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ein gebrochenes Verhältnis ein gebrochenes Verhältnis ein gebrochenes Verhältnis ein gebrochenes Verhältnis ein gebrochenes Verhältnis zur gebrochenen Schrift zur gebrochenen Schrift zur gebrochenen Schrift zur gebrochenen Schrift zur gebrochenen Schrift Wolfgang Moeller Bremen, 2003 Fraktur -

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Page 1: Fraktur - Strubb e-book.pdfFraktur - ein gebrochenes Verhältnis zur gebrochenen Schrift. Die Überschrift eines Artikels, der der Redaktion von Idee und Bewegung vor einiger Zeit

ein gebrochenes Verhältnisein gebrochenes Verhältnisein gebrochenes Verhältnisein gebrochenes Verhältnisein gebrochenes Verhältniszur gebrochenen Schriftzur gebrochenen Schriftzur gebrochenen Schriftzur gebrochenen Schriftzur gebrochenen Schrift

Wolfgang Moeller

Bremen, 2003

Fraktur -

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Fraktur -ein gebrochenes Verhältnis zur gebrochenen Schrift.

Die Überschrift eines Artikels, der derRedaktion von Idee und Bewegung voreiniger Zeit zur Veröffentlichung vorlag,war der Auslöser, daß ich mich etwas mitdiesem Thema beschäftigte. Sie war in ei-ner heutzutage kaum noch gebräuchlichenSchriftart gesetzt, die wir zwar noch in denTexten vieler älterer Bücher in unserenRegalen, sonst jedoch allenfalls auf Urkun-den, Namensschildern einiger Gaststättenoder Titelzeilen einiger Zeitungen finden.Mit „Fraktur“ wird diese Schriftart be-zeichnet, und da ich finde, daß sie nichtnur eine Schrift ist, sondern manche Aus-führungen durchaus als Kunstwerke ihrerUrheber, der Schriftzeichner, Stempel-schneider, Setzer und Drucker gesehenwerden können, sollen ihr hier einige Zei-len gewidmet werden.

Der Ausdruck „Fraktur“ (lateinisch für„Bruch“) besagt, daß die aus dem Alter-tum (Antike) stammenden runden Liniender Buchstaben Brechungen erfuhren. Seitdem 13. bis 15. Jahrhundert wurden inDeutschland, Frankreich, England und denNiederlanden, auch in Spanien und Böh-men alle liturgischen und religiösen Bü-cher in lateinischer Sprache und in goti-scher Schrift geschrieben. Diese hatte sichaus der Unziale und der karolingischenMinuskel entwickelt, deren Regelmäßig-keit und Klarheit des Schriftbildes mit ih-ren rundlichen Buchstaben der romani-schen Stilform entsprach.

Römische Kapitalschrift

Unziale

gotische Buchschrift

Die bisher runden Elemente derBuchstabenformen erfuhren unter demEinfluss des gotischen Stils eckige Strich-zusammensetzungen (Brechungen), teil-weise auch zusätzliche Zierfüßchen und-köpfchen. Diese schmale, enge und feier-liche Schrift war parallel mit der gotischenArchitektur entstanden, und ihrEntstehungsdatum wird mit dem Bau dergotischen Kathedrale Notre-Dame in Pa-ris gleichgesetzt. Von Paris ausgehend ver-

teilten sich die gotische Architektur undSchrift in die benachbarten Länder. Diesehohe, schmale Schrift wurde von Johan-nes Gutenberg als erste Druckschrift desAbendlandes in seiner 42-zeiligen Bibelvon 1455 nachgebildet.

Karolingische Minuskel und Unziale

Bei den Kleinbuchstaben führte die völli-ge Brechung aller Rundungen zu einerverminderten Lesbarkeit und einem Gewe-be oder Gitter ähnlichen Schriftbild, dasdem Buchgotisch mit seinen typischenquadratischen Füßen und Köpfen die Be-zeichnung Textur einbrachte. Diese monu-mental wirkende Schriftform diente vor-nehmlich dem Gottesdienst und der Re-präsentation. Sie trat besonders häufig inMeßbüchern auf.

