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1 Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des bundesdeutschen Finanzföderalismus von Reinhold Bocklet, MdL 1. Vizepräsident des Bayerischen Landtags Staatsminister a.D. 25. März 2014 Vortrag auf dem Forum of Federations Ist eine Reform des deutschen Finanzausgleichs möglich? Die Ordnung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern ist kein abgeschlossenes System, vielmehr ist der deutsche Föderalismus ständigen Veränderungen unterworfen. Mehr als drei Viertel der über 70 Änderungen des Grundgesetzes betrafen das Bund-Länder-Verhältnis. Dabei ging es neben der Verteilung der Kompetenzen vor allem um die Regelung der Finanzbeziehungen, insbesondere um die gerechte Verteilung des Steueraufkommens. Seit Jahren steht in diesem Zusammenhang der Länderfinanzausgleich im Zentrum der öffentlichen Auseinandersetzung. Nachdem nur noch drei zahlende Länder (Bayern, Baden-Württemberg und Hessen) dem großen Kreis von dreizehn Nehmerländern gegenüberstanden, haben im letzten Jahr der Freistaat Bayern und das Land Hessen gegen das seit 2005 geltende Ausgleichssystem mit der Begründung geklagt, es sei ungerecht, leistungsfeindlich und verfassungswidrig. Außerdem fordern sie eine grundlegende Reform hin zu einem steuerlichen Zu- und Abschlagsrecht der Länder und zu mehr Wettbewerb zwischen den Ländern.

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Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des

bundesdeutschen Finanzföderalismus

von

Reinhold Bocklet, MdL

1. Vizepräsident des Bayerischen Landtags

Staatsminister a.D.

25. März 2014

Vortrag auf dem Forum of Federations

Ist eine Reform des deutschen Finanzausgleichs möglich?

Die Ordnung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern ist

kein abgeschlossenes System, vielmehr ist der deutsche

Föderalismus ständigen Veränderungen unterworfen. Mehr als

drei Viertel der über 70 Änderungen des Grundgesetzes

betrafen das Bund-Länder-Verhältnis. Dabei ging es neben der

Verteilung der Kompetenzen vor allem um die Regelung der

Finanzbeziehungen, insbesondere um die gerechte Verteilung

des Steueraufkommens. Seit Jahren steht in diesem

Zusammenhang der Länderfinanzausgleich im Zentrum der

öffentlichen Auseinandersetzung. Nachdem nur noch drei

zahlende Länder (Bayern, Baden-Württemberg und Hessen)

dem großen Kreis von dreizehn Nehmerländern

gegenüberstanden, haben im letzten Jahr der Freistaat Bayern

und das Land Hessen gegen das seit 2005 geltende

Ausgleichssystem mit der Begründung geklagt, es sei

ungerecht, leistungsfeindlich und verfassungswidrig. Außerdem

fordern sie eine grundlegende Reform hin zu einem

steuerlichen Zu- und Abschlagsrecht der Länder und zu mehr

Wettbewerb zwischen den Ländern.

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Permanentes Problem

Dass es sich beim Länderfinanzausgleich um ein permanentes

Problem handelt, zeigen die einschlägigen Entscheidungen des

Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1986, 1992 und

1999, die zwar zu einer Reihe von Änderungen im Detail der

konkreten Regelungen geführt haben, die eigentlichen

Probleme des Ausgleichssystems aber nicht lösen konnten.

Das gilt auch für die Umsetzung einer Forderung des

Bundesverfassungsgerichtes im Urteil vom 11. November 1999:

Danach sollte der Gesetzgeber zunächst in einem

Maßstäbegesetz allgemeine und abstrakte Maßstäbe und

Indikatoren für den bundesstaatlichen Finanzausgleich

festlegen, ohne dass die späteren finanziellen Wirkungen

bekannt waren. In einem zweiten Schritt sollten die konkreten

Zahlungen in einem Finanzausgleichsgesetz bestimmt werden.

Die Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes sind jedoch

von der Politik unterlaufen worden, weil schon bei den

Verhandlungen über das Maßstäbegesetz stets dessen

finanzielle Folgen im Finanzausgleichsgesetz im Vordergrund

standen.

