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Die Wissenschaftstheorie Galileis - oder: Contra FeyerabendAuthor(s): Klaus FischerReviewed work(s):Source: Journal for General Philosophy of Science / Zeitschrift für allgemeineWissenschaftstheorie, Vol. 23, No. 1 (1992), pp. 165-197Published by: SpringerStable URL: http://www.jstor.org/stable/25170925 .Accessed: 08/02/2012 07:12
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DISCUSSION
DIE WISSENSCHAFTSTHEORIE GALILEIS - ODER: CONTRA
FEYERABEND
KLAUS FISCHER
SUMMARY. Galileo's Philosophy of Science - or: Contra Feyerabend. In analyzing Galileo's
methodology, philosophers of science were using, misusing, and abusing his ideas rather
unashamedly to suit their own purposes. Like so many others before him, Paul Feyerabend had come to the conclusion that his methodological ideas might gain momentum by
demonstrating their compatibility with those of Galileo. The reinterpretation of Galileo as
a true, though disguised, anarchist, was considered by Feyerabend as the most forceful, and
indeed conclusive, case against rationalism in methodology which might be conceived in view
of the privileged position ascribed to Galileo by both philosophers and historians of science.
The paper argues -
against Feyerabend - that Galileo was not a methodological anarchist,
neither in theory nor in practice. He had firm methodological convictions that remained
basically the same throughout his entire career. In his view, essential and accidental causes
of phenomena were not given by experience. Although mathematical and geometrical analysis was needed to discriminate between them, experience and experiment was considered by Galileo
from his middle periode on as a means to identify among the set of explanations, demonstrable
"ex suppositione" as being mathematically correct, those which could in addition be applied to reality. Thus, Galileo was neither an inductivist nor a naive falsificationist, nor a Copernican zealot adapting his methodology to the needs of his presumed fight for heliocentrism, come
what be. Only after the reconstruction of mechanics was in a fairly advanced stage, and
after his own telescopic observations had provided independent evidence in favor of the new
astronomy, Galileo was in a position to appreciate the Copernican system as a most forceful
ally in his fight for the recognition of his physical achievements. Through the end of his
life, his view of the heliocentric system remained rather traditional in adhering firmly to
the principles of epicyclic and circular motion, as far as the heavens were concerned.
Key words: Galileo, Feyerabend, methodological anarchism vs rationalism, reasoning "ex
suppositione", demonstrative regress, experiment, mathematics and reality, falsification.
?Das Ende der Suche nach der Wahrheit. Und vergessen Sie nicht, daB der Weg zuriick zu einer weniger toleranten
Methodologie durch die historische Forschung versperrt ist!" - Paul Feyerabend, ,Uber die Methode. Ein Dialog', in Unter dem Pflaster liegt der Strand 3, 1976, 148).
Wie kaum ein anderer Symboltrager der neuzeitlichen Wissenschaft ist
Galilei zum Opfer seiner Interpreten geworden. Und nur allzuoft waren
die Ergebnisse der Analyse nicht durch abgewogene Beurteilung der Quellen,
Journal for General Philosophy of Science 23: 165-197, 1992.
? 1992 Kluwer Academic Publishers. Printed in the Netherlands.
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sondern durch die Moden des aktuellen ?Diskurses" bestimmt. Viele
Umstande kamen dieser Formbarkeit entgegen: Die Vielfalt der Galileischen
Arbeitsgebiete, die Menge des erhaltenen Materials, der Mangel an einer
systematischen Abhandlung zur Methode aus der Hand Galileis. Nicht
uberraschen kann deshalb, daB die Zahl der Versuche, seine ?Methode" zu verstehen, zwar den erhofften, doch sicherlich nicht den tatsachlich
gewonnenen Erkenntnissen entspricht. Das ungebrochene Interesse an
Galilei ist verstandlich: Durch eine Untersuchung seiner Arbeit erhofft man
sich Aufklarung dariiber, worin die wesentlichen Unterschiede zwischen
mittelalterlicher und moderner Wissenschaft liegen, wie er die herrschende
Kosmologie zertrummerte und warum er die Entwicklung der neuzeitlichen
Physik mit Erfolg einleiten konnte.
Galileo occupies a unique position in the philosophy of science (...) Virtually every philosopher of science had felt or feels the need to come to grips with Galileo, in the sense that he
either derives his theories from his analysis of Galileo, or he tests the theories he has otherwise
formulated by applying them to the case of Galileo1.
A. , Galileo andrchico'? - Feyerabends Vereinnahmung Galileis fiir den
methodologischen Anarchismus
Ein Indiz fiir den Auslegungsspielraum der Galileischen Methode zeigt sich
in den von Paul Feyerabend vorgelegten Analysen zum Thema2, die in
der Diskussion der vergangenen 15 Jahre eine wichtige Rolle gespielt haben.
Dabei standen weniger seine Fallstudien als die abstrakteren Teile seiner
Polemik gegen den Rationalismus im Vordergrund. Zu Unrecht, wie
Feyerabend meint. Denn
die Fallstudien bilden das Zentrum des Buches. Sie sind das Material, an dem die Mangel eines abstrakt-rationalen Vorgehens erlautert und terminologisch fixiert werden. Die mehr
abstrakten Erorterungen und die Polemik gegen den Rationalismus sind ohne dieses Material
und ohne diese Erlauterungen nicht denkbar. Sie sind durchaus sekundar. Dennoch haben
die meisten Kritiker nur diese Erorterungen untersucht (...). Was Wunder, dafi sie zu einem
verzerrten Bilde meiner Absichten kamen (WM 26)3.
Versuchen wir also, das Feyerabend widerfahrene Unrecht verzerrender In
terpretation zu korrigieren und seine Fallstudie zur Galileischen Revolution
an den Tatsachen zu messen.
Feyerabends Grundidee ist einfach. Er will zeigen, dafi die Vielfalt mog licher Situationen, in die Wissenschaftler regelmaBig geraten, das Festhalten
an einer einzigen, fest umreilibaren Methodologie verbietet. Mit besonderer
Deutlichkeit zeigt sich dies in den grofien historischen Umwalzungen der
Wissenschaft4.
Betrachten wir die Kopernikanische Hypothese, deren Erfindung, Verteidigung und Teilbe
statigung fast alien methodologischen Regeln zuwiderlauft, die man sich heute vorstellen kann
(WM 105)(...) Man beginnt mit einem starken Glauben, der der Vernunft und der Erfahrung der Zeit zuwiderlauft. Der Glaube breitet sich aus und findet Stiitzen in anderen Anschauungen, die ebenso unverniinftig oder noch unverniinftiger sind (Tragheitsgesetz, Fernrohr). Die For
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schung wird jetzt in neue Richtungen gelenkt, man baut neue Instrumente, setzt ,Daten' in
neue Beziehungen zu den Theorien, bis eine Ideologic zustande kommt, die reich genug ist, um unabhangige Argumente fur jeden ihrer Teile bereitzustellen, und beweglich genug, um
solche Argumente jederzeit bei Bedarf zu finden (WM 40f)(...) Meiner Ansieht nach hat Galilei
widerlegte Theorien so eingefiihrt, daB sie einander erhielten, er hat auf diese Weise eine
neue Weltauffassung geschaffen, die nur lose (wenn iiberhaupt) mit der vorangehenden
Kosmologie (einschlieBlich der Alltagserfahrung) verbunden war, er hat Scheinverbindungen zu den Wahrnehmungsbestandteilen dieser Kosmologie hergestellt, die erst heute durch echte
Theorien ersetzt werden (physiologische Optik, Theorie der Kontinua), und er hat, wo immer
moglich, alte Tatsachen durch eine neuartige Erfahrung ersetzt, die er glatt erfand, um die
Kopernikanische Auffassung zu stiitzen (WM 226).
Nach Galilei den Induktivisten (Wohlwill, Mach), den Epigonen (Duhem) und den Rationalisten (Koyre, Cassirer) bekommen wir bei Feyerabend Galilei den Anarchisten, Opportunisten und Ideologen vorgefuhrt. Diese
mit Absicht provozierende Darstellung soil zunachst thesenformig zusam
mengefaBt und anschlieUend mit der Arbeitsweise Galileis und der Ent
wicklung seiner Ideen verglichen werden. Feyerabend behauptet: 1. Zur Zeit Galileis verfugte die Schulphilosophie iiber ein umfassendes
und intellektuell befriedigendes System der Naturerklarung. Es stiitzte sich
im wesentlichen auf Aristoteles und Ptolemaus und schlofi neben Physik und Astronomie auch Meteorologie, Astrologie, Wahrnehmungstheorie
(WM 161f, 203ff), Psychologie, Anthropologic, Politik und Theologie ein
(WM 205). Wie jedes umfassende System hatte auch dieses mit einer Reihe von Problemen zu kampfen. Doch diese Probleme rechtfertigten nicht seine
Verwerfung, solange man keine Alternative besaB, die ahnlich umfassend war und diese Probleme nicht hatte (WM 158f).
2. Galilei verstieB gegen jede verniinftige methodologische Regel, indem
er das heliozentrische System akzeptierte, obwohl es genausoviele empirische Problem hatte wie das geozentrische (WM 118, 148, 160). Uberdies gab es keine Physik, die zu diesem System paflte und die beobachtbaren
Bewegungen irdischer Objekte erklaren konnte. Die wissenschaftliche Re
volution der Neuzeit begann mit einem Schritt zuriick zu Theorien mit
geringerem Gehalt, geringerer Konsistenz und Erklarungsleistung (WM 145f,
212). 3. In Ermangelung einer umfassenden Alternative muBte Galilei eine Fiille
von Hilfshypothesen (WM 208) zur Rettung der kopernikanischen Theorie
erfinden und sie durch Tricks vor der Widerlegung schiitzen (WM 153f,
Anm.). Die Rettung des Heliozentrismus war in dieser Phase Galileis
propagandistischem Geschick, nicht der tatsachlichen Erklarungskraft seiner
Axiome zu verdanken. Dogmatismus rettete sie vor den rationalen Argu menten seiner aristotelischen Gegner (WM 123, 144, 213, 216, 221, 226).
4. Trotz dieses anfanglichen Riickstandes hatte Galilei Erfolg, weil er
kontrainduktiv vorging und die heliozentrische Hypothese als Heuristik zur Konstruktion mit ihr kompatibler Hilfswissenschaften wie Kosmologie,
Dynamik (WM 134, 142f), geometrische und physiologische Optik (WM 188, 192f), Wahrnehmungstheorie und Meteorologie benutzte. Deren Theo
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rien waren zunachst ebenso falsifiziert wie der Heliozentrismus und konnten nur durch wechselseitige Stiitzung uberleben (WM 152f, 198,209f, 223, 224f). Erst ihre weitere Entfaltung erzeugte neue Wahrnehmungen (WM 109ff,
115, 136f, 137, 145f, 196f), die mit der kopernikanischen Theorie kompatibel waren, und verdrangte andere Evidenz, die nur im aristotelischen Kontext
sinnvoll erschien (WM 146). 5. Durch dogmatisches Beharren auf einer falsifizierten Zentralhypothese,
die Entwicklung eines Korsetts von Hilfswissenschaften und die Umdeutung
problematischer Evidenz (WM 124ff, 128, 132, 190f, 192, 194) entstand
ein neues System der Naturerklarung, das das alte verdrangen konnte. Es
siegte nicht, weil es einen groBeren Gehalt oder eine geringere Zahl von
Problemen als das Vorgangersystem aufwies. Es siegte vor allem deshalb, weil es aufgrund historisch kontingenter Umstande eine groBere Zahl von
Anhangern gewinnen konnte. Galilei war - vereinfacht gesagt - der bessere
Marktschreier und Seelenfanger. Nicht die Kraft rationaler Argumente, son
dern eine ?Abstimmung mit den FiiBen" bzw. mit Schreibfeder und Drucker
presse entschied iiber den Konflikt der Systeme. Begunstigt wurde die Rezep tion des Systems durch das Aufkommen einer neuen sozialen Klasse, die das
Ideal einer freien und pluralistischen Gesellschaft vertrat (WM 213, 215). 6. Feyerabends entscheidende SchluBfolgerung: Ware Galilei Empirist
oder Falsifikationist gewesen, so hatte er scheitern miissen. Seine Ergebnisse waren davon abhangig, daB er pragmatisch vorging und sich an keine Regel der Vernunft oder der Methodologie gebunden fiihlte. Regeln benutzte er
in opportunistischer Weise als strategisches Mittel zur Durchsetzung seiner
Ideen (WM 105).
B. Einige problematische Pramissen der Feyerabendschen Analyse
Im folgenden soil der ?nervus rerum" der anarchistischen Umdeutung: die
historische Entwicklung der Galileischen Physik und Methodologie, im
Mittelpunkt stehen. Zuvor jedoch einige Bemerkungen zu anderen Voraus
setzungen der Darstellung Feyerabends:
(1) Man kann dariiber streiten, ob die Schwierigkeiten der postscho lastischen Naturphilosophie im spaten 16. Jh. nur das iibliche Format
?normalwissenschaftlicher" Probleme erreichten. Es laBt sich mit guten Griinden argumentieren, daB bereits die als Antworten auf endemische
Probleme der hochscholastischen Synthesen erfolgten Innovationen des 14.
Jahrhunderts einen tiefgreifenden Wandel bewirkt hatten, der keine all
gemein konsensfahigen Losungen hervorgebracht hatte. Im 15. und 16. Jt.
kann von einem einheitlichen und konsistenten System abendlandischer
Naturphilosophie kaum mehr die Rede sein. Die Absorption des Wissens
der antiken und islamischen philosophischen Systeme, die aus dem Bemuhen um Harmonisierung auftauchenden Widerspruche, theoretische und empi rische Schwierigkeiten der einzelnen Schulrichtungen, sowie eigenstandige
Neuerungen innerhalb der Spatscholastik hatten sie in ein eklektisches und
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begrenzt pluralistisches Konglomerat transformiert, dessen Fraktionen in
Reaktion auf neue Herausforderungen unterschiedliche Wege einschlugen. Dies gilt selbst fiir die Auslaufer der Spatscholastik im engeren Sinn5.
(2) Auch die Frage der vergleichenden Bewahrung von ptolemaischem und kopernikanischem System ist umstritten. Obwohl die neue Lehre vor
der Erfindung des Fernrohrs nicht prognostisch uberlegen war, hatte sie
andere Vorteile. Sie enthielt die erste empirisch befriedigende Theorie, die nur gleichformige Kreisbewegungen verwandte. Damit erfullte sie eine zen
trale aristotelische Forderung besser als die ptolemaische. Zu den Vorteilen
des neuen Systems zahlte auch seine Einheitlichkeit und die sich zwanglos
ergebende Ordnung der Planeten. DaB es mit der irdischen Physik des Aristo
teles Konflikte gab, war Kopernikus bekannt, doch hier hatte die Scholastik
bereits eine Alternative entwickelt, die mit der Erdbewegung kompatibel war. Die Dynamik der Pariser Spatscholastiker Buridan und Oresme enthielt
bereits das Prinzip der kinematischen Relativitat, nach dem eine tagliche
Drehung der Erde sich nicht an den Bewegungserscheinungen auf der Erd
oberflache feststellen laBt. Einige der vor Buridan und Oresme angefiihrten
Beispiele gleichen denen Galileis bis ins Detail. Kopernikus und seine
Anhanger konnten folglich nicht nur antiaristotelische Quellen wie Plutarch
(Kohasionstheorie), Aristarch, die Platonisten (neue Raumtheorie) oder das
Corpus Hermeticum anfuhren, um sich physikalisch zu verteidigen6. Dem kam entgegen, daB auch die aristotelische Himmelsphysik durch
neue Beobachtungen in Bedrangnis geriet. Herausragende Ergeignisse waren
die Nova von 1572 und der Komet von 1577. Astronomen wie Tycho Brahe
und Michael Maestlin wiesen nach, daB der Komet sich zwischen den Spharen der Planeten bewegte und daher nicht als meteorologisches Phanomen
interpretiert werden konnte. Zudem schnitt seine Bahn die Sphare der
Venus7. Sowohl die Theorie der festen Himmelsspharen als auch das aristotelische Axiom, daB es im Himmel kein Werden und Vergehen gebe, waren damit hinfallig. Tychos SchluB ist kurz und biindig: "The Aristotelian
philosophy (...) cannot be valid in teaching that nothing new can originate in the heavens (...) for I have discovered otherwise of this comet"8. Die
spatscholastische Naturphilosophie des ausgehenden 16. Jhts. befand sich in einem FlieBprozeB, dessen Geschwindigkeit allerdings durch inkompe tente Versuche ideologischer Steuerung von oben verlangsamt wurde.
