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02 MEDIENBRIEF Gamification Gamification: Spielerisches Lernen im Unterricht Ideen - Beispiele - Vorschläge Düsseldorfer Fenster Mediennetzwerk Düsseldorf Berichte Cinemanya - Mit dem Filmkoffer unterwegs zu Flüchtlingskindern Lernort Kultur LVR-Freilichtmuseum Kommern: Spielzeug der 1950er- und 1960er-Jahre MEDIENBRIEF | N° 02.2016

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02MEDIENBRIEFGamification

Gamification: Spielerisches Lernen im UnterrichtIdeen - Beispiele - Vorschläge

Düsseldorfer Fenster Mediennetzwerk Düsseldorf

Berichte Cinemanya - Mit dem Filmkoffer

unterwegs zu Flüchtlingskindern

Lernort KulturLVR-Freilichtmuseum Kommern:

Spielzeug der 1950er- und 1960er-Jahre

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Impressum

Herausgeber

Landschaftsverband Rheinland

Landeshauptstadt Düsseldorf

LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Medienzentrum für die

Landeshauptstadt Düsseldorf

Medienberatung NRW

Bildungspartner NRW

Redaktion

Michael Jakobs, Sepiedeh Fazlali,

Dirk Poerschke

Layout & Reinzeichnung

Michael Jakobs

Postanschrift

Postfach 103453

40025 Düsseldorf

Besucheranschrift

Bertha-von-Suttner-Platz 1

40227 Düsseldorf

Kontakt

Telefon 0211 27404-2131

Fax 0221 8284-3463

E-Mail [email protected]

Internet www.medien-und-bildung.lvr.de

Titelfoto

Foto: Dominik Schmitz/LVR-ZMB, Jan Hüsing/LVR-ZMB

Artwork: Helene Claußen/LVR-ZMB

Druck

msk marketingservice köln GmbH

Bischofsweg 48-50, 50969 Köln

Auflage

6.000

Der MEDIENBRIEF erscheint zweimal jährlich und

kann kostenlos beim LVR-Zentrum für Medien und

Bildung abonniert oder als Einzelheft bestellt werden.

ISSN 1615-7257

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

2

Jahre Leitung bedeuten auch 20 Jahre

Medienbrief. Angefangen hat alles mit

einem wenige kopierte Seiten umfas-

sendes Mitteilungsblatt für Düsseldor-

fer Schulen, das über die Jahre zu

einem wirklich professionell gemach-

ten Fachmagazin für Lehrkräfte im

ganzen Rheinland geworden ist.

Ich danke allen Beteiligten ganz

herzlich für Ihr Engagement, wünsche

dem Medienbrief für die Zukunft

weiterhin eine interessierte Leser-

schaft und Ihnen, liebe Leserinnen

und Leser - ein letztes Mal - eine

anregende Lektüre.

Adieu!

Ihr

Michael Thessel

Düsseldorf, im Dezember 2016

Michael Thessel

Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung

Liebe Leserinnen und Leser,

Menschen jeden Alters spielen digital,

mobil und online – und das immer

mehr. Diese Entwicklung setzt sich

fort und lässt sich ganz nüchtern

durch Umsatzzahlen der Gamesbran-

che und der elektronischen Unterhal-

tungsindustrie belegen. Zur fortschrei-

tenden Digitalisierung in Schule und

Unterricht gesellen sich nun schon

seit Längerem Überlegungen, digitale

spielerische Elemente in den Unter-

richt einzubringen, um Lehren und

Lernen spielerischer zu gestalten.

Aus diesem Grund greifen wir in

diesem Medienbrief das Thema

Gamification auf und beleuchten im

Schwerpunktkapitel Potenziale und

Herausforderungen von Gamification

im Unterricht und lassen Lehrkräfte

zu Wort kommen, die bereits Praxiser-

fahrungen gesammelt haben.

Ans Herz legen darf ich Ihnen aber

auch die übrigen Beiträge u.a. zu

Cinemanya, ein Filmprojekt für

Flüchtlingskinder, über ein Digitalisie-

rungsprojekt im LVR-ZMB für das

Stadtarchiv Dinslaken oder ein

Interview zur Entwicklung eines

Medienkonzepts für das Lore-Lorenz-

Berufskolleg in Düsseldorf .

Da in diesem Heft so viel von digitalen

Spielen die Rede ist, empfehle ich Ihnen

noch eine Ausstellung zum guten, alten

analogen Spielzeug im LVR-Freilicht-

museum Kommern, die bis September

2017 zu sehen und mit Sicherheit

gerade für Schulen eine Reise wert ist.

Schließen möchte ich mit einer

persönlichen Bemerkung: Nach über

20 Jahren in der Leitungsfunktion

verabschiede ich mich mit dieser

Ausgabe schweren und zugleich

leichten Herzens in den Ruhestand. 20

Gamification: Spielerisches Lernen im Unterricht

Foto: Stadt Düsseldorf / Michael Gstettenbauer

3

VORWORT

Impressum 02

Vorwort 03

Inhaltsverzeichnis 04

Kurzinformationen 06

01 Gamification: Spielerisches Lernen im Unterricht 08

> Der Wert des Spiels. Spielen gehört einfach

zum Leben! 09

> Lernen mit digitalen Spielen in der Schule 13

> Spielend Lernen? Potenziale und Herausforderungen

von Gamification im Unterricht 15

> Classcraft. Eine Gamification-Plattform im

Unterrichtseinsatz 19

> »Guten Morgen. Headsets auf!« - E-Sports im Unterricht?

Medienpass NRW und Gaming 23

> Spielerisch lernen mit der Bildungs-App BIPARCOURS 26

> Professor S. - Ein Zeitreiseabenteuer im Klassenraum 29

> Toolkit: Gamed Based Learning im Schulunterricht.

Ein Projektbericht 31

02 Düsseldorfer Fenster 34

> Mediennetzwerk Düsseldorf 35

03 Partner im Verbund 36

> Begabungsförderung im Kooperationsverbund:

CCB Düsselddorf 37

> Die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW stellt sich vor 39

04 Berichte 41

> Cinemanya. Mit dem Filmkoffer unterwegs

zu Flüchtlingskindern 42

05 LVR-ZMB intern 43

> Sounds of Heimat - Zuhause geht ins Ohr 44

> Zwei Lilienthals, die nicht fliegen, aber fotografieren konnten 46

06 Medienberatung NRW 49

> Medienpass NRW goes Berufskolleg.

Die Entwicklung eines Medienkonzepts 50

07 EDMOND NRW 54

> Neuerwerbungen 2016: Landeslizenzen für EDMOND NRW 55

Inhalt – unsere Themen

MEDIENBRIEF

N° 02.2016

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Foto: Tamara Kulikova, Shutterstock

4

08 Lernort Kultur 59

> Wir WirtschaftsWunderKinder. Spielen und Spielzeug

in den 1950er- und 1960er-Jahren 60

> Die Autoren 63

Hinweis

Wir sind bemüht, in unseren Beiträgen Aspekte

des »Gender Mainstream« zu beachten und nach

Möglichkeit auf Personen bezogen sowohl die

weibliche als auch die männliche Form zu nutzen.

Aus Gründen der Vereinfachung und besseren

Lesbarkeit wird dies nicht von allen Autorinnen

und Autoren so gehandhabt. Das möchten wir

respektieren, legen jedoch Wert auf den Hinweis,

dass in der Regel das jeweils nicht erwähnte

Geschlecht mit einbezogen ist. Die Redaktion.

5

INHALT – UNSERE THEMEN

Kurzinformationen –Wichtiges ganz schnell

6

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Save the date: Bildungskongress

2017

Gemeinsam mit dem Verband Bil-

dungsmedien e.V. und dem Ministeri-

um für Schule und Weiterbildung des

Landes Nordrhein-Westfalen veran-

staltet die Medienberatung NRW am

11. März 2017 im Congress-Centrum

Nord der Koelnmesse wieder den

NRW-Bildungskongress. Das Thema:

»Unterricht in der digitalen Welt –

Lernen individuell gestalten«.

Ministerin Löhrmann hat ihre Teilnah-

me für die Eröffnungsveranstaltung

zugesagt und Prof. Dr. Klemens

Skibicki, Professor für Marketing und

Marktforschung an der Cologne

Business School, referiert in seiner

Keynote über »Bildung 4.0 - mehr

mentale als digitale Transformation«.

Im Anschluss an die Eröffnung haben

die Teilnehmenden Gelegenheit, sich

in rund 50 Workshops zum Lehren und

Lernen in der digitalen Welt zu

informieren und auszutauschen.

Begleitend findet eine Bildungsme-

dienausstellung statt.

Die Anmeldung zum Bildungskongress

wird ab Mitte Januar 2017 online

möglich sein: www.bildungsmedien.de

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Medienberatung NRW: Neues Team

zur Unterstützung der Medienberater-

innen und Medienberater

Die MedienberaterInnen der regiona-

len Kompetenzteams sind wichtige

Ansprechpartner für Schulen bei allen

Fragen rund um das Thema »Lehren

und Lernen mit (digitalen) Medien«.

Sie beraten Schulleitungen, ganze

Kollegien sowie Schulträger kostenlos

und bieten Fortbildungen an. Um für

diese komplexe und verantwortungs-

volle Arbeit professionell vorbereitet

zu sein, durchlaufen sie eine Basis-

qualifizierung.

Das Land NRW hat den Unterstüt-

zungsbedarf der Schulen beim Lernen

in der digitalen Welt wahrgenommen

und die Anzahl der Medienberaterstel-

len im laufenden Schuljahr verdoppelt.

Um die MedienberaterInnen auf die

gestiegenen Anforderungen umfas-

send vorbereiten und kontinuierlich

unterstützen zu können, hat auch die

Medienberatung NRW die Ressourcen

erhöht: Seit Beginn des Schuljahres

2016/2017 steht das Team »Qualitäts-

entwicklung Medienberaterinnen und

Medienberater« als Ansprechpartner

zur Verfügung.

Neben der Vorbereitung von aktuellen

Materialien, die bei der Beratungs-

und Fortbildungstätigkeit eingesetzt

werden können, entwickeln die

MitarbeiterInnen ein konkretes

Aufgabenprofil für die Tätigkeit der

MedienberaterInnen und arbeiten an

einer Modifizierung des Curriculums

für die Basisqualifizierung.

7

KURZINFORMATIONEN – WICHTIGES GANZ SCHNELL

Der Wert des Spiels - Gamification im Unterricht - Medienpass NRW und

Gaming - BIPARCOURS-App - Toolkit: Gamed Based Learning

01 Gamification: Spielerisches Lernen im Unterricht

8

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Der Wert des Spiels – Spielen gehört einfach zum Leben!

flüchtiger, unverbindlicher und zufälliger und verändern

sich im Spielprozess. Das Handeln in der Spielwelt, die

einen klaren Rahmen besitzt (Verabredung: ich bin der

Arzt und Du bist krank), ist unverbindlich in Bezug auf die

reale Welt. Für den Spielprozess ist das Handeln jedoch

als sehr verbindlich und ernsthaft zu verstehen und die

Spielwelt existiert nur so lange, wie die Verabredung und

Regeln, die diese Welt kreieren, eingehalten werden.

Die Konstruktdimension des Spiels kann man als eine Art

Bündnis aus Verabredung, Regeln und Materialien

verstehen, sie ist die geistige Struktur der Spielwelt, eine

Art Drehbuch für Spielprozesse und das Skript und

Regelwerk, das den Spielenden die notwendige Orientie-

rungshilfe gibt. Wesentliche Strukturmerkmale des

Spieles sind der Spielraum, die Zeit für das Spielen, das

Material und natürlich die Verabredungen der Spielenden

über den Inhalt und die Regeln. Die Konstruktdimension

bezeichnet die strukturellen Vorgaben einer Spielwelt und

steckt damit Ziele, Verhaltensweisen, Möglichkeiten und

Grenzen der Spieler im Rahmen dieser Spielwelt ab. Diese

Dimension liegt außerhalb der eigentlichen Spielwelt, sie

ist eher als eine Regieleistung zu verstehen, damit die

Spielwelt überhaupt erst entstehen und sich immer wieder

verändern kann, um so den Spielfluss zu erhalten.

Konstitutiv ist dem Spiel aber immer eines: der Spielreiz.

Dieser kann von einem anregenden Material ausgehen. Ob

man nun mit Würfeln spielt oder Handpuppen vor sich hat,

macht einen unterschiedlichen Anreiz zum Spielen aus.

Der Reiz kann aber auch aus dem jeweiligen Handlungstyp

hervorgehen, ob es nun um Bewegung oder Wahrneh-

mung, Sprechen oder Darstellen geht. Der Spielinhalt ist

reizvoll, ob ich nun ein kooperatives Abenteuerspiel oder

Theater spiele. Und auch die Sozialform ist reizvoll: Spiele

ich alleine oder zu zweit, im Kreis oder in Teams, geht es

ums Gewinnen oder Zusammenarbeit?

Trennscharf kann man die Spielkonstrukte also nicht

abgrenzen oder kategorisieren, da viele Spiele mehreren

dieser Reizformen zuzuordnen sind.

Kinder spielen einfach so, es ist das normalste von der Welt.

Sachen, die uns leicht von der Hand gehen, sind ein Kinder-

spiel. Man spielt Theater, manch einer spielt mit dem Feuer,

dem einen oder anderen wurde schon mal übel mitgespielt

und alle hoffen auf ein ein spannendes Fußballspiel…

So eingängig der Begriff klingt, so schwer lässt er sich

fassen und wird in unterschiedlichsten Kontexten genutzt.

So wenig es also eine klare Definition des Spielens gibt, so

kann aber man kann an drei unterschiedlichen, dem Spiel

immer innewohnenden Merkmalen verdeutlichen, was mit

Spiel eng verknüpft ist.

Die Verhaltensdimension des Spiels, das spielerische

Verhalten, das jedem Menschen innewohnt, rückt die

Tätigkeit in den Mittelpunkt. Der Mensch spielt, es geht

um das Erlebnis des Spielens. Betrachten wir Kinder, die

gemeinsam eine bekannte Szene wie »Kaufladen« spielen,

geht es nicht darum, dass ein bestimmtes Ziel, wie eine

erfolgreiche Transaktion oder ein gelungener Handel,

intensiv verfolgt wird. Das Spiel besitzt hier einen emotiona-

len Befriedigungswert: es macht einfach Spaß, zu spielen.

Vier Merkmale des spielerischen Verhaltens sind zentral:

> Selbstbestimmtheit: Im Spiel erlebt der Mensch das

Gefühl persönlicher Freiheit, das Handeln wird von den

eigenen Wünschen und Impulsen belegt

> Kontrast zum alltäglichen Verhalten: im Spiel genießt

der Spielende es, abseits seiner Routine handeln zu

dürfen, er darf anders sein und erlebt sich neu

> Wagnis und Experiment: da der Ausgang eines Spiels

nicht festgelegt ist, erlebt der Spielende Ungewissheit

und Spannung

> Kreativität und Phantasie: dies stellt eine besondere

Qualität des Verhaltens dar, die die Möglichkeiten der

Variabilität des Menschen eröffnet.

In der Rahmungsdimension wird unter Spiel eine andere Welt

verstanden, im Spielprozess eine andere Wirklichkeitssicht

konstruiert, als sie in üblichen Kontexten der realen Welt

erfahren und gelebt wird. Die Konstrukte sind weitaus Foto

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01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

MEDIENBRIEF | N° 01.2016

also der Spielwelt, auszuprobieren, bietet nicht nur

einen Reiz sondern auch die Chance andere Verhal-

tensweisen zu erproben und gegebenenfalls in die

reale Welt zu transferieren.

9. Ästhetische Erfahrungen und Sinneseindrucke lassen

sich einfach im Spielreiz als Genuss beschreiben. Die

Spieler machen neue sinnliche Erfahrungen, erschließen

sich Genussquellen und differenzieren ihre sinnlichen

Fähigkeiten dabei aus.

10. Der Reiz selber etwas herzustellen, etwas zu gestalten,

ein Produkt zu erstellen liegt vielen Spielkonstrukten

inne. Begonnen mit Bauklötzen bis hin zu Fotos und

Filmen befindet sich hier die Möglichkeit einer Selbst-

entäußerung des Spielenden, er verleiht seinen inneren

Bildern und Erfahrungen einen gestalterischen

Ausdruck. Als bestes Beispiel kann hier Minecraft

angeführt werden, in dem eigene Welten geschaffen

werden können.

11. Viele Spiele basieren auf dem Reiz, dass ein Problem

gelöst werden muss. Beim Geocaching gilt es die

richtigen Koordinaten zu finden, um ans Ziel zu kommen,

und ein Schachspieler braucht eine gute Strategie, um

die Bedrohung seines Königs abzuwenden.

Machen die angeführten Reizquellen die Motivation für das

Spielen aus? Kinder spielen doch schon von Beginn ihres

Lebens an. Spiel ist der dem Kind entsprechende Versuch,

die Welt einzufangen, sie zu rationalisieren und zu

beherrschen. Spiel ist die mehr oder weniger große

Veränderung der Gleichgewichtsbeziehung zwischen der

Wirklichkeit und dem Ich. Hier wird deutlich, wie im

Kindesalter mit und durch Spiel gelernt wird. Zudem

scheint dem Spiel eine intrinsische Motivation zugrunde zu

liegen. Das Spiel ist eine der zentralen Aufgaben der

Kindheit, um sich der Umwelt, dem Material und dem

Gegenüber und die Ordnung derselben habhaft zu werden.

Warum spielt aber der erwachsene und nahezu erwachse-

ne Mensch noch? Seine Umwelt sollte ihm in vielen

Punkten bekannt sein, seine körperlichen Fähigkeiten

ebenso und angemessenes Rollenverhalten ist – zumin-

dest in den besten Fällen - erlernt. Er wird sich den oben

genannten Reizen nicht immer wieder einfach so hinge-

ben, eine intrinsische Motivation muss folglich auch beim

Spielverhalten Erwachsener eine Rolle spielen.

In der spielpädagogischen Literatur lassen sich mindes-

tens elf wichtige Reizquellen ausmachen, die in spezifi-

schen Kombinationen in Spielformen anzutreffen sind:

1. Wettkampf: Der Reiz besteht darin, sich mit anderen zu

messen Der Wettkampf kann aber auch gegen sich

selbst oder gegen die Zeit ausgetragen werden. Viele

Wettkampfspiele werden in Teams gegeneinander

ausgetragen und die soziale Komponente des Team-

spiels sorgt für einen zusätzlichen Anreiz.

2. Mut und Wagnis: Am Anfang steht eine Herausforderung,

die es zu bestehen gilt. Da der Ausgang ungewiss ist, es

offen ist, ob man diese Herausforderung auch bewältigt

oder eigene Hemmungen überwinden kann, ist hier der

Reiz besonders hoch. In der Erlebnispädagogik steht das

Überwinden einer Hürde im Mittelpunkt eines Spiels.

3. Auf Glück vertrauend, sich dem Zufall überlassend: Der

Spieler kann den Spielfluss kaum selber beeinflussen,

der Spielprozess und die Spielentscheidungen laufen

ohne sein Zutun. Die Ungewissheit, ob dem Spielenden

das Glück zum Beispiel genau bei diesem Würfelwurf

hold sein wird, macht hier einen Reiz aus.

4. Unterhaltung ist ebenso wie Vertrauen auf Glück,nicht

leistungsorientiert. Das Erleben von Freude und Spaß,

gerade auch in der Gruppe, stehen im Vordergrund.

5. Rauschhaftes Erleben: In einem Spielprozess kann sich

ein Spielender dem Reiz komplett überlassen, es werden

intensive Spielprozesse ermöglicht, die den Spieler

mehrsinnig beeinflussen und den Spieler in die

Spielwelt nahezu »versinken« lassen.

6. Meditative Spiele: auch das zur Ruhe kommen und zu

entspannen bieten dem Spieler einen Reiz, gerade

nach aufregenden Aktionen und wenn sie zu sich

kommen möchten.

7. Sammeln übt gerade auf Kinder einen starken Reiz

aus, sie möchten sich Gegenstände aneignen, mit ihnen

Erfahrungen machen. Und die Tendenz zur Systemati-

sierung (Ordnungen herstellen) und Komplettierung

(damit abschließen) ist höchst reizvoll (siehe Panini-Heft).

8. Die Verwandlung, eine andere Rolle einnehmen dabei

ungewohntes Verhalten in einem sicheren Rahmen,

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

10

Vier Aspekte bieten Anhaltspunkte:

1. Die Bewahrung und Weiterführung der kindliche

Spielhaltung: Dass Spielen Freude und eine kreative

Haltung erzeugt, wurde schon erklärt. Diese Haltung sich

weiterhin zu bewahren, hilft natürlich bei der Lebensbe-

wältigung. Die Spielfreude zeigt sich beispielsweise im

Sport, im Tanz, beim Theaterspiel oder auch am Spiel mit

Kindern. Spielerische Aktivität in Form der Realitätsverän-

derung, dem Erschaffen einer Spielwelt, können beim

Erwachsenen auch Tagträume, Phantasietätigkeiten oder

Zukunftspläne sein, die aber nicht mehr wie beim Kinder-

spiel eine äußere Handlung benötigen. Eine spielerische

Haltung im Erwachsenenalter ist zudem eine wünschens-

werte Haltung im Sinneder Psychohygiene.