Die deutschen Länder stehen aber nun unter erheblichen

Konsolidierungszwängen, weil sie bis 2020 die Kreditaufnahme

reduzieren müssen, um die dann vom Grundgesetz

vorgeschriebenen Schuldengrenzen einzuhalten und weil die

geltenden Regeln des Länderfinanzausgleichs 2019

automatisch auslaufen. Die sog. Schuldenbremse ist nur über

Ausgabekürzungen oder Einnahmenverbesserungen

umzusetzen. Da Ersteres politisch meist nicht gewollt ist,

müssen die Einnahmen, insbesondere die Steuereinnahmen,

erhöht werden. Weil die Länder jedoch keine eigene

Steuerautonomie haben, bleibt eigentlich nur der Weg über den

Länderfinanzausgleich: Empfängerländer werden versuchen,

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höhere Zuweisungen zu erreichen; Geberländer werden sich

bemühen, ihre Beiträge zu reduzieren. Beides schließt sich

allerdings gegenseitig aus, es sei denn, man einigt sich zu

Lasten des Bundes.

Mehrstufiges Finanzausgleichsystem

Was einem einzelnen Bundesland nach dem geltenden System

an Steuereinnahmen zur Verfügung steht, wird in einem

mehrstufigen Verfahren festgelegt:

Der erste Schritt ist die Zuweisung der Steuerquellen: Die

Bundesländer erhalten das Aufkommen der bundesrechtlich

geregelten Ländersteuern (zum Beispiel Erbschaftsteuer,

Biersteuer), soweit das Aufkommen in ihrem Gebiet anfällt

(Prinzip des örtlichen Aufkommens). Dazu kommen im zweiten

Schritt die Anteile an den Gemeinschaftssteuern

(Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer) und

an der Gewerbesteuerumlage. Auch hierbei gilt das Prinzip des

örtlichen Aufkommens – allerdings mit Ausnahmen: Der den

Ländern zufließende Anteil am Lohnsteueraufkommen wird

nach dem Wohnsitzprinzip, der Anteil an der Körperschaftsteuer

nach Betriebsstätten verteilt.

Das deutsche Ausgleichssystem startet bei der Steuerkraft der

Länder. Diese divergiert vor jeglichem Transfer erheblich.

Gemessen am Durchschnitt der Bundesländer kam etwa das

wirtschaftsstarke Bayern im Jahr 2011 auf einen Wert von 128

%, während das ostdeutsche Thüringen bei 51 % lag. Als erstes

führt ein sogenannter Umsatzsteuerausgleich zu einer bereits

markanten Angleichung dieser Unterschiede. Dabei werden

maximal 25 % des Länderanteils an den

Mehrwertsteuereinnahmen für die Umverteilung verwendet

(Ergänzungsanteile). Im Jahr 2011 wurde so eine Summe von

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7,3 Mrd. Euro transferiert. Der Umsatzsteuerausgleich spielte

damit eine gleich große Rolle wie der Länderfinanzausgleich im

engeren Sinne.

Der dritte Schritt ist sodann der „Finanzausgleich unter den

Ländern“. Hierbei wird für jedes Land das Steueraufkommen

pro Einwohner (Steuerkraft) ermittelt und durch ein System von

Beiträgen der finanzstarken Länder und Zuweisungen an die

finanzschwachen Länder eine Angleichung herbeigeführt. Die

Unterschiede zwischen den Ländern werden dabei weiter

markant verringert. Zur Anwendung kommt ein progressiver

Ausgleichstarif, der bei den „starken“ Ländern viel abschöpft

und bei den „schwachen“ viel auffüllt.

Zudem wird davon ausgegangen, dass die Stadtstaaten Berlin,

Bremen und Hamburg einen höheren Finanzbedarf pro Kopf

aufweisen als die Flächenländer. Diese sog.

„Einwohnerveredelung“ mit dem Faktor 1,35 ist maßgeblich

dafür verantwortlich, dass Berlin und Bremen zu den größten

Transferbeziehern gehören und dass das reiche Hamburg auf

der Kippe zum Empfängerland steht.

