entwicklung und anwendung von methoden zur bestimmung von … · 2014. 8. 8. · dabei werden...

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Entwicklung und Anwendung von Methoden zur Bestimmung von Selen-Spezies in human-biologischem Material Der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades Dr. rer. nat. vorgelegt von Thomas Jäger aus Hof (Saale)

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  • Entwicklung und Anwendung von Methoden

    zur Bestimmung von Selen-Spezies in

    human-biologischem Material

    Der Naturwissenschaftlichen Fakultät

    der Friedrich-Alexander-Universität

    Erlangen-Nürnberg

    zur

    Erlangung des Doktorgrades Dr. rer. nat.

    vorgelegt von

    Thomas Jäger

    aus Hof (Saale)

  • Als Dissertation genehmigt

    von der Naturwissenschaftlichen Fakultät

    der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Tag der mündlichen Prüfung: 01.08.2014 Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Johannes Barth Gutachter: Prof. Dr. Monika Pischetsrieder

    Prof. Dr. Thomas Göen

  • DANKSAGUNG

    Herrn Prof. Dr. Thomas Göen vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der

    Universität Erlangen-Nürnberg danke ich für die freundliche Überlassung des

    interessanten Themas, die wissenschaftliche Betreuung dieser Arbeit, welche einherging

    mit wertvollen Anregungen und Diskussionen sowie die kontinuierliche Unterstützung in

    allen Bereichen meiner Tätigkeit am Institut.

    Bei Frau Prof. Dr. Monika Pischetsrieder vom Lehrstuhl für Lebensmittelchemie der

    Universität Erlangen-Nürnberg möchte ich mich für die Betreuung und Begutachtung

    dieser Arbeit von Seiten der Naturwissenschaftlichen Fakultät herzlich bedanken. Des

    Weiteren danke ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Kreis vom Lehrstuhl für Pharmazeutische

    Biologie für die freundliche Bereitschaft, sich als Prüfer zur Verfügung zu stellen.

    Bei Herrn Prof. Dr. Hans Drexler, dem Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und

    Umweltmedizin möchte ich mich für die freundliche Aufnahme in seinem Institut und das

    stets entgegengebrachte Vertrauen bedanken.

    Außerdem geht mein Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für

    Arbeits-, Sozial und Umweltmedizin für die außerordentlich gute und kollegiale

    Zusammenarbeit. Besonders danken möchte ich Ulla Heinrich-Dafner, Svetlana

    Kühnemann, Tanja Kaiser und Elke Ostgathe für die tatkräftige Unterstützung bei der

    Durchführung der In-vivo-Metabolismus-Studien. Weiterhin geht mein Dank an Eva Sterzl,

    Barbara Verhoeven, Elke Reinhart und Karin Seitz für die hervorragende

    Zusammenarbeit im Labor in der Henkestraße sowie Dr. Wobbeke Weistenhöfer und

    Irmgard Hofler für die herzliche Aufnahme ins BAT-Team. Dank gebührt außerdem

    Johannes Müller für die kompetente Unterstützung bei Problemen der instrumentellen

    Analytik.

    Weiterhin möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Probandinnen und Probanden für ihre

    Teilnahme an den Studien bedanken, nur durch ihr Mitwirken war ein Großteil dieser

    Arbeit möglich.

    Nicht zuletzt geht ein herzliches Dankeschön an meine Freundin Conny und insbesondere

    an meine Eltern und meinen Bruder Andreas, ohne deren tatkräftige und bedingungslose

    Unterstützung auf meinem bisherigen Lebensweg das Entstehen dieser Arbeit nicht

    möglich gewesen wäre.

  • PUBLIKATIONEN UND VORTRÄGE

    Im Zusammenhang mit der Bearbeitung der vorliegenden Dissertation sind folgende

    Publikationen und Vorträge entstanden:

    Veröffentlichungen

    Jäger T, Drexler H, Göen T (2013) Ion pairing and ion exchange chromatography coupled to

    ICP-MS to determine selenium species in human urine. Journal of Analytical Atomic Spectrometry

    28: 1402-1409

    Poster

    Jäger T, Drexler H, Göen T: Humane In-vivo-Metabolismus-Studien - Untersuchung des

    Metabolismus und der Toxikokinetik verschiedener Selenverbindungen nach oraler Aufnahme.

    54. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V.

    (DGAUM); 2. - 4. April 2014 in Dresden

    Jäger T, Dorner S, Drexler H, Göen T: Bestimmung von Selenat im Urin als Marker für berufliche

    Belastungen mit anorganischen Selenverbindungen. 54. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft

    für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM); 2. - 4. April 2014 in Dresden

    Jäger T, Dorner S, Drexler H, Göen T: Human metabolism and renal elimination of orally

    administered sodium selenate. 10th International Symposium on Selenium in Biology and

    Medicine; 14. - 18. September 2013 in Berlin

    Jäger T, Drexler H, Göen T: Human metabolism and renal elimination of selenium according to the

    absorbed species. 9th International Symposium on Biological Monitoring; 9. - 11. September 2013

    in Manchester, England

    Jäger T, Drexler H, Göen T: Bestimmung von Selenspezies in Urinproben der Allgemein-

    bevölkerung mittels Kopplung verschiedener Flüssigchromatographiemethoden mit induktiv-

    gekoppeltem Plasma-Massenspektrometrie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für

    Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM); 13. - 16. März 2013 in Bregenz, Österreich

    Jäger T, Drexler H, Göen T: Differences in human metabolism and renal elimination of selenium

    according to the absorbed species. Workshop Selenium 2012 – Selenium in geological,

    hydrological and biological systems; 9. - 10. Oktober 2012 in Karlsruhe

  • Jäger T, Drexler H, Göen T: Bestimmung von Selenspezies in einem Kollektiv der

    Allgemeinbevölkerung mittels LC-ICP-DRC-MS-Kopplung. Kongress „Gesunde Umwelt – Gesunde

    Bevölkerung“, 4. LGL Kongress für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, 5. Jahrestagung der

    Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin; 9. - 11. November 2011 in

    München

    Jäger T, Drexler H, Göen T: Bestimmung von Selenspezies in Urin mittels IPC-ICP-DRC-MS-

    Kopplung. 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin

    e.V. (DGAUM); 9. - 12. März 2011 in Heidelberg

    Vorträge (Vortragender ist unterstrichen)

    Jäger T, Drexler H, Göen T: Influence of the ability in humans to generate the trimethylselenium

    ion (TMSe) on the metabolism of sodium selenite, sodium selenate and selenized yeast. The 5th

    International IUPAC Symposium for Trace Elements in Food (TEF-5); 6. - 9. Mai 2014 in

    Kopenhagen, Dänemark

    Jäger T, Dorner S, Drexler H, Göen T: Selenium species analysis reveals dichotomous behavior in

    the German general population to generate trimethylselenium ion. 10th International Symposium

    on Selenium in Biology and Medicine; 14. - 18. September 2013 in Berlin

    Jäger T, Drexler H, Göen T: Unterschiede im humanen Metabolismus und der renalen Elimination

    von Selen in Abhängigkeit der aufgenommenen Selenverbindung. 53. Jahrestagung der Deutschen

    Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM); 13. - 16. März 2013 in

    Bregenz, Österreich

    Jäger T, Drexler H, Göen T: Differenziertes Selen-Biomonitoring durch Spezies-Analytik.

    Symposium anlässlich 40 Jahre DFG-Arbeitsgruppe „Analysen in biologischem Material“;

    11. Oktober 2012 in Erlangen

    Jäger T, Schaller B, Göen T, Drexler H: Die Bestimmung von Selen im Urin als möglicher

    biologischer Belastungsparameter für berufliche Selenbelastungen. 50. Jahrestagung der

    Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM); 16. - 19. Juni 2010

    in Dortmund

  • „Alle Ding‘ sind Gift und nichts ohn‘ Gift;

    allein die Dosis macht, dass ein Ding‘ kein Gift ist.“

    Paracelus (1493 – 1541)

  • Inhaltsverzeichnis I

    Inhaltsverzeichnis

    1 EINLEITUNG UND ZIELSETZUNG ................................................................................ 1

    2 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND ....................................................................... 3

    2.1 Das Element Selen – physikalische und chemische Eigenschaften ........................ 3

    2.2 Vorkommen ............................................................................................................ 3

    2.3 Selenspezies .......................................................................................................... 4

    2.4 Speziesanalytik ....................................................................................................... 5

    Chromatographische Trennmechanismen ........................................................... 6 2.4.1

    Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-MS) ...................... 8 2.4.2

    2.5 Die Rolle von Selen im menschlichen Körper ........................................................ 10

    2.6 Optimale Selenaufnahme...................................................................................... 12

    2.7 Expositionsquellen ................................................................................................ 15

    Selenaufnahme über die Nahrung ..................................................................... 15 2.7.1

    Exposition durch Nahrungsergänzungsmittel ..................................................... 20 2.7.2

    Industrielle Verwendung von Selen ................................................................... 22 2.7.3

    2.8 Bioverfügbarkeit und Metabolismus von Selen ...................................................... 24

    Bioverfügbarkeit ................................................................................................ 24 2.8.1

    Metabolismus und Elimination ........................................................................... 25 2.8.2

    2.9 Klinische Störungen - Gefährdungsbeurteilung von Selen .................................... 29

    Selenmangel ..................................................................................................... 29 2.9.1

    Toxizität ............................................................................................................. 30 2.9.2

    2.10 Bestimmung des Selenstatus beim Menschen ...................................................... 34

    3 MATERIAL UND METHODEN ...................................................................................... 37

    3.1 Methoden zur Bestimmung von Gesamtselen in humanen Blutplasma- und

    Urinproben ............................................................................................................ 37

    Geräte, Materialien und Chemikalien ................................................................. 37 3.1.1

    Lösungen und Standardlösungen ...................................................................... 38 3.1.2

    Probenaufarbeitung ........................................................................................... 39 3.1.3

  • II Inhaltsverzeichnis

    Instrumentelle Arbeitsbedingungen des ICP-MS ............................................... 40 3.1.4

    Analytische Bestimmung ................................................................................... 40 3.1.5

    Kalibrierung und Berechnung der Analysenergebnisse ..................................... 41 3.1.6

    Qualitätssicherung ............................................................................................. 41 3.1.7

    Validierung ........................................................................................................ 42 3.1.8

    3.2 Bestimmung niedermolekularer Selenspezies in Urin ............................................ 43

    Geräte, Materialien und Chemikalien ................................................................. 44 3.2.1

    Lösungen .......................................................................................................... 46 3.2.2

    Probenaufarbeitung ........................................................................................... 49 3.2.3

    Instrumentelle Arbeitsbedingungen ................................................................... 49 3.2.4

    Kalibrierung und Berechnung der Analysenergebnisse ..................................... 50 3.2.5

    Qualitätssicherung ............................................................................................. 51 3.2.6

    Validierung der Methoden.................................................................................. 52 3.2.7

    3.3 Bestimmung von Kreatinin .................................................................................... 53

    3.4 Probandenkollektive .............................................................................................. 53

    Probandenkollektiv I: Allgemeinbevölkerung...................................................... 53 3.4.1

    Probandenkollektiv II: In-vivo-Metabolismus-Studien ......................................... 54 3.4.2

    3.5 Statistische Auswertung ........................................................................................ 55

    4 ERGEBNISSE UND DISKUSSION ............................................................................... 56

    4.1 Analytische Verfahren zur Bestimmung von Gesamtselen in humanen Urin-

    und Plasmaproben ................................................................................................ 56

    Methodenentwicklung ........................................................................................ 56 4.1.1

    Beurteilung der Verfahren – Methodenvalidierung ............................................. 59 4.1.2

    Diskussion der Methoden .................................................................................. 62 4.1.3

    4.2 Analytische Verfahren zur Bestimmung von niedermolekularen Selenspezies

    in Urinproben ........................................................................................................ 63

    Methodenentwicklung ........................................................................................ 63 4.2.1

