exakt kleben, dichten und dämmen

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ROBOTEREINSATZ IM AUTOMOBILBAU Exakt kleben, dichten und dämmen Wenn zum Beispiel Motorhauben crashfest geklebt oder gebördelte Bleche sicher miteinander verbunden werden, geschieht dies meist roboterunterstützt. Wichtig ist dann ein perfekter Datenaustausch – etwa um Klebraupen auch in Kurven und Ecken in der gleichen Qualität aufzubringen wie auf der Geraden. Welche klebtechnischen Aufgaben gibt es im Automobilbau zu bewältigen? E in modernes Fahrzeug läuft heu- te in der Fertigung an 60 bis 80 Klebsystemen vorbei“, erklärt Olaf Leonhardt, Geschäftsbereichsleiter Fahrzeugindustrie bei SCA Schucker, wobei Kleben auch Dichten oder Däm- men heißen könne. „Etwa 80 Prozent der Systeme stehen im Rohbau, 15 Prozent entfallen auf die Lackierstraße und et- wa 5 Prozent auf die Endmontage,“ so Leonhardt weiter. Während im Rohbau vorwiegend geklebt werde, seien in der Lackiererei eher Dicht- und Dämmungs- anwendungen zu finden. SCA stellt Systeme und Anlagen her, mit denen die Industrie Kleb-, Dicht- und Dämmstoffe manuell oder automatisiert an Bauteilen aufbrin- gen kann. Zu den umgesetzten An- wendungen im Automobilbau zäh- len hauptsächlich Stütz- und Festig- keitsverklebungen, Abdichtungen und spritzbare Dämmungsmassen für den Karosseriebau und Lackier- straßen, aber auch Dichtungs-Lösun- gen für den Motoren- und Getriebebau oder das Verkleben von Scheiben und Cockpitelementen. In der allgemei- nen Industrie werden beispielswei- se Backofenscheiben in die Türrah- men und die Türen auf die Gestelle geklebt oder bei Geschirrspülern und Gefrierschränken geräuschdämmen- de Spritzmassen eingebracht. Die Wahl des richtigen Roboters Praktisch alle genannten Applikatio- nen werden heute von Robotern über- nommen. „Grundsätzlich kommen Por- tal- und Sechs-Achs-Industrieroboter in Frage“, sagt Olaf Leonhardt. Letz- tere sind extrem schnell und im drei- dimensionalen Raum äußerst flexibel und zuverlässig. Außerdem weisen sie eine hohe Tragkraft auf, sodass sie in der Regel bevorzugt eingesetzt werden. Auf dem Markt verfügbar sind spezielle Softwareprogramm, um die Klebsteue- rungen entsprechend der jeweiligen Anwendung zu optimieren. Für Portal- Bild 1: Bei Bahnänderungen, zum Beispiel in Kurven, fährt der Roboter langsamer als auf einer Geraden. Trotzdem darf in dieser Zeit nicht mehr Klebstoff aufgetragen werden. Moderne Software stellt die exakte Dosierung an jedem Punkt sicher. © SCA ANWENDUNGEN adhäsion 12/2013 24

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ROBOTEREINSATZ IM AUTOMOBILBAU

Exakt kleben, dichten und dämmenWenn zum Beispiel Motorhauben crashfest geklebt oder gebördelte Bleche sicher miteinander verbunden werden, geschieht dies meist roboterunterstützt. Wichtig ist dann ein perfekter Datenaustausch – etwa um Klebraupen auch in Kurven und Ecken in der gleichen Qualität aufzubringen wie auf der Geraden. Welche klebtechnischen Aufgaben gibt es im Automobilbau zu bewältigen?

Ein modernes Fahrzeug läuft heu-te in der Fertigung an 60 bis 80 Klebsystemen vorbei“, erklärt

Olaf Leonhardt, Geschäftsbereichsleiter Fahrzeugindustrie bei SCA Schucker, wobei Kleben auch Dichten oder Däm-men heißen könne. „Etwa 80 Prozent der Systeme stehen im Rohbau, 15 Prozent entfallen auf die Lackierstraße und et-wa 5 Prozent auf die Endmontage,“ so Leonhardt weiter. Während im Rohbau vorwiegend geklebt werde, seien in der Lackiererei eher Dicht- und Dämmungs-anwendungen zu finden.

