geschichte der tierärztlichen forschung in zürich mit ... · der zunahme der dozenten- und...

13
Geschichte der tierärztlichen Forschung in Zürich mit besonderer Berücksichtigung der letzten 50 Jahre Von W. FREI Die Geschichte der tierärztlichen Forschung in Zürich ist eng verbunden mit der Gründung der tierärztlichen Lehranstalt im Jahre 1820, und mit ihrer Entwicklung, besonders seit der Eingliederung in die Universität im Jahre 1901. Trotz der hochgradigen Beanspruchung der in den ersten Jahr- zehnten sehr wenigen Lehrer wird aus jener Zeit von allerlei Forschungen vornehmlich über Tierseuchen, z. B. von Übertragungsversuchen mit Maul- und Klauenseuchematerial, von Rotz auf einen Ziegenbock (WIRTH 1839 und 1843) berichtet. Die Bedeutung der jungen Anstalt lag, abgesehen von ihrer Lehrfunktion, hauptsächlich auf praktischem Gebiet: Einzelbehand- lung von Tierkrankheiten im Tierspital, insbesondere aber beratende Mit- wirkung bei der Seuchenbekämpfung, welche ein Hauptmotiv der Grün- dung war. Mit der Zunahme der Lehrkräfte wurden die Möglichkeiten der Forschungen verbessert. Diese nahmen aber erst in den neunziger Jahren einen deutlichen Aufschwung und weiterhin mit der Einverleibung der tierärztlichen Lehranstalt als veterinär-medizinische Fakultät in die Uni- versität und dem damit verbundenen Promotionsrecht, welches alsbald von Lehrern und in- und. ausländischen Tierärzten benutzt wurde. Jetzt konnten die Doktoranden zur Bearbeitung von Problemen herangezogen werden. Die in Zürich zutage geförderten Forschungsresultate stammen in erster Linie von der Lehranstalt. Hingegen haben auch die Tierärzte des Schlacht- hofes Zürich, einige Privattierärzte, in neuerer Zeit auch das kantonale Ve- terinäramt und die tierärztlichen Mitarbeiter von Privatfirmen zur Mehrung unserer Kenntnisse beigetragen. Die Mittel wurden meistens vom Staat, teilweise aber auch von Privaten und den verschiedenen Stiftungen der Universität zur Verfügung gestellt. Waren die anfänglichen Forschungen fast ausschliesslich rein praktischen Fragen gewidmet, so kamen mit der Differenzierung der Tiermedizin und der Zunahme der Dozenten- und Assistentenzahl immer mehr sog. theo- retische Themata zur deskriptiven oder experimentellen Untersuchung. Die bearbeiteten Probleme finden sich auf ungefähr allen Gebieten der tierärztlichen Wissenschaft uHd Praxis, also Anatomie, Physiologie, innere Medizin, besonders Infektionskrankheiten, Chirurgie und Pharmakologie, Tierzucht, Hygiene, Fleisch- und Milchkunde. Die Tiermedizin gehört, wie die andern medizinischen Disziplinen, in den Kreis der Naturwissenschaften und ihre Vertreter in Zürich sind sich dessen stets bewusst geblieben (wie u. a. Vorträge in der Naturforschenden 414

Upload: buikhanh

Post on 17-Sep-2018

214 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Geschichte der tierärztlichen Forschung in Zürichmit besonderer Berücksichtigung der letzten

50 JahreVon

W. FREI

Die Geschichte der tierärztlichen Forschung in Zürich ist eng verbundenmit der Gründung der tierärztlichen Lehranstalt im Jahre 1820, und mitihrer Entwicklung, besonders seit der Eingliederung in die Universität imJahre 1901. Trotz der hochgradigen Beanspruchung der in den ersten Jahr-zehnten sehr wenigen Lehrer wird aus jener Zeit von allerlei Forschungenvornehmlich über Tierseuchen, z. B. von Übertragungsversuchen mit Maul-und Klauenseuchematerial, von Rotz auf einen Ziegenbock (WIRTH 1839und 1843) berichtet. Die Bedeutung der jungen Anstalt lag, abgesehen vonihrer Lehrfunktion, hauptsächlich auf praktischem Gebiet: Einzelbehand-lung von Tierkrankheiten im Tierspital, insbesondere aber beratende Mit-wirkung bei der Seuchenbekämpfung, welche ein Hauptmotiv der Grün-dung war. Mit der Zunahme der Lehrkräfte wurden die Möglichkeiten derForschungen verbessert. Diese nahmen aber erst in den neunziger Jahreneinen deutlichen Aufschwung und weiterhin mit der Einverleibung dertierärztlichen Lehranstalt als veterinär-medizinische Fakultät in die Uni-versität und dem damit verbundenen Promotionsrecht, welches alsbald vonLehrern und in- und. ausländischen Tierärzten benutzt wurde. Jetzt konntendie Doktoranden zur Bearbeitung von Problemen herangezogen werden.

Die in Zürich zutage geförderten Forschungsresultate stammen in ersterLinie von der Lehranstalt. Hingegen haben auch die Tierärzte des Schlacht-hofes Zürich, einige Privattierärzte, in neuerer Zeit auch das kantonale Ve-terinäramt und die tierärztlichen Mitarbeiter von Privatfirmen zur Mehrungunserer Kenntnisse beigetragen. Die Mittel wurden meistens vom Staat,teilweise aber auch von Privaten und den verschiedenen Stiftungen derUniversität zur Verfügung gestellt.

Waren die anfänglichen Forschungen fast ausschliesslich rein praktischenFragen gewidmet, so kamen mit der Differenzierung der Tiermedizin undder Zunahme der Dozenten- und Assistentenzahl immer mehr sog. theo-retische Themata zur deskriptiven oder experimentellen Untersuchung.Die bearbeiteten Probleme finden sich auf ungefähr allen Gebieten dertierärztlichen Wissenschaft uHd Praxis, also Anatomie, Physiologie, innereMedizin, besonders Infektionskrankheiten, Chirurgie und Pharmakologie,Tierzucht, Hygiene, Fleisch- und Milchkunde.