Buchtextur

Südlich der Alpen war die Textur nie rechtheimisch geworden; die Bezeichnung „go-tisch“ wurde in Italien kritisch wegen deneinst in Norditalien eingefallenen Gotengesehen, die als Barbaren geschmähtwurden. Dagegen setzte sich hier dierundgotische oder Rotunda durch, diedie Ablehnung des gotischen Stilprinzipsdeutlich macht und stärker an den Run-dungen der karolingischen Minuskelfesthält, ohne den rautenähnlichenAbschluß der Buchstabenschäfte obenund unten. Die Rotunda wurde zur vor-herrschenden Schrift des 15. Jahrhun-derts in Italien, Spanien und Portugal.

Rotunda

Auf der Apenninenhalbinsel hatte sichdurch neu entstehende Manufakturen,durch eine größere Arbeitsteilung undden wachsenden Handel mit den An-rainerländern des Mittelmeeres und dentransalpinen Staaten ein reiches undselbstbewußtes Bürgertum entwickelt.Das aus der arabischen Welt importiertetechnische und medizinische Wissenführte zu neuen Erkenntnissen. Im Zugeeiner wissenschaftlichen und künstleri-schen Renaissance erinnerte man sichan die Kunst der Antike, an die klassi-schen Inschriften in der römischenKapitalschrift in den Ruinen der frühenKaiserzeit, zudem fand man beim Ab-schreiben lateinischer Manuskripte dieschöne und gut lesbare karolingischeMinuskel der vorgotischen Periode.

KULTUR

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humanistische Antiqua

Auf der Grundlage jener Minuskel schufman die sogenannte humanistische An-tiqua. Neben dem langen s wird nun auchein Schluß-s verwandt. Neben der hu-manistischen Antiqua entwickelte sicheine schrägliegende Antiqua-Kursive,die zunächst als Verkehrs- und Kanzlei-schrift gepflegt und erst um die Wendevom 15. zum 16. Jahrhundert in den Buch-druck übernommen wurde.

Im Laufe des 16. Jahr-hunderts drang derGebrauch der Antiquain Italien bereits voll-kommen durch, inFrankreich gewann sieseit 1530 mehr undmehr an Einfluß. InEngland konnten sichdie gebrochenenSchriften relativ langebehaupten; im Jahre1612 kam zwar eineenglischsprachige Bi-bel in Antiqua heraus,doch konnten sich bis

ins 18. Jahrhundert die gebrochenenSchriften in juristischen Werken halten.

In Deutschland benutzte man um das Jahr1500 für liturgische Bücher die Textur, fürjuristische Werke in lateinischer Sprachebevorzugte man die Rotunda und bei an-deren wissenschaftlichen Werken in la-teinischer Sprache eine mit gotischen Ru-dimenten behaftete Antiqua, die Gotico-

humanistischen Antiqua entstanden inder Folgezeit die nachkommenden hand-schriftlichen Formen der runden Schriften,die in die sogenannte lateinische Schreib-

schrift mündeten.

Die deutschsprachigen Gebiete sowie diemit diesen kulturell verbundenen skandi-navischen und slawischen Länder bliebenvon dem grundlegenden Wechsel derSchriftform zur Antiqua ausgenommen.Im skandinavischen Raum konnten die ge-brochenen Schriften ihre Vormachtstellunggegenüber der Antiqua bis ins 18. Jahr-hundert behaupten. In den deutschenSprachgebieten wurden die runden Schrif-ten sogar erst im 20. Jahrhundert allein

Die Schwabacher Schrift trat gegen Endedes 15. Jahrhunderts zum ersten Mal inNürnberg auf. Martin Luther, der mit sei-ner Bibelübersetzung zur Entstehung ei-ner einheitlichen deutschen Schriftsprachebeitrug, ließ diese sowie seine übrigenWerke in den Schwabacher Lettern setzen.Sie wurde im ersten Viertel des 16. Jahr-hunderts zur führenden Schrift für deutsch-sprachige Druckwerke. Im Vergleich zurTextur fallen die Formen der Schwabacherrunder aus. Auch fehlen ihr die für die Tex-tur bezeichnenden Rautenfüße.

