energiekultur ruhr / ruhr-atoll 2010

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8 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 9 KUNST VERBINDET – DAS RUHR-ATOLL. ART FORGES LINKS – THE RUHR ATOLL. Ein Eisberg. Ein Teehaus. Ein U-Boot. Zwei Windräder. Das ist Kunst? Das ist Kunst – originelle, eindringliche, anfassbare Kunst! Zu erleben in der Zeit von Mai bis Oktober 2010 auf dem Essener Baldeneysee. Auf dem Werdener Teil vorm Stauwehr der RWE schwimmen sie, die vier Kunst-Inseln. Das Ruhr-Atoll ist Ergebnis eines energiegeladenen Pro- jekts, im Rahmen dessen Kurator Norbert Bauer international anerkann- te Künstler, erfahrene Wissenschaftler, Sponsoren, Kunstexperten und die Menschen aus dem Ruhrgebiet in einen kreativen Prozess einbindet. „Kunst ist Energie – Energie ist Bewegung“ lautet die Formel für das Ruhr-Atoll. Konzipiert als Archipel der Künste und Wissenschaften, stammen Entwurf und Planung für fast jede Insel von einem scheinbar ungleichen Paar: Künstler haben sich gemeinsam mit Wissenschaftlern darauf eingelassen, die Themen Kunst und Energie miteinander zu verknüpfen und dabei Ressourcen wie Wasser, Wind, Sonne und Kreativität zu nutzen. Entstanden ist ein aus vier Inseln bestehender „Kunst-Energiepark“. An iceberg, a teahouse, a submarine, two wind turbines: is this art? Yes, it is: original, penetrating, tangible art. Experience it on Essen’s Lake Baldeney from May to October 2010. Four art islands float on the Werden side of the lake, before the RWE weir. The Ruhr Atoll is the fruit of an energy-charged project. In its crea- tive process, curator Norbert Bauer is involving prominent international artists, experienced scientists, sponsors, art experts and the people of the Ruhrgebiet. “Art is energy – energy is movement” is the motto for the Ruhr Atoll. The idea is to create an archipelago of arts and sciences. Thus the design and planning for nearly every island come from an apparently ill- matched twosome. Artists have been working with scientists to link up the subjects of art and energy. In doing so, they have sought to use resources such as water, the wind, the sun and creativity. The result is an ‘art energy park’ consisting of four islands.

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An art-project of four islands on an artificial lake was part of the European Capital of Culture RUHR.2010. "Ruhr-Atoll" based on the idea of "Energy and art in motion" by Norbert Bauer was sponsored by RWE AG and documented in a book published by Klartext-Verlag in Essen, Germany. Portrait Norbert Bauer: Holger Krüssmann Essay + reportage: Katrin Osbelt Pictures: Frank Vinken

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Page 1: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

8 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 9

KUNST vERBINDET – DAS RUHR-ATOLL.ART FORGES LINKS – THE RUHR ATOLL.

Ein Eisberg. Ein Teehaus. Ein U-Boot. Zwei Windräder. Das ist Kunst?

Das ist Kunst – originelle, eindringliche, anfassbare Kunst! Zu erleben in

der Zeit von Mai bis Oktober 2010 auf dem Essener Baldeneysee.

Auf dem Werdener Teil vorm Stauwehr der RWE schwimmen sie, die vier

Kunst-Inseln. Das Ruhr-Atoll ist Ergebnis eines energiegeladenen Pro-

jekts, im Rahmen dessen Kurator Norbert Bauer international anerkann-

te Künstler, erfahrene Wissenschaftler, Sponsoren, Kunstexperten und

die Menschen aus dem Ruhrgebiet in einen kreativen Prozess einbindet.

„Kunst ist Energie – Energie ist Bewegung“ lautet die Formel für das

Ruhr-Atoll. Konzipiert als Archipel der Künste und Wissenschaften,

stammen Entwurf und Planung für fast jede Insel von einem scheinbar

ungleichen Paar: Künstler haben sich gemeinsam mit Wissenschaftlern

darauf eingelassen, die Themen Kunst und Energie miteinander zu

verknüpfen und dabei Ressourcen wie Wasser, Wind, Sonne und

Kreativität zu nutzen. Entstanden ist ein aus vier Inseln bestehender

„Kunst-Energiepark“.

An iceberg, a teahouse, a submarine, two wind turbines: is this art?

Yes, it is: original, penetrating, tangible art. Experience it on Essen’s

Lake Baldeney from May to October 2010.

Four art islands float on the Werden side of the lake, before the RWE

weir. The Ruhr Atoll is the fruit of an energy-charged project. In its crea-

tive process, curator Norbert Bauer is involving prominent international

artists, experienced scientists, sponsors, art experts and the people of

the Ruhrgebiet.