2. Die Ursache zu spielen kann aber auch in der Regres-

sion liegen, wenn der Jugendliche und Erwachsene, aus

welchen Gründen auch immer, in frühere Entwick-

lungsetappen zurückwechselt. Dies kann einerseits eine

Flucht aus dem Alltag oder vor aktuellen Problemen

bedeuten, andererseits aber auch notwendig sein, um

Kraft für den Alltag zu schöpfen.

3. Inadäquates Coping, also eine nicht angemessene

Bewältigungsstrategie. Problematisch und inadäquat wird

das Spiel, wenn es stellvertretend für Problem- und

Konfliktbewältigung genutzt wird, z.B. der Erfolg bei

einem Kartenspiel den Erfolg im Leben kompensieren

soll. Und hier ist auch das Glücksspiel zu nennen, das als

Ausweg aus finanziellen Schwierigkeiten dienen soll.

4. Nicht nur die individuelle Lebensbewältigung im

Erwachsenenalter ist Motivation zu spielen, Spiele haben

darüber hinaus auch eine kulturell-adaptive Funktion. Sie

drücken Spannungsverhältnisse bei gesellschaftlichen

Aufgaben aus, in westlichen Kulturen bevorzugt durch

Regelspiele.

Natürlich kann das reine Spiel nicht die adäquate Lebens-

technik des Erwachsenen sein. Erwachsene müssen zum

Beispiel ihre Probleme und Ziele real bewältigen und

können nicht in der »Als ob«-Welt des Spiels und in deren

Wirklichkeit Zuflucht suchen. Dennoch sind im Falle von

Problemen Gedankenspiele richtig und wichtig, um einen

Lösungsweg zu finden.

Das Spiel ist wichtig für uns Menschen und unser Lebens-

gefühl. Der Neurobiologe Gerald Hüther beschreibt dieses

Gefühl in seinem Buch »Rettet das Spiel«. Die Hirnfor-

schung hat herausgefunden, dass während des Spielens

die Hirnregion weniger aktiv ist, die für das Entstehen von

Foto:Scott Webb /StockSnap

11

01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

Angst zuständig ist. Gleichzeitig werden regionale Netz-

werke im Hirn aktiviert, so dass durch diese neuartigen

Verknüpfungen neue kreative Ideen und Einfälle entwickelt

werden können. Zudem konnte beobachtet werden, dass

bestimmte Neuronenverbände im Mittelhirn, die als

»Belohnungszentren« bezeichnet werden, nach dem

Lösen einer Aufgabe im Spiel verstärkt zu feuern begin-

nen.Dies macht deutlich, dass wir im Spiel keinen Zwang,

keine Angst erleben, dass wir unsere Potenziale entfalten

können.

Und dies macht die zentrale Spielfreude aus, die jeder in

einem Spiel entdecken kann. Man muss nach dem (Mehr-)

Wert des Spiels nicht erst suchen, man kann ihn einfach

erleben und sollte sich die Spielfreude erhalten. Und diese

Spielfreude, die zentrale Quelle auch für Kreativität und

nachhaltige Erfahrungen ist, sollte sich auch in Institutio-

nen wiederfinden. Viele Lernprozesse können durch

spielerische Momente und Methoden erleichtert werden,

denn hier wird ganzheitlich gelernt, wie Pestalozzi sagte:

»Mit Kopf, Herz und Hand«.

Literatur:

Fritz, Jürgen: Das Spiel verstehen. Eine Einführung in Theorie und Bedeutung, Juventa Verlag, Weinheim und München, 2004

Gillert, Arne: Der Spielfaktor. Warum wir besser arbeiten wenn wir spielen, Heyne Verlag, München 2011

Heimlich, Ulrich: Einführung in die Spielpädagogik, 3. Auflage, UTB Band aus dem Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 2015

Hüther, Gerald und Quarch, Christoph: Rettes das Spiel! Will Leben mehr als funktionieren ist, Carl Hanser Verlag, München, 2016

Renner, Michael: Spieltheorie und Spielpraxis. Ein Lehrbuch für pädagogische Berufe, 3. Auflage, Lambertus-Verlag, Freiburg, 2008

Marietheres Waschk

Marietheres Waschk ist Dozentin für Spielpädagogik an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW e.V., Schwerpunk »Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung und Sinnesschädigung« sowie offene Kinder- und Jugendar-beit. Spiel- und kulturpädagogische Projekte am Bauspielplatz Friedenspark Köln, Abenteuerpädagogik

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Foto: Yuganov Konstantin /Shutterstock

12

Lernen mit digitalen Spielen in der Schule

Spielen liegt in der Natur des Menschen. Durch spieleri-

sches Handeln können Fertigkeiten in einem geschützten

Raum ausprobiert und erlernt werden. Spielen zu können

ist sehr wahrscheinlich ein entscheidender evolutionärer

Vorteil, so dass alle höher entwickelten Lebewesen diese

Fähigkeit in der einen oder anderen Form ausgebildet

haben. Schon früh unterschied die Wissenschaft zwischen

zweckfreiem und zweckgerichtetem Spiel und lange Zeit

gab es Vorbehalte gegenüber dem Spielen als Zeitvertreib

oder als legitimes Hobby für Erwachsene. Aus heutiger

Sicht lassen sich die beiden Gegenpole nicht mehr so

trennscharf fassen, denn jedes spielerische Handeln ist

untrennbar mit Lernen verknüpft, auch wenn es nicht

zweckgerichtet stattfindet. Dies ist bei Bewegungsspielen in

freier Natur ebenso der Fall wie bei Computerspielen.

Lernen mit Computerspielen

Computerspiele werden immer wieder als Paradebeispiele

für komplexe Lernumgebungen angeführt, die ein enormes

Motivationspotenzial besitzen. Der Lernende wird gezielt,

individuell mit sofortigem Feedback unterstützt. Lerntempo,

Lernschwierigkeit und Lernzeit richten sich ganz nach dem

Lernenden. Visuelles und direktes Feedback eines guten

Spiels balanciert immer wieder die Fähigkeiten mit den

Herausforderungen des Spiels aus, so dass der Spieler

leicht in den sogenannten »Flow«-Zustand kommt: Ein

mentaler Zustand konzentrierten Handelns, in der die

Umgebung und die Zeit vergessen wird und ein Kompeten-

zerleben eintritt. Der Lernende erfährt Selbstwirksamkeit,

Autonomie und Bedeutung in seinem Handlen. Dies ist

eigentlich eine ideale Lernsituation.

Ob das Spiel aus didaktischer Sicht Wissen vermittelt oder

Motorik trainiert, hängt von vielen Faktoren ab, am stärks-

ten sicherlich von seinem Inhalt. Man unterscheidet hier

eine primäre und eine sekundäre Wirkebene. Primär

vermittelt ein Computerspiel zunächst spielrelevantes

Wissen und spielbezogene Fähigkeiten. In einem Action-

spiel heißt das herauszufinden, wie man Gegner bezwingt

oder in einer Simulation zu verstehen, wie Wirkzusammen-

hänge in einer Produktionskette ablaufen. Eher beiläufig,

daher sekundär, werden auch Hand-Auge-Koordination,

räumliches Vorstellungsvermögen oder schlichtweg

technische Kompetenz und vieles mehr trainiert.

Fassen wir Computerspiele als Kunst, Kultur oder allein als

Quelle von Spielspaß auf, erübrigt sich die Frage nach dem

Sinn ihres Einsatzes. In einem Lernkontext hingegen stellt

sich die entscheidende Frage: Was lernen die Spieler?

Gelingt ein Transfer von Wissen und Können in die reale

Welt? Wenn ja, wie und wie gut? Es tobt eine der hitzigsten

Debatten der Medienwirkungsforschung: Euphorische

Propheten eines neuen Zeitalters digitalen Lernens streiten

sich mit den dogmatischen Verkündern vom Untergang des

Abendlandes. Auf Elternabenden zum Einsatz digitaler

Medien in der Schule finden sich zumeist vehemente

Anhänger beider Fraktionen.

Einsatz von Spielen in der Schule

Prinzipiell bestehen viele Möglichkeiten, Spiele in der

Schule einzusetzen: Schon immer werden nicht-digitale

Spiele im Unterricht eingesetzt. Das können Kennenlern-

spiele, Geschicklichkeitsspiele oder ganz konkret Knobel-

und Ratespiele für den Mathematik-Unterricht sein.1 Neu

sind sogenannte Gamification-Ansätze, die Belohnungssys-

teme und Spielmechanismen einsetzen, um Schüler zu

motivieren.

Digitale Lernspiele (sogenannte Serious Games) sind

Computerspiele, die für einen anderen Zweck als die

Unterhaltung entwickelt werden. Hier gibt es eine große

Palette an verfügbaren Spielen. Viele Schulbuchverlage

bieten mittlerweile eine begleitende Lernsoftware an, die

sich meist stark inhaltlich am Schulbuch orientiert und oft

nur einen geringen bis gar keinen Spaßfaktor aufweist.

Daneben gibt es Titel des sogenannten »Nachmittags-

marktes«. Hierunter fallen Computerspiele mit mehr oder

1 Heiko Etzold, Ines Petzschler: Mathematik. Spiele zur Unterrichtsgestaltung, Verlag an der Ruhr, 2011.

13

01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

weniger ausgeprägten (oder effektiven) Lerninhalten, die

sich zwar an Altersgruppen und Klassenstufen orientieren,

aber nicht an dem landesspezifischen Rahmenlehrplan.

Solche Titel können im Unterricht ergänzend oder für

spezifische Themen eigesetzt werden. Es gibt eine nahezu

unüberschaubare Anzahl an gut gemeinten, aber auch gut

gemachten Titeln, wie z.B. das Physiklernspiel »Ludwig« 2.

Dann gibt es noch spezifische Lernspiele wie »Meister

Cody«, die gezielt für Kinder mit Lese-Rechtschreib-

Schwäche oder Rechen-Schwäche entwickelt wurden.3

Gute erste Anlaufstellen für eine Suche nach geeigneten

Lernspielen sind die Nominierten des Deutschen Compu-

terspielpreises oder des TOMMI-Kindersoftwarepreises.4

Zudem können auch »normale«, kommerzielle Computer-

spiele im Unterricht eingesetzt werden, wie z.B. »Civilizati-

on« oder »Total War« im Geschichtsunterricht. Microsoft

hat das beliebte Aufbauspiel »Minecraft« in einer speziellen

Education Edition herausgegeben.5 Und es gibt eine Vielzahl

von Projekten und Best-Practice-Beispielen, sogar einen

eigenen EDU-Wiki6 dafür. Die vielen inzwischen verfügbaren

Materialien und Unterrichtseinheiten zeigen auch, dass das

Thema zunehmend an Schulen an Bedeutung gewinnt. Gute

Anlaufstellen hierfür sind die Initiative Spielbar.de der

Bundeszentrale für politische Bildung und der Spieleratge-

ber NRW welche auf ihren Webseiten eine Menge Praxis-

wissen und Fachartikel zur Verfügung stellen.7

Interessant ist hier auch einmal die Sichtweise einer

anderen kulturellen Perspektive: Im anglo-amerikanischen

Bildungssystem werden Spiele viel eher als Chance

gesehen, das Lernen in formalen Bildungseinrichtungen zu

befördern. Von der National Foundation for Educational

Research in England and Wales sind eine Reihe von

praktischen Ratgebern und Studien auf ihrer Webseite

kostenlos verfügbar.8

Digitale Spiele haben das Potenzial, spielerisches Erleben

mit Lerninhalten auf verschiedenste Art zu verbinden und

2 www.playludwig.com

3 www.meistercody.com

4 www.deutscher-computerspielpreis.de und www.kindersoftwarepreis.de

5 http://education.minecraft.net

6 Das MinecraftEDU-Wiki ist eine Online-Enzyklopädie, in der alle relevanten Informationen zur Nutzung der speziellen Minecraft Version für den Schulunterricht nachlesbar sind. http://services.minecraftedu.com/wiki/Main_Page.

7 www.spielbar.de/ und http://www.spieleratgeber-nrw.de

8 www.nfer.ac.uk/publications/technology-and-innovation/

bestmöglich zu nutzen. In der Abgrenzung zum E-Learning,

welches versucht, mit bestehenden Lehrmethoden in

virtuellen Umgebungen zu arbeiten, legen sie den Fokus auf

eine innovative Gestaltung von Interaktion mit Lerninhalten.

Im praktischen Einsatz wird jede Lehrkraft Kosten und

Nutzen des Einsatzes abwägen müssen, auch wenn es viel

Potenzial für ungewöhnliche Allianzen zwischen spielenden

Lehrern und Eltern und Schülern bietet. Computerspiele

entstammen der alltäglichen Lebenswelt der Schüler und

sie machen Spaß. Spiele sollten im Unterricht nicht als

Tabuthema und auch nicht als Wunderwaffe verstanden

werden, sondern sollten gezielt eingesetzt und in bestehen-

de oder angepasste Lehrprozesse mit geringstmöglichem

Zusatzaufwand eingebunden werden. Nur so ist es möglich,

dass digitale Spiele den Unterricht bereichern und sowohl

Lehrende als auch Lernende davon profitieren.

Maic Masuch

Prof. Dr. Maic Masuch leitet den Lehrstuhl für Medieninformatik mit Schwerpunkt Entertainment Computing an der Universität Duisburg-Essen. Er forscht und lehrt seit über 15 Jahren zu Themen der interaktiven Medienumgebungen. Kernbereiche seiner Arbeit sind Game Development und Evaluierung und der Zusammenhang von Spielen und Lernen.

14

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Spielend Lernen? Potenziale und Herausforderungen von Gamification im UnterrichtMit der Verbreitung digitaler Endgeräten wie dem Smart-

phone und dem Tablet erobern digitale Spiele immer mehr

den Alltag. Selbst Personen, die vorher keinen Bezug zu

Computerspielen besaßen, werden nun zu aktiven Spiele-

rInnen und lassen sich von Apps wie Quizduell oder Candy

Crush begeistern. Das Bedürfnis zu spielen kann als Teil

der menschlichen Entwicklung gesehen werden. Während

Kinder die Welt hauptsächlich durch Spiele erlernen,

werden jedoch mit zunehmendem Alter Lernen und Spielen

voneinander getrennt.

Da Spiele die besondere Eigenschaft besitzen, mittels Spaß

zum Lernen zu motivieren, knüpft Gamification genau an

diese Faszination an. Der Begriff Gamification beschreibt

den Einsatz spielerischer Elemente und Prozesse in einen

spielfremden Kontext wie dem Bildungsbereich.

Potenziale von Gamification

Populär wurde Gamification allerdings vor allem durch

spielerische Anwendungen im Consumer-Bereich: Die

mobile Anwendung Swarm1 belohnt Besucher von realen

1 https://www.swarmapp.com/

Orten mit virtuellen Punkten und Auszeichnungen, ver-

schafft aber darüber hinaus in einigen Fällen auch Zugang

zu realen Belohnungen wie freien Getränken oder Eintritts-

ermäßigungen. Das Spiel Superbetter2 schafft Motivation

für die Erledigung von Zielen durch die spielerische

Einbindung von Freunden. Nike+3 hingegen nutzt Gamifica-

tion-Elemente, um Laufsportlern zusätzliche Motivation zu

verschaffen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.

Die ersten Erfolge gamifizierter Anwendungen aus der

Wirtschaft zeigen ein wachsendes Potenzial durch den

Einsatz spielerischer Elemente. Auch in Aus- und Weiterbil-

dung werden diese Prinzipien angewandt, so dass die Frage

naheliegt, ob man dieses Potenzial auch in der schulischen

Ausbildung nutzen kann und sollte? Denn immerhin sind

Spielen und Lernen für den heranwachsenden Menschen

ein mächtiges Entwicklungsinstrument; die Frage ist nur,

wie man sie in den entsprechenden Altersstufen sinnvoll

einsetzt.

2 https://www.superbetter.com/

3 http://www.nike.com/de/de_de/c/nike-plus/running-app-gps

Foto: Pawel Kadysz / StockSnap

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01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Serious Games versus Gamification

Fragt man nach Potenzial von Gamification im schulischen

Kontext, lohnt zunächst ein Blick in die nähere Vergangen-

heit. Bereits in den 1990ern wurde Software für Schulen

konzipiert, die unter den Bezeichnungen »Edutainment«,

»Game Based Learning« und später auch unter dem Titel

»Serious Games« firmierten und allesamt das Ziel hatten,

das Lernen spielerischer und motivierender zu gestalten.

Doch viele Anwendungen erfüllten das selbstgesetzte Ziel

nur unzureichend: Sie waren handwerklich nicht überzeu-

gend umgesetzt oder trennten die Lernaufgaben und den

spielerischen Part so offensichtlich, dass die Freude an der

Nutzung nur auf wenige Bestandteile beschränkt war. Viele

dieser Versuche scheiterten und große Verlage wie Bertels-

mann oder Cornelsen stellten ihre Entwicklungen ein.

Ein großes Problem der Anwendungen war auch der

Anspruch, dass diese nicht nur die Lerninhalte entspre-

chend der schulischen Anforderungen abbilden, sondern

auch so motivierend wie kommerzielle Spiele sein sollten.

Doch der Vergleich hinkt: Während bei kommerziellen

Spielen teilweise bis zu dreistellige Millionenbeträge in die

Entwicklung fließen, mussten die Entwickler von Lernspie-

len mit deutlich weniger Budget und Erfahrung ihre

Vorhaben umsetzen, was sich am Ende natürlich auch in

der Qualität niederschlug.

Gamification hingegen bietet die Chance einzelne, spiele-

risch-motivierende Elemente wie Storytelling, Kooperation,

Charaktervisualiserung, Feedback und Forschrittsanzeigen

einzusetzen, ohne gleich ein vollwertiges Spiel zu erstellen:

Teilweise lassen sich bereits mit geringem Aufwand

spielerische Mechanismen in der schulischen Ausbildung

etablieren – auch ohne den Einsatz von Software oder

digitalen Systemen.

Gamification im Unterricht

Zwei Beispiele sollen das Potenzial von Gamification im

schulischen Kontext verdeutlichen.

Classcraft ist eine kommerzielle Software-Umgebung, die

es Lehrkräften ermöglicht, ihren Unterricht durch eine

spielerische Ebene zu ergänzen. SchülerInnen erstellen

ihre eigenen Fantasy-Charaktere, die anhand absolvierter

Aufgaben Erfahrung sammeln und eine Weiterentwicklung

der Charaktere ermöglichen. Doch wie funktionieren die

spielerischen Elemente? Zwei Mechanismen sollen dies

veranschaulichen:

Ein zentrales Gestaltungselement von Gamification ist

regelmäßiges Feedback. In der Schule gibt es Feedback

seitens der LehrerInnen meist nur in größeren Abständen:

Benotungen von Klassenarbeiten, Hausarbeiten oder

Vokabeltests – dazu dann noch die Halbjahresnoten. Doch

Systeme wie Classcraft sind in der Lage, wesentlich

häufiger Feedback zu geben. Erledigte Aufgaben, Hilfestel-

lungen für MitschülerInnen oder weitere durch den Lehrer

zuvor definierte Aktivitäten werden nach ihrem Erfüllen

direkt mit Feedback in Form von Nachrichten, Punkten oder

anderen virtuellen Belohnungen wie einem neuen Titel oder

neuen Ausrüstungsgegenständen für den eigenen Charak-

ter belohnt.

Eng damit verbunden ist die Visualisierung des eigenen

Fortschritts. Jede absolvierte Aufgabe, jeder Zugewinn an

Erfahrungspunkten wird festgehalten und trägt dazu bei,

Foto: Dominik Schmitz / LVR-ZMB

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01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

die Fähigkeiten und Ausrüstung der von den SchülernInnen

entwickelten Charaktere weiterzuentwickeln. Dadurch

haben die SchülerInnen stets den eigenen Fortschritt vor

Augen und das System macht transparent, welche Aktivitä-

ten in welche Bereiche einzahlen: Die SchülerInnen wissen

also jederzeit, wo sie stehen und welche Ziele sie erreichen

können.

Classcraft stellt damit ein gelungenes Bindeglied zwischen

Unterricht und bestehenden schulischen Feedbacksyste-

men dar und ergänzt viele weitere Feedback- und Fort-

schrittsmechanismen, die in der Lage sind, die SchülerIn-

nen zusätzlich zu motivieren.

Ein weiteres Beispiel für die Anwendung von Gamification

im Schulkontext ist die New Yorker Schule Quest to Learn

(Q2L). Im Gegensatz zu Classcraft ist bei Quest to Learn

Spielen nicht nur Teil des Unterrichts, sondern das gesamte

Schulmodell ist auf den Einsatz von Spielen ausgerichtet.

Quest to Learn ist eine öffentliche Schule, die 2009 vom

Institute of Play 4 gegründet wurde und SchülerInnen der

sechsten bis zur zwölften Klasse unterrichtet. Lernen und

vielmehr der Lernerfolg wird nicht als vom jedem Schüler

persönliche Angelegenheit angesehen, sondern ist von der

Einbindung der Lerninhalte in einen narrativen Kontext

sowie der Kooperation unter den SchülerInnen abhängig.