Ein Beispiel für die beginnende Zwei-schriftigkeit in den deutschen Sprachge-

bieten stellt eine Weltchronikdar, deren deutschsprachigeAusgabe in SchwabacherLettern gedruckt wurde, wäh-rend die lateinische Ausgabebei demselben NürnbergerGroßdrucker in Rotunda er-schien. Eine solche Tren-nung der Schriftarten wurdezu diesem Zeitpunkt jedochweder bewußt vorgenommennoch streng durchgehalten.

Vielmehr orientierte man sich bei der Aus-wahl der Lettern unbefangen an der Spra-che der Vorlage und verband damit zu-nächst noch keine konfessionellen oder na-tionalen Signale. Zu einer Festigung desZustandes der Zweischriftigkeit kam es imweiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts, in-dem sich ab 1500 die Antiqua für lateini-sche Texte durchsetzte und um 1550 dieneu entstandene Fraktur, die Schwaba-cher, als die führende Schrift für deut-sche Texte abgelöste.

KULTUR

Schwabacher Schreibschrift

alte Schwabacher Druckschrift

Karolingische Minuskel

Bastarda

der Nationalsprache,für die deutsche, diefranzösische, die tsche-chische, die englischeund die niederländi-sche Sprache wurdeeine der entsprechen-den regionalen Varian-ten der gotischen

Bastarda eingesetzt - ein Spiegel der Zer-rissenheit auch im Schreibwesen des da-maligen „Heiligen Römischen ReichesDeutscher Nation“ (als Bastarda bezeich-nete man Ausführungen, die sich alsÜbergangsformen zwischen Buchschriftund Handschrift entwickelten). Aus der

Antiqua. Für Texte in führend. Hier bahnte sich schon zwi-schen 1490 und 1525 eine Zwei-schriftigkeit an, indem die Rotunda häu-fig für lateinisches Schrifttum und dieneugeschaffene Schwabacher Schriftverstärkt für deutschsprachige Werke alsDruckletter eingesetzt wurde.

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Luther-Bibel

Fraktur-Schreibschrift

Die Fraktur, die aus der SchwabacherSchrift erwachsen ist, entstand um dieWende vom 15. zum 16. Jahrhundert imdeutschen Sprachraum. In ihrer charakte-ristischen Form trat sie zuerst in dem un-ter der Förderung des Kaisers MaximilianI. von seinem Hofdrucker JohannesSchönsperger geschaffenen Prachtdruckeines Gebetbuches (1512/13) und in demetwas später gedruckten „Theuerdank“ inErscheinung. Zur Ausgestaltung der Frak-turschrift trugen ferner die sogenanntenDürerdrucke aus Nürnberg bei (1522-1527). Die Besonderheit der Fraktur be-steht u. a. in den sogenannten Elefanten-rüsseln, womit man den s-förmigen An-schwung mehrerer Versalien (Großbuch-staben) bezeichnet.Als ein Grund für die Verdrängung derSchwabacher Schrift durch die Frakturkann der raumsparendere und somit

wirtschaftlichereCharakter letzte-rer gelten. Alsweitere Ursa-chen werden diedem Zeitge-schmack eherentsprechendenFormen derFrakturschriftsowie derenAusgewogenheitzwischen Groß-und Kleinbuch-staben, die dersich im 16. Jahr-hundert durch-setzenden Groß-schreibung ent-gegenkomme,genannt. Nicht

Zur Mitte des 16. Jahrhunderts zeichne-te sich eine bewußte Trennung in derAnwendung der beiden Schriftarten - ge-brochener und runder Schriften - nachden Sprachen der Textvorlage ab. Wäh-rend Wolfgang Fugger befand, daß diedeutsche Sprache in lateinischen Buch-staben geschrieben nicht schön aussähe,hatte der humanistische Erasmus vonRotterdam angeordnet, daß alle seineSchriften in Antiqua zu drucken seien.

