exot #14: leseprobe

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EXoT zeiTschrifT fur GNoMIScHE liTeraTur

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Exot #14: Leseprobe

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Page 1: Exot #14: Leseprobe

EXoTzeiTschrifT fur

GNoMIScHEliTeraTur

Page 2: Exot #14: Leseprobe

004 Volker Surmann: Poschardts Bürger009 Madame Modeste: Mach doch mal was mit Müttern

Illustration: Nicola Feuerhahn011 Zappen mit Olaf Guercke017 Ella Carina Werner: Wissen quasi für die Ewigkeit.

150 Jahre Brockhaus027 Richerts Cartoons für den gehobenen Pöbel (I)029 Justin Andreae/Robin Vehrs (Hg.): Anekdoten über

Kurt Georg Kiesinger. Illustration: Robin Vehrs

033 Benjamin Baeder: Automatische KurzprosaMit Illustrationen des Autors

036 Christian Bartel: Das Kapitänsdinner der Niedlichkeit Illustration: Felix Bauer

046 Thilo Bock: Die Sechs-Margherita-Pleite051 Tina Ilse Maria Gintrowski: Jesus loves you055 Robin Vehrs: Western Touch056 Richerts Cartoons für den gehobenen Pöbel (II)057 Katinka Buddenkotte: Mörder ohne Rückgrat067 Peter Schwendele: Der Plastikmann

Illustration: Moritz Stetter 070 Steffen Gumpert: Britischer Humor071 Rüdiger Saß: Über den einsamsten Autor der Welt

Illustration: Corinna Chaumeney075 Tom O’Donnell: Diary Of My Failed Antarctic

Expedition. Illustration: Tim Gaedke078 Matrattels Kuriositätenkabinett

Anselm Neft: 503 Anselms außer Rand und Band. 080Tobias Herres »Fehlerchen«

Michael Holtschule: Britischer Humor 083 Andreas Schumacher: Pillen, die killen. 084E. W. Heines makabre Kurzgeschichten

Illustration: Lino WiragOlav Westphalen: Deadpan, the next generation 091

Mit Mengendiagrammen des Autors Lino Wirag: Wasserkopffüßler mit Quetschkommo- 102den-Bauchmuskeln. David Shrigleys Verzeichenkunst

Mit Bildbeispielen von David Shrigley

Jiri Kandeler: Gedichte 111Francis Kirps: Mumien heute 113

Dagrun Hintze: Gedichte 114 Lisa Danulat: Galatasaray 117

Georg Ringswandl: Der Placido Domingo 118

Exoten dieser Ausgabe 120Impressum 12X

Dora Land: Ein Tag, ein Tier 12XWolfang Lüchtrath: Im Teich der Hoffnung 128

Illustration: Corinna Chaumeney

Inhalt

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Jemand hatte das Rad auseinandergenommen und aus den Einzelteilen einen Schriftzug gelegt, der nur vom Himmel aus lesbar war.

Jemand hatte seine Schuhe an einen Nagel gehängt, der so hoch in der Wand steckte, dass sich niemand verletzen konnte daran.

Jemand hatte ein Holzschiff geschnitzt, das im Rinnstein auf die nächste Flut wartete. Der Geruch von Regen lag schon in der Luft.

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Katinka Buddenkotte

Mörder ohne Rückgrat

I.

Haben Sie eine Ahnung, wie viel Dreck ich in diesem Job schon gesehen habe?

Um genau zu sein gar keinen, denn ich bin ja blind. Als junger Wurm wollte ich Rockstar werden. Kaum vier

Zentimeter war ich lang, als ich ganz allein rauf bis nach So-Ho, also Solingen Hochebene, gekrochen bin.

Aber es war die falsche Zeit, damals, Anfang der Acht-ziger. Der Agent meinte, die Verwechslungsgefahr mit einem Typen namens Jimmy Summerville sei zu groß. Meinen Song hat er dann trotzdem geklaut, und an ein paar Jungs verhökert, die sich »The Jam« nannten. Also, falls es jemanden da oben interessiert, der Titel »Going Underground« stammt von mir...

Also bin ich Schnüffler geworden. Denn riechen kann ich ja, und falls nicht, hat mir das keiner gesagt. Oder ich habe es nicht gehört. Sei’s drum, jedenfalls kommen die Leute zu mir, Detektiv Vince Würmli, wenn sie ein Pro-blem haben.

