Gliederung Leistungsanbieter und -erbringer im stationären, ambulanten und öffentlichen

    Gesundheitswesen

    die stark medizinisch-berufsständische Ausrichtung in Ausbildung, Studium und Berufsfeldern der Heilberufe

    Seit der Verabschiedung der Ottawa-Charta (1986) ist das Thema Gesundheitsförderung trotz vieler Widerstände in alle gesellschaftlichen Bereiche und in die drei Sektoren des deutschen Gesundheitssystems (vgl. Abb. 6) vorgedrungen. Derzeit finden sich Vorgaben für die nicht medizinische Primärprävention, die betriebliche Gesundheitsförderung und den Setting-Ansatz im Krankenversicherungsrecht des § 20 SGB V. Im Folgenden werden die Entwicklungen der Gesundheitsförderung jeweils auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene dargestellt.

    Gesundheitsförderung in Deutschland

    Stationäre Ambulante Öffentliches Versorgung Versorgung Gesundheits

    wesen

    Prävention und Gesundheitsförderung

    Abb. 6: Prävention und Gesundheitsförderung als intersektorales Querschnittsthema (mod. nach Hartmann et al. 2012)

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 33

  • Gesundheitsförderung auf Bundesebene

    Für den Bereich der Gesundheitsförderung bestehen die Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten des Bundes vor allem in der Sozialgesetzgebung, insbesondere über das Krankenversicherungsrecht des SGB V. Der Leistungsumfang zur Prävention und Gesundheitsförderung wird hierzu durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf Basis wissenschaftlicher Expertisen festgeschrieben.

    Stellungnahmen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) haben ganz wesentliche Impulse für die Gesundheitsförderungspolitik erbracht. Das unabhängige Gremium ist die wichtigste Institution, die das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) berät. Des Weiteren gibt es auf Bundes- und Landesebene vielfältigste nachgeordnete wissenschaftliche Fachbehörden, die Erkenntnisse im Rahmen der Ressortforschung erarbeiten. Zur Ressortforschung gehören sowohl die staatlichen Institutionen als auch die Vergabe von Forschungsaufträgen an wissenschaftliche Einrichtungen. Weitere Erkenntnisse sind durch Förderprogramme zur Präventions- beziehungsweise Gesundheitsforschung erfolgt. Dies wurde auch dadurch unter

    stützt, dass Anfang der 1990er Jahre der Aufbau von Public-Health-Forschungsverbünden in Deutschland gefördert wurde. Mittlerweile gibt es zudem eine vielfältige Ausprägung von gesundheitsbezogenen Studiengängen an den Hochschulen.

    Weitere Steuerungsmöglichkeiten in der Gesundheitsförderungspolitik des Bundes ergeben sich aus der Finanzierung von zeitlich begrenzten Modellprojekten, von Kongressen und Diskussionsrunden sowie aus der Erstellung von Gutachten. Der Bund ist darüber hinaus gesetzlich verpflichtet, den vielfältigen Aufgaben im Sektor des öffentlichen Gesundheitswesens nachzukommen. Eine zentrale Rolle spielen die Gefahrenabwehr und die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung durch Bundesministerien, Bundesoberbehörden und weitere nachgeordnete Einrichtungen. Beispiele hierfür sind das Robert Koch-Institut (RKI) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Das RKI steuert den Infektionsschutz und liefert die Daten zur Gesundheit der Bevölkerung im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung. Die BZgA ist die Fachbehörde zur Förderung der Prävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen sowie in Bezug auf Frauen- und Männergesundheit.

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  • Mit der Steuer- und Abgabenpolitik, wie zum Beispiel der Tabaksteuer, ergeben sich weitere Eingriffs- und Einflussmöglichkeiten für den Bund auf das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung.

    In diesem Zusammenhang sollte der Entwicklung von Bundesgesundheitszielen eine zentrale Steuerungsfunktion zukommen, die bei der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG) angesiedelt ist. Im Jahr 2000 wurde eine Konsensplattform zur Formulierung nationaler Gesundheitsziele eingerichtet. Im Rahmen des Programms „gesundheitsziele.de“ wurden unter anderem sowohl Ziele mit Krankheitsbezug als auch Ziele zur Prävention und Gesundheitsförderung formuliert. Abbildung 7 gibt den Stand der Gesundheitsziele, die Zielbereiche sowie die Querschnittsanforderungen an alle Gesundheitsziele wieder. In der Regel haben die 16 Bundesländer bereits seit Anfang der 1990er Jahre weitere, eigene Gesundheitsziele auf Landesgesundheitskonferenzen festgelegt. Auf kommunaler Ebene wird dieses Instrument bisher nur geringfügig eingesetzt. Im Kontext der Hochschulen sind bisher keine organisationsspezifischen Gesundheitsziele bekannt geworden.