Die Tiermedizin gehört, wie die andern medizinischen Disziplinen, inden Kreis der Naturwissenschaften und ihre Vertreter in Zürich sind sichdessen stets bewusst geblieben (wie u. a. Vorträge in der Naturforschenden

414

Gesellschaft zeigen). Ausserdem hat auch sie die Pflicht, die jungen Leuteso auszubilden, dass sie sich nachher eine Praxis und ein Auskommenschaffen können. Der Tierarzt muss — im Gegensatz zum Humanmedi-ziner — sich schon von allem Anfang an in anatomischer und funktionellerRichtung hinsichtlich des normalen und des krankhaft gestörten Lebensmit einer Mehrzahl von Tierarten befassen. Diese Vielheit und Vielgestal-tigkeit der Objekte ist einerseits sowohl für den Studenten wie für denPraktiker eine Belastung, eröffnet aber biologisch wichtige Ausblicke inallgemeiner und vergleichender Richtung in Anatomie, Physiologie undPathologie.

Wie anderwärts, so hat sich auch in Zürich die tierärztliche Ana-tomie immer und immer wieder vor die Probleme der allgemeinen undvergleichenden Morphologie gestellt gesehen. Den Anfang der Forschungenmacht (1892) eine durch Untersuchungen von Roux und MEYER am Men-schen und von EICHBAUM am Pferd angeregte grundlegende, mit dem Preisder Stiftung Schnyder von Wartensee ausgezeichnete Schrift von E. ZSCHOKKEüber die Statik und Mechanik des Vertebratenskelettes. Darin ist, auf-bauend auf der graphischen Statik von RITTER, die Struktur des Röhren-knochens nach Zug- und Drucktrajektorien dargestellt, wonach in denLinien bzw. Flächen grösster Beanspruchung die Ablagerung von Knochen-material erfolgt. Die Beziehungen zwischen der Wirbelsäule und den Ex-tremitäten werden als solche einer Gitterbrückenkonstruktion auf Pfeilernerkannt. An einem Pferdeskelett, in welchem die Bänder durch Drähteersetzt waren, demonstrierte ZSCHOKKE an der Landesausstellung von 1889,dass das Pferd ohne Muskelanstrengung stehen kann.

Trotz der grossen Ähnlichkeit, man möchte beinahe sagen absolutenIdentität, der Herzfunktion bei den verschiedenen Tierarten zeigen sichbei genauerem Zusehen doch ganz merkwürdige Unterschiede im anato-mischen Bau, deren physiologische Bedeutung nicht ohne weiteres ersichtlichist (ACKERKNECHT, SEIFERLE). Grössere Unterschiede weist der Verdauungs-apparat auf. Den Forscher wie den Laien fesseln die Art- und Rassen-verschiedenheiten des Gebisses (ZSCHOKKE, ACKERKNECHT, SEIFERLE). Hier han-delt es sich, z. B. in gerichtlichen Fällen, nicht nur darum, an einem Ge-biss oder Teilen desselben, z. B. an einem einzelnen Zahn, die Artzuge-hörigkeit, sondern auch die Rasse und, bei lebendigen oder toten Tieren,das Alter zu erkennen. Eine gründliche Durcharbeitung erfuhr ein inZürich entdecktes rudimentäres, anscheinend drüsiges Mundhöhlenboden-organ (ACKERKNECHT und Mit.). Mit den auffallenden Besonderheiten desMagens und des Dickdarmes bei den Pflanzenfressern hat sich in ent-wicklungsgeschichtlicher Richtung P. MARTIN befasst.

Die Verschiedenheiten der Fortpflanzung und der Fortpflanzungsorganebei den verschiedenen Tierarten sind in die Augen springend. Die Er-forschung der Normalanatomie, der Physiologie und der Erkrankungendieses Organsystemes muss in der Schweiz als einem prominenten Rinder-zuchtland Wissenschafter und Praktiker besonders locken. Die Ähnlich-

415

keiten und Unterschiede, insbesondere die Beziehungen zwischen Brunstund Menstruation hat besonders ZIETZSCHMANN herausgearbeitet und diemorphologischen Periodizitäten in Eierstock und Uterus bei den oligöstri-schen und polyöstrischen Tieren mit denjenigen des menschlichen Sexual-zyklus verglichen (1921). Dabei hat sich gezeigt, dass in der Abfolge Pro-östrum, Ostrum, Metöstrum und Diöstrum bei allen Tierarten grundsätz-liche Ähnlichkeit besteht. Verschiedenheiten zeigen sich nur in der Dauerder einzelnen Abschnitte. Das Diöstrum, d. h. die Periode der anatomischenund funktionellen Rückbildung im Genitalapparat, verläuft im Uterus desMenschen abrupt unter dem Bild des Zusammensturzes (Menstruation), beiden Tieren aber langsam und unmerklich. Da beim Menschen die Men-struation, beim Tier aber der Östrus (Brunst) das äusserlich auffälligsteEreignis in der Sexualperiodizität ist, hat sich die Nomenklatur nach diesenFixpunkten gerichtet. Eine Anzahl von Untersuchungen aus dem anato-mischen Institut befasst sich vergleichsweise mit der makroskopischenund mikroskopischen Anatomie des Eierstockes und des Uterus (ZSCHOKKE,ZIETZSCHMANN, ACKERKNECHT, SEIFERLE, HÖFLIGER). Hier sind auch die ausge-dehnten Untersuchungen des Zoologen M. KUPFER über die Makromorphologiedes Ovariums von Rind, Schaf, Pferd und Schwein im Verlauf des Sexual-zyklus zu nennen. In mustergültigen farbigen Abbildungen sind die periodi-schen Änderungen der weiblichen Keimdrüse ein für allemal festgehalten.

Auch das Zentralnervensystem hat sich verschiedentlich besondererBeachtung erfreut, wiederum in vergleichend-anatomischer Richtung (ACKER-KNECHT, SEIFERLE). Von hier aus ist ein kleiner Schritt zur Psychologie derTiere (Seiferle), welche von Tierärzten intensiver bearbeitet werden sollte,da sie am kranken Tier wichtige Äusserungen beobachten können, welcheandern Untersuchern und Experimentatoren verschlossen sind.

Das Äussere der Tiere, die Haut mit ihrer Behaarung und insbesonderedie so verschieden gebauten Extremitätenenden (Hufe, Klauen, Krallen)haben teils rein theoretisch (Einfluss der Domestikation), teils aus prak-tischen Erwägungen heraus (Beschlag, Abnützung der Hufe und Klauenbei Arbeit auf Strassen und in weichem Gelände, Fälschung von Haar-farben) in Zürich immer Interesse gefunden (ZIETZSCHMANN, ACKERKNECHT,SEIFERLE, HÖFLIGER, ZWICKY und ALMASY).