Und die Leute hier unten haben eine Menge Probleme. Sie ersticken fast daran. Sie machen sich krumm, jeden Tag, für nichts. Manche scheinen gar nicht mehr zu wis-sen, wo bei ihnen hinten und vorne ist.

Aber sie bleiben hier, in diesem Drecksloch. Die kleinen, blinden ... ach, lassen wir das.

Und ich lebe ja ganz gut, von ihren Sorgen und Proble-men. Enorm viele Trennungs-Geschichten, die wie Unfäl-

Nach einer Idee von Dagmar Schönleber

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Tom O’Donnell

Diary Of My Failed Antarctic Expedition

December 11th, 9:02 AMMankind is driven to conquer the unknown and push himself to his physical and mental limits. In this bold spi-rit, I have resolved to become the first explorer to reach the South Pole. I’m feeling pretty good about this. I’ve got my mittens on and I’m jogging in place by the door. I can’t wait to start this expedition!

December 11th, 9:03 AMOkay, apparently someone called »Roald Amundsen« al-ready made it to the South Pole in 1911. Still, being the second explorer to reach the South Pole isn’t half-bad. I could live with second-place. People remember Art Gar-funkel even though he was only the second-best member of Simon and Garfunkel.

December 11th, 9:07 AMHmm. It looks like a bunch of people already went to the South Pole. Was it a mistake to quit my job before looking this up? Not if history vindicates me. I just need to figure out a way to put an exciting, unique twist on a field of exploration that seems to have basically wrapped up in the 1950s.

December 11th, 11:06 AMEureka! I will be the first explorer to travel to the South Pole by riding on top of another guy. I have invited my friend Jeff to join the expedition.

verloren geht. Wir folgen ihm über die Straßen und Plätze der sterbenden Stadt, einer krepierenden Kröte, die – wie so oft – im Regen stöhnt und sich fade in den Pfützen spiegelt. Schon erreichen wir das rettende Ufer einer Knei-pe, allem Anschein nach die schmierigste Spelunke auf dem Erdkreis. Im hintersten Winkel sitzt wie immer der Prophet, er sitzt in seinem dunklen, toten Winkel wie eine in die Enge getriebene Spinne, wie tot, vor Angst erstarrt, die Augen aufgerissen, feurige, glasige Kugeln, von einem roten Adernetz überzogen, auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, auf Dinge und Ereignisse, die nur er sehen kann, so sehr wir seinem Sehweg auch zu folgen versuchen. Nur seine schmalen Lippen bewegen sich, wie unter Zwang, und wir müssen uns nah, ganz nah zu ihm hinbeugen, um ihn zu verstehen: »Die Sonne«, hechelt der Gehetzte, »das Licht wird wiederkommen, und mit ihm das Leben, die Sonne wird die Dunkelheit besiegen, und alles wird so sein, wie es wirklich ist, alles wird klar zu Tage liegen … und alles und jeder wird an seinem Platz sein …«

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December 11th, 11:33 PMJust watched Caddyshack. Wow, it’s as funny as I remem-bered! Bill Murray is a genius. Highly recommended. Five stars.

December 11th 11:51 PMSo ends my failed Antarctic expedition. But perhaps it is not the goal, but the striving that is important. And perhaps it is through our failures that we may find our greatest strengths. Whatever. I think I’m just going to go to the bottom of the Marianas Trench instead. My buddy Dave’s a pretty good swimmer. I could totally ride him.

December 11th, 2:13 PMJeff has arrived at my apartment. It’s time to start gathe-ring supplies. I have filled a pillowcase with Doritos. Jeff will need Fiery Habanero Doritos for strength. I will need Pizza Supreme Doritos for balance. Also I made Jeff quit his job over the phone. Now we’re in this together.

December 11th, 4:52 PMJeff and I just watched Michael Clayton to get ourselves pumped up for Antarctica. I must have misremembered because that movie’s not really about a polar expedition at all. Still, I think Tom Wilkinson’s performance was ama-zing. And though he hasn’t said so, I can tell by the look in Jeff’s eyes that he feels the same way.

December 11th, 6:18 PMI’ve had an argument with Jeff. He thinks Tom Wilkinson was overacting in Michael Clayton. He says he wanted to watch Caddyshack to get pumped up for Antarctica in-stead. I tried riding Jeff around the apartment a few times to break the tension, but this only seems to have made him more agitated. Suddenly, he says he wants to be the one riding me when we reach the South Pole. I try to re-ason with him. To make him hear how crazy that sounds, but it’s no use. I can tell by the look in Jeff’s eyes that he’s a dumb idiot.