(3) Feyerabend macht viel Wirbel um die angebliche Fragwiirdigkeit der neuen Beobachtungen mit Hilfe des Fernrohrs9. Galilei hatte das Zustan
dekommen teleskopischer Abbildungen nicht erklaren konnen. Das Gerat
selbst habe vielfaltige Tauschungen erzeugt und seine Wirkungsweise bei
irdischen Phanomenen sei nicht ohne weiteres auf den Himmel iibertragbar gewesen. All dies hat einen wahren Kern, aber es tragt nicht das Argument, das Feyerabend vorbringt: daB namlich das Fernrohr fiir Galilei mehr
Probleme schuf als es loste. Feyerabend ubersieht, daB ein technologisches
System nicht in alien Einzelheiten erklarbar sein muB, um seinen Zweck zu erfullen10. Jahrhundertelang hatte man Brillen und Lupen, aber auch
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das Schwarzpulver, Pumpen und andere mechanische Gerate mit groBem
Erfolg benutzt, ohne ihre Wirkungsweise zu verstehen. Man hatte den
Umgang mit ihnen gelernt und wuBte die erwunschten von den unerwunsch ten Effekten in alien relevanten Beziigen zu unterscheiden. In gleicher Weise
muBte man sich mit der Funktionsweise des Fernrohrs praktisch vertraut
machen, um zu sehen, daB etwa farbige Rander, Verzerrungen, Strahlen
kranze, Unscharfen oder Vibrationen keine Merkmale der beobachteten
Gegenstande, sondern beherrschbare Eigenheiten des Gerats waren. Galilei
ging deshalb keinerlei Risiko ein, sondern beweist nur wissenschaftlichen
?Pferdeverstand", wenn er in Reaktion auf den Tauschungsvorwurf seiner
aristotelischen Kritiker einen Preis fiir denjenigen aussetzte, der ein Teleskop bauen konne, das die neuen Monde mit ihren prognostizierbaren Umlaufen nur um den Jupiter, nicht jedoch um jeden anderen Himmelskorper erzeugen konne. Dabei war es auch von Galilei unbestritten, daB die teleskopische
Wahrnehmung eines Objektes eine falsche Erscheinung hervorrufen kann.
Die Beobachtung Scheiners, daB der Saturn manchmal langlich und manch
mal von zwei Begleitern umgeben erscheine, "results either from the im
perfection of the telescope or the eye of the observer, for the shape of
Saturn is thus: <0 as shown by perfect vision and perfect instruments, but appears thus:0 where perfection is lacking, the shape and distinction
of the three stars being imperfectly seen"11. Es ist klar, daB Galilei hier
falschlich annimmt, daB die optische Unscharfe ein Zusammenfliessen von
drei hypothetisch angenommenen eng benachbarten leuchtenden Objekten verursacht. Diese Annahme hatte einen weiteren Vorteil "(in) barring some
very strange event remote from every other motion known to or even ima
gined by us"12. Ein Lehrstuck zur Interaktion von Theorie und Erfahrung! Die Schulastronomen lernten die Vorziige des neuen Instruments sehr
schnell. Bereits wenige Monate nachdem Galilei begonnen hatte, seine Gerate zu bauen, war der Jesuit Christoph Scheiner von der Universitat Ingolstadt einer seiner scharfsten Konkurrenten bei der Beobachtung der Sonnenflec
ken. Schon zuvor hatte Christopher Clavius vom Collegio Romano die von Galilei im ?Sidereus Nuncius" publizierten Neuigkeiten iiber die
Jupitermonde und die Oberflache des Mondes mit Hilfe eines Galileischen
Fernrohrs und auf Verlangen des Kardinals Robert Bellarmin - Konsultor
des HI. Offiziums - im wesentlichen bestatigt. Dabei hatte er schon selb
standige Beobachtungen angefiihrt, indem er Galileis Ansichten iiber die
Konstitution der MilchstraBe korrigierte. Diese enthalte namlich nicht nur
Sterne, wie Galilei behauptet hatte, sondern auch ?dichteres und zusam
menhangendes Material". Er hatte offenbar bereits Objekte identifiziert, die heute als Emissions- oder Absorptionsnebel bekannt sind.
Feyerabend weiB, daB er auf sehr diinnem Eis balanciert, wenn er sich
bei der friihen Bewertung von Fernrohrbeobachtungen auf die Ansichten
orthodoxer Aristoteliker beruft, die Galilei in seinen Briefen iiber die
Sonnenflecken sehr klar von den sachkundigen Astronomen zu unterschei
den weiB. Folgerichtig, aber durchaus unbegriindet, mokiert er sich dariiber,
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?wie schnell der Wirklichkeitscharakter der neuen Erscheinungen akzeptiert und (...) offentlich anerkannt wurde", und er wirft den jesuitischen Astro nomen Clavius, Magini und Grienberger vor, es sei wohl ?klar, daB sie
dabei die Methoden ihrer eigenen Philosophie verletzten oder aber die Sache nur sehr oberflachlich untersuchten"13. Mit anderen Worten: Feyerabend nimmt es den Genannten iibel, daB sie seiner eigenen Karikatur des
?aristotelischen Scholastikers" nicht gerecht werden. Nicht nur akzeptierten die Fachastronomen des Collegio Romano bereits nach sehr kurzer Zeit
einhellig die Galileischen Beobachtungen - und gaben damit die aristo
telischen Gegner Galileis der Lacherlichkeit preis - sie wagten es sogar,
in Rom eine offentliche Ehrung Galileis zu veranstalten, die nach Augen
zeugenberichten zu einem Triumphzug fiir diesen wurde. Bei der Abreise
Galileis schrieb der Kardinal del Monte an den GroBherzog der Toskana, in dessen Diensten Galilei stand: ?Lebten wir noch unter einer romischen
Republik, so hatte man zu seiner Ehre im Kapitol eine Saule errichtet"14.
(4) Der Haupteinwand gegen Feyerabends Darstellung leitet sich aus dem
Umstand ab, daB Feyerabend die historische Entwicklung der Ideen Galileis
auf den Kopf stellt. Er spiegelt uns einen Galilei vor, der sich in das
kopernikanische System vernarrt und anschlieBend zu dessen Rettung einen
lebenslangen Propagandafeldzug startet. Im Rahmen dieses Unternehmens
entwickelt er eine neue Physik, die mit der heliozentrischen Theorie iiber
einstimmt, ersinnt alle Arten von Hilfshypothesen, die das ganze vor der
Erfahrung retten, und fuhlt sich dabei an keinen anderen methodologischen Grundsatz als den, Kopernikus um jeden Preis zu retten, gebunden. Dieses
Zerrbild gilt es im folgenden zu korrigieren.
C. Die historische Entwicklung der Physik Galileis I. Zwei wichtige Entdeckungen der neueren Galilei-Forschung
Die angesprochenen Punkte sollen hier nicht einzeln diskutiert, sondern in Form eines kurzen Abrisses der Entwicklung der Ideen Galileis behandelt
werden. Dabei wird die Phase im Mittelpunkt stehen, die Galilei zum Prinzip der kinematischen Relativitat und zur Tragheitsidee hinfiihrte. Man kann
zeigen, daB hier keinerlei kopernikanische Vorurteile, keine Tricks und keine
Propaganda im Spiel waren, sondern sich jeder Schritt auf der Basis des
vorangehenden Wissenstandes und der inzwischen aufgetauchten theore
tischen und empirischen Widerspriiche erklart. Das wichtigste Argument gegen Feyerabend ergibt sich aus dem Umstand, daB Galilei alle Kom
ponenten seiner neuen Bewegungslehre bereits vor 1609, das heiBt vor der
Kontroverse um die Kopernikanische Astronomie ausgearbeitet hatte.
Nichts deutet darauf hin, daB er den Heliozentrismus vor dieser Zeit fiir
ein zentrales Problem hielt15.
Zu Beginn eine Bemerkung zu zwei wichtigen Entdeckungen der neueren
Forschung. Eine Auswertung der sogenannten Arbeitsblatter Galileis durch Stillman Drake und andere16 ergab, daB diese vorwiegend aus Berechnungen
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172 DISCUSSION
bestehenden Unterlagen auf umfangreiches und subtiles Experimentieren zuriickgehen. Es handelte sich dabei nicht um gelegentliche Spielereien, sondern um systematisch variierte Reihenexperimente, die fiir die Entwick
lung der physikalischen Ideen Galileis zwischen 1603 und 1609 unentbehrlich waren. Die Rolle des Experiments bei Galilei ist nach dieser Entdeckung hoher zu veranschlagen als dies die rationalistische Auffassung zulassen
wollte. Nach Koyre dienten Galileis Experimente, soweit sie nicht fingiert waren, nur didaktischen Zwecken -
gewissermafien der rhetorischen Be
statigung theoretischer Ableitungen. Diese Vermutung kann man ad acta
legen.
Deutlich wurde dabei auch, dafi Galilei an Traditionen ankniipfen konnte.
Bereits vor ihm fiihrten andere - wie die Mechaniker Guidobaldo del Monte,
Tartaglia und Benedetti, aber auch Aristoteliker wie Hieronymus Borrius, einer der Lehrer Galileis in Pisa -
Experimente zum freien Fall oder zum
Bahnverlauf bei erzwungener Bewegung durch, und dies mit teilweise
ahnlichen Ergebnissen und ahnlichen Fehlern17. Die empirischen Argumente und experimentellen Befunde, die Galilei in seinen friihen Schriften iiber
die Bewegung anfuhrt, stammen nur zum geringeren Teil von ihm selbst.
In wesentlichen Aspekten gehoren sie entweder zum Standardrepertoire einer
der konkurrierenden Spielarten der Schulphilosophie oder zur jiingeren Tradition der Mechanik. Diese hatte in Italien durch die Edition und
Verbreitung archimedischer Schriften im 16. Jh. einen starken Impuls erfahren18.
Die zweite Entdeckung betrifft die Fruhschriften Galileis. Diese wurden
bisher als eine Art Kolleghefte gesehen, Mitschriften von Vorlesungen, die
Galilei als Student in Pisa gehorte hatte. Man schloB aus, daB diese
Abhandlungen im Stil scholastischer Disputationen die Meinung des Be
griinders der neuzeitlichen Physik wiedergeben konnten. Diese Ansicht hat
sich als revisionsbediirftig erwiesen. Der amerikanische Wissenschaftshisto
riker William Wallace wies anhand praziser Textvergleiche nach, dafi es
sich dabei um Unterlagen handelt, die Galilei um 1590 kurz vor oder nach
seiner Ernennung zum Professor fiir Mathematik an der Universitat Pisa
zusammenstellte, vermutlich als Vorlage fiir eigene Vorlesungen. Wallace
konnte zeigen, dafi sich Galilei dabei vor allem auf unveroffentlichte
Manuskripte jesuitischer Professoren des Collegio Romano stiitzte (vor allem
Rugerius, Menu, Valla, Vitelleschi). Diese Arbeiten gehorten zu den besten, die die zeitgenossische Schulphilosophie anzubieten hatte19. Die Frage der
inhaltlichen Abhangigkeit Galileis auch von scholastischen Traditionen
mufite hiervon ausgehend vollig neu aufgerollt werden.
77. Archimedische Anfange
Auch zur Bewegungslehre liegt eine kurze Schrift Galileis vor, die im gleichen scholastischen Stil abgefafit ist, inhaltlich aber als Bindeglied zur grofieren
Abhandlung ?De Motu" verstanden werden kann. De Motu will nicht mehr
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DISCUSSION 173
die Meinungen und Argumente der Schulphilosophie sammeln, sondern
die Ursachen und Gesetze von Bewegung in systematischer Weise unter
suchen. Stilistisch wie inhaltlich kniipft Galilei darin an eine seiner fruhesten
Arbeiten - La Bilancetta - an, die er 1586 als 22-jahriger verfaBt hatte20.
In ihr konnte er ein beriihmtes Experiment des Archimedes verallgemeinern. Dieser hatte bekanntlich mit Hilfe einer Waage und eines Eimers mit Wasser
den Goldgehalt der Krone des Konigs Hieron bestimmt und damit den
Juwelier als Betriiger entlarvt. Grundlage des Experiments war die Uber
legung, daB sich das Gewicht in Wasser getauchter Korper in direkter
Proportion zu ihrem spezifischen Gewicht vermindert. Galilei konstruierte
im AnschluB an diesen Ansatz eine hydrostatische Waage, mit der man
die Metallgehalte von Zwei-Komponenten-Legierungen messen konnte.
Dabei wandte er jene Kenntnisse des Euklid und des Archimedes an, die
ihn sein Privatlehrer Ostilio Ricci gelehrt hatte, als er noch auf Wunsch
seines Vaters Medizin studierte.
Mit dieser Arbeit und einer weiteren iiber die Schwerpunkte ebener
Flachen, die ebenfalls vollig in archimedischer Tradition steht, erregte Galilei
die Aufmerksamkeit einiger Personen, die fiir seine weitere Karriere wichtig wurden21. Unter ihnen sind der Mechaniker Marchese Guidobaldo del Monte
und Astronom Christopher Clavius vom Collegio Romano hervorzuheben.
Die damit angedeutete Kombination von wissenschaftlichen Interessen war
fiir Galileis weitere Arbeit entscheidend. Sie war zudem einzigartig, denn
die auBerhalb der Schulwissenschaft stehenden Mechaniker des 16. Jhs.
wie Commandino, Cardano, Tartaglia, Benedetti und Guidobaldo verstan
den in der Regel sowenig von Philosophie wie die Schulphilosophen von
Mechanik. Im Falle Galileis fiihrten diese heterogenen Einflusse bereits
in den friihen Schriften zur Bewegung zu Widerspriichen, deren Auflosung die Reformulierung mechanischer Lehrsatze erzwang und schliefilich zur neuen Mechanik fiihrte.
Diese Widerspriiche ergaben sich in direkter Weise aus Galileis Vorhaben, naturliche und gewaltsame Bewegungen auf exakte mechanische Prinzipien zuriickzufiihren. Die spatscholastische Impetustheorie konnte dies nicht
leisten, weil sie bestenfalls den Grund und das MaB der gewaltsamen, nicht
jedoch der natiirlichen Bewegungen bestimmen konnte. Nicht hier, sondern
in den klaren Axiomen des Archimedes glaubte Galilei die Losung fiir sein Problem zu finden. Es ist die erklarte Strategic von De Motu, die naturliche
Bewegung von Korpern nach oben oder unten auf die Verhaltnisse der
Gewichte und Bewegungen der beiden Arme einer Waage zuriickfuhren22.