“Art is energy – energy is movement” is the motto for the Ruhr Atoll.

The idea is to create an archipelago of arts and sciences. Thus the

design and planning for nearly every island come from an apparently ill-

matched twosome. Artists have been working with scientists to link up

the subjects of art and energy. In doing so, they have sought to use

resources such as water, the wind, the sun and creativity. The result is

an ‘art energy park’ consisting of four islands.

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Das Ruhr-Atoll auf dem Essener Baldeneysee ist das Leitprojekt

der RWE AG zur Europäischen Kulturhauptstadt Ruhr.2010.

The Ruhr Atoll on Lake Baldeney, Essen, is RWE AG’s lead project

for European Capital of Culture Ruhr.2010.

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EIN PROzESS vOLLER ENERGIE: NORBERT BAUER UND DIE KUNST.AN ENERGY-PACKED PROCESS: NORBERT BAUER AND ART.

Von HOLGER KRÜSSMANN

Sommer 2010, an einem Sonntag: Inseln schwimmen auf dem See, Jog-

ger joggen, Kinder schlecken Eis. Tretboote ziehen ihre Bahn, es gibt

die eine oder andere Schlange vor der Kasse und dem Klo. Viele Men-

schen tragen Kappen, ganz wenige einen Hut − nur einer trägt eine

Mütze: Norbert Bauer. Zwei Damen aus der Reisegruppe recken die Häl-

se. „Ach das ist der Künstler! Schau mal. Sagen Sie, Herr Bauer, das ist

alles von Ihnen hier?“ Ja und nein. Es ist von Kabakov, Kaiser, Kaufmann

und Katase und von C.U. Frank. Und von Norbert Bauer. Ach so? Herr

Bauer ist also Sammler? Nein, ist er nicht. Dann ist er Kulturmanager,

Kurator? − Nein, ist er auch nicht! Was ist er dann? Er ist Künstler!

Bauer sammelt − unermüdlich mit Trüffelschwein-Instinkt. Er rackert mit

persönlichem Einsatz bis in die Kleinigkeiten, mit Reibungsverlusten,

Ecken und Kanten und with a little big help from his friends. Und er

kuratiert − mit großem Wurf und ganz eigener Marke: „Grundstein-

kiste“, „Tuchfühlung“, „Kunststau“ und zur Kulturhauptstadt 2010 das

Atoll auf der Ruhr.

Er tut dies seit vielen Jahren. Als Künstler. Ohne dass er Hammer und

Pinsel, Nadel und Faden, Touchpad und Kamera in die Hand nimmt,

ohne dass Werke von ihm im Handel sind. Es gibt keine „echten Bau-

ers“, die man sich ins Wohnzimmer, auf Verwaltungsdächer oder ins

Foyer der Staatskanzlei stellen könnte. Das macht die Vermarktung für

den Handel nicht eben attraktiv, und auch als dauerhaftes Invest tau-

gen sie nicht; denn „echte Bauers“ sind stets Interventionen und Instal-

lationen auf Zeit. Sie finden ausschließlich im öffentlichen Raum statt,

finanziert durch Sponsoring, Stiftung und Ehrenamt. Mit nur

geringem, meist indirektem Anteil der öffentlichen

Hand − etwa in

Form von Gemeinwesenarbeit und Qualifizierungsprojekten für Lang-

zeitarbeitslose im Rahmen des „Essener Konsens“, der sich mit der

„Essener Arbeit“/EABG aktiv am Bau der Atoll-Insel von Kazuo Katase

beteiligte.

Der Blick auf die Künstlervita Norbert Bauers ist dann besonders auf-

schlussreich, wenn man auf ihre Anfänge zurückgeht. Die liegen nicht

im Bergischen Land, wie es die nach spektakulären Kunstprojekten wie

der „Tuchfühlung 1 + 2“ (1997 und 2000) häufig gebrauchte Konnotati-

on „Langenberger Künstler“ vermuten lässt. Bauers persönliche und

künstlerische Entwicklung fußt hörbar im Ruhrgebiet und zwar da, wo

es „ruhriger“, spröder, herzlicher und sperriger nicht sein kann: in Gel-

senkirchen. Für „jetzt“ sagt er auch heute noch „gezz“, und wenn er

sauer ist oder ein gütliches Angebot macht, beginnt der Satz mit „Pass

ma‘ auf!“ Glückliche Momente hat er beispielsweise dann, wenn er nach

langem Suchen − oder ganz spontan − noch eine altersgekrümmte Sack-

karre findet, um sie der Kabakov-Insel hinzuzufügen. In Bauer begegnet

uns ein Alexis Sorbas des Ruhrgebiets: Mit riesiger Energie schafft er

es, über Monate und Jahre eine Idee voranzutreiben, die allein schon

deshalb fasziniert, weil jemand von ihr mit solch einer Energie und Hin-

gabe überzeugt ist wie Bauer.