December 11th, 7:06 PMTurns out Jeff only pretended to dial his work, when he »quit« earlier. Expedition morale is dangerously low. We are down to our last bit of Dorito dust. There’s no way we can go on like this. I fear for our future.

December 11th, 9:12 PMI have eaten Jeff. It was the only way. God help me, it was the only way.

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bett erfahren muss, dass er kurz nach der Grenze wortlos zusammengebrochen ist. Der Laster aber sei, so versucht man, ihn zu beruhigen, bereits neu befüllt und längst wie-der unterwegs.

So oder ähnlich, versehen mit einer einleitenden Wahr-heitsbeteuerung und dem Verweis auf den Freund eines Freundes, hätten diese bittersüßen Tragödien ohne weite-res in der Spinne in der Yucca-Palme stehen können, jener Sammlung Sagenhafter Geschichten von heute, die in den neunziger Jahren ausgesprochen populär waren. In Wirk-lichkeit jedoch sind beide Schmunzelschocker Erfindun-gen, ersonnen bereits zehn Jahre zuvor von Ernst Wilhelm Heine, genannt E.W. Heine, der sie in seine nicht minder populären Kille-Kille-Bände aufgenommen hat.

Heine ist ein Spätberufener: Er kommt 1940 in Ber-lin zur Welt, studiert Architektur und Stadtplanung in Braunschweig, bevor er ein Jahrzehnt lang als Architekt in Johannesburg/Südafrika arbeitet, wo er ab 1974 nebenbei das Monatsmagazin Sauerkraut herausgibt und ein Kaba-rett gründet. Bevor er nach Saudi-Arabien (als Projektlei-ter beim Bau einer Trabantenstadt) und Stuttgart weiter-zieht, schreibt er bereits Hörspiele fürs deutsche Radio. Als 1979 sein erster Erzählband Die Rache der Kälber und andere makabre Geschichten in einem kleinen Münchner Verlag erscheint, beginnt die Erfolgsstory seiner nach dem Folgeband Kille Kille (Diogenes, 1983) benannten schwarzhumorigen Pointengeschichten. Mit Hackepeter (1984) und Kuck Kuck (1986) erscheinen bald neue bzw. noch mehr Kille-Kille-Geschichten. Der schnell einsetzen-de Erfolg ermöglicht es Heine – mittlerweile in Bayern, wo er noch heute lebt – sich fortan ganz der Schriftstellerei zu widmen.

Neben Mordgeschichten für Musikfreunde (Wer ermordete Mozart? Wer enthauptete Haydn?) verfasst Heine, der Archi-tekt, außerdem eine Kulturgeschichte des Wohnens und Bauens (New York liegt im Neandertal), bevor er sich in

Andreas Schumacher

Pillen, die killen: E.W. Heinesmakabre Kurzgeschichten

Drama an einem abgelegenen Strand: Eine junge Touris-tin entdeckt einen bewusstlosen Mann, dessen Bein unter einem Felsbrocken feststeckt. Die Flut steigt, der Mann droht zu ertrinken, der Stein ist nicht zu bewegen. Und keine Rettung in Reichweite. Einzig die Säge, die neben dem Fremden liegt, verspricht einen – freilich blutigen – Ausweg. Die junge Frau kann sich schließlich dazu durchringen, das Bein durchzusägen, verliert jedoch vor Aufregung das Bewusstsein – und kommt selbst ums Le-ben. Als die Polizei die Toten birgt, stellt sich heraus: Das eingeklemmte Bein war aus Holz, die Frau hätte den Be-wusstlosen in aller Seelenruhe befreien können.

Auch ein LKW-Fahrer, der regelmäßig Zementpulver aus der BRD nach Westberlin liefert, beschließt zu helfen, als er kurz vor der Grenze auf ein Ehepaar trifft, das in den Westen fliehen will. Das Paar wird im leeren Ladetank des Lasters verborgen, schwitzend nähert sich der Fahrer dem Kontrollposten. Natürlich wird ausgerechnet an die-sem Tag verschärft kontrolliert, auch in die Tanks soll ein Blick geworfen werden. Doch kurz bevor der schwere De-ckel gehoben werden kann, verliert der Fahrer – der sich längst im Gefängnis sieht – das Gleichgewicht und zieht sich eine Platzwunde zu. In der entstandenen Aufregung verzichtet man darauf, die Inspektion fortzusetzen. Der Verletzte beharrt darauf, sofort weiterzufahren, und man lässt ihn ziehen. Alles scheint noch einmal gutgegangen.