In engstem Zusammenhang mit dem Fortpflanzungsapparat steht dieMilchdrüse, besonders diejenige der Kuh, deren durchschnittliche Leistungdurch geeignete Zuchtwahl, Haltung und Fütterung in der Schweiz bisheute auf 3600 bis 4000 kg Milch pro Jahr bzw. pro Laktationsperiodegebracht werden konnte (Spitzenleistungen liegen bedeutend höher). Voneiner vollständigen Durchforschung insbesondere der funktionellen Ana-tomie und Chemie dieses Organes sind wir sogar noch beim Rind ziemlichweit entfernt. Ein Beitrag zu diesem Problem ist auch in Zürich geleistetworden (ZIETZSCHMANN).

Die Beschäftigung mit der Entwicklungsgeschichte des Individuums prä-destiniert den Anatomen zum Missbildungsforscher. Material aus allen

416

Landesteilen und von verschiedensten Tierarten wird insbesondere auchvon Laien, welche sich seit altersher von gerade diesen Abnormitäten sehrbeeindrucken lassen (mehr als von dem viel wunderbareren konstantenNormalen), einer tierärztlichen Lehr- und Forschungsanstalt immer zuge-schickt. Es ist infolgedessen nicht verwunderlich, dass sich unsere Ana-tomen mit der Morphologie und Genese der Missbildungen immer wiederabgegeben haben (ZIETZSCHMANN, ACKERENECHT, SEIFERLE, HÖFLIGER).

Bei zahlreichen Untersuchungen ist man auf Unterschiede zwischen demanatomischen Bau von Organen bei Wildtieren und Haustieren gestossenund damit auf die Frage des Einflusses der Domestikation auf Gestaltund Funktion.

Neben der Anatomie und insbesondere den klinischen Disziplinen wardie Physiologie stets bescheiden mit Mitteln ausgestattet und zudembis 1905 in Personalunion mit der Anatomie, so dass bis vor wenigenJahren — tierphysiologische Forschungen an Haustieren nur nebenbeibetrieben werden konnten. Die normale (und pathologische) Hämatologieder Haustiere fand im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts mit physikalisch-chemischen Methoden Bearbeitung (H. ZANGGER u. Mit.), zu einer Zeit, dadiese gerade Eingang in die Medizin gefundeu hatten. Besonders wurdedie Viskosität von Blut und Serum und ihre Beziehungen zu verschiedenenKrankheiten der Tiere untersucht. KRUPSEI, ALMASY u. Mit. ermittelten in Zürichsowie im Hochgebirge (z. T. auf dem Jungfraujoch) in grösseren Unter-suchungsreihen hämatologische Vergleichsdaten über den Sahli-Wert, dieLichtextinktion, die Sauerstoff- und Kohlenoxyd-Kapazität sowie das roteund weisse Blutbild bei Mensch, Pferd, Rind und Ziege unter besondererBeachtung des Anämieproblems. Die Lichtextinktion des Oxyhämoglobinsuntersuchte ALMASY. Gründliche Studien befassten sich unter H. ZANGGER'SLeitung mit den physikalisch-chemischen Eigenschaften normaler und pa-thologischer Kuhmilch. Ein Grundprozess der Gewebsphysiologie, die Dif-fusion von Elektrolyten erfuhr eine physiko-chemische Bearbeitung durchALMASY.

Untersuchungen über das Elektrokardiogramm von Kleintieren (Kanin-chen, Meerschweinchen) sowie von Pferd und Rind haben an sich zwarnichts grundsätzlich Neues gebracht, sind aber eine notwendige Basis fürdie Diagnose der nicht allzu seltenen Herzkrankheiten beim Pferd undandern Tieren. Veränderung des Elektrokardiogramms wurden festgestelltbei tuberkulösen Rindern und Meerschweinchen (H. SPÖRRI). Heute ist dieElektrokardiographie eine bei Herzkrankheiten der Tiere in der stationärenKlinik stets herangezogene unentbehrliche diagnostische Methode.

Die pathologische Anatomie hat für die praktischen Tierärzteeine grössere Bedeutung als für die Humanmediziner, einmal weil jeneöfters in die Lage kommen, Sektionen zu machen, wobei insbesondere diepathologisch-anatomische Diagnose von Infektionskrankheiten hinsichtlichder Behandlung weiterer Tiere der näheren oder weiteren Umgebungwichtig ist. Zum ändern ist sie eine wichtige Grundlage der Fleischbeschau.

27 417

Die Gelegenheit häufiger pathologisch-anatomischer Beobachtungen an ein-zelnen Organen und an den Leichen gestorbener und notgeschlachteter Tierebringt es bei uns mit sich, dass nicht nur der pathologische Anatom, sondernauch der Bakteriologe und der Kliniker sich immer wieder mit pathologisch-anatomischen Forschungen abgeben und so ihre Kenntnisse über die Be-ziehungen zwischen funktionellen Störungen und morphologischen Ver-änderungen, im weiteren Sinne zwischen Funktion und Form, Ursache undKrankheit, vertiefen. So entstanden zahlreiche Publikationen über Krank-heiten des Bewegungsapparates (ältere: BERDEZ, R. ZANGGER, seit 1910ZSCHOKIKE, RUSTERHOLZ, LEUTHOLD, HEUSSER), des Atmungsapparates (ZSCHOI{IiE,BÜRGI u. Mit.), verschiedene Seuchen (ältere: WIRTH, MICHEL, BOLLINGER, R.ZANGGER u. a., seit 1900: ZSCHozxE, FREI). Ein Heer von Krankheiten unsererverschiedenen Haustierarten wartet auf gründliche wissenschaftliche Durch-forschung im Rahmen der allgemeinen und vergleichenden Pathologie so-wie auf Anweisungen für Behandlung oder Verhütung. Organkrankheitenverlaufen grundsätzlich bei allen Tieren unter sich und beim Menschenähnlich, zeigen aber doch wieder Verschiedenheiten, welche bedingt sinddurch Besonderheiten des anatomischen Baues. Es sei hier nur auf dieEigenarten des Verdauungsapparates bei Pflanzenfressern, Fleischfressernund bei den Vögeln hingewiesen, ferner auf die Unterschiede in der Fort-pflanzung nicht nur der Haussäuger unter sich, sondern dieser letzterngegenüber den Vögeln.