    Beurteilung der Verfahren – Methodenvalidierung ............................................. 66 4.2.2

  • Inhaltsverzeichnis III

    Diskussion der Methoden .................................................................................. 69 4.2.3

    4.3 Bestimmung von Gesamtselen und niedermolekularen Selenspezies in

    Urinproben der Allgemeinbevölkerung .................................................................. 72

    Gesamtselen ..................................................................................................... 72 4.3.1

    Selenspezies ..................................................................................................... 74 4.3.2

    4.4 In-vivo-Metabolismus-Studien von Selen .............................................................. 84

    Untersuchung der Selenausscheidung ohne Supplementation .......................... 84 4.4.1

    Humane In-vivo-Metabolismus-Studie nach oraler Einnahme von 4.4.2

    Natriumselenat .................................................................................................. 87

    Humane In-vivo-Metabolismus-Studie nach oraler Einnahme von 4.4.3

    Natriumselenit ................................................................................................... 98

    Humane In-vivo-Metabolismus-Studie nach oraler Einnahme von Selenhefe .. 111 4.4.4

    Vergleichende Diskussion der In-vivo-Metabolismus-Studien .......................... 124 4.4.5

    5 ZUSAMMENFASSUNG .............................................................................................. 132

    6 SUMMARY ................................................................................................................. 137

    Literatur ............................................................................................................................. 142

  • IV ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

    Abkürzungsverzeichnis

    Alb Albumin

    AEC Anionenaustauschchromatographie (engl. anion exchange chromatography)

    BAT Biologischer Arbeitsstoff-Toleranzwert

    BfR Bundesinstitut für Risikobewertung

    CBS Cystathionin-β-Synthase

    CEC Kationenaustauschchromatographie (engl. cation exchange chromatography)

    CES Cystathionin-γ-Lyase

    COMA Committee on Medical Aspects of Food and Nutrition Policy

    CPS Messsignal des ICP-MS (engl. Counts per Second)

    DGE Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.

    DIO Iodothyronin-Deiodinase

    DMSe Dimethylselenid

    G-EQUAS German external quality assessment scheme

    GalNAc 2-Acetamido-2-desoxy-β-D-galactopyranose

    GlcNAc 2-Acetamido-2-desoxy-β-D-glucopyranose

    γ-Glutamyl-SeMCys

    γ-Glutamyl-Se-methylselenocystein

    GPx Glutathionperoxidase

    GSSeSG Selendiglutathion

    Hb Hämoglobin

    ICP-MS Induktiv gekoppeltes Plasma-Massenspektrometer

    IPC Ionenpaarchromatographie (engl. ion pairing chromatography)

    IS Interner Standard

    LC Flüssigkeitschromatographie (engl. liquid chromatography)

    LOAEL Lowest Observed Adverse Effect Level

    LM Laufmittel

    MAFF Ministry of Agriculture, Fisheries and Food

    MAK Maximale Arbeitsplatzkonzentration

    Max Maximalwert

    Min Minimalwert

    MMSe Monomethylselenid

    MRI Max Rubner-Institut

    MW Mittelwert

    NAS National Academy of Sciences

    NEM Nahrungsergänzungsmittel

    NemV Nahrungsergänzungsmittelverordnung

  • ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS V

    NHANES National Health and Nutrition Examination Survey

    NHMRC National Health and Medical Research Committee

    NIST National Institute for Standard and Technology

    NOAEL No Observed Adverse Effect Level

    NTP National Toxicology Program

    NWG Nachweisgrenze

    Qhigh Qualitätskontrollprobe mit hoher Analytkonzentration

    Qlow Qualitätskontrollprobe mit niedriger Analytkonzentration

    RDA empfohlene Tagesdosis (engl. recommended daily allowance)

    ROS Reaktive Sauerstoffspezies (engl. reactive oxygen species)

    RSA Relative Standardabweichung

    SeVI Selenat

    SeIV Selenit

    SCF Scientific Committee on Food

    SeC Selenocystein

    SeCS Selenocystein-Synthase

    SeCysta Selenocystathionin

    SeEt Selenethionin

    SeMCys Se-Methylselenocystein

    SeMet Selenmethionin

    SeMG Se-Methylselenoglutathion

    SePP Selenoprotein P

    SeSug1 Methyl-2-acetamido-2-desoxy-1-seleno-β-D-galactopyranosid

    SeSug2 Methyl-2-acetamido-2-desoxy-1-seleno-β-D-glucopyranosid

    SeSug3 Methyl-2-amino-2-desoxy-1-seleno-β-D-galactopyranosid

    SPS Selenophosphat-Synthetase

    SRM Standardreferenzmaterial (engl. standard reference material)

    Setotal Gesamtselen

    t1/2 Halbwertszeit

    tmax Zeitpunkt der maximalen Elimination

    TMSe Trimethylselenium-Ion

    TrxR Thioredoxinreduktase

    UL Tolerable Upper Intake Level

    VE; max Maximale Eliminationsgeschwindigkeit

    WHO Weltgesundheitsorganisation (engl. World Health Organisation)

  • EINLEITUNG UND ZIELSETZUNG 1

    1 EINLEITUNG UND ZIELSETZUNG

    Selen ist für den Menschen ein essentielles Spurenelement. Es ist in Form der

    Aminosäure Selenocystein struktureller Bestandteil von zahlreichen funktionellen

    Proteinen. Dazu gehören beispielsweise Enzyme wie die Glutathionperoxidase, die

    Thioredoxinreduktase und die Iodothyronin-Deiodinase, die an der Abwehr von oxidativem

    Stress und der Regulation des Schilddrüsenhormonstoffwechsels beteiligt sind (Brigelius-

    Flohé und Maiorino 2013; Krykov et al. 2003; Lu und Holmgren 2009; Nordberg und Arnér

    2001). Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (2008) empfiehlt eine tägliche Aufnahme

    von 30 – 70 µg Selen, um physiologische Funktionen sicherzustellen und Mangel-

    erkrankungen zu vermeiden. Der therapeutische Bereich von Selen ist allerdings sehr

    schmal. Bei Probanden mit erhöhtem Plasmaspiegel führte eine tägliche Supplementation

    von 200 µg Selen zu einer geringen, aber nicht zu vernachlässigenden Risikoerhöhung,

    an Diabetes mellitus zu erkranken (Stranges et al. 2007). Bei Einnahmen von mehr als

    910 µg Selen pro Tag wurden Symptome wie knoblauchartiger Geruch der Atemluft,

    fleckige, brüchige Nägel, Haarausfall, Müdigkeit und gastrointestinale Beschwerden

    beobachtet (Yang et al. 1983; Yang et al. 1989).

    Die Formen, in denen Selen vom Menschen aufgenommen werden kann, sind vielfältig.

    Der tägliche Bedarf des Körpers kann im Allgemeinen durch eine ausgewogene

    Ernährung erreicht werden (BfR 2004). Dabei werden überwiegend organische

    Selenverbindungen wie Selenmethionin und Selenocystein sowie Derivate dieser

    Aminosäuren aufgenommen (Rayman et al. 2008). Des Weiteren wird Selen aufgrund

    propagierter positiver Effekte auf die Gesundheit als Zusatz von

    Nahrungsergänzungsmitteln verstärkt beworben (Rayman 2008). In Folge dessen ist der

    Konsum dieser Präparate in westlichen Ländern in den vergangenen Jahren stark

    angestiegen (Fairweather-Tait et al. 2011; Skeie et al. 2009). Die Verbindungen, die in

    diesen Präparaten als Selenquelle verwendet werden, sind sowohl organische

    Verbindungen wie Selenmethionin und Selenhefen als auch anorganische Salze wie

    Natriumselenit und Natriumselenat (Rayman 2004). Neben der Aufnahme über die

    Nahrung kann Selen dermal oder inhalativ an bestimmten Arbeitsplätzen aufgenommen

    werden. Selen ist aufgrund seiner physikalisch-chemischen Eigenschaften ein beliebter

    Werkstoff in Industriezweigen wie der Metall-, Glas-, Chemie-, Keramik- und

    Elektroindustrie (Butterman und Brown 2004). In diesen Bereichen bestehen überwiegend

  • 2 EINLEITUNG UND ZIELSETZUNG

    Belastungen gegenüber elementarem Selen oder anorganischen Selenverbindungen

    (Hartwig 2011).

    Die einzelnen vom Körper aufgenommenen oder metabolisch gebildeten

    Selenverbindungen (Spezies) können sich erheblich in ihrem toxikologischen Potential

    unterscheiden (Nuttall 2006). Deshalb ist eine Differenzierung der Spezies für eine

    Beurteilung von positiven oder adversen Gesundheitseffekten von Bedeutung (Cornelis et

    al. 1993; Kiss und Odani 2007; Lund 1990; Michalke 2002 a). Die bisher etablierte

    Methode zur Erfassung eines Selenmangels bzw. einer übermäßigen Selenexposition ist

    die Bestimmung der Gesamtselenkonzentration im Blutplasma, in dem das Selen

    größtenteils in Proteinen gebunden vorliegt (Combs et al. 2011; Drexler und Hartwig

    2011). Die Regulierung der Selenhomöostase erfolgt nicht über die Absorption sondern

    über dessen Ausscheidung (Pedrosa et al. 2012). Die Elimination von Selen, welches

    nicht funktionalisiert wird, erfolgt überwiegend renal über Urin sowie über Atemwege und

    Faeces (Burk et al. 1972; Hopkins et al. 1966). Deshalb bietet sich die Selenanalyse im

    Urin ebenfalls zur Bestimmung der inkorporierten Belastung an (Alaejos und

    Romero 1993; Robberecht und Deelstra 1984 a). Der Einsatz differenzierender

    Analysenmethoden kann hierbei Informationen über den Metabolismus und

    Entgiftungsmechanismen für unterschiedliche Selenverbindungen liefern (Francesconi

    und Pannier 2004; Robberecht und Deelstra 1984 a, b).

    Ziel dieser Arbeit war es, basierend auf der Kopplung von chromatographischen

    Verfahren mit der induktiv gekoppelten Plasma-Massenspektrometrie, Methoden zu

    entwickeln, zu validieren und anzuwenden, mit denen Selenverbindungen in humanem

    Urin nachgewiesen werden können. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Entwicklung von

    Multimethoden, die eine simultane und empfindliche Erfassung möglichst vieler Analyten

    ermöglichen. Die erarbeiteten Methoden sollten anschließend auf Urinproben angewendet

    werden, um Erkenntnisse zum humanen Metabolismus und der Toxikokinetik einzelner

    Selenverbindungen zu erhalten. Hierzu wurden sowohl Urinproben der

    Allgemeinbevölkerung untersucht als auch humane In-vivo-Metabolismus-Studien

    durchgeführt. Den Probanden wurden kommerziell erhältliche Nahrungsergänzungsmittel

    oral verabreicht, die unterschiedliche Selenverbindungen (Natriumselenat, Natriumselenit

    und selenhaltige Hefe) als Selenquelle enthielten. Ziel dieser Studie war es, Unterschiede

    im Stoffwechsel der einzelnen Verbindungen sowie interindividuelle Variationen

    festzustellen.