Doch auch hier folgt das böse Erwachen im wörtlichen Sinn, als der Fahrer am nächsten Morgen im Kranken-

Humor of YoreFür Leute von heute

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ganzes Können zeigt, schon fast zehn Jahre zurück. Und die Leser – wir eingeschlossen – warten ungeduldig auf den (mittlerweile achten) Band neuer Killespiele.

Literatur

Kille Kille. Makabre Geschichten. Zürich 1983Hackepeter. Neue Kille-Kille-Geschichten. Zürich 1984Kuck Kuck. Noch mehr Kille-Kille-Geschichten. Zürich 1986Das Glasauge. Neue Kille-Kille-Geschichten. Zürich 1991 (Neuausgabe von Die Rache der Kälber) An Bord der Titanic. Kille-Kille-Geschichten. München 1993Kinkerlitzchen. Neue Kille-Kille-Geschichten. München 2001Ruhe sanft. Neue Kille-Kille-Geschichten. München 2004

Heines Zitate wurden stellenweise leicht gekürzt

Lino

Wira

g

Geld geworden, das man verdiente und für das man sich etwas kaufen konnte. Beim bloßen Anblick der Münzen begannen die Affen zu schmatzen. Wenn Abraham jetzt hinunterstieg zu seinen Freunden, so arbeiteten sie mit verbissenen Gesichtern an ihren Hebelmaschinen, nicht in Gruppen, sondern ein jeder für sich, ängstlich darauf bedacht, dass ihm die Konkurrenz nicht zu nahe kam.« Als eines Tages der Automat ausfällt, und Abraham das Expe-riment abbricht, verfallen die Affen in völlige Lethargie und verweigern die Nahrungsaufnahme. Abraham bleibt keine Wahl, als zum vorherigen System zurückzukehren, nichts von der Retourkutsche ahnend, die das »äffische Arbeiterproletariat« für ihn bereithält: Der Forscher wird überwältigt und angekettet. »Er war ihr Gefangener. Er wusste, was geschehen würde, wenn er in ein paar Tagen vor Hunger und Durst halb verrückt in dieser verdamm-ten Fußangel hängen würde.« Einzig eine müßiggängeri-sche, liebeshungrige Schimpansin entpuppt sich als letzter Hoffnungsfunken. »Vielleicht könnte er ihnen etwas Fut-ter und Wasser abbetteln. ›Komm Suhanda, komm her‹, lockte er mit schmeichelnder Stimme. Sie kam. Aber als sie ihm ihr feuerrotes Hinterteil fordernd entgegenstreck-te, wusste er, dass ihm nichts erspart bleiben würde.« Sei-ne Affen, so muss der Forscher am eigenen Leib erfahren, haben die kapitalistische Tauschlogik bereits auf die Ware Liebe übertragen – ganz wie ihre großen Vorbilder, wir Menschen.

E. W. Heine selbst ist inzwischen das Kunststück gelun-gen, seine Ideen nur noch in größeren Abständen, und dann gleich in großen Stücken, nämlich als historische Romane, gegen die Gunst der Leser einzutauschen. Zwar entstehen auch weiterhin Kille-Kille-Geschichten, jedoch eher nebenbei, als »Erholung vom großen Schreiben«, so der Autor. Gute Erholung – und zwar schnell!, bleibt da nur zu wünschen: Schließlich liegt Heines letzter Ge-schichtenband Ruhe sanft (2004), in dem er noch mal sein

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barer, potentieller Komik, die aber gleichzeitig auch große Ernsthaftigkeit bedeuten konnte – und schlichter, unfrei-williger Komik aus den Augen verloren zu haben.

Doch nicht nur Beuys’ komisches Potential blieb un- oder falschverstanden: Auch Marcel Duchamps erfrischend al-berner Humor, der erstaunlich oft auf die simple Technik des Wortspiels baute, war für die Kunstwelt nur im Kom-bipack mit seinem langjährigen Schweigen und der alche-mistischen Geheimwissenschaft akzeptabel, die sie hinter Duchamps Werken vermutete.

Die vorherrschende Attitüde lustiger Hochkunst war, was darstellende Komiker Deadpan, also trockenen Hu-mor, nennen: die todernste Präsentation lustigen Mate-rials. Auch Andy Warhol war ein Musterbeispiel für den straight man, den komische Künstler spielen mussten: Nur so konnten sie die Komik ihrer Arbeiten zum gebotenen Zeitpunkt leugnen, um noch den Hochkunstbonus einzu-kassieren.