Eine grosse Anzahl von In f e k t i o n s k r a n k h e i t e n kommt nur beiTieren, u. U. auch nur bei ganz bestimmten Tierarten vor, die Erregeranderer sind auf den Menschen übertragbar. Hier ist der Zoonosen be-kämpfende Tierarzt zugleich Beschützer der Gesundheit der Menschen.Zusammen mit den Praktikern hat die tierärztliche Lehr- und Forschungs-anstalt in Zürich durch Beratungen und Seuchendiagnostik im stillen Tagfür Tag im Dienste der menschlichen Gesundheit gewirkt. Konform mitdem Hauptmotiv der Schaffung einer kantonalen tierärztlichen Lehranstalt,nämlich der Seuchenbekämpfung, haben sich die Dozenten von allem An-fang an bis auf den heutigen Tag mit der Erforschung der Ätiologie undPathogenese, der Klinik und pathologischen Anatomie, der Heilung undVerhütung der Infektionskrankheiten der Tiere befasst. Diesem Umstandund der Beratung der Organe der staatlichen Bekämpfung ist es zu einemTeil zu verdanken, dass wichtige Seuchen (Rinderpest, Lungenseuche desRindes, Rotz, Tollwut), welche im letzten Jahrhundert noch grossen Schadenstifteten, verschwunden, andere (Milzbrand, Schweinerotlauf, neuerdingsTuberkulose, Rauschbrand u. a.) stark zurückgegangen sind. Gerne sei hieranerkannt, dass die Übernahme und Anwendung theoretisch-experimen-teller Forschungsergebnisse aus der Schwestermedizin in der Ausarbeitungvon Bekämpfungsmethoden in der Tiermedizin befruchtend gewirkt hat.

Im Schweizer Archiv für Tierheilkunde finden sich von Anfang an Ar-beiten über damals besonders wichtige Tierseuchen, z. B. über Lungen-seuche von WIRTH 1826 und später, ERNST 1831, IRMINGER 1835, GATTIKER 1838,

418

R. ZANGGER 1865, über Rinderpest von R. ZANGGER und BOLLINGER 1873, übergelben Galt von GATTIKER und BRENNWALD 1848, R. ZANGGER 1854, über Maul-und Klauenseuche von WIRTH 1839, R. ZANGGER 1865, HIRZEL 1883, überMilzbrand von E. ZSCHOKKE 1883, über Tuberkulose von R. ZANGGER 1873,E. ZSCHOKKE 1883, über Rotz von WIRTH 1844, KRAMER 1846, R. ZANGGER 1856und später über Schweinerotlauf von WIRTH 1845, über Tollwut von MICHEL1831 und später, LEHMANN (Kuh) 1850, R. ZANGGER 1865.

Unter den Infektionskrankheiten des Rindes haben die durch Strepto-kokken, Staphylokokken, Pyogenesbazillen, seltener durch andere Mikro-organismen, erzeugten Entzündungen der Milchdrüse in Zürich immerUntersucher gefunden, seitdem 1885 ein kleines bakteriologisches Institutgeschaffen und 1900 erweitert wurde (ZscuoKKE). An der Erforschung derMorphologie und der Wachstumsbedingungen der die sehr häufige Euter-krankheit «gelben Galt» erzeugenden Streptokokken hat sich die ZürcherSchule schon in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts wesentlich mit-beteiligt (ZSCHOKKE u. Mit.), ebenso an der Untersuchung der durch diesenErreger gesetzten pathologisch-histologischen Veränderungen der Milch-drüse. Die Schwierigkeiten der Heilung führten zur Ausprobung verschie-dener physikalischer und arzneilicher Behandlungsmethoden (RUSTERHOLZ,ANDRES, SCHNORF).

Die Bekämpfung der Tuberkulose des Rindes liegt z. T. in privater Hand,z. T. ist sie eine Aufgabe des Eidg. Veterinäramtes und der Kantonstier-ärzte. Es ist das Verdienst des Kantons Zürich (H. BAER), schon seit län-gerer Zeit und als erster in der Schweiz ein Tuberkulosebekämpfungs-verfahren durchgeführt zu haben.

Immer und immer wieder haben die Anämien des Pferdes die Aufmerk-samkeit auch der schweizerichen Forscher auf sich gezogen. Die morpho-logischen und chemischen Veränderungen des Blutes wurden untersucht.Die Ätiologie ist nicht einheitlich. Während grosse Pferdeansammlungen,z. B. im Militärdienst im Verlauf des Krieges, die Ausbreitung der an-steckenden Virusanämie begünstigen, spielen zu andern Zeiten andere Er-reger, z. B. okkulte Streptokokkenherde, eine Rolle (KRUPsKI). Es wäremöglich, dass bei solchen Fokalinfektionen die intermittierenden Erkran-kungen auf Allergie beruhten. Die Diskussion über diese Streitfragen istnoch nicht abgeschlossen. Die Entscheidung wird dadurch erschwert, dassder Nachweis des Anämievirus nur durch experimentelle Übertragung aufdas kostspielige Versuchstier Pferd einwandfrei geleistet werden kann.

Im Jahre 1944 erkrankten in Zürich und Umgebung zahlreiche Hundean Stuttgarter Hundeseuche, auch Hundetyphus genannt. Wahrscheinlichhandelte es sich auch hier um eine Leptospirose (Leptospira canicola), dain der Zürcher Kleintierklinik (HEUSSER u. Mit.) mikroskopisch die Erregerin manchen Fällen gefunden wurden und das Serum aller PatientenLeptospiren agglutinierte. Die ITbertragbarkeit auf den Menschen wurdeneuerdings durch ein unfreiwilliges Experiment eines Klinikers demon-striert.