Zur Realisierung dieses Vorhabens kniipfte er an genau dieselbe Schrift
an wie vorher schon Tartaglia und Bendetti: Archimedes' Arbeit ?Uber schwimmende Korper". In dieser Schrift hatte Archimedes die Kraft, mit
der ein Korper im Wasser nach unten gezogen oder nach oben getrieben wird, mit dem Unterschied der spezifischen Gewichte erklart. Diesen Ansatz
verallgemeinert Galilei, indem er die Geltung der Archimedischen Axiome
auf alle Korper, die sich in beliebigen Medien bewegen, ausdehnt. Dieser
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174 DISCUSSION
Ansatz stand in Widerspruch zur aristotelischen Lehrmeinung. Ein Korper fallt oder sinkt nach Aristoteles deshalb, weil er eine besondere Qualitat der Schwere aufweist, nicht weil das Medium spezifisch leichter ist als er
selbst. Andererseits steigt er deshalb, weil er einen UberschuB der Qualitat
Leichtigkeit besitzt, nicht weil das Medium, in dem er sich befindet, spezifisch schwerer ist als er selbst.
Die Verbindung zur Bewegungslehre schafft die Hypothese, daB die aus
den Unterschieden der spezifischen Gewichte herriihrende Kraft der Ge
schwindigkeit fallender oder steigender Korper proportional ist. Dies ent
spricht sowohl der statischen Annahme, dafi Kraft und virtuelle Verschie
bung in Gleichgewichtssystemen proportional sind, als auch dem aristo
telischen Grundsatz, dafi eine konstante Kraft eine konstante Bewegung
erzeugt. Galilei schliefit daraus, dafi Korper mit konstanter Geschwindigkeit
steigen oder fallen, und dafi das Mafi dieser Bewegung in seinem wirksamen
Gewicht liegt. Die in der statischen Tradition sowohl des Jordanus de
Nemore als auch der aristotelischen Schrift ?De Mechanica" zu findende
Begriindung fiir den Zusammenhang von Gewicht bzw. Kraft und Geschwin
digkeit beruht auf folgender Uberlegung: Man befestige an einer Waage zwei Gewichte, von denen das eine doppelt so schwer ist wie das andere.
Danach bringe man die Waage ins Gleichgewicht. In dieser Konstellation
wird das schwerere Gewicht nach einer unmerklichen Vergrofierung das nur halb so grofie Gegengewicht mit der doppelten Geschwindigkeit, die es selbst hat, bewegen konnen. Dies ergibt sich aus der einfachen Rechnung, dafi der eine Arm der Waage im angenommenen Fall doppelt so lang wie
der andere ist. Analoges gilt bei einer Verdrei- oder Vervierfachung des
einen Gewichts23.
Was den physikalischen Gehalt betrifft, kommt Galilei in De Motu nicht
iiber gangige Lehrmeinungen hinaus. In einigen Punkten fallt er sogar hinter
vorliegende Untersuchungen zuriick - etwa bei der Analyse des Wurfes
und der Fallbeschleunigung. Zur Bahn eines geworfenen Korpers erklart
Galilei, dafi der eingepragte Impetus den Korper zunachst geradlinig vorwartstreibe, bis er nach seiner Erschopfung in eine sehr kurze gebogene und sodann in eine senkrecht zur Erdmitte verlaufende Fallbewegung
iibergehe. Dabei hatte bereits Tartaglia gezeigt, dafi sich Geschosse auf
einer durchgehend gekriimmten Bahn bewegen. Tartaglia konnte seine
Ansicht allerdings ebensowenig wie Galilei nach strengen Mafistaben be
weisen. Die Beschleunigung fallender Korper erklart Galilei entgegen der
peripatetischen Lehrmeinung als ein akzidentelles Phanomen. Dabei greift er auf eine Idee des griechischen Astronomen Hipparch zuriick. Nach
Hipparch - wie Galilei ihn versteht -
verfugt jeder Korper, der nach oben
geworfen werde, am Wendepunkt noch iiber genau den Betrag an einge
pragter Kraft, der notig ist, ihn am Fallen zu hindern. Beginnt er nun
sich zum Zentrum zu bewegen, so entweicht dieser nach oben gerichtete
Restimpetus nicht augenblicklich, sondern erst nach und nach. Erst dann
werde die natiirliche Geschwindigkeit erreicht, die der wirkenden Kraft
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DISCUSSION 175
entspricht. Eine sehr gewundene Erklarung findet er auch fiir das von ihm
als gesichert angesehene Phanomen, daB leichte Korper zunachst schneller
fallen als schwere, und erst nach einer gewissen Zeit von den letzteren
uberhoit werden. Dies sei darauf zuriickzufiihren, so Galilei, dafi Qualitaten in leichte Korper zwar schneller eingepragt werden konnen, dafi sie aber
auch wieder schneller entweichen. Ahnlich sei es im Falle anderer Arten
der Bewegung, etwa der Erwarmung leichter und schwerer Korper. Solche
und ahnliche Beispiele zeigen, dafi Galilei durchaus noch den aristotelischen
Bewegungsbegriff verwendet24.
An diesem Punkt befindet sich auch die Schnittstelle zwischen statischem
Ansatz und Impetusbegriff innerhalb der friihen Physik Galileis. Mit dem
unterschiedlichen Aufnahmeverhalten verschieden schwerer Korper fiir
eingepragte Krafte erklart dieser nicht nur die Tatsache, dafi man eine Kugel aus Holz nicht so weit schiefien konne wie eine aus Blei. Er wendet diesen
Grundsatz auch zur Erklarung der unter verschiedenen Neigungswinkeln zu erzielenden Schufiweiten an. Es werde namlich umso mehr Bewegungs kraft in ein Projektil eingepragt, je grofier dieser Winkel sei. Dann namlich
sei das wirksame Gewicht des Projektils am grofiten und biete der vom
entziindeten Pulver ausgehenden Bewegungskraft den grofiten Widerstand.
Galilei argumentiert hier in Analogie zur schiefen Ebene, bei der das
wirksame Gewicht, das das Mafi der Bewegung des Korpers nach unten
bestimmt, mit dem Neigungswinkel der Ebene abnimmt. Auch hier versucht
Galilei also Bewegungen, in diesem Fall die gewaltsame Bewegung eines
Projektils durch eine Kanone, mittels statischer Modelle zu erklaren. Die
Argumentation mit der schiefen Ebene schafft zugleich die begriffliche
Verbindung zwischen dem durch einen einmaligen Vorgang eingepragten und dem durch den Unterschied der spezifischen Gewichte kontinuierlich
erzeugten Impetus, der das Mafi der Bewegung von Korpern nach oben
oder unten bestimmt. Naturliche und gewaltsame Bewegungen werden damit
durch die gleichen Prinzipien erklart.
III. Methodische Aspekte der friihen Physik Galileis
Einige Merkmale heben Galileis Traktat von anderen zeitgenossischen
Analysen zur Bewegung ab:
(1) Die Verschmelzung praziser begrifflicher Analyse nach Art der Schul
physik mit der quantitativen Sprache der statischen Mechanik. Diese Uber
tragung statischer Uberlegungen auf frei fallende Korper war von der stati
schen Tradition her gesehen unzulassig. So wurde von ihr auch niemals
versucht, was Galilei in De Motu unternahm und was sich nur aus seiner
wissenschaftlichen Biographie erklaren lafit. Bei dieser Verkniipfung blieb
er in Schwierigkeiten stecken, die eine Reformulierung bestimmter Axiome
erzwangen. Er benotigte 15 Jahre, bis er aus der Sackgasse herausfand.
(2) Galilei beweist ein prazises, logisch schlussiges Denken, das die eigenen
Voraussetzungen nicht nach Belieben andert und nicht vor radikalen Konse
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176 DISCUSSION
quenzen zuriicksteckt. Bei seinen Kollegen und Zeitgenossen kann man
dieses Vertrauen in die Richtigkeit der eigenen Folgerungen nicht immer
beobachten. Inkonsistent war etwa Benedetti bei seiner Analyse der Fall
geschwindigkeit verschieden schwerer Korper im Vakuum, wenn er sie einmal
als dem spezifischen Gewicht proportional, das andere Mal aber als
unabhangig vom Gewicht erklart. Benedetti fordert ideale Bedingungen der
Rotation und argumentiert dann mit dem Widerstand der Luft. Inkon
sequent war auch die Taktik einiger Professoren des Collegio Romano, den Konflikt zwischen Impetustheorie und aristotelischer Antiperistasis Theorie (Bewegung durch ein dem Medium verliehenes Vermogen) dadurch zu ?losen", dafi sie beiden Parteien zur Halfte Recht gaben25. Eine solche
Strategic war fiir Galilei nicht akzeptabel. Wo andere auf der Basis
schwammiger oder willkiirlich geanderter Voraussetzungen mutmafien, deduziert Galilei ohne iibertriebene Riicksicht auf Lehrmeinungen und auf
den Augenschein aus den fiir ihn evidenten und explizit aufgefiihrten Pramissen; wo andere Kompromisse suchen, strebt Galilei nach klaren
Aussagen und Entscheidungen; wo andere Autoritaten anfuhren, verlangt Galilei evidente Axiome oder eindeutige empirische Befunde.
Das logisch konsequente Denken Galileis zeigt sich in der Analyse eines
Grenzfalls von Bewegung, namlich der auf einer Ebene, die ihren Abstand zum Zentrum der Welt nicht andert. Seine Uberlegung ist wie folgt: Eine
perfekte Kugel, die auf einer perfekten schiefen Ebene mit unendlich kleiner
Neigung gelegt wird, beginnt, in natiirlicher Bewegung abwarts zu rollen.
Umgekehrt kommt die gewaltsame Bewegung einer Kugel, die in die
entgegengesetzte Richtung gestofien wird, langsam zur Ruhe. Wie aber sieht es aus, wenn die Ebene keine Neigung hat? Er kommt zu dem Schlufi, dafi die Bewegung der Kugel hier weder naturlich noch gewaltsam noch
gemischt, sondern neutral ist und zu ihrer Erhaltung keiner weiteren Krafte
bedarf. Dasselbe gelte auch fiir Konstellationen, in denen homogene Korper um ihren eigenen Schwerpunkt rotieren, oder in denen der Schwerpunkt
inhomogener rotierender Korper mit dem Mittelpunkt der Welt, also der
Erde, zusammenfallt. Damit war bereits in De Motu die Grundlage fiir
die spatere Formulierung der Tragheitsidee und des Prinzips der kinema
tischen Relativitat gelegt26, obwohl Galilei in dieser Schrift noch zugunsten des Geozentrismus argumentiert.
(3) Ein weiterer Unterschied zwischen Galilei und seinen Kollegen aus
den Reihen der Mechaniker und der Schulphilosophen besteht in seiner
Einsicht, dafi es zwischen mathematischer Analyse und wirklicher Bewegung eine Differenz gibt, dafi diese Differenz jedoch eine exakte quantitative
Behandlung nicht vereitelt - wie dies zum Beispiel Guidobaldo del Monte
annahm. Der Marchese del Monte kritisierte die Idealisierung, die in der
Annahme liege, Korper fielen parallel zur Erdoberflache, wo sie doch faktisch zur Erdmitte hin konvergieren miissen. Desgleichen konne man bei der
Analyse mechanischer Probleme nicht von Reibungsverlusten abstrahieren, so dafi das Produkt von Kraft bzw. Gewicht und virtueller Verschiebung
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DISCUSSION 177
in Gleichgewichtssystemen (bei VergroBerung eines der Gewichte um einen
unendlich keinen Betrag) eben faktisch nicht identitisch sei, wie dies Galilei annahm. Konsequenterweise leugnete Guidobaldo auch die Anwendbarkeit des statischen Instrumentariums auf Probleme der Bewegungslehre27.
Galilei dagegen sieht schon in seinen friihesten Schriften sehr klar, dafi
der Physiker bei der Suche nach Prinzipien von storenden Faktoren, soweit sie per accidens wirken, absehen mufi. Erst bei der Berechnung realer Prozesse und der Bewertung von Beobachtungen sind diese storenden Einfliisse wieder sukzessive einzufuhren. Nur so konnte Galilei bereits in
De Motu zum Begriff der neutralen Bewegung kommen, die ohne weitere
Zufuhr von Kraft andauert. Bei dieser Aussage weifi er, dafi keine reale
Bewegung unbegrenzt andauern wird, weil viele storende Faktoren sie behindern werden. Die Behauptung gilt unter den eingefuhrten Pramissen, die die Grundstruktur der untersuchten Vorgange beschreiben, jedoch in
reiner Form nirgends realisiert sind.
Was war die Folge von De Motu? Galilei war iiberzeugt, dafi seine
archimedischen Prinzipien richtig sind28. Nach seinem Urteil setzten sie nur
das voraus. was klar und evident war und deshalb keines Beweises bedurfte. Umso mifilicher mufi es ihm erschienen sein, dafi sich seine Theoreme iiber
die Geschwindigkeit schwerer Korper empirisch nicht bestatigen liefien.
?Wenn man zwei Korper, nach deren Eigenschaften sich der erste doppelt so schnell bewegen sollte als der zweite, von einem Turm fallen lafit, dann
wird der erste nicht merklich schneller und schon gar nicht zweimal so
schnell den Boden erreichen"29. Das gleiche gait fiir die Bewegung ent
lang der schiefen Ebene. ?Die Proportionen, die wir abgeleitet haben, sind
nicht beobachtbar"30, heifit es lapidar. Der iiberraschende Zusatz: ?Wenn man eine Beobachtung macht, dann die, dafi der leichtere Korper am An
fang der Bewegung dem schwereren vorausteilt"31. Doch dies geschehe zweifellos nur per accidens. Es verdecke zwar die wahren Ursachen des
Bewegungsprozesses, hebe sie jedoch nicht auf. Das gleiche gelte fiir die unter realen Bedingungen niemals vernachlassigbaren Widerstande, die durch Reibung, die Form des sich bewegenden Korpers oder Bewegungen im Medium selbst erzeugt wurden. ?Fiir diese akzidentellen Faktoren konnen keine Regeln gegeben werden, weil sie in unzahlbaren Formen auftreten32
(....) Was wir suchen, sind die Ursachen der Effekte, und diese Ursachen
sind uns nicht in der Erfahrung gegeben"33. Sie konnen nicht durch
Vervielfaltigung von Beispielen, sondern nur durch die Arbeit des Verstandes
gefunden werden. Zu diesem Zweck, so erlautert Galilei am Beispiel der
neutralen Bewegung, miissen wir davon ausgehen, dafi die Ebene sozusagen
?unkorperlich", also von vollkommener Harte und Glatte ist. Der sich
bewegende Korper mufi von vollkommener Form sein, die sich einer
Bewegung nicht widersetzt. Unter diesen Bedingungen werde ein Korper auf einer Ebene, die ihren Abstand zum Zentrum nicht verandere, durch eine Kraft kleiner als jede gegebene Kraft bewegt. Auch die anderen
abgeleiteten Gesetzmafiigkeiten sind nur unter diesen idealen, aber die
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178 DISCUSSION
wahren Ursachen der Phanomene erfassenden Bedingungen, beobachtbar34.
DaB Galilei mit seinen Antworten nicht zufrieden war, ersieht man daran, daB er De Motu nicht publiziert hat. Es war ihm nicht gelungen, aus seiner
Theorie testbare Konsequenzen abzuleiten. Zuviele Akzidenzien muBten
unter realen Verhaltnissen beriicksichtigt werden. Fiir diese Akzidenzien
wie Beschleunigung, Reibung, Luftwiderstand, Form der Korper, hatte
Galilei keine Theorie. Er war daher nicht imstande, ihren Einflufi auf die
kausalen Ablaufe zu berechnen und seine Ableitungen an der Erfahrung zu uberpriifen.