Quest to Learn versucht mit seiner Spielpädagogik auf die

Bedürfnisse von Kindern, welche in einer digitalen, globalen

und komplexen Gesellschaft aufwachsen, zu antworten.

Die Unterrichtsfächer werden ähnlich wie bei einem Spiel

»domains« (dt. Wissensgebiete) genannt und sind interdis-

ziplinär aufgebaut, sodass Kenntnisse und Fähigkeiten aus

unterschiedlichen Bereichen wie Literatur und Sozialkunde

oder Sport, Ernährung und Gesundheit miteinander

kombiniert werden.

Unterrichtsinhalte erlernen die SchülerInnen in »Missio-

nen«, bei denen Sie beispielsweise die Rolle des Biologen

Dr. Smallz einnehmen, um den Aufbau und die Funktion des

menschlichen Körpers kennenzulernen. Die Mission

handelt davon, dass Dr. Smallz sich in den Körper eines

kranken Patienten geschrumpft hat, um diesen zu erfor-

schen. Beim Schrumpfvorgang hat er jedoch sein gesamtes

Wissen verloren, so dass er zum Forschen die Hilfe der

SchülerInnen benötigt. Er kommuniziert mit kleinen

Plättchen, die die SchülerInnen nur entziffern können, wenn

sie lernen, mit einem Mikroskop umzugehen. An diesem

Beispiel wird deutlich, dass relevante Lerninhalte, einge-

bunden in eine spannende Geschichte, SchülerInnen zum

Lernen motivieren können.

Auch staatlichen Leistungstest beweisen den Erfolg von

Quest to Learn, denn SchülerInnen von Quest to Learn

schneiden deutlich besser ab als SchülerInnen von her-

kömmlichen New Yorker Schulen.

Faktoren für den erfolgreichen Einsatz von Gamification

Beim Einsatz spielerischer und motivierender Elementen

muss man immer auch die Zielgruppe vor Augen haben:

Jeder von uns hat andere Präferenzen, wenn es um das

Spielen geht. In der Forschung spricht man von »Play

Personas«, also Persönlichkeitsmodellen, die verschiedene

4 Das Institute of Play ist eine Forschungseinrichtung, die ihren Forschungsschwer-punkt auf digitale sowie analoge Spielen legt.

17

Bedürfnisse der Spieler verkörpern. Manche Spieler

streben stärker nach Ansehen und Erfolg in der Spielwelt,

während sich andere Spieler wiederum mehr an sozialen,

kollaborativen Spielmechanismen erfreuen. Aus diesem

Grund ist es von besonderer Bedeutung die Spielpräferen-

zen der SchülerInnen zu erfragen, bevor spielerische

Elemente in der Klasse zum Einsatz kommen. Ansonsten

riskiert man Spielelemente zu etablieren, die für die

Zielgruppe nicht interessant sind und damit das gesamte

Vorhaben scheitern kann. Zudem ist es wichtig, dass die

Aufgaben sich im Schwierigkeitsgrad an den Fähigkeiten

der SchülerInnen orientieren, um Frustration durch zu

leichte oder schwere Aufgaben zu vermeiden. Darüber

hinaus ist auch die Freiwilligkeit von spielerischen Aufga-

ben von großer Bedeutung: Hier sollte darauf geachtet

werden, dass die SchülerInnen Wahlmöglichkeiten haben

und so frei entscheiden können, welche Form von Spiel sie

am meisten anspricht.

Die Beispiele zeigen, dass Gamification erfolgreich im

schulischen Kontext eingesetzt werden kann, jedoch einer

Orientierung an den Bedürfnissen der SchülerInnen bedarf.

Es ist hilfreich, sich an bestehenden Projekten und Anwen-

dungen zu orientieren, die bereits im schulischen Alltag

erprobt wurden. Das Spektrum reicht von kommerziellen

Softwareanwendungen wie Classcraft bis hin zu spieleri-

schen Lernmethoden, die, wie auch am Beispiel der Schule

Quest To Learn, ohne digitale Unterstützung eingesetzt

werden können. Der Einsatz von Gamification im Bildungs-

bereich besitzt in Deutschland noch großes Ausbaupotenzial.

Richtig angewandt, motiviert Gamification zum Erlernen

mentaler und physischer Fertigkeiten und fördert darüber

hinaus das soziale Verhalten sowie die Kreativität.

Jörg Niesenhaus, Sepiedeh Fazlali

Dr.-Ing. Jörg Niesenhaus koordiniert als Standortleiter die Aktivitäten von Centigrade’s Niederlassung Nord-West und und ist für die Bereiche Gamification und Interaktionsdesign verantwortlich. Als Head of Gamification beschäftigt er sich vornehmlich mit der Evaluation und Konzeption von benutzerfreundlichen Bedienober-flächen.

Sepiedeh Fazlali, M.Sc. studierte Angewandte Kognitions- und Medienschaften an der Universität Duisburg-Essen. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Mediendidaktik der FernUniversität Hagen und ist als freie Mitarbeiterin in verschiedenen Jugend- und Sozialprojekten tätig.

Foto: Leungchopan / Shutterstock

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MEDIENBRIEF | N° 02.2016

© Classcraft Studios Inc.

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01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

Classcraft - Eine Gamification-Platt-form im Unterrichtseinsatz

Das Prinzip von Gamification basiert

darauf, spielerische Elemente in

einem nicht spielerischen Kontext

einzusetzen. Im Unterricht bedeutet

dies, durch den Einsatz von Spielele-

menten die Motivation der Schülerin-

nen und Schüler zu steigern.

Classcraft ist eine solche Gamifica-

tion-Plattform, die auf den langfristi-

gen Einsatz im Unterricht ausgelegt

ist. Mit dieser werden alltägliche

Unterrichtshandlungen in ein Rollen-

spielszenario eingebettet, um so

insbesondere soziale Kompetenzen zu

fördern.

Spielprinzip

Die Gamification-Plattform Classcraft

funktioniert im Prinzip wie ein

digitales Verstärkersystem für den

Unterricht. Sie orientiert sich in seiner

Aufmachung an dem bekannten

Rollenspiel World of Warcraft und soll

die Faszination der Heranwachsenden

für Videospiele, insbesondere Rollen-

spiele aufgreifen. Das Spiel basiert auf

einem virtuellen Punktesystem, d.h.

die Schüler/-innen Punkte sammeln

u.a. durch die Mitarbeit im Unterricht.

Zu Beginn des Spiels findet sich die

Klasse in Gruppen von sechs bis acht

Schüler(-inne)n zusammen. Anschlie-

ßend wählt jede/r eine Charakterklas-

se - Krieger, Magier oder Priester -

aus, wobei jede Charakterklasse über

spezielle Fähigkeiten verfügt. Durch

Mitarbeit und Kooperation im Unter-

richt sammeln die Schüler/-innen

Erfahrungspunkte, die ihnen die

Lehrkraft per Eingabe auf einem

digitalen Endgerät gutschreibt. Per

Beamer oder Whiteboard wird die

Punkteverteilung den Schüler/-innen

sofort sichtbar gemacht, sodass sie

eine unmittelbare Rückmeldung zu

ihren Leistungen erhalten. Beispiels-

weise wird ihnen für das Präsentieren

der Hausaufgaben eine bestimmte

Punktzahl gutgeschrieben. Für ihre

gesammelten Erfahrungspunkte

erhalten die Lernenden mit der Zeit

reale Belohnungen, z.B. in Form von

Hausaufgabengutscheinen oder

Hinweisen für die nächste Klassenar-

beit. Zusatzpunkte - im Spiel heißen

sie Goldstücke - erhalten die Schüler/-

innen durch das Erledigen von

freiwilligen Extraaufgaben. Stören

kann hingegen Schadenspunkte und

reale Konsequenzen wie z.B. Strafar-

beiten nach sich ziehen.

Classcraft soll insbesondere die Arbeit

im Team fördern und damit die

sozialen Fähigkeiten der Lernenden

stärken. So können sich die Schüler/-

innen auf Basis ihrer Charakterklas-

sen gegenseitig im Unterricht unter-

stützen: Ein Krieger kann z.B. die

Schadenspunkte eines Gruppenmit-

glieds abfangen und selbst überneh-

men. Für Abwechslung und längerfris-

tige Motivation sollen zudem

abwechselnde Tagesereignisse

sorgen: Beispielsweise erhält eine

Gruppe die Aufgabe, einen Tag lang im

Unterricht nur noch Englisch zu

sprechen. Erfüllt das Team die

Aufgabe, so erhalten die Teammitglie-

der Zusatzpunkte.

Erfahrungen aus der Praxis

Daniel Jurgeleit, Lehrer am Staufer-

gymnasium in Pfullendorf, setzt

Classcraft bereits über einen längeren

Zeitraum im Unterricht ein. Im

Gespräch berichtet er über seine

Erfahrungen.

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Foto: © Sven von Loga

© Classcraft Studios Inc.

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Unterricht. Die Lehrkraft sollte sich ein wenig mit Rollen-

spielen, Fantasyliteratur und/oder -Computerspielen

auskennen. Das erleichtert den Einstieg im Umgang mit der

App und dem Inhalt von Classcraft, weil das Spiel auf einem

Fantasy-Setting basiert (Magier, Krieger, Mana, Erfah-

rungspunkte, Fähigkeitenbaum, usw.). Außerdem gelingt es

dann der Lehrkraft eher, das Spiel mit den Schüler(-inne)n

zu spielen, ohne dass es »aufgesetzt« wirkt.

Wenn man wirklich hinter dem Spiel steht, reißt man die

Lernenden viel eher mit.

Sascha Schmidt: In welchem Umfang nutzen Sie

Classcraft?

Daniel Jurgeleit: Gegenwärtig unterrichte ich eine 7. Klasse

(18 Schüler/-innen) in Deutsch und Englisch gleichzeitig.

Wir haben an der Schule das Doppelstundenmodell und ich

sehe die Klasse von Montag bis Donnerstag jeweils eine

Doppelstunde lang. In diesen Stunden wird natürlich

Classcraft eingesetzt. Das Spiel habe ich bisher in den

Klassen 5-7 gespielt. Dieses Schuljahr habe ich es auch mit

meiner 10. Klasse in Deutsch versucht, aber leider musste

ich feststellen, dass das Spiel bei einer Klassengröße von

31 Schüler(-inne)n einfach nicht mehr praktikabel ist und

zum Leidwesen der Schüler abbrechen musste.

Sascha Schmidt: Wie reagieren die Schüler/-innen, Eltern

und andere KollegInnen auf das Projekt?

Sascha Schmidt: Welche Gründe bewegten Sie dazu,

Classcraft im Unterricht einzusetzen?

Daniel Jurgeleit: Ich las zufällig etwas über Classcraft auf

Spiegel Online, als das Spiel noch nicht fertig war und auf

der Homepage des Spiels nur das grobe Regelwerk und die

prinzipielle Spielmechanik vorgestellt wurden. Aber ich

wusste einfach: »Das ist es!« Als Schüler hätte ich mir so

etwas gewünscht. Shawn Young, der Lehrer, der Classcraft

entwickelt hat, war in seiner Jugend - so wie ich – Rollen-

spieler. Bei mir waren es Pen- & Paper-Rollenspiele wie

Das Schwarze Auge. Dem Hobby bin ich bis heute treu

geblieben, allerdings auf dem PC mit Spielen wie Baldur's

Gate, Sternenschweif oder Skyrim. Ich stellte mir vor, dass

Classcraft für die Schüler motivierend sein müsste und es

Abwechslung in den Schulalltag bringt, weil es ja wirklich

etwas ist, das so noch nie da war. Und Probieren geht über

Studieren.

Sascha Schmidt: Welche Voraussetzungen müssen die

Schule und auch die Lehrkräfte zum Einsatz von Classcraft

mitbringen?

Daniel Jurgeleit: Die Schule benötigt folgende Dinge:

WLAN/Internet-Verbindung, Beamer, Tablet/Laptop mit der

Classcraft-App oder den Browser Safari oder Google

Chrome. Ich selbst nutze unser Schul-WLAN, mein Tablet

mit der App und ich nehme immer einen Beamer mit in den

© Classcraft Studios Inc.

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01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

Daniel Jurgeleit: Von insgesamt 121 Schüler(-inne)n, mit

denen ich Classcraft bisher gespielt habe, gefiel es nur 11

Schüler(-inne)n nicht. In der jetzigen 7. Klasse spielen alle

18 Lernenden mit. In der 10. Klasse spielten sieben

Schüler/-innen nicht mit, in einer 7. Klasse des letzten

Schuljahres spielten vier nicht mit. Die Schüler/-innen

reagieren dementsprechend positiv auf Classcraft: Das

Tagesereignis wird immer mit Spannung erwartet, ebenso

der aktuelle Punktestand und das Durchführen der Spielzü-

ge. Einige der Schüler/-innen laden zusätzliche Übungsauf-

gaben aus unserer Dropbox herunter, um Extrapunkte und

Goldstücke zu bekommen und führen Spielzüge auch von

zuhause aus durch, indem sie sich dort auf ihren Account

einloggen.

Von den Eltern kamen bisher nur positive Rückmeldungen:

Das Lernverhalten habe sich verbessert, die Begeisterung

für die Schule bzw. die Fächer habe zugenommen, ebenso

die Bereitschaft, die Hausaufgaben besser und genauer zu

erledigen - es gibt ja immerhin Punkte dafür.

Die KollegInnen reagierten eher etwas verhalten auf

Classcraft. Interessant fanden es nur wenige, probieren

möchte es niemand. Das liegt zum einem daran, sich mit

dem Fantasy-Setting anzufreunden, sich mit der App und

der Spielmechanik auseinander zu setzen, zuhause die Zeit

für die Punktevergabe und für das zusätzliche Korrigieren

der Extraaufgaben zu investieren. Außerdem ist unsere

Schule technisch nicht für das Spiel ausgestattet: Wir

haben nicht überall WLAN, kaum jemand hat ein Laptop/

Tablet, das er jeden Tag an die Schule mitbringen will bzw.

damit täglich arbeitet und wir haben pro Stockwerk nur

einen Beamer-Wagen. Hier würde also sehr schnell ein

technischer Engpass entstehen, wenn mehrere KollegInnen

Classcraft spielen würden.

Sascha Schmidt: Wie steht es mit der Langzeitmotivation

der Schüler/-innen?

Daniel Jurgeleit: Ich habe Classcraft über zwei Jahre in

derselben Klasse gespielt, vom Ende der 5. Klasse (Test-

phase zwischen Oster-und Pfingstferien) bis Ende der 7.

Klasse. Dabei habe ich mehrere Dinge beobachtet: Ich hatte

Schüler/-innen, die sich mündlich und schriftlich von der

Note 4 auf die Note 2 hochgekämpft haben. Auch bereits

leistungsstarke Schüler/-innen haben sich auf die Note 1

gesteigert. Wie erwähnt, laden sich manche Schüler/-innen

auch Extraaufgaben herunter. Sie machen die Hausaufga-

ben regelmäßiger bzw. manche Schüler/-innen hatten sich

tatsächlich abgewöhnt, Hausaufgaben zu »vergessen«, weil

man für das Vorlesen der Hausaufgaben Erfahrungspunkte

erhielt.

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

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Da Classcraft in Gruppen gespielt wird, habe ich mehrere

Male beobachtet, wie Außenseiter in einer Klasse plötzlich

Anschluss fanden. Mein aktuelles »Sorgenkind« in der 7.

Klasse wird mittlerweile nicht nur endlich von seinen

Klassenkameraden akzeptiert, sondern auch bei Gruppen-

arbeiten immer um Rat gefragt. Er steigert sich gerade von

einer Vier auf eine recht gute Drei. Er präsentiert vor der

ganzen Klasse die Resultate der Gruppenarbeit, was er

früher aus Scheu nie gemacht hat. Das hat sich nun

geändert, da er unbedingt die Punkte und die Goldstücke

haben will. Speziell ihm hat Classcraft sehr geholfen,

Selbstvertrauen zu schöpfen.

Sascha Schmidt: Viele Lehrkräfte befürchten sicherlich,

dass durch den konsequenten Einsatz von Classcraft eine

Menge an effektiver Unterrichtszeit verloren geht. Wie

beurteilen Sie diesen Umstand aus Ihrer Sicht?

Daniel Jurgeleit: Einerseits stimmt es, dass Classcraft

natürlich seine Unterrichtszeit benötigt. Ich habe das Glück,

dass wir bei uns das Doppelstundenmodell haben, d.h. 5-10

Minuten für die Eröffnung von Classcraft fallen bei 90

Minuten nicht so sehr ins Gewicht wie bei einer Einzelstun-

de. Auch kann es während des Unterrichts manchmal zu

Unterbrechungen kommen, weil z.B. ein Schüler oder eine

Schülerin quatscht: Ich teile ihm Schadenspunkte zu, dann

will ein Krieger denjenigen beschützen, dann will ein Heiler

den angeschlagenen Krieger heilen und ein Magier will

dann auch noch seine Manapunkte an den Krieger und

Heiler transferieren. Aber dass mal so ein Schneeball

ausgelöst wird, kommt nicht oft vor und selbst wenn, was

soll's? Denn dafür überwiegen die Vorteile:

Die Schüler/-innen arbeiten effizienter. Bei Gruppenarbei-

ten mit bestimmten Zeitvorgaben arbeiten sie präziser, weil

sie die maximalen Punkte für die Gruppe rausholen wollen.

Es wird nicht mehr lange gefackelt oder herumgeblödelt,

sondern sie konzentrieren sich viel schneller und besser

auf ihre Aufgabe. Dadurch kann man z.B. 15 Minuten statt

20 Minuten Arbeitszeit geben und holt so also die »verlore-

ne« Zeit wieder ein. Die Ergebnisse werden sogar besser.

Allgemein arbeiten sie auch schneller, denn wer fix denkt,

bekommt zuerst Punkte - wobei man dann natürlich

dennoch auf die langsameren Schüler/-innen wartet. Klar!

Sie vergessen die Hausaufgaben seltener als sonst. Sie

lernen, sich in einer Gruppe zu arrangieren und zusammen-

zuarbeiten. Außenseiter finden so gut Anschluss und

blühen regelrecht auf.

Die Klassendisziplin wird besser: Die Schüler/-innen reißen

sich mehr zusammen, weil sie nicht gerne Schadenspunkte

kassieren. Haben sie bereits wenige Lebenspunkte, werden

sie umso vorsichtiger. Gerade in meiner jetzigen 7. Klasse

ist es so, da die Klasse als sehr problematisch galt. Man

kann alleine mit intelligenter Zusammensetzung der

Gruppen unterschiedliche Ziele verfolgen: Binnendifferen-

zierung, Inklusion, Integration, man kann starke Schüler

mit Schwachen in eine Gruppe zusammenbringen, damit

Erstere die Letzteren unterstützen usw. Die Schüler/-innen

haben Spaß an der Schule bzw. am Unterricht. Classcraft

entschärft das zuweilen hohe Lerntempo und senkt den

Stressfaktor: Die Schüler/-innen fühlen sich wohler. Bei der

Punktejagd legen mache Schüler/-innen ihre Schüchtern-

heit ab. Es tut mir selbst auch gut, wenn ich merke, dass

ich den Unterricht manchmal zu ernst nehme. Das spieleri-

sche Element von Classcraft bringt auch bei mir mehr Ruhe

rein.

Durch das automatische Protokollieren der Punktevergabe

und das Analysetool von Classcraft habe ich eine noch

bessere Übersicht über den Lernfortschritt meiner

Schüler/-innen, die ich bei Bedarf auch als PDF per Mail an

Eltern verschicken kann. Aber man muss sich auch dessen

bewusst sein, dass man nicht jede Schülerin und jeden

Schüler damit erreicht. Es gibt leistungsschwache Lernen-

de, die bleiben auch weiterhin schwach oder sie haben kein

Interesse am Spiel oder an der Schule an sich.

http://www.classcraft.com/de/

Sascha Schmidt

Sascha Schmidt arbeitet im Referat Medienbildung/Pädagogischer Jugendmedien-

schutz im Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

»Guten Morgen. Headsets auf!« – E-Sports im Unterricht? Gaming und der Medienpass NRWSchülerinnen und Schüler mit Spielen zu motivieren, ist

nichts Neues. Jeder kann sich sicherlich an die eine oder

andere Partie Hangman im Unterricht erinnern. Allerdings

bekommt dies eine andere Dimension, wenn Schulen, wie

gerade an einem norwegischen Gymnasium geschehen1,

den konventionellen Sportunterricht durch E-Sports mit

Counter-Strike, DOTA 2 oder League of Legends ersetzen.

Auch wenn das der Leserin oder dem Leser vielleicht nur

ein verständnisloses Schmunzeln oder gar Kopfschütteln

entlockt, ist zumindest der motivierende Einfluss von

Computer- und Konsolenspielen auf Kinder und Jugendli-

che und damit auch der potentielle Nutzen für den Unter-

richt nicht zu unterschätzen.

1 http://www.br.de/puls/themen/sport/esport-wird-schulfach-in-norwegen-100.html, September 2016.

Spiele können vielfältig im Unterricht genutzt werden.