Trotz dieser starken Umverteilung unter den Ländern bestehen

noch gewisse Unterschiede in der Finanzkraft fort. Deshalb

zahlt der Bund in einem vierten Schritt an finanzschwache

Länder sog. Bundesergänzungszuweisungen. Bei allen

Ländern, die noch unter 99,5 % der durchschnittlichen

Finanzkraft liegen, wird die verbliebene Lücke um rund drei

Viertel aufgefüllt. Im Jahr 2011 gab der Bund dafür 2,6 Mrd.

Euro aus. Zum anderen erhalten die ostdeutschen

Bundesländer bis 2019 sogenannte Sonderbedarfs-

Ergänzungszuweisungen. Mit ihnen sollen teilungsbedingte

Sonderlasten ausgeglichen werden. Diese im Rahmen des

„Solidarpakts II“ gewährten Leistungen beliefen sich zuletzt auf

7,2 Mrd. Euro; sie werden bis 2019 schrittweise reduziert.

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Insgesamt trägt der Bund rund 10 Mrd. Euro zum

Finanzausgleich bei. Dies stellt indirekt eine zusätzliche

Umverteilung von reicheren in ärmere Regionen dar. Zu

bemerken ist nicht zuletzt, dass gut 85 % der

Transferzahlungen auf allen drei Stufen an die ostdeutschen

Länder fließen. Der Finanzausgleich ist damit faktisch ein

Instrument der Ostförderung.

Einebnung der Unterschiede

Im Ergebnis wird die Finanzkraft der Länder praktisch

vollständig eingeebnet. Das entspricht den Intentionen des

Grundgesetzes (Art. 107 Abs. 2 GG). In der deutschen

Verfassung heißt es, dass die „unterschiedliche Finanzkraft der

Länder angemessen ausgeglichen“ werden soll – auch, um

überall „gleichwertige Lebensverhältnisse“ herzustellen.

Ein Blick in die benachbarte Schweiz, das föderalistische

Musterland, zeigt, dass es auch anders geht. Der Neue

Finanzausgleich (NFA) in der Schweiz setzt lediglich das Ziel,

die Finanzkraft der schwächsten Kantone auf 85 % des

nationalen Durchschnitts zu heben. Ebenso scharf ist der

Kontrast mit Blick auf das Staatsverständnis. Laut den

deutschen Gesetzen müssen die Länder mit genügend Mitteln

ausgestattet werden, um „die ihnen zugewiesenen Aufgaben

erfüllen zu können“. Im Schweizer Verständnis gibt es keine

solchen „fixen“ Staatsaufgaben. Diese ergeben sich vielmehr

aus den – lokal unterschiedlichen – Wünschen der Bürger in

den Grenzen der vorhandenen Finanzkraft.

Aus finanzwirtschaftlicher Sicht führt das deutsche

Umverteilungssystem zu zwei grundlegenden Problemen. Zum

einen besagt ein wichtiges Kriterium, dass die Reihenfolge der

Länder durch die Transfers nicht umgekehrt werden sollte. Zwar

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verletzt der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne diese

Vorgabe nicht. Aber das gesamte Ausgleichssystem führt

tatsächlich dazu, dass schwächere Länder am Ende über eine

höhere Finanzkraft verfügen als stärkere Länder. Auch Bayern

und Hessen bemängeln dies in ihrer Klage. Zum anderen bietet

das deutsche System den Politikern in den Bundesländern fast

keine Anreize, eine gute Finanzpolitik zu verfolgen. Die

Geberländer müssen bis zu 75 % jedes zusätzlichen Euro

abgeben, den sie durch eine gute Politik erwirtschaften – etwa,

indem sie die Wirtschaftskraft und Standortqualität pflegen oder

indem sie öffentliche Leistungen effizienter anbieten. In

Modellrechnungen für das Jahr 2000 hat der

Sachverständigenrat zur Begutachtung der

gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nachgewiesen, dass den

Ländern unter 30 % - manchen Empfängerländern sogar unter

10 % - der Mehreinnahmen verbleiben; der Rest wird über den

Finanzausgleich „abgeschöpft“. Auch die Nehmerländer haben

kaum ein Interesse daran, ihre Situation zu verbessern, wie

wissenschaftliche Studien zeigen. Es überrascht deshalb nicht,

dass im Zeitablauf immer mehr Länder in den Status eines

Nehmerlandes abgerutscht sind. Nur Bayern hat es überhaupt

als einziges Land geschafft, vom Nehmer- zum Geberland zu

werden.

