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1 Im Ernstfall auf sich allein gestellt – gesundheitliche Eignung und medizinische Versorgung an Bord Dr. med. Philipp Langenbuch Leiter des Seeärztlichen Dienstes Dienststelle Schiffssicherheit der BG Verkehr Hafen – Schifffahrt - Transport Hamburg, 6. April 2017 Seeärztlicher Dienst Dienststelle Schiffssicherheit BG Verkehr

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Im Ernstfall auf sich allein gestellt – gesundheitliche Eignung und

medizinische Versorgung an Bord

Dr. med. Philipp Langenbuch Leiter des Seeärztlichen Dienstes

Dienststelle Schiffssicherheit der BG Verkehr

Hafen – Schifffahrt - Transport Hamburg, 6. April 2017

Seeärztlicher Dienst Dienststelle Schiffssicherheit BG Verkehr

Page 2: gesundheitliche Eignung und medizinische Versorgung an · PDF file• Zurücklegen langer Wege • Klettern und Steigen( Treppen, Leitern, Jakobsleiter) • Heben und Tragen von Lasten

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Übersicht Körperliche Anforderungen in der Seefahrt 3

Gefährdungen in der Seefahrt 4

Medizinische Versorgung an Bord 5

Seediensttauglichkeit 5 • rechtliche Grundlagen 5 • Zulassung/Controlling von Ärzten 6 • Seediensttauglichkeitsuntersuchung 6 • Beurteilung der Seediensttauglichkeit 7 • Grundsätze der Seediensttauglichkeit 7 • Dienstzweige 7 • Gültigkeit des Seediensttauglichkeitszeugnisses 7 • Widerspruchsverfahren 8 • Seediensttauglichkeitsuntersuchungen 2016 8

Medizinische Ausbildung nautischer Offiziere 9

Medizinisches Handbuch 9

Schiffsapotheke 10

Funkärztlicher Beratungsdienst 10

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Körperliche Anforderungen in der Seefahrt

Vergleich der Besatzungszahlen Marine/Kauffahrteischifffahrt:

• Zurücklegen langer Wege

• Klettern und Steigen (Treppen, Leitern, Jakobsleiter)

• Heben und Tragen von Lasten

• Sehvermögen (Decksdienst: Besatzungsmitglieder, die Schiffe steuern und Aus-guck gehen)

• Farbunterscheidungsvermögen (Decksdienst: Besatzungsmitglieder die Schiffe steuern und Ausguck gehen, Elektrotechnischer Dienst)

- Lichterführung

- Seezeichen (z.B. Tonnen)

- Seekarten

- Kabelpolung

• Hörvermögen

- Kommunikation innerhalb des Schiffes und nach außen

• Regelmäßiges Sicherheitstraining (Basic Safety)

• Stand-/Trittsicherheit

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Gefährdungen in der Seefahrt • Seegang

• Seekrankheit

• überkommende Seen

• Über-Bord-Gehen

• Ertrinken

• Unterkühlung

• Vibrationen

• Stolper- und Rutschgefahr (Schmierstof-fe, Wasser, Eis- und Schneeglätte)

• Absturzgefahr

• Lärm

• Asbest

• chemische Stoffe - Ladung, Betriebsstoffe des Schiffes

• bewegliche Teile (Seile, Ketten, Ladung)

• klimatische Einflüsse

• Infektiöse Erkrankungen - Gefahr von Infektionen durch weltweite Fahrt, wie z.B. Tuberkulose, Malaria,

Gelbfieber

• UV-Strahlung

• Selbstständige Bewältigung von Notfallsituationen (z.B. Brände, Havarien)

• Psycho-und sozialer Stress - Trennung von Familie und Freunden - Kommunikationsarmut - Isolation - Ärger im Hafen - Schlafdefizit (Schichtdienst, Jetlag, Klimawechsel, Vibrationen, Lärm) - Bewegungsmangel - blinde Passagiere - Piraterie

See-Berufsgenossenschaft 2008

Anzeigen von Berufskrankheiten See-BG 2007/2008

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Medizinische Versorgung an Bord Eine notfallmäßige Behandlung durch Ärzte oder Rettungsdienste ist nur küstennah möglich (bis ca. 150 Seemeilen, ca. 278 km). In den Küstengewässern der Bundesre-publik Deutschland wird die Luftrettung durch die Bundeswehr (SAR), die Rettung über den Seeweg durch die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) sichergestellt. Bedingt durch den Standort eines Schiffes oder die meteorologischen Bedingungen (zum Beispiel in der Nordmeerfahrt) kann die ärztliche Versorgung von erkrankten oder verunfallten Personen bis zu 2-3 Wochen dauern. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten dürfen Seeleute unter keinen Erkran-kungen leiden, die unter den Bedingungen der Seefahrt zur Notwendigkeit einer ärzt-lichen Behandlung führen könnten oder andere Besatzungsmitglieder gefährden.

Regelung der medizinischen Versorgung an Bord eines Seeschiffes: Schiffsbesetzungsverordnung (SchBesV) § 6

• Auf Schiffen mit einer Fahrtdauer von mehr als drei Tagen und mit 100 oder mehr Personen an Bord muss ein Schiffsarzt an Bord sein.