IV Auf dem Weg zur neuen Mechanik: Moment, Beschleunigung und die neue
Rolle des systematischen Experiments
Die kommenden zehn Jahre machte Galilei keine wesentlichen Fortschritte
bei der Losung dieser Probleme. Um 1601/2 verfafite er dann auf der
Grundlage alterer Vorlagen eine Schrift, in der er die Funktionsweise
einfacher mechanischer Gerate wie Hebel, Waage, schiefe Ebene, Winde,
Flaschenzug und Schraube erlautert35. Vor allem geht es ihm um den
Nachweis, dafi es nicht moglich sei, wie viele glaubten, mit Hilfe kunstvoller
mechanischer Erfindungen Krafte zu gewinnen. Die Mechanik konne Krafte
nicht gewinnen, sondern nur transformieren. Was man mit ihrer Hilfe
scheinbar an Kraft und Gewicht gewinnt, geht an Weg und Geschwindigkeit verloren. Um jenen Faktor zu kennzeichnen, der bei der Transformation
der genannten Grofien erhalten bleibt, fiihrt Galilei einen neuen Begriff ein: das MOMENT. Das Moment ist gewissermafien die resultierende Form
der durch eine Konstellation einfacher Maschinen transformierten Input
grofie. ?Moment ist die Tendenz zur Bewegung nach unten, die weniger durch das Gewicht des beweglichen Korpers als durch die Anordnung verschiedener schwerer Korper bedingt ist"36. Diese Tendenz, so erlautert
Galilei spater in den Discorsi, sei ?eben so grofi wie die Kraft oder wie
der geringste Widerstand, der hinreicht zum Gleichgewicht"37. ?Schwere
Korper", so Galilei weiter, ?setzen einer Bewegung nur insofern Wider
stand entgegen, als diese sie vom Zentrum der Erde entfernt"38. Anderer
seits setzen sie sich nur dann in Bewegung, wenn sich ihr Abstand zum
Zentrum verringert. Das gewonnene oder verlorene Moment ist dabei nur
vom Betrag der Abstandsanderung zum Zentrum abhangig, nicht dage
gen vom tatsachlichen Weg, den der Korper nimmt, nicht von der Zeit, die er dafiir benotigt.
Diese Theoreme implizieren, dafi Galilei in Le Meccaniche die Abhan
gigkeit der Fallgeschwindigkeit vom spezifischen Gewicht aufgegeben hat.
Andernfalls ware das Moment nicht nur von Weg, Kraft, Zeit, Geschwin
digkeit, absolutem Gewicht, sondern auch vom spezifischen Gewicht ab
hangig. Ein spezifisch schwererer Korper, der iiber eine schiefe Ebene
abwarts rollt, konnte dann einen absolut gleich schweren aber spezifisch leichteren Korper auf eine grofiere Hohe treiben als die, von der er selbst
![Page 16: German one](https://reader034.vdocuments.site/reader034/viewer/2022042700/5591da6f1a28abf40a8b45a7/html5/thumbnails/16.jpg)
DISCUSSION 179
fiel. Auch das Gleichgewicht einer Waage, an deren Armen sich Korper mit unterschiedlichen spezifischen Gewichten befinden, ware aufgrund der
Verschiedenheit ihres dynamischen Verhaltens labil. Bereits eine unendlich
kleine Stoning wiirde geniigen, um das Verhalten einer Anordnung einfacher
Maschinen, die sich aus Komponenten unterschiedlichen spezifischen Ge
wichts zusammensetzt, unvorhersehbar zu machen. Diese Folgerungen wurden nicht nur der Erfahrung, sondern auch den Prinzipien des Archi
medes zu wider laufen.
Noch eine andere Annahme aus De Motu wird jetzt stillschweigend
fallengelassen. Wenn gleich schwere Korper sich dem Zentrum der Erde
iiber gleiche vertikale Distanzen auf unterschiedlich langen Wegen nahern, dann gewinnen sie identische Momente. Die Zunahme der Geschwindig keiten wiederum entspricht bei identischem Gewicht und gleicher vertikaler
Distanz der Zunahme an Moment39. Da wie angenommen nur Zeiten und
Wege, nicht aber die resultierenden Momente und Geschwindigkeiten verschieden sind, miissen die beiden Korper diese Geschwindigkeiten in
unterschiedlicher Weise gewonnen haben. Dies liefi vermuten, dafi die
Beschleunigung nicht wie in De Motu angenommen ein akzidentelles, sondern ein wesentliches Merkmal von Bewegung darstellt40. Damit war
ein zentrales Postulat der friihen Galileischen Bewegungslehre gescheitert. Galilei plante nun eine neue Abhandlung iiber die Bewegung. Er hatte
erkannt, dafi das Phanomen der Beschleunigung einer intensiven Unter
suchung bedurfte. Nach dem Fehlschlag von De Motu wufite er, dafi theo
retische Analysen zur Auswahl der gesuchten Prinzipien nicht geniigten, sondern durch experimentelle Untersuchungen von Akzidenzien zu erganzen
waren. Durch systematische Variation akzidenteller Faktoren suchte er
Konvergenzen aufzuspiiren (Fallbeschleunigung, spezifisches Gewicht). An
dere Bedingungen hielt er konstant, um die Wirkung von Faktoren zu
kontrollieren (Reibung, Luftwiderstand, Form der Korper). Nur so konnte er hoffen, die in De Motu aufgetauchten Probleme sowie die Widerspriiche zwischen De Motu und der mechanischen Schrift zu beseitigen. Die Zeit
zwischen der Abfassung von Le Meccaniche und seinen astronomischen
Entdeckungen, also die sieben Jahre zwischen 1602 und 1609 waren eine
Phase intensiven Experimentierens. Die Dokumente zeigen auch, dafi Galilei
bereits vorher Pendelexperimente und Fallversuche mit schiefen Ebenen
gemacht hatte, allerdings ohne dafi ihm dies weitergeholfen hatte. Die
wichtigsten Experimente, die Galilei in diesen Jahren durchfuhrt, lassen
sich in zwei Gruppen einteilen41:
Die erste untersucht das Problem der Fallbeschleunigung mit Hilfe der
schiefen Ebene. Auf folio 107v finden sich die Daten eines dieser Expe rimente, das um 1604 durchgefuhrt wurde. Die geringe Abweichung von
den korrekten Werten lafit darauf schliefien, dafi Galilei ein sehr sorgfaltiger
Experimentator war und iiber ein beachtliches handwerkliches Geschick
verfiigte. Andere Mefiergebnisse unterstiitzen diesen Eindruck. Obwohl die
Daten42 des genannten Experimentes klar zeigten, dafi sich bei der Fall
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180 DISCUSSION
bewegung die zuriickgelegten Strecken wie die Quadrate der entsprechenden Fallzeiten verhielten, leitete Galilei daraus kein Gesetz ab. Aus seinen
bisherigen Studien zur Bewegung wufite er, dafi Akzidenzien den Physiker, der sich auf der Spur einer Entdeckung wahnt, leicht tauschen konnen. Er versuchte nicht, von seinen Daten ausgehend zu verallgemeinern, sondern
eine theoretische Erklarung zu finden, aus denen die Regelmafiigkeiten, die sich in den Daten gezeigt hatten, ihrerseits ableitbar waren. In den
folgenden vier Jahren konstruierte er eine Reihe von Beweisen, die teils
richtige, teils falsche Elemente enthielten43.
Der Beweis, den Galilei in den Discorsi44 anfuhrt, beruht im Kern auf
einer Anwendung des ?mean-speed-theorems", das von den Oxforder
Spatscholastikern im 14. Jh. aufgestellt wurde. Es lautet, dafi ein proiectum in einer gleichformig beschleunigten Bewegung denselben Weg durchlauft,
den es auch mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit zuriicklegen wiirde, die halb so hoch wie die Endgeschwindigkeit im beschleunigten Fall ist.
Wenn also ein gleichformig - in scholastischer Terminologie ?uniformiter
difform" - beschleunigtes proiectum in einer Stunde eine maximale Ge
schwindigkeitsintensitat von 50 erreicht, so wiirde es denselben Weg in
gleicher Zeit auch mit einer uniformen Geschwindigkeitsintensitat von 25
durchmessen. Dies heifit physikalisch, dafi sich in der uniformiter difformen
Bewegung in gleichen Zeiten gleiche Geschwindigkeitszuwachse addieren.
Die zuriickgelegten Wege verhalten sich dann wie die Elemente der Reihe
der ungeraden Zahlen 1-3-5-7-9 usw. Addiert man die Wege, so sieht man, dafi mit einer Verdoppelung der Zeit eine Vervierfachung des Weges, mit einer Verdreifachung der Zeit eine Verneunfachung des Weges
einhergeht, usf.45. Die Quellen zeigen, dafi Galilei die Flachen des Dia
gramms nicht ohne Beweis mit den zuriickgelegten Wegen gleichsetzt, sondern eine Summierung der unendlich vielen durchlaufenen verschiedenen
Momentangeschwindigkeiten des gleichformig beschleunigten Korpers ver
sucht. Auch fiir diese ?graphische Integration" gibt es bei Nicole Oresme
ein - Galilei vermutlich unbekanntes - spatscholastisches Vorbild.
Die zweite Gruppe von Experimenten untersucht die Frage, ob das
Zeitquadratgesetz auch dann giiltig bleibt, wenn sich der Fallbewegung eine
zweite Bewegungstendenz in waagrechter Richtung hinzugesellt. In diesem
Fall findet eine Superposition der beiden Bewegungen statt, so dafi eine
gebogene Bewegung mit der Form einer Parabel resultiert. Auch hier hat
Galilei das Ergebnis nicht mit Hilfe des Experiments gefunden. Auch hier
zeigt er sich als geschickter Experimentator, dessen Daten auch heute noch
prasentabel sind. Er kannte das Ergebnis bereits, denn es ist eine logische
Folge des Zeitquadratgesetzes sowie der Annahme, dafi eine eingepragte Kraft den Korper auf einer Geraden weitertreibt.
V Galileis Beweisverfahren
Ungeachtet der logischen Prioritat theoretischer Ableitungen ist die expe
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DISCUSSION 181
rimentell gewonnene Erfahrung nicht iiberfliissig. Nur sie kann zeigen, ob die ?ex suppositione" mathematisch abgeleiteten Schliisse auch fiir reale
Bewegungsvorgange gelten. Die folgende von Wallace gefundene Briefstelle
scheint das Galileische Verfahren am klarsten zu erlautern:
I argue ex suppositione, imagining for myself a motion towards a point that departs from
rest and goes on accelerating, increasing its velocity with the same ratio as the time increases, and from such a motion I demonstrate conclusively [io dimostro concludentemente] many
properties [accidenti]. I add further that if experience should show that such properties were
found to be verified in the motion of heavy bodies descending naturally, we could without
error affirm that this is the same motion I defined and supposed; and even if not, my
demonstrations, founded on my supposition, lose nothing of their force and conclusiveness;
just as nothing prejudices the conclusions demonstrated by Archimedes concerning the spiral that no moving body is found in nature that moves spirally in this way. But in the case
of the motion supposed by me [figurato da me] it has happened [e accaduto] that all the
properties [tutte le passioni] that I demonstrate are verified in the motion of heavy bodies
falling naturally46.
Eine Analyse der Galileischen Spatwerke zeigt, dafi sich seine Metho
dologie zwischen De Motu und den Discorsi nur wenig verandert hat. Seine
Argumentationsweise hat in der Regel folgende Struktur. Aus einer Be
hauptung seines wissenschaftlichen Gegners, die die Erklarung eines Phano mens intendiert, leitet Galilei weitere Konsequenzen ab und zeigt an
schliefiend, dafi diese entweder empirisch falsch sind oder zu theoretischen
Widerspriichen fiihren. Gedankenexperimente werden unterstiitzend ein
geschoben. Anschliefiend stellt er seine eigene Erklarung vor und erlautert ihre geometrischen und physikalischen Pramissen. Zur Erhartung der
Erklarung leitet er weitere Folgerungen aus den gemachten Voraussetzungen ab, die anhand moglichst einfacher Beobachtungen nachpriifbar sind. Die so bestatigte Hypothese erklart Galilei fiir ?demonstriert", ohne damit
implizieren zu wollen, sie sei nun unwiderlegbar. Sie ist nach wie vor
hypothetisch in jenem Sinne, dafi es Menschen nicht moglich sei, die absolute
Wahrheit -
gemessen am gottlichen Wissen - zu erkennen, denn ?unser
Erkennen (steht) sowohl hinsichtlich der Art als hinsichtlich der Menge des Erkannten unendlich weit gegen das gottliche zuriick"47. Galilei besteht
jedoch darauf, dafi das menschliche Erkenntnisvermdgen bei konkurrie renden Theorien - etwa kopernikanische versus ptolemaische
- in der Lage sei, die falsche auszusondern,
da notwendig eines der beiden (...) richtig und das andere falsch sein muB, und mithin
unausbleiblich die Grunde fiir die wahre Lehre - ich meine nur innerhalb der Grenzen
menschlicher Wissenschaft - sich als ebenso beweiskraftig herausstellen miissen, wie die
gegenteiligen als nichtig und verfehlt48.
Galilei behauptet nicht, dafi er einen absolut schliissigen und unfehlbaren
Grund fiir die Falschheit des aristotelischen Systems wisse und das ko
pernikanische daher de facto wahr sei. Er will nur
alles das, was Aristoteles, Ptolemaus und andere bisher fiir die Unbeweglichkeit der Erde
angefiihrt haben, zur Sprache bringen; zweitens versuchen, dies zu widerlegen; endlich solche
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182 DISCUSSION
Tatsachen beizubringen, auf Grund derer man zur Uberzeugung gelangen kann, die Erde
sei, so gut wie der Mond oder ein anderer Planet, unter die von Natur kreisformig bewegten
Korper zu rechnen49.
Mehrfach betont Galilei, dafi er nicht den Anspruch erhebe, die Bewegung der Erde beweisen zu konnen, dafi aber, ?wenn Aristoteles hier ware, er
entweder von uns iiberzeugt wiirde, oder unsere Grunde widerlegte und uns eines besseren belehren wiirde"50.
Im Falle der Mathematik sieht er die Differenz zwischen menschlichem
und gottlichem Wissen allerdings nahezu verschwinden.
Nimmt man (...) das Verstehen intensive, insofern dieser Ausdruck die Intensitat, d.h. die
Vollkommenheit in der Erkenntnis irgend einer einzelnen Wahrheit bedeutet, so behaupte
ich, dafi der menschliche Intellekt einige Wahrheiten so vollkommen begreift und ihrer so
unbedingt gewifi ist, wie es nur die Natur selbst sein kann. Dahin gehoren die rein
mathematischen Erkenntnisse, namlich die Geometrie und die Arithmetik51.
In einer oft genannten Stelle des ?I1 Saggiatore" hatte Galilei weiterhin
erklart, die Philosophie stiinde
geschrieben in jenem grofien Buch - ich meine das Universum - das offen vor uns liegt, aber nicht verstanden werden kann, bevor man nicht gelernt hat, seine Sprache zu verstehen
und die Buchstaben zu interpretieren, in denen sie geschrieben ist. Es ist geschrieben in der
Sprache der Mathematik, und die Buchstaben dieser Sprache sind Dreiecke, Kreise und andere
geometrische Figuren (...)52.