Spiele, die Gewalt darstellen, können moralische Fragen

aufwerfen2 und damit eine Diskussionsbasis bieten. Spiele

mit einer ausgeprägten Handlung können ähnlich einem

Roman oder einer Kurzgeschichte behandelt werden. Spiele

mit hohem Text- oder Sprachanteil können im Sprachunter-

richt das Lese- und Hörverstehen schulen, den Wortschatz

erweitern und Grammatikregeln festigen, da sie ähnliche

Herausforderungen an die Spielerin oder den Spieler stellen

wie Filme oder kurze Texte in der Zielsprache. Außerdem

bieten sie einen spielerischen Zugang zur Technik und

enthemmen damit unerfahrene Anwenderinnen und

Anwender in deren Bedienung. Sie können auch Gemein-

2 https://digitale-spielewelten.de/projekte/shadow-of-the-colossus-ethik-und-moral-in-videospielen/70, September 2016.

Foto: Brian A. Jackson / Shutterstock

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01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

schaft fördern, besonders wenn es sich um Multiplayer-

oder Koop-Spiele3 handelt, in denen mehrere Spielerinnen

und Spieler ein gemeinsames Spielziel verfolgen oder die

Spielerfahrung teilen.

Eine Anbindung dieser Möglichkeiten an den Medienpass

NRW4 ergibt sich in allen fünf Kompetenzbereichen des

zugrundeliegenden Kompetenzrahmens: Bedienen und

Anwenden, Informieren und Recherchieren, Kommunizieren

und Kooperieren, Produzieren und Präsentieren sowie

Analysieren und Reflektieren.

Alle Computerspiele schulen den Umgang mit Hard- und

Software. Nicht nur müssen Peripheriegeräte zur Eingabe

(Maus, Tastatur, Touchscreen, …) sicher genutzt werden, es

müssen auch Grundlagen der Softwarebedienung verstan-

den werden (Starten und Beenden von Programmen,

Speichern von Spielständen, Verständnis von Verzeichnis-

strukturen, Installation von Spielen, Updates, DLCs und

Mods, …).

Spiele stellen ihre Anwenderinnen und Anwender oft vor

Herausforderungen, deren Lösung eine Recherche im Inter-

net notwendig macht. Dies sieht man vor allem daran, dass

es zu jedem einigermaßen populären Computerspiel

Online-Foren zum Austausch gibt, sehr umfangreiche

Lösungen für ganze Spiele ins Netz gestellt werden (engl.

Walkthroughs) und selbst Tipps und Tricks ausgetauscht

werden, die teils Hintertüren in der Programmierung

ausnutzen (engl. Cheats oder Hacks). Außerdem bieten

auch Spielinhalte Anregungen für eine tiefergehende

Recherche (z.B. die Überprüfung oder Ergänzung histori-

scher Fakten in Civilization oder einen Vergleich des

Aufbaus und der Architektur der virtuellen Stadt Rom in

3 Im Gegensatz zu Singleplayer-Spielen, in denen nur eine Spielerin oder ein Spieler aktiv am Spiel teilnehmen kann, bieten Multiplayer-Spiele mehreren Spielern die Möglichkeit, gemeinsam zu spielen. Dabei können Spiele zusammen an einem Computer oder von mehreren Rechnern aus auf einem gemeinsamen Server gespielt werden. Koop-Spiele sind eine spezielle Form der Multiplayer-Spiele, in denen die Spieler nicht gegeneinander sondern miteinander spielen und gemeinsame Aufgaben bewältigen.

4 https://www.medienpass.nrw.de/de, September 2016.

Assassin’s Creed5 und dem realen Pendant in Google Maps

bzw. Google Street View).

Gerade Multiplayer-Spiele bieten den Anwenderinnen und

Anwendern von sich aus Kooperationsmöglichkeiten. Diese

ermöglichen auf vielerlei Weise eine Bereicherung für die

mediale Bildung, beginnend bei dem gemeinsamen

Einrichten eines LANs zur Vernetzung der Spielerinnen und

Spieler und den darin vermittelten Bestandteile und

Prinzipen der LAN-Architektur (Netzwerkkarten, Ethernet-

Kabel, Switches, Router, Client-Server-Prinzip, Netzwerk-

protokolle, IPs, Ports, …), der folgenden, gemeinsamen,

kooperativen Spielerfahrung und schließlich der Reflexion

der gemachten Erfahrungen in der Runde. Aber auch

Singleplayer-Spiele bieten Aufgaben, die in Abstimmung

zwischen mehreren Schülerinnen und Schülern gelöst

werden können (z. B. Rätselspiele, Strategiespiele oder

auch Adventures).

Auch thematisch lassen sich Spiele als Basis für weiterfüh-

rende Projekte nutzen. Die Spiele selber können genau wie

Filme oder Bücher im Unterricht rezensiert werden.

Themen und Inhalte der Spiele können als Basis für

Projekte dienen (Heldenbilder in Spielen, Darstellung von

Krieg in Spielen, Frauenbilder in Spielen, …). Spiele-Tutori-

als oder Rezensionen können schließlich mit Hilfe von

Erklär- oder Let’s Play-Videos6 umgesetzt werden, um eine

weiterführende Mediennutzung zu ermöglichen.

Das Analysepotential von Computerspielen sollte nicht

unterschätzt werden, da sie zum einen durch die Zusam-

mensetzung von Charakteren, Handlung, Ort und Zeit

klassischen Literaturgenres ähnlich sind und somit durch

vergleichbare Analysestrategien untersucht werden können.

Zum anderen eröffnen sich durch Spiele aber auch Proble-

me, die über die Grenzen eines literarischen Werkes

5 http://www.livescience.com/8945-renaissance-scholar-helps-build-virtual-rome.html, September 2016.

6 Let’s Play-Videos sind eine populäre Form von YouTube-Videos, in denen Spielerinnen oder Spieler per Bildschirm-Recorder das Spiel filmen und über Mikrofon kommentieren. Der Youtuber PewDiePie hat mit Let’sPlay-Videos über 48.000.000 Abonnenten und zählt damit zu den erfolgreichsten YouTubern insgesamt.

24

hinausgehen. Gerade Handyspiele, die oftmals scheinbar

kostenlos sind, kosten die Nutzerinnen und Nutzer ihre

Privatsphäre, da ihre persönlichen Daten gespeichert

werden, ihr Verhalten sowohl im Spiel als auch in der

Realität mitverfolgt wird (Position, Wege, Kontakte, …) und

die Auswertung dieser Daten zu gezielter Werbung führt.

Dieses Sammelverhalten der Hersteller kann sicherlich

positiv für die Wirtschaft gesehen werden7, stellt jedoch

auch implizit die Frage nach der Notwendigkeit des Schut-

zes der Privatsphäre. Auch andere Aspekte der Computer-

nutzung an sich bieten Potential für eine kritische Reflexion:

u.a. Spielsucht, gesundheitliche Folgen, Verrohung des

Sprachgebrauchs8 on- und offline.

Spiele können den Unterricht sicherlich bereichern und

bieten eine motivierende und zeitgemäße Anbindung an die

7 http://www.heise.de/newsticker/meldung/Merkel-Daten-sind-Rohstoffe-des-21-Jahrhunderts-2867735.html, September 2016.

8 http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/lehrer-beklagen-sprachverro-hung-und-hatespeech-auf-schulhof-a-1111308.html, September 2016.

Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus

haben sie großes Potentzal Medienkompetenzen zu

vermitteln und sind somit auch ein sinnvolles Werkzeug

innerhalb des Medienpasses NRW.

Thorsten Schmolke

Thorsten Schmolke ist pädagogischer Mitarbeiter bei der Medienberatung NRW

Foto: Dominik Schmitz/LVR-ZMB

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01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Stefanie Maurer blickt sich um. Hatte ihre Grundschulklas-

se sie gerade noch umringt, ist der Borbecker Marktplatz

nun gesprenkelt mit Schülergrüppchen, jede beschäftigt

mit einer anderen historischen Spur. Über Tablets erhalten

sie Hinweise und Aufgaben.

Lena und Önder von der Werner-von-Siemens-Realschule

sitzen am PC, beraten und recherchieren. Sie tüfteln Fragen

aus für eine Rallye am Tag der offenen Tür. Was könnte die

zukünftigen Mitschülerinnen und Mitschüler besonders

interessieren?

Daniel Kurt Kattmer, im Freiwilligen Sozialen Jahr an der

Stadtbibliothek Solingen, hat einen Parcours durch das

Gebäude erstellt. Er ist überzeugt, dass diese Form der

Führung Schülerinnen und Schülern am meisten Spaß

macht und daher am sinnvollsten ist.

Motivation, Begeisterung und auch Spielfreude, davon sind

Bildungsexperten überzeugt, tragen dazu bei, leichter und

nachhaltiger zu lernen. Inhalte werden tiefer verankert und

besser vernetzt. Mit der App BIPARCOURS von Bildungs-

partner NRW können diese Effekte genutzt werden. Sie

bietet vielfältige Möglichkeiten, Gamingelemente in den

Unterricht einzubauen. Zu unterschiedlichen Themenfel-

dern können Rallyes erstellt werden, optimalerweise

verbunden mit der Erkundung von Orten. Dabei lassen sich

Informationen in Form von Schrift- und Hörtexten, Bildern,

Videos oder Weblinks bereitstellen, verschiedenartige

Quizfragen stellen, Punkte vergeben und Auflösungen

anbieten, kreative, produktive und Turnieraufgaben einbau-

en sowie punktgenau Orte ansteuern.

Spielerisch lernen mit der Bildungs-App BIPARCOURS

Dionysiusgrundschule und Kultur-Historischer Verein

Essen-Borbeck: »Borbeck Mitte«

Beobachtet man Stefanie Maurers Schülergruppen,

registriert man lebhafte Reaktionen auf einen ganz neuen

Anreiz, den Stadtteil zu erkunden.

In dem Parcours identifizieren die Kinder Geräusche oder

ertasten alte Inschriften. So werden ausgiebig die Möglich-

keiten der Einbindung von Lerninhalten in die reale Welt

genutzt. Stefanie Maurer: »Gerade die Verbindung von

Realem und Virtuellem ist das Spannende. Sind die Fragen

geschickt gestellt, müssen die Kinder auf Spurensuche in

der Wirklichkeit gehen. Daran haben sie Freude und eignen

sich, ohne es zu merken, wichtiges Wissen an. Und was gibt

es Besseres, als mit Lust zu lernen?«

Foto: Helene Claußen/LVR-ZMB

26

ten mindestens genauso: »Es war für die Schülerinnen und

Schüler motivierend, aus der üblichen Konsumenten-Rolle

in eine Produzenten-Rolle zu wechseln.« Herausgekommen

ist ein Parcours durch alle Fachräume der Schule. Und den

Grundschülerinnen und -schülern wird gleich zu Beginn ein

erstrebenswertes Ziel in Aussicht gestellt: eine Preisverlei-

hung auf der Bühne.

Die Bereitschaft der künftigen Mitschülerinnen und Mitschüler,

möglichst viele Fragen richtig zu beantworten und sich

dafür Hilfe zu holen, steigt durch diese Aussicht sprunghaft

an. Um die Motivation zu halten, muss die Rallye den

richtigen Schwierigkeitsgrad treffen. Michael Stiens: »Die

meisten Aufgaben hatten einen angemessenen Schwierig-

keitsgrad. Hilfreich waren dafür die Beratung der eigenen

Ideen mit den Fachlehrkräften und das Ausprobieren und

Diskutieren mit den Mitschülerinnen und -schülern«.

Zudem gibt der Parcours konkretes Feedback, sowohl

durch die Preisverleihung als auch durch die vergebenen

Punkte: »Der Vorschlag, für alle Fächer gleich viele Punkte

zu vergeben, kam von den Schülerinnen und Schülern. Die

Verteilung der Punkte auf die Aufgaben haben sie eigen-

ständig vorgenommen – mit Augenmaß, wie ich finde.«

Stadtbibliothek Solingen: »Der Bücherdieb«

Dieser Parcours versteht sich als Game, das Schülerinnen

und Schülern geradezu unbemerkt bibliothekarische

Nutzungskompetenzen vermittelt und einen Bezug zu

diesem Lernort anbietet. Alle bislang vorgestellten Gaming-

elemente werden vielfältig eingesetzt und mit einer

Narration verbunden. Diese dient nicht nur als roter Faden

für Inhalte und Kompetenzen, sondern erzeugt darüber

hinaus ein spannendes Erlebnis: Teil einer Geschichte zu

werden. Die Konzentration bleibt so über lange Zeit sehr

hoch. Das Setting bildet hier der mysteriöse Bücherdieb,

dem es auf die Schliche zu kommen gilt.

Die Entwicklung der Handlung, Phasen der An- und

Entspannung, das Hinfiebern auf den Ausgang der Ge-

schichte und Raum für »Als-ob«-Handlungen machen

Schülerinnen und Schülern kann auch ein Freilichtmuseum

oder das Ziel der Klassenfahrt nähergebracht werden:

Verstecken Sie QR-Codes mit BIPARCOURS, lassen Sie

GPS-Koordinaten aufsuchen und Fotos oder Videos

hochladen. Über entsprechend gestaltete Fragen und

Aufgaben entstehen zudem positive Gesprächserfahrungen

mit Passanten und Anwohnern.

Werner-von-Siemens-Realschule Gladbeck: »Tag der

offenen Tür«

Michael Stiens‘ MINT-Kurs entwickelte eine tabletgestützte

Rallye für den Tag der offenen Tür. »Die Erfahrung zeigte«,

so Stiens, »dass viele Grundschülerinnen und Grundschüler

sich kaum trauen, die ungewohnte Umgebung mit vielen

neuen Gesichtern zu erkunden. Der Parcours hat davon

abgelenkt und sie den Tag der offenen Tür aktiver erleben

lassen.« Doch die Entwicklerinnen und Entwickler profitier-

Screenshot aus dem Parcours der Werner-von-Siemens Realschule zum Tag der Offenen Tür

27

01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

MEDIENBRIEF | N° 02.2015

Zusätzlich findet sich im Bücherdieb eine für Spiele sehr

wesentliche Kategorie: Es werden punktuell Regeln

aufgestellt. So dürfen die Schülerinnen und Schüler

beispielsweise an bestimmten Stationen gerade die

üblichen Unterstützungsangebote bei der Informationsre-

cherche nicht in Anspruch nehmen.

Der Weg von den Elementen zum Konzept

Die vorgestellten Beispiele verdeutlichen jedes auf seine

Weise Elemente aus dem Gamingbereich. Pädagogisch

durchdacht platziert, erzielen sie sehr positive Effekte auf

die Motivation und das Lernen. Solche Ansätze lassen sich

konsequent im Sinne von Gaming weiterdenken. Im

Rahmen eines umfassenden Gamingkonzeptes sind die

ganze Schule und ihre außerschulischen Lernorte einbezo-

gen, es greift langfristig und wird laufend weiterentwickelt.

Ein solches »Spiel des Lernens« weicht die Fächergrenzen

auf, knüpft punktuell an tagesaktuelle Ereignisse an und

bindet die außerschulische Lebenswirklichkeit mit ein. Die

Schülerinnen und Schüler können so immer wieder neue

Level erreichen.

Sind Sie neugierig auf BIPARCOURS geworden? Dann

schauen Sie mal vorbei auf www.biparcours.de.

Die Pädagogische Handreichung zu BIPARCOURS finden

Sie als kostenfreien PDF-Download unter www.bildungs-

partner.nrw.de > Materialien. Dort haben Sie auch die

Möglichkeit der Bestellung kostenfreier Druckexemplare.

Kostenfrei verfügbare Publikation des Gamingexperten

Christoph Deeg zu Gamingkonzepten für Bibliotheken, auch

für Schulen interessant: https://www.degruyter.com/

viewbooktoc/product/205480

Charlotte Krickel / Anja Warnkross

Charlotte Krickel ist wissenschaftliche Volontärin bei Bildungspartner NRW, Anja

Warnkross arbeitet als pädagogische Mitarbeiterin bei Bildungspartner NRW

einen solchen Parcours zu einem besonderen Erlebnis.

Daniel Kurt Kattmer: »Da wir in der Bibliothek über ein

unerschöpfliches Angebot an Geschichten verfügen, lag für

mich nahe, zu diesem Ort ebenfalls eine Geschichte zu

erfinden. Sie schafft Atmosphäre und zieht in einen Bann.«

QR-Code zum Parcours der Stadtbibliothek Solingen

Foto: Helene Claußen/LVR-ZMB

28

Professor S. - Ein Zeitreiseabenteuer im Klassenraum

Professor S. ist ein innovatives Lernspiel, das traditionelle

und neue Medien miteinander kombiniert. Als Teil einer

Geschichte über den Zeitreisenden Professor S. erforschen

Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klasse Themen

aller Schulfächer in ihrer Lebenswelt. Die Geschichte

beschreibt, wie Professor S. und seine Assistentin Jeanette

nach einem missglückten Zeitreiseexperiment unkontrol-

liert zwischen den Epochen hin und herspringen, obwohl sie

eigentlich zurück in ihre Gegenwart möchten. In ihrer Not

wenden sie sich mit verschiedenen Videobotschaften an die

Kinder. Die jeweilige Nachricht wird dazu genutzt, um die

SchülerInnen in ein Unterrichtsthema einzuführen. Sie

erarbeiten dazu Lösungen und präsentieren den Zeitreisen-

den ihre Ergebnisse, um ihnen zu helfen und die Geschichte

weiterzuführen. Die Lehrkräfte schlüpfen »hinter den

Kulissen« in die Rolle von Professor S. Dafür nutzen sie

eine für das Spiel entwickelte Webseite, die Kommunikati-

onsschnittstelle zwischen dem Klassenzimmer und der

Welt der Geschichte und nur von den Lehrkräften und den

SchülerInnen zugänglich ist. Auf der Webseite können

Lehrkräften zudem Unterrichtsthemen planen und Lerner-

gebnisse evaluieren.

Susanne Kanngießer, Lehrerin einer Berliner Grundschule

hat Professor S. bereits im Unterricht eingesetzt und und

berichtet im Gespräch mit dem Entwickler des Spiels, Jan

von Meppen, von ihren Erfahrungen.

JvM: Wie hat das Spiel bei Ihnen begonnen?

SK: Los gings mit der Lieferung der Zeitmaschine. Wir

hatten einen Karton entsprechend dekoriert und ich hatte

einen Kollegen gebeten, diesen zusammen mit der geheim-

nisvollen Nachricht im Unterricht anzuliefern. In der

Zeitmaschine fand sich dann immer alles, was Professor S.

an die Kinder verschickt hat. Entweder fanden sich dort

Gegenstände oder ein Kollege hat einen Umschlag vorbei-

gebracht. Das hat sehr gut funktioniert.

JvM: Wie haben die Kinder auf Professor S. reagiert?

SK: Die Kinder waren sehr neugierig auf das Spiel und

ziemlich enttäuscht, wenn es mal keine neue Nachricht gab.

Sie haben auch immer wieder nachgefragt: »Gehen wir heute

in den Computerraum und spielen Professor S.?«. Die Filme

haben sie natürlich am meisten beeindruckt. Die haben sie

sehr gerne gesehen und auch sich dabei diebisch über die

Missgeschicke, die Professor S. widerfahren, amüsiert.

JvM: In welchen Fächern haben Sie Professor S. eingesetzt?

SK: Ich habe das Spiel hauptsächlich im Deutschunterricht

eingesetzt, gerade weil es den Kindern großen Freiraum

bietet, selbst kreativ zu werden. Die erste Aufgabe bestand

darin, an Professor S. zu schreiben, welchen Ort man mit

der Zeitmaschine bereisen könnte. Ich habe sie frei

schreiben lassen und mir dann die Antworten angesehen

und festgestellt, dass viele die Anrede und den Gruß verges-

sen hatten. Da konnte ich dann gleich nachhaken: »Schaut

mal, was fehlt denn da noch?«. Ich habe, wenn ich als

Professor S. zurückgeschrieben habe, versucht den Ton der

Kinder zu treffen. Wenn die Nachrichten nett oder lustig

waren, habe ich so zurückgeschrieben.

Schön war dabei, dass Professor S. immer wieder präzisere

Antworten und Formulierungen von den Kindern einfordern

konnte, ohne dabei Druck auszuüben. Dadurch haben sie

angefangen, selbstständig zu recherchieren und sind auch

in ihren Erklärungen ausführlicher geworden. Die Recht-

schreibung blieb dabei zwar ein bisschen auf der Strecke,

aber das lag daran, dass die Kinder einfach schreiben

wollten. Sobald sie eine Antwort im Kopf hatten, wollten sie

die auch sofort loswerden.

JvM: Gab es technische oder inhaltliche Schwierigkeiten?

SK: Ich hatte am Anfang etwas Schwierigkeiten zu durch-

schauen, dass man in der Software erst eine Aufgabe

verschicken kann, wenn die vorherige abgeschlossen war.

Aber wenn man das System einmal verstanden hat,

funktioniert es. Auch war es nicht immer ganz einfach, Zeit

zu finden, mit der gesamten Klasse in den Computerraum

29

01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

zu gehen. Ich wollte eben, dass jeder Gelegenheit hat,

eigene Nachrichten an Professor S. zu schreiben. Vielleicht

wäre es einfacher gewesen, wenn ich die Nachrichten als

Hausaufgabe aufgegeben hätte aber ich fand es auch

schön, dass die Kinder das Spiel gemeinsam erlebt haben.