Natürlich gab es Ausnahmen wie die Berliner Dadaisten, deren aggressiver Nonsens mit der angeblichen Seriosität des Deadpan nichts zu tun hatte. Aber selbst ihre Bühnen- und anderen Kunststücke wurden von der Kunstgeschich-te nicht komisch gelesen, sondern tragisch: als therapeu-tisch verordneter Wahnsinn als Antwort auf einen anderen Wahnsinn, den des Krieges nämlich; als Unsinn also, der die größere historische Sinnlosigkeit erst sichtbar machte und damit wiederum im Dienst einer höheren Bedeutung stand.

2. Die 90er: Die Kunst entdeckt die Komik für sich. Oder das, was sie dafür hält

In den neunziger Jahren änderte sich die Situation aller-dings grundlegend.

Parallel zum Comedyboom in den Medien wollte auch die Kunstwelt endlich etwas zu lachen haben: Die Kunst

Olav Westphalen

Deadpan, the next generation

1. Vorspiel: Die Kunst verleugnet die Komik

Charles Baudelaire beklagte in seinem Essay »Das Wesen des Lachens« schon vor 150 Jahren, dass die Karikatur – und man kann dies getrost auf alle komischen Formen ausweiten – von seinen Zeitgenossen nicht als Kunst aner-kannt werde. Daran hat sich bis in die 90er Jahre nicht viel geändert: Komik und Ironie waren der Kunstkritik und dem Publikum suspekt und wurden nur dann toleriert, wenn deren Verstöße gegen den Sinn in zweiter Instanz sinnvoll begründet und abgegrenzt werden konnten. Nur als lokal begrenzte Störfälle im Rahmen eines höheren, ra-tional begründeten Zusammenhangs konnte das Kunstpu-blikum Komik und Ironie tolerieren.

Die Hochkunst stützte auf eine Aura der Ernsthaftigkeit, um ihre gesellschaftliche Sonderstellung zu rechtfertigen. Künstler, die lustige Ideen hatten, hielten es daher in der Regel für nötig, diese in einem Ton unerschütterlicher Ernsthaftigkeit vorzubringen. Wenn Joseph Beuys zum Beispiel, ohne eine Miene zu verziehen, zu Protokoll gab: »Von meinem Gesichtspunkt ist es undenkbar, dass man noch jemals einen Menschen streicheln kann, ohne sich Fettecken gemacht zu haben«, und der Interviewer dazu artig nickte, dann ist das natürlich komisch.

Ob die Schar der Beuys-Jünger darüber lachen konnte, ist allerdings fraglich – und auch, ob Beuys selbst sich seiner Komikträchtigkeit immer bewusst war. Zumindest in sei-nen späteren, unglücklichen Auftritten als Leadsänger einer grünen Wahlkampfkapelle schien er endgültig die Grenze zwischen subtil inszenierter Kryptokomik – unentscheid-

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nien auf Kopierpapier. Wo nicht direkt am Lineal geführt (»I collect rulers«, behauptet Shrigley in einem Interview: »They are stored in a cavernous steel vault miles bene-ath the earth’s surface«), laufen die Striche auch schon in alle Richtungen davon: Krickel kreuzt Krakel, Schmier schneidet Sudel; vorzeichnungsfrei, versteht sich. Vor al-lem schnell soll’s gehen. Oft setzt er sich als Tagesziel nur, das vorhandene Material – den Papierstapel, den Haufen Zweige – vollständig in Kunst umzubauen.

Bei Ausstellungen zeigt er konsequenterweise keine Ori-ginale, sondern schwarzweiße Ausdrucke, die als Groß-collage neben- und übereinander an die Wand getackert werden. Farbe verwendet Shrigley erst, seit er in Galerien genug Platz eingeräumt bekommt, um größere Formate bespielen zu können.