Eine unvorsichtige Lesart konnte daraus schliefien, dafi Galilei den
Absolutheitsanspruch mathematischer Erkenntnis auf die Physik iibertragen will53. Doch dies ist nicht der Fall. Obwohl Galilei auch in der Physik dem mathematischen Beweis den Vorzug vor empirischer oder philoso
phischer Argumentation gibt, weifi er, dafi eine physikalische Erklarung
physikalische Hypothesen erfordert. Entgegen der platonisierenden Galilei
Interpretation ist seine Vorstellung des Verhaltnisses von Physik und
Mathematik der des Aristoteles sehr ahnlich. Folgende Stelle aus der
Physikvorlesung mag als Beleg geniigen:
Sind auf diese Weise die verschiedenen Bedeutungen des Terminus ,Natur4 bestimmt, so ist
nunmehr der Unterschied zwischen dem Mathematiker und dem Physiker zu bedenken -
denn Flachen, Korperformen, Strecken und Punkte, welche den Gegenstand des Mathematikers
bilden, eignen ja auch den Naturkorpern -. Ebenso ist zu klaren, ob die Astronomie .eine
von der Physik verschiedene oder eine zur Physik gehorende Wissenschaft ist. Denn es ware
doch widersinnig, wenn der Physiker zu den Gegenstanden seiner Wissenschaft zwar das Wesen
von Sonne und Mond, aber nicht deren notwendige Eigenschaften zahlen sollte, noch dazu, wenn die Naturphilosophen ganz offensichtlich auch iiber die Gestalt von Mond und Sonne
handeln und dann auch die Frage erortern, ob die Erde und die Welt kugelformig sei oder
nicht. Nun sind aber alle diese Dinge auch Themen des Mathematikers, jedoch immer unter
Ausklammerung der Tatsache, dafi sie Begrenzungen eines Naturkorpers sind (...) Darum
behandelt er sie auch als selbstandige Gegenstande; denn sie konnen wirklich in Unabhangigkeit vom Naturgeschehen betrachtet werden (Buch 2, 193b 23-35).
An den Vertretern der Ideenlehre kritisiert Aristoteles, dafi sie nicht die
mathematischen* Verhaltnisse, sondern die Naturverhaltnisse als in diesem
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DISCUSSION 183
Sinne selbstandig setzen, was unzulassig sei. Anschliefiend erortert Aristo
teles, was den Gegenstand der Physik bildet:
Der Terminus ,Natur' bedeutet also zweierlei: sowohl die Gestalt wie das Material (...) Wenn
aber (...) Gestalt und Material die Gegenstande einer und derselben Wissenschaft sein miissen
(...) dann wird man den SchluB ziehen miissen, daB auch in der Physik beide Naturmomente
zusammen den Gegenstand darstellen (194a 12, 20-26).
Auch in jenen ?mathematischen Disziplinen (...) die einen naturwissenschaft
lichen Einschlag zeigen" wie Optik, Harmonik, Astronomie, Mechanik, zeige sich der Unterschied der beiden Gegenstandsspharen. ? Wahrend die Geo
metrie die Linie in der Natur unter Absehung von der Tatsache betrachtet, dafi sie eine Linie in der Natur ist, betrachtet die Optik die mathematische
Linie, aber nicht unter dem methodischen Gesichtspunkt eines mathema
tischen, sondern eines Naturgebildes" (194a 7, 11; vgl. auch Metaphysik XIII, III, 7).
Ein sehr gutes Beispiel fiir das von Aristoteles beschriebene Verhaltnis von Physik und Mathematik und zugleich fiir den Status der mit mathe
matischen Argumenten abgeleiteten physikalischen Schlufifolgerungen ist
die Kontroverse um die Interpretation der Sonnenflecken zwischen Galilei
und Christoph Scheiner. Um die Sonne vor dem Makel der Beflecktheit zu bewahren, hatte Scheiner die Hypothese aufgestellt, die beobachtbaren
Phanomene seien Himmelskorper, die in geringer Entfernung um die Sonne
kreisen. Dieses Argument versucht Galilei zunachst durch Verweis auf die
unregelmafiige Erscheinung und die irregulare Struktur der in Frage stehenden Phanomene zu entkraften.
Anyone who wished to maintain that the spots were a congeries of minute stars would have
to introduce into the sky innumerable movements, tumultuous, uneven, and without any
regularity. But this does not harmonize with any plausible philosophy54.
Dafi man zwanzig oder dreifiig Flecken in gemeinsamer Bewegung auf der
Sonnenscheibe sehe, sei ein fiir Planeten sehr ungewohnliches Verhalten.
Obwohl Galilei es fiir leichter erklart, eine falsche Hypothese zu widerlegen als die nach seiner Auffassung wahre zu etablieren55, entzieht er sich dieser
Aufgabe nicht. Hierbei wird die konstruktive Funktion der Geometrie im
Galileis Beweisfuhrung deutlich. Ausgangspunkt der Analyse sind die beo
bachtbaren Besonderheiten der Phanomene:
That the spots are contiguous to the sun and are carried around by its rotation can only be deduced by reasoning from certain particular events which our observations yield56.
Um gewisse Unregelmafiigkeiten und Akzidenzien bereinigt, werden die
Beobachtungen sodann durch geometrische Uberlegungen aus der Rotation von Punktmengen auf der Oberflache eines spharischen (runden) Korpers ex suppositione erklart.
To begin with, the spots at their first appearance and final disappearance near the edges of the sun generally seem to have very little breadth, but to have the same length that they show in the central parts of the sun's disk. Those who understand what is meant by
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184 DISCUSSION
foreshortening on a spherical surface will see this to be a manifest argument that the sun
is a globe, that the spots are close to its surface, and that as they are carried on that surface
toward the center they will always grow in breadth while preserving the same length (...) This maximum thinning takes place at the point of greatest foreshortening, and it would
occur outside the face of the sun if the spots were any perceptible distance away from the
sun. In the second place, one must observe the apparent travel of the spots day by day. The spaces passed by the same spot in equal times become less as the spot is situated nearer
the edge of the sun. Careful observation shows also that these increases and decreases of
travel are quite in proportion to the versed sines of equal arcs, as would happen only in
circular motion contiguous to the sun itself. In circles even slightly distant from it, the spaces
passed in equal times would appear to differ very little against the sun's surface. A third
thing which strongly confirms this conclusion may be deduced from the spaces between one
spot and another (...) The events are such that they could be met with only in circular motion
made by different points on a rotating globe57.
Aus der Hypothese, dafi sich die Flecken auf der Oberflache der Sonne
befinden, lassen sich geometrische Eigenschaften ableiten, die sich im
beobachtbaren Verhalten der Flecken aufiern miissen: perspektivische Ver
kiirzung, Veranderung der scheinbaren oder wirklichen Geschwindigkeit
je nach Nahe zum Sonnenrand oder zu den Polen, Veranderung der
scheinbaren Abstande zwischen den Flecken. Galilei verwendet das beo
bachtbare Verhalten der Sonnenflecken als Indiz dafiir, dafi die Sonne ro
tiert und dafi sich die Flecken auf ihrer Oberflache befinden, um daraufhin
den UmkehrschluB zu ziehen, daB unter der Annahme einer rotierenden
kugelformigen Sonne die Flecken das erwartete Verhalten zeigen. Er
postuliert folglich keine Hypothese, die ausschliefilich mit Hilfe der Ma
thematik begriindbar ist, sondern zwei physikalische Hypothesen, die sich
gegenseitig stiitzen. Die Giiltigkeit der Erklarung setzt voraus, dafi man
die Sonne als starren Korper behandeln kann, dessen aufiere Hiille mit
gleichformiger Winkelgeschwindigkeit rotiert. Sie setzt weiterhin voraus, dafi die Flecken selbst sich auf der Oberflache der Sonne nicht linear
bewegen, dafi sie sich nicht drehen oder in ihrer Gestalt oder Grofie
verandern.
Diese Annahmen widersprechen den Beobachtungen und Uberlegungen Galileis an anderer Stelle der gleichen Briefe: Dort halt er die Sonne nicht
fiir einen starren Korper; er weifi, dafi die Flecken sich verandern, grofier oder kleiner werden, ihre Gestalt wandeln und dafi sie die Tendenz haben, zum Aquator der Sonne zu driften. Sogar die perspektivische Verkiirzung am Sonnenrand ist nicht einheitlich, woraus Galilei schliefit, dafi die Flecken
eine gewisse Dicke zu haben scheinen. Die Veranderung der Flecken nimmt
er zum Anlafi, der Sonnenoberflache eine flussige Konstitution zuzuschrei
ben, wahrend der Kern fest sein miisse, um die geordnete Bewegung der
fliissigen Oberflache zu ermoglichen. Galileis Argumentation verdeutlicht, wie sich die im Prozefi der mathe
matischen Analyse der Phanomene erreichte Exaktheit im Umkehrverfahren
der Synthese - also bei der Erklarung der real vorfindbaren Komplexitat
der Phanomenen durch die analytisch gefundenen Prinzipien - wieder
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DISCUSSION 185
verfliichtigt. Konnte er die Phasen der Venus noch als absolut sicheren
geometrischen Beweis dafiir werten, dafi sich der Planet um die Sonne dreht58, so war die geometrische Beweisfiihrung im Falle der Sonnenflecken aufgrund der Komplexitat der Erscheinung und des Einflusses akzidenteller Faktoren
schwieriger. Dies mag man als Hinweis darauf werten, dafi Galilei in
Abhangigkeit von der Direktheit des mathematischen Zugangs und von
der Eliminierbarkeit akzidenteller Faktoren Grade der Erkenntnissicherheit
in den Realwissenschaften annahm. Im Fall der Sonnenflecken kann er
mit Hilfe der spharischen Geometrie beweisen, dafi Punkte auf einer
rotierenden Kugel sich auf exakt berechenbare Weise bewegen. Soweit reicht
die Mathematik. Zur Bestatigung der physikalischen Hypothese, dafi die
Sonne eine rotierende Kugel ist, auf deren Oberflache sich Flecken bilden
und wieder auflosen, dienen systematische Beobachtungen der Flecken und
Messungen ihrer Geschwindigkeit, ihrer Abstande und ihrer Form. Die
Ubereinstimmung der realen Messungen mit den geometrischen Deduk
tionen ?demonstriert" die Korrektheit der physikalischen Hypothese, al
lerdings nur was ihre geometrischen Eigenschaften betrifft, und nur in Abstraktion von Umstanden, die per accidens wirken und die Erscheinungs form der Sonnenflecken storen, wie ihr Driften zum Sonnenaquator, ihre
Formveranderung, ihr Entstehen und Vergehen. Sie sagt nichts iiber ihre
Natur, ihre innere Konstitution.
For in our speculating we either seek to penetrate the true and internal essence of natural
substances, or content ourselves with a knowledge of some of their properties. The former
I hold to be as impossible an undertaking with regard to the closest elemental substances
as with more remote celestial things (...) Hence I should infer that although it may be in
vain to seek to determine the true substance of the sunspots, still it does not follow that
we cannot know some properties of them, such as their location, motion, shape, size, opacity,
mutability, generation, and dissolution59.
Diese weise Selbstbeschrankung bedeutet nicht, dafi Galilei keine Uber
legungen zur moglichen Konstitution der Flecken anstellt.
The substance of the spots may be any of a thousand things unknown and unimaginable to us (...) But if, proceeding on a basis of analogy with materials known and familiar to
us, one may suggest something that they may be from their appearances (...) I find in them
nothing at all which does not resemble our own clouds60.
Galilei argumentiert, dafi sich die Erde, wenn sie selbstleuchtend und von
einigen Wolken oder Rauchschwaden umgeben ware, einem aufieren Be
obachter ahnlich darstellen wiirde wie die Sonne. Dennoch halt er diese
Analogie nicht fiir zwingend.
I do not assert on this account that the spots are clouds of the same material as ours, or
aqueous vapors raised from the earth and attracted by the sun. I merely say that we have
no knowledge of anything that more closely resembles them. Let them be vapors or exhalations
then, or clouds, or fumes sent out from the sun's globe or attracted there from other places; I do not decide on this - and they may be any of a thousand other things not perceived
by us61.
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186 DISCUSSION
Eine interessante Umkehrung der Beweislage findet sich im ?Saggiatore". Anlafi fiir diese Schrift war eine kurze Abhandlung des Jesuiten Horatio
Grassi - einer der kompetentesten Astronomen seiner Zeit - iiber die drei
Kometen des Jahres 1618. Grassi hatte durch ein im Galileischen Sinn
demonstratives Argument nachgewiesen, dafi die Kometen sich jenseits der
Sphare des Mondes bewegten und somit keine atmospharischen Phanomene waren. Das mathematische Argument lautete, dafi eine Himmelserscheinung, die keine merkliche Parallaxe hat, zumindest eine Entfernung wie die
Planeten aufweisen mufi. Alle Messungen bestatigten, dafi die Parallaxe
der Kometen nur sehr klein sein konnte und dafi ihre Bahn vermutlich
weder kreisformig noch gleichformig war. Grassi bewertete dies zugleich als Bestarkung der Analyse, die Tycho Brahe iiber den Kometen des Jahres
1577 vorgelegt hatte. Diese Argumentation entspricht exakt derjenigen Galileis im ?Cecco di Ronchitti" Dialog von 1605, wo er das Parallaxe
Argument gegen die ?Philosophen", also die Aristoteliker einsetzte, die
die Nova dieses Jahres als atmospharische Erscheinung interpretieren wollten, um die aristotelische These der Unveranderlichkeit der Himmels
spharen zu retten62. Dieser Konflikt hatte Tradition. Bekanntlich hatte sich
Tycho Brahe bei den orthodoxen Aristotelikern durch den Nachweis
unbeliebt gemacht, dafi die Nova des Jahres 1572 keine Parallaxe aufwies
und daher zur Sphare der Sterne gehorte. Wie sehr die aristotelische Theorie der unveranderlichen Himmelsspharen
auch unter den jesuitischen Wissenschaftlern bereits um 1612 diskreditiert
war, ersieht man an Galileis Auslassungen iiber Scheiner, der seine Hypo these iiber die Sonnenflecken durch Umdeutung aller ubrigen Himmels
phanomene zu retten versuchte.
He thinks it probable that even the other stars are of various shapes and that they appear round only because of their light and their distance (...) (B)eing unable to deny that the
sunspots are generated and dissolved and in order not to have this distinguish them from
the stars, he does not hesitate to say that other stars, too, are disintegrated and refabricated63.
Und in seiner zweiten Arbeit iiber die Sonnenflecken ,,De maculis solaribus
et stellis circa Jovem errantibus accuratior disquisitio" (Augsburg 1612) erklarte Scheiner:
It is still doubtful whether the spots are on the sun or away from it, whether they are generated or not, whether they should be called clouds or not. But this much seems certain: the common
teaching of astronomers about the hardness and the constitution of the heavens can no longer be maintained, especially in the regions of the sun and Jupiter. It is fitting, therefore, that
we should listen to the leading mathematician of our times, Christopher Clavius, who, in
the last edition of his works, moved by these phenomena recently discovered (though ancient
in themselves) advised astronomers to start thinking of some other cosmic system64.
Dreizehn Jahre spater waren Galileis Hauptgegner nicht mehr die ?Philo
sophen", sondern die Neuerer, die sich dem System Tycho Brahes ver
schrieben hatten, um zumindest die irdische Physik bewahren zu konnen.
Galilei war in die merkwiirdige Lage geraten, gegen die astronomischen
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DISCUSSION 187
Neuerer, die bereit waren, nichtkreisformige Bewegungen am Himmel
zuzulassen, die aristotelische Kometentheorie, die auch die Zustimmung des Kopernikus gefunden hatte65 zu verteidigen. Aber dies war nicht der
einzige Grund fiir Galileis seltsame Kometentheorie. Viel wichtiger schien, dafi ihm berichtet wurde,
(s)ome outside the Jesuit Order are spreading the rumour that this is the greatest argument
against Copernicus' system and that it knocks it down66.