Mit jeder „Reform“ ist das System in den technischen Details

schwieriger und unüberschaubarer geworden, was der

Akzeptanz sicher nicht gedient hat. Die entscheidende Frage

lautet nach wie vor: Wie kann ein anreizkompatibler Ausgleich

gefunden werden, der es sowohl für die leistenden als auch für

die empfangenden Bundesländer attraktiv macht, sich selbst

um Steuereinnahmen zu bemühen? Erst wenn das gelingt,

kann die ökonomische Effizienz des Ausgleichs verbessert, sein

Umfang gesenkt und seine politische Akzeptanz erhöht werden.

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Der Länderfinanzausgleich ist heute ein reiner

Einnahmenausgleich, die Höhe und Art der Ausgaben der

Bundesländer spielen keine Rolle. Die Bundesländer sollen

über ein in etwa gleiches Steueraufkommen pro Einwohner

verfügen können, das soll garantieren, dass in allen Ländern

die Pro-Kopf-Ausgaben und damit die Pro-Kopf-Leistungen in

etwa übereinstimmen, also gleichwertige Lebensverhältnisse in

allen Ländern gesichert werden können. Zahlungen im

Länderfinanzausgleich sind also Ersatz für fehlende

Steuereinnahmen in den finanzschwachen Ländern. Was

einzelne Länder zahlen müssen oder erhalten, richtet sich

ausschließlich nach der relativen Höhe der Finanzkraft der

Länder vor dem Länderfinanzausgleich.

Mehr Selbstverantwortung und Wettbewerb wagen

Die Grundübel des Finanzausgleichs sind seit langem bekannt

– und ebenso die Lösungsansätze. Der Sachverständigenrat für

Wirtschaft präsentierte bereits in seinem Jahresgutachten

1992/93 einen Vorschlag für eine tiefgreifende Reform. Seitdem

haben die „Wirtschaftsweisen“ ihre Vorstellungen mehrfach

wiederholt. Im Wesentlichen schlagen sie vor, den

Umsatzsteuerausgleich als sachfremd zu streichen, die

Einwohnergewichtung zugunsten der Stadtstaaten

abzuschaffen und allfällige Hauptstadt- und Zentrumsleistungen

anders zu berücksichtigen sowie die Anreize für eine gute

Finanzpolitik durch einen deutlich weniger progressiven

Ausgleichstarif zu stärken. So ließe sich der Finanzausgleich

innerhalb des bestehenden Systems reformieren. Allerdings

würde damit ein weiteres Grundübel des deutschen

Föderalismus nicht beseitigt. Selbst wenn die Länder bessere

Anreize für eine gute Finanzpolitik erhalten sollten, hätten sie

dafür nur einen sehr begrenzten Spielraum. Die Bundesländer

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besitzen – im Gegensatz zu den Schweizer Kantonen –

praktisch keine Steuerautonomie. Im „kooperativen

Föderalismus“ Deutschlands dominieren

Gemeinschaftssteuern, von denen Bund und Länder je einen

fixen Anteil erhalten.

Das entscheidende Argument für eine Reform des

Länderfinanzausgleichs, die im Jahre 2019 im Zuge einer dann

fälligen grundsätzlichen Neuausrichtung der gesamten

bundesstaatlichen Finanzbeziehungen geleistet werden muss,

bleibt die Forderung nach einem einfachen und

anreizkompatiblen System. Dafür erscheinen folgende

Maßnahmen sinnvoll:

1. Der Finanzausgleich unter den Ländern sollte ein reiner

Steuerausgleich bleiben, bei dem Ausgaben und

Sonderbedarfe einzelner Länder keine Rolle spielen dürfen.

Das Ausgleichsniveau sollte deutlich abgesenkt werden, um

den Ländern Anreize zu erhalten, selbst Steuereinnahmen

zu erzielen.