Die runden Schriften (Antiqua) standenbereits ab dem 16. Jahrhundert für „nichtdeutsche Texte“ und wurden bis ins 20.Jahrhundert hinein für fremdsprachigesSchrifttum sowie für Fremdwörter undfremde Namen in deutschen Texten üb-lich. Im Gegensatz dazu hatten sich diegebrochenen Schriften (Fraktur) um 1600zum typografischen Kennzeichen fürdeutschsprachiges Schrifttum entwik-kelt. Man bediente sich der Bezeichnun-gen „lateinische Schrift“ und „deutscheSchrift“, wobei letzte zunächst nur tech-nische Bedeutung hatte und sich nochnicht auf ein vermeintliches „deutschesWesen“ der Fraktur bezog.

KULTUR

unwesentlich hat ferner zur Verdrängungder Schwabacher die deutsche Bibel-ausgabe des Buchdruckers und Verle-gers Sigmund Feyerabend von 1560 bei-getragen, für die durchgehend die Frak-tur-Schrift verwendet wurde. Die Frak-tur und ihre späteren Abwandlungenstellten von nun an bis ins 20. Jahrhun-dert hinein die meistverwendete gebro-chene Schriftart dar. Als Schreibschriftentwickelte sich in den deutschenSprachgebieten im 16. Jahrhundert diedeutsche Kurrent in ihren verschiedenenAusformungen.

Ausschnitt aus dem Theuerdank Nürnberg 1517

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Einen beträchtlichen An-teil an der Entwicklung zurZweischriftigkeit schreibtman dem konfessionellenGegensatz zwischen Prote-stantismus und Katholizis-mus zu: die Protestantenverbanden mit den gebro-chenen Schriften einUnterscheidungs- undAbgrenzungsmittel (Beispiel: Luthers Bi-belübersetzung). Als weitere Gründe fürdas Vorherrschen der Fraktur werden dieursprüngliche Dominanz der theologi-schen gegenüber den humanistischenSchriften im deutschen Sprachraum ge-sehen, sowie die Vorbildfunktion, dieDürer und Gutenberg hatten,die sich beide der gebroche-nen Schriften bedienten. Man-che Autoren sehen in denkleinräumigen Macht- undHerrschaftsstrukturen, derSchwächung lokaler Kräftedurch die Reformation und dieA u s e i n a n d e r s e t z u n g e nanläßlich des dreißigjährigenKrieges ein Hemmnis gegeneine reichsweite Modernisie-rung der Schrift in Deutsch-land zugunsten der Etablie-rung der Antiqua als alleinigerSchriftform.

Titelblatt aus Dürers „Underweysung“ Nürnberg 1538

Erst nach 1750 bildete sich dieerste größere Bewegung ge-gen die Frakturschrift. Ange-stoßen von einigen Aufklärernund Dichtern verbreitete sichrasch eine Entwicklung, diebewirkte, daß seit der Mittedes 18. Jahrhunderts zuneh-mend deutschsprachige poe-tische Texte neben wissen-schaftlichen Werken in Anti-qua gedruckt wurden. Als Ur-sache hierfür gilt zum einen derEinfluß Friedrichs des Großen,der die französische Typogra-

Ausschnitt aus der 42zeiligen Gutenberg-Bibel, Mainz um 1455 (Textur)

KULTUR

Weimarer Republik-Plakat

phie und somit die rundenSchriften förderte; die Eli-ten im aufgeklärtenDeutschland bevorzugtenfortan diese Schriftart.Zum anderen erhoffte mansich durch die Verwendungder Antiqua eine bessereAufnahme der deutschenLiteratur im Ausland.