Oft kam es vor, dass die Kinder ihr Passwort vergessen und

auch die Erinnerungszettel verlegt hatten. Also musste ich

öfter mal ein Passwort zurücksetzen und spätestens dann

haben sie gemerkt, dass ich etwas mit Professor S. zu tun

hatte. Für die Kinder wären einfache Passwörter sicher

besser gewesen. Dass man diese auch frei wählen kann

und nicht den vom System empfohlenen Prozess folgen

muss, ist mit leider erst später aufgegangen.

JvM: Können Sie an einer Beispielaufgabe beschreiben, wie

das Spiel im Unterricht funktioniert?

SK: Bei manchen Aufgaben wie z.B. bei der Kalligrafieauf-

gabe waren die Kinder sehr gefordert. Sie mussten zu-

nächst die einzelnen Elemente einer mittelalterlichen

Buchseite sowie die Arbeit und Instrumente des Kalligrafen

kennenlernen. Erst dann konnten sie auch eine eigene

kalligrafische Nachricht für Professor S. schreiben, damit

dieser von dem schlecht gelaunten Bibliothekar ein

geheimes Passwort erfährt. Das Passwort soll ihm Zugang

zur Burg verschaffen, um seine Freundin aus den Klauen

des Burgherrn zu befreien.

Da ging es nicht nur um historische Hintergründe sondern

auch um das Schreiben an sich. Einige waren es nicht

gewohnt, sich dabei so viel Mühe zu geben. Die Schrift

musste lesbar sein und der Text musste Sinn ergeben –

sonst kam Professor S. nicht an den Burgwachen vorbei.

Dafür waren bei manchen mehrere Entwürfe notwendig. Da

hatten sie natürlich einiges zu tun, aber als sie merkten,

dass sie immer besser wurden, sind sehr schöne Arbeiten

entstanden, die wir am Ende auch in der Klasse ausstellen

konnten. Die einzelnen Arbeiten wurden dann fotografiert

und an Professor S. verschickt. Die Kinder haben sich sehr

über die Antworten von Professor S. gefreut, obwohl sie da

schon ahnten, dass ich dahinterstecke. Aber das hat

niemanden gestört - sie haben sich trotz ihres Verdachts

auf das Spiel eingelassen.

JvM: Wie ist Ihr Gesamteindruck von Professor S.? Wie fällt

Ihr Urteil aus?

SK: Es war sehr spannend, Professor S. mit den Kindern zu

spielen. Es hat mir viel Freude bereitet, die Aufgaben

zuhause vorzubereiten und auch die Nachrichten der Kinder

zu lesen. Ich musste mich beim Antworten immer in den

Charakter vonProfessor S. reindenken - ich konnte ja nicht

so schreiben, wie ich das sonst machen würde. Der Dialog,

der daraus entstand, war manchmal sehr lustig. Dabei

bekamen die Kinder und ich selbst einen ganz anderen

Zugang zu den Lernstoffen. Es ging ja immer darum,

Professor S. zu helfen und sich in die Lage der Zeitreisen-

den zu versetzen. Dadurch gewannen wir eine neue

Perspektive auf das Gelernte. Das hat den Kindern als auch

mir großen Spaß gemacht.

Susanne Kanngießer / Jan von MeppenSusanne Kanngießer ist Lehrerin an der Franz-Marc-Grundschule in Berlin-Tegel und unterrichtet Deutsch und Sachkunde. Jan von Meppen ist Geschäftsführer und Entwickler von innovativen Lernspielen bei der LudInc GmbH in Berlin. LudInc entwickelt seit 2009 in Zusammenarbeit mit Berliner Schulen interaktive Unterrichts-modelle zur erfolgreichen Förderung von Motivation, Interaktion und Medienkompetenz.

30

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Foto: Jan von Meppen

TOOLKIT: Game Based Learning im Schulunterricht. Ein Projektbericht

Kinder und Jugendliche von heute wachsen als so genannte

»digital natives«auf. Digitale Medien werden selbstver-

ständlich und intuitiv verwendet und stellen einen wichtigen

Stellenwert in der Alltagswelt dar – ebenso digitale Spiele.

Diese bieten eine breite Palette an Herausforderungen und

Möglichkeiten, wie etwa Kooperation, Wettbewerb oder das

Erproben von kognitiven und motorischen Fertigkeiten. Die

Vielzahl an digitalen Spielen ist enorm ist und den gelunge-

nen ist eines gemeinsam: sie motivieren.

Motivation ist auch der Schlüssel zum erfolgreichen Lernen

in der Schule. Hier knüpft das Erasmus+-Projekt »Game

Based Learning to Alleviate Early School Leaving« an, das vom

1.9.2015 bis zum 1.9.2017 mit fünf Institutionen aus Malta,

Österreich und Schweden umgesetzt wird1. Vorrangiges Ziel

des Projekts ist es, Unterricht für Schüler/-innen attraktiver

zu machen und mittels Game Based Learning (GBL)-Methoden

deren Interesse und Motivation für den Unterrichtsstoff zu

wecken sowie Lehrkräften die entsprechenden »Tools«

dafür an die Hand zu geben. Letztlich soll damit auch die

Schulabbruchquote gesenkt werden. Der europäische

Durchschnitt liegt bei 11,9%2. Ziel der Europäischen Union ist

die Reduzierung dieser Quote auf weniger als 10% bis 2020.

Der vorliegende Beitrag beschreibt Rahmen, Zielsetzung

und Inhalte der TOOLKIT-Plattform, dem Kernstück des

Projekts. Sie ist im Oktober 2016 als Beta-Version unter

https://toolkit-gbl.com online gegangen und wird bis Juli

2017 laufend weiterentwickelt und befüllt.

Theoretischer Hintergrund

Weit über deren offensichtlichen Erfolg als Unterhaltungs-

medien, erhalten digitale Spiele zunehmend Aufmerksam-

keit als Vermittler von Lernprozessen und Bildungsinhalten.

1 MITA, St. Margaret’s College, University of Malta, Zentrum für Angewandte Spieleforschung der Donau-Universität Krems (Österreich) und Nyströmska School (Schweden).

2 Vor allem Malta hat mit 20,9% eine der höchsten Schulabbruchsquoten in Europa (vgl. Ministry for Education and Employment, 2014). In Österreich liegt sie bei 7,3%, was einen Handlungsbedarf jedoch nicht ausschließt (vgl. Linde & Linde-Leimer, 2013).

Jedoch haben digitale Spiele und GBL-Methoden bisher kaum

Einzug in die Schulpraxis der österreichischen Schulen gefun-

den. Zwei Aspekte bedürfen hier besonderer Aufmerksamkeit:

1. Die Zusammenführung von GBL mit gegenwärtigen

Unterrichtsmodellen und

2. der Aufbau der GBL-Kompetenzen der Lehrpersonen

auf breiter Basis.

Dabei versteht sich Game Based Learning nicht als ein

festgesetztes Verfahren, das in jedem pädagogischen

Setting beliebig auf gleiche Art und Weise eingesetzt werden

kann. Vielmehr bedarf der Einsatz von GBL im Unterricht

eine Anpassung an den jeweiligen Schultyp, das Alter der

Zielgruppe und im besten Fall auch eine individuelle

Anpassung an die/den Lernende/n. Ebenso geht GBL weit

über das reine Bereitstellen von digitalen Spielen in der

Schule hinaus. Wird die Spielerfahrung nicht kontextuali-

siert, kann diese zwar eine Lernerfahrung sein, bleibt jedoch

oft auf die Spielwelt selbst beschränkt. Geeignete Strategien

für einen Transfer zwischen Spielwelt und Lebenswelt sind

also ein wesentlicher Teil von GBL (vgl. Mitgutsch, 2012). Die

TOOLKIT-Plattform hat sich zum Ziel gesetzt, erprobte

Strategien zugänglich zu machen, neue zu entwickeln und

das Thema GBL im Unterricht greifbarer zu machen.

Überblick der Funktionen der Plattform

Auf der TOOLKIT-Plattform werden GBL-Methoden für den

Unterricht im Zusammenhang mit allen Arten von Spielen

thematisiert - mit Schwerpunkt auf digitalen Spielen. Dies

können sowohl kommerzielle Spiele als auch klassische

Lernspiele oder Serious Games sein. Zudem werden auch

nicht-digitale Spiele, wie etwa Brettspiele oder Rollenspiele,

in die Datenbank aufgenommen. Ebenso wird auch Soft-

ware berücksichtigt, die im weiteren Sinne mit GBL in

Verbindung steht, etwa Programmiertools zum Erstellen

von digitalen Spielen.

Die TOOLKIT-Plattform soll Lehrpersonen Folgendes

ermöglichen:

31

01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

MEDIENBRIEF | N° 01.2016

> Zugriff auf eine umfangreiche Sammlung von Spielbe-

schreibungen, -analysen und GBL-Projekten,

> Eigenständige Evaluierung des pädagogischen Potenzials

von Spielen,

> Eigenständige Entwicklung und Anwendung von

Unterrichtsprojekten rund um GBL,

> Diskussion/Austausch über Erfahrungen mit der

Anwendung der Spiele und Durchführung der Szenarien

im Unterricht,

> Nutzung der Plattform als E-Learning-Tool durch Bereit-

stellung der Online-Übungen in virtuellen Klassenzimmern.

Wichtiger Punkte sind auch die Einbeziehung sowie die

Wahrnehmung der Schüler/-innen als Expert/-innen ihrer

Lebenswelt. Folglich ist auch über eine Forumsfunktion ein

direkter Austausch mit den Schüler/-innen hinsichtlich der

eingesetzten Spiele möglich. Ebenso gibt es für Schüler/-

innen die Möglichkeit, eigerne Vorschläge für Spielbe-

schreibungen und GBL-Projekte einzureichen.

Die auf der TOOLKIT-Plattform bereitgestellten »Tools« für

Lehrpersonen wurden gemeinsam mit Expert/-innen aus

der Spiele- und Unterrichtspraxis entwickelt und getestet.

Schlüsselfunktionen der TOOLKIT-Plattform

Entdecken: Die Datenbank der TOOLKIT-Plattform wird

eine umfangreiche Sammlung verschiedener GBL-Projekte

und Spielanalysen beinhalten. Eine Suchfunktion mit

diversen Filtermöglichkeiten, etwa nach Alter der Schüler/-

innen, Spielgenre oder Unterrichtsgegenstand, ermöglicht

Lehrkräften das schnelle Auffinden von für den eigenen

Unterricht geeigneten Spielen und GBL-Projekten. Zudem

werden in Form eines Guidebooks Materialien mit Hinter-

grundinformationen rund um digitale Spiele und GBL

bereitgestellt.

Erstellen eines Spieleintrags: Zu jedem Spiel, das auf der

Plattform behandelt wird, findet sich ein Spieleintrag. Hier

werden der Inhalt sowie grundlegende Fakten, wie etwa

technische Mindestanforderungen oder Bezugsquellen,

erläutert.

Erstellen einer Spielanalyse: Das Spieleanalyse-Tool ist ein

strukturierter und kommentierter Fragenkatalog, der

Lehrpersonen beim Ergründen des pädagogischen Potenzi-

als von einem Spiel anleitet. Gleichzeitig wird dabei das

Suchfunktion in TOOLKIT, mit der gezielt nach für den Unterricht geeigneten Spielen oder GBL-Projekten gesucht werden kann (Screenshot)

32

Verständnis des Mediums Spiel erweitert. Zu jedem

Fragenblock gibt es einleitende, erklärende Kommentare.

So soll die Einstiegshürde für Lehrpersonen, die noch nicht

sehr mit digitalen Spielen oder GBL-Methoden vertraut

sind, gemindert werden.

Teilen persönlicher Spielerfahrungen: Um individuelles

Feedback oder Tipps zu einem Spiel weiterzugeben, können

Nutzende auf der Plattform eine persönliche Reflexion

erstellen. Hier soll auch angegeben werden, ob und warum

sie das Spiel für den Einsatz im Unterricht weiterempfehlen

würden.

Erstellen eines GBL-Projekts: Sobald sich die Lehrkraft

dafür bereit fühlt – etwa durch vorangehende Nutzung des

Spielanalyse-Tools oder Umsetzung von GBL-Szenarien von

Kolleg/-innen –, können sie ihre eigenen GBL-Szenarien

entwickeln, im eigenen Unterricht einsetzen sowie auf der

Plattform veröffentlichen und anderen Lehrpersonen zur

Verfügung stellen. Ein strukturierter Fragenkatalog zu vier

Schlüsselbereichen unterstützt dabei. Bei dessen Entwick-

lung haben sich für einen pragmatischen und sinnvollen

Einsatz von GBL-Methoden in der Unterrichtspraxis

herauskristallisiert:

> Definition der Inhalte und Lernziele des geplanten

Projekts. Bestimmung der Zielgruppe hinsichtlich

Schulstufe/Altersgruppe, Unterrichtsfach und Lehrplan-

bereich.

> Definition von Mehrwert und Grenzen des Einsatzes von

GBL. Hier stehen die Fragen im Mittelpunkt, wie das

Spiel hilft, die Lernziele zu erreichen und was anhand

des Spiels besser verstanden werden kann als durch

andere Unterrichtstrategien.

> Suche nach geeigneten didaktische Methoden, zur

sinnvollen Integration des Spiels in den Unterricht mit

dem Ziel, Spielerfahrungen auch tatsächlich zu Lerner-

fahrungen zu machen. Auf der TOOLKIT-Plattform wird

die Unterrichtsmethode in Form einer praxisnahen

Stundentafel formuliert.

> Fokus auf unterrichtspraktische Probleme, die im Zuge

der Umsetzung des Projekts auftreten können. Dies

kann den technischen, zeitlichen oder inhaltlichen

Rahmen oder das »Umfeld«, wie etwa etwaige Vorbe-

halte seitens der Eltern und Kolleg/-innen betreffen.

Die TOOLKIT-Plattform ging im Oktober 2016 online und

wird anschließend mit Lehrpersonen und Schüler/-innen in

Österreich, Schweden und Malta getestet und weiterentwi-

ckelt. Die Datenbank wird laufend mit neuen

Spielen, Spiel-Analysen und GBL-Projekten

gefüllt.

Interessierte Lehrkräfte sind einladen, sich ein

Profil auf https://toolkit-gbl.com anzulegen. Die

Plattform befindet sich zur Zeit noch im Beta-

Stadium und einige Bereiche sind noch nicht

endgültig ausgereift bzw. Spieleinträge bedürfen

noch der Überarbeitung. Um die vollständigen

Funktionen als Lehrperson nutzen zu können,

benötigen Sie einen Lehrer/-innen-Account. Der

Freischaltungscode kann per Mail an ags@

donau-uni.ac.at beantragen werden. Einträge in

die Plattform oder auch allgemeines Feedback

zum Projekt sind willkommen.

Literaturverzeichnis

Annetta, L. A., Cook, M. P., & Schultz, M. (2007) Video games and universal design: A vehicle for problem-based learning. Journal of Instructional Science and Technology, 10.

Gee, J. P. (2009) Video games, learning, and «content”. In Games: Purpose and potential in education, S. 43-53. Springer US.

Linde, K., & Linde-Leimer, S. (2013). »… damit niemand rausfällt!«. Grundlagen, Methoden und Werkzeuge für Schulen zur Verhinderung frühzeitigen (Aus-) Bildungsabbruchs. Handreichung im Auftrag des Bundesministerums für Unterricht, Kunst und Kultur. Wien.

Linderoth, J. (2010) Why gamers don’t learn more. An ecological approach to games as learning environments. In: Proceedings of DiGRA Nordic: Experiencing Games: Games, Play, and Players, Stockholm.

Ministry for Education and Employment (2014). A strategic plan for the prevention of early school leaving in Malta, http://education.gov.mt/ESL/Documents/School%20Leaving%20in%20Malta.pdf

Mitgutsch, K. (2012). Learning Through Play–A Delicate Matter: Experience-Based Recursive Learning in Computer Games. In Computer Games and New Media Cultures (pp. 571-584). Springer Netherlands.

Pivec, M., Pivec, P. (2012) Lernen mit Computerspielen: Ein Handbuch für Pädagoginnen / Pädagogen. Wien: Bundesministe-rium für Wirtschaft, Familie und Jugend.

Prensky, M. (2012). From digital natives to digital wisdom: hopeful essays for 21st century learning. Corwin Press.

Mag. Alexander Pfeiffer, MA/MBA,

Mag. Natalie Denk, Mag. Thomas Wernbacher, MA

Alexander Pfeiffer ist Leiter des Zentrums für Angewandte Spiele- forschung der Donau-Universität Krems. Natalie Denk und Thomas Wernbacher sind als wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen am Zentrum tätig.

33

01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT

Mediennetzwerk Düsseldorf

02 Düsseldorfer Fenster

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MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Mediennetzwerk Düsseldorf

Medien sind im Alltag von Kindern und Jugendlichen ein

zentraler Sozialisationspunkt. Sie bilden einen wesentlichen

Teil der Lebenswirklichkeit und sind somit ein unverzicht-

barer thematischer Schwerpunkt der offenen Kinder- und

Jugendarbeit sowie der Jugendverbandsarbeit. Das

Jugendamt der Landeshauptstadt Düsseldorf hat aus

diesem Grund in seinem aktuellen Kinder- und Jugendför-

derplan die Medienarbeit fest verankert. Zur Umsetzung

wurde eine stadtweite Kooperation und Zusammenarbeit in

einer Netzwerkstruktur initiiert. Neben den Themenberei-

chen Kinder- und Jugendkultur, arbeitsweltbezogene

Hilfen, Sport und Gesundheit, Gesellschaft und Umwelt gibt

es deshalb auch das Mediennetzwerk Düsseldorf.

Die Beteiligten

Das Mediennetzwerk Düsseldorf ist ein Zusammenschluss

lokaler Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, die sich in

ihrem Schwerpunkt mit Medienarbeit auseinandersetzen.

Weitere Partner im Bereich der Jugendhilfe wirken ebenso

daran mit wie beispielsweise der Jugendring Düsseldorf

oder das LVR-Zentrum für Medien und Bildung. Freiberufli-

che Medienpädagoginnen und Medienpädagogen sind als

Expertinnen und Experten ebenfalls Teil dieses Netzwerks.

Unser Ziel: Medienkompetenz schaffen

Das Mediennetzwerk Düsseldorf trifft sich viermal im Jahr

zum fachlichen Austausch, um die Medienkompetenz von

Kindern und Jugendlichen von verschiedenen Seiten zu

beleuchten. Dies bedeutet Standards in der Medienarbeit

mit Kindern und Jugendlichen zu entwickeln, Projekte zur

Medienarbeit anzubieten und Fortbildungen für pädagogi-

sche Fachkräfte zu organisieren.

Als Beispiele sollen an dieser Stelle das jährlich stattfindende

Projekt »Mit(Medien)Machen« und die Fortbildung »Update.

Jung&Medien« kurz umrissen werden: »Mit(Medien)

Machen« ist ein praxisorientiertes, niederschwelliges Format,

das pädagogischen Fachkräften ein auf sie zugeschnittenes

Medienangebot zur Verfügung stellt. Es zeichnet sich

dadurch aus, dass bei Bedarf technische Unterstützung zur

Verfügung gestellt wird und jedes Jahr unter einem neuen

inhaltlichen Thema angeboten wird. Im Laufe der Zeit

sollen alle möglichen Formen der Medienarbeit – Foto-,

Film-, Audio-, Gaming-Projekte – aufgegriffen werden.

Im 2017 startet das Projekt »Videokettenbrief«, bei dem

verschiedene Gruppen ohne vorgegebenes Drehbuch kurze

Clips drehen werden. Die besondere Aufgabe wird sein,

geeignete Übergänge zu produzieren, um aus den einzelnen

Clips einen gemeinsamen Film zu erstellen. Dieser wird

dann bei einer Veranstaltung in einem Düsseldorfer Kino

mit allen Gruppen präsentiert und gefeiert.

Da es für pädagogische Fachkräfte eine Herausforderung

darstellen kann, die medialen Interessen von Kindern und

Jugendlichen zu erfassen und diese für die eigene (medi-

en-)pädagogische Arbeit nutzbar zu machen und weil ein

Trend schnell den anderen ablöst, bietet das Mediennetz-

werk Düsseldorf zweimal im Jahr die Fortbildung »Update.

Jung & Medien« an.

Diese Fortbildung informiert in mehreren 10-15 minütigen

Beiträgen kurz und bündig über neue Trends, Formate und

Entwicklungen der aktuellen Medienlandschaft. Sie bietet

Anreize zum Beispiel für Foto-, Film-, Audio-, Gaming- Pro-

jekte sowie Workshops zur Sensibilisierung im Umgang mit

sozialen Netzwerken und sie schafft eine Plattform, sich

über die eigenen Erfahrungen mit den medialen Nutzungs-

gewohnheiten der Kinder und Jugendlichen auszutauschen.

Ziel ist es, als Fachkraft informiert zu sein bzw. zu bleiben

und Ideen zu entwickeln, um eine aktive, kreative, reflek-

tierte und kritische Medienpädagogik mit Kindern und

Jugendlichen tatkräftig mitzugestalten.

