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TRANSCRIPT
Dokumentation
Forschungspolitischer Dialog Potenziale und Perspektiven vonBioanalytik und In Vitro-Diagnostikin Berlin-Brandenburg
12. September 2007
Magnus-Haus Berlin
Am Kupfergraben 7
10117 Berlin
3
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
4 Programm
Forschungspolitischer DialogPotenziale und Perspektiven von
Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg
5 Editorial
Dr. Günter Peine | BioTOP Berlin-Brandenburg
6 Einführung
Prof. Dr. Rudolf Tauber | Charité – Universitätsmedizin Berlin
Dr. Günter Peine | BioTOP Berlin-Brandenburg
14 „Entwicklung innovativer Diagnostik“
als Handlungsfeld der Masterplanung
für die Hauptstadtregion
Senator Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner | Senatsverwaltung für
Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin
16 Volkswirtschaftliche Relevanz von
In Vitro-Diagnostik in Klinik und Prävention
Dr. Joachim Kartte | Roland Berger Strategy Consultants GmbH
Berlin
18 Internationaler Stand der Forschung, neue
Entwicklungen und Trends in der In Vitro-Diagnostik
Prof. Dr. Pranav Sinha | Institut für Medizinische und Chemische
Labordiagnostik | Landeskrankenhaus Klagenfurt
20 Diskussion: Plenum IBedeutung und
Internationale Entwicklungen
Moderation: Prof. Dr. Rudolf Tauber | Charité – Universitäts-
medizin Berlin
22 Integrated Biomarker-Konzepte –
worauf müssen Unternehmen vorbereitet sein?
Herbert Sucka | B.R.A.H.M.S AG | Hennigsdorf
24 Strategie international agierender
Diagnostika-Hersteller – welche Profile müssen
Kooperationspartner auf regionaler Ebene bieten?
Harald Borrmann | Roche Diagnostics GmbH | Mannheim
26 Anforderungen aus der Klinik und
medizinischer Bedarf
Prof. Dr. Mathias Müller | Kaiser-Franz-Josef-Spital | Wien
28 Potenziale in Wissenschaft und Industrie:
Die Wertschöpfungskette In Vitro-Diagnostik
in Berlin-Brandenburg
Dr. Günter Peine | BioTOP Berlin-Brandenburg
30 Biomarker – Screening und Identifizierung
Dr. Arno Krotzky | metanomics GmbH | Berlin
32 Biochip-basierte Analysesysteme
Dr. Holger Eickhoff | Scienion AG | Berlin
34 Patientennahe Diagnosesysteme –
Point-Of-Care-Diagnostik
Dr. habil. Axel Warsinke | Universität Potsdam
36 Diagnostische und präventive Labormedizin –
neue Konzepte der Organisation und Kooperation
Prof. Dr. Rudolf Tauber | Charité – Universitätsmedizin Berlin
38 Perspektiven für ein „Translationales Zentrum
für Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik
Berlin-Brandenburg“
Prof. Dr. Frank Bier | Fraunhofer-Institut für Biomedizinische
Technik | Potsdam
40 Schwerpunkte und nächste Maßnahmen für
die weitere Entwicklung des Handlungsfeldes
StS Dr. Wolfgang Krüger | Ministerium für Wirtschaft des Landes
Brandenburg
42 Ausblick und zusammenfassende Diskussion
Prof. Dr. Rudolf Tauber | Charité – Universitätsmedizin Berlin
44 Kontakte Referenten
45 Impressum
Inhaltsverzeichnis
4
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
09.00 Begrüßung und Einführung (Dr. Bruno Broich · TSB Technologiestiftung Berlin)
Plenum I: Bedeutung und Internationale Entwicklungen (Moderation: Prof. Dr. Rudolf Tauber)
09.15 Volkswirtschaftliche Relevanz von In Vitro-Diagnostik in Klinik und Prävention (Dr. Joachim Kartte · Roland Berger Strategy Consultants GmbH · Berlin)
09.35 Internationaler Stand der Forschung, neue Entwicklungen und Trends in der In Vitro-Diagnostik (Prof. Dr. Pranav Sinha · Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik · Landeskrankenhaus Klagenfurt)
10.05 Diskussion Plenum I 10.15 Kaffeepause10.45 „Entwicklung innovativer Diagnostik“ als Handlungs feld der Masterplanung für die Hauptstadtregion (Senator Prof. Dr. Jürgen Zöllner · Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung · Berlin)
Plenum II Anforderungen an die Diagnostik-Entwicklung (Moderation: Prof. Dr. Frank Bier)
11.05 Integrated Biomarker-Konzepte - worauf müssen Unternehmen vorbereitet sein? (Herbert Sucka · B·R·A·H·M·S AG · Hennigsdorf)
11.35 StrategieinternationalagierenderDiagnostika-Hersteller–welcheProfilemüssenKooperationspartner auf regionaler Ebene bieten? (Harald Borrmann · Roche Diagnostics GmbH · Mannheim)
12.05 Anforderungen aus der Klinik und medizinischer Bedarf (Prof. Dr. Mathias Müller · Kaiser Franz Josef Spital · Wien)
12.35 Diskussion Plenum II12.45 Mittagspause
Plenum III Standortbestimmung: In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg (Moderation: Prof. Dr. Ulf Göbel)
13.45 Potenziale in Wissenschaft und Industrie: Die Wertschöpfungskette In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg (Dr. Günter Peine · BioTOP Berlin-Brandenburg)
14.00 Biomarker–ScreeningundIdentifizierung(Dr. Arno Krotzky · metanomics GmbH Berlin)
14.15 Biochip-basierte Analysesysteme (Dr. Holger Eickhoff · Scienion AG Berlin)
14.30 Patientennahe Diagnosesysteme – Point-Of-Care-Diagnostik (Dr. habil. Axel Warsinke · Universität Potsdam)
14.45 Diagnostische und präventive Labormedizin – neue Konzepte der Organisation und Kooperation (Prof. Dr. Rudolf Tauber · Charité – Universitätsmedizin Berlin)
15.00 Diskussion Plenum III15.15 Kaffeepause
Plenum IV Zukünftige Entwicklungen in Berlin-Brandenburg (Moderation: Dr. Günter Peine)
15.45 Perspektiven für ein „Translationales Zentrum für Bio analytik und In Vitro-Diagnostik Berlin-Brandenburg“ (Prof. Dr. Frank Bier · Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik · Potsdam)
16.00 Schwerpunkte und nächste Maßnahmen für die weitere Entwicklung des Handlungsfeldes (StS Dr. Wolfgang Krüger · Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg)
16.20 Ausblick und zusammenfassende Diskussion (Prof. Dr. Rudolf Tauber · Charité – Universitätsmedizin Berlin)
16.45 Ende der Veranstaltung
Programm
Forschungspolitischer Dialog Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Editorial
Dr. Günter Peine BioTOP Berlin-Brandenburg
Frühzeitige, spezifische und verlässliche Diagnostik kann einen
erheblichen Beitrag zu Prävention und Therapie von Krank-
heiten leisten und ist daher angesichts der Herausforderun-
gen, vor denen unser Gesundheitssystem steht, kaum zu über-
schätzen.
Berlin-Brandenburg verfügt auf dem Gebiet „Bioanalytik und
In Vitro-Diagnostik“ über eine außerordentlich breit gefächer-
te Expertise in einer Vielzahl sehr leistungsfähiger Firmen und
Forschungseinrichtungen. Mit einer der dichtesten Klinikland-
schaften Deutschlands existiert zusätzlich ein großes Anwen-
derpotenzial.
Die „Entwicklung innovativer Diagnostika“ ist daher ein aus-
gewiesenes Handlungsfeld der technologiepolitischen Master-
planung der beiden Länder. Eine erfolgreiche Umsetzung dieser
Rahmenplanung wird gelingen, wenn Wissenschaft, Wirtschaft
und Politik sich dieser Aufgabe stellen und gemeinsam die
Entwicklung vorantreiben.
Um hier die richtigen Schwerpunkte für die Entwicklung der
Region in den nächsten Jahren zu setzen, haben wir im Rah-
men eines „Forschungspolitischen Dialogs“ sowohl die inter-
nationalen Entwicklungen, als auch die regionalen Potenziale
auf dem Feld der In Vitro-Diagnostik analysiert.
Die Veranstaltung wurde in der gemeinsamen Trägerschaft der
Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung und
der TSB Technologiestiftung Berlin / BioTOP Berlin-Brandenburg
durchgeführt. Sie konzentrierte sich vor allem darauf, wie noch
vorhandene Defizite in der Wertschöpfungskette beseitigt wer-
den können, damit die Anforderungen der klinischen Praxis bei
der Entwicklung marktrelevanter Produkte und Verfahren er-
füllt werden können.
Ein entscheidender Schritt in diese Richtung ist die Etablierung
des „Translationalen Zentrums für Bioanalytik und molekula-
re Diagnostik“. Dies wird die Forschungs- und Entwicklungs-
aktivitäten im Bereich der Tumor- und Herz-Kreislauf-Erkran-
kungen bündeln und hierfür als zentrale Infrastruktur eine
umfassende, höchsten Standards genügende Biobank zur Ver-
fügung stellen.
Die vorliegende Broschüre fasst die Präsentationen und Dis-
kussionsbeiträge des Forschungspolitischen Dialogs zusammen
und ermöglicht Ihnen einen informativen Kurzüberblick über
Themen, Trends und Potenziale der In Vitro-Diagnostik in Ber-
lin-Brandenburg.
Für weitergehende Fragen steht Ihnen BioTOP gerne zur Verfü-
gung.
Dr. Günter Peine
BioTOP Berlin-Brandenburg
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Neben der Medikamentenentwicklung und der regenerativen
Medizin bilden Bioanalytik und die Entwicklung darauf basie-
render diagnostischer Verfahren den dritten großen Bereich der
modernen Biotechnologie.
Die Bioanalytik umfasst dabei alle Methoden, die heute in Bio-
chemie und Molekularbiologie zur Untersuchung von biologisch
aktiven Substanzen angewendet werden. Dabei geht es neben
der Methodenentwicklung in weiten Bereichen um instrumen-
talanalytische Techniken, wie zum Beispiel chromatografische
und elektrophoretische Verfahren sowie insbesondere die Mas-
senspektroskopie.
Die In Vitro-Diagnostik entwickelt diese und weitere Methoden
fort zur Untersuchung von menschlichen Körperflüssigkeiten,
Zellen oder Gewebeteilen, die außerhalb des Körpers durchge-
führt wird, und setzt sie zur Früherkennung und zur Diagnos-
tik von Krankheiten sowie zur Kontrolle des Krankheitsverlaufs
und des Therapieerfolgs ein. Zunehmende Bedeutung gewinnt
die In Vitro-Diagnostik entsprechend dem Wissensfortschritt
bei der Erkennung von Risikofaktoren und damit als Entschei-
dungsgrundlage für die Einleitung präventiver Maßnahmen.
Mit dem Einsatz von In Vitro-Diagnostika sind folgende gene-
relle Zielstellungen verbunden:
der rationale Einsatz von Arzneimitteln und Therapieverfahren,uudie Verkürzung von Krankenhausaufenthalten,uudie Verbesserung von Compliance und Patientenzufrieden-uuheit sowie
eine verbesserte Ökonomie im Gesundheitssystem.uu
Der In Vitro-Diagnostik kommt mit diesen Aufgaben und Zielen
eine zentrale Rolle in der ambulanten und stationären Kran-
kenversorgung sowie in der präventiven Medizin zu (Abb. 1).
Über die quantitative und qualitative Erfassung von diagnos-
tischen Parametern hinaus können mit den Methoden der
modernen Bioanalytik und der In Vitro-Diagnostik auch die
molekularen Grundlagen der Zell- und Gewebefunktionen –
metabolische Prozesse, Signalwege und Regulationsmechanis-
men – lebender Organismen analysiert werden. Vergleichende
Untersuchungen von Patienten und gesunden Probanden und
Untersuchungen tierischer Modelle erworbener und genetisch
bedingter Krankheiten ermöglichen die Aufklärung der Ursa-
chen von Krankheiten und schaffen hierdurch die Grundlagen
für die Entwicklung neuer Methoden der Diagnose und der Be-
handlung von Krankheiten (siehe Abbildung 1).
Forschung und Entwicklung in Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik. Entwicklungstrends – Zukünftige Themen und TechnologienDie Fortschritte der biomedizinischen Grundlagenforschung
und die Entwicklung neuer analytischer Technologien und Me-
thoden haben in den letzten Jahrzehnten zu einer außeror-
dentlichen Leistungssteigerung der In Vitro-Diagnostik in der
klinischen Praxis geführt. Beispiele sind die Entwicklung neu-
er diagnostischer Verfahren mit Hilfe monoklonaler Antikör-
per, die PCR-basierten diagnostischen Verfahren oder die Fort-
schritte in der massenspektrometrischen Analytik. Gleichwohl
fehlen weiterhin in der Praxis der stationären und ambulan-
ten Krankenversorgung wie auch in der präventiven Medizin für
eine Vielzahl von Krankheiten zuverlässige diagnostische Mar-
Einführung
Prof. Dr. Rudolf Tauber | Charité – Universitätsmedizin Berlin Dr. Günter Peine | BioTOP Berlin-Brandenburg
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
ker, welche die sichere und frühzeitige Diagnose einer Krank-
heit ermöglichen. Diese tragen zur Prognoseabschätzung und
zur Kontrolle des Krankheitsverlaufs bzw. zur Therapiekontrolle
bei oder ermöglichen eine Erkennung von Krankheitsrisiken vor
Ausbruch einer Erkrankung und damit deren Prävention.
Die Sequenzierung des humanen Genoms, die Identifizierung
und Charakterisierung der primären und sekundären Genpro-
dukte wie des Proteoms und des Glycoms und die Erforschung
des Metaboloms führen gegenwärtig zur Identifizierung ei-
ner Fülle potenzieller neuer Biomarker in Geweben, Zellen und
Körperflüssigkeiten. Aus diesen Ergebnissen der Grundlagen-
forschung werden neue diagnostische Parameter auf den ver-
schiedenen biologischen Hierarchieebenen zugänglich, welche
die Ableitung neuer diagnostischer Strategien ermöglichen.
Folgenden Gebieten der Diagnostikentwicklung kommt gegen-
wärtig besondere Bedeutung zu:
Genom-basierte DiagnostikuuProteom-basierte DiagnostikuuGlycom-basierte DiagnostikuuMetabolom-basierte Diagnostikuu
Auch der rasche Fortschritt bei der Entwicklung von Methoden
und Technologien eröffnet neue Möglichkeiten für die In Vitro-
Diagnostik. Im Vordergrund stehen gegenwärtig die folgenden
Trends in der Technologieentwicklung:
Patientennahe Diagnosesysteme (Point-Of-Care), SelbsttestsuuBiochip-basierte Analysesysteme („Lab-on-the-chip“)uu3D Protein-Mikroarrays und durchflusszytometrische uuBestimmungen
MassenspektrometrieuuLaborautomationuuWebbasiertes Datenmanagement und drahtlose uuKommunikation
Softwareentwicklung und Parameteralgorithmenuu
Chip- oder Array-Technologien gewinnen zunehmend an Be-
deutung bei der Entwicklung neuer In Vitro-diagnostischer
Ansätze. Sie können für Genexpressionsanalysen und Geno-
typisierungen (Resequencing) wie auch für die Analyse von
Proteinen eingesetzt werden. Es gibt bereits vielversprechende
Ansätze für den Einsatz von Mikroarrays in der Proteinanalytik
und im Bereich der Antikörper-basierten In Vitro-Diagnostik,
so dass davon ausgegangen werden kann, dass die technologi-
sche Revolution der Miniaturisierung und hochparallelen Ver-
arbeitung von biologischen Daten fortschreiten wird.
Die Erweiterung des Spektrums diagnostischer Parameter ins-
besondere der molekulargenetischen Marker in Kombination
mit den Möglichkeiten der gleichzeitigen Erfassung einer Viel-
zahl von Parametern mit Hilfe der Array-Technologien eröffnet
Wege einer individualisierten Diagnostik, die auf die Beson-
derheiten jedes einzelnen Patienten abgestimmt ist. Sie ist von
besonderem Interesse zum einen für die Erfassung von Risiko-
faktoren in der präventiven Medizin, zum anderen als Grund-
lage für die Entwicklung der auf ein Individuum maßgeschnei-
derten Pharmakotherapie.
F&E auf dem Gebiet der Bioanalytik und der In Vitro-Diagnostik
werden auch durch den zunehmenden Bedarf an In Vitro-Dia-
gnostik in der präventiven und kurativen Medizin vorangetrie-
ben. Hierfür sind mehrere Faktoren verantwortlich:
DemografischeEntwicklung.uu Angesichts der demografischen
Entwicklung bei gleichzeitiger Zunahme von Risikofaktoren
wie ungesunde Ernährung treten Krankheitsbilder (z. B.
M. Alzheimer) in den Vordergrund, die bislang nur kleine-
re Bevölkerungsgruppen in höherem Lebensalter betroffen
haben.
Zunehmende Bedeutung der Prävention.uu Mit Hilfe moderner
Diagnostika können zunehmend Risikofaktoren für zahlrei-
che Krankheiten vor ihrem Ausbruch erkannt werden. Durch
geeignete Präventions- und frühzeitige Therapiemaßnahmen
kann der Ausbruch von Krankheiten verhindert oder ihr Ver-
lauf gemildert werden. Gleichzeitig tritt der Wunsch in den
Abbildung 1: Die zentrale Rolle der In Vitro-Diagnostik im Gesundheitswesen
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Anteil an der Diagnosefindung
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Anamnese
Untersuchung
Histologie
Röntgen
Zytologie
Endoskopie
klinisches Labor
Bakteriologie
EKG
Serologie
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Vordergrund, sich durch verbesserte Vorsorge bis ins hohe
Alter fit und leistungsfähig zu halten.
Pathogenese vieler Erkrankungen wird zunehmend ver-uustanden – Kausale bzw. regenerative Therapie für viele Krankheiten wird möglich. Die molekulare Medizin klärt
zunehmend die Ursachen bislang nicht verstandener Krank-
heiten auf. Hieraus ergeben sich neue Ansatzpunkte für die
Therapie bislang nicht behandelbarer Krankheitsbilder. Neue
Medikamentengenerationen eröffnen die kausale bzw. kura-
tive Therapie der Krankheitsursachen.
Personalisierte Medizin.uu Die meisten Krankheiten sind mul-
tifaktoriell. Daher wirken bestimmte Medikamente nur bei
einem Teil der Patienten. Weiterhin ist die therapeutische
Wirksamkeit und das Auftreten von unerwünschten Neben-
wirkungen von genetischen Faktoren abhängig, welche die
Pharmakokinetik und -dynamik beeinflussen (Pharmakoge-
netik). Mit Hilfe der In Vitro-Diagnostik kann das geeignete
Präparat und die für jeden Patienten optimale Dosierung
gefunden und der Therapiefortschritt laufend überwacht
werden.