Das Ruhr-Atoll mit seinen beinahe zehn Jahren von der ersten Idee bis

zum Kulturhauptstadt-Archipel ist das aktuellste, aber beileibe nicht

einzige 2010 sichtbare Beispiel für die Steherqualitäten Bauers. Die par-

allel zu den Atoll-Inseln auf dem Baldeneysee stattfindende Ausstel-

lung in der Ruhr-Atoll-Halle liefert den Beleg nicht nur in der Präsenta-

tion der Atoll-Modelle, sondern auch in der Installation „Grundstein-

kiste“. Im Jahr 1994 wuchs dieses als Benefizaktion initiierte Werk zu

einer 39 mal vier Meter messenden Wand, bestehend aus 400 Holz-

kisten mit jeweils drei Kalksandsteinen darin. Das Projekt mobilisierte

Künstler wie Günther Uecker, Markus Lüpertz, Elvira Bach oder den Alt-

meister des Informel, Emil Schumacher. Sie gestalteten und stifteten

die Dreierpakete als Grundsteine für ein Kunsthaus in einem stillge-

legten Langenberger Bahnhof. Die Kunsthaus-Initiative als solche wur-

de nicht vollendet, doch es entstand ein bemerkenswertes, in jeder Hin-

sicht museumsreifes Werk über den Tag hinaus.

Das Ensemble wirkt, aus der Ferne betrachtet, wie ein Patchwork-Wand-

teppich oder eine ins Riesenhafte vergrößerte Briefmarkensammlung.

Aus der Nähe gibt es als Momentaufnahme den Status quo der Kunst

der frühen 1990er Jahre wieder − nicht als eine Zusammenschau, son-

dern als ein Werk. Man stelle sich vor: Wie viele Telefonate, Briefe, Rei-

sen braucht es, um 395 Künstler und Künstlerinnen, darunter etliche

„Große Namen“ aus ganz Europa, dazu zu bringen, einen Beitrag für ein

künstlerisches Multiple abzugeben? Als das Patchwork 1994 stand, war

die Resonanz gewaltig: Die Kisten tourten innerhalb eines Jahres über

die Frankfurter Buchmesse, die Art Cologne, die Düsseldorfer Art Multi-

ple, zum Landesmuseum Bonn und zum Goethe-Institut nach Rotter-

dam. Bauer hatte seinen Weg, seine künstlerische Marke gefunden als

jemand, der Themen setzt und als Katalysator fungiert. Er tut dies mit

Sinn und Gespür für die jeweilige historische Lage, die dem Projekt eine

politische und gesellschaftliche Metaebene verleiht und Kunst im

besten beuysschen Sinne als Fahrzeug und Mittel für Nachdenken und

Erkenntnisgewinn nutzt. So thematisierte die Tuchfühlung 1 („Die Haut.

Das Gewand. Das Haus.“) den Niedergang der Tuchmacherstadt Lan-

genberg, die einst die reichste Gemeinde Preußens war. Hunderte von

Künstler-Segeln, in Bauer-Manier zusammengetragen, symbolisierten

Kraft, Chance und frische Brise in einer höchst ästhetischen, sinnlichen

Weise. Die Tuchfühlung 2 („Körperkontur“) ging den Menschen an und

unter die Haut − just zu jener Zeit, als in der Gentechnologie − agra-

risch, pharmakologisch − jener „point of no return“ überschritten wur-

de, aus der Forschung in die weltweite Verwertung zu gehen.

Warum hat nun Bauer in seinem Projekt zum Thema Energie auf dem

langen Weg zur Kulturhauptstadt diesen ausdauernden Atem bewie-

sen? Es war das Moment des „Von-hier-komm-ich-her“, das ihn nicht

unter die Räder kommen ließ. Geprägt hat ihn das Ruhrgebiet der

1970er Jahre, für das Gelsenkirchen „im Revier“ steht wie keine andere

Stadt. Das repräsentiert weder die krawallige Kumpeligkeit im Schi-

manskistil noch das „Bochum-ich-komm-aus-dir“-Pathos. Viel authen-

tischer und ganz still zeigen es zum Beispiel die Haferkamp-Tatorte mit

Hansjörg Felmy, die Wenders-Filme „Alice in den Städten“ und „Im Lauf

der Zeit“, Winkelmanns „Abfahrer“ oder die frühe Reportage von Karl-

heinz Jardner über den Karneval in Oberhausen, den „Mini-Kosmos der

Mega-Narren“, was die Ruhr-Welt jener bis in die Poren durchdrang.