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 3

    2 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    2.1 Das Element Selen – physikalische und chemische Eigenschaften

    Selen (Se) ist ein chemisches Element mit einem Atomgewicht von 78,96 und der

    Ordnungszahl 34. Im Periodensystem steht es in der 4. Periode zwischen Arsen und

    Brom und bildet zusammen mit Sauerstoff, Schwefel, Tellur und Polonium die

    6. Hauptgruppe, die Gruppe der Chalkogene. Im Jahr 1817 wurde es von Jöns Jacob

    Berzelius erstmals in Bleikammerschlamm entdeckt (Barceloux 1999). Selen weist in der

    Natur sechs verschiedene Isotope mit folgenden natürlichen Anteilen auf: 74Se (0,89%),

    76Se (9,37%), 77Se (7,63%), 78Se (23,77%), 80Se (49,61%), 82Se (8,73%) und kommt in

    den Oxidationsstufen „+6“ (z.B. Na2SeO4, Selensäure), „+4“ (z.B. Na2SeO3, Selenige

    Säure, Selendioxid), „-2“ (z.B. Selenmethionin, Selenocystein, Trimethylselenium-Ion,

    Selenwasserstoff) und „0“ (elementares Selen) vor. Analog zu Schwefel tritt elementares

    Selen in verschiedenen Modifikationen auf. Das stabilste ist das grau-metallische Selen

    mit den Eigenschaften eines Halbmetalls. Daneben gibt es weitere Modifikationen wie

    schwarz-amorphes, rot-amorphes, glasartiges und flüssiges Selen. Aufgrund seiner

    physikochemischen Ähnlichkeit zu Schwefel kann Selen an dessen Stelle in Biomolekülen

    und Mineralien vorkommen. Selen besitzt einige besondere elektrochemische

    Eigenschaften. Neben den Eigenschaften eines Halbleiters erhöht sich die Leitfähigkeit

    unter Belichtung um das 100fache und zeigt zusätzlich einen photovoltaischen Effekt

    (Greenwood und Earnshaw 1998). Diese Charakteristika machen Selen zu einem

    vielseitig eingesetzten Werkstoff in verschiedenen Industriezweigen (Butterman und

    Brown 2004).

    2.2 Vorkommen

    Selen ist ein ubiquitär vorkommendes Element (Hoffmann 1989). Die

    Selenkonzentrationen im Wasser sind generell niedrig, gewöhnlich unter 1 µg/L in Trink-

    und Meerwasser (Reilly 2006). Die Konzentration von Selen in den Böden unterliegt

    weltweit großen Schwankungen und bewegt sich größtenteils im Bereich von

    0,01 - 2,0 mg/kg (Mittelwert: 0,4 mg/kg), wobei ebenso Werte bis zu 1250 mg/kg

    gemessen wurden (Fordyce 2013). Besonders selenreiche Böden befinden sich

    beispielsweise in den Great Plains in Nordamerika, in Kolumbien, in Venezuela sowie in

    Teilen Chinas und Irlands. Im Gegensatz dazu finden sich Regionen mit sehr niedrigen

  • 4 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Konzentrationen in Dänemark, Finnland, Neuseeland sowie Teilen Chinas und Russlands

    (Combs 2001; Oldfield 1999). Allerdings ist nicht alleine die Selenkonzentration im Boden

    für die Bioverfügbarkeit in Pflanzen entscheidend. Ebenso spielen die chemischen

    Verbindungen (Spezies) in denen das Selen (z.B. elementares Selen, Natriumselenat,

    Metallselenide) vorliegt, eine entscheidende Rolle. Faktoren, die dies beeinflussen, sind

    überwiegend die Bodenbeschaffenheit mit variierenden Redox- und pH-Bedingungen

    (Barceloux 1999).

    2.3 Selenspezies

    Unter einer chemischen Spezies versteht man die spezifische Form eines Elementes wie

    sie sich durch die Isotopenzusammensetzung, die Elektronenzahl oder den

    Oxidationszustand und/oder Komplex- oder Molekülstrukturen definieren lässt (Templeton

    et al. 2000). Abbildung 1 zeigt schematisch eine Einteilung der Selenspezies bezüglich

    verschiedener Charakteristika.

    Abbildung 1: Einteilung von Selenspezies nach verschiedenen physikalisch-chemischen Eigenschaften (DMSe: Dimethylselenid; SeSug1: Methyl-2-acetamido-2-desoxy-1-seleno-β-D-galactopyranosid; SeMet: Selenmethionin; GPx: Glutathionperoxidase; TrxR: Thioredoxinreduktase; DIO: Iodothyronin-Deiodinasen; Hb: Hämoglobin; Alb: Albumin)

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 5

    Selenspezies lassen sich gemäß ihrer Molekülgröße in höher- und niedermolekulare

    Spezies einteilen. Die höhermolekularen Spezies setzen sich aus Selenoproteinen und

    unspezifisch selenhaltigen Proteinen zusammen. Unspezifisch selenhaltige Proteine sind

    Proteine, bei denen in der Aminosäurekette willkürlich ein oder mehrere Methionin-

    Aminosäuren durch das entsprechende Selenanalogon ersetzt wurden. Im Gegensatz

    dazu enthalten Selenoproteine spezifisch Selenocystein in ihrer Aminosäuresequenz,

    welches meistens für deren katalytische Funktion verantwortlich ist (Behne und

    Kyriakopoulos 2001). Die niedermolekularen Spezies können zunächst in anorganische

    und organische Spezies und darüber hinaus gemäß ihrer Oxidationszahlen unterteilt

    werden (Połatajko et al. 2006; Martens und Suarez 1997), wobei das Selen in den

    höhermolekularen Spezies ebenfalls organisch gebunden in der Oxidationszahl „-2“

    vorliegt. Die niedermolekularen organischen Selenverbindungen können ferner anhand

    ihrer chemischen Struktur in Gruppen unterteilt werden. Hierzu gehören methylierte

    Selenverbindungen, selenhaltige Zucker sowie Aminosäuren und deren Derivate. Dabei

    ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Spezies unterschiedliche physikalische

    sowie toxische Eigenschaften (siehe Tabelle 7 in Abschnitt 2.9.2) besitzen können (Nuttall

    2006). Für die Bioverfügbarkeit, biochemische oder toxische Wirkung ist daher nicht die

    Gesamtelementkonzentration einer Probe sondern die Art und Menge der verschiedenen

    enthaltenen Spezies entscheidend (Cornelis et al. 1993; Kiss und Odani 2007; Lund 1990;

    Michalke 2002 a, b).

    2.4 Speziesanalytik

    In der analytischen Chemie wird die Identifizierung und/oder Quantifizierung einer oder

    mehrerer chemischer Spezies in einer Probe als Speziesanalytik bezeichnet (Templeton

    et al. 2000). Meistens erfolgt die Speziesanalytik durch die Kopplung von Trenntechniken

    wie der Kapillarelektrophorese, Flüssigkeits- oder Gaschromatographie mit Element-

    (z.B. ICP-MS) oder Massen-selektiven (z.B. Elektrospray Massenspektrometrie)

    Detektoren (Michalke 2002 b; Rosen und Hieftje 2004). Aufgrund der enormen

    Weiterentwicklung dieser Techniken sowie des steigenden wissenschaftlichen Interesses

    hat in den vergangenen Jahren die Speziesanalytik an Bedeutung gewonnen (Goenaga-

    Infante 2011; Hoffmann und Heumann 2012; Sperling und Karst 2013). Im Folgenden

    sollen die theoretischen Grundlagen der in der vorliegenden Arbeit verwendeten

    analytischen Methoden kurz dargestellt werden. Die Kopplung von

    flüssigchromatographischen Verfahren mit der induktiv gekoppeltem Plasma-

    Massenspektrometrie ist aufgrund der resultierenden Vielseitigkeit, Robustheit,

  • 6 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Sensitivität und der Möglichkeit zur simultanen Bestimmung verschiedener Elemente eine

    der meist angewendeten Techniken der Speziesanalytik (Montes-Bayón et al. 2003). Für

    die Analytik von Selenspezies in Urin wurden bereits verschiedene

    flüssigchromatographische Trennmechanismen wie die Umkehrphasen- (RP: reversed

    phase) (Gammelgaard et al. 2005; Kühnelt et al. 2007), die Ionenpaar- (IP: ion pairing)

    (Zheng et al. 2000) und die Ionenaustauschchromatographie (IEC: ion exchange

    chromatography) (Gammelgaard und Jons 2000; Kühnelt et al. 2005, 2006 a) eingesetzt.

    Chromatographische Trennmechanismen 2.4.1

    Umkehrphasen- und Ionenpaarchromatographie

    Die Umkehrphasenchromatographie ist vermutlich das gängigste Trennverfahren in der

    Flüssigchromatographie (Monte-Bayón et al. 2003). Die Trennung der Analyten erfolgt

    aufgrund von Verteilungsvorgängen zwischen der unpolaren stationären Phase (meist mit

    C8- oder C18-Ketten modifiziertes Kieselgel) und der polaren mobilen Phase. Des

    Weiteren beeinflussen Adsorptionsvorgänge an der stationären Phase die Retention

    (Schwedt und Vogt 2010). Ein Nachteil dieses Verfahrens ist, dass häufig hohe

    organische Lösemittelanteile in der mobilen Phase zur Elution hydrophober Analyten

    verwendet werden, die mit der ICP-MS-Technik nicht vereinbar sind (Montes-Bayón et al.

    2003). Obwohl mit dieser Methode eine Vielzahl unterschiedlicher Analyten getrennt

    werden kann, eignet sie sich nur bedingt zur Trennung polarer und geladener Substanzen

    (Michalke 2002 b). Eine mögliche Abhilfe ist der Zusatz von Ionenpaarreagenzien in die

    mobile Phase von konventionellen Umkehrphasensystemen, um diese Spezies neben

    neutralen Spezies trennen zu können (Michalke 2002 b, Ponce De León et al. 2002).

    Ionenpaarreagenzien sind lipophile Ionen wie beispielsweise Alkansulfonsäuren oder

    quartäre Alkylammoniumverbindungen. Für den Trennmechanismus werden zwei

    unterschiedliche Modelle diskutiert: (I) Dynamisches Modell: Die Analyt-Ionen bilden

    zusammen mit dem Ionenpaarreagenz (IPR) neutrale Ionenpaare, die dann an der RP-

    Phase reteniert werden; (II) Stationäres Modell: Die Ionenpaarreagenzien lagern sich an

    der Oberfläche der stationären Phase an und verleihen der Oberfläche somit

    Eigenschaften eines Ionenaustauschers, mit der dann das Analyt-Ion in Wechselwirkung

    tritt (Abbildung 2 a) (Gey 2008; Schwedt und Vogt 2010). Die Vorteile der

    Ionenpaarchromatographie liegen in den zahlreichen Parametern, die im Rahmen der

    Methodenentwicklung variiert werden können. Dazu gehören neben dem Säulenmaterial,

    der Art und Konzentration des Ionenpaarreagenzes und weiterer Eluentzusätze auch der

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 7

    pH-Wert des Fließmittels und der Anteil an organischem Lösevermittler (Schwedt und

    Vogt 2010).

    Ionenaustauschchromatographie

    In der Ionenaustauschchromatographie (IEC: ion exchange chromatography) werden

    stationäre Phasen mit elektrischen Ladungen an der Oberfläche verwendet. Abhängig von

    den chemischen Gruppen (SO3-, COO-, NH3

    +, NR3+), die an der Oberfläche der Matrix

    gebunden sind und der daraus resultierenden Trenneigenschaft, unterscheidet man

    zwischen Anionen- (AEC: anion exchange chromatography) und

    Kationenaustauschchromatographie (CEC: cation exchange chromatography) (siehe

    Abbildung 2 b und c).

    Abbildung 2: Schematische Darstellung unterschiedlicher flüssigchromatographischer Trennmechanismen: a) Stationäres Modell der Ionenpaarchromatographie (IPR: Sodium-1-butansulfonat); b) Kationenaustauscher; c) Anionenaustauscher (A: Analyt; E: Eluent)

  • 8 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Der Trennmechanismus beruht auf der Wechselwirkung der geladenen

    Zielmoleküle/Analyten mit der gegensätzlich geladenen Oberfläche der stationären

    Phase. Die in der mobilen Phase enthaltenen Ionen konkurrieren dabei mit den Analyten

    um die Bindung an der stationären Phase. Die relative Retention auf der Säule hängt

    somit von der Ionenstärke (Art und Konzentration) des Laufmittels, dem pH-Wert des

    Laufmittels sowie den Eigenschaften der stationären Phase ab (Gey 2008; Michalke

    2002 b; Ponce De León et al. 2002; Schwedt und Vogt 2010). Des Weiteren müssen bei

    organischen Spezies zusätzlich hydrophobe Wechselwirkungen mit der Matrix der

    stationären Phase berücksichtigt werden, welche die Retention verändern und durch die

    Zugabe von organischen Lösemitteln zur mobilen Phase beeinflusst werden können

    (Michalke 2002 b).

    Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-MS) 2.4.2

    Die Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma ist eine analytische Methode

    der anorganischen Elementanalytik, die eine simultane Bestimmung einer Vielzahl von

    Elementen mit sehr niedrigen Nachweisgrenzen ermöglicht (Gey 2008). In Abbildung 3 ist

    der prinzipielle Aufbau eines ICP-MS-Gerätes dargestellt.

    Abbildung 3: Schematischer Aufbau eines ICP-MS-Gerätes mit Reaktions-/Kollisionszelle

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 9

    In der Fackel (Torch) wird das Plasma aus Argon (Ar) erzeugt. Durch Starten des ICP-MS

    wird mit Hilfe eines Zündfunkens ein Teil des Plasmagases in positive geladene Ar-Ionen

    und Elektronen überführt. Das an der Spule mit Hilfe des Hochfrequenzgenerators

    erzeugte Magnetfeld kann Strom in das Gas induzieren. Dies führt zu einer

    Temperaturerhöhung und zur Ionisation weiterer Ar-Atome. Ein Gas, welches als Ionen

    und freie Elektronen vorliegt, bezeichnet man als Plasma. Im vorliegenden Fall wird durch

    die induzierte Energie im Plasma eine Temperatur von 6000 – 10000 K erreicht. Damit

    diese Temperaturen das Quarzglas der Fackel nicht schmelzen wird zeitgleich Argon als

    Kühlgas zugeleitet (Gey 2008; Ponce De León et al. 2002; Thomas 2013).

    Über den Zerstäuber wird in der Sprühkammer aus der flüssigen Probe ein Aerosol

    erzeugt und gelangt mit dem Trägergas ins Plasma. Dort werden die Tröpfchen

    getrocknet, in Moleküle zersetzt, atomisiert und anschließend ionisiert (Thomas 2013).

    Das Interface, bestehend aus Sampler und Skimmer Konus, verbindet die Ionenquelle mit

    dem Massenspektrometer und muss dabei sowohl die Temperaturabnahme von 6000 K

    auf Raumtemperatur als auch den Druckabfall von Atmosphärendruck zum Hochvakuum

    bewerkstelligen. Zwischen den beiden Konen liegt ein Vorvakuum an, durch das die

    erzeugten Ionen in das Interface überführt werden. Durch den Druckunterschied am

    Skimmer werden die Ionen anschließend in das Hochvakuum gezogen und dort durch die

    Ionenoptik fokussiert. Die Stoppblende in diesem Bereich dient dazu, störende Photonen

    zurückzuhalten (Gey 2008). In Geräten der neueren Generation ist zwischen der

    Ionenoptik und dem Massenspektrometer zusätzlich eine Kollisions-/Reaktionszelle

    eingebaut, um Interferenzen wie doppelt geladene Ionen und polyatomare Ionen zu

    minimieren. Hierzu können in die Zelle Gase wie Helium, Wasserstoff, Sauerstoff oder

    Ammoniak eingeleitet werden, die dann durch kinetische oder chemische

    Reaktionsmechanismen zu einer Verminderung der Interferenzen führen (Thomas 2013).

    Anschließend folgt der Massenfilter, in den meisten ICP-MS-Geräten ist dies ein

    Quadrupol-Massenspektrometer. Dabei handelt es sich um vier parallel liegende

    Elektroden, an denen sowohl eine Gleich- als auch eine Wechselspannung anliegt, die die

    Ionen auf spiralförmige Bahnen drängen und nach ihrem Masse/Ladungsverhältnis

    auftrennen. Je nach anliegender Spannung gelangt nur eine bestimmte Masse zum

    Detektor. Im Detektor werden die Ionen gemessen und in das Messsignal CPS (counts

    per second) umgewandelt (Gey 2008; Thomas 2013).

  • 10 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    2.5 Die Rolle von Selen im menschlichen Körper

    Selen ist wie z.B. Eisen und Jod ein für den Menschen essentielles Spurenelement. Unter

    essentiellen Spurenelementen versteht man Nahrungsinhaltsstoffe, die im Körper nur in

    geringen Mengen vorkommen (

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 11

    Abbildung 4: Selen im Schilddrüsenhormonstoffwechsel: Inaktivierung und Aktivierung der Schilddrüsenhormone durch Iodothyronin-Deiodinasen (DIO) nach Fairweather-Tait et al. (2011) (T4: Thyroxin; T3: 3,3′,5-Triiod-L-thyronin; rT3: 3,3′,5′-Triiod-L-thyronin; 3,3′T2: 3,3′-Diiod-L-thyronin)

    Eine weitere wichtige Rolle hat Selen im anti-oxidativen Schutzsystem gegen reaktive

    Sauerstoffspezies (ROS). ROS sind für den Organismus schädliche Formen des

    Sauerstoffs (z.B. Hydroxyl-Radikal, Ozon, Wasserstoffperoxid, Hydroperoxide) und

    werden sowohl endogen gezielt als Signalstoff, Abwehrstoff oder als Nebenprodukt der

    Atmungskette gebildet oder exogen z.B. durch UV- und Röntgenstrahlung erzeugt (Valko

    et al. 2006). Um die Dauer und den Umfang der Belastung durch ROS zu minimieren, hat

    der Körper Abwehrmechanismen entwickelt, zu denen auch die beiden Enzyme GPx und

    TrxR gehören (Brigelius-Flohé und Maiorino 2013; Nordberg und Arnér 2001). Die

    Aufgabe von GPx ist die Katalyse des Abbaus von Wasserstoffperoxid bzw. organischen

    Peroxiden unter Glutathionverbrauch zu Wasser bzw. den entsprechenden Alkoholen

    (Brigelius-Flohé und Maiorino 2013). Die TrxR bildet zusammen mit Thioredoxin und

    NADPH das Thioredoxin-System und reguliert dadurch eine Fülle von Redox-Signal-

    Vorgängen (Hawkes und Alkan 2010). Abbildung 5 zeigt schematisch die ablaufenden

    Reaktionen beider Enzyme. Neben diesen beiden Enzymen wurde mittlerweile für einige

    weitere Selenoproteine wie z.B. Selenoprotein W, H und T sowie das

    15kDa Selenoprotein eine Beteiligung am anti-oxidativen System nachgewiesen

    (Fairweather-Tait et al. 2011). Des Weiteren wird ein niedriger Selenstatus mit einer

    erhöhten Sterblichkeit, einem schwachen Immunsystem und einem Rückgang der

    kognitiven Fähigkeiten in Verbindung gebracht, wohingegen hohe Selengehalte bzw. eine

    ergänzende Supplementation einen antiviralen Effekt haben und förderlich für die

    Fortpflanzung sind (Rayman 2000; Rayman 2012). Verschiedene Studien haben Hinweise

    auf ein vermindertes Risiko für Prostata- (Brinkman et al. 2006; Etminan et al. 2005;

  • 12 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Peters und Takata 2008), Lungen- (Zhuo et al. 2004), Blasen- (Amaral et al. 2010) und

    Dickdarmkrebs (Peters und Takata 2008) gezeigt. Die Ergebnisse der Studien waren

    allerdings nicht eindeutig, weshalb eine zusätzliche Einnahme bzw. ein Effekt durch Selen

    nur bei unzureichender Selenaufnahme förderlich sein könnte (Rayman 2012).

    Abbildung 5: Selenoproteine im antioxidativen Schutzsystem: a) Reduktion von Peroxiden durch GPx unter Glutathion-Verbrauch nach Brigelius-Flohé und Maiorino (2013) (ROOH: ROS mit Peroxid-Struktur); b) Thioredoxin-System zum Schutz des intrazellulären Redoxgleichgewichts nach Holmgren und Lu (2010)

    2.6 Optimale Selenaufnahme

    Für die Festlegung der optimalen Aufnahme von essentiellen Nährstoffen müssen zwei

    Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Zum einen muss die aufgenommene Menge

    mindestens so hoch sein, dass alle Körperfunktionen normal funktionieren und keine

    Mangelerscheinungen auftreten. Zum anderen darf die aufgenommene Menge maximal

    so hoch sein, dass die normale Körperfunktion weiterhin gewährleistet ist und keine

    adversen Effekte auftreten. Zur Festlegung dieses Bereichs wurden die beiden Richtwerte

    „empfohlene Tagesdosis“ (RDA: Recommended Daily Allowance) und „tolerable upper

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 13

    intake level“ (UL) eingeführt (Renwick et al. 2004). Der RDA ist definiert als die Menge

    eines essentiellen Nährstoffes, der nach wissenschaftlichem Kenntnisstand ausreicht, um

    den täglichen Bedarf der meisten gesunden Menschen (97 – 98%) zu decken (Otten et al.

    2006). Als UL bezeichnet man die maximale chronische Gesamtzufuhr eines Nährstoffes

    aus allen Quellen, die als unwahrscheinlich beurteilt wird, eine gesundheitliche

    Gefährdung für den Menschen darzustellen (Otten et al. 2006).

    Abbildung 6: Schematische Darstellung der Expositions-Wirkungs-/Risiko-Beziehung von Selen (RDA: Recommended Daily Allowance; UL: Tolerable Upper Intake Level; NOAEL: No Observed Adverse Effect Level; LOAEL: Lowest Observed Adverse Effect Level)

    Für das Spurenelement Selen ist dieser Bereich sehr schmal und mit einigen

    Unsicherheiten aufgrund kontroverser Studienergebnisse verbunden (siehe Abbildung 6).

    Darüber hinaus ist eine Grundsatzfrage, ob man die optimale Einnahme als Prävention

    vor Mangelerkrankungen oder zur Verringerung chronischer Erkrankungen wie

    beispielsweise Krebs und kardiovaskulärer Erkrankungen bezeichnet (Nève 2000).

    Der Referenzwert für die Zufuhr von Selen wird von der Deutschen Gesellschaft für

    Ernährung e.V. (2008) für Erwachsene zwischen 30 und 70 µg angegeben und stimmt

    größtenteils mit den Empfehlungen anderer Länder bzw. Organisationen überein (Tabelle

  • 14 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    1). Diese Werte sind meist von den Studien von Duffield et al. (1999) und Xia et al. (2005)

    abgeleitet, die als ausschlaggebendes Kriterium für eine ausreichende Versorgung die

    maximale Glutathionperoxidase-Aktivität herangezogen haben. Die Festlegung

    berücksichtigt allerdings nicht die potentiell protektiven Effekte, die Selen auf

    verschiedene Erkrankungen wie Krebs, HIV-Infektionen und kardiovaskuläre

    Erkrankungen bei erhöhter Selenzufuhr haben soll, und wird deshalb zum Teil als

    unzureichend kritisiert (Rayman 2002). Combs et al. (2001) ermittelte beispielsweise

    Werte von 96 – 120 µg/Tag für einen protektiven Effekt gegen Krebs.