Doch entwickelten sich gegen das inter-nationale Argument mehr und mehr emo-tional-nationale Auffassungen, die seitden Befreiungskriegen gegen Napoleonzu einem Rückgang der Antiqua imdeutschsprachigen poetischen Schrift-tum führten, während in der wissen-

schaftlichen Literatur im 19. Jahrhundertdie runden Schriften ihre Vorrangstel-lung ausbauen konnten, gefördert durchdie baldige Verbreitung der aus Amerika im-portierten Schreibmaschine mit Antiqualettern.In den Schulen wurde in der Wilhelmini-schen Zeit vornehmlich die deutscheSchrift als erste Schrift gelehrt. Hier gabes sogar zahlreiche lokale Schriftstile, dieim Schreibunterricht Anwendung fanden.Mit dem Erscheinen des Buches „Dasdeutsche Schriftwesen und die Notwen-digkeit einer Reform” (Friedrich Soennek-ken, 1881) begann ein jahrelanger öffent-licher Streit über praktische, ästhetische,kulturelle und internationale Gesichts-punkte eines Für und Wider die lateini-sche (Antiqua) beziehungsweise deutsche(Fraktur) Schrift. Es bildeten sich Verei-ne, die in diesem Schriftenstreit die Inter-essen der jeweiligen Befürworter vertra-ten. Der „Allgemeine Deutsche Schrift-

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verein” sammelte die Anhänger der deut-schen Schrift, um die Reformbestrebungender Antiquabefürworter bekämpfen zukönnen, die ihrerseits in dem „Verein fürAltschrift“ (Mitbegründer: Friedrich Soen-necken und Konrad Duden) für den aus-schließlichen Gebrauch der Lateinschrifteintraten. Erstere führten immer wieder na-tionalistische und völkische Argumente an,sahen in der Fraktur Bestandteile „deut-schen Volkstums“ und „Ausdruck deut-schen bzw. germanischen Sonderwesens“und verteidigten für Europa „drei Gattun-gen Schrift: die russische für die Slawen,die deutsche für die Germanen, die latei-nische für die Romanen“.

KULTUR

Petitionen der verschiedenen (auch politi-schen) Parteien führten 1911 dazu, daßsich der Deutsche Reichstag in einer lei-denschaftlichen Debatte mit demSchriftenstreit befaßte, in der jedoch nichtsfür die allgemeine Zulassung der Antiquaim amtlichen Verkehr und als erstemSchreibleseunterricht in den Volksschulenentschieden wurde. So blieb es weiterhinbei der Zweischriftigkeit in Deutschland.

Der vor dem Ersten Weltkrieg zu beobach-tende Trend der Zurückdrängung der Frak-tur setzte sich in der Weimarer Republikweiter fort. Gleichzeitig bewirkte die „in-nere Rückkehr der Deutschen zu sichselbst“ nach dem verlorenen Krieg (wiewir sie auch aus der Wandervogel-geschichte kennen) eine Besinnung aufeine spezifisch „deutsche“ Schrift. Der„Bund für deutsche Schrift“, 1918 als Zu-sammenschluß des BuchhändlerischenFrakturbundes, des Schriftbundes deut-scher Hochschullehrer und der Vereini-gung der Freunde deutscher Schrift ge-gründet, verfolgte als übergeordnetes Zieldie Pflege und die Erhaltung der deutschenSchrift und setzte sich zunächst noch un-

ter Duldung der Latein-Schrift für diegrößtmögliche Verwendung „deutscherSchrift“ für „deutsches Wort“ ein.