Diese mit 8x4-Deo übertünchte Mixtur aus Kohle, Kohl, Betonstaub und

Pils, vor der eine in den Fünfzigern geborene Generation von „Typen“

Norbert Bauer mit sich in einem U-Boot

Norbert Bauer with himself in a submarine

Die Bauer‘sche Grundsteinkiste

Bauer’s “Grundsteinkiste”

(Ziegen-)Bock und Kurator

(Billy-)goat and curator

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nur Reißaus nehmen wollte. Nach Amsterdam, nach Griechenland und

natürlich nach Berlin. Der Ruhrgebietsmief brachte eine Reihe von

Künstlern, Musikern und Theatermachern hervor, die eine eigene Radi-

kalität entwickelten: Martin Kippenberger, Tom Mega (er drückte mit

Bauer die Berufsschulbank), Christoph Schlingensief, Thomas „Schnulli“

Koppelberg, Rolf Dennemann oder Helge Schneider. In jenen Jahren

ließ sich Bauer − bis dahin Schulabbrecher, gelernter Fotograf, Tramp,

Pflastermaler, Abi-Nachmacher, Mundharmonikaspieler, Student (Kunst

und Germanistik), Abenteurer − auf das Abenteuer Kunst ein. Durch

Johannes Stüttgen aus dem F.I.U. (Freie Internationale Universität)

-Kreis von Joseph Beuys wurde er angeregt und bestärkt, durch Wolf

Vostell bestätigt. Bauer nahm diese Impulse auf und formte − stets im

öffentlichen Raum agierend − seine „Marke“. Er entwickelt als Künstler

inhaltliche, mitunter auch formale Themenstellungen, um damit Beiträ-

ge anderer zu initiieren und zu provozieren. Bauers Projekte sind tempo-

rär, doch sie wirken nachhaltig − die Stadtbespielungen wie die „Tuch-

fühlung“ haben dafür gesorgt, dass alle – Laien und Experten – Kunst

wahrnehmen, auch indem sie über die Kunst heftig streiten. Bewusst-

seins- und Erkenntnisprozesse in Gang zu setzen ist auch Bauers Ver-

ständnis von Kunst. Der Künstler Timm Ulrichs sagte Norbert Bauer ein-

mal nach, er würde anderen Künstlern mit seinen Konzepten „die

Hausaufgaben aufgeben“, und schüttelte 2004 gleich acht Vorschläge

für das Ruhr-Atoll aufs Papier. Dabei hatte sich Bauer selbst die eigent-

liche „Hausaufgabe“ mit nach Hause genommen: Statt der für die Reali-

sierung eines Bauer-Projektes üblichen drei Jahre beherrschte das Atoll

auf der Ruhr mehr als sieben Jahre seine Arbeit. Um die Kulturhaupt-

stadt von ihren Anfängen bis zum Finale zu überstehen, braucht es

schon Marathonqualitäten. Und eben auch eine gehörige Portion

„Alexis Sorbas“!

Holger Krüssmann ist freier Journalist und Autor. Im PROJEKTBÜRO

RUHR-ATOLL 2010 ist er zuständig für Redaktion und Pressearbeit.

It is a summer Sunday in 2010. Islands float in the lake. Joggers are jog-

ging, children licking ice-lollies. Pedalos wend their way over the water.

Queues build up at the ticket office and for the loo. There are plenty of

people in caps; one or two actually in hats; but Norbert Bauer’s head-

gear is the only example of its kind present. Two ladies from the tour

group crane their necks. “Oh, look, there’s the artist! Tell me, Herr Bau-

er, is all this by you?” Well, yes and no. It’s by Kabakov, Kaiser, Kauf-

mann and Katase and C.U. Frank, and: Norbert Bauer. Is that so? So is

Herr Bauer a collector? No, he is not. So he must be a cultural affairs

manager, a curator, then. No, he’s not one of those, either. What is he,

then? Oh! He is an artist.

Bauer does collect – incessantly and with a fine nose for collectability.

He beavers away, with immense personal dedication, down to the small-

est detail, with friction losses, corners and edges and with a little lot of

help from his friends. He is also a curator, a highly successful one, who

gives projects his personal stamp: “Grundsteinkiste,” “Tuchfühlung,”

“Kunststau” and now the Atoll on the Ruhr for Capital of Culture 2010.