• Auf Schiffen mit mehr als 800 Personen an Bord muss ein zweiter Schiffsarzt vor-handen sein.

• Auf Schiffen mit Schiffsarzt muss ein Gesundheits- und Krankenpfleger an Bord vorhanden sein.

Seearbeitsgesetz (SeeArbG) § 109 (Internet: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/seearbg/gesamt.pdf)

• regelt, dass auf Schiffen ohne Schiffsarzt die Zuständigkeit für die medizini-sche Behandlung beim Kapitän liegt

Seediensttauglichkeit Rechtliche Grundlagen

Seearbeitsgesetz (SeeArbG) § 11: „Als Besatzungsmitglied darf nur tätig sein, wer für die von ihm zu verrichtende Tätigkeit auf See gesundheitlich tauglich (seediensttaug-lich) ist. Seediensttauglich ist, wer nach seinem Gesundheitszustand für die Tätigkeit an Bord von Schiffen geeignet und hinreichend widerstandsfähig ist und den zur Erhal-tung der Schiffssicherheit gestellten besonderen Anforderungen seines Dienstzweiges genügt. Ein Reeder darf ein Besatzungsmitglied nur tätig werden lassen, wenn dieses seediensttauglich ist.…“

Maritime-Medizin-Verordnung (MariMedV)

§ 3 Anforderungen an die Seediensttauglichkeit

„Die nach § 11, auch in Verbindung mit § 3 Absatz 4 Satz 2 bis 4, des Seearbeitsgeset-zes erforderliche Seediensttauglichkeit liegt vor, wenn die zu untersuchende Person die für den Dienstzweig, in dem sie tätig werden will, in der Anlage1 vorgesehenen ge-sundheitlichen Anforderungen erfüllt.“

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Zulassung von Ärzten

• 61 zugelassene Ärzte in Deutschland

• 9 zugelassene Ärzte im Ausland an 7 Standorten (Manila/Philippinen, Odes-sa/Ukraine, Gdynia/Polen, Tarawa/Kiribati, Rotterdam/Niederlande, Antwer-pen/Belgien, Palma de Mallorca/Spanien)

Voraussetzungen für die Zulassung

• Fachärzte/-innen für Allgemeinmedizin, Arbeitsmedizin, Innere Medizin, Chi-rurgie und/oder Anästhesiologie

• Farbsehvermögen muss gegeben sein

• mind. 4 Wochen praktische Erfahrung auf einem Seeschiff

• 4 Jahre klinische Erfahrung mit Schwerpunkt Diagnostik und Therapie von Er-krankungen mit Bezug zur Seefahrt

• Teilnahme an einem Einführungsseminar des Seeärztlichen Dienstes

Controlling/Qualitätssicherung der zugelassenen Ärzte

• Auswahl durch ein standardisiertes Verfahren

• Einweisung vor Ort

• laufende Aktualisierung der Inhalte der Schulungen

• laufendes Controlling durch das Seediensttauglichkeitsverzeichnis

• Facharztsupport für besondere Fragestellungen

Die Feststellung der Seediensttauglichkeit erfolgt ausschließlich durch den Seeärztlichen Dienst oder die durch ihn zugelassenen Ärzte. Keine Feststellung der Seediensttauglichkeit durch: Behandelnde (D-) Ärzte, Kranken-hausärzte, Betriebsärzte oder aufgrund einer EFL (Evaluation der funktionellen Leis-tungsfähigkeit) – Analyse.

Seediensttauglichkeitsuntersuchung

• Anamneseerhebung einschließlich standardisiertem Fragebogen,

• körperliche Untersuchung einschließlich Seh- und Farbunterscheidungsver-mögen (Decksdienst, Elektrotechnischer Dienst, Kanalsteurer), Hörtest,

• Laboruntersuchung, Urin Stix (Glukose, Eiweiß), ggf. ergänzende Blutuntersu-chungen, Stuhluntersuchung (Küchendienst und Bedienung),

• Röntgenuntersuchung bei Seeleuten aus Ländern mit TBC-Exposition,

• medizintechnische und fachärztliche Zusatzuntersuchungen (z.B. EKG, Lun-genfunktionsprüfung, Röntgen).

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Beurteilung der Seediensttauglichkeit

Die Beurteilung des Gesundheitszustandes und damit der Seediensttauglichkeit des Seemannes erfolgt auf der Grundlage der Maritimen-Medizin-Verordnung Anlage 1 (konform mit den IMO/ILO "Guidelines on the medical exa-minations of seafarers") unter Berücksichtigung:

• der Tätigkeit an Bord (Dienstzweig)

• der allgemeinen körperlichen Anforderungen, insbe-sondere auch im Seenotfall

• der fehlenden Möglichkeit einer ärztlichen Behand-lung über einen längeren Zeitraum

• der beim Kapitän liegenden Verantwortung

• der fehlenden Kompensationsmöglichkeit auf Grund geringer Besatzungszahlen beim Ausfall von Besat-zungsmitgliedern

Grundsätze

• Grundsatz der vollen Einsatzfähigkeit im Seenotfall

• Grundsatz der vollen Gebrauchsfähigkeit beider Hände

Dienstzweige

• Decksdienst (z.B. nautische Offiziere, Bootsmann, Matrosen, Schiffsmechaniker),

• Technischer Dienst (z.B. „Chief“, technische Offiziere, Motormänner, Oiler),

• Elektrotechnischer Dienst (Elektriker),

• Küchendienst und Bedienung (Koch, Küchenpersonal, Steward),

• übriger Schiffsdienst (z.B. Schiffsärzte, mitfahrende Ehefrauen, Künstler, Fotogra-fen),

• Kanalsteurer (ausschließlich Steuermänner auf dem Nord-Ostsee-Kanal).