SCA stellt Systeme und Anlagen her, mit denen die Industrie Kleb-, Dicht- und Dämmstoffe manuell oder automatisiert an Bauteilen aufbrin-gen kann. Zu den umgesetzten An-wendungen im Automobilbau zäh-len hauptsächlich Stütz- und Festig-keitsverklebungen, Abdichtungen und spritzbare Dämmungsmassen für den Karosseriebau und Lackier-straßen, aber auch Dichtungs-Lösun-gen für den Motoren- und Getriebebau oder das Verkleben von Scheiben und Cockpitelementen. In der allgemei-nen Industrie werden beispielswei-se Backofenscheiben in die Türrah-men und die Türen auf die Gestelle geklebt oder bei Geschirrspülern und

Gefrierschränken geräuschdämmen-de Spritzmassen eingebracht.

Die Wahl des richtigen RobotersPraktisch alle genannten Applikatio-nen werden heute von Robotern über-nommen. „Grundsätzlich kommen Por-tal- und Sechs-Achs-Industrieroboter in Frage“, sagt Olaf Leonhardt. Letz-

tere sind extrem schnell und im drei-dimensionalen Raum äußerst flexibel und zuverlässig. Außerdem weisen sie eine hohe Tragkraft auf, sodass sie in der Regel bevorzugt eingesetzt werden. Auf dem Markt verfügbar sind spezielle Softwareprogramm, um die Klebsteue-rungen entsprechend der jeweiligen Anwendung zu optimieren. Für Portal-

Bild 1: Bei Bahnänderungen, zum Beispiel in Kurven, fährt der Roboter langsamer als auf einer Geraden. Trotzdem darf in dieser Zeit nicht mehr Klebstoff aufgetragen werden. Moderne Software stellt die exakte Dosierung an jedem Punkt sicher.

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roboter, die meist nur in drei Achsen verfahren können, existieren derartige Programme nicht. Dies ist der Grund dafür, dass solche Automaten im Karos-seriebau nicht eingesetzt werden kön-nen.

Die Herausforderungen für einen au-tomatisierten Klebstoffauftrag liegen ei-nerseits in der Zugänglichkeit der Bau-teile, zweitens in der Geschwindigkeit, die in der Automobilindustrie eines der höchsten Güter ist. Dabei bedeutet „Ge-schwindigkeit“ nicht nur, dass der Ro-boter sehr schnell arbeiten muss. Es kommt vielmehr darauf an, die Bahnge-schwindigkeit exakt zu berechnen (Bild 1). „Denn in Kurven oder Ecken muss die Maschine zwangsweise etwas lang-samer fahren“, führt Leonhardt aus. „Trotzdem darf an den Stellen nicht mehr Klebstoff aufgetragen werden als vor und hinter der Kurve.“

Exakt an jedem Punkt der BahnDie zur Verfügung stehenden Syste-me bestehen aus Fasspumpe für das jeweilige Material, Dosiereinheit, Auf-tragsdüse sowie der Steuerungssoft-ware für alle Komponenten. Von ihnen wird gefordert, dass sie immer die ge-naue Förderung des Klebstoffs und des-sen geregelten Auftrag auf dem Bauteil sicherstellen. Dazu ist ein perfekter Da-tenaustausch mit dem Roboter erforder-lich. Der Roboter – beziehungsweise sei-ne Steuerung – rechnet seine Geschwin-digkeit aus und gibt dem eingesetzten System die Werte an. Daraus lässt sich dann für jeden Punkt der Bahn die ex-akte Dosierung berechnen.