Kostendruck im Gesundheitswesen.uu Das Gesundheitsbudget
ist begrenzt. Zahlreiche Studien belegen, dass die In Vitro-
Diagnostik durch die mit ihrer Hilfe ermöglichte frühzeitige
Erkennung von Krankheiten und durch die Kontrolle des
Therapieerfolgs zu einer erheblichen Kostensenkung beiträgt.
Weiterhin ist es erforderlich, dass nur Medikamente ein-
gesetzt werden, die bei einem individuellen Patienten mit
hoher Wahrscheinlichkeit zur Heilung oder Linderung führen.
Moderne diagnostische und therapeutische Verfahren liefern
hier einen signifikanten Beitrag zur Kostenreduktion.
Wirtschaftliche BedeutungDer Markt für In Vitro-Diagnostik umfasst im Wesentlichen die
Segmente Point-Of-Care (POC, patientennahe Analysesysteme),
Immunoassays/Molekularbiologie, Hämatologie, Koagula tion,
klinische Chemie und Mikrobiologie (Frost&Sullivan, 2004).
Nach dieser Studie weist der weltweite Markt folgende Merk-
male auf:
Die Segmente Immunologie, klinische Chemie und Blut-uuzucker-Selbsttests machen 67 % des Marktes aus. Die am
schnellsten wachsenden Segmente sind POC und molekular-
biologische Diagnostik von Mikroorganismen.
Die Länder USA, Japan und Deutschland bilden 63 % des uuWeltmarktes, die am schnellsten wachsenden Märkte befin-
den sich in China, Taiwan und Korea.
Automatisierung, Miniaturisierung und Informationsma-uunagement werden zukünftig die wichtigsten Wachstumstrei-
ber sein.
Die Entwicklung „personalisierter Medizin“ und entspre-uuchender Diagnoseverfahren werden den Markt mittelfristig
erreichen.
Für den Weltmarkt prognostizierten Frost&Sullivan ein durch-
schnittliches jährliches Wachstum bis 2010 von 7,1 %, in Eu-
ropa von 7,9 %. Damit wird der Gesamtumsatz 2010 in Euro-
pa etwa 9,8 Mrd. USD betragen (siehe Abbildung 2), wobei die
höchsten Umsätze in der EU durch die Märkte in Deutschland,
Italien und Frankreich generiert werden. Deutschland ist in-
nerhalb der EU der größte Markt.
Der Point-Of-Care-Markt gehört bereits heute zu den bedeu-
tendsten Marktsegmenten und schließt die Bereiche Diabetes,
Koagulation, Fertilität, Hämatologie, Herz/Kreislauf und ande-
re ein. Der Bereich Diabetes bildet den größten Teilmarkt in-
nerhalb des Marktes für POC-Analysen in Europa. Etwa zwei
Drittel des Diabetes-Marktes bilden POC-Diagnosen, das ande-
re Drittel ergibt sich aus zentral durchgeführten Labor analysen.
Frost&Sullivan prognostizieren eine Entwicklung des Gesamt-
marktes Diabetes von derzeit 265 Mio. USD (2004) auf 362 Mio.
USD (2011).
Abbildung 2: Umsatzentwicklung IVD Markt (Europa) | 2000-2010
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Gesamtumsatz IVD MarktDurchschnittliches jährliches Wachstum 2003-2010: 7,9%
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2010200920082007200620052004200320022000
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Gemessen an den (GKV-)Gesamtausgaben von rund 144 Mrd.
Euro in Deutschland im Jahr 2003 umfasste der Einsatz von In
Vitro-Diagnostik in den Laborbereichen der ambulanten Ver-
sorgung sowie im Krankenhausbereich zusammen ein Volumen
von etwa 3,2 Mrd. Euro (siehe Abbildung 3).
Der Gesamtmarkt für Diagnostik in Deutschland (2003:
1,75 Mrd. Euro) wird mit rund einem Drittel des Umsatzes do-
miniert durch den Einsatz von Teststreifen als wichtigem Teil-
bereich der POC-Diagnostik (siehe Abbildung 4).
Die weitere Entwicklung der Märkte wird unter anderem ge-
prägt sein durch Indikationen im Bereich der Demenz- sowie
ernährungsbedingten Erkrankungen, die mit der demografi-
schen Entwicklung und einer ungesunden Lebensweise stärker
in den Vordergrund getreten sind.
Die In Vitro-Diagnostikindustrie besteht weltweit zum größten
Teil aus einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen.
Die Anzahl der Firmen, die weltweit Reagenzien, Diagnostika
und Diagnostikgeräte anbieten, wird hierbei vom Verband der
Diagnostika Industrie (VDGH) auf 400–500 geschätzt. Der Markt
wird jedoch von etwa 6–7 großen Anbietern dominiert, de-
ren Marktanteile am europäischen Gesamtmarkt 2003 sich wie
folgt aufgliedern:
Roche Diagnostics 14 %uuDade Behring 13 %uuAbbott Diagnostics 11 %uuBeckmann Coulter 10 %uuBayer Diagnostics 9 %uuBioMerieux 8 %uuJohnson&Johnson 6 %uuAndere 29 %uu
Der Fokus dieser Großunternehmen liegt dabei auf kompletten
Systemlösungen. Innovative, neue Technologien werden auf-
grund der hohen Kosten und des langen Entwicklungszeitrau-
mes meist nur von diesen großen Unternehmen entwickelt. Um
erfolgreich auf dem Markt bestehen zu können, müssen sich
daher kleine und mittlere Unternehmen meist frühzeitig einen
starken strategischen Produktions- und Vertriebs-Partner suchen.
Einige Nischenanbieter – darunter Bio-Rad Laboratories, Dia-
gnostic Products Corporation, Gen-Probe, Sysmex, TheraSense
und Cytyc – konnten sich in spezifischen Marktsegmenten wie
der Molekulardiagnostik, einigen Subsegmenten der Immun-
diagnostik, Selbsttests sowie den patientennahen Diagnostik-
Produkten am Markt etablieren und weltweit ein hohes Wachs-
tum erzielen (Ernst&Young, 2005).
Potenziale der Region Berlin-BrandenburgDie Biotechnologie in Berlin-Brandenburg hat sich seit Mit-
te der 90er Jahre rasant entwickelt und nimmt nunmehr in
Deutschland wissenschaftlich und wirtschaftlich eine Spitzen-
stellung ein. Die Bioregion ist mit mehr als 12.000 Arbeitsplät-
zen (3.500 bei KMU, 5.000 in der Wissenschaft, 4.000 in der
Pharmaindustrie und bei Dienstleistern) modellhaft für den
Erfolg der Hauptstadtregion im Wettbewerb der Wirtschafts-
regionen, für die Transformation zur wissensbasierten Öko-
nomie und für das Zusammenwachsen der Länder Berlin und
Brandenburg.
Der Bereich Diagnostik ist eines von acht besonders ausge-
wiesenen Handlungsfeldern der gemeinsamen Masterplanung
der Länder Berlin und Brandenburg in den Bereichen Bio-
technologie und Biomedizin. Aufbauend auf der leistungsfä-
higen Grundlagenforschung auf den Gebieten Biomarker und
Targetidentifizierung/-validierung tragen insbesondere die Bio-
analytik, die Strukturbiologie sowie die funktionelle Genom-
forschung zur Entwicklung der In Vitro-Diagnostik bei. Durch
die hochleistungsfähige, international ausstrahlende Univer-
sitätsmedizin ist die medizinische Forschung in der gesamten
Breite von der medizinischen Grundlagenforschung bis zur kli-
nischen Forschung hervorragend vertreten.
Im wissenschaftlichen Bereich verfügen eine Reihe von inter-
national herausragenden universitären und außeruniversitä-
ren Forschungseinrichtungen über ausgewiesene Expertisen bei
der Aufklärung molekularer Grundlagen für das Verständnis der
Abbildung 3: GKV-Ausgaben 2003: 144,5 Mrd. Euro (im Vorjahr 142,3 Mrd. Euro)
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Arzneimittel 24,196 (23,44) +0,25%
Zahnärzte/-ersatz 11,786 (11,492) +2,6%
Heil- und Hilfsmittel 9,257 (9,304) -0,2%
Sonstiges 13,165 (14,062) -6,4%
Verwaltung 8,039 (8,019) +3,0%
Krankengeld 6,968 (7,56) -7,4% davon Laboranteil 1,48 (1,47)
Krankenhaus 46,845 (46,152) +1,8%
davon Laboranteil 1,75 (1,72)
Ärztliche Bandlung 24,276 (22,309) +2,7%
10
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Pathogenese von Krankheiten, der Struktur-Funktionszusam-
menhänge von Biomolekülen, auf dem Gebiet der Technolo-
gieentwicklung sowie in der Entwicklung von praxistauglichen
Diagnostika-Tools. Darüber hinaus bestehen große Erfahrungen
in der Automatisierung, Parallelisierung und Miniaturisierung
und klinischen Erprobung von Analyse-/Diagnoseverfahren.
Forschungsinstitutionen mit Bezug zur Bioanalytik und Dia-
gnostikaforschung sind unter anderem:
Freie Universität BerlinuuHumboldt-Universität zu BerlinuuCharité - Universitätsmedizin BerlinuuTechnische Universität BerlinuuUniversität PotsdamuuMax-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) uuBerlin-Buch
Robert Koch-InstitutuuMax-Planck-Institut für InfektionsbiologieuuDeutsches Rheuma-Forschungszentrum BerlinuuMax-Planck-Institut für Molekulare GenetikuuKonrad-Zuse-Zentrum für InformationstechnikuuDeutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE)uu
sowie zur Technologieentwicklung:
Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technikuu
Die Charité - Universitätsmedizin Berlin nimmt in Forschung
und Entwicklung sowie zusammen mit den Vivantes- und He-
lios-Kliniken in der klinischen Anwendung einen besonderen
Stellenwert ein. F&E sind auf dem Gebiet der In Vitro-Diagnos-
tik in mehreren der CharitéCentren vertreten. Mit dem Charité-
Centrum 5 für diagnostische und präventive Labormedizin be-
sitzt die Charité ein Zentrum, das zusammen mit klinischer
Pharmakologie/Toxikologie (CharitéCentrum 4), mit Humange-
netik (CharitéCentrum 17), mit klinischer Immunologie (Chari-
téCentrum 12) und mit Neurologie (CharitéCentrum 15) das ge-
samte Spektrum der In Vitro-Diagnostik in Lehre, Forschung
und Krankenversorgung vertritt. Flankiert werden diese For-
schungsaktivitäten durch eine Reihe von Sonderforschungs-
bereichen, klinischen Forschergruppen und Forschergrup-
pen, deren Ergebnisse Grundlagen für die Weiterentwicklung
der Bioanalytik wie auch für die Forschung und Entwicklung
auf dem Gebiet der In Vitro-Diagnostik darstellen. Hierzu zäh-
len neben anderen beispielsweise der SFB 449 „Struktur und
Funktion membranständiger Rezeptoren“, der SFB Transregio
19 „Inflammatorische Kardiomyopathie“, der SFB 633 „Induk-
tion und Modulation T-zellvermittelter Immunreaktionen im
Gastrointestinaltrakt“ und der SFB 577 „Molekulare Grundla-
gen klinischer Variabilität monogen bedingter Krankheiten“.
Von großer Bedeutung für den Technologietransfer und die Ko-
operation mit der Wirtschaft sind unter anderem eine Reihe
von Netzwerken (z. B. BioHyTec, Nutrigenomik, Glykostruktur-
fabrik, Proteinstrukturfabrik, RNA-Netzwerk und Präsympto-
matische Tumordiagnostik) sowie weitere Forschungs- bzw.
Forschungs- und Anwendungsverbünde (InnoProfil „Integrier-
te Proteinchips für die Point-Of-Care-Diagnostik”, InnoProfil
„Glycoanalytik und Glycodesign“ und Wachstumskern „BioRe-
sponse“). Erst kürzlich ist es gelungen, mit Unterstützung des
Landes Brandenburg ein mit GA-Mitteln gefördertes Verbund-
Netzwerk im Bereich In Vitro-Diagnostik zu gründen (Diagnos-
tikNet-BB).
Die Region verfügt durch die deutschlandweit in dieser Dich-
te einmalige Kliniklandschaft über ein breitgefächertes Patien-
tenkollektiv (Stadt-/Landbevölkerung, breites Spektrum von
Patienten ausländischer Herkunft), das nahezu alle für die Ent-
wicklung marktrelevanter Diagnostika wichtigen Indikations-
gebiete abdeckt. In der Region Berlin-Brandenburg gibt es
seit Anfang der 90er Jahre Unternehmen, die Dienstleistungen
oder Produkte aus dem Bereich Bioanalytik und In Vitro-Dia-
gnostik anbieten. Die überwiegende Mehrzahl der Unterneh-
men hat sich jedoch erst gegen Ende der 90er Jahre gegründet.
Etwa 50 Biotech-Unternehmen zzgl. weiterer rund 50 Medizin-
technik-Unternehmen gehören derzeit zum Themenfeld. Dazu
zählen Anbieter von bioanalytischen und diagnostischen Test-
systemen, Gerätehersteller und Dienstleister.
Abbildung 4: In Vitro-Diagnostik-Markt Deutschland 2003 nach Produktsegmenten (bezogen auf Reagenzien gesamt)
Gesamtmarkt der Diagnostika-Industrie in Deutschland 2003 = 1,755 Mrd. Euro (+1,7% gegenüber 2002 = 1,725 Mrd. Euro) Qu
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3.2
004
Teststreifen Klinische Chemie 545,0 Mio. Euro +6,1% (513,5)
Klinische Chemie 141,7 Mio. Euro -2,4% (145,2)
Hämatologie 211,5 Mio. Euro +0% (211,5)
Bakteriologie 80,7 Mio. Euro -1,3% (81,8)
Infektiöse Immunologie 161,6 Mio. Euro -1% (163,3)
Immunchemie incl. Genetic Testing 409,6 Mio. Euro -1% (410,5)
Geräte 204,7 Mio. Euro 11,7%
Reagenzien 1,55 Mrd. Euro 88,3%
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Der überwiegende Teil der in der Region entwickelten Testsys-
teme sind PCR-basierte oder immunchemische Nachweisme-
thoden. Beide Technologien gelten inzwischen als Stand der
Technik. Was diese Testsysteme jedoch auszeichnet, sind die
verwendeten Biomarker, auf denen diese Systeme beruhen.
Technologisch anspruchsvoll sind die Ansätze der Epigenomics
AG und der Metanomics GmbH. Beide Unternehmen entwickeln
völlig neue Technologien, bei denen sie über einen beträchtli-
chen Know-how Vorsprung verfügen.
Mit Bayer Schering Pharma, Menarini Diagnostics und der
B.R.A.H.M.S AG befinden sich auch etablierte und internatio-
nal agierende Unternehmen am Standort. Medizingeräte-Her-
steller wie Siemens und Philips sind als wichtige Kooperations-
partner eingebunden.
Abbildung 5 fasst das wirtschaftliche Umfeld sowie auch die
Vielzahl der in der Region vorhandenen Schnittstellen zur bild-
gebenden Diagnostik (In Vivo-Diagnostik) zusammen.
Die Wertschöpfungskette „In Vitro-Diagnostik“ ist in Berlin-
Brandenburg weitgehend geschlossen. Folgende Glieder der
Wertschöpfungskette sind in Berlin-Brandenburg leistungs-
fähig vorhanden und bereits teilweise gut vernetzt (zum Teil
auch in enger Kooperation und Synergien mit In Vivo-Diagnos-
tik-Forschung, vgl. Abbildung 6) :
Grundlagenforschunguu z. B. Genetik, Biochemie, Biophysik,
Physiologie, Informatik, Bioinformatik, Medizin
Klinische Forschunguu Schwerpunkte: Aufklärung der Ursachen
hereditärer und erworbener Krankheiten und der patho-
physiologischen/biochemischen Prozesse in Patienten und
Modellorganismen, Identifizierung und Charakterisierung
von Biomarkern auf der Ebene von Genom, Proteom, Glycom,
Metabolom
Klinisch-angewandte Forschunguu Untersuchung der klini-
schen Wertigkeit von Biomarkern für Diagnose, Prognose und
Prävention
Technologieforschung und Methodenentwicklung ein-uuschließlich BioinformatikKlinische Prüfungenuu neuer Diagnostika, neuer Analysensys-
teme, neuer Informationstechnologien
Klinische Anwendunguu
Ausbaufähige Bereiche der Wertschöpfungskette sind vor al-
lem Produktion und Vertrieb von Diagnostika und Analysen-
systemen sowie die Verfügbarkeit von Biobanken (siehe Abbil-
dung 6).
Das Handlungsfeld „Entwicklung innovativer Diagnostika“ im Rahmen des Masterplans „Biotechnologie und Biomedizin“Im Rahmen des Strategischen Dialogs zwischen Wirtschaft, Wis-
senschaft und Politik wird unter Federführung der Senatsver-
waltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen sowie der TSB
Technologiestiftung Berlin die Kohärente, zwischen dem Berli-
ner Senat, der TSB, der Investitionsbank Berlin, der Berlin Part-
ner GmbH und der IHK Berlin abgestimmte Innovationsstrate-
gie des Landes Berlin weiterentwickelt (Quadriga-Prozess). Auf
der Ebene der beiden Länder wird diese mit dem Landesinno-
vationskonzept des Landes Brandenburg abgestimmt.
Im Rahmen des Quadriga-Prozesses ist der Masterplan „Bio-
technologie und Biomedizin“ entwickelt worden, der Perspek-
tiven, Strategien und Maßnahmen für das gemeinsame Kom-
Abbildung 5: Wertschöpfungskette Molekulare Diagnostik in Berlin-Brandenburg
Grundlagen-forschung
Therapeut.Targets
Biomarker
MDCCharité
MP-MG/IBFMP
FU, HU
BayerSchering
B.R.A.H.M.SEpigenomics
Patho-logie/
keine Stan-dardisierung
Bio-Banken
FhG-IBMTUni Potsdam
MP-MGCharité
B.R.A.H.M.SKMU
In-VitroDiagnostik
In Vivo-Diagnostik
DHZBMDC
(ECRC)
BayerSchering
Tiermodelle
Charité
BayerSchering
Biotech/MedTech
KMU
Kontrast-mittel
PTBOpTecBB
ZIB
MedTech
PhilipsSiemens
Frey GmbH
Geräte/Software
Nat.Ethikrat
TU Berlin
GesellschaftenVW
Bewertung
KKS-CCharité
Vivantes
ParexelHelios
Research C.
klinischePrüfungen f.Diagnostika
klinische Anwendungen
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
petenzfeld formuliert und konkrete Handlungsfelder definiert.