2. Zudem sollte die Einwohnergewichtung gestrichen werden.

Bei der Ermittlung der Beiträge und Zuweisungen werden

seit jeher die Einwohner der Stadtstaaten mit einem Gewicht

von 135 % angesetzt. Nach dem Urteil des

Bundesverfassungsgerichtes von 1999 werden derzeit auch

für einige dünn besiedelte Bundesländer „veredelte“

Einwohner berücksichtigt: Für Mecklenburg-Vorpommern

105 %, für Brandenburg 103 % und für Sachsen-Anhalt 102

%. Die Einwohnergewichtung wird damit begründet, dass die

Kosten der Leistungserstellung in den dicht besiedelten

Stadtstaaten und in den dünn besiedelten Flächenstaaten

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vergleichsweise hoch liegen. Ein überzeugender empirischer

Beleg liegt dafür aber bis heute nicht vor.

3. Nach Artikel 107 Absatz 2 Grundgesetz ist bei der Ermittlung

der Finanzkraft der Länder auch die Finanzkraft der

Gemeinden zu berücksichtigen. Das geschieht in der Weise,

dass die Gemeindesteuerkraft zu 64 Prozent angerechnet

wird. Dieser Satz ist genauso willkürlich und nicht zu

begründen wie der bis 2005 angewendete Satz von 50

Prozent.

4. Die Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen sollten

gestrichen werden: das damit beim Bund frei werdende

Finanzvolumen sollte über eine Erhöhung des Länderanteils

an der Umsatzsteuer an die Länder gegeben werden. Der

gesamte Länderanteil an der Umsatzsteuer sollte nach der

Einwohnerzahl verteilt, die Ergänzungsanteile also

gestrichen werden. Sie stellen ein systemfremdes Element in

der Steuerverteilung dar, die ansonsten Bedarfe einzelner

Länder nicht berücksichtigt.

5. Größter Einzelposten unter den Sonderbedarfs-

Bundesergänzungszuweisungen sind Zahlungen an die

neuen Bundesländer wegen teilungsbedingter Kosten. Diese

sollten sich im Jahre 2019, also rund 30 Jahre nach der

Wiedervereinigung, erledigt haben.

Eine grundlegende Reform der innerdeutschen

Finanzbeziehungen muss aber auch den Schritt hin zu einem

wettbewerblichen Föderalismus umfassen. Größere

Anreizwirkungen wird man nur über mehr Steuerwettbewerb

zwischen den Ländern erreichen können. Ein Weg dazu könnte

sein, den Ländern, die heute – abgesehen von der

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Grunderwerbsteuer – keinerlei steuerpolitische Autonomie

besitzen, Zuschlagsrechte bei der Einkommen- und

Körperschaftsteuer oder die Entscheidungshoheit über die

Erbschaft- und Schenkungsteuer zu geben. Damit würde man

auch die Landesparlamente aufwerten, wenn sie stärker über

die Einnahmen des Landes entscheiden könnten. Ohne einen

solchen Wettbewerb stehen die Chancen für eine wirklich

gelungene Reform des Länderfinanzausgleichs auch nach 2019

ausgesprochen schlecht. Das Beispiel der Schweizer Kantone

zeigt, dass sich gerade aus dieser Eigenverantwortlichkeit ein

dynamischer Wettbewerb um eine bessere Finanz- und

Standortpolitik entwickelt.

Die entscheidende Frage für die Zukunft bleibt, wie der

Finanzausgleich unter den Ländern gestaltet sein müsste,

damit sowohl den Empfängern als auch den Gebern Anreize

erhalten bleiben, selbst für Steuereinnahmen zu sorgen.

Die Position der Bayerischen Staatsregierung

Es ist verständlich, dass sich der Freistaat Bayern, der als

wirtschaftlich erfolgreichstes Land am stärksten von der

Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs betroffen ist, über

die Neuordnung der Finanzbeziehungen besonders Gedanken

macht. Der Länderfinanzausgleich stellt nämlich für den

bayerischen Staatshaushalt eine erhebliche Belastung dar. Im

Jahr 2013 zahlte Bayern rd. 4,3 Mrd. Euro und damit mehr als

die Hälfte des Gesamtvolumens. Wenn sich die Entwicklung so

fortsetzt, könnten die Zahlungen Bayerns innerhalb von fünf

Jahren bereits bei rd. 5 Mrd. Euro liegen. Nach Ansicht der

Bayer. Staatsregierung (Staatsminister Dr. Markus Söder, MdL)

kann und darf es so nicht weiter gehen. Sie fordert daher eine

grundlegende Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen

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u.a. mit folgenden (zentralen) Punkten, die weitgehend mit den

Vorschlägen der Wissenschaft übereinstimmen.