Bis zu seiner Auflösung im Dritten Reichforderte der Bund parallel zu staatlichenMaßnahmen zur Förderung der gebroche-nen Schriften die Einschriftigkeit zugun-sten der Fraktur. Neben wirtschaftlichenInteressen, die einzelne Mitglieder ausdem Verlags- und Druckereigewerbe ander Stärkung der Fraktur haben mochten,waren es nun offen formulierte nationali-

stische Gründe, mit denen man dieseSchriftform als nationale Identität schaf-fendes Mittel verteidigte und sie in Anpas-sung an die nationalsozialistische Ideolo-gie als „arteigene Schrift“ und „Ausprä-gung deutscher Rasse“ darstellte. Die An-tiqua galt als glatt und fremdländisch.

Nach den Bücherverbrennungen gingdas öffentliche Interesse an der Buch-

und Schriftkunst zurück, undangesichts der Diffamierunghumanistischer Wertvorstel-lungen hielten sich bekannteSchriftkünstler reserviert voreiner Zusammenarbeit mit denneuen Machthabern zurück.

In die Marktlücke sprangenminderrangige Graphiker, die einfallslo-se und etwas brutal anmutende Abwand-lungen der Fraktur schufen. Diese vonKritikern als „Schaftstiefelgrotesk“ be-zeichneten Schriften dominierten fortanauf Plakaten, in Aufrufen, Anschlägenund vielen Namensschildern im begin-nenden „Tausendjährigen Reich“. (Gro-tesk-Schrift = serifenlose Antiqua-blockschrift, wie z.B. Helvetica.)Obwohl es bis 1941 keine gemeinsamenRichtlinien bezüglich der Schriftpolitik in

den SS-Staatsorganen und -Parteiorga-nisationen gab, verhielten sich doch allefrakturfreundlich bzw. Fraktur billigend.Besonders das Reichserziehungs-ministerium und das Reichsinnen-ministerium hatten besondere Maßnahmenzur Förderung der deutschen Schrift ergrif-

fen. Die Nationalsozialistische DeutscheArbeiterpartei (NSDAP) hatte seit ihrerGründung in allen Zeitungen, Flugblät-tern und Büchern die Fraktur als deut-sche Schrift verwendet. Die meisten Aus-gaben von Hitlers Buch „Mein Kampf“waren in Fraktur gesetzt.Das geheime Rundschreiben im Januar1941 vom Stellvertreter des „Führers“Martin Bormann an alle Reichsleiter, Gau-leiter und Verbändeführer kam daher fürdie meisten völlig überraschend: in ihmwird die gotische Schrift nicht mehr als‚deutsche Schrift’ bezeichnet, sondern alsSchrift aus „Schwabacher Judenlettern“.Die in Deutschland ansässigen Juden hät-ten sich bei Einführung des Buchdrucksin den Besitz der Buchdruckereien ge-bracht und so sei es zu der starken Einfüh-rung der Schwabacher Judenlettern ge-kommen. Der „Führer“ hatte entschieden,daß zukünftig die Antiqua-Schrift als ‚Nor-

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Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten dieBesatzungsmächte bei der Erteilung vonLizenzen für neue Zeitungen neben denpolitischen Forderungen einer Zusammen-arbeit mit ihnen auch die Bedingung, daßdie neuen Zeitungen und Zeitschriftennicht in Fraktur gesetzt werden dürften.Den Franzosen, Engländern und Amerika-nern galt damals die Fraktur als Schrift desdeutschen Nationalsozialismus, der end-gültig zerschlagen werden mußte.

Heute gilt das Verbot der Verwendung vonFrakturschriften nicht mehr. Unter Verle-gern und Druckern der vier deutschspra-chigen Staaten fanden sich Liebhaber dergebrochenen Schriften, die Bücher in Frak-tur herausbrachten, und beim Zeitungs-stand auf den Bahnhöfen fällt mir jetzt, wo

KULTUR

s oder Lang-s

Verbünde (Ligaturen)Verbünde sind besonders gestalteteBuchstabenzusammenrückungen; sieverleihen dem Wortbild einen geschlosse-nen Gesamteindruck und sind auch in derlateinischen Schrift bekannt gewesen.Durch die Umstellung auf elektronischeSatzverfahren ist ihr Gebrauch sehr ver-nachlässigt worden.Folgende Verbünde müssen verwendetwerden: c, <, %, ~.Diese werden auch im Sperrsatz nicht auf-gehoben:K ü c e, r a < e l n, B ä % e r, M ü ~ e.