In dieser Hinsicht ist der Masterplan auch Bestandteil der Mas-
terplanung für die Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg.
Das länderübergreifende Aktionszentrum BioTOP Berlin-Bran-
denburg koordiniert die Aktivitäten und Maßnahmen bei der
Umsetzung der Masterplanung zur Entwicklung des Kompe-
tenzfelds Biotechnologie/Biomedizin.
Die strategische Zielsetzung bei der Entwicklung des Hand-
lungsfelds „Entwicklung innovativer Diagnostika“ besteht da-
rin, die Wertschöpfungskette zu optimieren, noch vorhande-
ne Schwächen in der Wertschöpfungskette zu beseitigen, die in
der Region vorhandenen Expertisen u. a. in den Bereichen Ge-
nomforschung, Bioanalytik und molekulare Medizin zu bün-
deln und sie zu nutzen, um systematisch die Entwicklung und
Produktion innovativer Diagnostika voranzutreiben.
Zentrale Maßnahmen sind daher folgende:
Erarbeitung einer „Road Map“ für die Entwicklung innovati-uuver Diagnostika, die die erforderlichen konkreten Zielsetzun-
gen und Schritte beschreibt
Konzeption und Umsetzung eines „Translationalen Zentrums uufür Bioanalytik und molekulare Diagnostik“ unter besonderer
Abbildung 6: Umfeld/Schnittstellen in Berlin-Brandenburg
Integrative BiowissenschaftenPhysiologie
Pharmakologie
ApplicationsTechnologien
PrimärdatenStrukturdaten
Software(Bildverarbeitung,
Data Mining)
KoordinationszentrumKlinische Studien
(KKS)
Imaging Geräte :Optische Verfahren
PTB
Pharma (Kontrastmittel)Medizinische Chemie
RadiochemieMolekularbiologie
in VitroDiagnostischeTechnologienGenom-Daten
Molekulare Marker
Microassay Microarray
Lab-on-Chip
Molekulare Bildgebung Mensch
MRT | Spiral CTPET / CT
Optische Technologien
Mikro-Imaging Systeme Tier(Mikro-PET, Mikro-CT,
Optical Imaging)
Bayer ScheringKMU
ECRCBerlin Heart
BioHyTec | BioProfilInnoRegio Buch
RZPD | PSF | NGFN
Konrad Zuse-Zentrum CROs | Parexel
Philips | SiemensOptec BB
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Berücksichtigung chronischer, alters- und ernährungsbe-
dingter Krankheiten
Unterstüzung der im Bereich In Vitro-Diagnostik tätigen uuUnternehmen beim Markteintritt
Die kürzlich erfolgte Gründung des Berlin-Brandenburgischen
Netzwerks „DiagnostikNet-BB“, das Unternehmen, Forschungs-
einrichtungen und klinische Partner vereinigt, bildet eine aus-
gezeichnete Grundlage dafür, die vorhandenen Expertisen in
den verschiedenen Schwerpunktbereichen der Diagnostika-
Entwicklung zusammenzuführen und frühzeitig die Anwen-
der von In Vitro-Diagnostik in den Forschungs- und Entwick-
lungsprozess einzubeziehen. Damit ist ein wichtiger Schritt
zur Strukturierung des Handlungsfelds vollzogen worden, dem
sich der Forschungspolitische Dialog als nächster Schritt bei der
Umsetzung der Masterplanung anschließt.
Ziele des Forschungspolitischen DialogsDie in gemeinsamer Verantwortung von TSB und Senatswis-
senschaftsverwaltung durchgeführte Veranstaltungsreihe For-
schungspolitischer Dialog ist ein Baustein des Strategischen
Dialogs zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu Hand-
lungs- und Politikfeldern mit besonderer Bedeutung für die
Entwicklung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts.
Eine erfolgreiche Umsetzung dieser innovationspolitischen
Rahmenplanung und der darin verankerten Maßnahmen ist
grundsätzlich nur möglich, wenn Wissenschaft, Wirtschaft und
Politik konzertiert diesen Prozess vorantreiben bzw. unter-
stützen. Senator Prof. Dr. Jürgen Zöllner wird daher das Hand-
lungsfeld in seinen Grundzügen vorstellen.
Auf dieser Grundlage wollen wir im Rahmen des Forschungs-
politischen Dialogs folgende Aspekte analysieren:
Wohin geht die internationale Entwicklung in den nächsten uu5 bis 10 Jahren?
Welche Anforderungen sind an die Entwicklung von markt-uurelevanten Produkten zu stellen?
Über welche Potenziale, Assets und Strukturen verfügt die uuRegion?
Wie kann sich die Region vor diesem Hintergrund in den uunächsten Jahren entwickeln, auch in struktureller Hinsicht?
Die aktive Teilnahme des Staatssekretärs für Wirtschaft des Lan-
des Brandenburg, Dr. Wolfgang Krüger, hebt die gleichermaßen
hohe Bedeutung dieses Themenbereichs für die Life Science-
Industrie beider Länder hervor und bringt gleichzeitig den en-
gen Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Wissenschaft auf
politischer Ebene zum Ausdruck.
Quellen:
Frost & Sullivan (2004): Strategic Analysis of the European In Vitro Diagnostics Market
Ernst & Young (2005): Deutscher Biotechnologie-Report
G. Reger et al. (2007): Szenarioanalyse – Bioanalytik und in vitro Diagnostik in Berlin-
Brandenburg – Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen, Shaker-Verlag, Aachen
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
„Entwicklung innovativer Diagnostik“ als Handlungsfeld der
Masterplanung für die Hauptstadtregion
Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner
Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung
des Landes Berlin
Das Land Berlin sieht den Bereich des Wissenstransfers sowie
der Kooperation zwischen der Wirtschaft und der Wissenschaft
als einen entscheidenden Schwerpunkt in der zukünftigen
Weiterentwicklung der Hauptstadt-Region. Diese Entwicklung
wird für ganz Deutschland von finanzieller und ökonomischer
Bedeutung sein und dem Wohlergehen der Menschen dienen.
Dieser Prozess kann nicht allein von der Politik bewältigt wer-
den und nicht allein von den Wissenschaftlern aus den Univer-
sitäten und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Wir alle müssen erkennen, dass Wissenschaft kein Selbstzweck
ist, sondern zur ökonomischen und persönlichen Weiterent-
wicklung der Gesellschaft die einzig richtige Perspektive ist.
Entscheidend bei diesem Prozess ist die Bereitschaft der Par-
teien, aufeinander zuzugehen. Wenn es zu einem Aufeinan-
der-Zugehen kommt, dann kann die Politik eine moderierende
Rolle übernehmen. Die Berliner Politik will diesen notwendi-
gen Weg nicht nur begleiten, sondern auch unterstützen.
Der Senat von Berlin will in diesem zentralen Bereich der Ge-
sundheitswirtschaft durch Dialog einen entscheidenden Schritt
weiter kommen. Dazu dient auch der Forschungspolitische Di-
alog. Zentrales Ziel dieses Dialogs ist es, die Region Berlin-
Brandenburg zu einem internationalen Kompetenzzentrum in
ausgewählten Technologiefeldern weiter zu entwickeln. Dazu
müssen wir die Leistungsfähigkeit dieses Standorts darstellen
und notwendige Struktur verbessernde Maßnahmen und Leit-
projekte für das Zusammenwirken zwischen Wissenschaft und
Wirtschaft herausarbeiten.
Schwerpunktsetzung und Infrastrukturmaßnahmen haben die
wirtschaftliche Entwicklung zweifelsohne positiv beeinflusst.
Die Region verfügt mit ihren Biotechnologie Parks über das
quantitativ und qualitativ beste Angebot für KMUs in Deutsch-
land. Berlin-Brandenburg verfügt mit mehr als 170 über die
meisten Biotech-Unternehmen in Deutschland mit insgesamt
mehr als 3.000 Arbeitsplätzen. Die Region soll weiter zu einem
weithin sichtbaren Gesundheitsstandort entwickelt werden.
In einem hierfür entwickelten Masterplan für die Entwicklung
weiterer Wachstumspotenziale werden Maßnahmen in ver-
schiedenen Handlungsfeldern vorgesehen, unter anderem die
Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft. Das Kompetenz-
feld Biochemie ist ein maßgeblicher, wenn nicht der entschei-
dende Faktor für die Gesundheitsregion.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Ein erster Erfolg auf diesem Weg ist die Etablierung eines Netz-
werks für Wirkstoff-Forschung, das Wirkstoffsubstanzen für
pharmakologisch relevante Targets identifiziert und durch prä-
klinische und klinische Studien zu pharmazeutischen Wirkstof-
fen qualifizieren soll. Ziel ist es, die Wertschöpfungskette abzu-
bilden und den Übergang von der Wissenschaft in Arzneimittel
zu befördern. Federführend bei dieser Initiative sind die Chari-
té, das FMP und BioTOP, unterstützt von weiteren Forschungs-
einrichtungen und Unternehmen.
Die Wachstumsrate des Forschungsetats wird im nächsten
Haushalt bei mehr als 10 % liegen, was deutlich den Durch-
schnitt des Gesamthaushalts übersteigt. Wenn man die zusätz-
liche Kofinanzierung berücksichtigt, werden damit während
dieser Legislaturperiode in diesen Bereich zusätzlich eine halbe
Milliarde Euro fließen.
Dieses Geld allein wird dennoch nicht reichen. Es wird nur Er-
folge geben, wenn die Wissenschaft sich zu einem stärkeren
Qualitätssprung in der Zusammenarbeit entschließt und wenn
es gelingt, Dialogveranstaltungen wie diese nicht als Einzeler-
eignisse im Raum stehen zu lassen, sondern konkrete Koope-
rationen zu bilden. Es sei mir der Hinweis gestattet, dass man
die Win-Win-Situation auf beiden Seiten innerlich akzeptie-
rend bejahen muss. Die Kooperationen müssen nachfrage-
orientiert von der Wirtschaft gelenkt werden. Dann wird es
auch Erfolge geben.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Volkswirtschaftliche Relevanz von In Vitro-Diagnostik in
Klinik und Prävention
Dr. Joachim Kartte
Roland Berger Strategy Consultants GmbH
Berlin
Wert der DiagnostikWenn man über die volkswirtschaftlichen Potenziale der Bio-
Analytik und der In Vitro-Diagnostik spricht, muss man über
die Potenziale des Gesundheitsmarktes an sich sprechen. Bei-
des ist sehr eng verknüpft.
Gesundheit ist, ebenso wie die Diagnostik, nicht nur Kosten-
faktor. Einerseits können durch Diagnostik und Prävention Kos-
teneinsparungen erzielt werden. Eine aktuelle Studie des In-
stituts für Gesundheitsökonomie und Prävention1 zeigt, dass
durch Prävention eine Kosten einsparung in Höhe von 65 Mrd.
Euro im Jahr 2002 erzielt werden konnte. Zum anderen ist Dia-
gnostik in der Lage, Therapieeffizienz zu kontrollieren.
Diagnostik kann auch zur Lebensverlängerung beitragen. Die
Aus wertung einer großen deutschen gesetzlichen Krankenver-
sicherung hat ergeben, dass sich mit zunehmendem Alter die
Kosten für das letzte Lebensjahr reduzieren. Volkswirtschaft-
lich interessant ist weiterhin die Frage nach den Kosten der Le-
bensverlängerung, aber auch nach dem Nutzen für das Brutto-
inlandsprodukt (BIP). Wer länger arbeitet, kann mehr zum BIP
beitragen, das ist die einfache Grundformel. Und schließlich ist
der Wert der Lebensverlängerung ein eigener, der eine beson-
dere Betrachtung verdient.
Die ChancenGemäß der ökonomischen Zyklen von Kondratieff und Nefi-
odow befinden wir uns im Zeitalter der „Psychosozialen Ge-
sundheit“. Der Sektor „Gesundheit“ kann 12–15 % Anteil am
BIP erreichen.
Von den volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben von 260 Mrd.
Euro für Gesundheit entfielen bereits 2003 etwa 49 Mrd. Euro
auf den zweiten Gesundheitsmarkt. Darunter verstehen wir den
Anteil, der außerhalb der PKV- und GKV-Leistungen selbst – also
aus eigener Tasche – finanziert wird.
1 Henke, Martin: Perspektiven der molekularen Diagnostik für Public Health und die Ge-sundheitswirtschaft (2007)
Davon werden 29 Mrd. Euro in der Statistik für Gesundheits-
ausgaben erfasst, ca. 20 Mrd. Euro entfallen auf weitere Kon-
sumbereiche mit Gesundheitsbezug, insbesondere auf Fitness,
Wellness, Bio-Lebensmittel oder Functional Food.
Man kann davon ausgehen, dass bis 2020 der gesamte Gesund-
heitsmarkt auf ein Markt volumen von 453 Mrd. Euro anwachsen
wird. Der zweite Gesundheitsmarkt wird also eine wesentliche
Säule auf dem Gesamtmarkt sein. Er wächst mit jährlich 6 %, der
Bereich Prävention dabei am stärksten.
Bereits heute ist jeder Erwachsene im Bundesdurchschnitt be-
reit, pro Jahr für 1.100 Euro zusätzlich „Gesundheit einzu-
kaufen“. Von 1.000 Befragten nannten 66 % Vorsorgeun-
tersuchungen als interessantes Feld. Doch noch fehlen die
passenden Angebote, um tatsächlich mehr für Gesundheit aus-
zugeben. Diese Zahl sollte in der Diagnostik als Chance gesehen
werden. Nicht der Anteil von 2,2 % der Diagnostik am GKV-Vo-
lumen ist entscheidend, sondern die genannte Bereitschaft zu
selbst finanzierten Leistungen. Hier muss man über Geschäfts-
modelle nachdenken, die außerhalb der GKV angesiedelt sind.
Segmentierung der Bevölkerung in KonsumgruppenZum Betrachten eines Marktes ist es sinnvoll, diesen in einzel-
ne Konsumentengruppen einzuteilen. Diese Einteilung haben
wir auf dem Gesundheitsmarkt wie folgt vorgenommen
(die Verhaltensweisen, die Werte und die Konsumtypen auf
diesem Markt sind kurz beschrieben):
Typ 1: Die selbstkritischen Interessierten uu kümmern sich um
ihre Gesundheit und geben dafür viel Geld aus.
Typ 2: Die rundum Aktiven uu leben ein ausgewogenes Verhält-
nis von Sport, Wellness und Vorsorge.
Typ 3: Die sorglosen Sportler uu leben sportlich und gesund-
heitsorientiert, ohne allzu viel darüber nachzudenken.
Typ 4: Die traditionellen Minimalisten uu sehen den Arzt als
Garant für ihre Gesundheit.
Typ 5: Die passiven Zauderer uu haben ein schlechtes Gewissen,
tun aber relativ wenig für ihre Gesundheit.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
AusblickDie entscheidenden Fragen lauten:
Wie kann man das vorhandene Nachfragepotenzial erschließen?uuWie kann man die Analytik und Diagnostik in innovative uuVersorgungsstrukturen einbetten?
Den Nukleus eines integrierten Innovationsnetzwerks bilden
die Unikliniken wie die Charité. In der ersten Ausbaustufe steht
die integrierte Versorgung. In deren Netz sind nieder gelassene
Ärzte und andere medizinische Versorgungszentren eingebun-
den, um Qualität und Effizienz zu steigern und natürlich kos-
tengünstiger anbieten zu können.
In der zweiten Ausbaustufe steht eine neue Form der Zusam-
men arbeit mit der Industrie. Gemeinsames Nachdenken mit
den Kliniken über Kooperationen in den Bereichen Forschung,
Entwicklung und Vermarktung ist notwendig. Verschiedene
Fachdisziplinen müssen darüber nachdenken, welche Lösun-
gen eine Uniklinik oder ein ganzes Netzwerk für eine integrier-
te Versorgung benötigt. Für die IT-Branche bedeutet dies zum
Beispiel die Entwicklung einer digitalisierten Uniklinik bzw. ei-
nes Versorgungsnetzwerks. Das Gleiche gilt auch für die Bio-
technologie, Medizintechnik und die Pharmaindustrie.
In einer nächsten Stufe sollten Krankenversicherer eingebun-
den werden. Mit dem Ende der Konvergenzphase und der ab-
nehmenden Bedeutung von Landes-Krankenhausplänen wer-
den die Krankenkassen die Fälle zukünftig verteilen. Das
zwingt die Krankenhäuser bereits heute darüber nachzuden-
ken, wie sich große Krankenversicherungsakteure als strategi-
sche Partner einbinden lassen, damit sie weiterhin an die gro-
ßen Fälle herankommen werden. Dem kommt entgegen, dass
sich die Krankenversicherer derzeit auf den Gesundheitsfonds
ausrichten. Dieser bringt eine größere Preistransparenz mit sich.
Die Versicherten werden „Krankenversicherungs-Hopping“ be-
treiben, wenn sie sehen, dass sie Geld sparen können. Daher
versuchen sich die Krankenkassen bereits jetzt von einander
abzuheben. Eine Möglich keit der Differenzierung ist der Aufbau
solcher Netzwerke. Es gilt, dem Leistungs erbringer bereits heu-
te einen Kooperationsvorschlag zu unterbreiten.
Schließlich gilt es, die Chancen des zweiten Gesundheitsmark-
tes zu erschließen, wie es beispielsweise das Universitätsklini-
kum Hamburg-Eppendorf (UKE) macht. Das dortige Institut für
Männermedizin bietet Manager-Check-ups an. Ferner sollten
weitere Akteure des zweiten Gesundheitsmarktes eingebun-
den werden. Beispiel dafür ist auch die Sporthochschule Köln,
die mit einem Mineralwasserproduzenten ein Gesundheitswas-
ser entwickelt.
Es gibt unendlich viele Ideen und Geschäftsmodelle. In vier bis
fünf Jahren wird jede medizinische Einrichtung einen Koope-
rationspartner haben. Es gilt jetzt, hierfür die richtigen Partner
zu finden, damit man später das Nachfragepotenzial abschöp-
fen kann, das die Bürger aus eigener Tasche zahlen wollen.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Internationaler Stand der Forschung, neue Entwicklungen
und Trends in der In Vitro-Diagnostik
Prof. Dr. Pranav Sinha Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik, Landeskrankenhaus Klagenfurt
Labordiagnostik ist eine leise medizinische Disziplin und Wis-
senschaft, welche selten die Aufmerksamkeit der Medien fin-
det. Die breite Masse der Bevölkerung weiß nicht einmal, dass
es sie gibt. Und doch sind Analysen, wie etwa des Blutes, des
Harnes, anderer Körpersäfte oder Körperzellen, unabding-
bar notwendig. Mit ihnen können exakte Diagnosen im Krank-
heitsfall, für den medizinischen Therapieerfolg sowie Risikoab-
schätzungen bei Gesunden erstellt werden.