Das Argument lautete wie folgt. Wenn sich die Kometen in kreisformigen,
wenngleich stark exzentrischen Bahnen in der Nahe der oberen Planeten
um die Sonne bewegten, dann mufiten sie unter der Voraussetzung einer
nichtstationaren Erde Schleifen und Riicklaufigkeiten aufweisen. Da dies
nicht der Fall war, bestand unter kopernikanischen Voraussetzungen nur
die Alternative, das zu erklarende Phanomen selbst umzuinterpretieren oder
den Kometen eine andere Art von Bahn zuzuschreiben. Da Galilei letzteres
offensichtlich ablehnte, blieb ihm nur die erste Moglichkeit. Was Galilei noch wenige Jahre zuvor den Aristotelikern als streng
mathematischen Beweis fiir die translunare Lokalisierung der Nova des
Jahres 1604 vorgefuhrt hatte: die Abwesenheit jeder Parallaxe, wischte er
nun mit einer einzigen Bemerkung beiseite. Die Giiltigkeit des Parallaxe
Arguments sei von der physikalischen Natur des betreffenden Objektes
abhangig. Solange Grassi nicht zeigen konne, daB der Komet ein reales
physikalisches Objekt und nicht nur eine Spiegelung an aufsteigenden irdischen Dampfen sei, habe er nichts bewiesen. Zur Untermauerung
diskutiert er ausfuhrlich einige irdische Erscheinungen, bei denen trotz
ortlicher Nahe ebenfalls keine Verschiebung des scheinbare Ortes auftritt, weil das Phanomen zugleich mit dem Beobachter seinen Ort wechselt.
Bevorzugte Beispiele sind die Reflexion der Abendsonne auf dem Meer, der Regenbogen, der Hof des Mondes oder zuweilen auftretende ,,Neben
sonnen". Natiirlich ist Galilei vorsichtig genug, nicht zu behaupten, dafi Kometen sich genau so verhalten miissen wie die von ihm als beweiskraftig angefuhrten Beispiele. Er vermeidet jede Formulierung, die so auslegbar
ware, als halte er die physikalische Richtigkeit seiner Alternative fiir er
wiesen. Er wolle nicht mehr behaupten, als dafi seine Hypothese richtig sein konnte; daher sei die Forderung nur recht und billig, dafi man sie
erst falsifizieren miisse, bevor man eine andere, eine supralunare Erklarung des Kometen ernsthaft in Betracht zoge. Doch dies hindert ihn wiederum
nicht daran, seine Hypothese als die unter den gegebenen Bedingungen
plausibelste zu prasentieren67 und sie sogar 14 Jahre spater im ,,Dialog" zu wiederholen.
Bei der Lektiire des ?Saggiatore" wird klar, dafi Galilei auch nicht den
Anschein einer positiven Evidenz fiir seine Hypothese anfiihren kann. Er
macht an keiner Stelle klar, wie er sich die Entstehung der konkreten
Erscheinungsform und der Bahn des Kometen mittels Reflexion physikalisch vorstellt. Seine Argumente fiir die Reflexionstheorie leiten sich samtlich
![Page 25: German one](https://reader034.vdocuments.site/reader034/viewer/2022042700/5591da6f1a28abf40a8b45a7/html5/thumbnails/25.jpg)
188 DISCUSSION
aus Analogien ab. Vollig im Gegensatz zu seiner gewohnten methodischen
Strategic, wie sie anhand der Kontroverse um die Sonnenflecken vorgefiihrt wurde, verwirft Galilei eine mathematische Beweisfiihrung durch ein nicht
demonstratives Argument, das sich von ungestiitzten Spekulationen iiber
die Natur des zu erklarenden Phanomens ableitet.
Ist dies ein Beispiel zugunsten Feyerabends Behauptung, Galilei sei ein
methodologischer Anarchist gewesen? Diese Vermutung kann man mit vielen
Griinden bestreiten.
(1) Die Kontroverse um die Kometen ist zunachst ein Beispiel gegen die oft wiederholte These, Galilei habe die Frage nach der Substanz und
der Ursache der Phanomene (ihrem ,,Warum?") zugunsten der nach ihrer
Struktur (dem ?Wie?") aufgegeben. Auch in der Bewegungslehre blieb
Galilei an der Frage nach der Ursache der Fallbeschleunigung interessiert.
Wie sich in De Motu gezeigt hatte, setzte die Antwort hierauf allerdings die genaue Beschreibung des zu erklarenden Phanomens voraus. Also war
es notwendig, nach dem anfanglichen Fehlschlag mit der Frage nach dem
?Wie?" fortzufahren.
(2) Sie ist zum zweiten ein Beispiel gegen die platonisierende Galilei
Auslegung. Die Verwerfung des Parallaxe-Arguments zeigt, dafi bei einem
Konflikt zwischen Mathematik und Physik die erstere fiir Galilei nicht
unbesehen Prioritat besafi. Im Streit um die Kometen waren gerade nicht
die Phanomene, sondern deren Ursache und innere Konstitution strittig. Man beachte, dafi Galilei auch hier keineswegs gegen mathematische
Beweisfiihrungen als solche argumentiert. Die von ihm angefiihrten Grunde
zugunsten der Reflexionstheorie der Kometen benotigten eine viel kom
pliziertere Mathematik als die Beweisfiihrung seines Gegners. Wogegen er
sich wendet, ist ein spezifisches mathematisches Argument. Er mochte zeigen, dafi die Stichhaltigkeit dieses Arguments auf der Giiltigkeit versteckter
physikalischer Voraussetzungen beruht, die er selbst - unter den Vorzeichen
seines Kampfes gegen das tychonische System - nicht zugestehen will. Es
handelt sich daher bei dieser Kontroverse nicht" um einen Streit zwischen
einem demonstrativen Argument Grassis und einer physikalischen Hypo these Galileis, sondern zwischen verschiedenen physikalischen Hypothesen, die beide mathematisch ?ex suppositione demonstrierbar" waren. Wie im
Falle des Zeitquadratgesetzes war jedoch die empirische Giiltigkeit nicht
durch mathematische Deduktion, sondern nur anhand von Experiment und
Beobachtung entscheidbar.
(3) Der Streit um die Kometen ist ein Beispiel fiir Galileis Konserva
tismus auf dem Gebiet der eigentlichen Himmelsphysik. Galileis neue Wis
senschaft ist eine Physik der Erde, die die kopernikanische Kinematik der
Planeten zugleich mit der Prioritat kreisformiger Bewegungen bewahrt. Dies
war auch eine Folge des archimedischen Ausgangspunktes, von dem aus
kein Weg zu elliptischen oder noch komplizierteren Bahnen auf der Grund
lage ?okkulter" Anziehungskrafte und ahnlicher ?nichtiger Phantasien"
fiihrte. Es liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, dafi Galilei die zweifellos
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DISCUSSION 189
richtige Beobachtung, dafi man bei einer Lokalisierung der Kometen
zwischen den Wandelsternen mit Tycho Brahe zu dem SchluB kommen
miisse, die Kometen bewegten sich mit ungleichformiger Geschwindigkeit auf nicht-kreisformigen Bahnen riickwarts, als Argument fiir eine meteo
rologische Deutung wertet. Denn
one of the principal reasons which causes both him (Tycho -
K.F.) and Copernicus to depart from the Ptolemaic system was the impossibility of saving the appearances by means of motions
which are absolutely circular and perfectly equable in their own circles and around their
own centers68.
Und diesen Grundsatz des Kopernikus wollten die Anhanger Tychos leicht
fertig preisgeben! Wie an diesen Beispielen zu sehen, bleibt die Galileische Beweisfuhrung
unabhangig von ihrem Gegenstand strukturell gleich. Wenn immer moglich, arbeitet Galilei mit mathematischen Modellen, deren Ubertragbarkeit auf
die Wirklichkeit er anhand von Experiment und Beobachtung testet. Die
Strenge der ?demonstratio" ist dabei sowohl von der Gute des mathema tischen Ansatzes und der Zahl der intervenierenden Akzidenzien als auch von der Korrektheit der physikalischen Pramissen abhangig. Hat er kein
mathematisches Modell, dann treten Analogien an ihre Stelle, die zu
?bestmoglichen Vermutungen", nicht aber zu ex suppositione demonstrier ten Resultaten fiihren. Der Anschein eines methodischen Unterschiedes zwischen Galileis mechanischen Arbeiten, in denen er eine Neubegriindung dieser Wissenschaft nach archimedischen Prinzipien anstrebt, und seinen
astronomischen Veroffentlichungen, in denen sich auch ?nichtdemon strative" Argumente finden lassen, ergibt sich aus der unterschiedlichen
wissenschaftspolitischen Zielsetzung. In seinen astronomischen Arbeiten
schreibt Galilei nicht fiir den Mathematiker, sondern fiir die nicht fach
gebundene Intelligenz und den interessierten Laien. Auch hier verwendet
er, wie bei den Sonnenflecken, mathematische Argumente, doch er fiihrt sie oft nicht formal aus. Auf formale Ausfiihrungen verzichtet Galilei aber auch in seinen mechanischen Schriften, wenn er sich an einen weiteren Leserkreis wendet. Die Kontroverse iiber schwimmende Korper mag als
Beleg geniigen69. Auch in seinen Spatschriften besteht Galilei auf der Unverzichtbarkeit
von Idealisierung und Abstraktion. Nach wie vor insistiert er jedoch ebenso
darauf, daB storende Akzidenzien, die auf der ?Unvollkommenheit der
Materie" beruhen, eine Erkenntnis der Bewegungsgesetze nicht verhindern.
Es liege an der Kunstfertigkeit des Mathematikers, sie bei der Abschatzung beobachtbarer Effekte in Rechnung zu stellen. Im Dialog laBt Galilei sein
alter ego Salviati erklaren:
Gerade wie der Kalkulator, damit die Zucker-, Seide-, und Wollrechnungen stimmen, seine
Abziige fiir das Gewicht der Kisten, der Verpackung und des sonstigen Ballasts machen muB, so muB der Geometer, wenn er die theoretisch bewiesenen SchluBfolgerungen experimentell studieren will, die storenden Einfliisse der Materie in Abrechnung bringen70.
![Page 27: German one](https://reader034.vdocuments.site/reader034/viewer/2022042700/5591da6f1a28abf40a8b45a7/html5/thumbnails/27.jpg)
190 DISCUSSION
Immerhin halt er es in den ?Discorsi" fiir moglich, ?dafi die Unvoll
kommenheit der Materie (...) die scharfsten mathematischen Beweise zu
schanden machen kann"71. Er glaubt nicht mehr, dafi die Struktur der
Bewegungsvorgange so leicht erkennbar ist, wie er in De Motu angenom men hatte. Vielleicht liegt darin der Grund, dafi er im ?Dialogo" auf Platons
Anamnesis-Theorie anspielt. Vielleicht hoffte er die Rezeption seiner Argu mente zu erleichtern, indem er den Leser davon iiberzeugte, dafi dieser
die wahren Ursachen der Erscheinungen bereits kannte, ?ohne davon zu
wissen".
Wie in De Motu argumentiert Galilei auch im Dialog vor allem mit
Modellen, die den statischen Prinzipien des Archimedes nachempfunden sind. So vergleicht er die Planeten mit Pendeln, die an der Sonne befestigt sind, und versucht auf diese Weise Aussagen iiber ihre Schwingungsdauer,
sprich Umlaufzeit zu gewinnen. Das Erde-Mond-System behandelt er als
Pendel, das je nach Stellung des Mondes kurzer oder langer werde. Daraus
resultiere eine periodische Abbremsung und Beschleunigung der Erde, die
als eine der Ursachen von Ebbe und Flut angesehen werde miisse72.
Trotz gelegentlicher Abstecher in die Himmelsmechanik hat Galilei keinen
ernsthaften Versuch gemacht, seine mechanischen Prinzipien auf die Be
wegungen der Planeten anzuwenden. Seine Ansichten zur Himmelsmechanik
bleiben bis zuletzt dem traditionellen Kopernikanismus verhaftet. Er lehnt
die ubereinstimmende Ansicht der aristotelischen Philosophen und der
astronomischen Neuerer ab, dafi Epizykel und Exzenter nur mathematische
Fiktionen zur Ableitung der beobachtbaren Phanomene seien. Aus ver
schiedenen Textstellen geht hervor, dafi er sie fiir real halt73. Die Ellipse als Bahnform lehnt er ab, obwohl er sich niemals ernsthaft mit Keplers ?Neuer Astronomie" beschaftigt hat74. Wenn der Heliozentrismus tatsach
lich der Anker des Galileischen Denkens war, wie Feyerabend anzunehmen
scheint, dann ware die Vernachlassigung der Himmelsmechanik durch
Galilei zumindest erklarungsbediirftig. Erklarungsbediirftig ware dann auch, warum Galilei die heliozentrische Hypothese nach 1604 zumindest fiir einige Jahre als gescheitert ansehen konnte, bis er durch seine Fernrohrbeobach
tungen aus dem Jahre 1609 - und nicht durch indirekte Stiitzung seitens
der Mechanik - neue, unabhangige und direkte Evidenz zugunsten der
Theorie fand. Wie oben gezeigt, waren die Jahre zwischen ca. 1603.und
1609 fiir die Entwicklung seiner Mechanik entscheidend. Die Kristallisation
der neuen Physik erfolgte also gerade nicht in einer Phase, als Galilei bereits
iiberzeugter Kopernikaner war, sondern in den Jahren vor 1609, als er
aufgrund einer ?Falsifikation" der heliozentrischen Hypothese kein befrie
digendes astronomisches System und somit auch keine kosmologische
?Hilfshypothese" zur Stiitzung seiner Mechanik zur Verfiigung hatte.
Diese ?Falsifikation" war durch die gleiche Art des Argumentierens ex
suppositione erfolgt, die oben beschrieben wurde und die Galilei auch in
anderen Kontroversen verwendet. Offenbar in Ubereinstimmung mit einer
gangigen Interpretation vermutete Galilei, dafi die Nova von 1604 in kausa
![Page 28: German one](https://reader034.vdocuments.site/reader034/viewer/2022042700/5591da6f1a28abf40a8b45a7/html5/thumbnails/28.jpg)
DISCUSSION 191
lem Zusammenhang mit einer Konjunktion der Planeten Mars und Jupiter stand und daher nicht in der Sphare der Sterne, sondern der Planeten zu
lokalisieren war - zumal sie just am Ort der Konjunktion aufgetaucht war.
Das allmahliche Verblassen des neuen Sterns erklarte er dadurch, daB dieser
sich von der Erde entfernte. Damit bot sich jedoch ein hervorragender Testfall fiir das kopernikanische System. Wenn sich die Erde in jahrlicher
Bewegung um die Sonne dreht, dann mufite der neue Stern nach einer
gewissen Zeit eine deutliche - und mit wachsender Zeit allmahlich abneh
mende - Parallaxe zeigen. Zwar ware die Parallaxe kein Beweis fiir das
heliozentrische System gewesen - sie hatte sich auch auf die spezifische
Bewegung der Nova zuriickfuhren lassen - aber ihr Ausbleiben mufite unter
den gemachten Voraussetzungen als definitive Widerlegung des koperni kanischen Systems interpretiert werden. Wie anhand eindeutiger textlicher
Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Auflage des Cecco di
Ronchitti belegt werden kann, hatte Galilei nach dem Verschwinden des neuen Sterns, und nachdem sich keinerlei Parallaxe nachweisen liefi, genau diesen SchluB gezogen75. Erst spater, um 1609 oder 1610, als er andere,
unabhangige Grunde zugunsten der kopernikanischen Astronomie gefunden hatte, muBte ihm auch die Idee fragwiirdig werden, dafi das Verblassen
des Sterns von 1604 nur durch eine von der Erde wegstrebende Bewegung verursacht sein konnte und dafi die Entfernung der Nova mit der der Planeten
vergleichbar war. Er mufite einsehen, dafi diese Hypothesen nicht mathe
matischer, sondern physikalischer Natur waren und dafi der Streit mit den
Aristotelikern um die Interpretation des Sterns von 1604 nicht ein Streit
zwischen den physikalisch-kosmologisch-metaphysischen Argumenten der
Philosophen und den geometrisch-optischen Argumenten der Mathematiker
war, sondern ein Konflikt konkurrierender physikalischer Interpretationen. Zunachst jedoch schienen sowohl Aristoteles als auch Kopernikus unter
den akzeptierten Voraussetzungen widerlegt. Da die Astronomie entgegen der Vermutung einiger mit Galilei nicht personlich bekannter Korrespon denten wie etwa Kepler nicht dessen zentrales Arbeitsgebiet darstellte, schien ihn dieser Umstand kaum zu belasten.