419

Zu den wichtigsten Krankheiten in der Schweiz gehören die Störungender Fortpflanzung beim Rind. Zu ihrer Erforschung, Verhütung und Be-hebung müssen klinische, pathologisch-anatomische, bakteriologische Un-tersuchungen durchgeführt und die neueren Ergebnisse der Hormon® undVitaminforschung sowie derjenigen über Mangelkrankheiten herangezogenwerden. Im Jahre 1900 gab ZSCHOKKE sein Buch über die Unfruchtbarkeitdes Rindes heraus, welches erstmals den gesamten Problemkomplex zu-sammenfasste. Es ist dies vielleicht das erste dieses Thema behandelndeBuch in Europa. Später erschienen über denselben Gegenstand zwei wei-tere Werke von dem Berner E. HEss und dem Dänen ALBRECHTSEN. Hessbetrachtete zystöse Entartung der Eierstöcke, Albrechtsen Erkrankungender Gebärmutter als Hauptursache der Sterilität des weiblichen Rindes,und die Anhänger der beiden Doktrinen konzentrierten die Behandlungauf die Ovarien bzw. auf den Uterus. An Hand von Untersuchungen amGenitalapparat von etwa 550 Kühen konnte dann KRUPSKI (1915) zeigen,dass auch in der Schweiz die Uteruskrankheiten sehr verbreitet sind. DieBehandlung hat infolgedessen entweder am Eierstock oder bzw. und amUterus einzusetzen. Aber auch das kann nicht genügen. Es müssen viel-mehr die Störungen der inneren Sekretion des Hypophysenvorderlappens,der Ovarien und des Endometriums bzw. der Plazenta neben den ana-tomischen Veränderungen des Genitalapparates in Betracht gezogen werden.Die ganze Sterilitätslehre und die Therapie müssen also auf eine hormo-nale Basis gestellt werden. (W. FREI und Mit., F. GRÜTER, STÄHEL1 u. a.) Manhat infolgedessen wie andernorts auch in Zürich in geeigneten Fällen dieSterilität mit Hormonen des Hypophysenvorderlappens bzw. des Ovariumszu behandeln angefangen (ANDRES, H. SPÖRRI). Die Beziehungen zwischenendokrinen Störungen und Empfänglichkeit des Genitalapparates für In-fektionserreger sind noch sehr wenig bekannt. Hingegen weiss man, dassübermässige Milchproduktion dann, wenn die Bedürfnisse der Drüse nichtdurch qualitativ und quantitativ geeignetes Futter gedeckt sind, insbe-sondere in Gemeinschaft mit unhygienischer Haltung, mit Mineral-. undVitaminmangel Disposition für Infektionen des Genitalapparates (und derMilchdrüse) schafft.

Von besonderem Interesse und grosser praktischer Bedeutung infolgeihrer weiten Verbreitung ist die Infektion mit Brucella abortus Bang beimRind und mit Brucella abortus suis beim Schwein. Der nicht seltene Über-gang dieser Mikroorganismen auf den Menschen wurde auch in Zürichund Umgebung beobachtet und gab Veranlassung der Zusammenarbeitdes Humanmediziners mit dem Veterinär (LÖFFLER, NAGEL, FREI). Seit etwa10 Jahren wird insbesondere von Frankreich aus (Mousse) die These ver-fochten, der Hauptfaktor für die Ansiedlungsmöglichkeit des Bang'schenBazillus im Rinderorganismus sei . der Mangel an E-Vitamin. In der Tatwerden. E-haltige Präparate in der Praxis zur Verhütung des Abortus sehrhäufig verwendet. Zur einwandfreien Feststellung der Beziehungen zwischenE-Mangel und Infektionsresistenz sind z. Z. Untersuchungsserien im Gang

420

bzw. abgeschlossen: einmal wird der Tocopherolgehalt im Blut von ver-schiedenartig gefütterten Rindern untersucht (ANDRES u. Mit.), andererseitshat sich gezeigt, dass experimentell E-los gefütterte Meerschweinchengegenüber dem Bangbazillus u. a. Mikroorganismen anfälliger sind (FREIu. Mit.). Neben dem Bang'schen Bazillus sind Trichomonaden wichtigeAbortusursachen. Nachdem ihre Existenz in der Schweiz überhaupt fest-gestellt war (W. PFENNINGER), konnten ihre Lebensweise und ihre Lebens-bedingungen in der künstlichen Kultur (RIEDMÜLLER u. Mit.) und die patho-logisch-anatomischen und klinischen Erscheinungen am infizierten Tier(STAUB) untersucht und Angaben für ihre Behandlung und Bekämpfunggemacht werden. Vielerorts, besonders in Laienkreisen, wird an der allei-nigen ätiologischen Bedeutung des Bang'schen Bazillus und der Tricho-monaden beim Abortus des Rindes gezweifelt, und es werden andereFaktoren als Ursachen des Verwerfens in den Vordergrund geschoben,z. B. kaltes Futter, Überanstrengung, Erschrecken durch Hundegebell undinsbesondere Gewehr- und Artilleriefeuer. Dieser theoretisch wohl mögliche ,.praktisch aber sozusagen nie in Betracht kommenden Ätiologie, dem sog.Schreckabortus, wurde durch eine eingehende Untersuchung der Bodenentzogen (ANDRES).

Die Bakteriologie liefert dem Zytologen leicht zu handhabendesForschungsmaterial, während die Infektionslehre dem physiologischen Che-miker Aufgaben stellt. Zu den theoretisch-zytologisch und medizinisch-praktisch gleich interessanten Problemen gehört die chemische Desinfektion,die physikalische Chemie der Zelltötung. Hier handelt es sich zunächst umdie Verteilung eines Giftes zwischen der Bakterienzelle einerseits und demMedium und den darin gelösten und suspendierten Substanzen andererseitsnach Massgabe von chemischen, Lösungs- und Adsorptionsaffinitäten. DieseProbleme wurden besonders untersucht mit Kresolseifenpräparaten (W. FREIu. Mit. 1914 1919). Durch geeignete Verschiebungen des pH, durch Zusätzevon Elektrolyten wird die Löslichkeit des Kresols in Wasser erniedrigt, wo-durch eine Anreicherung des Mittels in den Bakterien und eine Verstärkungder Desinfektionswirkung erzielt wird. Alkohol erhöht die Löslichkeit desKresols im Medium und setzt den Desinfektionseffekt herab. Bei Kombinationvon zwei Desinfektionsmitteln kann gegenseitige Verstärkung oder auchAbschwächung der Wirkung eintreten (KRUPSKI 1915).