Einige Entwicklungen wie die automatisierte Sequenzierung
von Nukleinsäuren, also die Entschlüsselung der Erbinformati-
on, die PCR-Technologie1 sowie Nukleinsäure-Microarrays ha-
ben ihren Eingang in die klinische Diagnostik gefunden und
ermöglichen die Einsparung von Zeit und Kosten. Zudem ist das
gesamte Humangenom erst vor kurzem sequenziert worden,
was einen enormen Fortschritt darstellt. Ehemals langwieri-
ge und komplizierte Prozesse (z. B. die Suche nach genetischen
Markern durch Analyse der „candidate genes“, Linkage-Ana-
lysen, Single Nucleotide Polymorphisms, Mikrosatelliten-Ana-
lysen oder Haplotype-Analysen) können heute vergleichsweise
einfach erreicht werden. So ist z. B. die Diagnostik mono- und
polygener Erkrankungen oder Infektionsdiagnostik ohne mo-
derne PCR-Technologie (z. B. allelspezifische PCR, allelspezifi-
sche primer extension, Oligonucleotid-Ligation) nicht denkbar.
1 PCR; Polymerase Chain Reaktion Verfahren, mit dem verschiedene Abschnitte von Nu-kleinsäuren vervielfältigt werden können.
Proteom-Verfahren (zweidimensionale Elektrophorese in Kom-
bination mit empfindlichen Proteinfärbeverfahren z. B. mit
neuen Fluoreszenzfarbstoffen oder Silberfärbeverfahren, die
mit der Massenspektrometrie kompatibel sind) in Kombina-
tion mit Massenspektrometrie werden in zunehmendem Maß
im klinischen Alltag eingesetzt. Damit ist die Suche nach neu-
en Biomarkern oder krankheitsassoziierten Proteinen wesent-
lich vereinfacht.
Isotope Codes Affinity Tags (ICAT Methode) in Kombination mit
der Massenspektrometrie wird häufig als Ersatz für elektropho-
retische Verfahren eingesetzt.
Bei der ICAT-Technologie müssen die Proteine unterschied-
lich markiert werden. Dies kann über verschiedene Verfahren
durchgeführt werden:
In Vivo-Markierung mit stabilen Isotopen (O16/O18),uuIsotope-Tagging durch chemische Modifikation oderuuIn Vitro-Markierung von Proteinen durch eine enzymatische uuReaktion.
Anschließend werden die Proteine mit Enzymen verdaut, die
Peptide durch Verfahren wie HPLC aufgetrennt und massen-
spektrometrisch analysiert, um Biomarker zu identifizieren, die
mit Erkrankungen assoziiert sein können.
Eine weitere Anwendung in den Proteomics sind Protein-Mic-
roarrays (planare oder 3-dimensionale Microarrays). Die Ober-
fläche der planaren Microarrays oder 3D-Protein-Microarrays
(Polyacrylamid, Agarose oder Nitrocellulose) kann mit Poly-Ly-
sin, Aldehyd- oder Epoxy-Gruppen modifiziert werden, um so-
mit diverse Liganden immobilisieren zu können. Somit können
beispielsweise Antigene, Antikörper, Allergene immobilisiert
werden, um Protein-Protein-Interaktionen untersuchen zu
können. In klinischen Laboratorien ist diese 3D-Technik be-
reits angekommen. Protein Chips (AtheNA, Luminex, Ciphergen,
Randox) und andere Verfahren ermöglichen es, beispielsweise
30 bis 40 Zytokine (Wachstumsfaktoren) in einer einzigen Un-
tersuchung zu entdecken. Die Liste der Einsatzgebiete ist nahe-
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
zu unerschöpflich: Autoimmunerkrankungen, HLA-Typisierung,
Infektionsserologie, pharmazeutische Targets sind nur einige
Beispiele.
Interzelluläre Kommunikation und Signaltransduktion sind
ohne Protein-Kohlenhydrat-Wechselwirkungen nicht möglich.
Durch eine Reihe verschiedener Methoden (Oberflächen-Plas-
monresonanz, Quantum-Dots, Carbohydrate-Chips oder Lectin-
Arrays) können diese Wechselwirkungen untersucht werden.
Die Anwendungen dieser Methoden haben zur Entwicklung
neuer Medikamente (z. B. Acarbose, Tamiflu) geführt. In der
Entwicklung sind antibakterielle Vakzine z. B. gegen Strepto-
coccus pneumoniae oder Bacillus anthracis und seit neuestem
auch gegen Malaria und Leishmaniose.
Krankheitsassoziierte metabolische Veränderungen können mit
einer Kombination von GC-/LC-, CE-MS oder NMR-Spektroskopie
untersucht werden. Wie auch für genomische und proteomi-
sche Verfahren ist die Verfügbarkeit von Datenbanken (z.B. Me-
tabolom-Database) zwingend erforderlich.
Eine Herausforderung in der klinischen Praxis – neben der An-
wendung moderner genomischer, proteomischer, glykomischer
oder metabolomischer Verfahren - ist die schnelle und zuver-
lässige Verarbeitung von Proben unter Berücksichtigung von
Kosten und Patientensicherheit. Dies wird durch immer mehr
modulare Systeme, die ein komplettes Probenmanagement und
-handling erlauben, automatisch durchgeführt. Solche Systeme
ermöglichen es, aus wenigen Mikrolitern Probenmaterial bis zu
180 Einzelmethoden (klinisch-chemische sowie immunchemi-
sche Verfahren) auf einer analytischen Plattform durchzufüh-
ren. Die Antwortzeiten können erheblich reduziert werden und
betragen in vielen Laboratorien nur noch zwischen 45 Minuten
bis zu 2 Stunden.
Von zunehmender Bedeutung ist die „Patientennahe Diag-
nostik“ (Point-Of-Care). Heute ist die patientennahe Diagnos-
tik im Bereich der Anämie, des Diabetes mellitus, der kardialen
Marker (Troponine, natriuretische Peptide), der Hormone und
in vielen anderen Anwendungsbereichen durch die modernen
kleinen Analysesysteme möglich. Wichtig ist hierbei, dass die
Analysenergebnisse der patientennahen Diagnostik mit denen
des Zentrallabors übereinstimmen.
Nur der Vollständigkeit halber seien hier kurz noch eini-
ge Technologien genannt, die zukünftig Labormediziner er-
folgreich in der Diagnostik einsetzen könnten. Dazu zählen
die Radio Frequency ID, die Microfluids oder die Nanotechno-
logie. Zusätzlich muss die Informationstechnologie (neurona-
le Netzwerke, fuzzy logic) in der Labordiagnostik weiterentwi-
ckelt werden.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
In der Diskussion wurde insbesondere der volkswirtschaftliche
und medizinische Nutzen, der aus den vorgestellten Verfahren
und Entwicklungen erwachsen kann, thematisiert. So wurde
nach dem Nutzen für den Gesunden, der sich durch Vorsorge
vor Krankheit schützen möchte, ebenso wie für den Patien-
ten gefragt. Dr. Kartte führte dazu an, dass Krankenkassen ge-
nau überlegten, ob sie bestimmte Diagnoseverfahren in ihren
Leistungskatalog aufnehmen. Die Einführung neuer Verfahren
müsse auch betriebs- und volkswirtschaftlichen Notwendigkei-
ten gerecht werden. Über den wirtschaftlichen Überlegungen
dürfe aber, worauf Prof. Tauber hinwies, das Schicksal des ein-
zelnen Patienten und sein Anspruch auf optimale Behandlung
nicht aus dem Auge verloren werden.
Mehrfach wurde festgestellt, dass die in den Ausführungen von
Prof. Sinha geschilderten Entwicklungen und Verfahren in der
Region Berlin-Brandenburg hervorragend vertreten sind. Prof.
Tauber ergänzte, dass es in Berlin und in Brandenburg in Un-
ternehmen, Universitäten und anderen Forschungseinrichtun-
gen exzellente Beispiele gibt, wie diese Technologien für den
praktischen Einsatz weiter entwickelt werden.
Dazu merkte Dr. Broich an, dass der Forschungspolitische Dia-
log die Aufgabe hat, Kooperationen mit anderen Technologie-
feldern zu initiieren. Dazu gehören die Optik, die Mikrosystem-
technik sowie die Informations- und Kommunikationsstechnik.
Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der In Vitro-Diag-
nostik machen ein Zusammenwirken dieser unterschiedlichen
Technologiefelder erforderlich. Insbesondere müssten IT-Ver-
treter in die künftigen Entwicklungen einbezogen werden, um
sicherzustellen, dass die zu erwartende Fülle an Informationen
adäquat verarbeitet werden kann.
Die Überleitung komplizierter Technologien wie die der Mas-
senspektrometrie in die breite Anwendung in den Routine-
labors sei bereits auf dem Weg. Prof. Sinha nannte dazu
Beispiele insbesondere aus dem Gebiet der Analytik von Medi-
kamenten und ihrer Metabolite.
Zum Thema der volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen rich-
tete Prof. Henke an die forschenden Mediziner abschlie-
ßend die Forderung, die erkannten Hochrisikogruppen und
die Volkskrankheiten, die man glaube, therapieren zu kön-
nen, noch deutlicher darzustellen. Prof. Henke: „Wenn wir da-
bei einen Schritt weiter sind, kann ein Ökonom mit Überlegun-
gen beginnen, … und berechnen, was das Ganze kostet.“ Eine
Studie von Prof. Henke hat ergeben, dass die Betreuung von
Menschen, die gesund älter werden, ein großer Wachstumsfak-
tor ist. Dieses Präventionspotenzial, so Henke weiter, finanziert
den ersten Markt über den zweiten mit. Wenn man verdeut-
lichen könne, was an Lebensqualität geschaffen werden kann,
könnten Volkswirte mit Kosten von Krankheiten rechnen – di-
rekt und indirekt.
Diskussion: Plenum I
Bedeutung und Internationale Entwicklungen
Moderation: Prof. Dr. Rudolf Tauber
Charité – Universitätsmedizin Berlin
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Medizin ist im Vergleich zu anderen Branchen keine Substitu-
tionstechnologie, das heißt, alte Verfahren und Produkte wer-
den durch neue, innovative nicht komplett ersetzt. Dies hat
zur Folge, dass die Methoden- und Produktvielfalt ständig er-
weitert wird, wodurch sich die Komplexität von Handlungsal-
ternativen für die Leistungserbringer ständig erhöht. Das birgt
die Gefahr, dass klinische Prozesse innerhalb eines Systems da-
durch inhomogener und ineffizienter werden.
Labortests auf Basis von Biomarkern liefern dem Arzt schnell
wesentliche Informationen über den aktuellen Zustand des Pa-
tienten, so dass dieser seine medizinischen Entscheidungen
besser fundieren und den Patienten zielgerichteter versorgen
kann. Doch selbst wenn innovative neue Biomarker, die das
Potenzial hätten, bestehende traditionelle Diagnosemetho-
den zu ersetzen, für den Arzt verfügbar sind, führt das tradierte
Anforderungsverhalten von Klinikern oft dazu, dass „Alt“ und
„Neu“ häufig in redundanten Kombinationen nebeneinander
abgefordert werden. Als Konsequenz daraus wird der Anforde-
rungszettel für Laborleistungen immer länger, der insgesamt
betriebene diagnostische Aufwand im Vorfeld einer medizini-
schen Entscheidung steigt. Daher haben es Biomarkerinnova-
tionen zunehmend schwer, Eingang in die Erstattungskataloge
zu finden, da sie systemisch betrachtet für die Finanziers von
Gesundheit in der Regel einen zusätzlichen Mittelbedarf indu-
zieren.
Wieviel (Biomarker-) Information schließlich ein Arzt benötigt,
um eine korrekte medizinische Entscheidung zu treffen, hängt
von seiner individuellen Expertise und seinem Sicherheitsbe-
dürfnis, aber auch ganz entscheidend von den rechtlichen und
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die er in seinem Ge-
sundheitssystem vorfindet, ab. Aus dieser Tatsache erklären
sich die oft drastischen methodischen Unterschiede im ärztli-
chen Vorgehen.
Wie macht man Innovation zum Versorgungs standard?
Der Diagnostikmarkt hat sich in den letzen Jahren stark verändert Derzeit bilden sich zwei gegenläufige Tendenzen im Diagnos-
tikmarkt aus. Die eine ist die Tendenz zur Arrondierung. Reprä-
sentanten dieses Trends streben an, alles, was weitestgehend
mit Diagnose, also Informationsbeschaffung und -auswertung,
zu tun hat, zusammenzufassen. Beispiel hierfür ist die Firma
Siemens, die diesen Weg durch Ankauf von bisher nicht im Un-
ternehmensportfolio befindlichen Labordiagnostik-Firmen be-
schritten hat. Das Ziel scheint hier zu sein, ein Komplettan-
gebot „Diagnostik“ zu schaffen, das als geschlossenes System
den Akteuren einen essentiellen Wettbewerbsvorteil gegenüber
Teilsegmentanbietern ermöglichen soll. Eine andere Markt-
tendenz ist die technologische Anwendungssegmentierung.
Durch Zukauf entsprechender Firmen wird die Bündelung von
Know-how und Marktanteilen im Zusammenhang mit Schnell-
testverfahren, sowohl als Point-Of-Care-Anwendungen im re-
gulierten Gesundheitsmarkt als auch als OTC-Anwendungen im
Consumer-Gesundheitsmarkt angestrebt. Ein Vertreter dieser
Strategievariante ist die Firma Inverness.
Der Integrated Biomarker-AnsatzDer Integrated Biomarker-Ansatz geht davon aus, dass die un-
terschiedlichen Verfahren, welche Informationen als Basis für
medizinische Entscheidungen liefern, bisher nicht ausreichend
als integrierte Verfahren beschrieben und vernetzt sind und die
Zeit von der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die kli-
nische Routine zu lang ist.
Ziel eines internationalen Projektes in der Kardiologie, initi-
iert von der Lorenzini Foundation, Mailand u. a. in Zusammen-
arbeit mit der Charité (Abteilung Prof. Dietz), ist es, alle rele-
vanten Stakeholder der unterschiedlichen Gesundheitssysteme
zu vernetzen. Dadurch soll die Verbesserung des Versorgungs-
standards im Gesundheitswesen beschleunigt werden. Weiter-
hin soll die Integration von innovativen Markern in existieren-
de Diagnosealgorithmen optimiert und die Routine-Community
in der Anwendung der neuen Ansätze qualifiziert werden.
Integrated Biomarker-Konzepte –
worauf müssen Unternehmen vorbereitet sein?
Herbert Sucka
B.R.A.H.M.S AG, Hennigsdorf
23
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Das Integrated Biomarker-Projekt hat im Juni dieses Jahres un-
ter der wissenschaftlichen Koordinierung der Charité in Berlin
ein Symposium durchgeführt, an dem Vertreter unterschied-
licher Organisationen des internationalen Gesundheitswe-
sens teilnahmen. Repräsentiert waren unter anderem Zulas-
sungsbehörden (wie die FDA), wissenschaftlich tätige Kliniker
und Routineanwender, Labormediziner, HMOs, Industrie aus
den Bereichen Pharma, Diagnostik, Medizinprodukte, IT-Tech-
nologie und viele andere aus aller Welt. Die repräsentier-
ten Gruppen und Organisationen stehen mit teils sehr unter-
schiedlichen Aufgaben für das Wohlergehen von Patienten ein,
verfolgen aber trotz dieses gemeinsamen Interesses durch-
aus sehr unterschiedliche Ziele. Diese unterschiedlichen Ziele
in einen gemeinsamen, standardisierten Ansatz und Prozess zu
überführen, stellt die wesentliche Herausforderung des Projek-
tes dar. Dabei ist eine bessere Vernetzung zwischen der Scien-
tific- und Routine-Community im Sinne der Ausbildung ent-
sprechender Qualitätsmanagementsysteme auf Basis gezielter
Qualifikationsprogramme angestrebt. Die bisherigen Guide-
line-Aktivitäten in den diversen Gesundheitssystemen stel-
len in diesem Zusammenhang bisher nur einen ungenügenden
Ansatz dar, da die existierenden Guidelines in der Realität der
klinischen Routine nur unzureichend angewandt werden.
Das internationale Projekt „Intergrated Biomarkers in Cardiolo-
gy“ genießt eine hohe Bedeutung und Wertschätzung. In ihm
ist die Region Berlin-Brandenburg durch die Charité sowie die
Firma B.R.A.H.M.S AG als Mitglied des internationalen Adviso-
ry-Boards repräsentiert.
Herausforderungen für Neugründungen im Bereich diagnostische BiomarkerDie wesentlichen kritischen Erfolgsfaktoren für ein Start-up
Unternehmen sind:
Ausreichendes KapitaluuVernetzte ProzesseuuInternationale NetzwerkeuuKlarer FokusuuAngemessene Zeitpläneuu
Die meisten Neugründungen bleiben im Entwicklungsinteres-
se sowie im akademischen Interesse verhaftet und scheitern an
einer falschen Einschätzung des notwendigen Zeit- und Kapi-
talbedarfs bis zur Marktreife bzw. zur Routineanwendung ih-
res Produktes. Oft fehlen auch die für eine internationale Ver-
marktung notwendigen Netzwerke zu industriellen Partnern,
Zulassungsbehörden und anderen relevanten Repräsentanten
der Gesundheitssysteme.
Unabdingbare Voraussetzung für Neugründungen ist deshalb
ein realitätsnaher Businessplan. Dieser muss auf einem rea-
listischen Kapitalbedarf und Zeitplan basieren, in dem auf ein
Ziel hin fokussiert die zur Ausführung notwendigen Prozesse
im Sinne der Vernetzung interner und externer Abläufe ständig
überprüft und optimiert werden.
Für den Erfolg entscheidend ist die Fähigkeit, den Transfer von
klinischer Leistungsfähigkeit des eigenen Produktes in klini-
schen Anwendernutzen auf Basis von Bedürfnisforschung kor-
rekt vornehmen zu können. Die Technologie ist dabei oft nicht
der wesentliche Faktor. Vielmehr ist eine repräsentative End-
kundennähe anzustreben, welche die Kenntnisse von poten-
ziellen Businesspartnern und deren Strategien voraussetzt. Nur
wer diese Voraussetzungen angemessen berücksichtigt, be-
kommt die Chance vom „Cash-Burner“ zum „Cash-Gainer“ zu
mutieren.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Investitionen eines international agierenden Unternehmens
in Deutschland sind nicht selbstverständlich. Daher muss ein
Standort seine Attraktivität für Investoren beweisen. Kooperati-
onen sind in diesem Zusammenhang teilweise von wesentlich
höherem Wert als Übernahmen.