He has been a collector and curator for many years, but always as an

artist. He never picks up hammer or brush, needle or thread, keypad or

camera. No works by him are on sale. There are no “genuine Bauers”

that you could hang in your living room, erect on office roofs or display

in the foyer of a state chancellery. Hence there is no incentive for the

art trade to market them. They are also unsuitable as long-term invest-

ments, because the “genuine Bauers” are always time-limited art inter-

ventions and installations. They are found only in public spaces, and

are funded through sponsorship, foundations and voluntary support.

The proportion of public funding is only slight, and most of it indirect.

It might take the form of community work and projects offering qualifi-

cations to the long-term unemployed, under the auspices of the urban

project group “Essener Konsens.” The group was actively involved in

building Kazuo Katase’s atoll island, working with “Essener Arbeit”/the

Essen Work and Employment Society EABG.

The early stages of Norbert Bauer’s CV are especially informative. He

did not start out from Bergisches Land, despite frequent allusions to

the “Langenberg artist” since spectacular art projects such as “Tuchfüh-

lung 1 + 2” in 1997 and 2000 (the title means ‘body contact’ or ‘the feel

of cloth’). The Ruhrgebiet is actually audible as the launchpad for Bau-

er’s personal and artistic progression. Gelsenkirchen could hardly be

rougher, heartier or more ponderous – all typical characteristics of the

region. For ‘now,’ Bauer still says ‘neoo,’ and when he is annoyed or is

making a kind offer, the sentence begins with “hey, listen.” Among his

happiest moments are when he comes across an ancient and rickety

hand-cart to pile on to the Kabakov island – maybe after painstaking

search, or maybe quite by chance. Bauer is the Ruhrgebiet’s answer to

Zorba the Greek. With boundless energy, he manages to drive an idea

forward for months and years, even when its only attraction is that

someone as energetic and dedicated as Bauer believes in it.

Nearly a decade has passed between the first inklings of the Ruhr Atoll

and the reality of the Capital of Culture archipelago. That makes it the

most recent, but far from the only, example of Bauer’s quality of ‘sticka-

bility’ to be seen in 2010. Such proof exists at the exhibition being held

parallel to the Atoll islands on Lake Baldeney, in the Ruhr Atoll hall. The

models made for the Atoll are on display, but so is the installation

“Grundsteinkiste” (Foundation Stone Chest). In 1994 this work, begun

as a charitable initiative, grew into a wall measuring 39 x 4 metres. This

consisted of 400 wooden chests, each containing three sand-lime

bricks. The project mobilised artists such as Günther Uecker, Markus

Lüpertz, Elvira Bach and the doyen of the informal, Emil Schumacher.

They designed and donated the three-packs as foundation stones for

an art gallery in a disused railway station in Langenberg. The gallery

initiative as such was never finished, but it did give rise to a striking

piece of work, worthy of museum display in every respect.

Viewed from a distance, the ensemble looks like a patchwork wall hang-

ing or a stamp collection magnified to giant size. At close quarters, it

comes across as a snapshot, reflecting the artistic status quo of the ear-

ly 1990s. Grundsteinkiste is not a review, but one work. Imagine how

many telephone calls, letters and trips it takes to persuade 395 artists,

including a sprinkling of “big names,” from all over Europe, to contrib-

ute to an artistic multiple? The patchwork was rapturously received

when it was first set up in 1994. The chests spent a year on tour,

Die Modell-Ausstellung zum Ruhr-Atoll – zu sehen im Tor 2 in Essen-Werden The Ruhr Atoll model exhibition – on show at Gate 2, Essen-Werden

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appearing at the Frankfurt Book Fair, Art Cologne, Düsseldorf’s

Art Multiple, the Regional Museum of the Rhineland in Bonn and the

Goethe Institute in Rotterdam.

Bauer had found his niche. His artistic hallmark is that of someone who

sets topics and acts as a catalyst. He does this with a strong sense of

the historical circumstances which give each project its political and

social meta-level. Bauer uses art in what the late German performance

artist Joseph Beuys would have seen as its best sense – as a vehicle and

medium for reflection and enhanced experience. So Bauer’s first Tuch-

fühlung exhibition (“The skin. The wall. The house”) dealt with the

decline of the textile town of Langenberg, once one of the most pros-

perous in Prussia. Hundreds of artist sails, brought together à la Bauer,

symbolised power, opportunity and a breath of fresh air in a highly

aesthetic way which spoke to the senses. The second edition of

Tuchfühlung (“body contour”) got down to people’s skin and under it.

It was the time when genetic engineering in agriculture and pharmacol-

ogy had reached the point of no return, passing from research to world-

wide exploitation.