    Tabelle 1: RDA- und UL-Werte für Selen beim Erwachsenen

    Land/Region RDA [µg/Tag]

    UL [µg/Tag]

    Literatur

    Männer Frauen Männer/Frauen

    Australien, Neuseeland 70 60 400 NHMRC (2006)

    Deutschland, Österreich, 30 – 70 30 – 70 --- DGE (2000)

    Schweiz

    Europa 55 55 300 SCF (2006)

    Vereinigtes Königreich 75 60 450 COMA (1991)

    Vereinigte Staaten, 55 55 400 NAS (2000)

    Kanada

    WHO 40 30 400 WHO (1996)

    NHMRC: National Health and Medical Research Committee; DGE: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.; SCF: Scientific Committee on Food; COMA: Committee on Medical Aspects of Food and Nutrition Policy; NAS: National Academy of Sciences; WHO: World Health Organisation

    Der UL-Wert für Selen liegt im Bereich von 300 bis 450 µg/Tag (Tabelle 1) und wurde

    ausgehend vom No Observed Adverse Effect Level (NOAEL) beziehungsweise dem

    Lowest Observed Adverse Effect Level (LOAEL) unter Berücksichtigung von

    Sicherheitsfaktoren abgeleitet. NOAEL und LOAEL sind Endpunkte für die

    Toxizitätsbestimmung und entsprechen der Dosis oder Expositionskonzentration bei der

    keine (NOAEL) oder erste (LOAEL) adverse Effekte im Vergleich zu einer Kontrollgruppe

    statistisch signifikant auftreten (Duffus et al. 2007). Für Selen wurden diese

    Konzentrationen in Folge einer endemischen Selenintoxikation in China und aus Studien

    in selenreichen Gebieten der USA ermittelt. Die Konzentration, bei der keine klinischen

    Symptome einer Selenosis auftraten (NOAEL), lag bei 800 µg/Tag, erste klinische

    Symptome wurden bei 910 µg/Tag festgestellt (Longnecker et al. 1991; Yang et al. 1989;

    Yang und Zhou 1994).

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 15

    Neuere epidemiologische Studien geben den Hinweis, dass bei einer täglichen Selen-

    Aufnahme von 200 µg bei Personen mit hohen Ausgangsspiegeln eine geringe

    Risikoerhöhung besteht, an Diabetes mellitus (siehe Abschnitt 2.9.2) zu erkranken

    (Lippman et al. 2009; Stranges et al. 2007). Andere Studien, die den Zusammenhang von

    Selen und Diabetes untersucht haben, unterstützen diese Ergebnisse (Bleys et al. 2007;

    Czernichow et al. 2006; Laclaustra et al. 2009). Das Diabetesrisiko wurde bei der

    Ableitung der Maximalen Arbeitsplatzkonzentration (MAK) sowie bei der Evaluierung des

    Biologischen Arbeitsstoff-Toleranzwertes (BAT) als kritische Toxizität bewertet (Hartwig

    2011; Drexler und Hartwig 2011). Aufgrund dieser Studien wurde die Maximale

    Arbeitsplatzkonzentration im Jahr 2010 von 0,05 mg Selen/m3 E auf 0,02 mg Selen/m3 E

    (entspricht ca. 200 µg Se/Tag) abgesenkt (Hartwig 2011) und ein BAT-Wert von

    150 µg Se/L Serum festgelegt (Drexler und Hartwig 2011).

    2.7 Expositionsquellen

    Selenaufnahme über die Nahrung 2.7.1

    Der wichtigste Aufnahmeweg von Selen ist die Nahrung (Navarro-Alarcón und Cabrera-

    Vique 2008). Die Menge von Selen in den Nahrungsmitteln hängt bei Pflanzen v.a. vom

    Gehalt und der Bioverfügbarkeit des Selens im Boden, auf dem es angebaut wird, ab und

    bei tierischen Lebensmitteln von der Selenversorgung der Tiere über das Futter

    (Fairweather-Tait et al. 2011). Neben der Versorgung der Pflanzen mit Selen ist ein

    weiterer wichtiger Faktor, der den Selengehalt beeinflusst, die Fähigkeit der Pflanzen, das

    Selen aufnehmen und speichern zu können. Pflanzen lassen sich diesbezüglich in drei

    Kategorien unterteilen: nicht-Selen-akkumulierende Pflanzen (100 µg Se/g

    Trockengewicht), Selen-akkumulierende Pflanzen (reichern Selen in direkter Abhängigkeit

    zum Gehalt im Boden an, ≤ 1.000 µg Se/g Trockengewicht) und hyper-akkumulierende

    Pflanzen (bis zu 40.000 µg Se/g Trockengewicht) (Broadley et al. 2006; Finely 2005;

    Rayman et al. 2008). Zudem enthalten Pflanzen mit hohem Proteinanteil höhere

    Selengehalte, da in der Biosynthese der Proteine das schwefelhaltige Methionin aufgrund

    der strukturellen und chemisch ähnlichen Eigenschaften durch Selenmethionin ersetzt

    werden kann (Navarro-Alarcón und López-Martinez 2000). Deshalb sind Obst und die

    meisten Gemüsesorten aufgrund des hohen Wasseranteils und des damit

    einhergehenden geringen Proteinanteils Lebensmittel, die nur einen geringen Anteil zur

    täglichen Selenaufnahme beitragen (Navarro-Alarcón und Cabrera-Vique 2008;

  • 16 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Sirichakwal et al. 2005). Lebensmittel, die als Hauptquelle der Selenzufuhr dienen, sind

    Brot, Getreide, Fleisch, Geflügel, Fisch und Eier (Domke et al. 2004; Chun et al. 2010).

    Aufgrund der weltweit unterschiedlichen Selengehalte der Böden (siehe Abschnitt 2.2)

    variiert der Gehalt dieser Lebensmittelgruppen sehr stark. Dies zeigt Tabelle 2 beispielhaft

    für die Länder Deutschland, USA, Venezuela (als Land mit selenreichen Böden) sowie

    einem Gebiet in China, in dem endemisch die Selenmangelerkrankung „Keshan-

    Krankheit“ auftritt. Die geographische Variation, die sich beispielweise sehr ausgeprägt

    beim unterschiedlichen Selengehalt der Milch (2 – 140 µg/L) zeigt (Alaejos und Romero

    1995), konnte durch den Einsatz von selenhaltigen Futtermitteln in den vergangenen

    Jahren reduziert werden (Combs 2001).

    Tabelle 2: Selengehalt (µg/g) der Hauptlebensmittelklassen verschiedener Länder im Vergleich (Combs 2001)

    Lebensmittel USA Deutschland Venezuela(1) China(2)

    Getreideprodukte 0,06 – 0,66 0,03 – 0,88 0,123 – 0,51 0,005 – 0,02

    Gemüse 0,001 – 0,14 0,04 – 0,10 0,002 – 2,98 0,002 – 0,02

    Obst 0,005 – 0,06 0,002 – 0,04 0,005 – 0,06 0,001 – 0,003

    Fleisch 0,08 – 0,50 0,13 – 0,28 0,17 – 0,83 0,01 – 0,03

    Geflügel 0,01 – 0,26 0,05 – 0,15 0,10 – 0,70 0,02 – 0,06

    Fisch 0,13 – 1,48 0,24 – 0,53 0,32 – 0,93 0,03 – 0,20

    Milchprodukte 0,01 – 0,26 0,01 – 0,10 0,11 – 0,43 0,002 – 0,01

    Eier 0,06 – 0,20 0,05 – 0,20 0,50 – 1,5 0,02 – 0,06

    (1) Gebiet mit selenreichen Böden (2) Gebiet mit selenarmen Böden und endemisch vorkommender Keshan-Krankheit

    Bei der Abschätzung der durchschnittlich über die Nahrung aufgenommenen Selenmenge

    gilt es zusätzlich zu berücksichtigen, dass sich bei der Zubereitung der Lebensmittel der

    Selengehalt durch Verflüchtigung oder Verlust (z.B. Abgabe an das Kochwasser)

    reduzieren kann (Higgs 1972; Thomson und Robinson 1990). Aufgrund der

    beschriebenen geographischen Gegebenheiten sowie der regional- und kulturell-

    variierenden Zusammensetzung der Nahrung, schwanken die alimentär aufgenommenen

    Selenmengen zwischen verschiedenen Ländern beträchtlich. Tabelle 3 fasst die

    durchschnittlich pro Person pro Tag aufgenommene Selenmenge für verschiedene

    Länder zusammen. Der Grad der Verlässlichkeit solcher Erhebungen ist aufgrund von

    variierenden Methoden sowie großen interindividuellen Ernährungsunterschieden

    unbeständig. Die Untersuchungen zeigen aber die immense Spanne der Einnahme

    weltweit. Das Beispiel Finnland hat gezeigt, wie stark die Versorgung des Menschen

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 17

    durch den Selengehalt der Nahrung beeinflusst wird. Im Jahr 1984 hat die finnische

    Regierung den Einsatz von Natriumselenat als Zusatz von Düngemittel für Getreide und

    Tierfutter beschlossen, woraufhin innerhalb kürzester Zeit die Konzentrationen in den

    Lebensmitteln um das Vierfache anstiegen und sich im Folgenden die Selenversorgung

    der Bevölkerung verbessert hat, so dass im Jahr 1991 die Menge der Zusätze wieder

    gesenkt wurde (Aro et al. 1995).

    Tabelle 3: Daten der in verschiedenen Ländern aufgenommenen Selenmengen

    Land Aufgenommene Selenmenge Literatur [µg Se/Person pro Tag]

    Australien 57 – 87 Fardy et al. (1989)

    Belgien 28 – 61 Robberecht und Deelstra (1994)

    Brasilien 28 – 37 Maihara et al. (2004)

    China 7 – 4990 Combs (2001)

    Deutschland 38 – 47 Oster und Prellwitz (1989) 30 – 42 Müller et al. (2003)

    Finnland vor 1984 25 Aro et al. (1995) 1984 - 1990 110 ab 1991 85

    Indien 20 – 50 Mahalingam et al. (1997)

    Irland 50 Murphy et al. (2002)

    Japan 104 Miyazaki et al. (2001)

    Kanada 113 – 220 Thompson et al. (1975)

    Kroatien 27 Klapec et al. (1998)

    Neuseeland 49 – 67 Thomson et al. (1990)

    Polen 30 – 40 Wasowicz et al. (2003)

    Portugal 37 Reis et al. (1990)

    Slowakei 38 Kadrabová et al. (1998)

    Slowenien 30 Pokorn et al. (1998)

    Schweden 38 Becker und Kumpulainen (1993)

    Schweiz 55 – 70 Haldimann et al. (1996)

    Spanien 35 Díaz-Alarcón et al. (1996)

    Türkei 44 – 51 Giray und Hincal (2004)

    USA 106 NAS (2000)

    Venezuela 200 – 350 Combs (2001)

    Vereinigtes Königreich

    29 – 39 MAFF (1997)

    NAS: National Academy of Sciences; MAFF: Ministry of Agriculture, Fisheries and Food

    Für die Selenversorgung des Menschen ist nicht allein die enthaltene Menge des

    Nahrungsmittels, sondern ebenso die enthaltene Spezies entscheidend (Fordyce 2013),

    da sich die unterschiedlichen chemischen Verbindungen in ihrer Bioverfügbarkeit und

  • 18 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Verteilungsvorgängen im Körper unterscheiden (Fairweather-Tait et al.

    2011; Finley 2006). Im Gegensatz zu anderen essentiellen Spurenelementen wie Eisen

    und Zink ist eine Besonderheit von Selen, dass es in kovalent gebundener Form vorliegt.

    Generell sind nur wenige Informationen über die genaue Spezieszusammensetzung von

    einzelnen Lebensmitteln bzw. die Beeinflussung dieser durch deren Zubereitung bekannt.

    Abbildung 7 zeigt die Strukturformeln von Selenspezies, die in verschiedenen

    Nahrungsmitteln nachgewiesen wurden. In Bezug auf die Arbeiten zur Identifikation

    einzelner Spezies muss berücksichtigt werden, dass diese meist in Zeiten weniger gut

    entwickelter analytischer Geräte entstanden sind, als sie heutzutage zur Verfügung

    stehen. Deshalb besteht in diesem Bereich noch viel Forschungsbedarf (Rayman et al.

    2008).

    Abbildung 7: Strukturformeln der natürlich über die Nahrung aufgenommenen Selenverbindungen

    Tabelle 4 gibt einen Überblick über verschiedene Studien, die Selenspezies in

    Lebensmitteln sowie deren Anteil am Gesamtselen untersucht haben. In den meisten

    pflanzlichen Produkten ist das Selen überwiegend in Form der Aminosäure

    Selenmethionin gebunden. Eine Ausnahme bilden dabei die hyper-akkumulierenden

    Pflanzen. Hier liegt das Selen meist in Form nicht-proteinogener Aminosäuren wie

    Se-Methylselenocystein und γ-Glutamyl-Se-methylselenocystein vor (Broadley et al.