Roche konzentriert sich auf Diagnostik und TherapieBei uns ist die Biotechnologie für die Entwicklung neuer Tests
oder Wirkstoffe von essentieller Bedeutung. Entwicklungs-
Partner finden wir in Universitäts-Kliniken und auch in priva-
ten Laboratoriumsinstituten. Der medizinische und volkswirt-
schaftliche Nutzen von Laborparametern muss in einem sehr
frühen Projektstadium deutlich und mit Studien belegt werden
(zulassungsrelevant), woraus sich folgende Empfehlungen für
Partnerschaften und Kooperationen ableiten lassen:
Empfehlungen an den Kooperations–Partner (z. B. eine Universitätsklinik)
Die Rolle der Labormedizin muss in einer Universitätsklinik uuklar definiert sein. Dafür braucht es einen Businessplan.
Der Fokus sollte auf Lösungen liegen, welche die zukünftigen uuZiele des Labors in der Uniklinik sichern.
Die Lösungen müssen bestehende Grenzen überwinden uuund die Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen zum Ziel
haben. Vernetzung und Kommunikation in der Klinik und
darüber hinaus sind wichtig.
Chancen der Innovationskraft der Labormedizin sollten im uuklinischen Kontext (medizinischer Nutzen) wahrgenommen
werden, das bedeutet Change Management. Die Akzeptanz,
die in der Wertschöpfung zum Ausdruck kommen muss, dau-
ert in Deutschland teilweise sehr lang.
Zielsetzungen und BewertungskriterienNach Kooperation Suchende sollten einen Businessplan er-
stellen. Wer Marktgrößen und Marktteilnehmer genau analy-
siert, hat einen bedeutenden Vorteil bei seiner Suche. Folgen-
de Punkte sollte dieser Plan enthalten:
Was ist mein genaues, quantifizierbares Ziel?uuWie ist der Markt (Struktur und Größe)?uuWer sind meine Mitbewerber?uuWelche Anforderungen stellen meine Kunden an meine uuInstitution?
Mit wem kann bzw. muss ich kooperieren?uuWelche Gebiete will ich besetzen? (Fokussierung der Leis-uutungsangebote unter wirtschaftlichen und marketingtechni-
schen Gesichtspunkten)
Wie kann ich mich differenzieren, wo ist mein Alleinstel-uulungsmerkmal (Aushängeschild, Attraktivitätsfaktor)?
Wie viel Budget steht zur Verfügung? Über welche Prozesse uumonitore ich die Mittel?
Was sind meine (quantifizierbaren) „Erfolgskriterien“? uuWelche Kriterien definieren ein weiteres „Go“ bzw. den uu
„Step out“?
Strategie international agierender Diagnostika-Hersteller – welche
ProfilemüssenKooperationspartneraufregionalerEbenebieten?
Harald Borrmann
Roche Diagnostics GmbH, Mannheim
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Felder der Zusammenarbeit mit deutschen Universitätsklini-ken sind aus Sicht der Industrie:
Neue Biomarker: uuWeiterentwicklung der personalisierten Medizin ist nur
mit parallelen, integrierten Entwicklungen in der (Labor-)
Diagnostik möglich. Innovationen müssen schnell geschaffen
werden, das geht nur mit Kooperationen, auch international.
Algorithmen: uuDie individualisierte Therapieführung wird effizienter und
ökonomischer durch Entwicklung fundierter diagnostischer
Prozesse. Diagnostische Schemata sind integraler Bestandteil
klinischer Behandlungspfade. Das notwendige IT-Know-
how und das Verknüpfen von Informationen verschiedener
Datenbanken sind gefragt.
Cost-Benefit-Studien: uuGezielte „richtige“ Labordiagnostik führt zu einem ökonomi-
scheren Patientenmanagement. Der diesbezügliche Nutzen
eines Markers muss frühzeitig abgeklärt werden.
Ist Labormedizin ein Kosten- oder ein Wertschöpfungsfaktor für die Universitätsklinik? Wertschöpfung kann nur erreicht werden, wenn Exzellenz vor-
handen ist. Dazu gehören die medizinische Kompetenz und
die zukunftsorientierte Prozessorganisation mit einer bereichs-
übergreifenden Kombination einzelner Kompetenzen. Die Ant-
worten auf die Frage, ob die Labormedizin bei der Patienten-
versorgung zur Kernkompetenz einer Universitätsklinik gehört,
lauten kurzgefasst:
Nein, wenn „nur“ gute Labordiagnostik verlangt ist.uuJa, wenn Labordiagnostik die Universitätsklinik ökonomisch uuin ihrer Kompetenz stärken soll.
Ja, wenn Diagnostik im Rahmen der Forschung als integraler uuBestandteil einer individualisierten Medizin verstanden wird.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Die Labormedizin ist eine an der Patientenversorgung unmit-
telbar beteiligte Disziplin. Der kommende Markt in diesem Be-
reich sind die Point-Of-Care-Anwendungen. Diese sind in der
Patientenversorgung auf dem flachen Land sinnvoll angesie-
delt, wo sie nahe am Patienten eingesetzt werden können.
Partner und Gegner in der LabormedizinDer Labormediziner sollte in den Beziehungskreis Arzt – Patient
mit einbezogen werden, so wie ein Röntgenologe auch. Er lie-
fert nicht nur Bilder an eine Station, sondern übermittelt auch
seine diagnostischen Überlegungen. Dabei setzen Labormedi-
ziner eine Vielzahl von verfügbaren Labortests der Industrie ein,
die in einer steigenden Verfügbarkeit verwendet werden – weit
über 1.000 sind es zur Zeit.
Die Ergebnisse dieser Tests, die bis zu 16.200 Zahlenwerte be-
inhalten, brauchen eine sinnvolle Integration der IT-Wissen-
schaft. Von Hand lassen sich diese Datenmengen nicht mehr
bewältigen. Im Behandlungsprozess sollte sich die Labormedi-
zin in die „Schiene“ Prä-Analytik – Post-Analytik einschließen.
Wenn der Labormediziner rechtzeitig weiß, welches die diag-
nostischen Strategien oder die Patientenfaktoren sind, schließt
man Fehldiagnosen weitgehend aus. Denn das Labor kann
eine falsche Diagnose stellen, wenn es den falschen Test an-
wendet. Es hat keinen Sinn, Tests durchzuführen und Ergeb-
nisse zu übermitteln, ohne hinterher auf den Einfluss von Tests
auf die Medikation der Patienten zu achten. Wir müssen fra-
gen: Hat die Tätigkeit der Labormedizin einen Einfluss auf den
Patienten?
In der Phase der Prä-Analytik sollten gemeinsam mit den Kli-
nikern die
Indikationsstellung für Labortests, uuDiagnostische Strategien – Guidelines,uuEinflussgrößen auf Ergebnisse, Patientenfaktoren und uuProbengewinnung uu
erstellt werden.
Heute wird Stufendiagnostik angeboten. Beispielsweise werden
heute beim Thromboembolismus rund 30 Tests durchgeführt.
In Österreich wurde ein Thrombophilie-Screening eingeführt.
Man fragt in drei Schritten nach der Geschichte des Thrombo-
embolismus. Zunächst fragt der behandelnde Arzt: Gibt es in
der Familie einen Thromboembolismus? Er untersucht den Pa-
tienten klinisch, dann wird ein diagnostischer Global-Gerin-
nungs-Test durchgeführt. Erst wenn man daraus einen Hinweis
gewinnt und in der Familie ein entsprechender Befund vorliegt,
werden die einzelnen Gerinnungsfaktoren getestet. Es wird
nicht alles angewendet, was das Labor kann.
Bevor man einen neuen Test einführt, muss man sich fragen,
welchen Test man dafür einsparen kann. Als wir Troponin ein-
geführt haben, haben wir gegen den Widerstand der Kardio-
logen eine Reihe von Tests wegfallen lassen. Daraus haben wir
gelernt: Man muss die Kliniker über die Benefits der neuen
Tests informieren, man muss sie erziehen. Sonst reiht man ei-
nen neuen Test an den nächsten und führt dann bis zu zehn
Tests durch. Das ist ineffizient. Man muss zunächst betrachten,
ob eine entsprechende technische Plattform existiert. Dann
fragt man nach der diagnostischen Performance. Anschließend
betrachtet man die Kosteneffektivität sowie die klinischen und
organisatorischen Einwirkungen.
Wenn alle diese Betrachtungen positiv ausfallen, soll man die-
sen Test einführen. Man braucht auf jeden Fall klinisch objekti-
ve Studien. Wir bekommen in der Regel Tests angeboten, ohne
den objektiven klinischen Hintergrund. An dieser Stelle müssen
Netzwerke eingreifen. Man braucht Studien, die aussagen, wie
verschiedene Marker aus der Sichtweise der verschiedenen Dis-
ziplinen zu verwerten sind. Kardiologen und Intensivmediziner
müssen über die Einführung eines Markers gemeinsam ent-
scheiden. Dessen Einführung bedeutet unter Umständen, dass
man einigen Abteilungen Kapazitäten, sprich Patienten, ent-
zieht. An diesem Punkt muss die betriebswirtschaftliche Sicht
der Klinikleitung in die Entscheidung ebenfalls einfließen.
Anforderungen aus der Klinik und medizinischer Bedarf
Prof. Dr. Mathias Müller
Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Analytiklabor-ManagementDie Geschwindigkeit bei der Labordiagnose ist kein Problem.
Ergebnisse können innerhalb von 30 bis 60 Minuten vorliegen.
Ein Problem bei der Einführung neuer Tests ist die Vergleich-
barkeit von Laborergebnissen. Ergebnisse der Routine können
von den Referenzwerten der Lehrbücher abweichen. Da jeder
Test eines anderen Anbieters unterschiedliche Referenzwerte
verwendet, kann ein Patient bei einem auftretenden Wert ent-
weder gesund oder krank sein. Das bedeutet, dass die Analytik
harmonisiert werden muss.
Die EU hat verfügt, dass Messergebnisse auf einen gemeinsa-
men Standard gebracht werden müssen. Entweder müssen sich
die Routinemethoden dem Goldenen Standard nähern oder
es muss von Diagnostikherstellern publiziert werden, um wie-
viel die Messergebnisse von diesem Standard abweichen. Die-
se Harmonisierung wird eine bessere Vergleichbarkeit der Rou-
tine ergeben.
Post-AnalytikBei Interpretation und Befunden von Labordaten sollten die
Labormediziner den Ärzten sagen, ob ein Befund kritisch ist
oder nicht. So kann beispielsweise bei einer Probennahme der
Tageszeitpunkt der Blutabnahme eine Veränderung der vor-
handenen Werte bewirken. Daher muss der Labormediziner die
biologische Streuung eines Messwertes berücksichtigen, be-
rechnen und den Kliniker über diese Streuungen informieren.
Die Zukunft: Integration!Ein funktionierendes Gesundheitswesen braucht einen zentra-
len Zugriff auf die Patientendaten für alle Beteiligten, das gilt
nicht nur für die Labordaten. Die Kliniker sollten auf elektroni-
schem Wege eine diagnostische Frage stellen und auf gleichem
Weg das Ergebnis als Antwort zurückerhalten. Bei dieser Orga-
nisationsform nimmt das Labor eine zentrale Position und Ver-
antwortung in der Patientenführung ein.
In Wien wurde Mitte der 90er Jahre ein zentrales System
der elektronischen Patientenakte eingeführt und man er-
wartete dadurch Kostensenkungseffekte. Seither gibt es die
strukturierte Patientenakte mit den Bereichen:
klinische Informationen – ArztbriefuuTherapien – OP-BerichteuuDiagnostik – Befunde uu
Die Perspektiven in der Analytik und DiagnostikDie Zukunft der Analytik wird durch Individualisierung und
neue Technologien geprägt werden. Man wird individuell the-
rapieren können. Die Pharmakogenetik ist eine Zukunftsper-
spektive für das klinische Labor. Wir werden zu einer besse-
ren Kommunikation, zu einer besseren diagnostischen Strategie
kommen und Informationssysteme besser nützen. Laborme-
diziner haben dabei die Aufgabe, die Kliniker auf diese neuen
Perspektiven hinzuweisen.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Die AusgangslageDie In Vitro-Diagnostik ist eines von drei biomedizinisch ori-
entierten Handlungsfeldern der gemeinsamen Berlin-Bran-
denburger Masterplanung. Die Ausgangssituation für die Ent-
wicklung dieses Handlungsfeldes ist hervorragend. Bereits in
den letzten zehn Jahren hat der Bereich Biotechnologie eine
sehr erfolgreiche Entwicklung in der Region erlebt und ist heu-
te ein Kompetenzfeld in der gemeinsamen Technologiepolitik.
Biotechnologie in der Region heißt heute: Konzentration auf
sechs Schwerpunktfelder, die Motor für diese Entwicklung sind.
In diesen Feldern haben sich zwölf Netzwerke etabliert, wel-
che die komplette Wertschöpfungskette der Life Science-Bran-
che in Berlin-Brandenburg abdecken. Heute ist die Region der
führende deutsche Life Science-Standort mit rund 12.000 Be-
schäftigten in Industrie und Wissenschaft.
Potenziale in Wissenschaft und Wirtschaft
Der Bereich ForschungDie Region ist vor allem durch eine leistungsfähige Grundla-
genforschung in der Biomarker- und Target-Identifizierung
und in deren Validierung gekennzeichnet. Darüber hinaus be-
sitzt sie die dichteste Kliniklandschaft Deutschlands, darun-
ter die Charité und Vivantes, aktive Netzwerke und bedeutende
Assets im Bereich der Technologieentwicklung. Allein im Land
Berlin gibt es rund 40 Institute, Klinika etc. und rund 30 KMU,
die hier an verschiedenen Standorten wie Buch oder Mitte,
Dahlem und Adlershof tätig sind. Im Land Brandenburg finden
sich in Potsdam und Hennigsdorf insgesamt 10 Forschungsein-
richtungen und 17 KMU.
Zu den bedeutenden Forschungseinrichtungen gehören die
Universität Potsdam mit einer weltweit anerkannten Biosenso-
rik-Kompetenz, die Max-Planck-Institute in Potsdam und Ber-
lin mit ihren unterschiedlichen Spezifika und das Robert Koch
Institut. Hervorgehoben seien auch das Max-Delbrück-Cent-
rum mit dem HTS Gene Mapping Center sowie das Fraunhofer-
In stitut in Golm und die Charité. Die Charité vertritt mit dem
CharitéCentrum 5 für diagnostische und präventive Laborme-
dizin in Zusammenarbeit mit verschiedenen Klinika und Ins-
tituten in anderen Charité-Centren das gesamte Spektrum der
In Vitro-Diagnostik in Lehre, Forschung und der Krankenver-
sorgung. Das ist das Asset auf der klinischen Seite und das ist
die potenzielle Anwenderseite für zukünftige Netzwerkbildung,
letztlich für jegliche F&E.
Zwei Forschungsverbünde sind relativ jung und entstammen
dem InnoProfile-Programm des BMBF. Hier sind Nachwuchs-
gruppen im Bereich der Point-Of-Care-Diagnostik und im Be-
reich der Glykobiotechnologie etabliert worden.
Der Bereich WirtschaftNeben den Global Playern Bayer-Schering Pharma AG und Ber-
lin-Chemie begründen ca. 50 Biotech-KMU, ergänzt durch 50
weitere Unternehmen aus der Medizintechnik das wirtschaftli-
che Potenzial der Region.
Der inhaltliche Fokus der Unternehmen liegt vor allem auf dem
Bereich der PCR-basierten und immunochemischen Analytik.
Etwa 37 % dieser Unternehmen sind Anbieter von Diagnostika-
Kits, 25 % sind Gerätehersteller, 22 % bieten Dienstleistungen
an und 16 % sind Zulieferer. Einige dieser Unternehmen haben
ein Lead-Potenzial, weil sie international wettbewerbsfähig
und mit besonderer Innovationskraft ausgestattet sind. Dazu
gehören: Epigenomics, spezialisiert auf die Analyse von DNA-
Methylierungsmustern, Metanomics als weltweit führendes Un-
ternehmen in der Identifizierung von metabolischen Markern,
Scienion als Entwickler von Chiptechnologie mit breitem An-
wendungsspektrum sowie die B.R.A.H.M.S AG als Marktführer
in der Schilddrüsendiagnostik.
Die WertschöpfungsketteWesentliche Elemente der Wertschöpfungskette „In Vitro-Dia-
gnostik“ sind die Grundlagenforschung, die klinisch-ange-
wandte Forschung, die Technologieentwicklung sowie der Be-
reich der klinischen Prüfung von Diagnostika im Rahmen von
klinischen Studien bis zur Zulassung der entsprechenden Pro-
dukte. Die Region ist in Wissenschaft und Wirtschaft in den
meisten der genannten Segmente prominent und gut vertreten.
Potenziale in Wissenschaft und Industrie:
Die Wertschöpfungskette In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg
Dr. Günter Peine
BioTOP Berlin-Brandenburg
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Wesentlich für die Durchführung klinischer Studien ist die Ver-
fügbarkeit von geeigneten Biobanken, die die Standards der
bereits bestehenden Asservatensammlungen der Pathologie
deutlich übertreffen. Hier besitzt die Region eindeutig ein De-
fizit.
Die Stärken-Schwächen-Analyse ergibt zusammenfassend folgendes Bild:
Stärken Nahezu geschlossene Wertschöpfungskette uuDie Akteure in den verschiedenen Segmenten sind vorhan-
den. Mit Qualität und Umfang seiner Forschungslandschaft
kann Berlin-Brandenburg international werben.
Außerordentlich hohe Forschungsdichte uuMit einer Vielzahl von Anknüpfungsmöglichkeiten.
Viele leistungsfähige Netzwerke uuDie regionalen Schwerpunkte in der F&E von Unternehmen
treffen in der Regel auch den allgemeinen Technologietrend.
Die Unternehmen forschen und entwickeln nicht im luft-
leeren Raum, sondern nehmen diese Trends auf und sind
leistungsfähig genug, diese zu bedienen.
SchwächenMeistens sehr kleine und zu wenig produzierende Unter-uunehmen
Sehr wenige davon sind international wettbewerbsfähig.
Mangelnder Dialog zwischen den Akteurenuu
Entwickler sprechen mit den Anwendern zu wenig und zu
spät.
Verfügbarkeit von BiobankenuuDie schwierige Erstattungspraxis in Deutschlanduu
hemmt das „In-den-Verkehr-Bringen“ solcher Produkte.
Wie gehen wir mit diesen Schwächen um? Ein Lösungsansatz zur Überwindung der Schwächen ist das seit
dem 1.8.2007 im Aufbau befindliche Netzwerk „Diagnostik-
Net-BB“. Dieses Netzwerk umfasst mittlerweile zwölf Partner
aus der Industrie und drei akademische Partner, darunter die
Charité.
Strategische Ziele des Netzwerks sind: Einbeziehung der klinischen Anwender bereits bei Beginn uuder F&E zur Sicherstellung der Marktrelevanz.