So why did Bauer show such staying power in his energy project, on the

long road to the Capital of Culture? “Here’s where I’m from” was all the

rage at the time, but Bauer did not fall for it. He was a product of the

Ruhrgebiet of the 1970s, and nowhere better typified the region at that

time than Gelsenkirchen. Neither the bumptious mateyness of Commis-

sioner Schimanski in German TV’s police series “Tatort,” nor the pathos

of songs (“Bochum I call you home …”) do it justice.

The Tatort episodes starring Hansjörg Felmy as Commissioner Hafer-

kamp show a much more authentic, rather quiet, Ruhrgebiet. Other

more realistic portrayals are the Wim Wenders films “Alice in the Cities”

and “Im Lauf der Zeit” (in the course of time) and Adolf Winkelmann’s

“Abfahrer” (driving off). An early documentary by Karlheinz Jardner

about the carnival in Oberhausen, the “Mini-Cosmos of Mega-Fools,”

was also steeped in the real Ruhrgebiet. It was a whiff of coal, cabbage,

concrete dust and Pils, with overtones of German “8x4 Deo” perfume.

The generation of ‘guys’ born in the fifties wanted only to get away …

to Amsterdam, Greece and, of course, Berlin. The reek of the Ruhr

brought forth a series of artists, musicians and theatre producers, who

developed their own radical approach. They included artist Martin Kip-

penberger, singer Tom Mega (who shared a bench at vocational school

with Bauer), actor and director Christoph Schlingensief, musician, poet

and theatre founder Thomas “Schnulli” Koppelberg, actor Rolf Denne-

mann and comedian and jazz musician Helge Schneider.

Bauer evolved from school drop-out to trained photographer, tramp,

pavement artist, belated high-school graduate, harmonica player, stu-

dent (of art and German language and literature) and adventurer. Those

years were also his induction into the adventure of art. Johannes Stütt-

gen, a member of Beuys’s circle at the Free International University

inspired and encouraged him, while the happening artist Wolf Vostell

confirmed him on his chosen path.

Thus prompted, Bauer formed his own “brand,” always acting in public

space. As an artist, he devises topics – consisting mainly of content, but

sometimes also of form. Their purpose is to initiate and elicit contribu-

tions from others. Bauer’s projects are temporary, but their effect is

lasting. His plays on towns such as “Tuchfühlung” have ensured that

laypeople and experts alike can perceive art, even if they are at logger-

heads about that art. Bauer also understands art as setting processes

of awareness and realisation in motion.

The artist Timm Ulrichs once said of Norbert Bauer that other artists

would have to “do their homework” according to his plans, roughing

out eight simultaneous proposals for the Ruhr Atoll in 2004. Bauer,

however, had taken his own “homework” home with him. Instead of the

usual three years to implement a Bauer project, the Atoll on the Ruhr

dominated his work for more than seven. It takes marathon endurance

to see the Capital of Culture through from inception to finale. A dash of

Zorba the Greek certainly comes in handy, too.

Holger Krüssmann is a freelance journalist and author. In the RUHR ATOLL 2010

PROJECT OFFICE, he is responsible for press and editorial work.

„GENUG GEDACHT, JETzT WIRD GEBAUT!““ENOUGH THINKING. NOW IT’S TIME TO BUILD.”

Matthias Nitsche ist Spezialist für Großevents und Kulissenbau. Der

Maschinenbauingenieur fand bereits in den 1980ern den Weg zum The-

ater und ergänzte bei WDR und NDR seine Ingenieurskenntnisse um die

Ausbildungen zum Elektro- und zum Beleuchtungsmeister. In den

1990er Jahren entstanden unter seiner Leitung Bühnen und Kulissen am

Maxim Gorki Theater und an den Staatlichen Schauspielbühnen in Ber-

lin, am Thalia Theater in Hamburg oder am Aalto-Theater in Essen. Nit-

sche gründete 1994 das Ingenieurbüro „cultec engineering“, das sich

vor allem mit Beratung, Planung und Konstruktion im Bereich Bühnen-

und Veranstaltungstechnik beschäftigt. Seine jüngste Aufgabe: die

technische Leitung beim Bau des Ruhr-Atolls. „Für mich ist das Ganze

eine Theaterkulisse. Ob die nun schwimmt oder nicht, ist zweitrangig.

Am 12. Mai ist Premiere und dann muss das Ding stehen“, sagt Nitsche.