    2006). Hierzu gehören Pflanzen der Gattungen Allium und Brassica mit Vertretern wie

    Brokkoli, Rettich, Kohl, Knoblauch, Zwiebeln und Lauch (Rayman 2008). In tierischen

    Produkten wurde sowohl Selenmethionin als auch Selenocystein nachgewiesen (Bierla et

    al. 2008). In Meerestieren konnte in neueren Studien Selenoneine, eine neue

    Selenspezies nachgewiesen werden (Yamashita und Yamashita 2010; Yamashita et al.

    2013).

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 19

    Tabelle 4: Übersicht über den Selengehalt und die Spezieszusammensetzung verschiedener Lebensmittel

    Nahrungsmittel Setotal-Konz. Spezies Anteil am Setotal Studie

    [µg Se/g] [%]

    Getreideprodukte

    Weizen(a)

    29,5 ± 0,2 SeMet 58 Cubadda et al. (2010)

    SeMCys

  • 20 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Eine Besonderheit unter den Lebensmitteln stellen die Samen des Paranussbaums

    (Bertholletia excelsa) dar. Bereits ein Samen deckt die empfohlene Tagesdosis der

    US-Behörden (Yang 2009). Die Proteine der Paranuss sind reich an schwefelhaltigen

    Aminosäuren, die in der Gegenwart von Selen zum Teil durch selenhaltige Aminosäuren

    ersetzt werden (Ampe et al. 1986; Jayasinghe und Caruso 2011). Es wurden bereits

    Selenintoxikationen durch den Verzehr von Paradiesnüssen beschrieben, die von

    Bäumen derselben Pflanzenfamilie stammen (Müller und Desel 2010).

    Exposition durch Nahrungsergänzungsmittel 2.7.2

    Neben der Aufnahme von Selen über die Nahrung ist eine weitere Expositionsquelle die

    Supplementation mit selenhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln (NEM). NEM sind per

    Gesetz definiert als in dosierter Form in den Verkehr gebrachte Konzentrate von

    Nährstoffen, die die individuelle Ernährung ergänzen können (NemV 2004). In

    Deutschland sind zahlreiche Präparate sowohl als Mono- als auch als Multipräparate

    erhältlich, die sich in ihrer Zusammensetzung, Dosierung und der als Selenquelle

    verwendeten Spezies unterscheiden. Die Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV)

    erlaubt die Verwendung von Natriumselenit, Natriumhydrogenselenit und Natriumselenat

    als Selenquelle. Diese Positivliste wurde durch eine Verordnung der Europäischen

    Gemeinschaft mit L-Selenmethionin, Selenhefe und seleniger Säure ergänzt

    (Verordnung (EG) Nr. 1170/2009). Bei Selenhefen handelt es sich um Hefen, die auf

    Selenit-haltigen Medien kultiviert wurden und in getrockneter Form nicht mehr als

    2,5 mg Se/g enthalten. Die Selenspezies, die in diesen Präparaten überwiegend vorliegt,

    ist Selenmethionin (60 - 85%). Die Selenhefe-Präparate enthalten neben dem

    vorgeschriebenen Anteil an Selenmethionin weitere Selenspezies, wobei die genaue

    Zusammensetzung allerdings oftmals nicht im Detail bekannt ist (Rayman 2004).

    Selenverbindungen wie Selenocystein (10%) und anorganisches Selen (1%) dürfen

    jedoch bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Untersuchungen haben eine Vielzahl von

    Spezies in Selenhefe-Extrakten nachgewiesen: Selenmethionin-Se-oxid, Se-Methyl-

    Selenocystein, Selenit, Selenat, Se-Homocystein, Se-Cystathionin, γ-Glutamyl-Se-

    Methylselenocystein und Se-Methylselenoglutathion (Amoako et al. 2009; Dernovics et al.

    2009; Rayman 2004).

    Die Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln in der Bevölkerung hat in den

    vergangenen Jahren in Deutschland und weiteren europäischen Ländern zugenommen

    (Messerer et al. 2001; Reinert et al. 2007; Touvier et al. 2006). Eine Untersuchung von

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 21

    Skeie et al. (2009) zum Nahrungsergänzungsmittelkonsum in Europa zeigte, dass es

    europaweit große Unterschiede im Einnahmeverhalten gibt (Tabelle 5). Generell nahmen

    Frauen häufiger NEM ein als Männer. Dies wurde v.a. auf die Einnahme von Eisen- und

    Calciumpräparaten gegen Anämien und Osteoporose zurückgeführt, Erkrankungen die

    bei Frauen häufiger auftreten. Des Weiteren zeigte die Untersuchung, dass in der Regel

    mit höherem Alter der Konsum von NEM steigt.

    Tabelle 5: Daten zur Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln in Europa (Skeie et al. 2009)

    Land Frauen Männer

    Anteil NEM-Anwender

    davon Mineralstoff-haltige NEM

    Anteil NEM-Anwender

    davon Mineralstoff-haltige NEM

    [%] [%]

    Dänemark 65,8 41 51,0 36

    Deutschland 27,0 42 20,7 32

    Frankreich 32,4 52 --- ---

    Griechenland 6,7 60 2,0 29

    Italien 12,6 38 6,8 23

    Niederlande 32,1 42 16,0 33

    Norwegen 60,6 25 --- ---

    Schweden 42,4 34 30,5 30

    Spanien 12,1 52 5,9 33

    Vereinigtes Königreich 47,5 20 36,6 13

    Die Daten von Skeie et al. (2009) aus Deutschland stimmen sehr gut mit der nationalen

    Verzehrstudie II aus dem Jahr 2008 überein. In dieser Untersuchung konsumierten 24,2%

    der Männer und 30,9% der Frauen Nahrungsergänzungsmittel (MRI 2008). Die Anzahl

    der verschiedenen in Deutschland konsumierten Präparate, die Selen enthalten, ist nicht

    bekannt. Die Untersuchung von Skeie et al. zeigte aber, dass eine Vielzahl der

    konsumierten Präparate Mineralstoff-haltig war. Daten aus dem National Health and

    Nutrition Examination Survey (NHANES) der USA zeigen, dass der Anteil an

    selenhaltigen NEM von 1% in den Jahren 1999/2000 auf 19% in der Erhebung von

    2003-2006 anstieg (Bailey et al. 2011; Radimer et al. 2004). Daraus lässt sich folgern,

    dass die Einnahme dieser Präparate in der Gesellschaft eine immense Rolle spielt.

    Eine Höchstmenge für Selen in Nahrungsergänzungsmitteln ist nicht festgelegt. Das

    Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schlägt eine Höchstmenge von

    25 - 30 µg/Tagesdosis vor, die aber von vielen Präparaten überschritten wird (Domke et

    al. 2004). Aufgrund der variierenden Dosierungen der einzelnen Präparate, die oftmals

    über der Empfehlung des BfR liegen, und der Tatsache, dass teilweise auch mehrere

  • 22 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Nahrungsergänzungsmittel gleichzeitig eingenommen werden (Skeie et al. 2009), ist

    dieser Expositionsweg auch im Hinblick auf potentielle Überdosierungen von

    zunehmender Bedeutung.

    Industrielle Verwendung von Selen 2.7.3

    Am Arbeitsplatz handelt es sich bei Expositionen gegenüber Selen in der Regel um

    dermale oder inhalative Belastungen gegenüber elementarem Selen oder anorganischen

    Selenverbindungen (Hartwig 2011). Die weltweite Jahresproduktion an Selen ist in den

    vergangenen 50 Jahren stetig von unter Tausend Tonnen auf über 2000 Tonnen im Jahr

    2009 gestiegen (Butterman und Brown 2004; George 2012).

    Das Einsatzgebiet von Selen in Industrie und Technik ist vielseitig. Die größten Abnehmer

    sind die Metall-verarbeitende Industrie (40%), die Glasindustrie (25%), die Landwirtschaft

    (10%), die Halbleiter- und Elektroindustrie (10%) sowie die chemische Industrie (10%)

    (George 2012). In der Halbleiter- und Elektroindustrie wird hauptsächlich graues,

    kristallines Selen aufgrund seiner hervorragenden, belichtungsabhängigen Leitfähigkeit

    und Wärmeleitfähigkeit verwendet. Es findet Einsatz in Gleichrichtern, Photozellen,

    Radaranlagen, Kopier- und Laserdruckern (Butterman und Brown 2004; Glover 1954). Die

    Glasindustrie verwendet beispielsweise Cadmiumsulfoselenid zum Erzeugen einer

    orange-roten Farbe bei der Glasherstellung sowie Beimengungen von elementaren Selen,

    Bariumselenit oder Natriumselenit zur Entfärbung von Gläsern. Ebenso werden

    Selenpigmente in Farben und Lacken verwendet (Butterman und Brown 2004; Glover

    1954). Einen weiteren großen Einsatzbereich hat Selen in der chemischen und

    pharmazeutischen Industrie. Neben der Herstellung von den bereits erwähnten

    Nahrungsergänzungsmitteln (siehe 2.7.2) wird es in Form von Selensulfiden als

    Zusatzstoff in Haarpflegemitteln gegen Schuppen eingesetzt (Butterman und Brown 2004;

    Reilly 2006). Die chemische Industrie verwendet es als Polymerisations- und

    Vulkanisationsmittel in der Gummiherstellung, als Katalysator (Selenid) oder

    Oxidationsmittel (Selendioxid) (Butterman und Brown 2004).

    Neben einigen Fallberichten liegen nur wenige Studien zur Exposition an

    selenverarbeitenden Arbeitsplätzen vor (Greim 1999). In einer arbeitsmedizinischen

    Feldstudie wurde die Exposition von 20 Beschäftigten (Alter 30 – 55 Jahre) aus

    verschiedenen Bereichen der Selenveredelung untersucht. Hierbei wurde die äußere

    Belastung durch zweimalige personenbezogene Messung der Gesamtselenkonzentration

    in der Luft über zwei Stunden sowie die innere Belastung durch Bestimmung der

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 23

    Gesamtselenkonzentration in Plasma (nach Schicht) und Urin (vor und nach Schicht)

    erfasst. Eine Differenzierung der Expositionsspezies (elementares Selen und

    anorganische Selensalze) war aufgrund häufig wechselnder Tätigkeiten am Arbeitstag

    nicht möglich. Zum Vergleich wurde ein altersangepasstes Kontrollkollektiv (n=20)

    untersucht. Die gemessene Selenkonzentration in der Luft (Median: 110 µg Se/m3 E;

    Bereich: 8 – 950 µg Se/m3 E) überschritt bei 67% der Beschäftigten den damaligen MAK-

    Wert von 50 µg Se/m3 E. Die Selenkonzentration im Plasma lag in den Nachschichturinen

    im Bereich von 12 - 181 µg/L (Median: 118 µg/L) und im Kontrollkollektiv zwischen 52 und

    102 µg/L. Als Referenzwert wurde das 95. Perzentil der Kontrollgruppe (102 µg/L)

    herangezogen. Dieser wurde von 80% der Nachschichtwerte überschritten. Die

    Selenkonzentrationen in den vor und nach der Schicht gemessenen Urinproben (vor

    Schicht: 10 - 815 µg/g Kreatinin, Median: 43 µg/g Kreatinin; nach Schicht: 10 – 437 µg/g

    Kreatinin, Median: 56 µg/g Kreatinin) lagen deutlich über dem Referenzwert des

    Kontrollkollektivs (95. Perzentil: 32 µg/g Kreatinin). Es bestand allerdings kein statistisch

    signifikanter Unterschied zwischen den vor und nach der Schicht gewonnen Proben,

    ebenso zeigte sich keine gleichsinnige Entwicklung über die Schicht hinweg (Schaller et

    al. 2008).