Disenchantement with Copernicanism in 1605 (...) simply left him without a system of the
planets for a time, and we have no real reason for supposing that he felt any need for such
a system (...) Any feeling that this was a matter of crucial importance to Galileo is based
on his later work, when he did indeed battle for Copernicus. As a matter of fact there is
nothing in Galileo's own hand to indicate that he attached importance to his tidal theory before 1616, in the thick of his fight to prevent the prohibition of Copernicus by the church76.
Erst nachdem Galilei die Phasen der Venus, die Monde des Jupiter und
die Flecken auf der Sonne entdeckt hatte, und nachdem das System des
Tycho Brahe von den Vertretern der offiziellen Naturphilosophie als
phanomenologisch aquivalente Erklarung fiir diese Erscheinungen akzep tiert worden war, gewannen die Gezeiten in Galileis Argumentation fiir
Kopernikus ihre Bedeutung als herausragender Testfall. Nur eine korrekte
Analyse der Gezeiten konnte nach seiner Einschatzung eine Entscheidung
![Page 29: German one](https://reader034.vdocuments.site/reader034/viewer/2022042700/5591da6f1a28abf40a8b45a7/html5/thumbnails/29.jpg)
192 DISCUSSION
zwischen Tycho Brahe und Kopernikus herbeifuhren. Dafi diese Uberzeu
gung sachlich gerechtfertigt war und nicht Teil eines irrationalen Propa
gandafeldzugs darstellte, ersieht man daraus, dafi die Ursachen der Gezeiten und die moglichen dynamischen Effekte der Erdbewegung selbst heute noch kontrovers diskutiert werden77. Uber Galileis Gezeitentheorie ist das letzte
Wort noch immer nicht gesprochen.
E. Fazit
(1) Galilei war kein methodologischer Anarchist. Er hatte klare Vorstel
lungen korrekten wissenschaftlichen Arbeitens und Argumentierens, die sich iiber die Jahrzehnte nur unwesentlich anderten.
(2) Er war weder Induktivist noch naiver Falsifikationist. Nach seiner
Auffassung waren akzidentelle und wesentliche Faktoren nicht in der Er
fahrung gegeben, sondern nur durch mathematische und theoretische Ana
lyse auf der Grundlage einfacher, evidenter Axiome erkennbar. Dennoch war er nach De Motu vom hohen Wert des systematischen Experiments und der unverzichtbaren korrigierenden Funktion der Erfahrung bei der
Aussonderung falscher Axiome iiberzeugt.
(3) Galilei war kein kopernikanischer Eiferer, der seine Physik fiir einen
Propagandafeldzug zur Durchsetzung einer fixen, falsifizierten Idee erfand.
Vielmehr erkannte er im Zuge der Entwicklung seiner Physik, dafi das heliozentrische System auf ihrer Basis einige beobachtbare Phanomene -
etwa die Gezeiten - besser erklaren konnte als das geostatische. Durch
Prioritatsstreitigkeiten, den unerwarteten Ruhm von 1611, personliche Animositaten und den ersten ProzeB von 1616, dessen Ausgang Galilei
der intellektuellen Feigheit der Jesuiten zuschrieb, wurde er allerdings in
einer Weise personlich in den Konflikt um das kopernikanische System
hineingezogen, daB es im Nachhinein schwer ist, seine Motive nach Be
ginn der Kontroverse klar zu unterscheiden.
ANMERKUNGEN
1 M. A. Finocchiaro, Galileo and the Art of Reasoning. Dordrecht etc. 1980, 157f.
2 P. Feyerabend, Wider den Methodenzwang. Frankfurt 1976; ders., Troblems of Empiricism',
in: R. G. Colodny (ed.), Beyond the Edge of Certainty. Englewood Cliffs 1965, 145-260; ders.,
Troblems of Empiricism', Part II, in: R. G. Colodny (ed.), The Nature and Function of Scien
tific Theories. Pittsburgh 1970, 275-354; ders., ,Galilei und die Tyrannei der Wahrheit', in:
ders., Irrwege der Vernunft. Frankfurt 1989, 357-380. 3
Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf Feyerabend, Wider den Methodenzwang, Frankfurt 1976. 4
Zur Rolle der Methodologie in wissenschaftlichen Revolutionen vgl. auch K. Fischer,
,Rationale Heuristik. Die Funktion der Kritik im "context of discovery" '. Zeitschrift fur
Allgemeine Wissenschaftstheorie 14 (1983), 234-272. 5 Zu den divergierenden Richtungen innerhalb der Scholastik vgl. die verschiedenen Arbeiten
von William Wallace. Die Vielfalt der Naturphilosophie des 15. und 16. Jhts. ist z.B. doku
mentiert in A. Stockl, Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Bd. 3, Mainz 1866. Zu
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DISCUSSION 193
den Problemen des aristotelisch-ptolemaischen Weltbildes vgl. auch K. Fischer, ,1st die Vernunft
am Ende? Kritische Bemerkungen zu Feyerabend Analyse innovativer Prozesse in der
Wissenschaft'. Z. f. philos. Forschung 32 (1978), 387-397. 6
Vgl. N. Oresme, Le Livre Du del et Du Monde. Madison 1968, Kap. 25; J. Buridan, in:
M. Clagett, The Science of Mechanics in the Middle Ages, Madison, Doc. 9.1, 10.1; Plutarch, Uber das Mondgesicht. Zurich 1968; F. Krafft, ,Progressus retrogradis. Die ,,Copernikanische
Wende" als Ergebnis absoluter Paradigmentreue', in: A. Diemer (Hrsg.), Die Struktur
wissenschaftlicher Revolutionen und die Geschichte der Wissenschaften. Meisenheim am Glan
1977, 20-48; ders., ,Copernicus Retroversus II: Gravitation und Kohasionstheorie'. Colloquia
Copernicana IV. Ossolineum 1975, 65-78; E. Grant, Much Ado About Nothing. Theories of
Space and Vacuum from the Middle Ages to the Scientific Revolution. Cambridge etc. 1981. 7 Zu den Problemen der vorkopernikanischen Astronomie siehe z.B.: B. R. Goldstein, Theory and Observation in Ancient and Medieval Astronomy. London 1985; S. E. Babb, 'Accuracy of Planetary Theories, Particularly for Mars'. Isis 68 (1977), 426-434. 8 J. R. Christiansen, 'Tycho Brahe's German Treatise on the Comet of 1577'. Isis 70 (1979),
110-140, hier S. 136. Konsequenterweise verwarf Tycho auch die Theorie der festen Himmels
spharen. 9 Zur Erfindung des Fernrohrs: H. C. King, The History of the Telescope. New York 1955; A.
van Helden, 'The Invention of the Telescope'. Trans. Am. Phil. Soc. 67, Part 4 (1977), 5-67. 10 Zu diesem Problemkomplex siehe auch I. Hacking, Representing and Intervening, Cambridge 1983. Zur Entwicklung von geometrischer und physiologischer Optik in Mittelalter und friiher
Neuzeit vgl. B. C. Eastwood, Astronomy and Optics from Pliny to Descartes. London 1989;
D. C. Lindberg, Theories of Vision from Al-Kindi to Kepler. Chicago/London 1976; ders.,
'Optics in Sixteenth-Century Italy', in: P. Galluzzi (ed.), Novitd Celesti E Crisi Del Sapere. Firenze 1984, 131-148; A. Mark Smith, 'Getting the Big Picture in Perspectivist Optics'. Isis
72 (1981), 568-589; V. Ronchi, 'Two Thousand Years of the Struggle between Reason and
the Senses', in: Studia Copernicana XVI. Warschau etc. 1978, 63-82; G. C. Hatfield/W. Epstein, 'The Sensory Core and the Medieval Foundations of Early Modern Perceptual Theory'. Isis
70 (1979), 363-384; A. C. Crombie, Kepler: 'De Modo Visionis', in: L'aventure de la science,
Melanges Alexandre Koyre I. Paris 1964,135-172; A. Maier, ,Das Problem der 'species sensibiles
in medio' und die neue Naturphilosophie des 14. Jahrhunderts', in: dies., Ausgehendes Mittelalter
II. Rom 1967, 419-452; K. T. Tachau, 'The Problem of the Species in Medio at Oxford in the
Generation after Ockham'. Medieval Studies 44 (1982), 394-443. R. E. Siegel, 'Did the Greek
Atomists Consider a Non-corpuscular Visual Transmission? Reconsideration of Some An
cient Visual Doctrine. Archives Internationales d'Histoire des Sciences Fasc. 86-87 (1969), 3-16. 11
Galilei, Letters on Sunspots, in: S. Drake, Discoveries and Opinions of Galileo. Garden
City 1957, lOlf. 12 A.a.O. ,Zu Galileis Fernrohrbeobachtungen: S. Drake/W. R. Kowal, Galileis Beobachtungen
am Neptun', in: Spektrum der Wissenschaft 2 (1981), 76-89; W. R. Shea, 'An Astronomer
at Work', in: T. H. Levere/W. R. Shea (eds.), Nature, Experiment, and the Sciences, Dordrecht
etc. 1990, 51-76; S. Drake, 'Galileo's First Telescopic Observations'. /. Hist. Astr. 7 (1976),
153-168; ders., 'Galileo and Satellite Prediction'. J. Hist. Astr. 10 (1979), 75-93; E. Rosen
(ed.), Kepler's Conversation with Galileo's Sidereal Messenger. N.Y./London 1965. 13
Feyerabend, Wider den Methodenzwang, a.a.O., 167. 14 J. Brodrick, Robert Bellarmine, London 1961, 346. 15
Vgl. S. Drake, Galileo Against the Philosophers. Los Angeles 1976, 2ff, 30ff, 142ff. 16 T. B. Settle, 'An Experiment in the History of Science'. Science 133 (1961), 19-23; S.
Drake, 'Galileo's Discovery of the Law of Free Fall'. Sc. Am. Ill (1973), 84-92; ders. 'Galileo's
Experimental Confirmation of Horizontal Inertia: Unpublished Manuscripts'. Isis 64 (1973),
291-305; R. H. Naylor, 'Galileo: The Search for the Parabolic Trajectory'. Ann. Sc. 33 (1976),
155-172; ders., 'The Role of Experiment in Galileo's Early Work on the Law of Fall'. Ann.
Sc. 37 (1980), 363-378; ders., 'Galileo's Theory of Motion: Processes of Conceptual Change in the Period 1604-1610'. Ann. Sc. 34 (1977), 365-392; D. C. Hill, 'Dissecting Trajectories:
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194 DISCUSSION
Galileo's Early Experiments on Projectile Motion and the Law of Fall' Isis 79 (1988), 646-668. 17
Vgl. S. Drake/I.E. Drabkin, Mechanics in Sixteenth-Century Italy. Madison etc. 1969, 106
und passim; R. Naylor, 'Galileo's Theory of Projectile Motion'. Isis 71 (1980), 550-570; ders., The Evolution of an Experiment: Guidobaldo del Monte and Galileo's Discorsi Demonstration
of the Parabolic Trajectory'. Physis 16 (1976), 323-346; W. A. Wallace, Galileo and His Sources, 227. 18 M. Clagett, Archimedes in the Middle Ages, Vol. 3. Philadelphia 1978; S. Drake, 'Introduction', in: S. Drake/I. E. Drabkin, Mechanics in Sixteenth-Century Italy. Madison etc. 1969, 3-62. 19 W. A. Wallace, Galileo's Early Notebooks. The Physical Questions. Notre Dame/London
1977; ders., Prelude to Galileo. Essays on Medieval and Sixteenth-Century Sources of Galileo's
Thought. Dordrecht etc. 1981; ders., Galileo and His Sources. The Heritage of the Collegio Romano in Galileo's Science. Princeton 1984. 20
Galilei, 'The Little Balance', in: R. J. Seeger, Galileo Galilei, his Life and his Works. Oxford
1966, 135-139. 21
Vgl. S. Drake, Galileo at Work. Chicago/London 1978. 22
Galilei, On Motion and On Mechanics (De Motu; Le Meccaniche), iibers. von S. Drake
und I. E. Drabkin. Madison 196o, 20. 23 Zur den begriffHchen Verbindungen von Statik und Dynamik bis zur friihen Neuzeit vgl.
F. Krafft, Dynamische und statische Betrachtungsweise in der antiken Mechanik. Wiesbaden
1970; Quellen in: E. A. Moody/M. Clagett (eds.), The Medieval Science of Weights (Scientia de Ponderibus). Madison 1952. 24 Zum vorangehenden vgl. insbesondere De Motu, a.a.O., Galileis unvollendeten Dialog iiber
die Bewegung, sowie die Bemerkungen iiber die Bewegung, in Opere I, 367-419. Vgl. auch
W. L. Wisan, 'The New Science of Motion: A Study of Galileo's De motu locali'. Arch.
Hist. Exact Sc. 13 (1974), 103-306; M. Clavelin, The Natural Philosophy of Galileo. Cambridge/ Mass. 1974; D. Shapere, Galileo. Chicago/London 1974; K. Fischer, Galileo Galilei. Munchen
1983; K. Fischer, Die Entwicklung der Galileischen Bewegungslehre. Vortrag im Rahmen des
Wissenschaftshistorischen Kolloquiums ,Wissenschaft zwischen Qualitas und Quantitas' der
ETH Zurich, 14.11.1990. 25 G. B. Benedetti, Resolutio omnium Euclidis problemata aliorumque ad hoc necessario
inventorum una tantummodo circini data apertura; ders., Demonstratio proportionum motuum
localium contra Aristotelem et omnes philosophos; beides in englischer Ubersetzung in S.
Drake/I. E. Drabkin, Mechanics in Sixteenth-Century Italy. Madison etc. 1969, darin insbes.
S. 148 und 159. Zu den Professoren des Collegio Romano siehe W. A. Wallace, Galileo and
His Sources, a.a.O., 191f, 199. 26 Zum Problem von Galileis ,kreisformiger Tragheit': A. Chalmers/R. Nicholas, 'Galileo
on the Dissipative Effect of a Rotating Earth'. Stud. Hist. Phil. Sei. 14 (1983), 315-340; J.
A. Coffa, 'Galileo's Concept of Inertia'. Physis 10 (1968), 261-281; S. Drake, 'Galileo Gleanings - XVII. The Question of Circular Inertia'. Physis 10 (1968), 282-298; ders., 'The Case Against "Circular Inertia" ', in: ders., Galileo Studies. Ann Arbor 1970,257-278; R. S. Westfall, 'Circular
Motion in Seventeenth-Century Mechanics'. Isis 63 (1972), 184-189; E. Wohlwill, ,Die
Entdeckung des Beharrungsgesetzes'. Z. fur Volkerpsychologie 14 (1883), 365-410; 15 (1884),
70-135 und 337-383. 27 Ein ganz ahnliches Argument fiihrt Anneliese Maier zur Erklarung des Ratsels an, warum
die Oxforder Calculators des 14. Jahrhunderts, die buchstablich alle Bewegungen - das heifit
im aristotelischen Kontext alle Veranderungen -
quantifizieren wollten, weder gemessen noch
eine Theorie des Messens entwickelt haben. ,Es hat vielleicht niemals' - so Anneliese Maier -
,eine Epoche gegeben, die in demselben extremen Mass einem quantitativen Ideal gehuldigt hat wie die Spatscholastik' (A. Maier, ,Metaphysische Hintergriinde der spatscholastischen
Naturphilosophie'. Studien zur Naturphilosophie der Spatscholastik IV. Rom 1955, 340). ,Aber
immer' - so fahrt sie an anderer Stelle fort - ,bleibt es ein Rechnen ohne Messen' (a.a.O., 383).