Die wichtigsten Applikationen im Automobil-Rohbau erstrecken sich auf konstruktive Verklebungen, gefolgt vom Bördelrand- und Stützkleben. Mit Hilfe des konstruktiven Klebens wer-den zwei Bleche miteinander verbun-den, vor allem um Kontaktkorrosion zu vermeiden und die Crashfestigkeit der Komponenten zu erhöhen (Bild 2). Der Klebstoff wird per Roboter vor dem

Verschweißen der Bauteile aufgetragen und härtet dann im Lackofen aus. Ver-wendet werden hierfür Epoxid-Kleb-stoffe, die zwischen den Blechen eine Struktur erzeugen.

Kreiselbewegung verteilt KlebstoffAn den Türen, an der Motorhaube und der Heckklappe sind die sogenannten Bördelrand- und Stützverklebungen zu

Bild 2: Bei festigkeitsrelevanten Aufgaben wird das Punktschweißen häufig durch Strukturkleben ersetzt, seit hochfeste Klebstoffe auf Epoxidbasis zur Verfügung stehen. Da man bis zur Aushärtung des Klebstoffs nicht ohne Fixierung auskommt, wird weiter in reduziertem Maße geschweißt. Weil an diesen Stellen der Klebstoff beim Durchschweißen verbrennen würde, wird der Auftrag genau dort unterbrochen.

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Bild 3: Beim Bördelrandkleben werden Außen- und Innenblech zum Beispiel einer Autotür ineinander geschachtelt und miteinander verklebt. Dazu wird das Außenblech so gebogen, dass eine etwa 10 mm breite Kante mit Rand entsteht, in die nach dem Auftragen des Klebstoffs das Innenblech eingelegt wird.

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finden sowie flächige Dämmungen (spe-ziell in den Türen). Beim Bördelrand-kleben werden Außen- und Innenblech der Tür verbördelt, also ineinander ge-schachtelt (Bild 3). Dazu wird das Blech so gebogen, dass eine etwa 10 mm brei-te Kante mit Rand entsteht, in die das In-

nenblech eingelegt wird. Der Klebstoff muss dabei so fein verteilt werden, dass er beim Bördelprozess nicht aus dem Blech herausgedrückt wird und trotz-dem den Bördelflansch vollständig aus-füllt. Dafür eignet sich insbesondere das sogenannte Wirbelsprüh- oder „Swirl“-

Verfahren: Der Klebstoff wird flach und breit aufgetragen und in einer Kreisel-bewegung gut verteilt, was die Schach-telung der beiden Bauteile erleichtert (Bild 4). Die Klebstoffraupe kann sich dadurch beim Einlegen des einen Ble-ches in die Bördelung des anderen nicht verschieben und bietet eine große Adhä-sionsfläche. Dies ist angesichts der üb-lichen Beölung der Bleche von Vorteil.

In den Lackierstraßen werden solche Bördel- und Schnittkanten sowie andere Nähte nach dem gleichen Dosierprinzip wie beim Kleben abgedichtet. Allerdings kommen ein anderes Material und eine dazu passende Düse zum Einsatz. Da sich diese Korrosionsschutzapplikatio-nen beim Öffnen der Autotür im Sichtbe-reich befinden, nennt man diese Anwen-dungen auch Cosmetic Sealing. Gleiches gilt zum Beispiel für die Blechübergän-ge vom Dach zur Seitenwand oder vom Kofferraum zur Seitenwand. Neben die-sen sogenannten Feinnahtabdichtungen gibt es noch Grobnahtabdichtungen für Stellen am Boden oder an der Stirnwand, damit keine Feuchtigkeit ins Fahrzeug-innere eindringen kann oder Schnitt-kanten korrodieren.

Das Stützkleben wiederum wird un-ter anderem an der Motorhaube einge-setzt, um das Gerippe der Hauben-In-nenseite mit der Außenhaube zu ver-binden. Die beiden Teile müssen bei Temperatureinwirkung noch gegenein-ander arbeiten können, sollen aber nicht reißen. Mit dem Stützkleben wird genau dies erreicht, und zudem werden die Ge-räusche deutlich reduziert. Dieses Ver-fahren wird überall dort eingesetzt, wo eine flexible Verbindung im Außenhaut-bereich benötigt wird – also auch beim Dach oder am Tankdeckel.