  • 24 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    2.8 Bioverfügbarkeit und Metabolismus von Selen

    Bioverfügbarkeit 2.8.1

    In den Ernährungswissenschaften ist die Bioverfügbarkeit definiert als die Absorption und

    Verwertung eines Nährstoffes im Körper und umfasst somit neben der Absorption auch

    dessen Speicherung und Ausscheidung (Krebs 2001; Lowe und Wiseman 1998). Die

    genauen Aufnahmewege der unterschiedlichen Selenspezies sind bisher nicht im Detail

    bekannt (Fairweather-Tait et al. 2010). Für Selenat wird eine intestinale Aufnahme analog

    zu Sulfat über relativ unspezifische Anionentransporter angenommen (Shennan 1988;

    Wolffram et al. 1985). Im Gegensatz dazu wird bei Selenit von einer passiven Diffusion

    ausgegangen (McConnell und Cho 1965; Wolffram et al. 1985). Für die organischen

    Selenverbindungen Selenmethionin, Selenocystein und Se-Methylselenocystein wurden

    eine Reihe intestinaler Aminosäuretransporter beschrieben (Nickel et al. 2009).

    Selenmethionin wird dabei wie Methionin durch einen Natrium-vermittelten

    Carriertransporter im Dünndarm absorbiert (Wolffram et al. 1989). Im Allgemeinen ist die

    Absorption sowohl von organischen als auch von anorganischen Selenverbindungen

    relativ hoch (Finley 2006). Die Ergebnisse verschiedener Studien zur Absorption und

    Elimination von Natriumselenat, Natriumselenit, Selenmethionin und Selenhefe sind in

    Tabelle 6 zusammengefasst. In der Literatur wird die Absorption für Natriumselenat beim

    Menschen mit >90% und für Natriumselenit mit 50 - 83% angeben. Bei Selenat wird

    allerdings ein größerer Teil der absorbierten Menge renal eliminiert, so dass die Retention

    im Körper bei beiden Verbindungen im Bereich von 30 - 40% liegt. Einen signifikanten

    Unterschied zeigten die beiden Verbindungen in der kumulativen Urinausscheidung, 90%

    der gesamt renal ausgeschiedenen Menge wurden im Mittel bei Selenat nach 40 Stunden

    und bei Selenit nach 121 Stunden eliminiert (van Dael et al. 2001; Patterson et al. 1989;

    Thomson und Robinson 1986). Selenmethionin wird zu über 90% resorbiert, ebenso

    wurde für Selenhefe eine Absorption von etwa 90% beschrieben (Bügel et al. 2008;

    Griffiths et al. 1976; Swanson et al. 1991). Um die Bioverfügbarkeit, insbesondere die

    Verwertung und Speicherung unterschiedlicher Selenverbindungen im menschlichen

    Organismus beurteilen zu können, wurden Supplementationsstudien durchgeführt, die als

    Parameter den Selengehalt im Blut bzw. Plasma sowie die Glutathionperoxidaseaktivität

    verwendeten. Es zeigte sich, dass die organischen Verbindungen zu einem schnelleren

    und stärkeren Anstieg der Blutkonzentration führten als anorganische Verbindungen. Im

    Hinblick auf die Glutathionperoxidaseaktivität im Plasma und Erythrozyten war kein

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 25

    signifikanter Unterschied festzustellen, die Aktivität des Enzyms in Thrombozyten zeigte

    jedoch ein empfindlicheres Ansprechen auf anorganische Verbindungen (Nève 1995).

    Tabelle 6: Übersicht diverser Studien zur Bioverfügbarkeit von Selenat, Selenit, Selenmethionin und Selenhefe

    Spezies Studiendesign Absorption Ausscheidung(X)

    Retention(X)

    Literatur

    (Dosis, Probanden,

    Studiendauer) [%] Urin [%] Faeces [%]

    Selenat 40 µg 76

    Se n=10 9 Tage

    91 ± 1 45 ± 8 9 ± 1 46 ± 8 Van Dael et al. (2001)

    1 mg n=10 5 Tage

    94 ± 4 62 ± 11 6 ± 4 n.b. Thomson und Robinson (1986)

    Selenit 40 µg 74

    Se n=10 9 Tage

    50 ± 8 9 ± 2 50 ± 8 41 ± 8 Van Dael et al. (2001)

    200 µg 74

    Se n=6 12 Tage

    83 ± 1 17 ± 1 19 ± 1 35 ± 3 Patterson et al. (1989)

    1 mg n=4

    5 Tage 62 ± 14 21 ± 4 38 ± 14 n.b.

    Thomson und Robinson (1986)

    SeMet < 2µg 75

    Se n=4 14 Tage

    96 – 97 6 - 9 4 – 6 86 – 89 Griffiths et al. (1976)

    200 µg 74

    Se n=6 12 Tage

    96 11 ± 1 4 ± 1 n.b. Swanson et al. (1991)

    Selenhefe 327 µg 77

    Se n=12 3 Tage

    89 ± 4 15 ± 5 11 ± 4 74 ± 6 Bügel et al. (2008)

    (X): am Ende der Studie; n.b.: nicht bestimmt; n: Anzahl der Probanden

    Metabolismus und Elimination 2.8.2

    Der Metabolismus von anorganischen und organischen Selenverbindungen erfolgt nach

    bisherigem Kenntnisstand vorwiegend über das zentrale Stoffwechselzwischenprodukt

    Selenid, welches als Quelle für die Synthese von Selenoproteinen und weiteren

    Stoffwechselendprodukten gilt (Birringer et al. 2002; Ohta und Suzuki 2008; Whanger

    2002).

    Die Reduktion von Selenit findet entweder direkt durch eine Thioredoxinreduktase und

    Thioredoxin zum Selenid (Lu et al. 2009) oder Glutathion-vermittelt über das intermediär

    gebildete Selendiglutathion (GSSeSG) unter NADPH-Verbrauch und einer Glutathion-

    Reduktase (GSR) statt (Hsieh und Ganther 1977). Selenat kann in Analogie zu Schwefel

  • 26 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    durch die ATP-Sulfurylase zum Adensosinphosphoselanat aktiviert und anschließend zu

    Selenit reduziert werden (Sors et al. 2005; Terry et al. 2000). Bisher wurde diese Reaktion

    allerdings nur bei Bakterien und Landpflanzen beschrieben; die Bestätigung für den

    Menschen fehlt bisher (Birringer et al. 2002).

    Die Aminosäure Selenmethionin kann aufgrund der strukturellen Ähnlichkeiten zu

    Methionin unspezifisch an dessen Stelle in Proteine wie zum Beispiel Albumin und

    Hämoglobin eingebaut werden (Behne et al. 1991). Selenmethionin, welches nicht für die

    Proteinbiosynthese verwendet wird, folgt dem Stoffwechselweg der

    Transsulfurierung/Transselenierung (Birringer et al. 2002; Suzuki 2005). Hierbei wird

    Selenmethionin über die Zwischenprodukte Selenohomocystein und Selenocystathionin

    mit Hilfe der Enzyme Cystathionin-β-Synthase (CBS) und Cystathionin-γ-Lyase (CSE) zu

    Selenocystein (SeC) umgesetzt (Esaki et al. 1981). Selenocystein wird anschließend

    mittels β-Lyasen zu Selenid metabolisiert (Esaki et al. 1982). Des Weiteren kann

    Selenmethionin durch eine Methionin-γ-Lyase direkt zu Methylselenol verstoffwechselt

    werden (Okuno et al. 2006; Okuno et al. 2005 a, b).

    Für den Einbau von Selen in spezifische Selenoproteine, wird das Selenid zusammen mit

    ATP durch eine Selenophosphat-Synthetase (SPS) in den reaktiven Selendonator

    Selenophosphat überführt. Anschließend wird die Aminosäure Serin, die an eine spezielle

    tRNA (tRNASec) mit dem Anticodon UCA gebunden sein muss, durch das Enzym

    Selenocystein-Synthase (SeCS) und Selenophosphat, seleniert. Durch die Bindung dieser

    „selenylierten“ tRNA an die entsprechende mRNA und Neuinterpretation des eigentlichen

    Translationsstoppcodons UGA wird Selenocystein spezifisch in funktionelle

    Selenoproteine eingebaut (Allmang und Krol 2006; Driscoll und Copeland 2003; Hatfield

    und Gladyshev 2002).

    Die wichtigsten Ausscheidungsprodukte von Selen stellen die selenhaltigen Zucker dar

    (Francesconi und Pannier 2004). Erstmals wurde Methyl-2-acetamido-2-desoxy-1-seleno-

    β-D-galactopyranosid (SeSug1) im Urin von Ratten nach Verabreichung von Selenit

    nachgewiesen (Kobayashi et al. 2002). Es folgte der Nachweis dieses Zuckers sowie von

    Methyl-2-acetamido-2-desoxy-1-seleno-β-D-glucopyranosid (SeSug2) und Methyl-2-

    amino-2-desoxy-1-seleno-β-D-galactopyranosid (SeSug3) in humanem Urin (Bendahl und

    Gammelgaard 2004; Gammelgaard und Bendahl 2004; Gammelgaard et al. 2003, 2005;

    Kühnelt et al. 2005, 2006 a, 2007). Zusätzlich wurde die Struktur von SeSug1 in

    unbelasteten menschlichen Urinproben mit Elektrospray-Massenspektrometrie bestätigt

    (Klein et al. 2011). Die Bildung der selenhaltigen Zucker erfolgt Glutathion-vermittelt mit

    anschließender Methylierung der funktionellen Selenol-Gruppe (siehe Abbildung 8)

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 27

    (Kobayashi et al. 2002). SeSug3 entsteht durch Deacetylierung von SeSug1 durch eine

    Amidohydrolase (Kühnelt et al. 2005; Roseman 1957). Eine Zytotoxizitätsstudie an

    HepG2-Zellen zeigte für SeSug1 und SeSug2 im Vergleich zu Natriumselenit eine

    1000fach schwächere Toxizität (Kühnelt et al. 2005). Die biologische Bedeutung dieser

    Stoffwechselprodukte ist außer der einhergehenden Eliminationsbeschleunigung durch

    die verbesserte Wasserlöslichkeit weitgehend unbekannt (Francesconi und Pannier 2004;

    Kobayashi et al. 2002).

    Abbildung 8: Schema der Selenzucker-Bildung, modifiziert nach Kobayashi et al. (2002); SeSug1: Methyl-2-acetamido-2-desoxy-1-seleno-β-D-galactopyranosid; SeSug2: Methyl-2-acetamido-2-desoxy-1-seleno-β-D-glucopyranosid; SeSug3: Methyl-2-amino-2-desoxy-1-seleno-β-D-galactopyranosid; GlcNAc: 2-Acetamido-2-desoxy-β-D-glucopyranose; GalNAc: 2-Acetamido-2-desoxy-β-D-galacto-pyranose; SAM: S-Adenosylmethionin; SAH: S-Adenosylhomocystein; GSSeH: Glutathionseleno-persulfid

    Ein weiterer Stoffwechselweg erfolgt mit Hilfe von Methyltransferasen (MT), die das

    intermediäre Selenid zu methylierten Selenverbindungen wie dem Mono- und

    Dimethylselenid sowie dem Trimethylselenium-Ion metabolisieren (Kremer et al. 2005;

    Ohta und Suzuki 2008; Suzuki 2005; Suzuki et al. 2006 a, c). In vitro Untersuchungen in

    Erythrozytensuspensionen zeigten, dass bei simultaner Inkubation von

    77Se-methylseleniger Säure und 82Se-Selenit die Produktion der Selenzucker oder des

    Trimethylselenium-Ions von der Kapazität der Demethylierung von Momomethylselenid

    zum Selenid abhängt (Suzuki et al. 2006 b). Das Monomethylselenid kommt nicht nur als

    Zwischenprodukt im Methylierungsstoffwechselweg vor; zusätzlich kann es als

    Abbauprodukt von Se-Methylselenocystein und γ-Glutamyl-Se-methylselenocystein durch

    β-Lyasen (Andreadou et al. 1996; Pinto et al. 2011; Suzuki et al. 2007) aus

  • 28 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Selenmethionin durch Methionin-γ-Lyasen (Okuno et al. 2005 a, b) sowie durch Reduktion

    von methylseleniger Säure entstehen und zu Selenid mittels Demethylasen (DM)

    demethyliert werden (Ip et al. 2000; Suzuki et al. 2006 b, c). Der Nachweis von

    Methylselenol als Eliminationsprodukt im Urin (Itoh und Suzuki 1997; Suzuki et al. 1995;

    Suzuki 1996), wie es in frühen Studien beschrieben wurde, wird heutzutage

    unzureichenden analytischen Verfahren zugeschrieben (Francesconi und Pannier 2004).