Für einen guten Fraktursatz werden au-ßerdem folgende Wahlverbünde benutzt:{, [, ], }, \, <, @, ^, #, µ.Wörter mit Verbünden:E%e, Buce, Sci{, Ste\e, Muscel,Ka^el, Mu#er, Veµer, Ka~e.

Der bereits erwähnte 1918 gegründete„Bund für deutsche Schrift“ wurde in denNachkriegsjahren neugegründet und trägtseit 1989 den Namen „Bund für deutscheSchrift und Sprache e.V.“. Neben der Pfle-ge und Verbreitung der deutschen Druck-und Schreibschriften setzt sich der BfdSfür die Pflege und den Schutz der deut-schen Sprache ein.Für Freunde der Frakturschriften müßte esschon ein Glücksfall sein, noch eine ent-sprechende Schreibmaschine in einemAntiquitätengeschäft zu finden. Doch steht

Für die detaillierte Planung der Reihenfol-ge der Umstellung im Bereich des Schrift-tums war das Propagandaministerium ver-antwortlich, die nachgeordnete Reichs-presse- und die Reichsschrifttumskammerhatten die Beseitigung der Fraktur im Pres-se- und Buchwesen umzusetzen. DemBund für deutsche Schrift wurde nahe-gelegt, mit seiner Auflösung einem Ver-bot zuvorzukommen.

mal-Schrift’ zu bezeichnen sei und daßnach und nach sämtliche Druckerzeugnis-se auf diese umgestellt werden sollten.Sobald es schulbuchmäßig möglich sei,sollte fortan in den Dorfschulen und Volks-schulen nur mehr die Normal-Schrift ge-lehrt werden. Die Verwendung der Frak-tur durch Behörden wurde verboten. Zei-tungen und Zeitschriften, die bereits Aus-landsverbreitung hatten, mußten auf Nor-mal-Schrift umstellen.

Das Motiv dieser Entscheidung nach Hit-lers erfolgter Besetzung Polens, Frank-reichs, der Niederlande und Belgiens undden geplanten Feldzügen gegen Jugosla-wien, Griechenland und die Sowjetunionerscheint plausibel: die Fraktur behinder-te die Verständigung der Nazis mit derBevölkerung in den besetzten Gebieten;erlassene Gesetze und Befehle könntenu.U. nicht gelesen und somit nicht befolgtwerden.

Straßenschild in Würzburg 2002 Zur Erleichterung des Lese-vorgangs blieben in der

Frakturschrift anstelle des einen Lateini-schen „s“ zwei unterschiedliche Formenerhalten. Die Dudenregeln dazu lassen sichin zwei einfachen Grundsätzen zusammen-fassen:

1.: für lateinisches s steht in der Fraktur-schrift (‚deutsche Schrift’) in der Regel dasLang-s:

sein, stehen, spitz, Häuser, Hast,Kiste, Erbse, Knospe, er sauste, Is-lam, grausig, unsre, Wasser, rissig,Abwecslung, sehen, ansagen, Wespe,Wunsc, Zeugnisse, du gräbst,Wac#ube

2.: nur wenn eine Art Wortschluß vorliegtsteht statt Lang-s ein Schluß-s. Im Einzel-nen erkennt man am Schluß-s:

ich mich mit dem Thema etwas beschäf-tigt habe, auf, daß es etliche deutschspra-chige Tageszeitungen gibt, deren Namenim Titel in einer der vielfältigen Fraktur-schriften gesetzt sind. Ein Verfahren ge-gen die Berliner Verkehrsbetriebe BVG,gegen die ein in der Schweiz lebender Ber-liner, der von den Nazis verfolgt wordenwar, Anzeige erstattet hatte, wurde 1989eingestellt; er hatte gegen die Neuauf-stellung von alten Nazi-Symbolen auf Ber-liner Bahnhöfen wegen Verherrlichung desHitler-Regiems geklagt; Gutachter wiesenvor Gericht auf das Fraktur-Verbot von1941 hin.