Spritzbare AkustikmassenEine weitere Anwendung ist die „spritz-bare Dämmung“. Per Roboter wird Dämmmaterial beispielsweise in den Fußraum eines Automobils eingebracht, wo früher in Handarbeit Dämmmatten

Bild 4: Das Wirbelsprüh- oder „Swirl“-Verfahren eignet sich für Bördelrand-verklebungen. Der Klebstoff wird flach und breit aufgetragen und gut verteilt, was die Schachtelung zweier Bauteile erleichtert.

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Bild 5: Die automatisierte Applikation von Dämmmaterial im Fußraum eines Automobils ersetzt das klassische Einlegen von Dämmmatten per Hand. Die „spritzbare Akustikmasse“ wird im sogenannten Flatstream-Verfahren aufgebracht.

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eingelegt wurden (Bild 5). Solche spritz-baren Akustikmassen werden im soge-nannten Flatstream-Verfahren aufge-bracht, wodurch recht breite Oberflä-chen erzeugt werden können.

Auch der Unterbodenschutz zählt zu den sogenannten „Dickstoff“-Appli-kationen (unter diesem Begriff lassen sich Dicht- und Dämmanwendungen zusammenfassen). Er wird heute fast ausschließlich mit PVC-basiertem Ma-terial im Airless-Verfahren in Schicht-dicken von 500 bis 800 µm aufgetragen (Bild 6). Mit einem Multifunktionskopf gelingt es, Dämmapplikationen, Nahtab-dichtungen und Unterbodenschutz in ei-ner Roboterstation zu realisieren.

Der Unterbodenschutz wird in der Lackiererei aufgesprüht, wenn die Ka-rosserie schon grundiert ist.

Optimierungspotenzial in der Auto-matisierung sieht Leonhardt noch bei der Offline-Programmierung der Robo-ter. „Heute wird sehr viel über Roboter-CAD-Programme simuliert, wir kön-nen die Klebtechnik und die Bauteile am Rechner bearbeiten und offline pro-grammieren. Was man aber nicht kann,

ist, die Applikationsqualität schon im Voraus mit Hilfe des Computers zu be-urteilen.“ Dafür sei umfassendes Pro-zessverständnis erforderlich.

Zukunftstraum: Qualität programmierenWas heute geschehe, sei eine reine Posi-tionsprogrammierung: „Wir können dem

Roboter nur die Koordinaten mitgeben, nicht aber die rheologischen Eigenschaf-ten des Klebstoffs oder die Strömungs-eigenschaften einer Düse. Und damit können wir nicht auf Qualität program-mieren.“ Das werde sich auch mindestens in den kommenden fünf Jahren kaum ändern, sagt Olaf Leonhardt. „Trotzdem wäre eine solche Möglichkeit wünschens-wert, weil wir damit die Inbetriebnah-mezeiten und den Aufwand für Prozess-optimierungen beim Kunden deutlich reduzieren könnten.“ Mit einer praxis-nahen Darstellung der Applikationsqua-lität in einem Simulationsprogramm könnten nicht nur Leute geschult werden, es könnten sogar Temperatureinflüsse, Einflüsse von Chargenschwankungen und andere Parameter präventiv unter-sucht werden. ¢

Bild 6: Unterbodenschutz wird fast ausschließlich mit PVC-basiertem Material erreicht, das im Airless-Verfahren mit Schichtdicken von 500 bis 800 µm aufgetragen wird.

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Weitere InformationenSCA Schucker GmbH & Co. KG

Gewerbestraße 52,

D-75015 Bretten

Tel. +49 (0)7252-5560-0

[email protected]

Olaf Leonhardt, Geschäftsbereichsleiter Fahrzeugindustrie bei SCA Schucker: „Wir können dem Roboter nur die Koordinaten mitgeben, nicht aber die rheologischen Eigenschaften des Klebstoffs oder die Strömungseigenschaften einer Düse. Und damit können wir nicht auf Qualität programmieren.“

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