Der Mann, der schneller spricht, als mancher denken kann, entschuldigt

sich für seinen unaufgeräumten Schreibtisch. Bis auf zwei nicht ganz

exakt geordnete Papierstapel ist da aber nichts Unordentliches zu ent-

decken. Das lässt tief blicken. Wenn Nitsche plant, dann geht es konse-

quent zu: Zeitpläne, Genehmigungsverfahren, Statikberechnungen,

Materialbestellung, Bauüberwachung – alles muss sinnvoll aufeinander

abgestimmt werden. Geradlinig, zielbewusst, schnörkellos, so peitscht

Nitsche das Projekt nach vorne. Matthias Nitsche: „Natürlich setze ich

mich mit den Wünschen der Künstler und der Aussage des Kunstwerks

auseinander. Aber irgendwann kommt der Punkt, da muss ich sagen:

‚So, Freunde. Genug gedacht. Jetzt wird gebaut!‘“

Big events and backdrops are Matthias Nitsche’s specialities. A mechan-

ical engineer, he found his way into theatre back in the 1980s. Working

for broadcasters WDR and NDR, he expanded his engineering knowl-

edge to become a master electrician and lighting specialist. In the

1990s he managed stage and scenery erection at Ber-

lin’s Maxim Gorki Theatre and Staatliche Schauspielbüh-

nen. He also worked at the Thalia in Hamburg and the

Aalto in Essen. In 1994 Nitsche founded a consultan-

cy, cultec engineering, which mainly offers

advice, planning and construction in the field

of stage and event engineering. His latest

assignment is the technical management of

the Ruhr Atoll construction. “For me the

whole thing is a theatre backdrop. Wheth-

er it floats or not is a second priority. The

premiere is on 12 May, and it must be up

by then,” remarks Nitsche.

He speaks faster than many people can

think. He apologizes for his untidy desk

but, apart from two slightly messy piles of

paper, nothing seems out of order. This

speaks volumes about the man. When Nitsche

plans, the approach is strictly rational: time

schedules, approval procedures, static calcula-

tions, material procurement and building

supervision – all must mesh. Straightforward,

target-oriented and unfussy, Nitsche drives the

project forwards. Concluding, he adds, “of

course I get to grips the artist’s wishes and the

message of the art work. But sometime the

moment comes when I have to say, ‘right,

my friends. Enough thinking.

Now it’s time to build.’”

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zWEI WINDRÄDER UND EIN LIEBENSWERTES ENSEMBLE UNPERFEKTER TECHNIK.TWO WIND TURBINES AND A LOvABLE ENSEMBLE OF TECHNICAL IMPERFECTION.

Das in Amerika lebende russische Künstlerpaar Ilya und Emilia Kabakov

verzichtete bei der Konzeption ihrer Insel für das Ruhr-Atoll auf wissen-

schaftlichen Support. Laut Ilya Kabakov ist das ein realistischer und

künstlerisch notwendiger Ansatz. Wissenschaftliche und ideologische

Perfektion seien Ideen, improvisierte Umsetzungen hingegen formten

die Realität. So schwingen zwei Windräder durch die seichten Winde

über der Ruhr, ein Diesel-Generator brummt, poröse Rohrleitungen ver-

binden Windmühlen und Wasserwerk, Eimer fangen das wertvolle Nass

dort auf, wo es tropft.

Schrottplätze und Ebay lieferten die Bauteile, die Kurator Norbert Bauer

und sein Team unermüdlich heranschafften. Das liebenswerte Ensem-

ble, das wissenschaftliche Ansätze nicht ohne Biss ironisiert, bringt

rund 100 Tonnen auf die Waage. Die Kabakovs haben einen Erlebnis-

raum von Gewicht geschaffen.

Die Kabakovs über sich selbst

Ilya Kabakov: „Früher haben wir die Entstehung unserer Werke immer

selbst kontrolliert. Ich habe die verschiedenen Objekte gesucht, zusam-

mengetragen, montiert oder montieren lassen. Aber jetzt, wo wir ein

wenig älter sind, entwerfen wir Baupläne und schicken diese Vorgaben

an verschiedene Fachleute. Und hinterher sagen wir, ob etwas gut reali-

siert wurde oder nicht. Bei diesem Projekt – bei der Insel für das Ruhr-

Atoll – hatte ich überhaupt keine Bedenken, dass alles gelingen würde.

Denn mit Norbert Bauer empfinde ich ein einzigartiges Gefühl an Über-

einstimmung. Das hatte ich bisher noch nie.“

Emilia Kabakov: „Hinzu kommt, dass wir ein ganz besonderes Verhältnis

zu Essen haben. Dieser Ort hat für uns eine große Vergangenheit: die

Industrialisierung, die totale Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, der