Aufbau einer Biobankplattform entsprechend der notwendi-uugen Standards für die klinische Prüfung von Diagnostika.
Entwicklung von Diagnostika-Systemlösungen. uuAufbau einer gemeinsamen Marketing- und Vertriebsstruktur uuzur besseren Markterschließung.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Biomarker-ScreeningundIdentifizierungMetabolom ist der Begriff für all das, was man unter dem Be-
griff Stoffwechsel kennt. Alles, was im Körper als kleines Mo-
lekül „herumschwimmt“: Aminosäuren, Fettsäuren, Hormone,
also alles, was im Körper wirkt, bezeichnen wir zusammenge-
fasst als das Metabolom. Das sind geschätzt zwischen 50.000
und 100.000 verschiedene Verbindungen, die im Körper jeder-
zeit produziert, aufgenommen und wieder abgebaut werden.
Warum ist das Metabolom so wichtig? Es ist die unterste Ebene
und damit die Sammelebene der Verarbeitung der Information,
die im Genom vorhanden ist, zu einer tatsächlichen Funktion
im Körper. Die Metabolomebene ist ein Indikator für den bio-
logischen Status des Organismus. Metabolomanalysen gibt es
seit rund 500 Jahren. Aber in der Art und Weise, wie man sie
heute betreibt, sind sie sehr neu. Außerdem reflektieren sich
alle Änderungen, die über Lifestyle, Lifestyle-Krankheiten, Me-
dikamente, aber auch das Alter auf den Körper einwirken, auf
der Metabolomebene.
Gene führen grundsätzlich zu einem Enzym. Die Enzyme sind
die Maschinen im Körper und diese produzieren die Metabo-
liten, bauen sie auf oder ab. Wenn man eine Krankheit hat,
kann ein Gen oder ein Protein ausgeschaltet oder beeinflusst
werden. Bestimmte Metaboliten treten nicht mehr auf, wenn
das Enzym nicht mehr funktioniert. Dafür treten andere auf.
Man hat dann eine Multiparameterantwort im Körper. Einige
Sensoren gehen herauf, andere herunter. Wenn man sich dies
für jeden Einfluss vorstellt, für jedes Medikament, jede Krank-
heit usw., dann ergibt das eine unglaubliche Menge an Infor-
mationen, die dort gespeichert ist. Man müsste diese nur ab-
rufen, um zu wissen, wie es um einen Patienten steht.
Wir von Metanomics nehmen Proben von Mensch, Tier oder
Zellkulturen und analysieren sie. Wir haben hierfür etwa 80
Massenspektrometer, mit denen wir etwa 1.000 bis zu 10.000
Analyten in jeder Probe messen. Im Vergleich dazu: Bei her-
kömmlichen Bluttests der Labore erhält man rund 30 oder 40
Parameter. Wir interpretieren bis zu 10.000 aus einem Hun-
dertstel Milliliter. Dann müssen wir diese Daten validieren, d.h.
sicherstellen, dass sie richtig sind.
Das ist nur mit Hilfe von eigenen IT-Systemen möglich. Dann
interpretieren wir das Blutbild, betrachten, welche Stoffwech-
selprodukte sich geändert haben und speisen anschließend die
Ergebnisse in unsere MetaMaps oder MetaMap-Tox, die große
Informationsdatenbank der Metanomics. Wir erzeugen pro Tag
etwa 320.000 Messwerte.
Strategie und VisionAuf der einen Seite haben wir die Metanomics Technologie-
Plattform, auf der anderen Seite bauen wir, indem wir mit
Kliniken international zusammenarbeiten, eine sehr große
Datenbank auf, in der wir Stoffwechselveränderungen in Be-
ziehung bringen - mit Krankheiten und anderen Gesundheits-
parametern wie Stress, Ernährung und mit toxikologischen Be-
funden. Wir wollen in den nächsten Jahren ein persönliches
metabolisches Profil für Menschen erzeugen können. In viel-
leicht fünf oder zehn Jahren sollen Patienten sich dann selber
messen können. Über Chips und Datenbanken kann man ab-
fragen: Wie geht es mir? Auf der anderen Seite wollen wir für
klinische Diagnostik Multiparameter-Daten vorhalten, um sehr
früh Krankheitsverläufe oder auch die Mechanismen von Wirk-
stoffen prüfen zu können.
Zweitens: Wir entwickeln unsere Biomarker-Datenbank. Hier
werden wir in den nächsten Jahren investieren, um solche Da-
tenbanken und Proben zu generieren. Zusammen mit unse-
ren klinischen Partnern arbeiten wir an der Entwicklung lang-
fristiger diagnostischer Lösungen. Wenn man heute zum Arzt
geht, wird eine Blutprobe genommen, man wird untersucht
und dann bekommt man, vor dem Hintergrund dieser Unter-
suchung, eine Diagnose. Der Mediziner weiß heute meistens
nicht, wie der Patient gestern und schon gar nicht, wie er vor
zehn Jahren ausgesehen hat. Daher erhält man lediglich ein
ungenaues - weil auf den jetzigen Zeitpunkt beschränktes -
diagnostisches Ergebnis. Unsere Vision ist, dass wir mit hoch-
auflösender Diagnostik sehr patientennah analysieren, äu-
ßerst schnell die Daten validieren und in einer persönlichen
patientenfokussierten Datenbank zusammenführen, so dass
man longitudinale Entwicklungen multiparametrisch auswer-
ten kann.
Biomarker–ScreeningundIdentifizierung
Dr. Arno Krotzky
metanomics GmbH, Berlin
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Die Metanomics Health arbeitet in der Entwicklung von Stof-
fen oder von neuen Drugs mit Pharmaunternehmen zusam-
men. Dazu ist es erforderlich, die Risiken oder Seiten- und
Langzeiteffekte zu erkennen. Wir haben mehr als 100 Mode of
Actions (MoA) in einer toxikologischen Metabolom-Datenbank
am Tier getestet und metabolische Biomarker in dieser Daten-
bank hinterlegt, die es uns heute erlauben, mit über 95 %iger
Sicherheit unbekannte oder auch bekannte MoAs bekannten
Systemen zuzuordnen und Nebenwirkungen zu erkennen. Mit
MetaMap-Tox können wir beispielsweise ein Mapping von me-
tabolischen Profilen von neuen Verbindungen erstellen. Dies
ermöglicht die Identifikation von Substanzen mit dem gleichen
MoA. Man erkennt damit unabhängige Strukturen. Das heißt,
wir sind mit dieser Datenbank heute in der Lage, Risiken vor-
weg zu nehmen, die sonst möglicherweise über Jahre zunächst
einmal nicht so gut erkennbar wären.
Klinische Anwendungen und Aufbau der DatenbankWir suchen neue diagnostische und prognostische Biomarker in
mehreren Indikationsgebieten: Metabolische Erkrankungen wie
z. B. Diabetes oder Adipositas, Energien-Metabolismus, Herz-
Kreislauferkrankungen, CNS, in der Onkologie und bei Infekti-
onskrankheiten. Bei diesen ist die Charité für uns ein extrem
attraktiver, zuverlässiger und vor allen Dingen hochkompeten-
ter Partner. Wir suchen darüber hinaus auch Biomarker für sol-
che Befunde wie „Alter“. Es wurde beispielsweise lange Zeit
vernachlässigt, dass sich im Klimakterium bei Frauen physio-
logische Prozesse komplett umstellen. Auch physikalischer und
mentaler Stress ist ein wesentliches Thema. Er bildet sich wie
die Ernährungsweise am Hormonspiegel, aber auch in anderen
metabolischen Bereichen ab.
In der Diabeteserkennung können neue, frühzeitige Aussagen
getroffen werden: Der Standardmarker bei Diabetes Typ I und
II ist heute immer noch die Glukose-Messung. Zusammen mit
dem DifE, dem MPI und jetzt auch mit der Charité können wir
früher und besser vorhersagen, welche Patienten oder Proban-
den in Richtung Diabetes „wandern“. Es gibt Metaboliten, also
Stoffwechselpaare, die diese beiden Diabetes-Typen und neue
Diabetes-Gruppen sehr deutlich voneinander trennen.
Wir haben insgesamt 15 Parameter, die es ermöglichen, die Di-
abetiker, die Nicht-Diabetiker und die Risikogruppen sicher zu
unterscheiden. Das geschieht auf der Basis von zehn bis zwölf
Biomarkern.
MetabolischeProfilekönnenStressdifferenzierenEs gibt bis heute kein objektives Klassifizierungssystem für
Stress. Aber wir haben mittlerweile sehr gute Biomarker. Wir
haben das am Beispiel von Ratten in kaltem Wasser getestet
und sind heute in der Lage:
zu unterscheiden zwischen Weibchen und Männchen unter uuStress und
unterschiedliche Stresstypen – mental stress und physical uustress – sehr klar zu trennen und zu klassifizieren.
AussichtenWir sind beim Aufbau dieser Datenbank für Krankheit und
Früherkennung von Krankheit heute noch am Anfang und wer-
den erst in einigen Jahren mit den ersten Produkten auf dem
Markt sein. Sicher ist, dass Metanomics ohne kompetente kli-
nische Partner, ohne Zugang zu qualitativ sehr hochwertigen
Proben und klinischen Beschreibungen es nicht schaffen wird.
Deswegen sind wir besonders glücklich, dass wir in Berlin an-
sässig sind. Die Charité und einige andere Ressourcen stel-
len für uns einen unschätzbaren Wert in der Zusammenarbeit
dar. Aus unserer Erfahrung heraus können wir bestätigen: Es ist
wesentlich einfacher, professionelle Zusammenarbeit in Berlin
und in Deutschland zu organisieren als in den USA. Wenn Ber-
lin-Brandenburg sich als Lead-Region für Diagnostik etablie-
ren will, ist das ein unschätzbarer Vorteil. Wenn alle an einem
Strang ziehen, können die Schwächen der Region überwunden
werden und nicht nur akademische Projekte ins Leben gerufen,
sondern vor allen Dingen die Wertschöpfung gesteigert werden.
32
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Biochip-basierte Analysesysteme
Dr. Holger Eickhoff
Scienion AG, Berlin
Scienion wurde im Jahr 2000 als Biochip-Unternehmung in
Berlin gegründet und hat von Beginn an Biochip-Produkte auf
den Markt gebracht. Allerdings stellte sich relativ bald heraus,
dass sich der Markt anders darstellte, als in den Marktstudien
beschrieben war. Auch aufgrund des seinerzeit einbrechenden
Kapitalmarkts hat das Unternehmen sein Portfolio umgestellt.
Wir entwickelten unsere Liquid Handling Technologien weiter
und brachten 2003 den ersten sciFLEXARRAYER auf den Markt
– ein innovatives Dispensiersystem, mit dem kleinste Flüssig-
keitsmengen hochpräzise dosiert werden können. Mittlerwei-
le ist daraus eine Produktfamilie von vier Modellen entstanden,
die auf unterschiedliche Kundenbedürfnisse ausgerichtet ist.
Rund 85% der Scienion-Produkte – Chips, Hardware und Ser-
vices – gehen in den Export. Seit 2006 hat das Unternehmen
einen zweiten Standort in Dortmund.
Firmen mit D´x oder Plattformtechnologie sind wieder en vogueVor rund fünf Jahren waren Investoren aus dem VC-Bereich an
unseren Technologien nicht interessiert. Diese Einstellung hat
sich mittlerweile grundlegend geändert. Aktive Player wie Ro-
che haben auch Technologie getriebene Firmen mit sehr wenig
Umsatz übernommen. So wurde zum Beispiel NimbleGen Sys-
tems übernommen, die ausschließlich DNA-Chip-Technologie
betreibt. Das ist auch für Investoren ein lukratives Feld.
Warum haben wir in Berlin-Brandenburg von diesem inter-
nationalen Geldfluss nichts abbekommen, obwohl es hier
eine ganze Reihe interessanter Firmen und Aktivitäten in For-
schungseinrichtungen in diesem Umfeld gibt?
ScienionuuMicrodiscoveryuuInvitekuuBioTezuuSignature DiagnosticsuuTibmolbioluuCongenuuInventuuB.R.A.H.M.Suu
ImagenesuuEpigenomicsuuBST BiosensoruuAtlas BiolabsuuMax-Planck-Institut für Molekulare GenetikuuCharité (3 - 12x)uuMax-Planck-Institut für InfektionsbiologieuuFraunhofer-Institut für Biomedizinische TechnikuuAndere Institute der FraunhofergesellschaftuuDeutsches Ressourcenzentrum für GenomforschunguuTechnische Universität BerlinuuFreie Universität BerlinuuTechnische Fachhochschule Wildauuu
Man kann die hier aufgeführten Firmen als „Biochip Inseln“
bezeichnen. Denn eigentlich ist im „Unternehmen Berlin“ die
komplette Wertschöpfungskette vorhanden. Doch gemeinsa-
me Wertschöpfung findet nicht statt, weil die Interfaces fehlen.
Wer in dem Bereich der Biochips erfolgreich sein will, muss
immer in der Lage sein, diese auch zu produzieren – in gro-
ßen Stückzahlen, zu geringen Kosten. Natürlich muss man auch
Marketing und Sales beherrschen.
Bioinformatik ist in diesem Bereich ein zentrales Thema. Gera-
de unter den hier aufgeführten Unternehmen gibt es Firmen,
die über eine ausgezeichnete diagnostische Software verfügen,
wie zum Beispiel Microdiscovery. Das Unternehmen kann ein
Array auslesen und auf Knopfdruck erhält man eine CE-zertifi-
zierte Analyse. Das ist eine zu wenig bekannte Leistung.
Berlin und innovative Diagnostik – Quo vadis
Man muss aus der Vergangenheit lernen Es gibt in Berlin einige Projekte, die richtungsweisend wa-
ren und noch sind. So sind die Proteinstrukturfabrik und die
Nutrigenomforschung international führend, aber der Welt-
markt ging in diesen Feldern an Berlin vorbei. Beide Initiativen
waren relativ stark akademisch ausgerichtet. Man würde gut
daran tun, frühzeitig Marktkontakt zu suchen.
33
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Berlin hat kein Geld, aber viel Innovation und KlinikMan muss Kompetenzen bündeln und eine klare Verteilung
definieren, wer in der Wertschöpfungskette welche Rolle ein-
nehmen kann. Das ist eine ganz wesentliche Hausaufgabe.
Marktsituation und AusblickDer Markt verlangt Geräte zur Produktion von Biosenso-
ren (Cantilever, Durchflusszellen oder Elektroden), Arrays (Glas,
Membranen, Wafer oder Nanotiterplatten) und verschiedenen
Test Strip Formaten (zum Beispiel Schwangerschaftstests).
An Content mangelt es dem Markt offensichtlich nicht. Unser
Unternehmen wird regelmäßig mit Content konfrontiert. Aller-
dings ist dieser selten validiert und an Patienten getestet.
Scienion sieht momentan einen D‘x Biochip Marktfokus in den
Applikationen:
Infektionsdiagnostik (HIV, HCV, HPV, Staphylokokken, ...)uuKomplexe genetische Erkrankungen uu(Krebs, Immundiagnostik)
Allergien auf vielen verschiedenen Plattformen. uuWichtig dabei ist: Die Technologie muss voll skalierbar und
günstig produzierbar sein.
Neben traditioneller D‘x sehen wir im Markt diagnostischen
Bedarf in Feldern wie:
Wellness und Kosmetik („personalized cream“)uuErnährung („personalized food“)uuVeterinärmedizin („anti allergic dogs“, Stammbäume)uuLandwirtschaft (was / wieviel ist „genmodifiziert“?) uu
Berlin hat den richtigen Content und den richtigen Mix, aber
mehr Austausch und Vernetzung zwischen den Playern sind
notwendig, und es muss eine engere Anbindung an klinische
Studien ermöglicht werden. Daher ist das GA Netzwerk „Diag-
nostik“ der erste, richtige Schritt in die richtige Richtung.
Ausgewählte M&A Deals 2007
Company Acquired Acquired By/Merged With Value
Bioenvision (NASDAQ:BIVN) Genzyme (NASDAQ:GENZ) USD 345M (cash)
Biopartners Holdings
(Switzerland)
Biotion S.A. (listed on Warsaw Stock Ex-
change; Poland)USD 78M (stock)
Biosite (NASDAQ:BSTE)Inverness Medical Innovations
(AMEX:IMA)USD 1.69B (cash)
BioVeris (NASDAQ:BIOV) Roche (SWX:RO) USD 600M (cash)
Cholestech (NASDAQ:CTEC) Inverness Medical Innovations (AMEX:IMA) USD 326M (stock)
454 Life Sciences (majority owned sub-
sidiary of CuraGen, (NASDAQ:CRGN)Roche (SWX:RO)
USD 154.9M (cash: USD 140M upfront,
USD 14.9M on exercise of stock options)
NimbleGen Systems Roche (SWX:RO) USD 272.5M (cash)
34
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Point-Of-Care-Diagnostik
Unter Point-Of-Care-Diagnostik versteht man die Untersu-
chung, die am Ort des Patienten oder in dessen Nähe durch-
geführt wird. Deren Ergebnis kann zu möglichen Veränderun-
gen bei der Betreuung des Patienten führen. Ein Test kann am
Krankenhausbett, in der Arztpraxis, der Apotheke oder ganz
einfach zu Hause geschehen, und der Patient kann direkt über
dessen Ergebnis informiert werden.
Was wird in der Point-Of-Care-Diagnostik untersucht? Hämatologie, HämostaseologieuuImmunhämatologie/TransfusionsmedizinuuMikrobiologieuuklinische ChemieuuMolekularbiologieuu
Wer untersucht in der Point-Of-Care-Diagnostik?Medizinisch technisches Personal, das gut ausgebildet uusein muss
PflegekräfteuuArzthelferuuPatienten (im Homecare Bereich)uu
Welche Anforderungen werden an die Point-Of-Care-Systeme gestellt?
Einfache Bedienung - das heißt, die Systeme müssen sehr uueinfach gestaltet sein und dürfen nur wenige Reagenzien
beinhalten
Keine Probenvorbereitung - am besten appliziert man Voll-uublut oder Urin
Geringe oder am besten keine Investitionen uuSchnelligkeituuAnalytische Qualität und ZuverlässigkeituuKeine besonderen Lagerbedingungen uuGeringe Vollkostenuu
Beispiele für POC-Systeme sind vor allem Teststreifen, bei-
spielsweise das Reflotron®Plus Gerät, mit dem man 17 klini-
sche Parameter im Vollblut messen kann. Es liefert innerhalb
von 2-3 Minuten Resultate und ist bequem bedienbar. Ein an-
deres Beispiel ist das CardioDetect System, ein Teststreifen, der
mit goldmarkierten Antikörpern arbeitet. Dieser in Berlin-Buch
entwickelte Test basiert auf dem neuen herzspezifischen Mar-
ker FABP und ermöglicht die Herzinfarktdiagnose bereits 20 Mi-
nuten nach einem eventuell eingetretenen Infarkt.