Allerdings ist die Schrift noch nicht wie-der so weit rehabilitiert worden, daß Kul-tusminister bereit wären, ihr einen Platzin den Lehrplänen einzuräumen. In mei-ner Grundschulzeit hatten wir ganze zweiDeutschstunden, um etwas von der deut-schen Schrift zu lernen; dies bezog sichjedoch auf die auch als deutsche Schriftbezeichnete Sütterlin-Schreibschrift. Eshatte noch Jahre gebraucht, bis ich Groß-mutters Briefe einigermaßen flüssig lesenkonnte.

Für diejenigen Leser, denen die Fraktur-schrift nicht vertraut ist, möchte ich zumSchluß noch ein paar Anmerkungen anfü-

gen, zu den besonderenBuchstaben und Buchstaben-verbindungen, die wir in derlateinischen Schrift nichtkennen und die interessanteund durchaus nützliche Be-sonderheiten der Frakturausweisen:

2.1.: den Schluß eines Wortes: Hau+, de+,Vater+, Rei+, lie+!;

2.2.: die „Wortfuge“ (das heißt: denSchluß eines sonst selbständigen Teil-wortes; nach dem Schluß des erstenTeils eines Doppelwortesbeginnt einneues, sonst selbständiges Teilwort):Hau+erker, Amt+cef, Arbeit+amt,Geburt+tag, Au+sict, wei+sagen,Hau+segen, da+selbe, Wei+heit, bo+haft,Wac+tube (nicht: Wacstube).

2.3.: die „Nachsilbenfuge“ (das heißt:nach dem Schluß-s kommt eine mit ei-nem Mitlaut beginnende Nachsilbe):Mäu+cen, Wac+tum, le+bar,grau+lic, Reali+mu+, Rei+suppe.

Im Schluß-s besitzt die Frakturschrifteine bedeutende Erfassungshilfe, dieauch für Deutschlernende von Nutzensein kann.Das Schluß-s kann nie am Anfang einesWortes oder einer Silbe stehen.Namen entziehen sich manchmal denRechtschreibregeln: O+kar, O+wald,Zielin+ki, Dre+dner Bank, Dre+den.Wörter mit ss und sss gibt es in der Frak-turschrift nicht.

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Literaturangaben:Hans Jensen: Die Schrift in Vergangenheit undGegenwart; Berlin 1969Gustav Barthel: Konnte Adam schreiben?;Köln 1972Hildegard Korger: Schriften und Schreiben;Leipzig 1975Albert Kapr: Fraktur; Mainz 1993Silvia Hartmann: Fraktur oder Antiqua;Frankfurt a. M. 1998Gerda Delbanco: Kleiner Fraktur-Knigge;Ahlhorn 1998Strubb (Wolfgang Moeller)

KULTUR

Labyrinth von I.C. Hiltensperger, Beginn des 18. Jh., Holzschnitt

PC-Nutzern inzwischen eine Reihe vonSchriften-CDs zur Verfügung, auf deneneinige Varianten der gebrochenen Schrif-ten enthalten sind. Allerdings habe ich dieoben angesprochenen Ligaturen auf derTastatur erst nach geduldigem Probierenherausgefunden.

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KULTUR

Seite aus dem Gebetbuch für Kaiser Maximilian I.Mit Randzeichnungen von Albrecht Dürer,gedruckt von Johann Schönsperger d. Ä., Augsburg 1514,in einer frühen Fraktur

Vergleiche zum Thema auchIDEE und BEWEGUNG Heft Nr. 33, Seiten 36-37:

„Zur Geschichte der deutschen Schrift“ und„Vorteile der deutschen Schrift“ von Dr. Erich Kraft