Judith Heggen / Dirk PoerschkeJudith Heggen arbeitet beim Jugendamt der Landeshauptstadt Düsseldorf im Bereich Jugendförderung und koordiniert das Mediennetzwerk Düsseldorf. Dirk Poerschke ist MedienSpielPädagoge M.A. im LVR-ZMB

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02 | DÜSSELDORFER FENSTER

Begabungsförderung im Kooperationsverbund: CCB Düsseldorf

03 Partner im Verbund

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MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Begabungsförderung im Kooperations-verbund: CCB Düsseldorf

Im Competence Center Begabtenför-

derung (CCB) erhalten begabte Kinder

und Jugendliche, ihre Eltern, Lehre-

rinnen und Lehrer sowie pädagogische

Fachkräfte kompetente Auskunft,

Beratung und Begleitung zu allen

Aspekten der Begabungsfindung und

-förderung. Nach dem Aufbau der

Beratungsstelle ab 2003 agiert das

CCB mittlerweile im Verbund eines

großen kommunalen Netzwerks und

ist regional und überregional zu einer

zentralen Anlaufstelle geworden. In

der Rolle des Informationsgebers und

Multiplikators ergänzt und bündelt das

CCB die Maßnahmen der verschiede-

nen Düsseldorfer Bildungseinrichtun-

gen zur Begabtenförderung und

etabliert so ein kommunales Netzwerk

an Kooperationspartnern. Dies

geschieht durch Projekte, Publikatio-

nen, Arbeitskreise, Fachtage und

Informationsveranstaltungen, die

regelmäßig stattfinden und stets

aktuelle Praxisthemen und wissen-

schaftliche Erkenntnisse miteinander

verbinden.

Im Mittelpunkt der täglichen Arbeit

des CCB stehen besonders begabte

Kinder, Jugendliche und junge

Erwachsene, und es gilt, deren Lern-

und Lebensumfeld zu erkennen und

zu verstehen und sie in ihren Bega-

bungen/Stärken zu fördern. Zur

Förderung gehören dabei das Auf-

rechterhalten von Motivation und

Kreativität, die Stärkung von Kommu-

nikation und Sozialverhalten sowie

werteorientiertes und verantwortungs-

bewusstes Handeln.

Durch eine psychologische Beratung

von Eltern und Bildungseinrichtungen

und einer differenzierten Diagnostik

mit begleitender pädagogisch-psycho-

logischer Beratung, durch Projekte für

besondere Zielgruppen und durch ein

speziell ausgerichtetes Veranstal-

tungsangebot wird das CCB diesem

Anspruch gerecht.

Die halbjährig erscheinende Broschü-

re »Begabte Kinder und Jugendliche

fördern« informiert über spezielle

CCB-Veranstaltungsangebote:

aktuelle Enrichmentveranstaltungen,

Begabtenförderung an Ganztagsschu-

lenspezielle Angebote der kommuna-

len Kooperationspartner sowie über

Projekte der Stiftung Begabtenförde-

rung Düsseldorf.

Im Rahmen des Veranstaltungspro-

gramms erhalten besonders begabte

Kinder und Jugendliche aus Düssel-

dorf und dem Umland die Möglichkeit,

sich ihrem Anspruch entsprechend

neue Themenfelder zu erschließen,

Gleichgesinnte zum Austausch zu

treffen, Wissen anzureichern und

Freude am Lernen aufrecht zu

erhalten. Das Kursangebot hat

Werkstattcharakter und bietet

anwendungsorientiertes Arbeiten in

folgenden Bereichen an: Technik,

Forschung, Denken (Philosophie),

Schreiben und (Arbeits-) Methodik an.

Die Kurse sind in der Regel als

Seminarreihen angelegt und fördern

den Expertiseaufbau. In den jeweiligen

Oster,- Sommer- und Herbstaka-

demien finden zu den genannten

Themenfeldern Blockseminare und/

oder Vertiefungskurse statt.

Speziell für Lehrerinnen und Lehrer

werden mit »Individuelle Begabtenför-

derung: Begabung erkennen und

fördern« und »Lerncoaching in der

Begabtenförderung» zwei jeweils

einjährige Zertifikatslehrgänge

angeboten.

In der Mainzer Erklärung »Begabung

als Chance nutzen« vom 26.02.2016

haben 13 Bundesländer, darunter

Nordrhein-Westfalen, erklärt, erhöhte

Anstrengungen in der Lehreraus-,

fort- und -weiterbildung zu unterneh-

men. Ziel ist es, die diagnostischen,

didaktischen und kommunikativen

Kompetenzen von Lehrerinnen und

Lehrern im Bereich der schulischen

und außerschulischen Förderung von

leistungsstarken oder besonders

begabten Schülerinnen und Schüler zu

stärken. Dazu sollen weitere praxisna-

he Qualifizierungsangebote u. a. zur

Stärkung der Diagnose- und Bera-

tungskompetenz, zur Verknüpfung von

Diagnose und Förderung, zur Unter-

richtsgestaltung sowie zur Evaluation

der Wirksamkeit von Förderangeboten

entwickelt und spezifische Handrei-

chungen und Materialien zur Verfü-

gung gestellt werden.

Individuelle Förderung in Nordrhein-

Westfalen schließt ausdrücklich die

Förderung leistungsstarker und

hochbegabter Schülerinnen und

Schüler ein. Dazu müssen die Potenzi-

ale der Kinder frühzeitig erkannt und Foto

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03 | PARTNER IM VERBUND

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

der Unterricht mittels einer individua-

lisierenden Gestaltung ausgebaut

werden.

Die unterschiedlichen Fähigkeiten der

Schülerinnen und Schüler im vielfälti-

gen Klassenzimmer aufzuspüren, ist

jedoch für Lehrkräfte heutzutage nicht

immer einfach. Der Diagnosekompe-

tenz von Lehrkräften kommt bei dem

Erkennen von Potentialen der Kinder

allerdings eine große Bedeutung zu.

Mit einer guten Diagnose der Lernvor-

aussetzungen, des Lernstands und der

Lernprozesse von Schülerinnen und

Schülern kann eine gezielte Förderung

und Beratung der Lernenden erfolgen.

Diagnostik sollte vor allem den Blick

auf die Ressourcen und Stärken

jeder/s einzelnen Lernenden richten.

Empirische Studien belegen, dass eine

hohe Diagnosekompetenz einer

Lehrkraft zu höheren Leistungen der

Schülerinnen und Schüler führt.1 Es ist

wichtig, dass die Lehrkraft neben der

Urteilsgenauigkeit über passende

Methoden zur Einschätzung von

Schülerleistungen verfügt und

gleichzeitig mögliche Fehlerquellen

kennen und vermeiden sollte. Eine Be-

urteilung der Lernkompetenz eines

Lernenden ist immer vorläufig und

revisionsbedürftig.

Der Austausch mit Kollegen, das

Gespräch mit den Lernenden und die

Einbeziehung der Eltern nehmen bei

der pädagogischen Diagnostik eine

zentrale Bedeutung ein.

Das CCB hat in Kooperation mit dem

Ministerium für Schule und Weiterbil-

dung des Landes Nordrhein Westfalen

und dem LVR-Zentrum für Medien und

1 John Hattie: Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen: Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von »Visible Learning for Teachers«.2014

systematische Beobachtungen der

Lernenden eine sinnvolle Ergänzung

dar, um Informationen über ihre

Lern– und Arbeitsweise zu erhalten.

Eine gute Beobachtung kann dabei am

besten gelingen, wenn die Lernenden

selbständig arbeiten und die Lehrkraft

nicht mit der Unterrichtsführung

beschäftigt ist. Die Dalton-Pädagogik,

die sowohl am Gymnasium Alsdorf als

auch an der Sekundarschule Langen-

berg gelebt wird und die in den

Eingangsmodulen dargestellt wurde,

bietet hier eine sehr gute Möglichkeit,

die Kinder in ihrer selbständigen

Arbeit zu beobachten und den Lern-

prozess z.B. in den Beratungsstunden

der Trios gemeinsam mit den Lernen-

den zu reflektieren.

Die im September 2016 erschienene

DVD knüpft inhaltlich an die stark

nachgefragte und ebenfalls vom

LVR-ZMB produzierte DVD »Marie,

Albert und Pablo in unseren Grund-

schulen. Praxisbeispiele zur individu-

ellen Förderung von Begabten« an.

Sabine Warnecke

Sabine Warnecke ist Leiterin des CCB Düsseldorf

Kontakt:

Competence Center Begabtenförderung Düsseldorf (CCB)im Weiterbildungszentrum am HauptbahnhofBertha-von-Suttner-Platz 3 40227 DüsseldorfMail: [email protected]

Bildung die DVD »Begabtenförderung

im 360° Feedback« produziert. Ziel

war es, innovative Schul- und Unter-

richts-konzepte zur individuellen

Begabtenförderung an weiterführen-

den Schulen vorzustellen und Lehr-

kräften der Sekundarstufe I in NRW

für die tägliche Praxis Wege aufzuzei-

gen, wie die Förderung von besonders

begabten Schülerinnen und Schülern

im Unterricht ermöglicht werden

kann.2

So wird in Filmbespielen nachvollzieh-

bar, wie bedeutsam der Austausch

zwischen den Lehrern sowie den

verschiedenen Schulformen ist. An

diesem Beispiel und auch am Beispiel

von sogenannten Lern-Trios wird

gezeigt, dass Diagnostik ein dialogisch

und kooperativ gestalteter Prozess

sein sollte.

Neben der unsystematischen Alltags-

beobachtung stellen zielgerichtete

2 Die DVD kann im CCB Düsseldorf kostenfrei angefordert werden

38

03 | PARTNER IM VERBUND

Die Fachstelle für Jugendmedienkultur stellt sich vor

Die Förderung von Medienkompetenz ist zu einer gesell-

schaftlichen Querschnittsaufgabe in allen Bildungsberei-

chen geworden. Wie schwer sich allerdings das System

Schule dabei tut, digitale Medien in Lehr- und Lernkontex-

ten zu verankern, beweisen die Reaktionen auf Bundesbil-

dungsministerin Wankas kürzlich veröffentlichte Willenser-

klärung, die Digitalisierung von Schulen zu fördern. Da heißt

es vom Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef

Kraus, dass es nicht bewiesen sei, dass Schüler/innen mit

Medien besser lernen. Und Naturwissenschaftler Manfred

Spitzer geht sogar noch weiter und bezeichnet den »Digital-

pakt« für Schulen »eine Maßnahme zur Verdummung«.

Gerade hier kann die Jugendhilfe wertvolle Unterstützung

leisten und Freiräume für selbstgesteuertes, medienge-

stütztes Lernen anbieten, aber auch soziale Kompetenzen

vermitteln, über Problematiken ins Gespräch kommen und

die Reflektion des Medienhandelns anregen. Viele Medien-

projekte in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen stehen

allerdings vor dem Problem, dass solche Angebote organi-

satorische, technische und personelle Herausforderungen

an die anbietende Einrichtung und deren MitarbeiterInnen

stellen.

Hier setzt die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW

(fjmk) in Köln mit ihren zahlreichen Projekten an. Dank

Förderung des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend,

Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalens bietet

sie Jugendämtern und Einrichtungen der Kinder- und

Jugendhilfe Unterstützung beim Aufbau und bei der

Gestaltung ihrer medienpädagogischen Angebote und

Netzwerke direkt vor Ort. Die Mitarbeiter der Fachstelle

stehen beratend zur Seite und unterstützen mit Vorträgen,

Fortbildungen, Projekten, Workshops oder individuell

angepassten Formaten bei der Planung und Durchführung

von medienpädagogischen Konzepten. In der Elternarbeit

z.B. sind die Projekte »Eltern-LAN« und »Eltern/Pädagogen

ONLINE« bewährte Formate, die praktische Erfahrungen in

einem geschützten Raum vermitteln. Das vielfältige

Repertoire der Fachstelle reicht vom Thema Social Media

über digitale Trends bis hin zur frühkindlichen Medienerzie-

hung und Inklusion.

Das seit 2005 bestehende Projekt Spieleratgeber-NRW

versteht sich als pädagogische Ergänzung zu den Alters-

kennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle

(USK). Eltern, aber auch Lehr- und pädagogische Fachkräf-

te erfahren in den über 1.100 pädagogische Beurteilungen

von digitalen Spielen eine pädagogische Alterseinschätzung

sowie objektive Informationen zu Inhalt, Präsentation,

Kosten, Anforderungen, Umfang, Wirkung und Bindungs-

faktoren. Das Besondere: Die Spielbeurteilungen entstehen

39

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

in pädagogisch betreuten Testergruppen, in denen Kinder

und Jugendliche die Titel auf Herz und Nieren prüfen und

mit ihren Meinungen die Grundlage für die Beurteilungen

legen. Institutionen aus NRW können sich mit eigenen

Gruppen am Ratgeber beteiligen. Fachkräfte finden

außerdem tiefergehende Informationen zur zeitgemäßen

Medienerziehung und Didaktik. Institutionen, in denen sich

Jugendliche mit Games auseinandersetzen, sind herzlich

eingeladen, sich dem Netzwerk des Spieleratgebers

anzuschließen.

Das Projekt »PowerUp – Medienpädagogik und Erziehungs-

hilfe« unterstützt beispielsweise gezielt Einrichtungen und

Träger der Hilfen zur Erziehung bei der medienpädagogi-

schen Gestaltung des Alltags mit Kindern und Jugendli-

chen. Gefördert wird das Projekt von der Bundeszentrale

für politische Bildung (bpb). Um eine Handlungsfähigkeit

der Fachkräfte in der Praxis zu gewährleisten, stehen die

MitarbeiterInnen von PowerUp den kooperierenden

Einrichtungen der Heimerziehung und der Sozialpädagogi-

schen Familienhilfe unterstützend zur Seite. Die Beratung

bei der Entwicklung eines Leitbildes einer Einrichtung zum

Einsatz von Medien gehört genauso zum Angebotsspektrum

wie die Umsetzung von Medienprojekten vor Ort. Allgemei-

ne Grundbedingungen für die medienpädagogische Arbeit

werden gemeinsam definiert und erarbeitet, um den

Heranwachsenden einen kompetenten, selbstbewussten

und sicheren Umgang mit digitalen Medien vermitteln zu

können. Um nachhaltige Konzepte in den Einrichtungen zu

etablieren, werden zusätzlich Schulungen für die Fachkräf-

te durchgeführt. PowerUp ist bundesweit vernetzend

angelegt, so dass sich interessierte Einrichtungen und

Fachkräfte aus allen Bundesländern an die Projektmitar-

beiterInnen wenden können.

»Gecheckt! – Jugend, Medien und Familie« hingegen richtet

sich an Jugendämter und Jugendverbände in Nordrhein-

Westfalen, die Jugendmedienprojekte konzipieren und

durchführen wollen. Das Besondere: Bei »Gecheckt!«

werden die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer

als Experten angesehen. Daher ist eine Vorstellung der

Projektergebnisse vor Eltern und weiteren Interessierten

fester Bestandteil des Projekts. Außerdem gewährleistet

eine Schulung für MultiplikatorInnen aus den einzelnen

Städten und Kommunen vor Ort, dass weitere Projekte mit

medienpädagogischem Anteil initiiert und entwickelt

werden. Daher steht auch in der Fortbildung neben einem

theoretischen Hintergrundwissen vor allem das praktische

und aktive Ausprobieren verschiedenster Methoden im

Vordergrund. Weitere Informationen erhalten Sie auf http://

gecheckt-nrw.de/.

Auf der Internetseite der Fachstelle für Jugendmedienkul-

tur NRW www.fjmk.de finden Interessierte noch weitere

Projekte sowie eine Aufstellung über Themen und Angebo-

te. Gerne helfen wir auch ihnen bei der Gestaltung von

Medienprojekten, Vorträgen oder Schulungen »am Puls der

Zeit«.

Torben Kohring

Torben Kohring ist Leiter der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW in Köln

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04 | BERICHTE

Cinemanya - Mit dem Filmkoffer unterwegs zu Flüchtlingskindern

04 Berichte

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MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Cinemanya – Mit dem Filmkoffer unter- wegs zu Flüchtlingskindern

Kein Tag in den vergangenen Monaten ohne Nachrichten

von Zerstörung und Flucht, vom Ankommen der Flüchtlinge

aus den Krisengebieten. Zahlreiche Institutionen, Vereine

und kulturelle Träger haben es sich seitdem zur Aufgabe

gemacht, die vielen Menschen, willkommen zu heißen und

ihnen zu helfen, sich in der Fremde, die hoffentlich bald ein

Zuhause sein kann, zurechtzufinden.

Das Goethe Institut ist eine dieser Institutionen. 15 Filmkoffer

hat es für Filmvorführungen mit geflüchteten Kindern und

Jugendlichen zur Verfügung gestellt. Kuratiert wurde die Film-

auswahl vom Internationalen Filmfestival für Kinder und

junges Publikum Schlingel. 18 Langfilme mit arabischen und

deutschen Untertiteln oder in arabischer Synchronfassung

sowie zwei nonverbale Kurz- und Animationsfilmprogramme

sind das Ergebnis. Gesichtet wurden diese Filme von

Mitarbeitern der Stiftung Wings of Hope Deutschland, die den

Inhalt auf mögliche Trauma auslösende Trigger überprüft

haben. Als Projektpartner konnte das Goethe Institut den

Bundesverband Jugend und Film e.V. (BJF) gewinnen. Aus

dessen ca. 1.000 Mitgliedern der kulturellen Kinder- und

Jugendfilmarbeit wurden für jedes Bundesland »Kofferpa-

ten« gewonnen, die als Ansprechpartner für Kulturzentren,

Schulen oder Einrichtungen für Geflüchtete fungieren, diese

aufsuchen und vor Ort Filmvorführungen mit pädagogischen

Begleitaktionen durchführen. Vorrangig sollen möglichst

langfristige Kooperationen zwischen dem Kofferpaten und

den jeweiligen Einrichtungen aufgebaut werden. Mehrmona-

tige Filmreihen, Film- oder Projektwochen sind erklärtes Ziel

des Cinemanya-Projektes. Dank des Goethe Instituts und des

ehrenamtlichen Einsatzes der Kofferpaten entstehen den

Einrichtungen keine Kosten, was die Durchführung der

Veranstaltungen größtenteils überhaupt erst ermöglicht.

Film birgt das wunderbare Potential, kurzweilige Unterhal-

tung mit nachhaltigen Erfahrungen zu verknüpfen. Die

Filmvorführungen im Rahmen von Cinemanya bedeuten

gemeinsames Erleben, Flucht aus dem Alltag, Eintauchen in

Leinwandabenteuer. Sie sind aber auch eine Möglichkeit, ein

Verständnis unserer Kultur zu vermitteln und das Erlernen

unserer Sprache zu fördern. Ausschlaggebend ist hierbei der

gemeinschaftliche Aspekt der Filmvorführungen. Teil eines

Kinopublikums zu sein, erfordert Kommunikation und das

Aushandeln von Bedürfnissen, es bedeutet miteinander Spaß

haben und seine Eindrücke mit seinem Sitznachbarn teilen

zu können. Eine altersgerechte Moderation, die Möglichkeit,

Fragen stellen zu können und anschließende spielerische

oder kreative Aktionen bringen den Film auf eine andere

Ebene und erlauben den Kindern und Jugendlichen, dem

Gesehenen noch einmal nachzuspüren. Filmvorführungen

wie diese helfen, Erfahrungen zu sammeln, die junge

Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung weiterbringen

können. In der besonderen Situation der geflüchteten Jungen

und Mädchen vermitteln die Filmvorführungen möglicherweise

schon das Gefühl, am kulturellen Leben unserer Gesellschaft

teilzuhaben und machen im besten Fall Lust auf mehr.

Mir als Kofferpatin auf jeden Fall! Mehr Filmvorführungen,

mehr Erfahrungen, die ich aus jeder dieser Veranstaltungen

mit nach Hause nehme - und gerne mehr Konzepte wie das

in Bielefeld. Dort richten sich die Cinemanya-Veranstaltungen

in einer beschaulichen Einfamilienhaussiedlung, die seit dem

letzten Jahr auch zwei Wohnheime für Geflüchtete umfasst,

gezielt an alle Bewohner des Viertels. Ein Filmnachmittag,

um sich kennenzulernen, Film als Nachbarschaftstreffen.

Zwar haben sich bisher lediglich eine paar Ehrenamtler

unter das Publikum gemischt, doch ich hoffe sehr, dass sich

das bei den kommenden Veranstaltungen ändern wird. Denn

Filmvorführungen, die den Zugang zu unserer Kultur und

Gesellschaft erleichtern sollen, brauchen auch eine Gesell-

schaft, die ihren neuen Mitgliedern Interesse entgegenbringt.

2017 soll das Projekt fortgesetzt werden - mit 20 zusätzli-

chen Koffern, damit noch mehr Kofferpaten unterwegs sein

können. Hinzu kommen zwei neue Filme sowie die Erweite-

rung der Untertitel und Sprachfassungen um Dari.