Gültigkeit des Seediensttauglichkeitszeugnisses

• 2 Jahre für alle Dienstzweige

• 1 Jahr für Jugendliche (< 18 Jahre)

• Einschränkungen (z.B. Dauer, Fahrtgebiet) möglich

• bei Ablauf während einer Reise weiter Gültigkeit bis zum nächsten Hafen, in dem Untersuchung durch qualifizierten Arzt möglich ist, längstens jedoch drei Monate

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Widerspruchsverfahren

Zusammensetzung des Widerspruchsausschusses:

• Vorsitzender (Jurist)

• Arzt des Seeärztlichen Dienstes (darf die Untersuchung nicht selbst durchgeführt haben)

• Beisitzer aus der Berufsgruppe des Betroffenen

Widerspruchsverfahren

• mündliche Verhandlung

• Widerspruchsführer hat die Möglichkeit sich zu äußern

• Beschluss mit Stimmenmehrheit

• für den Widerspruchsführer gebührenfrei

Seediensttauglichkeitsuntersuchungen 2016

2016 wurden weltweit 16.730 Seediensttauglichkeitsuntersuchungen durch 66 zuge-lassene Ärzte durchgeführt:

• in 406 Fällen (= 2,4%) Feststellung der Seedienstuntauglichkeit (2015: 2,3%, 2014: 2,6%, 2013: 3,2%, 2012: 3,4%, 2011: 3,3%, 2010: 3,2%)

• 1 Widerspruchsverfahren (= 0,25%)

• 0 Klageverfahren

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Medizinische Ausbildung nautischer Offiziere Medizinische Ausbildung von Schiffsoffizieren während des nautischen Studiums

• 4 wöchiger theoretischer Lehrgang mit praktischen Übungen (z.B. Anlegen von Verbänden, Injektionen, Wiederbelebung, Nähen von Wunden, Schienen von Frakturen)

Wiederholungslehrgänge im 5-Jahresintervall

• Großer Lehrgang (40 Std.) • Kleiner Lehrgang (16 Std.) • max. 18 Teilnehmer • theoretischer Teil durch Ärzte • Lehrinhalte und Lernziele Anlage 4 MariMedV • Ausstattung Anlage 5 MariMedV • Zulassung durch BG Verkehr • Befristung auf 5 Jahre

Qualitätssicherung

• durch den Seeärztlichen Dienst (BG Verkehr)

• Evaluation nach jedem Lehrgang

• Stichprobenartige Wissensprüfung durch anonymisierte Fragebögen

Medizinisches Handbuch „Anleitung zur Krankenfürsorge auf Kauffahrteischiffen“

• Herausgeber: Seeärztlicher Dienst der Dienststelle Schiffs-sicherheit der BG Verkehr

• 1. Ausgabe 1888 durch das kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin

• medizinischer Leitfaden an Bord

• Grundlage für die medizinische Ausbildung der Schiffsoffi-ziere und Wiederholungslehrgänge

• Nummerierung der in der Anleitung aufgeführten Medika-mente und Hilfsmittel, unter der diese in der Schiffsapo-theke eingeordnet sind

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Schiffsapotheke • Der Inhalt wird durch den Ausschuss für

medizinische Ausstattung in der Seeschiff-fahrt festgelegt (§ 108 SeeArbG), der min-destens einmal im Jahr tagt.

• Ständige aktuelle Anpassung an den medi-zinischen Kenntnisstand und Bedarf an Bord.

• Der Aufbau des Apothekenschrankes ist einheitlich vorgeschrieben.

• Einheitliche Nummerierung der Medika-mente/Hilfsmittel nach Indikationsgebiet.

• Dokumentation der Medikamentenausgabe im Behandlungs- und Betäubungs-mittelbuch.

• Überprüfung des Inhaltes jährlich durch die Reedereien unter Mitwirkung der schiffsausrüstenden Apotheke

Funkärztlicher Beratungsdienst Telemedical Maritime Assistance Service = TMAS

• Zuständig: Seeärztlicher Dienst der BG Verkehr

• seit 1931 dem Krankenhaus Cuxhaven übertragen

• Beratung durch Fachärzte verschiedener Disziplinen

• dringend erforderlich für Schiffe ohne Arzt

• auch Beratung für Schiffe die nicht unter deutscher Flagge fahren (ca. 30%)

• Beratung gebührenfrei, Kostenträger BMVBS