Doch können seine Shriggles – eine kongeniale Wortfin-dung des Schriftstellers Will Self – ohnehin erst in unsyste-matischer Reihung und Streuung ihre ganze Wirkung ent-falten, in einer Kombination aus Petersburger Hängung und der Malecke aus der Kindergartengruppe Krümelkis-te: Shriggles, die als kleine und große Fenster verstanden werden wollen, die den Blick in ein Paralleluniversum er-lauben, so reich und exotisch bevölkert wie die Seiten der Nürnberger Weltchronik. Hier wie dort muss man frei-lich Abstriche machen, was die anatomische Exaktheit der Darstellung angeht: So ist Shrigley Herr über Verbeulte und Verbogene, knochenlose Wasserkopffüßler und halb-glatzige Greisengesichter mit zeichnerischem Down-Syn-drom. Amöbisch-transparente Körperklöpse, gefügt aus Umrisslinien, die sich überschneiden, wenn sie einander zu nahe kommen. Hier ist jedes Gelenk out of joint, jedes Ohr wie angesteckt, jede Haarinsel flach auf den Schädel gesät. Hohle Ei-Augen, die das Nichts fokussieren, sinnlos modellierte Quetschkommoden-Bauchmuskeln.

Beim Durchblättern der, mittlerweile mehr als 30 Stück zählenden, Bücher und Kataloge Shrigleys fühlt man sich

Lino Wirag

Wasserkopffüßler mit Quetsch-kommoden-Bauchmuskeln: David Shrigleys Verzeichenkunst

David Shrigleys Werk ist ein Phänomen. Brachte er in den neunziger Jahren noch handkopierte Heftlein unter die Glasgower Künstlerszene, in der sich der Künstler noch heute zuhausefühlt, begann die weltberühmte Tate Modern bereits 2006, erste Arbeiten anzukaufen und auszustellen. Da hatten Shrigleys komische Zeichnungen, Objekte, Fo-tografien, Animationen und Tattoos längst die Kunstszene durchsickert: Sie feierte den Schotten als minimalistischen Jonathan Meese, der im Gegensatz zum selbstgesalbten Erzdiktator der Künste nicht nur ein einziges, peinlich-peinigendes Ticket – das von infantiler Farbmatsche und Nazikrawall – gezogen hatte, sondern sich immer wieder neu erfand. Und dabei auch noch sehr lustig war.

Shrigley war nicht nur das Kunststück gelungen, eine Fingerfertigkeit der dilettierenden Verzeichnung zu entwi-ckeln, die als eigene Handschrift sofort wiederzuerkennen war, sondern diese auch noch hochoffiziös in den nicht nur an Bedeutung, sondern auch an finanziellen Mit-teln reichen Kunstmarkt einzuspeisen. Und das, obwohl der Multifunktionsartist nach einem mittelmauscheligen Kunsthochschulabschluss eigentlich als kommerzieller Cartoonist und nicht als freier Künstler hatte reüssieren wollen. Fügung wohl, dass sich beides verbinden ließ.

Dabei ist der Anblick, den Shrigleys Zeichnungen bie-ten, auf den ersten Blick desaströs. Und auf den zweiten nicht minder. Schwarze, monoton gleichstarke Filzstiftli-

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Rom., Zweitstudiumsintermezzo am DLL. Zahlreiche Veröffent-lichungen in Zeitschriften & Anthologien, 2011 Lyrik-Debüt »Peng«. Stipendiatin und Preisträ-gerin, Praktikantin in der Land-wirtschaft & Pilgerin bis ans Ende der Welt. Lebt & schreibt zur Zeit in Bonn.

Tim Gaedke lebt seit Ende der Achtziger in Berlin. Das gefällt ihm ganz gut. Er arbeitet von dort aus immer mal wieder für Magazine, Zeitungen und sons-tige Druckwerke als Illustrator und Comiczeichner. www.dop peltim.de

Olaf Guercke, geboren 1968, lebt in Bonn. War EXOT-Mithe-rausgeber. Ist Mitglied der Bon-ner Lesebühne »Der Kleingeist« und lässt sich zurzeit zum Biblio-thekar ausbilden.

Steffen Gumpert, geboren 1975 in Höxter, studierte Kommu-nikationsdesign in Hildesheim und lebt seit 2001 in Berlin, wo er seine Schrippen als freier Car-toonist, Comiczeichner und Il-lustrator sowie als Designer beim Trickfilm verdient. Er ist seit Jah-ren in der deutschen Cartoon- und Comicszene unterwegs und betreibt seit 2006 die Webseite www.suessesundsaures.net mit wöchentlich neuen Cartoons.

Dagrun Hintze, geboren 1971 in Lübeck, lebt in Hamburg. Sie schreibt Lyrik, Kurzprosa

und Theaterstücke und widmet sich literarisch und essayistisch der Vermittlung zeitgenössischer Kunst.