Weitere Informationen unter: www.goethe.de und www.bjf.info

Franziska Ferdinand

Franziska Ferdinand ist wissenschaftliche Volontärin im LVR-Zentrum für Medien und

Bildung

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05 | LVR-ZMB INTERN

Sounds of Heimat - Zuhause geht ins Ohr

Neue EDMOND NRW-Landeslizenzen 2016

05 LVR-ZMB intern

Foto: © Dominik Schmitz/LVR-ZMB

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MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Sounds of Heimat - Zuhause geht ins Ohr

Was hat das Tuckern der Schiffe auf dem Rhein mit

Fangesängen oder Regenprasseln gemein? Warum widmet

sich eine Ausstellung dem fröhlichen Stimmengewirr in

der Fußgängerzone, dem behäbigen Schlagen von Omas

alter Uhr oder den piependen Türen eines ICE, der den

Kölner Bahnhof verlässt? Es geht um »Sounds« – um

Geräusche, Klänge, Töne oder Songs – und wie sich in

ihnen ein Stück Heimat spiegelt. Diesen Zusammenhängen

kommt das aktuelle Ausstellungsprojekt des LVR-Instituts

für Landeskunde und Regionalgeschichte auf die Spur.

In Interviews haben Menschen erzählt, was für sie Heimat

bedeutet, inwieweit sich Heimat überhaupt hören lässt und

mit welchen Geräuschen oder Klängen ihre ganz individuel-

len Heimatvorstellungen verbunden sind. Die Interviewpart-

nerinnen und -partner berichten von Geräuscherinnerun-

gen aus der Kindheit oder Klangkulissen der Gegenwart,

von verlorenen und wiederentdeckten Tönen, vom vertrau-

ten Grundrauschen des Alltags oder von Hörerlebnissen im

Freundeskreis. All diese Soundgeschichten bekommen

buchstäblich ein Gesicht, denn die Ausstellungstafeln

zeigen die Beteiligten in großformatigen Fotoporträts,

aufgenommen von einem Fotografen des LVR-Zentrums für

Medien und Bildung. Texte vermitteln schlaglichtartige

Einblicke in die Interviews und über QR-Codes lassen sich

Tondateien aufrufen, welche die »Sounds of Heimat« noch

erlebbarer machen.

Die Porträtserie ist in Köln entstanden, zum Beispiel vor

einem Schiffsanleger am Rhein, in der belebten Fußgän-

gerzone, im privaten Wohnumfeld, in einem kleinen

Plattenladen oder auf dem Südturm des Kölner Doms. Die

Wahl dieser Settings ist natürlich kein Zufall, denn das

Foto sollte die Brücke zum »Sound« schlagen, von dem die

Protagonisten erzählen. Oft stellte sich dabei heraus, dass

sich Heimat zwar nicht ohne weiteres auf ein einzelnes

Geräusch reduzieren lässt, dass sich aber sehr wohl ein

ganz bestimmter Sound auswählen lässt, der für das

Heimatbild der Befragten eine zentrale Bedeutung hat.

Die Qual der Wahl hatten nicht nur Protagonisten mit einer

‚bewegten‘ Biografie, die mit »Heimat« mehrere Orten

verbinden, sondern auch ein überzeugter »kölsche Jung«

wie Markus L. Für ihn war klar, dass sein Sound ausge-

prägten lokalen Bezug haben musste und da gibt es – wie

er sagt – »unzählige Möglichkeiten«, von der FC-Hymne im

Stadion über einzelne Karnevalslieder bis hin zum Glocken-

spiel des Rathauses. Besonders gefällt ihm aber ein Klang,

der direkt auf das Kölner Wahrzeichen schlechthin verweist,

den Kölner Dom mit seinem »Dicken Pitter«, der großen

Glocke, die nur zu bestimmten Anlässen läutet.

Auch viele andere Sounds in der Ausstellung docken an

einen mal mehr, mal weniger konkreten Ort an, mit dem

sich die Interviewpartner verbunden fühlen. So wird das

Tuckern der Schiffe auf dem Rhein für Wolfgang W. zum

hörbaren Symbol für seine Wahlheimat Bonn und der

Klang eines 7/8-Taktes nimmt die in Sarajewo geborene

Kölnerin Dzenita Sch. »in Gedanken mit auf den Balkan«,

obwohl sie sich auch im bunten Kölner Alltag mit seiner

internationalen Straßenmusikerszene zu Hause fühlt.

Dagegen löst die Ansage der Kölner U-Bahnstation

44

05 | LVR-ZMB INTERN

Ausstellungstafel, Foto: © LVR-ZMB/Dominik Schmitz, Grafik: Ute Bley/bleydesign Soundkartons, Foto: © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte/Peter Weber

»Hansaring« für Manja Sch. bei weitem nicht dieselben

Gefühle aus wie der Berliner »Elsterwerdaer Platz«, an

dem ihre Mutter wohnt und wo sie aufgewachsen ist. »Aber

das kann ja noch kommen«, meint Manja, schließlich

wohne sie erst seit zweieinhalb Jahren in Köln.

Andere »Sounds« sind weniger eindeutig räumlich zu

verorten und verweisen eher auf soziale Aspekte: Auf ein

besonderes Lebensgefühl – repräsentiert durch das

lebhafte Stimmengewirr von gut gelaunten Menschen auf

den Straßen oder auf enge familiäre Bindungen, die das

Gefühl von Heimat auslösen, wie das Beispiel vom vertrau-

ten Ticken der Uhr der Großmutter zeigt. In der Ausstel-

lung lassen sich sehr individuelle Geräusche entdecken.

Eines der ungewöhnlichsten steckt möglicherweise im

Porträt von Hellen V. Sie steht unter einem Regenschirm,

dicke Wassertropfen prasseln darauf. Ihre bewegende

Geschichte verrät, warum das Geräusch von Regen sie an

ihre Kindheit im Nordiran erinnert, aus dem sie als junge

Frau geflohen ist.

Auch formalästhetisch gehen die Porträtaufnahmen einen

eher ungewöhnlichen Weg: Um den Fokus auf das Hören zu

richten, sind alle Porträtierten mit geschlossenen Augen

fotografiert worden. Ergänzt werden die Ausstellungstafeln

durch dreidimensionale Objekte – klingende Kartons, auf

und in denen sich weitere Sound- und Heimatgeschichten

entdecken lassen. Sie machen bewusst, dass Heimat oft

mit vertrauten, alltäglichen Geräuschen zu tun hat. Wobei

diese Geräusche nicht zwangsläufig angenehm sein

müssen, auch der zuweilen nervige nächtliche Lärm im

Ausgehviertel vor der Haustür kann zur Klangkulisse

werden, die ein wohliges Heimatgefühl auslöst.

Die Ausstellung ist Teil der Reihe »Wo ist dann meine

Heimat …?«, die das LVR-Institut mit wechselnden Koope-

rationspartnern – Schulen, Museen und anderen Institutio-

nen – seit fünf Jahren immer wieder ergänzt und variiert.

Und da Heimat viele verschiedene Facetten hat, wechseln

auch die Schwerpunkte der Ausstellung. Bisher ging es

zum Beispiel um »Heimat in einem interkulturellen

Stadtviertel«, um den Zusammenhang zwischen Essen und

Heimat oder – unter der Frage »Woran glaubst du?« – um

die mentale Heimat. Ziel des Projektes ist es, Vielfalt

abzubilden und auf empirischer Basis Antworten auf die

Fragen zu finden: Wie funktioniert Heimat in einer zuneh-

mend interkulturellen Welt? Was braucht es, damit sich

Menschen an einem Ort oder in einer Gemeinschaft

zuhause fühlen?

Gabriele Dafft

Gabriele Dafft ist wissenschaftliche Referentin im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Sounds of Heimat

Konzeption: Gabriele Dafft/LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Porträtfotos: Dominik Schmitz/LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Konzeption: Ute Bley, bleydesign

Weitere Informationen unter www.rheinische-landeskunde.lvr.de

45

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Zwei Lilienthals, die nicht fliegen, aber fotografieren konnten

Luftaufnahme von Dinslaken mit dem Marktplatz, Foto: © Stadtarchiv Dinslaken

Mitten in der Stadt hat Dinslaken sich

mit dem Neubau eines Stadtarchivs

selber beschenkt: Dank der modernen

und zugleich zurückhaltenden

Fassade fügt es sich zum einen

harmonisch in die Umgebung am

Platz d'Agen ein und verleitet regel-

recht dazu einzutreten, zum anderen

kann es mit Schätzen aufwarten, die

bislang vielleicht noch nicht ins

Blickfeld der Öffentlichkeit geraten

sind.

Schon lange vor dem Umzug des

Archivs mit seinen gesamten Bestän-

den aus Urkunden, Akten, Büchern

und Fotos, war beschlossen worden,

sich um die eigene Glasplattensamm-

lung zu kümmern, die den Kern aller

historischen Fotos der Stadt bilden

und somit von besonderem Wert für

die Stadtgeschichte sind.

Das Stadtarchiv besitzt die Nachlässe

der Fotografen Köddermann sowie

Vater und Sohn Lilienthal, die in

Dinslaken über zwei Generationen ein

Fotoatelier betrieben. Dieses Konvolut

umfasst über 850 Glasplattennegative

aus der Zeit von circa 1870 bis in die

1930er-/1940er-Jahre.

Historische Glasplatten sind unge-

heuer empfindlich und sollten aus

konservatorischen Gründen nicht

mehr zur Betrachtung am Original zur

Verfügung gestellt werden. Um diesen

Schatz der Öffentlichkeit dennoch

präsentieren zu können, entschloss

man sich, den gesamten Bildbestand

im LVR-ZMB digitalisieren zu lassen.

Dort wurden die Glasplatten behut-

sam von Staubpartikeln gereinigt und

anschließend hochauflösend digitali-

siert. Auf eine umfassende Restaurie-

rung beschädigter Glasplatten wurde

bewusst verzichtet, um eine größt-

mögliche Originalität zu bewahren.

Nach der Digitalisierung konnten die

Glasplatten endlich unter angemesse-

nen Bedingungen eingelagert und für

die Zukunft dauerhaft gesichert

werden. Nun steht allerdings noch die

46

Erschließung der Sammlung an, da

inhaltliche Beschreibungen oder

weitere Angaben zu den Aufnahmen

zum größten Teil nicht vorliegen.

Und was zeigen uns die Aufnahmen?

Es sind vor allem Stadtansichten:

öffentliche Gebäude, Kirchen, Ge-

schäfts- und Gasthäuser, Wohnhäuser

und Villen oder den Bahnhof, Gebäude,

die die Lilienthals auf ihren Streifzü-

gen festgehalten haben und die

oftmals nicht mehr existieren. Es gibt

Innenaufnahmen, die eine Vorstellung

von Leben und Arbeit in der ersten

Hälfte des vorigen Jahrhunderts

vermitteln. Die Fotos dokumentieren

große Infrastrukturprojekte wie

Kanalbauten, wir sehen Unwetter-

schäden durch Sturm oder Hochwas-

ser. Die Sammlung enthält Aufnahmen

von Festumzügen, Paraden und

Aufmärschen sowie zahlreiche

Gruppenaufnahmen oder Porträts.

Und die Fotos geben die Zeit des

Nationalsozialismus in Dinslaken

wieder, berichten von Zerstörungen

oder Verwüstungen im Zuge des

Ruhrkampf zwischen der Roten

Ruhrarmee und republikfeindlichen

Freikorps und Reichswehrtruppen und

lassen schießlich auch die Hochzeit

der Schwerindustrie in der August

Thyssen-Hütte mit Aufnahmen des

Ehepaar Althoff, Foto: © Stadtarchiv Dinslaken Badezimmer im Krankenhaus, Foto: © Stadtarchiv Dinslaken

Auf der Kinderstation. Foto: © Stadtarchiv Dinslaken

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05 | LVR-ZMB INTERN

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Hüttenwerks, Fotografien der Arbeiter

und Arbeiterinnen oder Reproduktio-

nen des gesamten Industriekomplexes

wieder lebendig werden.

Die digitalisierten Aufnahmen können

an Bildschirmarbeitsplätzen einge-

hend betrachtet werden. Wenn Sie es

nicht bis nach Dinslaken schaffen,

besuchen Sie das Stadtarchiv einfach

auf Facebook. Die MitarbeiterInnen

stellen dort größere oder kleinere

Links oben: Fabrikarbeiterinnen. Rechts oben:

Segelflieger am Neutor. Links unten: Produktions-

halle (Fotos: © alle Stadtarchiv Dinslaken)(

Trouvaillen vor, geben regelmäßig

Einblick in Arbeit des Kommunalar-

chivs und erzählen interessante

Geschichten anhand des Archivmateri-

als - immer mit schönem, unbekann-

tem Bildmaterial (https://www.

facebook.com/stadtarchivdinslaken/?r

ef=ts&fref=ts)

Kontakt:Stadtarchiv DinslakenElmar-Sierp-Platz 146535 DinslakenGisela Marzin (Leiterin)Telefon: 02064-4789475

Öffnungszeiten: Dienstag und Mittwoch von 08:00 - 12:00 Uhr und 14:00 - 16:00 Uhr

Michael Jakobs

Michael Jakobs ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im LVR-Zentrum für Medien und Bildung

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Medienpass NRW goes Berufskolleg. Die Entwicklung

eines Medienkonzepts

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05 | MEDIENBERATUNG NRW

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Medienpass NRW goes Berufskolleg. Die Entwicklung eines Medienkonzepts

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MB

Claudia Hopstein im Interview mit Heinrich Kuypers,

stellvertretender Schulleiter, und David Körner, Team

Medienkonzept, des Lore-Lorentz-Berufskollegs in Düssel-

dorf, über die Entwicklung eines Medienkonzepts.

CH: Was bedeutet Medienkompetenz für Sie?

DK: Kurz gesagt, ist es nichts anderes als der pragmatische

Umgang mit einem Werkzeug. So wie bei einem Taschen-

messer: Man muss die Fähigkeit haben, das Ding sinnvoll

einzusetzen! Wo kann ich mich verletzen? Wie kann ich

damit produktiv bzw. kreativ und effektiv arbeiten?

HK: Und die Schüler nutzen diese Werkzeuge schon. Es ist

also unser Ziel und unsere Verantwortung, die entspre-

chenden Kompetenzen zu vermitteln, damit sie sie sicher

anfassen und effektiv einsetzen können.

CH: Wie schafft es ein so komplexes System wie ein

Berufskolleg, mit allen Beteiligten an diesem Ziel zu

arbeiten?

DK: Das ist eine Herausforderung an uns Lehrkräfte. Wir

mussten überlegen, wie trotz der Heterogenität unserer 14

Bildungsgänge, allen Schülern Medienkompetenz vermit-

teln werden kann. Der Medienpass NRW bietet hier einen

fruchtbaren Ansatz: der Kompetenzrahmen benennt die

(fünf) grundlegenden Kompetenzbereiche . Und unsere Idee

ist, das Ganze in Unterrichtsmodule zu packen, die gewisse

Standards im Sinne des Kompetenzrahmens des Medien-

passes erfüllen müssen, gleichzeitig aber auch bildungs-

gangspezifisch angepasst werden können. Somit wird

sichergestellt, dass alle Kompetenzbereiche abgedeckt

werden, die jeweiligen Inhalte der Module aber gleichzeitig

an die speziellen Bedürfnisse der einzelnen Bildungsgänge

angepasst werden können. Wir sagen nicht: Medienkompe-

tenz muss in einem eigenen Unterrichtsfach gelernt

werden, die Kompetenzen können in das, was bereits da ist,

einfließen.

HK: Genau, denn es passiert ja schon! In ganzen vielen

Unterrichtssituationen werden diese Kompetenzen bereits

gefördert – »Kommunizieren und Kooperieren« ist der Klas-

siker. Dies passiert eigentlich immer, es muss nur bewusst

gemacht und konkretisiert werden.

CH: Um dies zu ermöglichen, haben Sie ein neues Medien-

konzept entwickelt. Was war das grundlegende Ziel?

DK: Jungen Erwachsenen Medienkompetenz vermitteln und

klar machen, dass es im Zeitalter der Digitalisierung

absolut notwendig ist, sich auch mit den digitalen Medien

auseinandersetzen, um letztendlich im Alltag und der

Berufswelt klar zu kommen.

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06 | MEDIENBERATUNG NRW

Foto: © LVR-ZMB / Stefan ArendtFoto

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Dabei ist aber auch zu beachten, dass Medienkompetenz,

heute beinahe ausschließlich daran festgemacht wird, ob

ein iPad oder Tablett genutzt wird. Im Endeffekt können die

meisten Kompetenzen, die im Kompetenzrahmen genannt

werden, auch gut mit anderen Medien – sei es OHP, sei es

Buch – gefördert werden. Die Fähig- und Fertigkeiten, die am

Ende wichtig sind, haben nichts mit dem Gerät an sich zu tun.

CH: Das heißt doch, es müssen Dinge festgeschrieben

werden. Und das wird dann anhand von Kompetenzberei-

chen gemacht, die dann auf konkrete Unterrichtsbeispiele

herunter gebrochen werden?

DK: Richtig! In unserem Medienkonzept haben wir einen

grundlegenden Rahmen geschaffen, die tatsächliche Arbeit

findet dann aber in den Bildungsgang-Konferenzen statt.

Dort wird dann überlegt, an welchen Stellen die Kompe-

tenzvermittlung in unsere bereits existierende didaktische

Jahresplanung einfließen kann.

CH: Wie geht es weiter im Prozess? Welche Gremien sollten

noch eingeschaltet werden? Das hat viel mit Schulentwick-

lung zu tun. Alle Beteiligten sollen mit ins Boot, da gibt es

sicherlich auch einige Herausforderungen?

HK: Ganz wichtig ist maximale Transparenz, damit die

Kollegen nicht irgendwann das Gefühl haben: Ich habe den

Prozess gar nicht mitbekommen und plötzlich kommt

dieses Monster auf mich zu und ich weiß gar nicht, was das

ist. Das Kollegium muss immer genau wissen, da stehen

wir, das machen wir, d.h. Herr Körner bereitet mit seinem

Team »Medienkonzept« alles vor, überlegt die nächsten

Schritte und zieht damit durch alle Gremien - besonders die

Lehrerkonferenz ist immer ganz eng mit dabei.

DK: Genauso wichtig ist, die Schüler an den entscheidenden

Stellen mit ins Boot zu nehmen. So haben wir zu Beginn die

Schülervertretung eingeladen und sie gefragt: Wo habt ihr

denn mal ein Problem gehabt, was unbedingt gelöst werden

soll? Denn für die Schüler stehen natürlich nicht didaktische

Theorien im Vordergrund, sondern sie sehen sehr konkret

welche Fähigkeiten, sie für welche Anforderung brauchen.

Welche Geräte benutzt werden können.

HK: Ein weiterer sehr wichtiger Partner ist der Schulträger:

Ohne den Schulträger funktioniert das nicht. Der muss

wissen, was macht die Schule und wir mussten vom Schul-

träger auch wissen, in welche Richtung er sich entwickeln

will. Man braucht in Schule ganz viel manpower für Dinge,

die eigentlich kein Lehrer machen muss und sollte. Das

erzeugt Unmut bei den Kollegen. Wenn man mit dem Schul-

träger auf einer Linie ist, erleichtert das die Sache und es

werden nicht unnötig Ressourcen von Lehrerseite verbraucht.

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Für administrative Angelegenheiten gibt es jemanden bei

der Stadt, der wird dafür bezahlt, der kann das viel besser

als die meisten Kollegen. Und das ist ein ganz wichtiger

Punkt: Man hat einen Ansprechpartner bei der Stadt!

CH: Was ist noch wichtig, um den Prozess nachhaltig

effektiv gestalten zu können und alle mitzunehmen?

DK: Man muss dafür sorgen, dass Dinge funktionieren.

Wenn die Geräte laufen, entwickeln die Kollegen Vertrauen

und fangen selber an, auszuprobieren. Und wenn sie mal

nicht funktionieren, dann muss es einen Ansprechpartner

geben, der sich kümmert. Diese Dinge müssen neben den

konzeptionellen Ideen unbedingt mitgedacht werden.

CH: Neben der Ausstattung ist das pädagogisch-didakti-

sche Konzept, das Sie kurz erwähnten, ein weiterer

Baustein des Medienkonzeptes.

DK: Genau! Hier ist der nächste Schritt der Aufbau von

Unterrichtsmodulen, die sich alle auf die im Kompetenzrah-

men genannten Kompetenzbereiche und Teilkompetenzen

beziehen. So soll ein Pool von fertigen Unterrichtsbeipielen

wachsen, die in den einzelnen Bildungsgangkonferenzen

konkretisiert werden können. Das Team »Medienkonzept«

hat ein Beispielmodul zum Thema »Podcast« erstellt und

wird zukünftig mit interessierten Kollegen überlegen, zu

welchen Unterrichtsthemen, die laut Lehrplan sowieso

vorgesehen sind, weitere Module entwickelt werden

können. Die didaktische Jahresplanung muss also nicht

geändert werden, sondern in den Bildungsgangkonferenzen

wird zukünftig überlegt, an welcher Stelle der Planung man

auch auf ein Unterrichtsmodul zurückgreifen könnte.

CH: Wie sieht es mit dem dritten Baustein, der Fortbildung, aus?

HK: Ausgangspunkt war ein Beschluss der Lehrerkonfe-

renz: Es gab ein Bedürfnis, nach einer Fortbildung zum

Thema »Medien« .

DK: Bei der Umsetzung hatten wir die Unterstützung des

Kompetenzteams bzw. des Medienberater, der gemeinsam

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

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mit uns überlegt hat, wie ein Medienkonzept aussehen

muss und welche Ansatzpunkte es gibt. Am Ende des

Fortbildungstages haben wir festgestellt, dass der Medien-

pass NRW eine sehr gute Grundlage ist. Ich bin dann mit

unserem Medienberater in Kontakt geblieben, er hat uns

weiter unterstützt und auch Kontakt zum Schulträger

aufgenommen.