Eine Alternative zu herkömmlichen Teststreifen sind Biosenso-
ren. Deren Prinzip basiert darauf, dass man eine biologische
Erkennungssubstanz direkt in Verbindung mit einem Trans-
ducer bringt. Diese Systeme ermöglichen eine sehr schnel-
le Messung, sind sehr sensitiv und man kann sie stark minia-
turisieren, wenn man beispielsweise einen elektrochemischen
Transducer einsetzt.
In der Vergangenheit wurden eine ganze Reihe von Labor- und
POC-Analysatoren mit Biosensoren ausgestattet. So zum Bei-
spiel ein POC-Blutzucker-Biosensorgerät der ABT Advanced Bio-
analytical Technology aus Berlin/Radeberg. Mit einem Mehr-
weg-Biosensor können bis zu 1.000 Blutzucker-Analysen
durchgeführt werden. Oder auch das FreeStyle Blutzuckermess-
gerät von Abbott. Hier sind ebenfalls alle Inkubationsstufen auf
einem Teststreifen enthalten, der jedoch nach einer Messung
weggeworfen werden muss. Dieses Gerät arbeitet ebenfalls mit
Vollblut, und es benötigt lediglich ein Blutvolumen von 0,3 µl.
In unserer Arbeitsgruppe wurden in der Vergangenheit eine
ganze Reihe von Biosensoren entwickelt. Ein Beispiel ist ein
elektrochemischer Antikörper-Sensor zur Bestimmung von Hä-
moglobin A1c für die Langzeitdiabeteskontrolle. Mit diesem
Sensor ist es möglich, das Hämoglobin A1c im entsprechenden
Konzentrationsbereich zu bestimmen.
Molekulare Diagnostik
Ein anderer Schwerpunkt im POC-Bereich ist die molekulare Di-
agnostik. Hervorzuheben sind die Infektionskrankheiten (viral,
bakteriell), die molekular detektiert werden müssen und die
Pharmako-Genetik. Hier geht es darum, unterschiedliche Nuk-
leinsäuresequenzen von Patienten zu bestimmen und heraus-
Patientennahe Diagnosesysteme – Point-Of-Care-Diagnostik
Dr. habil. Axel Warsinke
Universität Potsdam
35
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
zufinden, wie Personen auf bestimmte Medikamente reagieren.
Das heißt, es geht darum, zu detektieren, welche Arzneimittel
metabolisierende Enzyme in einer Person vorhanden sind und
welche Ausstattung mit Rezeptoren bzw. mit Transportern vor-
handen ist. Eine gängige Methode dafür ist die Real-Time-PCR,
die im klinischen Labor durchgeführt wird. Dies ist eine sehr
sensitive Methode, mit der man unter fünf Moleküle pro Probe
nachweisen kann, allerdings ist der Zeitbedarf mit 90 Minuten
noch sehr hoch.
Microarrays für die Point-Of-Care-Diagnostik?
Es gibt viele öffentlich geförderte Projekte für Lab-on-Chip-
Systeme und viele Projekte mit dem Ziel der Point-Of-Care-
Diagnostik. Dennoch wird die Probenaufbereitung bisher zu
wenig berücksichtigt, außerdem werden die Produktionsas-
pekte vernachlässigt. Das bedeutet, wenn man ein System für
die POC-Diagnostik entwickelt, muss es auch in der Massen-
produktion herstellbar sein. Wir brauchen allerdings produkti-
onstaugliche Testsysteme mit integrierter Probenaufbereitung.
Diese Chips sollten die folgenden Arbeitschritte integrieren:
Probennahme, uuTransport der Probe, uuAufarbeitung der Probe, uuMessung unduuAuswertung.uu
Ein integrierter Biochip sollte die Mikrofluidik und Reagenzien
aufnehmen sowie einen Biosensor enthalten. Dieser Chip muss
in der Lage sein, die Probe aufzunehmen sowie die Probenauf-
bereitung und die Detektion zu übernehmen.
iPOC-Gruppe an der Universität Potsdam
Das Ziel dieser Forschergruppe ist es, eine Plattformtechnologie
für kleine, kostengünstige und einfach zu bedienende Prote-
inchips zu entwickeln. Dabei wird sich zunächst auf die paral-
lele Bestimmung von einem bis zehn Proteinen aus den Berei-
chen Herz-Kreislauf- und Diabetes-Erkrankungen beschränkt.
Wir achten allerdings schon bei der Entwicklung darauf, dass
wir langfristig mehr Proteine parallel bestimmen können. Inte-
ressant für eine schmerzfreie Blutentnahme wäre es, wenn wir
mit einem Probenvolumen unter 1 µl Blut, Serum oder Atem-
luftkondensat auskommen könnten.
Das System könnte so aussehen: In dem Chip sollen mehre-
re Proteine in Patientenproben parallel bestimmt werden. Bei
diesem Projekt arbeitet die Universität Potsdam mit mehreren
Kooperationspartnern, zum Beispiel mit Prof. Frank Bier vom
Fraunhofer IBMT, der Franz-Volhard-Klinik in Berlin und vier
Firmen aus der Region Berlin-Brandenburg zusammen.
Abschließend sei noch die Einbindung unserer Nachwuchs-
gruppe in das geplante Zentrum für Molekulare Bioanalytik und
Diagnostik erwähnt. Dieses Haus soll von mehreren Säulen ge-
tragen werden. Eine Säule könnte auch unsere Nachwuchs-
gruppe darstellen.
36
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Bedeutung und Trends der In Vitro-DiagnostikDie In Vitro-Diagnostik (IVD) spielt eine zentrale Rolle in der
kurativen und präventiven Medizin. Aufgaben der IVD wer-
den von klinisch-theoretischen Fächern wahrgenommen, wo-
bei das Spektrum von der Pathologie bis zur Laboratoriums-
medizin reicht. Die IVD dient der Erkennung von Krankheiten
einschließlich deren Früherkennung sowie der Kontrolle des
Krankheitsverlaufs und des Therapieerfolgs. Zunehmende Be-
deutung gewinnt die IVD bei der Erkennung von Risikofaktoren
und damit als Entscheidungsgrundlage für die Einleitung prä-
ventiver Maßnahmen. Mit dem Einsatz der IVD sind folgende
generelle Zielstellungen verbunden:
der rationale Einsatz von Arzneimitteln und uuTherapieverfahren
die Verkürzung von Krankenhausaufenthaltenuudie Verbesserung von Compliance und uuPatientenzufriedenheit.
Der Einsatz der IVD ist für die Ökonomie des Gesundheitssys-
tems von hoher Bedeutung. Eine effiziente Diagnostik führt
unter anderem zu verkürzten Liegezeiten bei stationärer Be-
handlung, zu einem rationalen Einsatz von Therapieverfahren
und zur Vermeidung von Komplikationen. Moderne diagnos-
tische Verfahren liefern einen signifikanten Beitrag zur Steige-
rung der Effizienz im Gesundheitssystem und zur Kostenreduk-
tion.
Der Bedarf an Diagnostik nimmt zu. Hierzu tragen vier Fakto-
ren bei:
1. Die Aufklärung der molekularen Pathogenese von Erkran-
kungen, aber auch die Aufklärung der genetischen Grund-
lage von Infektionserregern. Hieraus ergeben sich neue
Biomarker und neue Nachweisverfahren und damit neue
Möglichkeiten der Diagnostik und der Prävention.
2. Die personalisierte Medizin. Die Pathogenese und der Ver-
lauf von Erkrankungen werden durch individuelle Kom-
ponenten bestimmt. Auch die Medikamentenwirkung ist
individuell unterschiedlich. Die neuen methodischen und
technologischen Entwicklungen eröffnen weitere Möglichkei-
ten einer individualisierten Diagnostik und Therapie.
3. Die demografischeEntwicklung führt zu einer Zunahme von
Erkrankungen, die es früher nicht gab, da wir nicht alt ge-
nug wurden, um daran zu erkranken. Ein Beispiel ist Morbus
Alzheimer. Es wird notwendig sein, für diese Erkrankungen
neue diagnostische Parameter anzubieten.
4. Der Kostendruck im Gesundheitssystem sorgt selbst für eine
Intensivierung der Diagnostik. Kürzere Liegezeiten setzen
eine effizientere Diagnostik voraus. Das bedeutet nicht un-
bedingt einen Zuwachs von einzelnen Analysen. Auch eine
besser koordinierte und schnellere Durchführung von Unter-
suchungen trägt zur Effizienzsteigerung bei.
In den zurückliegenden Jahren ist die Entwicklung der IVD un-
ter anderem durch eine höhere Spezialisierung gekennzeich-
net. Diese höhere Spezialisierung bietet häufig den Vorteil ei-
ner hohen Fachkompetenz auf Spezialgebieten, führt jedoch
zu einer Zersplitterung der Fächer. Diese Entwicklung läuft der
notwendigen Ausarbeitung und Anwendung diagnostischer
Pfade und der unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten gebo-
tenen Effizienzsteigerung entgegen. Es besteht somit die Not-
wendigkeit, fächerübergreifende Konzepte in der Diagnostik zu
erarbeiten. Ausgangspunkt hierfür ist eine Analyse der Stärken und Schwächen der bestehenden traditionellen Strukturen,
die dadurch gekennzeichnet sind, dass die meisten universi-
tären Einrichtungen heute fachbezogen und getrennt arbeiten.
Bei dieser Struktur sind die Fächer der IVD in Form unabhän-
giger Institute oder wissenschaftlicher Einrichtungen organi-
siert, die in Forschung, Lehre und Krankenversorgung getrennt
arbeiten. Diese Organisationsform hat die Vorteile einer ho-
hen dezentralen Autonomie, insbesondere die hohe Flexibilität
kleiner Organisationseinheiten und eine einfache Workflow-
Optimierung. Schwächen dieser traditionellen Strukturen sind
die begrenzte Interdisziplinarität und die schwierige Prozess-
optimierung und betriebswirtschaftliche Optimierung in ei-
nem Krankenhaus oder einem Klinikum. Die Einrichtung diag-
nostischer Pfade, die fächerübergreifend angelegt sein müssen,
stößt an die Grenzen der Fächer.
Diagnostische und präventive Labormedizin –
neue Konzepte der Organisation und Kooperation
Prof. Dr. Rudolf Tauber
Charité – Universitätsmedizin Berlin
37
Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Insbesondere große Klinika haben zersplitterte Angebote sowie
eine uneinheitliche Logistik.
Dieses Ergebnis der Stärken-Schwächen-Analyse führte zur Su-
che nach Strukturalternativen, wobei vor allem zwei Struktur-
alternativen herausgearbeitet wurden: Erstens das Modell, bei
dem Institute der IVD unter dem Dach eines Zentrums mit einer
übergeordneten Zentrumsleitung zusammengeführt werden,
das Modell, das an der Charité verwirklicht wurde. Zweitens
das Modell, bei dem die Institute unter weitgehender Aufga-
be ihrer Eigenständigkeit in einem Department zusammenge-
fasst werden, das von einer Chairperson mit sehr weit reichen-
den Durchgriffsrechten geleitet wird. Der traditionellen Struktur
ist eine starke Autonomie um den Preis der Zersplitterung ei-
gen, der Departmentstruktur die Möglichkeiten der Prozessop-
timierung und der Effizienzsteigerung. Wie wurde dieses Span-
nungsfeld in der Charité gelöst?
Im Zuge der Bildung von 17 CharitéCentren, in denen die Klini-
ken und Institute der Charité zusammengefasst wurden, wur-
den die Fächer Virologie, Pathologie, Laboratoriumsmedizin,
Hygiene, Rechtsmedizin, Mikrobiologie und ein interdiszipli-
näres endokrinologische Speziallabor unter das Dach des Cha-
ritéCentrums für diagnostische und präventive Labormedizin
geführt. Zwei Fächer mit Aufgaben in der IVD, die klinische Im-
munologie und die Humangenetik, die anderen CharitéCentren
zugeordnet wurden, sollen durch eine gemeinsame Logistik mit
dem CharitéCentrum für diagnostische und präventive Labor-
medizin eng zusammenarbeiten. Analog allen CharitéCentren
besitzt das CharitéCentrum für diagnostische und präventive
Labormedizin eine übergeordnete Centrumsleitung aus einem
ärztlichen und einem kaufmännischen Leiter und einer Leiten-
den MTA. Die Mitglieder der Centrumsleitung werden von der
Centrumskonferenz, welche von den Instituten gewählt wird,
vorgeschlagen und vom Vorstand der Charité für fünf Jahre be-
stellt. Zu den Aufgaben der Centrumsleitung zählen die Leis-
tungs-, Kosten-, Budgetplanung, die Steuerung des Ressour-
ceneinsatzes, die Überwachung von Leistung und Budget, die
Ziel- und die Leistungsvereinbarungen mit dem Vorstand sowie
die Prozessoptimierung.
Sie legt die Leistungs- und Qualitätsziele gemeinsam mit den
Einrichtungen fest und steuert den Ressourceneinsatz inner-
halb des Centrums. Die Institute werden von den Direktorin-
nen/Direktoren in eigener Verantwortung im Rahmen von Ziel-
und Leistungsvereinbarungen geleitet. Sie haben in ihrem
Bereich die alleinige ärztliche Verantwortung für die Patienten-
versorgung und entscheiden allein über die Auswahl und Ein-
satz von ärztlichem, wissenschaftlichem und sonstigem zuge-
ordneten Personal.
Mit dieser Aufgabenverteilung wird ein Mittelweg zwischen Ei-
genständigkeit auf der einen Seite und den strukturellen Rah-
menbedingungen für eine organisatorische und betriebs-
wirtschaftliche Optimierung der Krankenversorgung auf der
anderen Seite beschritten.
Für die diagnostische und präventive Labormedizin resultiert
aus dieser Struktur eine Steigerung von Transparenz und Effi-
zienz, insbesondere in Form eines umfassenden Angebots von
Untersuchungsmethoden, durch eine einheitliche Logistik beim
Probentransport, durch eine gemeinsame Labor-EDV-Plattform
als einheitliches Portal für Untersuchungsanforderungen und
eine harmonisierte Befundübermittlung überwiegend elektro-
nisch in die elektronische Krankenakte und durch den Abbau
von Doppelangeboten.
Die Charité verfügt über ein Komplettangebot für das gesam-
te Spektrum der In Vitro-Diagnostik, von der Laboratoriumsme-
dizin über die Virologie und Mikrobiologie bis in die Pathologie
und in die Rechtsmedizin. Dies schließt nicht nur die Durch-
führung der Untersuchungen durch hochspezialisierte Experten
ein, sondern auch die konsiliarische Beratung. Dieses Angebot
steht auch anderen Krankenhäusern zur Verfügung. In der en-
gen Kooperation mit den Kliniken der Charité führen die Insti-
tute des CharitéCentrums für diagnostische und präventive La-
bormedizin weiterhin eine Vielzahl von Forschungsprojekten
mit dem Ziel der Entwicklung neuer leistungsfähiger Diagnos-
tikverfahren durch. Dies stellt eine Plattform für die Kooperati-
on mit regionalen und überregionalen Diagnostika-Unterneh-
men für die Durchführung von diagnostischen Studien dar.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Diagnostik ist der Pharmamarkt der ZukunftFortschritt in der Medizin bedeutet heute „individualisier-
te Medizin“. Diese beruht vor allem auf Molekularer Diagnostik
und ermöglicht weit reichende Vorteile für den Patienten und
die Gesellschaft. Auch der Wirtschaft eröffnet dieser Fortschritt
Wege zu neuen Produkten, neuen Märkten und neuen Chancen
für neue Firmen.
Der große Vorteil der Molekularen Diagnostik für den Patienten
ist die Therapieoptimierung. Durch bessere Präventionsmög-
lichkeiten, kürzere Behandlungszeiten und eine erhöhte Hei-
lungsrate verbessert sich die Lebensqualität der Bevölkerung.
Aus gesundheitspolitischer Sicht betrachtet bringt die Mole-
kulare Diagnostik generell geringere Behandlungskosten. Man
wird kürzere Ausfallzeiten, eine Reduktion von Folgekosten –
beispielsweise in der Pflege – und geringere Spät- und Folge-
therapien beobachten können.
Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten werden neue
Märkte erschließbar. Diese sind geprägt durch gezieltere Me-
dikamente und neue Produkte, insbesondere Nischenproduk-
te, welche eine Chance für KMU darstellen. Diese neuen Pro-
dukte werden nicht immer teurer werden als herkömmliche.
Die Pharma-Landschaft wird sich durch eine Rückkehr von For-
schung und Entwicklung zurück nach Deutschland und auch in
unsere Region verändern.
Zukünftig wird es für den Patienten nicht nur einen Beipack-
zettel geben, er wird vielmehr zusätzlich ein Diagnostikum
oder die Überweisung an die Labormedizin in den Händen
halten. Der Bedarf für derartige Verfahren steigt. In Zukunft
wird es häufiger Anlass zu Diagnosen geben, allein die Verän-
derung der Alterspyramide ist nur ein Hinweis dafür. Die Wert-
schöpfungskette, in der die Diagnostik liegt, wird zu einer
Wertschöpfungsspirale, die über immer bessere Marker verfügt
und damit immer bessere Erfolge erzielt.
Das Zentrum für Molekulare Bioanalytik und DiagnostikNet-BBDie Region Berlin-Brandenburg ist für diesen Wandel gut auf-
gestellt, da alle Beteiligten, die diesen Wandel tragen, in der
Region vertreten sind. Ziel ist es, diese Kräfte unter dem ge-
meinsamen Dach eines Zentrums für Molekulare Bioanaly-
tik und DiagnostikNet-BB zu bündeln und darunter Synergien
zu fördern bzw. zu beschleunigen. Wie könnte so ein Zentrum
aussehen?
Stellt man sich das Netzwerk als Gebäude vor, so ist das Fun-
dament oder die Säulen, aus denen dieses bestehen soll, mit
breiten Potenzialen vorhanden.
Unter einem gemeinsamen Dach hat das Zentrum drei SäulenGrundlagen und neue Technologien uuklinische Studien uuAnwendungsentwicklung und Produktionstechnologien uu
Säule 1: GrundlagenEs wird erwartet, dass integrierte Diagnoseverfahren ste-
tig weiter entwickelt werden. Es gibt nicht nur Marker für die
Krebsdiag nose, sondern auch eine ganze Reihe von Markern für
Infektionskrankheiten. Genomische Marker betreffen nicht nur
das humane Genom, sondern auch Infektionsüberträger wie
Parasiten. Unsere gemeinsame Region verfügt über eine statt-
liche Anzahl von Forschungseinrichtungen, die auf diesem Ge-
biet hervorragende Arbeit leisten. Auch die technologischen
Grundlagen sind in der Region sehr gut und sehr breit aufge-
stellt. Dazu gehören die Mikrosystemtechnik, die Nanotechno-
logie, die Bioinformatik und die klassische Biotechnologie.