1. Bayern verfährt nach einer Zwei-Säulen-Strategie. Die erste

Säule ist die gemeinsam mit Hessen vor dem

Bundesverfassungsgericht eingereichte Klage für einen

gerechteren Länderfinanzausgleich. Mit einer Entscheidung

ist spätestens 2015 zu rechnen. Die zweite Säule sind die

Verhandlungen im Rahmen der anstehenden Neuordnung

der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Die im

Koalitionsvertrag vereinbarte Kommission, von der noch die

Rede sein wird, muss schnellstmöglich ihre Arbeit

aufnehmen.

2. Zentrales Thema ist die grundlegende Reform des

Länderfinanzausgleichs. Das langfristige zentrale Reformziel

ist, dass sich die Zahllast Bayerns im Länderfinanzausgleich

auf 1 Mrd. Euro reduziert.

3. Insbesondere wird ein Ende der Stadtstaatenregelung, d.h.

der erhöhten Gewichtung der Einwohner von Hamburg,

Berlin und Bremen gefordert. Für die

Stadtstaatenproblematik bedarf es einer regionalen Lösung,

die für einen fairen Ausgleich zwischen den Stadtstaaten

und den umliegenden Flächenländern sorgt.

4. Für Berlin, das 2013 mit 3,3 Mrd. Euro erneut größter

Empfänger im Länderfinanzausgleich war, sollte es künftig

eine Sonderfinanzierung des Bundes geben. Die

Finanzierung der Hauptstadt ist nicht Sache der Länder.

5. Im Länderfinanzausgleich muss auf mehr Leistung gesetzt

werden, z.B. durch eine Reform der Leistungsprämie, nach

dem Motto: „Aktivieren statt alimentieren.“ Wer gut

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wirtschaftet und überdurchschnittliche Steuerzuwächse

erzielt, soll künftig einen wesentlich größeren Anteil seiner

Steuermehreinnahmen behalten dürfen. Bisher bleiben

Bayern nur jeweils zwölf Prozent von den Mehreinnahmen.

6. Bayern stellt den Länderfinanzausgleich nicht grundsätzlich

in Frage. Es steht weiterhin zu seiner Verantwortung für

ganz Deutschland. Es sollen aber die Reformen des

Länderfinanzausgleichs und des Solidaritätszuschlags

miteinander verbunden werden. Ab 2020 soll der

Solidaritätszuschlag, der bis dahin ein Aufkommen von rd.

18 Mrd. Euro haben dürfte, halbiert werden: Bürger und

Unternehmen in Deutschland entlastet das um rd. 9 Mrd.

Euro pro Jahr. Mit dieser Steuersenkung würde auch der

sog. Kalten Progression entgegengewirkt. Mit der

verbleibenden Hälfte, also ebenfalls 9 Mrd. Euro, könnten

strukturschwache Regionen unterstützt werden, z.B. durch

einen „Soli-Fonds“ zur Verbesserung der Infrastruktur in Ost

und West. Dieser Vorschlag bringt einen doppelten Vorteil:

Die Steuerzahler werden entlastet und strukturschwache

Regionen unabhängig von der Himmelsrichtung zusätzlich

gefördert. Letzteres bedeutet auch eine Entlastung der

Geberländer.

7. Verstöße gegen Haushaltsziele sollten ab 2020 ähnlich wie

auf europäischer Ebene beim Stabilitäts- und

Wachstumspakt bestraft werden. Eine zentrale Rolle könnte

dabei der Stabilitätsrat spielen, der bisher lediglich „blaue

Briefe“ schreiben kann. Für Länder, die ihre Haushaltsziele

nicht einhalten, sollte zudem gelten: Erst sollten die eigenen

Einnahmen in Ordnung gebracht werden, z.B. durch

regionale Zuschläge auf die Einkommensteuer, bevor man

von anderen nimmt.

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8. Die Übernahme fremder Schulden durch

Entschuldungsfonds und Deutschlandbonds ist strikt

abzulehnen. Was schlecht in Europa ist (Eurobonds), kann

auch für Deutschland nicht gut sein.

9. Die Eigenständigkeit der Länder sollte durch mehr

Steuerautonomie gestärkt werden, insbesondere bei der

Grundsteuer und bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer.