    Gesundheitsförderung an Hochschulen | 35

    http:gesundheitsziele.de

  • Bundesgesundheitsziele mit ihren Zielbereichen

    Bürger- und Patientenorientierung

    Prävention und Gesundheitsförderung

    Alters- und Bevölkerungsgruppen

    Krankheitsbezug

    1) Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln (2003)

    2) Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen (2003, teilakt. 2011)

    3) Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln (2006)

    4) Chronischer Rückenschmerz*

    5) Herzinfarkt*

    6) Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung und Ernährung (2003, akt. 2010)

    7) Impfen im Kindesund Jugendalter*

    8) Gesund älter werden: Autonomie erhalten, gesundheitliche, psychosoziale und pflegerische Ver-sorgung verbessern

    10) Gesundheitliche Kompetenzen erhöhen, Patientinnen- und Patientensouveränität stärken (2003, akt. 2011)

    9) Tabakkonsum reduzieren (2003)

    Querschnittsanforderungen an alle Gesundheitsziele

    Stärkung der Selbsthilfe

    Bürger- und Patientenorientierung

    Prävention auch bei Krankheitsbezug

    Evidenzbasierung

    Sektorale Verzahnung und Integration

    Gesundheitliche Chancengleichheit

    Gender Mainstreaming

    * Die Bearbeitung dieser nationalen Gesundheitsziele steht noch aus.

    Abb. 7: Die zehn Gesundheitsziele mit den vier Zielbereichen und Querschnittsanforderungen von gesundheitsziele.de Forum Gesundheitsziele Deutschland (mod. nach Klus et al. 2007; Keydel 2011; akt., Stand: 12/2012)

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    http:gesundheitsziele.de

  • Um der Zivilgesellschaft an diesen Prozessen Teilhabe zu ermöglichen, gibt es auf der Bundesebene als Nichtregierungsorganisation die Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG). Der im Jahr 1954 gegründete Verein wurde 2007 aus der Bundesvereinigung für Gesundheit (BfG) und dem Deutschen Forum für Prävention und Gesundheitsförderung (DFPG) gebildet.

    Gesundheitsförderung im Rahmen der Sozialgesetzgebung | Die Vorgaben für Prävention und Gesundheitsförderung wurden bisher nicht in einem eigenständigen Sozialgesetzbuch verdichtet. Zwei Anläufe für ein eigenes deutsches Präventionsgesetz haben im letzten Jahrzehnt keine politische Mehrheit gefunden. Inzwischen ist mit Stand vom September 2013 auch der dritte Anlauf für ein Präventionsgesetz am Votum des Bundesrats gescheitert.

    Darüber hinaus war eine einheitliche Definition der bisher sehr heterogen verwendeten Begrifflichkeiten von Prävention und Gesundheitsförderung, vorgesehen. Die Finanzierung sollte im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung sowohl auf den Schultern aller Sozialversicherungsträger als auch auf denen des Bundes, der Länder und der Kommunen verteilt werden. Auf Grund der fehlenden politischen Mehrheiten liegt die Festschreibung von Ausgaben für die gesundheitliche Prävention also weiterhin bei den gesetzlichen Krankenkassen. Der den Aktivitäten und Ausgaben zugrundeliegende „Leitfaden Prävention“ wurde im Jahr 2010 letztmals überarbeitet. Er beinhaltet sehr detaillierte Vorgaben für die zu finanzierenden Tätigkeitsfelder der gesetzlichen Krankenkassen für Prävention und Gesundheitsförderung.

    Der inhaltliche und zeitliche Gesamtzusammenhang wird in Abbildung 8 dargestellt.

    Die Sozialgesetzgebung hat eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der Gesundheitsförderung (vgl. Tab. 3). Für die derzeitige Finanzierung der gesundheitlichen Prävention und Gesundheitsförderung auf Bundesebene durch die gesetzlichen Krankenkassen (ca. 300 Millionen Euro) war die Einführung und die Novellierung des § 20 SGB V im Rahmen mehrerer Stufen der Gesundheitsreform maßgeblich. Derzeit finden sich Vor