Ein Problem, welches jeden, der sich mit Infektionskrankheiten befasst,immer wieder beschäftigt, ist die biologische Chemie der Mikroorganismenim Glas einerseits und im Tierkörper andererseits. Die Frage, wieso imlebendlgen Gewebe sowohl obligate Aerobier wie Anaerobier gedeihenkönnen, wurde auch in Zürich bearbeitet. Zunächst wurde gefunden, dassdas Atmungssystem der obligaten Anaerobier bedeutend einfacher ist alsdas der Halbanaerobier und der Aerobier. Die ersteren besitzen nämlichweder Cytochrom noch Oxydasen, Peroxydasen oder Katalasen, sondernnur Dehydrasen. Je aerober ein Mikroorganismus ist, d. h. je mehr erSauerstoff als Wasserstoffakzeptor verwenden kann, desto komplizierter

421

ist sein Atmungssystem. Die obligat aeroben Bakterien verfügen ausserüber Dehydrasen über die zur Sauerstoffoxydation notwendigen Enzymeund Überträgersubstanzen (Cytochrom, Oxydasen, Katalasen und Per-oxydasen und vielleicht noch andere), ähnlich also in dieser Beziehungden Zellen des Tierkörpers. Durch Veränderung des Oxydoreduktionspo-tentials mit Hilfe der zugleich als Nährstoff dienenden Aminosäure Cysteingelingt die Züchtung obligater Anaerobier bei Sauerstoffzutritt im Glas(FREI, RIEDMÜLLER und ALMASY, HALL). (In weiterer Verfolgung dieser Ideengelang die Massenzüchtung der für die Tiermedizin wichtigen anaerobenBakterien — Cl. septicum, Cl. Novyi und Cl. chauvoei — und die Herstellungeines aktiv immunisierenden Impfstoffes gegen alle drei Infektionen.)Durch diese und die Befunde anderer Untersucher wird gezeigt, dass jenach dem Redoxpotential im Gewebe aerobe oder anaerobe Mikroorganismensich ansiedeln können. Günstig für Aerobe ist reichliche Sauerstoffver-sorgung, günstig für Anaerobe Sauerstoffwegnahme oder dann Anwesen-heit reduzierender Substanzen (z. B. in Nekroseherden, Infarkten). Die In-fektionskrankheit ist in letzter Linie die Folge einer chemischen Aus-einandersetzung der Mikroorganismen mit dem Tierkörper, für den letz-teren ein Komplex lokaler und allgemeiner funktioneller und morphologischerVorgänge bzw. Zustände, unter denen neurovegetativ-hormonal gesteuerteRegulationen und besonders auf die Bekämpfung der Erreger und ihrerProdukte gerichtete Unternehmungen von Wichtigkeit sind. Die Bedeutungdes vegetativen Nervensystems für die Abwehrbereitschaft des Gewebesvor und nach erfolgter Infektion ist daher ein zentrales Problem der In-fektions- und Immunitätslehre, an dessen Lösung auch die Tiermedizinein Interesse hat und wozu sie Beiträge leistete (FREI, HESS, STÜNZI).

Von der äusseren Desinfektion ist nur ein kleiner Gedankenschritt zursog. inneren Desinfektion, auch Chemotherapie genannt. Nach demSiegeszug der Sulfanilamide durch die ganze Welt wurde die Theorie derWirkungen nach allen Seiten erforscht. Sicher haben diese Präparate eineschädigende Wirkung auf lebenswichtige Enzyme der Mikroorganismen.Es konnte gezeigt werden, dass die aerobe und anaerobe Oxydation derBakterien durch Cibazol, Irgafen, Elkosin u. a. Sulfamide gehemmt wirdund dass eine Beziehung besteht in der Intensität dieser Hemmung beiGeflügelcholera- und Rotlaufbazillen in vitro und dem Heileffekt in vivo(FREI, JEZIERSKI). Die Geflügelcholerainfektion der weissen Maus kann durchSulfanilamide in ca. 90 °/o der Fälle geheilt werden, während dieselbenMittel bei der Rotlaufinfektion nicht nur nichts nützen, sondern sehr häufigden Todeseintritt beschleunigen. Dieselben Konzentrationen der Sulfamide,welche die Oxydation der Cholerabazillen in vitro hemmen oder unter-drücken, fördern diesen Lebensvorgang bei den Rotlaufbazillen.

Die C hi r u r g i e hat sich sehr häufig mit dem Fuss des besonders aufden harten Strassen der Städte arbeitenden Pferdes zu befassen. Für dasVerständnis der aus Fusskrankheiten resultierenden «Lahmheiten» ist dieKenntnis des immer noch ungenügend erhellten physiologischen Mechanis-

422

mus der Beziehungen zwischen dem knöchernen Extremitätenende unddem mechanisch schützenden Hornschuh erforderlich. Es hat sich gezeigt,dass die durch die vier Körpersäulen auf den Huf übertragene Last nichtauf der Hornsohle liegt, sondern dass das Hufbein vielmehr an der Wanddes Hufes aufgehängt ist, so dass der Boden des Schuhes, d. h. die Huf-sohle ohne prinzipielle Störungen abgetragen werden kann (HEUSSER).

Besondere Aufmerksamkeit fanden bei unsern Chirurgen in den letztenJahrzehnten die Augenkrankheiten von Rind, Pferd und Hund. Ihre (so-weit sie nicht eindeutig traumatisch entstehen) oft rätselhafte Aetiologiewurde zu klären versucht. Eine Reihe von Publikationen befasst sich mitden klinischen Erscheinungen und den pathologisch-anatomischen Verän-derungen (BüRGI, HEUSSER, AMMANN u. Mit.). Eine beim Pferd schon längstbekannte, auch bei uns immer wieder auftretende Krankheit ist die perio-dische Augenentzündung, eine Erkrankung der mittleren Augenhaut. Dieverschiedensten Hypothesen sind zur Erklärung der Aetiologie und desintermittierenden Auftretens aufgestellt worden. Neuerdings werdenLeptospiren als Ursache angegeben, und bei uns wurden in der TatLeptospiren agglutinierende Antikörper im Blut der Patienten gefunden(HEUSSER).