    Im Gegensatz dazu wurde das Trimethylselenium-Ion sicher im menschlichen Urin

    nachgewiesen. Die Ausscheidung des Trimethylselenium-Ions unterliegt allerdings großen

    interindividuellen Schwankungen mit eliminierten Mengen im Spurenbereich bis hin zum

    Haupteliminationsprodukt (Gammelgaard et al. 2000; Kühnelt et al. 2006 a, b; Lu et al.

    2012; Marchante-Gayón et al. 2001). Auch Dimethylselenid wurde in Spuren im

    menschlichen Urin nachgewiesen (Bueno und Pannier 2009), der Großteil wird zum

    TMSe verstoffwechselt oder über die Atemwege exhaliert (Kremer et al. 2005). In

    verschiedenen pharmakokinetischen Modellen wurde für Selen nach oraler Aufnahme von

    Selenit und Selenmethionin ein enterohepatischer Kreislauf beschrieben, wodurch

    zusätzliches Selen neben dem nicht resorbierten Selen über die Faeces eliminiert werden

    kann (Patterson et al. 1989; Swanson, et al. 1991; Wastney et al. 2011). Abbildung 9 zeigt

    schematisch den Metabolismus von Selen.

    Abbildung 9: Biotransformationsschema von Selen nach Navarro-Alarcón und Cabrera-Vique (2008) sowie Fairweather-Tait et al. (2011)

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 29

    2.9 Klinische Störungen - Gefährdungsbeurteilung von Selen

    Selenmangel 2.9.1

    Eine Unterversorgung mit Selen kann einerseits ernährungsbedingt durch die Aufnahme

    von Lebensmitteln mit unzureichendem Selengehalt (

  • 30 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Kashin-Beck-Krankheit

    Die Kashin-Beck-Krankheit ist eine chronisch-degenerative Osteoarthropathie, die mit

    Minderwuchs und Knochendeformation einhergeht und endemisch in selenarmen

    Gebieten in Russland, Nordkorea und Teilen Chinas beobachtet wurde (Allander 1994;

    Moerman et al. 1992). Die Krankheitsentstehung ist weitgehend ungeklärt, wird aber mit

    einem Selenmangel in Verbindung gebracht (Sudre und Mathieu 2001). In den

    betroffenen Gebieten waren sowohl die Selenkonzentrationen im Haar als auch die

    GPx-Aktivität im Vergleich zu nicht betroffenen Gebieten erniedrigt (Ge und Yang 1993).

    Dieser Zusammenhang wird aber kontrovers diskutiert. Weitere in der Literatur diskutierte

    Risikofaktoren sind Kontaminationen von Lebensmitteln bzw. Trinkwässer mit

    Mykotoxinen, Humin- oder Fulvinsäure, Virusinfektionen sowie ein Jodmangel (Sudre und

    Mathieu 2001; Stone 2009). Eine Meta-Analyse verschiedener Studien aus dem Jahr

    2009 hat gezeigt, dass eine Supplementation mit Selen in den betroffenen Gebieten der

    Krankheitsentstehung entgegenwirkt (Zou et al. 2009).

    Toxizität 2.9.2

    Akute und chronische Toxizität

    Die Selenvergiftung betrifft weit weniger Menschen als der Selenmagel, kann aber als

    Folge einer übermäßigen Supplementation (MacFarquhar et al. 2010), durch

    versehentliche oder vorsätzliche (suizidale) Einnahme sehr hoher Selenmengen (Müller

    und Desel 2012) oder in selenreichen Gebieten über die Nahrung auftreten (Hira et al.

    2004; Yang et al. 1983).

    Bei der Gefährdungsbeurteilung von Selen muss berücksichtigt werden, dass sich die

    unterschiedlichen Selenverbindungen bezüglich ihres toxikologischen Potentials

    unterscheiden. Tabelle 7 zeigt dies anhand der Unterschiede in der mittleren letalen Dosis

    (LD50), die in Tierversuchen bei Ratten für verschiedene Selenspezies nach oraler Gabe

    bestimmt wurden.

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 31

    Tabelle 7: LD50-Werte (Ratte) verschiedener Selenspezies

    Spezies Summenformel LD50 Literatur

    [mg/kg]

    Natriumselenat Na2SeO4 1,6 NTP (1994)

    Natriumselenit Na2SeO3 7 Cummins und Kimura (1971)

    Selenhefe --- 37 Vinson und Bose (1987)

    Selenourea CH4N2Se 50 Cummins und Kimura (1971)

    Selensulfid SeS2 138 Cummins und Kimura (1971)

    Biphenylselenid C12H10Se 360 Cummins und Kimura (1971)

    Elementares Selen Se0 6700 Cummins und Kimura (1971)

    Sowohl für die akute als auch für die chronische Selenintoxikation wurde ein

    knoblauchartiger Geruch von Schweiß und Atemluft beschrieben, der durch die Exhalation

    von Dimethylselenid verursacht wird (Barceloux 1999). Des Weiteren wurden für die akute

    Intoxikation beim Menschen folgende Symptome beschrieben: (I) neurologische

    Beschwerden wie Tremor, Muskelkrämpfe, Unruhe, Verwirrtheit, Delirium und Koma;

    (II) gastrointestinale Beschwerden wie abdominale Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen und

    Durchfall; (III) Reizungen der Schleimhäute überwiegend nach Selenwasserstoff-

    Exposition; (IV) Entzündungen des Respirationstrakts, Lungenödeme, Hypotension und

    Tachykardie. Langfristig können Haarverlust und Schädigungen von Fuß- und

    Fingernägeln auftreten. Weitere Organsysteme, die geschädigt werden, sind Leber, Niere,

    Milz und Pankreas (Barceloux 1999; Gasmi et al. 1997; Köppel et al. 1986; MacFarquhar

    et al. 2010; Müller und Desel 2010; Nuttall 2006; Williams und Ansford 2007).

    Bei der chronischen Selenvergiftung (Selenosis) sind neben dem knoblauchartigen

    Geruch der Atemluft, fleckige, streifige, brüchige Nägel, Zahnverfall, Verlust von Nägeln

    und Zähnen, rötliche Verfärbung der Haut, Hautausschläge, Schmerzen in den

    Extremitäten, Hyperreflexie, Müdigkeit, Trägheit, Erschöpfung, Gleichgültigkeit,

    Leistungsschwäche und gastrointestinale Beschwerden beschrieben worden (Barceloux

    1999; Hira et al. 2004; Yang et al. 1983).

    Selen und Diabetes mellitus

    Aufgrund tierexperimenteller Studien (Hwang et al. 2007; Iizuka et al. 2010) sowie

    Beobachtungen aus Fall-Kontroll-Studien (Kljai und Runje 2001; Navarro-Alarcón et al.

    1999) wurde die Einnahme von Selen mit einem verbesserten Glukosestoffwechsel und

    einem daraus resultierenden verminderten Diabetesrisiko in Verbindung gebracht. Im

  • 32 GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND

    Gegensatz dazu zeigten epidemiologische Studien jedoch, dass eine übermäßige Zufuhr

    von Selen zu einer Erhöhung des Risikos, an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken, führt.

    In der nachträglichen Auswertung einer randomisierten, placebokontrollierten

    Supplementationsstudie (200 µg Selen als Selenhefe) zum Einfluss auf das Krebsrisiko

    mit 1312 Teilnehmern über 12 Jahre wurde ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von

    Diabetes mellitus Typ 2 in der Interventionsgruppe beobachtet (Stranges et al. 2007). Ein

    signifikanter Risikounterschied konnte allerdings nur bei Männern festgestellt werden. Bei

    der Einzelbetrachtung verschiedener Subgruppen wurde ein signifikant erhöhtes Risiko

    für das Drittel mit den höchsten initialen Selenwerten (>121,6 µg/L Blutplasma)

    festgestellt. Auch in der SELECT-Studie (The Selenium and Vitamin E Cancer Prevention

    Trail) wurde in der Seleninterventionsgruppe (200 µg Selen als Selenmethionin) ein

    erhöhtes Risiko, an Diabetes zu erkranken, beschrieben. Dies war allerdings statistisch

    nicht signifikant. Die Supplementationsstudie wurde aufgrund eines fehlenden protektiven

    Effektes auf die Krebsentstehung sowie des möglichen, statistisch signifikant werdenden

    diabetogenen Effektes abgebrochen (Lippman et al. 2009). Eine weitere Studie, die einen

    Zusammenhang von Selen und Diabetes zeigte, war die französische SU.VI.MAX-Studie

    (Supplementation en Vitamines et Minéraux Antioxydants), eine randomisierte,

    placebokontrollierte Interventionsstudie mit über 1500 Teilnehmern. Die

    Interventionsgruppe erhielt ein Kombinationspräparat aus Selenmethionin (100 µg Se),

    Vitamin C, Vitamin E, β-Carotin und Zink über 7,5 Jahre und zeigte einen statistisch

    signifikanten Anstieg des Nüchternglukosespiegels, der ein prädisponierender Faktor für

    die Diabetesentstehung ist (Czernichow et al. 2006). Eine Querschnittsanalyse mit 8876

    Teilnehmern der NHANES-Studie III zeigte einen statistisch signifikanten Zusammenhang

    zwischen der Serumselenkonzentration und dem Auftreten von Diabetes mellitus. Die

    Serumselenkonzentrationen der an Diabetes erkrankten Teilnehmer lag im Mittel bei

    126,8 µg/L und 124,7 µg/L bei Personen ohne diese Erkrankung (Bleys et al. 2007).

    Ähnliche Ergebnisse lieferten die Daten aus der NHANES-Studie aus den Jahren 2003

    und 2004, hier lagen die Selenspiegel bei 143,7 ± 18,3 µg/L für Diabetiker und

    136,4 ± 19,9 µg/L für Nicht-Diabetiker. Beim Vergleich des Teilnehmerquartils mit den

    höchsten Selenkonzentrationen (>147 µg/L Serum) mit dem Quartil mit den niedrigsten

    Selenwerten (

  • GRUNDLAGEN UND KENNTNISSTAND 33

    Dysglykämie zu bekommen, als Männer mit Selenspiegeln im unteren Drittel

    (14,21 - 78,96 ng/mL). Bei Frauen war dieser Zusammenhang nicht zu beobachten

    (Akbaraly et al. 2010). Eine Studie von Navarro-Alarcón et al. (1999) zeigte ebenfalls

    einen signifikant niedrigeren Plasmaselengehalt bei Diabetikern (64,9 ± 22,8 µg/L) als bei

    Nicht-Diabetikern (74,9 ± 27,3 µg/L). Weitere Studien konnten keinen signifikanten

    Zusammenhang zwischen dem Selengehalt im Plasma und dem

    Nüchternblutzuckerspiegel bzw. der Diabetesentstehung nachweisen (Coudray et al.

    1997; Hughes et al. 1998). Die Aufklärung des genauen biochemischen Mechanismus als

    Beweis für den kausalen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Diabetes mellitus

    und Selen bzw. des protektiven Effektes von Selen, der in den klinischen und

    epidemiologischen Studien beobachtet wurde, steht noch aus. Für den protektiven Effekt

    spricht die Eigenschaft von Selen, in vitro Insulin-äh