Michael Holtschulte, Jahrgang 1979, lebt und arbeitet als Car-toonist in Herten. Seine Zeich-nungen erscheinen in Magazin-en, Zeitungen und in mehreren Büchern des Lappan-Verlags. 2012 wurde Michael Holtschul-te mit dem Publikumspreis des Deutschen Preises für die poli-tische Karikatur ausgezeichnet. Wöchentlich erscheinen neue Cartoons auf seiner Seite www.totaberlustig.de.

Jiri Kandeler, geboren 1968 in Berlin und bis heute dort lebend. Neben diversen anderen Beschäf-tigungen immer wieder als Autor tätig, zuletzt auch als Dichter.

Francis Kirps wohnt in dörfli-cher Abgeschiedenheit in Luxem-burg und schreibt Geschichten sowie alle zwei Jahre ein Gedicht. Der Erzählungsband »Planet Lu-xemburg« erschien 2012 im Ver-lag Andreas Reiffer.

Dorthe Landschulz hat als Bummelstudentin Illustration an der HAW-Hamburg studiert und nach vielen genialen Partys, ge-mütlichen Grillabenden und ge-wonnenen Kickerturnieren 2006 ihr Diplom gemacht. Heute lebt Sie in der Bretagne, designt Grafisches und illustriert. Seit 2 Jahren zeichnet sie die Cartoon-

Justin Andreae, Jahrgang 1993, lebt in Rellingen und arbeitet in einem Callcenter. Beides ist ihm gleich peinlich.

Benjamin Bäder lebt seit 1982, einige Jahre davon in Duisburg, studierte Kommunikationsde-sign in Düsseldorf, experimen-tiert mit verschiedenen Kreati-vitätstechniken, unter anderem mit assoziativem Schreiben, was sehr lustig sein kann (s.o.). www.fremdlesen.de

Christian Bartel lebt mal auf dieser, mal auf jener Rheinsei-te. Er hat den Zivildienstroman erfunden und zuletzt ein Buch über das Rheinland geschrieben.

Thilo Bock wohnt seit seiner Ge-burt 1973 in Berlin. Dabei guckt er oft aus dem Fenster. Abends liest und singt er vor Publikum. Sein zweiter Roman »Senats-reserve« erschien 2011 bei der Frankfurter Verlagsanstalt. www.thilo-bock.de

Katinka Buddenkotte lebt und schreibt in Köln, liest aber überall dort vor, wo sie gebraucht wird. Regelmäßig geschieht das bei den Lesebühnen »Rock n Read« (Köln) und »Trio mit vier Leu-

ten« (Düsseldorf ). Nach gefühl-ten achthundert Kurzgeschich-ten, die teilweise in schmucken Büchern veröffentlicht wurden, erschien im Oktober 2012 ihr erster Roman »Betreutes Trin-ken« (Knaus & Ko).

Corinna Chaumeny arbeitet als freie Illustratorin in Hamburg. Sie hat an der HAW Hamburg Illustrationsdesign studiert, nachdem sie sich einige Jahre beruflich im Bereich der Fremd-sprachen verirrt hatte. An ihrem Zeichentisch fehlen nie: Tusche, Pinsel und Humor. www.corin na-chaumeny.de

Lisa Danulat, geboren 1983 in Frankfurt am Main, studierte Philosophie, Schauspiel und Sze-nisches Schreiben. Festes Mit-glied der Frankfurter Lesebühne Ihres Vertrauens. Ihr erstes Stück wurde 2005 uraufgeführt, seit-her übersetzt und veröffentlicht sie neben ihren Theatertexten auch kleinere Arbeiten in Lite-raturzeitschriften. Danulat war 2010/11 Hausautorin am Staats-theater Mainz, wo »Königreich« 2012 uraufgeführt wurde.

Tina Ilse Maria Gintrowski,* 1978 in Berlin. M.A. Germ. &

EXOTENDIESERAUSGABE

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Thekenschlampe. 2010 erschien seine Graphic Novel »Bonhoef-fer«. Momentan arbeitet er an ei-ner Biografie über Martin Luther und zusammen mit Lydia Daher an Graphic Poems: graphic-po-ems.blogspot.com

Volker Surmann lebt als Multi-funktionssatiriker, Verleger und Exilostwestfale in Ostberlin. Er liest bei der Lesebühne »Brau-seboys«, hat zahlreiche Antho-logien herausgegeben und einen Kurzgeschichtenband (»Lieber Bauernsohn als Lehrerkind«) so-wie einen Roman veröffentlicht (»Die Schwerelosigkeit der Fluss-pferde«). Ein zweiter Roman ist in Vorbereitung. www.volkersur mann.de