Säule 2: Die klinischen StudienAuch für die Diagnostik braucht man umfangreiche klini-
sche Studien, damit die eingesetzten Biomarker valide sind.
Ein wichtiger Standortfaktor für Diagnostikaentwickler ist der
leichte Zugang zu den Anbietern derartiger Studien, nämlich
den Kliniken. Berlin hat dafür beste Voraussetzungen, die ge-
nutzt werden können.
Perspektiven für ein „Translationales Zentrum für Bioanalytik und
In Vitro-Diagnostik Berlin-Brandenburg“
Prof. Dr. Frank Bier
Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik, Potsdam
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Biobanken sind dabei eine wichtige Einrichtung, welche die
klinischen Studien beschleunigen bzw. die Diagnostik über-
haupt erst ermöglichen können. Die noch bestehende Lücke
– es gibt noch keine Biobank für die molekulare Diagnostik -
wird zur Zeit geschlossen. Auf der Datenebene hat die Charité
bereits, gemeinsam mit der Universität Graz, ein zukunftswei-
sendes Modell entwickelt: Die „Central Research Infrastrucutre
for molecular Pathology (CRIP)“. Es handelt sich dabei um eine
Datenbasis, in der Daten aus diesen Einrichtungen gesammelt
und anonymisiert von außen abgefragt werden können. Dieses
zunächst auf die Pathologien bezogene Modell lässt sich sehr
leicht auf andere Disziplinen erweitern.
Biobanken haben eine langfristige Sammelaufgabe. In Kryo-
banken sollte man aber Proben nicht einfach in eine Tief-
kühlatmosphäre geben und wieder auftauen. Für diese
Sammelaufgabe muss man Proben aufbereiten. Man muss ge-
währleisten, dass keine Feuchtigkeit, Staub oder sonstige Dinge
an die Proben und das Kühlsystem gelangen. Diesen Vorgang
muss man automatisieren, dazu braucht man Technologie.
Diese wird am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik
entwickelt. Derzeit wird ein Projekt zur Etablierung einer Kryo-
Forschungsbank an der Charité entworfen, hier ist das Diag-
nostik-Netzwerk schon einen Schritt vorangekommen.
Säule 3: Anwendungsentwicklung und Produktions-technologienEin Vorläufer des Netzwerks DiagnostikNet-BB ist der BioHyTec
e.V. Die große Breite der hier bereits bearbeiteten Projekte
zeigt auch, dass die Technologie nicht nur auf den Humanbe-
reich beschränkt, sondern auch in den Bereichen Lebensmit-
teltechnologie und Kosmetikaherstellung anwendbar ist.
Drei tragende Säulen eines neuen Zentrums sind vorhanden.
Weitere Partner können sich unter dem Dach des Zentrums
für Molekulare Bioanalytik und DiagnostikNet-BB einfinden
und damit diese drei Säulen verstärken. Der Bereich Technolo-
gie kann durch weitere Partner verstärkt werden. Die klinische
Säule ermöglicht indikationsbezogene Entwicklung von Pro-
dukten.
Die Anwendungssäule ermöglicht der Industrie und insbeson-
dere den KMU die unkomplizierte Zusammenarbeit mit Ent-
wicklungspartnern. Unterstützung von Forschungseinrichtun-
gen ist hier vorhanden. Die notwendige Standardisierung ist
eine Aufgabe, die nur das Netzwerk gemeinsam angehen kann.
Das Netzwerk DiagnostikNet-BB will das Zentrum etablieren
und mit konkreten Projekten starten.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Schwerpunkte und nächste Maßnahmen für die weitere Entwicklung
des Handlungsfeldes
StS Dr. Wolfgang Krüger
Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg
In der Region Berlin-Brandenburg werden die vorhandenen
Potenziale der Biotechnologie zur Anwendung gebracht. Doch
besteht kein Grund, sich auszuruhen. Das moderne Gesund-
heitswesen verlangt danach, wissenschaftliche Erkenntnisse in
den medizinischen Alltag zu bringen. Derzeit werden die ers-
ten Schritte der Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnis-
sen in Richtung anwendbare Diagnostik gemacht.
Brandenburg begrüßt und unterstützt das Netzwerk DiagnostikNet-BBDie Gestaltung von Zukunft braucht entsprechende Rahmen-
bedingungen. Die Politik hat sich dieser Aufgaben angenom-
men. Dazu gehört die Etablierung des Zentrums für Molekula-
re Bioanalytik und DiagnostikNet-BB. Dieses Projekt ist bereits
über den Masterplan Biotechnologie/Biomedizin im Rahmen
der Initiative Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg als auch
in der Branchenstrategie Biotechnologie des Landes Branden-
burg verankert. Mit diesem Zentrum soll der Grundpfeiler einer
wirtschaftlich relevanten und langfristig industriellen Perspek-
tive der Verflechtung von Therapie und Diagnostik geschaffen
werden. Ein derartiges Zentrum ist geeignet, durch das früh-
zeitige Zusammenwirken von Medizinern und Technologieent-
wicklern den Transfer neuer Technologien in die Praxis zügig
zu gewährleisten. Hier sollen die Biomarkerfindung, klinische
Studien und die Verwaltung klinischer Datenbanken organisa-
torisch gebündelt werden. Dieses ist sehr zu begrüßen, denn
neue und effiziente Formen des Technologietransfers zu entwi-
ckeln, ist sowohl das Ziel des brandenburgischen Innovations-
konzeptes 2006 als auch gemeinsamer technologiepolitischer
Aktivitäten der Länder Berlin und Brandenburg.
Politik und Verbände sind aufgefordert, diese Entwicklung zu
begleiten. Zum Beispiel durch Unterstützung der Zusammenar-
beit regionaler KMU mit Forschungs- und Entwicklungseinrich-
tungen. Die Landesregierung nimmt diese Herausforderung an.
Daher unterstützen wir DiagnostikNet-BB über das Instrument
der GA-Netzwerkförderung.
DiagnostikNet-BB wird die gesamte Wertschöpfungskette abbilden In diesem Netzwerk aus regionalen wissenschaftlichen Einrich-
tungen und Unternehmen sollen konkrete Entwicklungsprojek-
te initiiert und vermittelt werden. DiagnostikNet-BB wird sich
nicht nur um regionale Förderung kümmern, sondern sich auch
um Fördermöglichkeiten aus dem 7. Forschungsrahmenpro-
gramm der EU bemühen. Damit wird gleichzeitig ein Beitrag zur
Internationalisierung unserer Biotechnologie-Region geleistet.
Dabei kommt der Stärkung des Eigenkapitals von KMU eine be-
sondere Bedeutung zu. Denn nur mit ausreichendem Eigenka-
pital lassen sich F&E-Projekte erfolgreich akquirieren.
DiagnostikNet-BB wird in Zusammenarbeit mit der Charité den
Zugang zu klinischen Studien ermöglichen. Diese Kooperati-
on muss systematisch ausgebaut werden. Auch die Politik er-
wartet vom Netzwerk, dass daraus Projektverbünde erwachsen,
welche auch KMU den Eintritt in den nationalen und internati-
onalen Markt ermöglichen. Forschungs- und Wirtschaftsförde-
rung unterstützen genau diesen Prozess. Die Vision von einem
Zentrum für Molekulare Bioanalytik und Diagnostik ist reali-
sierbar. Mit einer kompletten Wertschöpfungskette wird die-
ses Zentrum sichtbar sein und zu einem Alleinstellungsmerk-
mal der Region werden. Der Nutzen für Mitglieder und Kunden
wird insbesondere darin bestehen, dass spezifische und ange-
passte Lösungen aus einer Hand angeboten werden. Für den
Erfolg ist wichtig: Öffentlichkeit und Stakeholder in diesen Pro-
zess rechtzeitig einbinden. Der Mehrwert für die Krankenver-
sorgung muss gesundheitsökonomisch bewertet werden. Dann
lassen sich auch bereits diskutierte Fragen beantworten. Solche
sind: „Was ist gesund?“, „Gibt es ein Recht auf Nichtwissen?“,
„Wie wird mit Informationen zu Prädispositionen umgegangen?“
und weitere bioethische Fragen.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Stärke des Netzwerks ist der Market-PullDie Initiative, Wirtschaft und Wissenschaft auf dem Gebiet der
Molekularen Diagnostik zusammenzuführen, unterscheidet sich
von anderen Ansätzen. Hier steht das Anwendungsfeld im Vor-
dergrund, das sich unterschiedlicher Technologien bedient,
und nicht – wie sonst oft üblich – eine vorhandene Technolo-
gie, die nach neuen Anwendungen sucht. Dieser Market-Pull
ist eine Stärke, welche die Umsetzung von Ideen in Produk-
te und wirtschaftlichen Erfolg für die Region unterstützen wird.
Allerdings haben dieses auch schon andere bemerkt. Daher ist
es wichtig, den erreichten Vorsprung, den wir durch verschie-
dene Initiativen errungen haben, zu halten. Die zügige Umset-
zung des Konzepts Zentrum für Molekulare Bioanalytik und Di-
agnostikNet-BB ist daher der richtige Weg.
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
Ausblick und zusammenfassende Diskussion
Prof. Dr. Rudolf Tauber
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Die zusammenfassende Diskussion des Forschungspolitischen
Dialogs wurde durch den Moderator, Prof. Tauber, genutzt,
konkrete Ergebnisse zu formulieren und Handlungsempfehlun-
gen abzuleiten. Die Ergebnisse des Tages fasste Prof. Tauber zu-
sammen:
Vor zehn Jahren wurde in der Region mit der Entwicklung der
Biotechnologie/Biomedizin begonnen. Zu diesem Zeitpunkt war
noch nicht klar, welche Entwicklung die Biotechnologie neh-
men oder welche Chancen sich aus ihr ergeben würden. Ber-
lin und Brandenburg haben sich in diesem zukunftsweisenden
Markt eine hervorragende Position und einen Vorsprung erar-
beitet. Heute geht es darum, diesen Vorsprung zu halten und
auszubauen. Es gibt in der Region große Stärken, aber auch
einige Schwächen.
Zu den Stärken gehören:1. Die sehr gute Grundlagenforschung sowie klinische For-
schung mit einem großen Portfolio an Instituten und Kli-
niken, insbesondere der Charité, die Biomarker und neue
Technologien entwickeln, die Pathogenese von Krankheiten
erforschen und neue Biomarker in klinischen Studien evalu-
ieren.
2. Ein breites Spektrum von hoch innovativen Unternehmen. Drei, die im internationalen Bereich tätig sind, und eine
Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, die ein
großes Entwicklungspotenzial darstellen.
3. Ein sehr gutes Umfeld für klinisch-diagnostische Studien, um neue Marker zu testen.
Zu den Schwächen gehören:1. Die Unterkapitalisierung bei sehr vielen Beteiligten, die
langwierige Anträge auf öffentliche Förderung zur Folge
haben.
2. Die unzureichende Vermarktung. Neue Entwicklungen und
Prototypen sind zwar vorhanden, aber sie können nicht ad-
äquat vermarktet werden.
3. Der Zugang zu klinischen Studien ist immer noch schwierig.
Prof. Rudolf Tauber stellte die Forderung auf, dass die Teilneh-
mer des Forschungspolitischen Dialogs konkrete Handlungs-
empfehlungen abgeben und darstellen mögen, welchen Bei-
trag sie zu dem kürzlich gegründeten DiagnostikNet-BB leisten
wollen.
Drei für die Entwicklung der Region als Standort der Biotech-
nologie wichtige Punkte standen im Vordergrund der Empfeh-
lungen.
1. Gemeinsam von Wirtschaft und Wissenschaft soll ein Antrag
auf Förderung einer Biobank erarbeitet werden. In einer Pi-
lotphase soll eine exemplarische ausbaufähige Kryo-Biobank
aufgebaut werden.
2. In Berlin und Brandenburg soll ein Zentrum für Bioanalytik
und Molekulare Diagnostik in zwei Stufen entwickelt werden.
3. Das kürzlich gegründete DiagnostikNet-BB ist für die Kom-
munikation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zuständig.
Abseits der formulierten Ergebnisse und Handlungsempfeh-
lungen zeigte die Diskussion sehr deutlich die entschlosse-
ne Haltung der Teilnehmer, gemeinsame Anstrengungen für die
Förderung der Perspektiven der Diagnostik in der Region Ber-
lin-Brandenburg zu unternehmen. Es wurde deutlich, dass
man mehr tun müsse, als die Kommunikation zwischen Kli-
nik und KMU zu fördern. Es gelte, die vorhandenen Bausteine
zu vernetzen und zu zeigen, dass die Region konkrete Projekte
umsetzen könne. Eine zentrale Idee des Diagnostik-Netzwerks
sei es, an ein oder zwei ausgewählten Applikationen für die
Diagnostik die Leistungsfähigkeit dieses Verbunds zu demons-
trieren. Ein Teilnehmer sagte: „In einem Jahr sollten wir etwas
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Forschungspolitischer Dialog „Potenziale und Perspektiven von Bioanalytik und In Vitro-Diagnostik in Berlin-Brandenburg “ · 12. September 2007· Magnus-Haus Berlin
in der Hand haben, was wir den Klinikern zur klinischen Tes-
tung übergeben können.“
Tue Gutes und rede darüber„Wir sind gut beraten, in die Politik zu kommunizieren, dass
regionale Entwicklung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten
nur vorangetrieben werden kann, wenn sie zu Produkten oder
Dienstleistungen führt, die Erlöse erbringen. Neue Verfahren
der Diagnostik müssen eingesetzt werden können. Also müssen
wir darauf einwirken, dass neue diagnostische Tools in der An-
wendung finanziert werden. Die derzeitige Ausgabenpolitik im
Gesundheitswesen ist ein restriktiver Entwicklungsfaktor.“ Mit
diesen Worten leitete Prof. Tauber den folgenden Diskussions-
block ein. Die Plenumsteilnehmer pflichteten seiner Auffassung
bei, dass in Richtung Politik Informationsarbeit geleistet wer-
den muss, damit der Einführung neuer diagnostischer Verfah-
ren weniger Hemmnisse im Weg stehen. Aus dem Plenum wur-
de die Bitte an Dr. Bindseil, den Leiter von BioTOP, gerichtet, er
möge eine Gesprächsebene mit der Gesundheitspolitik herbei-
führen, auf der man die Verknüpfung zwischen F&E und An-
wendung in der Praxis erläutern könne. Der BioTOP-Leiter ver-
sicherte, dass er einen solchen Dialog in Gang setzen wolle.
Welche Plattform bietet das Netzwerk?Abschließend wurden die Aufgaben und die Zielsetzung des
GA-Netzwerkes DiagnostikNet-BB e.V. diskutiert. Der im Au-
gust 2007 an den Start gegangene eingetragene Verein wird
derzeit von zwölf Unternehmen getragen. Der Netzwerkmana-
ger, Dr. Volker Rosenbaum, erläuterte, dass die Arbeit des Netz-
werks mit konkreten Projekten beginnen werde, die auf ein bis
zwei Indikationen fokussiert werden sollen. Ein erster Ansatz-
punkt seien Infektionserreger. Als weitere Punkte nannte Dr.
Rosenbaum Information und Lobbying. Er bekräftigte, dass die
Diskussion gezeigt habe, dass diese Tätigkeiten gefordert und
notwendig sind und schloss mit dem Appell: „Es sind weitere
Partner erwünscht.“
Prof. Tauber beschloss den Forschungspolitischen Dialog: „Der
Dialog mündete in Handlungsempfehlungen, er hat eine Ana-
lyse der In Vitro-Diagnostik in der Region gebracht. Und die
Politik hat mit ihrer Präsenz gezeigt, dass sie hinter diesen
Wachstumsplänen steht. Die nächsten Monate müssen genutzt
werden, um diese weiter zu entwickeln und umzusetzen.“
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Kontakte Referenten
Prof. Dr. Frank BierFraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik
Potsdam
www.ibmt.fraunhofer.de
Harald BorrmannRoche Diagnostics GmbH
Mannheim
www.roche.com
Dr. Bruno BroichTSB Technologiestiftung Berlin
www.technologiestiftung-berlin.de
Dr. Holger EickhoffScienion AG
Berlin
www.scienion.de
Prof. Dr. Dr. Ulf B. GöbelCharité-Universitätsmedizin Berlin
Institut für Mikrobiologie und Hygiene
www.charite.de/imh/team/goebel01d.htm
Dr. Joachim KartteRoland Berger Strategy Consultants GmbH
Berlin
www.rolandberger.com
Dr. Arno KrotzkyMetanomics GmbH
Berlin
www.metanomics.de
Staatssekretär Dr. Wolfgang KrügerMinisterium für Wirtschaft des Landes Brandenburg
www.wirtschaft.brandenburg.de
Prof. Dr. Mathias MüllerKaiser-Franz-Josef-Spital Wien
www.oequasta.at
Dr. Günter PeineBioTOP Berlin-Brandenburg
www.biotop.de
Prof. Dr. Frieder SchellerDr. habil. Axel Warsinke
Universität Potsdam
www.bio.uni-potsdam.de/professuren/analytische-biochemie/
personen
Prof. Dr. Pranav SinhaInstitut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik
Landeskrankenhaus Klagenfurt
www.kabeg.at/620.html
Herbert SuckaB.R.A.H.M.S AG
Hennigsdorf
www.brahms.de
Prof. Dr. Rudolf TauberCharité-Universitätsmedizin Berlin
Zentralinstitut für Laboratoriumsmedizin und Pathobiochemie
(CC 5)
www.medizin.fu-berlin.de/klinchem
Senator Prof. Dr. E. Jürgen ZöllnerSenatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Berlin
www.berlin.de/sen/bwf
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TSB Technologiestiftung BerlinFasanenstraße 85
10623 Berlin
Telefon +49 (0) 30 46 30 25 02
Telefax +49 (0) 30 46 30 24 44
www.technologiestiftung-berlin.de
In Zusammenarbeit mitSenatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Berlin
www.berlin.de/sen/bwf
RedaktionJörg Gruhl ALPHA MATRICS Public Relations
Annette Kleffel TSB Technologiestiftung Berlin
Dr. Günter Peine BioTOP Berlin-Brandenburg
Gestaltungfrau supiran gestaltet visuelle kommunikation
Ann-Katrin Supiran
www.supiran.de
FotosFOX/Sven George
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Kontakt
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Annette Kleffel
Fasanenstraße 85 · 10623 Berlin
Telefon +49 (0) 30 46 30 25 02
Telefax +49 (0) 30 46 30 24 44
www.technologiestiftung-berlin.de