Schon früh stellten sich, hauptsächlich aus praktischen Bedürfnissen her-aus, pharmakologische und toxikologische Fragen. Im Schweizer Archivfür Tierheilkunde finden sich vor 1870 aus dem Kanton Zürich Angabenüber Vergiftungen mit Herbstzeitlose, Fingerhut, Schierling, Wolf smilch,Blei, Quecksilberverbindungen u. a. Die Veterinär -Pharmakologie isteine noch junge Wissenschaft, obschon Arzneistoffe bei Tieren zu kurati-yen Zwecken schon seit dem Altertum angewandt worden sind. Das hängtu. a. zusammen mit den namentlich bei grossen Haustieren sehr erhebli-chen Schwierigkeiten genauer quantitativer Untersuchungen und beson-ders der Kostspieligkeit dieser Versuchstiere. Arbeiten der Zürcher experi-mentellen Medizin (des physiologischen und des pharmakologischen Insti-tutes der med. Fakultät) lieferten auch für die Kleintierpharmakologiewichtige Ergebnisse. Die Universität besitzt erst seit einem Jahre auchein eigenes Veterinär-Pharmakologisches Institut, welches die Möglich-keiten experimenteller und klinischer Zusammenarbeit erweitert. Bis anhinwaren Gegenstand der Untersuchungen Probleme der Adsorptionstherapiesowie eine zusammenfassende Darstellung tierärztlich-pharmakologischerAufgaben. Zunächst hat sich gezeigt, dass die Iris von Pferd und Rindein vollständig gleiches cholinergisches Verhalten zeigt, wie z. B. der Darmund dass daraus wertvolle Schlüsse für die Ophthalmologie der Tiere ge-zogen werden können (GRAF). KRUPSKL KUNZ und ALMASY stellten Experi-mentaluntersuchungen an über den zeitlichen Verlauf der Ausscheidungvon Coffein durch den Menschen, das Pferd, die Ziege, das Meerschwein-chen und das Kaninchen. In Zusammenhang damit prüften sie den Coffein-abbau durch die überlebende Kaninchenleber und erwiesen diesen alschemische Gleichgewichtsreaktion.

423

Hygiene. Wer die durchschnittlichen Stallverhältnisse in manchenGegenden. unseres Vaterlandes kennt, wird sich viel mehr darüber wun-dern, dass die Insassen im allgemeinen gesund sind, als dass sie krankwerden. Als typische Stallkrankheiten, beschönigend Domestikationsfolgengeheissen, gelten Tuberkulose, Milchdrüsen- und Genitalerkrankungen beimRind und gewisse Lungenkrankheiten beim Schwein. Wenn auch dieseZusammenhänge allgemein bekannt sind, so fehlt doch ein quantitativerAusdruck für Beziehungen zwischen dem Unzweckmässigkeitsgrad desStalles und der Häufigkeit der genannten Krankheiten. In einer mehr-jährigen, auf breiter Basis in verschiedenen Gegenden durch Tierärztedurchgeführten Untersuchung hat ZWICKY in der Tat gewisse Proportio-nalitäten zwischen Stall und Krankheit herausgefunden, nachdem die Fak-toren mangelhafter Stallhygiene (Raumverhältnisse, Beleuchtung, Qualitätvon Boden, Wänden und Decke, chemische Zusammensetzung der Stall-luft, Reinlichkeit, Lage von Düngerstätte und Jauchegrube) messbar undzahlenmässig darstellbar gemacht worden waren.

Die Domestikation hat die freie Wahl der Nahrung für die Haustiereausgeschaltet und sie gezwungen, sich mit dem ihnen von den Menschendargebotenen Nahrungsmaterial zu begnügen. Hierbei sind sehr häufignicht nur alte Gewohnheiten, sondern bestimmte Leistungsziele (Milch,Mast, Arbeit) und wirtschaftliche Überlegungen massgebend, welche mitden physiologischen Bedürfnissen des Tierorganismus interferieren, ab-gesehen von der einmal eingenommenen geographischen Situation des Besit-zers (Lage des Stalles bzw. der Acker und. Wiesen) und den Einflüssen vonJahreszeit und Witterung auf die Pflanzen. So kommt es auch bei denHaustieren nicht selten zu Mangelkrankheiten , bedingt durch Insuf-fizienz der Fütterung an Calcium, Phosphorsäure und Vitaminen. DieFolgen sind Anomalien des Bewegungsapparates, besonders der Knochen,Störungen der Fortpflanzung, Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit gegenInfektionskrankheiten. Ausgedehnte, seit Jahren laufende Untersuchungendes Institutes für innere Veterinär-Medizin (KRUPSKI, ALMASY u. Mit.) habendurch Untersuchung des Blutes aktuell oder latent erkrankter Tiere sowieder Vergleichung der Einnahmen und Ausgaben, d.h. an Hand einer Mine-ralbilanz gezeigt, dass floride oder okkulte Mangelstörungen in verschie-denen Gegenden der Schweiz bei Stalltieren recht häufig sind. Ihre Dichtezeigt aber geographische Verschiedenheiten. Aber nicht nur bei Stallrin-dern mit ihrer vom Menschen ausgewählten Fütterung, sondern auch beiWeidetieren gibt es Mangelerscheinungen, z. B. auf Alpweiden im KantonWallis. Dass Krankheiten des Rindes, verursacht durch Kalk- oder Phos-phorsäuremangel, nicht etwa nur Ergebnisse der Hochzüchtung oder an-derer moderner Domestikationsfaktoren sind, wird dargetan durch früheAngaben über Lecksucht und Osteoporose (MEYER 1822, BLICKENSTORFER1828, MICHEL 1835, MEIER 1845, R. ZANGGER 1865). Zum Abschluss diesesAbschnittes sei die Feststellung von Kropf beim Kalb schon 1845 (FREI)erwähnt.