CH: Welche Herausforderungen können Sie auf dem

bisherigen Weg nennen?

DK: Zunächst die richtigen Ansprechpartner zu finden. Und

dann die ganze zeitaufwändige, praktische Arbeit, die

Recherche und besonders auch die Wartung der Geräte.

HK: Bedenken und Ängste der Kollegen wahrnehmen! Ein

ganz wesentlicher Schritt war es für uns auch, zu sagen: Es

ist alles freiwillig, keiner muss das machen! d.h. es gibt

weiterhin Kollegen, die zunächst lieber mit dem OHP

arbeiten und das ist dann in Ordnung.

CH: Wie kann eine Nachhaltigkeit des Konzeptes gewähr-

leistet werden? Welche Gelingensbedingungen würden Sie

identifizieren.

DK: Zunächst die Kollegen ins Boot holen, die Lust darauf

haben und - keinen Zwang ausüben! Mittelfristig sollten die

Module jedoch konsequent in den didaktischen Jahrespla-

nungen verankert werden, denn es muss am Ende Verläss-

lichkeit geschaffen werden.

HK: Es reicht nicht, sich ein System zu überlegen, sondern

es muss gelebt werden! Und dafür ist es wichtig, die

Stunden, die wir jetzt als besondere Belastung der Kollegen

investiert haben, auch weiterhin als Entlastungsstunden zu

bekommen, damit eine praktische Umsetzung im Schulall-

tag funktionieren kann und Standards gesetzt werden.

DK: Und durch die aktuellen poltischen Entscheidungen auf

Bundes- und Landesebene kommt natürlich etwas ins

Rollen z.B. in Richtung WLAN-Ausstattung von Schulen.

Bisher war nicht immer klar: In welche Richtung bewegt

sich was? Was stellt man den Schulen zur Verfügung? iPads

oder BYOD? Eine eigene Schulcloud? Und da hoffen wir in

Zukunft auf möglichst konkrete, verlässliche Entscheidungen.

CH: Die letzte Frage ist immer die nach den Wünschen….

HK: Wie angesprochen: Eine politische Entscheidung, in

welche Richtung es geht. Klare Signale senden und den

Schulen verlässlich sagen: Das sind Standards und diese

Standards müssen erfüllt sein. Meiner Meinung nach

müsste das auf Bundesebene entschieden und auf die

Länder runter gebrochen werden.

DK: Das kann ich nur unterstützen. Man muss sich auf

verschiedenen Ebenen (Schulträger, Land, Bund) im Klaren

sein, dass der Einsatz von Medien nur gelingen kann, wenn

nicht nur Zeit und finanzielle Mittel verwendet werden, um

die Geräte in die Schulen zu bringen, sondern nachhaltige

Prozesse entwickelt werden, wie die Geräte gewartet

werden können. Dass Absprachen mit den Schulen getrof-

fen werden, darüber, was Schulen wirklich brauchen.

Und dass bezüglich pädagogischer Konzepte Verlässlichkeit

herrscht, Standards entwickelt werden und in einem halben

Jahr nicht wieder alles umgekrempelt wird.

HK: Eine Sache ist noch immens wichtig: dass die Lehrer

lehren können und nicht nur technisch beschäftigt sind.

Man hat diesen Beruf gewählt, weil man gerne mit Men-

schen zusammen arbeitet und ihnen etwas vermitteln

möchte und deswegen darf die Zeit nicht dafür verwendet

werden, sich um die Technik kümmern zu müssen. Ein

Lehrer musste früher auch nicht erst eine Schiefertafel aus

dem Berg schlagen – glaube ich zumindest…! Alles, was mit

Unterricht, pädagogischen Prozessen zu tun hat, sollte bei

der Schule bleiben, alles, was mit technischen Dingen zu

tun hat, sollte an ein Amt abgegeben werden, wo die

Fachleute sitzen.

Claudia HopsteinClaudia Hopstein ist pädagogische Mitarbeiterin der Medienberatung NRW

06 | MEDIENBERATUNG NRW

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MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Neuerwerbungen 2016: Landeslizenzen für EDMOND NRW

07 EDMOND NRW

Foto: © Flegere / Shutterstock

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Foto: © Flegere / Shutterstock

07 | EDMOND NRW

Neuerwerbungen 2016: Landes- lizenzen für EDMOND NRW

Schrecken ohne Ende

D 2012, 7 Min., DVD-Signatur: 4675307, Online-Signatur: 5563555

Eignung: Elementarbereich

Wenn die beste große Schwester der Welt wegziehen will, braucht man einen

echt guten Plan, um das zu verhindern. »Schrecken ohne Ende« erzählt die zu

Herzen gehende Geschichte eines kleinen Jungen, der verzweifelt versucht,

seine große Schwester daran zu hindern, von zu Hause auszuziehen. Erst

allmählich begreift er, dass das Abschiednehmen von einer geliebten Person

zum Älterwerden dazugehört.

Das Bild der Prinzessin

D 2010, 6 Min., DVD-Signatur: 4669433, Online-Signatur: 5560246

Eignung: Elementarbereich, Klasse 1-4, Sonderschule

Eine kleine Prinzessin malt ein Bild von einer Kuh und erntet von den Bedienste-

ten des Schlosses wie gewohnt Lob für ihre Malkünste, auch wenn keiner den

Bildinhalt erkennen kann. Nur der Gärtner erhebt Widerspruch. Entsetzt lässt

sie ihn in den Kerker werfen und versucht ihn umzustimmen. Der Gärtner

sensibilisiert die Prinzessin durch Fragen und empfiehlt ihr, sich eine Kuh aus

der Nähe anzuschauen. Beim erneuten Versuch die Kuh zu malen, befielt sie den

Bediensteten die Kuh in eine unnatürliche Position zu bringen. Sie erwartet, dass

sich die Natur ihrer kindlichen Vorstellung anzupassen hat. Erst als die Prinzes-

sin sich auf die Kuh und ihre Natur einlässt, ist sie in der Lage, diese auch genau

zu malen.

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MEDIENBRIEF | N° 02.2016

Der verlorene Otto

D 2012, 7 Min., DVD-Signatur: 4670175, Online-Signatur: 5560674

Eignung: Klasse 1-4, Sonderschule

Als Otto wieder einmal von seinen Eltern angemeckert wird, während seine

ältere Schwester wie immer die Tolle ist, reicht es ihm. Er schnappt sich seinen

Rucksack, sein Taschengeld sowie sein Kuscheltier - und geht einfach weg.

Anfangs genießt der Junge seine Freiheit in vollen Zügen: keine Anweisungen,

keine Regeln, keine Beschränkungen. Aber als die Dämmerung anbricht und es

kalt wird auf dem Spielplatz, fühlt er sich doch ziemlich verlassen. Otto kehrt

zurück und findet auf der heimatlichen Straße seine ihn aufgeregt suchende

Familie vor. Alle sind froh, ihn heil wieder zu bekommen. Das gilt sogar für seine

Schwester.

Der fliegende Jakob

D 2015, 7 Min., DVD-Signatur: 4675743, Online-Signatur: 5563809

Eignung: Klasse 1-4, Sonderschule

Jakob ist anders als die anderen. Anstatt mit dem Krabbeln zu beginnen, fliegt er

eines Tages plötzlich aus dem Kinderwagen hinaus, hebt einfach ab. Seinen

Eltern steht sprachloses Erstaunen ins Gesicht geschrieben, ihnen ist das

irgendwie nicht recht, etwas zu seltsam. Doch bleibt ihnen keine Wahl, fortan

fliegt ihr Sohn über den Dächern der Stadt. Als die Eltern eines Tages den Urlaub

im sonnigen Süden buchen, will Jakob kein Flugticket, sondern fliegt natürlich

selbst. Unterwegs schließt er sich einem Vogelschwarm auf dem Weg nach

Süden an, Doch wird diese herrliche Reise jäh unterbrochen, als eines der

Vögelchen in die Fänge des berühmt-berüchtigten Vogelfängers Mörtel gerät.

Jakob und seiner Vogelschar gelingt es, Herrn Mörtel zu überlisten und nicht nur

den vermissten Kameraden, sondern auch alle anderen gefiederten Häftlinge zu

befreien. Jakob nimmt Abschied, um seinen wartenden Eltern nachzureisen.

Sterne, Hirten, Engel und ein Stall

D 2014, 12 Min., DVD-Signatur: 4673041, Online-Signatur: 5562020

Eignung: Klasse 1-2, Sonderschule

Das Medium beinhaltet sechs kurze Trickfilme zu den Bildergeschichten aus der

Zeitschrift »Hallo Benjamin!«. Die Filme greifen verschiedene Weihnachts-

symbole wie »Sterne«, »Engel«, »Hirten« und »Stall« auf und erzählen jeweils

eine kleine Geschichte, die die Weihnachtsbotschaft vermitteln soll.

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07 | EDMOND NRW

Jesu Geburt

D 2014, 8 Min., DVD-Signatur: 4611110, Online-Signatur: 5511110

Eignung: Elementarbereich, Klasse 1-4, Sonderpädagogische Förderung

Weihnachten ist ein zentrales Fest im Leben von christlichen Kindern. Doch was

wird da eigentlich gefeiert? Diese Produktion ermöglicht den Kindern mittels

der verfilmten Bilder des Künstlers Dieter Konsek, die Bibelgeschichten rund

um die Geburt Jesu zu erleben. Jesus, der in ärmlichsten Verhältnissen, in

einer Futterkrippe zur Welt kommt, bringt für uns eine Botschaft mit in die Welt.

Der Film und die Arbeitsblätter können in der Vorschule sowie in der Grund-

und Förderschule eingesetzt werden. Für die Zielgruppe Kinder mit Förderbe-

darf sind Arbeitsblätter mit angepasstem Niveau und größerer Schriftgröße

vorhanden.

Die Mendel'schen Regeln - Grundlagen der Vererbung

D 2014, 17 Min., DVD-Signatur: 4611071, Online-Signatur: 5511071

Eignung: Klasse 8-10

Wie geben Eltern ihre Merkmale an die Nachkommen weiter? Geschieht dies

zufällig oder folgt die Vererbung ganz bestimmten Regeln? Mit diesen Fragen

beschäftigte sich auch schon Johann Gregor Mendel, als er Mitte des 19.

Jahrhunderts mit seinen Forschungen zur Vererbung begann. Durch seine

Kreuzungsversuche mit der Gartenerbse konnte er zeigen, nach welchem Muster

Eigenschaften von Eltern an ihre Nachkommen weitergegeben werden.

In aufwendigen Animationen greift die Produktion Mendels Aspekte auf und

erklärt anschaulich und adressatengerecht die drei Mendel'schen Regeln. Auch

auf ihren Nutzen in der Züchtung und der Humangenetik wird eingegangen.

Neben Film und Sequenzen stehen Arbeitsblätter, Infotexte, Grafiken und weitere

ergänzende Unterrichtsmaterialien zur Verfügung.

Günter der Igel - Deutsch? Gefällt mir!

D 2015, 10 Min., DVD-Signatur: 4674586, Online-Signatur: 5563130

Eignung: Klasse 1-2

Der Film erzählt von einem kleinen Igel, der in einem Gebüsch im Pausenhof

einer Grundschule lebt. Eine Schülerin entdeckt den Igel und ihre Lehrerin greift

das Thema für den Unterricht auf: Was frisst ein Igel? Wo hält er seinen Winter-

schlaf? Durch die Jahreszeiten begleiten und beobachten die Kinder den Igel, der

im Lauf der Geschichte immer zutraulicher wird.

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Die Zelle: Zellteilung – Mitose

D 2012, 17 Min., DVD-Signatur: 4602829, Online-Signatur: 5501642

Eignung: Sek. I und II

Die Produktion »Die Zelle: Zellteilung - Mitose« erklärt mithilfe anschaulicher

Animationen, welche Vorgänge während der Mitose in unserem Körper ablaufen:

Der Film stellt zunächst Bau und Funktion tierischer bzw. pflanzlicher Zellen dar.

Dabei werden die einzelnen Zellorganellen und deren Funktionen in der Zelle

erläutert. Im Anschluss werden der Bau eines Chromosoms und der Aufbau der

DNA, sowie die Replikation behandelt. In diesem Zusammenhang werden die

komplementären Basenpaare erklärt. Die einzelnen Phasen der Mitose werden

dargestellt und detailliert beschrieben. Zuletzt wird der gesamte Zellzyklus einer

Zelle noch einmal eingängig zusammengefasst.

Gentechnik I – Grundlagen

D 2015, 35 Min., DVD-Signatur: 4673501, Online-Signatur: 5562232

Eignung: Sek. I und II

Die Filme erklären mithilfe 3D-Computeranimationen die grundlegenden

Arbeitsschritte, mit denen die Gentechnik arbeitet. Die Möglichkeiten von

Forschung, Entwicklung und Produktion in der Gentechnik werden aufgezeigt.

Gentechnik II – Identifizierungsmethoden

D 2015, 32 Min., DVD-Signatur: 4673502, Online-Signatur: 5562233

Eignung: Sek. II

Die Filme erklären mithilfe von 3D-Computeranimationen die grundlegenden

Arbeitstechniken und -methoden, die die Gentechnik bis heute entwickelt hat,

um einzelne Gene in prokaryotischen und eukaryotischen Organismen zu identifi-

zieren.

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

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08 | LERNORT KULTUR

Wir WirtschaftsWunderKinder

Spielen und Spielzeug in den 1950er- und 1960er-Jahren

08 Lernort Kultur

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Wir WirtschaftsWunderKinder.Spielen und Spielzeug in den 1950er- und 1960er-Jahren

In der Nachkriegszeit und den beiden

folgenden Jahrzehnten erlebte die

Generation der heute Fünfzig- und

Sechzigjährigen ihre Kindheit. Diese

Zeit bildet seit einigen Jahren einen

Sammlungsschwerpunkt im Rheini-

schen Landesmuseum für Volkskunde,

denn auch am Spielzeug kann man

MEDIENBRIEF | N° 01.2016

den Wandel aufzeigen, der sich in

diesem Zeitraum in Technik, Wirt-

schaft, Kultur und sozialem Leben

vollzieht. Die Erwachsenen sind mit

dem Aufbau beschäftigt, während viele

Kinder zu »Schlüsselkindern« werden.

Die überkommenen Familienstruktu-

ren mit der Hausfrauenrolle für die

Foto: Anneliese Heymann / Euskirchen

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08 | LERNORT KULTUR

Mütter werden langsam aufgeweicht,

und das Familienbild wandelt sich. Die

Ausstellung blickt mit Spielzeugen,

Kleidung, Fotos und Filmen auf diese

spannungsreiche Zeit von 1950 bis

zum Beginn der ersten Rezession 1967

zurück.

Nach dem Krieg müssen unzählige

Familien in Notunterkünften leben,

für Spielzeug, geschweige denn

Kinderzimmer fehlen Platz und Geld.

Die Kinder spielen im Freien, oft mit

selbst gebauten Spielgeräten. Ruinen

und Trümmer des Zweiten Weltkriegs

sind beliebte – und gefährliche –

Spielplätze. Die Besucher können sich

durch Fotos, Notspielzeuge sowie ein

selbst gemaltes Märchenbuch einen

Eindruck dieser Zeit verschaffen.

Einen eigenen Raum zu haben - nicht

nur zum Schlafen, sondern vor allem

zum Spielen - ist für die meisten

Kinder bis weit ins 20. Jahrhundert

hinein unvorstellbar. Erst als in den

1950er-Jahren neuer Wohnraum

geschaffen wird, erhält das Kinder-

zimmer einen festen Platz in den neu

errichteten Häusern und Wohnungen.

Es wird ein Raum zum Spielen, aber

auch für die Erziehung. An den

ausgestellten Objekten lassen sich

gesellschaftlicher und modischer

Wandel ebenso die technische

Innovationen der Zeit nachempfinden.

Es entstehen und etablieren sich

Unterhaltungsformate, die man eigens

für Kinder entwickelt. Comicfiguren

wie »Fix und Foxi« oder »Ritter

Sigurd« sind Lieblinge der Kleinen. Im

Kino und TV begeistern »Das doppelte

Lottchen«, die tierischen Helden »Las-

sie« und »Flipper« und »Winnetou«.

Die Radioanstalten bieten mit ihrem

»Schulfunk« pädagogisch-unterhalt-

same Sendungen an. Originaltöne und

bewegte Bilder aus dieser Epoche

werden über eine zeitgenössische

Fernsehtruhe und eine Hörstation

präsentiert. Das Wirtschaftswunder

macht erstmals wieder einen Urlaub

möglich. 1955 unternimmt jeder

Fünfte eine Urlaubsreise. Die Freizeit

ist anders bemessen als heute. Noch

gilt eine 6-Tage-Woche und der

Jahresurlaub liegt zwischen 12 und 21

Tagen im Jahr. Kostspielige Fahrten

ins Ausland sind zu Beginn der

1950er-Jahre noch die Ausnahme. Die

meisten verbringen ihren Urlaub im

Inland. In den Schulen knüpft man an

die Lerninhalte der 1920er–Jahre an.

Nach und nach werden neue Unter-

richtsmaterialien entwickelt. Die

Schiefertafel wird bald durch Schreib-

hefte ersetzt. Durch die Kriegsverluste

herrscht Mangel an Lehrkräften, so

dass viele Kinder in eine Klasse

gehen. Auf den Dörfern gibt es bis in

die 1960er-Jahre Schulen mit einer

Klasse für verschiedene Jahrgänge.Foto: Hans-Theo Gerhards /

LVR-Freilichtmuseum Kommern

Foto: Hans-Theo Gerhards / LVR-Freilichtmuseum Kommern

9 | LERNORT KULTUR

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MEDIENBRIEF | N° 01.2015

Der technische Fortschritt prägt die

Wirtschaftswunderzeit. Durch die

neuen Entwicklungen auf dem

Automobil-, Eisenbahn- und Flug-

zeugmarkt nimmt die individuelle

Mobilität der Bevölkerung zu. Die

Faszination des Fahrens und Reisens

spiegelt sich im Spielzeugautomobil

der 1950er- und 1960er-Jahre wider.

Spielzeughersteller reagieren schnell

MEDIENBRIEF | N° 02.2016

auf die neuen Modelle der Automobil-

industrie mit Produkten im kleinen

Format. Die vor allem technikbegeis-

terten Väter lassen ihre Söhne am

neuen Spielzeug und den neuen

Spielformen teilhaben.

Neben Trümmerlandschaften dienen

vor allem die noch von wenigen Autos

befahren Straßen sowie Parks und

© LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Baustellen als Spielplätze. Kinder

lassen hier den Kreisel drehen, den

Drachen steigen, spielen Cowboy und

Indianer und schwingen den Hula-

Hoop-Reifen um die Hüfte. In der

Ausstellung werden viele dieser

zeittypischen Straßenspiele und

Aktivitäten gezeigt. Zu sehen sind aber

auch Rollschuhe, Tretroller und

Spielautos, mit denen die Kinder der

Nachkriegszeit über den Asphalt

flitzen.

Wir WirtschaftsWunderKinder.Spielen und Spielzeug in den 1950er- und 1960-Jahren13. November 2016 - 24. September 2017

LVR-Freilichtmuseum KommernRheinisches Landesmuseum für VolkskundeEickser Straße | 53894 MechernichTel. 02443 - 9980 0 [email protected] www.kommern.lvr.de

Öffnungszeiten365 Tage im Jahr geöffnet!1. April – 31. Oktober, 9 – 19 Uhr1. November – 31. März, 10 – 17 UhrEinlass bis jeweils eine Stunde vor Schließung

Informationen zur Buchung von Führungen, Projekten und museumspäd. AngebotenMo – Fr, 8 – 18 UhrSa, So, feiertags, 10 – 15 Uhrkulturinfo rheinland | Tel. 02234 - 9921 555

Sabine Thomas-Ziegler

Sabine Thomas-Ziegler ist Kuratorin des LVR-Freilicht-

museums Kommern

Foto: Hans-Theo Gerhards / LVR-Freilichtmuseum Kommern

Picknick, Foto: Familie Thorsten Ziegler / Großbüllesheim

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Die Autoren

Gabriele Dafft

Natalie Denk

Sepiedeh Fazlali

Franziska Ferdinand

Claudia Hopstein

Judith Heggen

Michael Jakobs

Daniel Jurgeleit

Susanne Kanngießer

David Körner

Torben Kohring

Charlotte Krickel

Heinrich Kuypers

Maic Masuch

Jörg Niesenhaus

Alexander Pfeiffer

Dirk Poerschke

Sascha Schmidt

Thorsten Schmolke

Sabine Thomas-Ziegler

Jan von Meppen

Sabine Warnecke

Anja Warnkross

Marietheres Waschk

Georg Weber

Thomas Wernbacher

Foto: Helene Claußen, LVR-ZMB

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Foto: Dominik Schmitz / LVR-Zentrum für Medien und Bildung

LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Medienzentrum für die Landeshauptstadt Düsseldorf

Bertha-von-Suttner-Platz 1, 40227 Düsseldorf

www.medien-und-bildung.lvr.de

ISSN 1615-7257