Dann könnte ein Land, das in Bedrängnis kommt, durch

eigene steuerpolitische Entscheidungen seine Lage

verbessern. Umgekehrt gilt: Wenn ein Land finanziell gut

aufgestellt ist, sollen seine Steuerbürger von niedrigeren

Steuersätzen im Vergleich zu anderen Ländern profitieren.

Soweit die Position der Bayerischen Staatsregierung.

Der Auftrag der Koalitionsvereinbarung

Für die neue Bundesregierung stellt die Neuregelung des

bundesdeutschen Finanzföderalismus eine zentrale

Herausforderung dar. Die drei Koalitionsparteien CDU, CSU

und SPD haben sich am 27. November 2013 in ihrem

Koalitionsvertrag über einen Fahrplan für die Neuordnung der

Bund-Länder-Finanzbeziehungen verständigt. Wörtlich heißt es

darin: „Spätestens Ende 2019 müssen die Bund-Länder-

Finanzbeziehungen neu geordnet sein. Der

Länderfinanzausgleich ist zu diesem Zeitpunkt neu zu regeln.

Die Länder werden ab diesem Zeitpunkt keine strukturellen

Defizite mehr haben. In dieser Legislaturperiode müssen dafür

die Weichen gestellt werden. Dazu finden zwischen Bund und

Ländern Gespräche statt.

Die Koalition wird parallel eine Kommission einrichten, in der

Bund und Länder vertreten sind. Dazu werden Vertreter der

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Kommunen einbezogen. Die Kommission wird sich mit Fragen

der föderalen Finanzbeziehungen befassen und dazu

Vorschläge erarbeiten. Die Kommission soll bis Mitte der

Legislaturperiode Ergebnisse zu den nachfolgenden

Themenbereichen vorlegen:

- Europäischer Fiskalvertrag

- Schaffung von Voraussetzungen für die Konsolidierung und

die dauerhafte Einhaltung der neuen Schuldenregel in den

Länderhaushalten

- Einnahmen- und Aufgabenverteilung und Eigenver-

antwortung der föderalen Ebenen

- Reform des Länderfinanzausgleichs

- Altschulden, Finanzierungsmodalitäten und Zinslasten

- Zukunft des Solidaritätszuschlags“

Mit diesem Aufgabenkatalog haben die Koalitionsparteien der

Bund-Länder-Kommission einen umfassenden Arbeitsauftrag

zur Reform der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und

den Ländern erteilt. Damit haben es die Koalitionsparteien in

der Hand, den Föderalismus in Deutschland auf eine neue,

langfristig tragfähige Grundlage zu stellen. Dies dürfte zu den

schwierigsten Aufgaben der laufenden Legislaturperiode

gehören. Zu bedenken ist, dass die Bundesländer zusätzlich

zum Auslaufen von Solidarpakt und Länderfinanzausgleich im

Jahr 2019 die scharfen Regeln der Schuldenbremse ab 2020

einhalten müssen. Angesichts der extremen Komplexität der

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gesamten Umverteilungsmaschinerie ist ein politisches Hauen

und Stechen zu erwarten. Mit Blick auf die bisherigen

Erfahrungen mit entsprechenden Reformbemühungen besteht

daher kein Anlass zu übertriebenem Optimismus. Gerade

deshalb muss alles getan werden, um die Verhandlungen zu

einem Erfolg zu führen. Es braucht Zeit und Abstand zum

Stichtag, um eine Lösung zu finden, mit der alle leben können.

Weil keiner weiß, wie die Finanzströme in ihrer Gesamtheit

aussehen, sind die Länderfinanzminister von ihren

Regierungschefs beauftragt worden, dies vorab bis Ende Juni

diesen Jahres zu klären. Im zweiten Halbjahr sollen die Minister

ein Meinungsbild erstellen. Dass sie sich auf eine gemeinsame

Position einigen werden, ist nicht zu erwarten. Handelt es sich

dabei doch um die Kernfrage der bundesstaatlichen Ordnung

Deutschlands, die im Grundgesetz sogar mit einer

Ewigkeitsgarantie geschützt ist. Am ehesten kann vermutlich

eine große Koalition die große Blockade überwinden.

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