424

Zu den wichtigsten Funktionen des praktischen Tierarztes im Diensteder öffentlichen Gesundheitspflege gehört die Beurteilung des Flei-sches der Schlachttiere. Die Fleischbeschau, zunächst angewandte normaleund pathologische Anatomie und Bakteriologie, aber auch physikalischeund biologische Chemie hat sich bereits zu einer umfangreichen Wissen-schaft entwickelt, um die sich ausser den Spezialtierärzten der Stadt Zürich(vgl. Jahresberichte der Direktion des Gesundheitswesens der Stadt Zü-rich) und den Praktikern auf dem Land auch die Mitglieder der Fakultätkümmern. Zunächst hat die Fleischbeschau den Übergang von tierischenParasiten und pathogenen Mikroorganismen und ihren Produkten vonSchlachttieren zu verhüten, zu welchem Zwecke die mannigfachen Quel-len und oft recht gewundenen Kanäle dieses Überganges .gekannt seinmüssen. KRUPSKI hat (1918) gezeigt, dass beim Zwischenwirt Rind derCysticercus bovis in gewissen Gegenden der Schweiz häufiger ist, als an-genommen wurde, und dass dort der Wirt Mensch auch öfters mit Taeniasaginata befallen sein müsse. Die durch diesen Hinweis veranlassten. Unter-suchungen haben die Vermutung bestätigt. Die Ansammlung von patho-logisch-anatomischem Material aus verschiedenen Land esgegenden in einemSchlachthaus gibt nicht nur Anhaltspunkte über die Frequenz gewisserKrankheiten, z. B. der Tuberkulose des Rindes, sondern auch über ihre geo-graphische Verteilung (SCHELLENBERG). Die Sammlung derartiger Beobach-tungen hilft mit beim Aufbau einer geographischen Pathologie der Schweiz(ZWICKY).

Mikroorganismen aus der Gruppe der Paratyphaceen sind die Haupt-ursachen der sog. Fleischvergiftungen beim Menschen. Sie flnden sich ent-weder von Anfang an in der Muskulatur, wenn das Tier an einer Para-typhusinfektion litt, oder sind bei oder nach der Schlachtung aus andernOrganen ins Fleisch gelangt. Bei höherer Temperatur, d. h. bei unzweck-mässiger Aufbewahrung, können sie sich darin vermehren und allerlei fürdie menschliche Gesundheit schädliche Stoffwechselprodukte bilden. DasZiel der Forschung muss natürlich in letzter Linie die chemische Identi-fikation dieser Giftsubstanzen sein. Ein anderer, vorläufiger Weg bezwecktdie Auffindung der Wirkungen des Gemisches der Stoffwechselprodukteder in der Muskulatur sich vermehrenden Paratyphusbakterien. Da dieGiftsubstanzen beim Genuss des Fleisches zuerst mit dem Darm in Be-rührung kommen, wurde ihre Wirkung auf den überlebenden Darm vonVersuchstieren untersucht, wobei z. T. Erregung, meistens aber Lähmungresultierte (W. FREI u. Mit.). Eine Basis für die Beurteilung des Fleischesist auch die Kenntnis der postmortalen Veränderungen der Organe, ins-besondere der Muskulatur, und ihr Verlauf unter verschiedenen Umständendes Milieus und nach Massgabe allfällig der Schlachtung vorausgegange-ner Krankheiten. Eine Serie von Untersuchungen (1918/19) ganzer Leichenund einzelner Muskelstücke hinsichtlich Totenstarre, Milchsäuregehalt undAzidität, Quellungsfähigkeit und Wasserbindungsvermögen nach Einwirkungverschiedener Faktoren (Austrocknung — Bündner Fleisch — Lösungen) ha-

425

ben den Verlauf des Wasserverlustes kurvenmässig erfasst und gezeigt,dass die Wiederquellung (Verdaulichkeit) um so schwieriger vor sich geht, jemehr Wasser das Fleisch verloren und je länger es sich im entquollenenZustand befand (W. FREI u. Mit.).

Die in den letzten 125 Jahren im Kanton Zürich durchgeführten For-schungen auf verschiedenen Gebieten der Tiermedizin, über welche hierkurz und summarisch referiert wurde, sind z. T. veröffentlicht in dem seit1816 von der Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte herausgegebenen Ar-chiv für Tierheilkunde. Die Resultate zahlreicher Mitarbeiter der 'tierärzt-lichen Fakultät (seit 1901) sind in Dissertationen niedergelegt. Mit derZunahme der Leistungsfähigkeit der tierärztlichen Lehranstalt in Zürich,insbesondere mit der rasch fortschreitenden Differenzierung der verschie-denen Disziplinen und der Gewinnung zahlreicherer Assistenten und frei-williger Mitarbeiter reichte das Schweizer Archiv für Tierheilkunde beiweitem nicht mehr aus. Infolgedessen musste eine sehr grosse Zahl vonPublikationen in deutschen und österreichischen, einige auch in italieni-schen, französischen und englischen Fachzeitschriften untergebracht wer-den. Die Ergebnisse eigener Forschungen zusammen mit dem aus derLiteratur geschöpften Material wurden verschiedentlich auch in Buchformpubliziert. J. C. WIRTH, Lehrer an der Tierarzneischule von ihrer Gründung(1820 bis 1849) schrieb 1822 ein «Schweizerisches veterinärisches Idiotikon»,1826 eine Geschichte der Tierseuchen im Kanton Zürich. im 18. Jahrhun-dert und 1835 ein Lehrbuch der Seuchen.

In den letzten 50 Jahren erschienen: E. ZSCHOIucE, Ünfruchtbarkeit des Rindes 1900; P.MARTIN, Anatomie der Haustiere, Stuttgart 1902 (das seither weitere Auflagen erlebte); E.ZSCHOIucE, Krankheiten der Knochen, und J. HIRZEL, Krankheiten des Halses, im Hand-buch der tierärztl. Chirurgie und Geburtshilfe; W. FREI, Prophylaxis der Tierseuchen,Berlin 1921; E. ZIETZSCHMANN, Embryologie der Haustiere, Berlin 1923; W. FREI, Milch-drüse, weibliche Geschlechtsorgane, in JoEST's Handbuch der speziellen pathologischenAnatomie der Haustiere, 4. Band, 1. Hälfte, Berlin 1925; E. ACKERT{NECHT (mit C. KRAUSE,Berlin), Zirkulationsapparat, in JOEST's Haudbuch der speziellen pathologischen Anatomieder Haustiere, 4. Band, 2. Hälfte, Berlin 1925; W. FREI, Sterilität der weiblichen Haus-tiere, Berlin 1927.

Wir hoffen gezeigt zu haben, dass die Tiermedizin, wie jedes andereGebiet der Naturwissenschaften, sich eignet sowohl zur Lösung praktischerProbleme als auch zur Befriedigung des reinen Forscherdranges, des Kau-salitätsbedürfnisses, zur geistigen Hochspannung. Es wird (naturwissen-schaftlich gesprochen) immer Krankheiten geben, die Naturwissenschaftenwerden weiter bestehen, und wir werden weiter forschen.

420