Robin Vehrs wohnt und arbeitet in Hamburg. Hobbies: Bowling, Domian.enjambements.blogspot.com

Ella Carina Werner veröffent-lichte Aufsätze, Erzählungen, Reportagen und andere Texte in Titanic, taz, FAZ, Missy Maga-zine, auf Zeit Online u.a. Seit 2012 ist sie Mitherausgeberin des EXOT, im gleichen Jahr er-schien ihr Roman »Die mit dem Bauch tanzt« bei Ullstein. www.ellacarinawerner.de

Olav Westphalen lebt als deutsch-amerikanischer Künstler in Stockholm. Er hat sich das Ziel gesetzt, mit seinen Arbeiten immer wieder die toten Winkel

und blinden Flecken der eigenen Zunft auszuleuchten. Folgerich-tig bespielt Westphalen »E« und »U« zugleich, zeichnet Cartoons für Massenmedien und stellt gleichzeitig an Orten wie dem Whitney Museum (New York), dem Moderna Museet (Stock-holm) oder dem Brandenbur-gischer Kunstverein (Potsdam) aus. Seine Arbeiten befinden sich auch in den Sammlungen des Centre Pompidou und des Museum of Modern Art. In Deutschland kennt man ihn vor allem als Mitglied des Cartoonis-tenduos Rattelschneck.

Lino Wirag, * 1983, studierte vermischte Künste und Wissen-schaften und ist im Prinzip dabei geblieben. Zurzeit schreibt er eine Dissertation übers Comic-zeichnen und hält sich einen eigenen Poetry Slam. www.lino wirag.de ♥

Serie »Ein Tag, ein Tier«. www.facebook.com/EinTagEinTier

Wolfgang Lüchtrath studierte Theater- Film- und Fernsehwis-senschaften, Germanistik und Philosophie in Köln. Er schreibt Kabarettprogramme, entwickelt Sitcoms und andere (Fernseh-) Formate. Unter dem Label »Hu-morentwicklung« realisierte er rund 300 Auftragsproduktionen. www.luechtrath.de

Matrattel, 1984 in Wien gebo-ren. Teilweise passable schulische Leistungen auf verschiedenen Gebieten; regelmäßige Teilnah-me an den Neigungsgruppen Schwimmen und Basketball. Nach der Matura Ausbildung zum Hochgebirgsjäger beim Ös-terreichischen Bundesheer sowie als Mountainbike-Semiprofi. Danach: Studium der Biologie sowie der Landschaftsarchitek-tur. Ab ca. 2008 unregelmäßige Veröffentlichungen in Hydra, Titanic, Bananenblatt sowie dem ÖH-Magazin der Boku.

Madame Modeste lebt mit ihrer Familie in Berlin und bloggt un-ter modeste.twoday.net.

Nadine Redlich ist eine Illustra-torin und Comiczeichnerin aus Düsseldorf. www.nadineredlich.de

Hannes Richert ist an einem sonnigen Ostersonntag 1982 auferstanden und fing sofort

an, Cartoons und Comics für »Eulenspiegel« und »Titanic« zu zeichnen, was er bis zum heuti-gen Tage tut. Zu seiner Belus-tigung, und um den Zugang zur arbeitenden Klasse nicht zu verlieren, lebt er in Berlins Gla-mour-Bezirk Neukölln. www.hannesrichert.de

Dr. Georg Ringsgwandl hängte mit 45 seinen Beruf als kardio-logischer Oberarzt an den Nagel und widmete sich ganz dem Mu-sikkabarett. Er steht seit über 30 Jahren auf der Bühne.

Rüdiger Saß. Jahrgang 66, So-ziologe, Wohnhaft in Hamburg, zuletzt erschienen: »Neues von der Heimatfront« (Grabenstet-ten 2008).

Andreas Schumacher, *1981 in Bietigheim-Bissingen, lebt in Walheim und schreibt Gedichte und Geschichten. www.andreas-schumacherinfo.de

Peter Schwendele, * 1965, stu-dierte Politik, Geschichte und Soziologie. Seit 1995 lebt er als Journalist in Schopfheim in der Nähe der Schweizer Grenze. In seiner Freizeit schreibt er sowohl Kurzgeschichten als auch längere Prosatexte, die in verschiedenen Literaturzeitschriften und An-thologien veröffentlicht wurden.

Moritz Stetter, freiberuflicher Comic-Kritzler, Leinwändevoll-schmierer, Plattenverunstalter,