,Der Gedanke, dafi ein Rechnen mit intensiven Grofien den Nachweis voraussetzt, dafi diese
Grofien wirklich quantitativ zu fassen sind, oder dass umgekehrt dieser Nachweis den Anstoss
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DISCUSSION 195
und Ausgangspunkt fiir solche Rechnereien gebildet hatte, entspringt einer absolut modernen
Vorstellung' (A. Maier, ,An der Grenze von Scholastik und Naturwissenschaft'. Studien zur
Naturphilosophie der Spatscholastik III. Rom 1952, 274f.). Als Begriindung fiir dieses Paradox
fiihrt sie an, die Scholastiker hatten gewuBt, daB jede Messung die intendierte GroBe immer
nur ungef&hr erfassen konnte, und, ein Rechnen mit ungefahren MaBen, d.h. mit Naherungs werten, mit Fehlergrenzen und vernachlassigbaren Grossen (...) ware den scholastischen
Philosophen als ein schwerer Verstoss gegen die Wiirde der Wissenschaft erschienen'. Obwohl
die Scholastik davon iiberzeugt war, daB fiir Gott alles in der Welt in alien Einzelheiten
gezahlt und gemessen ist, war der Mensch nicht imstande, dieses Wissen zu erwerben. Die
Scholastiker, so Maier abschlieBend ,sind an der Schwelle einer eigentlichen, messenden Physik
stehengeblieben (...), weil sie sich nicht zu dem Verzicht auf Exaktheit entschliessen konnten, der allein eine exakte Naturwissenschaft moglich macht' (Studien IV, 402).
Dies gilt natiirlich nicht fiir die Astronomie. Aufgrund der perfekten Natur der Himmels
spharen war die Anwendung der Mathematik zu ihrer Beschreibung unproblematisch. Dazu
waren in diesem Bereich Messungen unverzichtbar, Messungen, deren Giite bis zu Tycho Brahe allerdings viel zu wiinschen iibrig lies. Auch hier fand man es also nicht fiir notig, die Exaktheit der Messungen bis zur Grenze der eigenen technischen Moglichkeiten zu treiben.
Dazu auch: E. Sylla, 'Medieval Quantifications of Qualities: The 'Merton School' '. Arch.
Hist. Exact Sc. 28 (1972), 9-39; W. Hartner, 'The Role of Observation in Ancient and Medieval
Astronomy'. J. Hist. Astr. 8 (1977), 1-11; C. Wilson, 'The Sources of Ptolemy's Parameters'.
J. Hist. Astr. 15 (1984), 37-47; A. Aaboe/D. J. de Solla Price, 'Qualitative Measurement
in Antiquity', in: L'aventure de la science. Melanges Alexandre Koyre I. Paris 1964, 1-20;
R. R. Newton, The Crime of Claudios Ptolemy. Baltimore & London 1977. Gegen Newton
argumentiert G. GraBhoff, The History of Ptolemy's Star Catalogue. N.Y. etc. 1990. 28
Galilei, De Motu, a.a.O., 50, 63. 29
A.a.O., 38. 30
A.a.O., 69. 31 A.a.O. 32
A.a.O. 33
A.a.O., 27. 34 Dazu A. v. Oettingen (Hrsg.), Galileo Galilei. Unterredungen und mathematische Demon
strationen iiber zwei neue Wissenzweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend (Discorsi). Darmstadt 1973, 224. Dazu auch N. Koertge, 'Galileo and the Problem of Accidents'. J.
Hist. Ideas 38 (1978), 389-409. 35
Galilei, 'Le Meccaniche', in: Galilei, On Motion and On Mechanics (De Motu; Le Meccaniche), iibersetzt und annotiert von S. Drake und I. E. Drabkin. Madison 196o. 36
A.a.O., 151. 37
Discorsi, a.a.O., 166. 38 Le Meccaniche, a.a.O., 172. 39 Le Meccaniche, a.a.O., 156. 40
Dies lieB sich auch anhand anderer Phanomene nachweisen. Bereits in De Motu hatte
Galilei berichtet, daB ein Pendel aus Holz schneller zur Ruhe kommt als eines aus Blei. Dies
bestatige, daB die eingepragte Kraft aus spezifisch leichten Korpern schneller entweicht als
aus spezifisch schweren. Um 1602, im AnschluB an die Abfassung von Le Meccaniche fiihrte
er wiederum Pendelexperimente und Fallversuche auf halbkreisformig gebogenen Rinnen durch.
Jetzt interessierte ihn jedoch etwas ganz anderes, was ihm zwar vorher schon aufgefallen
war, ihm aber nicht als so bedeutsam erschien, daB er dariiber berichtet hatte: jede Schwingung
benotigt ungeachtet ihrer Amplitude dieselbe Zeit. Daraus folgte logisch, daB die Schwingungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durchlaufen werden. 41
Vgl. die in Anm. 16 und 17 angegebene Literatur. 42
Siehe S. Drake, Galileo at Work. Chicago/London 1978, 88f. 43 So etwa im Brief an Sarpi aus dem Jahr 1604; vgl. Drake, Galileo at Work, 102f. 44
Galilei, Discorsi, a.a.O. (vgl. Anm. 34), 158ff.
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196 DISCUSSION
45 Dies entspricht exakt der Analyse gleichformig beschleunigter Bewegung bei William
Heytesbury, dem bekannten Vertreter der spatscholastischen calculatorischen Naturphilo
sophie. Auch fiir die ,graphische Integration', die Galilei durchfiihren mufite, um die unendlich
vielen durchlaufenen Geschwindigkeitsgrade mit dem Weg gleichsetzen zu konnen, gibt es
ein mittelalterliches Vorbild. Bei dem Pariser Spatscholastiker Nicole Oresme finden wir eine
graphische Summierung von Geschwindigkeitsintensitaten, die Marshall Clagett als ,formal
aquivalent' zur Galileischen bewertet. Vgl. Clagett, 'Some Novel Trends in the Science of
the Fourteenth Century', in: C. S. Singleton (ed.), Art, Science, and History in the Renaissance.
Baltimore/London 1967, 293ff. Vgl. auch: S. Drake, 'Impetus Theory and Quanta of Speed Before and After Galileo'. Physis 16 (1974), 47-65; ders. 'The Uniform Motion Equivalent to a Uniformly Accelerated Motion from Rest'. Isis 63 (1972), 28-38; ders., 'Free Fall and
Uniform Acceleration', in: ders., Galileo Studies. Ann Arbor 1970, 214-239; E. D. Sylla, 'Galileo and the Oxford Calculatores: Analytical Languages and the Mean-Speed Theorem
for Accelerated Motion', in: W. A. Wallace (ed.), Reinterpreting Galileo. Washington, D.C.
1986, 53-110; C. Lewis, The Merton Tradition and Kinematics in Late 16th and Early 17th
Century Italy. Padova 1980. 46
Galilei, Opere 17, 90-91, zit. nach der Ubersetzung von W. Wallace, 'Galileo and Reasoning ex suppositione', in: ders., Prelude to Galileo. Dordrecht 1981, 143. Zu Galileis Analyse von
Aristoteles' Zweiter Analytik in seinen logischen Fruhschriften vgl. W. A. Wallace, Galileo
and his Sources, a.a.O., Kap. 3. Zum Problem des ,regressus' in Galileis Beweisverfahren
vgl. vor allem N. Jardine, 'Galileo's Road to Truth and the Demonstrative Regress'. Stud.
Hist. Phil. Sei. 7 (1976), 277-318; P. Machamer, 'Galileo and the Causes', in: R. E. Butts/
J. C. Pitt (eds.), New Perspectives on Galileo. Dordrecht 1978,161-180; W. L. Wisan, 'Galileo's
Scientific Method: a Reexamination', in: a.a.O., 1-58. 47
Galilei, Dialog uber die beiden hauptsdchlichsten Weltsysteme, dasptolemaische und das koper nikanische. Leipzig 1891, 109f. Zu den konfligierenden Wissensanspruchen von Religion und
neuer Wissenschaft vgl. auch J. Dietz Moss, 'The Rhetoric of Proof in Galileo's Writings on the
Copernican System', in: W. A. Wallace, Reinterpreting Galileo. Washington, D.C. 1986,179-204. 48
Galilei, Dialog, 372. Die Verbitterung, mit der Galilei im ,Goldwager' (II Saggiatore) auf
das Einschwenken der jesuitischen Astronomen, die er bisher als Verbiindete im Kampf um
die Anerkennung des kopernikanischen Systems angesehen hatte, auf die Linie Tycho Brahes
reagierte, wird aus dem Sachverhalt erklSrlich, dafi dieses System die Phanomene (Venusphasen,
Grofienveranderungen der inneren Planeten) ebensogut erklaren konnte wie das kopernika nische. Dies zeigte, dafi ein ,demonstratives' Argument fiir die Richtigkeit des heliozentrischen
Systems sich auf andere als nur geometrische Grunde stiitzen mufite. Galilei glaubte diese
Grunde in dem Phanomen der Gezeiten gefunden zu haben. 49
Galilei, Dialog, 47. 50
A.a.O., 137. 51
A.a.O., 108. 52
Galilei, 'The Assayer (II Saggiatore)', in: S. Drake/C. D. O'Malley, The Controversy on
the Comets of 1618. Philadelphia 1960, 183. 53
Dies meint z.B. E. Cassirer, Philosophie und exakte Wissenschaft. Frankfurt 1969, 101.
Dafi zwischen Aristoteles und Galilei hier kein entscheidender Unterschied besteht, sucht
zu beweisen: J. G. Lennox, 'Aristotle, Galileo, and "Mixed Sciences" ', in: W. A. Wallace
(ed.), Reinterpreting Galileo. Washington, D.C. 1986, 29-51; siehe auch J. Lear, 'Aristotle's
Philosophy of Mathematics'. Phil. Rev, XCI (1982), 161-192; J. C. Pitt, 'Galileo: Causation
and the Use of Geometry', in: R. E. Butts/J. C. Pitt (eds.), New Perspectives on Galileo.
Dordrecht 1978, 181-195. Vgl. auch die in Anm. 46 zitierte Literatur. 54
Galilei, 'Letters on Sunspots', in: S. Drake, Discoveries and Opinions of Galileo. Garden
City 1957, 141f; vgl. auch W. R. Shea, 'Galileo, Scheiner, and the Interpretation of Sunspots'. Isis 61 (1970), 498-519; S. Drake, 'Sunspots, Sizzi, and Scheiner', in: ders, Galileo Studies.
Ann Arbor 1970, 177-199. 55
A.a.O., 90.
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DISCUSSION 197
56 A.a.O., 107.
57 A.a.O., 107f.
58 Siehe S. Drake, 'Galileo, Kepler, and the Phases of Venus'. J. Hist. Astr. 15 (1984), 198
208; O. Gingerich, 'Phases of Venus in 1610', a.a.O., 209-210; W. T. Peters, 'The Appearances of Venus and Mars in 1610', a.a.O., 211-214. 59
Galilei, 'Letters on Sunspots', a.a.O. 123, 124. 60
A.a.O., 98. 61
A.a.O., 100. 62
'Dialogue of Cecco di Ronchitti', vgl. Anm. 75. 63
Galilei, 'Letters on Sunspots', a.a.O. 137f. 64 Chr. Scheiner, zit. nach W. R. Shea, Galileo's Intellectual Revolution, New York 1977, 53. 65
Kopernikus, De Revolutionibus, 1. Buch, Kap. 8. 66
Rinunccini, Brief an Galilei vom 2. Marz 1619, in: Opere 12, 443, zit. nach W. R. Shea, Galileo's Intellectual Revolution. New York 1977, 75; vgl. auch 86f. 67
Galilei, 'The Assayer', in: S. Drake/C. D. O'Mally, Controversy, a.a.O. (Anm. 52), 39,
53f, 57, 227. 68 Mario Guiducci/Galileo Galilei, 'Discourse on the Comets', in: S. Drake/C. D. O'Malley,
Controversy, a.a.O. (Anm. 52), 50. 69 S. Drake, Cause, Experiment, and Science. A Galilean dialogue incorporating an new English translation of Galileo's 'Bodies That Stay atop Water, or Move in It'. Chicago/London 1981.
Methodologische Unterschiede zwischen Galileis mechanischen und seinen astronomischen
Schriften glaubt W. L. Wisan zu erkennen, vgl. 'Galileo's Scientific Method: a Reexamination', in: R. E. Butts/J. C. Pitt (eds.), New Perspectives on Galileo. Dordrecht 1978, 1-58. Zu den
methodologischen Aspekten von Galileis ,mittlerer Periode' vgl. W. R. Shea, Galileo's In
tellectual Revolution, Middle Period 1610-1632. New York 1977. 70
Galilei, Dialog, a.a.O., 220. Vgl. zu diesem Problem auch E. McMullin, 'Galilean Ideali
zation'. Stud. Hist. Phil. Sei. 16 (1985), 247-273. Viele derjenigen, die Galileis Theoreme
zum freien Fall nachpruften, verstanden die Rolle der Abstraktion und der Idealisierung bei
der Formulierung physikalischer Gesetze nicht. So glaubte Riccioli offenbar, die Behauptung, alle Korper fielen ungeachtet ihres Gewichts gleich schnell, sei anhand experimenteller Evidenz
widerlegbar. Vgl. H. Schimank, ,Pendelversuche und Fallversuche in Bologna', in: E. Briiche
(Hrsg.), Sonne steh still. 400 Jahre Galileo Galilei, Mosbach 1964, 93f.; A. Koyre, 'A Docu
mentary History of the Problem of Fall from Kepler to Newton'. Trans. Am. Philos. Soc. 45
(1955), 329-395; E. Grant, 'In Defense of the Earth's Centrality and Immobility: Scholastic
Reaction to Copernicanism in the Seventeenth Century'. Trans. Am. Philos. Soc. 74 (1984), 1-69. 71
Galilei, Discorsi, a.a.O. (vgl. Anm. 50), 4. 72
'Galileo's Discourse on the Tides', in: M. A. Finocchiaro (ed.), The Galileo Affair. A
Documentary History. Berkeley etc. 1989, 119-134.; Galilei, Dialog, 472f. 73 'Galileo's Considerations on the Copernican Opinion', in: a.a.O., 77f, 83; Galilei, 'Letters
on Sunspots', a.a.O., 96f.; Galilei, 'Considerations of Alimberto Mauri', in: S. Drake (ed.), Galileo Against the Philosophers. Los Angeles 1976, 102, 128f. 74
Vgl. Galilei, Dialog, 476. 75 S. Drake, 'Introduction', in: ders. (ed.), Galileo Against the Philosophers in his Dialogue
of Cecco di Ronchitti (1605) and Considerations of Alimberto Mauri (1606). Los Angeles 1976, 31. 76
A.a.O., 30. 77
Vgl. I. Michelson, 'Tides' Tortured History'. Bulletin of the Atomic Scientist 30 (1974), 31
34; H. L. Burstyn, 'Galileo's Attempt to Prove that the Earth Moves'. Isis 53 (1962), 161-185.
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