engagierte Wiederaufbau, die Produktionskraft in der Nachkriegszeit

und schließlich der Zusammenbruch der Montanindustrie und der Struk-

turwandel. Immer, wenn wir in Essen waren, hatten wir das Gefühl, dass

die Menschen dort nach vorne schauen – auch in schweren Zeiten. Die

Menschen glauben an die Zukunft, sie sind in gewisser Weise Uto-

pisten. Und wenn etwas für die Zukunft geplant wird, darf es ruhig

praktikabel sein. Auch in anderen Metropolen gibt es viel Zukunftsmu-

sik. Aber das sind dann häufig Luftschlösser. Deshalb glaube ich, dass

in Essen und im Ruhrgebiet die Zukunft liegt.“

Ilya Kabakov: „Wahrscheinlich gibt es in Essen tief unter der Erde eine

besondere kosmische Energie – einen ganz außergewöhnlichen Energie-

punkt, der die Tatkraft und die Fantasie beflügelt.“

Artist duo Ilya and Emilia Kabakov are Russians living in the USA. While

designing their island for the Ruhr Atoll, they dispensed with scientific

support. According to Ilya, such an approach is both realistic and an artis-

tic necessity. Scientific and ideological perfection are ideas. But the reali-

ty consists of a series of improvisations. Two turbines revolve in the gen-

tle breeze over the Ruhr. A diesel generator hums, porous pipelines link

windmills and waterworks, buckets catch the precious moisture where it

drips. Scrapyards and e-Bay provided the components on which curator

Norbert Bauer and his team are now tirelessly working. The lovable

ensemble apes scientific approaches, not without biting irony, and

Emilia (links) und Ilya Kabakov trafen Kurator Norbert Bauer im Frühjahr 2010 in London.

Emilia (left) and Ilya Kabakov meet curator Norbert Bauer. London, Spring 2010.

Bauteile des Kabakov-Kunstwerks in der Ruhr-Atoll-Werkstatt Components of Kabakov’s work of art in the Ruhr Atoll workshop

Ingenieur Michael

Quadflieg baut für

die Kabakovs. Michael

Quadflieg: engineer-

ing for the Kabakovs

Page 8: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

22 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 23

„Die vier Kunstinseln des Ruhr-Atolls behandeln sehr spannende The-

matiken. Dass ich Patin der Kabakov-Insel geworden bin, freut mich

aber besonders. Der Verzicht der Kabakovs auf wissenschaftliche Unter-

stützung und die eher verspielt anmutende Umsetzung machen diese

Insel irgendwie besonders geheimnisvoll. Wenn man die Kunst von

Kabakov insgesamt betrachtet, steigt die Vorfreude, wie sich das Werk

vom Modell, das wir ja schon alle kennen, bis zum Original auf dem See

noch verändern wird. Den Studenten und Mitarbeitern in meiner Abtei-

lung versuche ich zu vermitteln, dass es wichtig ist, die Kunst auf sich

wirken zu lassen. Es geht nicht ausschließlich darum, im Vorhinein zu

wissen, was ein Künstler mit seinem Kunstwerk sagen will. Es geht doch

in erster Linie darum, was ein Kunstwerk mir als Betrachter sagt.

All four artificial islands of the Ruhr Atoll deal with very exciting

themes, but I am especially pleased to have become a sponsor of the

Kabakov island. The Kabakovs got by without scientific support, and

their work has been implemented in quite a playful way. This somehow

makes this island especially secretive. Looking at the art of the Kabako-

vs as a whole, you anticipate how the work will change further from the

model, which we all know already, to the original on the lake. I try to

convey to the students and employees in my department that it is

important to be open to the influence of art. It is not just a matter of

knowing in advance what an artist wants to say through his work. The

most important thing is what a work of art says to me, as its viewer.”

„Die Kabakov-Insel wird von zwei Windrädern gekrönt. Das ist eine sehr

schöne Verbindung zu meinem Konzernunternehmen, der RWE Innogy.

Überhaupt gefällt mir, dass dieses Kunstwerk das Thema Energie ein

wenig ironisierend und humorvoll angeht. Auch der Künstler selbst – so

wie ich ihn im Film gesehen habe – hat einen etwas verschrobenen

Charme, der sich in dem Kunstwerk durchaus niederschlägt und mir

gleich sehr sympathisch war. Für mich hat das Kunstwerk keine bedeu-

tungsschwere, tiefere Aussage. Es stellt einfach dar, dass Wasser von

rechts nach links transportiert wird und dabei zwischendurch immer

etwas verloren gehen kann. Dazu kann man dann (wenn man möchte)

alle möglichen philosophischen Betrachtungen anstellen. Was ist der

Sinn des Lebens? Werden meine täglichen Anstrengungen Früchte tra-

gen? Hat Bewegung einen Wert an sich?

Two wind turbines are the crowning glory of the Kabakov island. They

are an excellent link to Innogy, the member-company of RWE Group for

which I work. I really like the way this art work deals with energy in a

slightly ironic, humorous way. I have seen the artist on film, and he has

a somewhat eccentric charm which comes across very well in this art

work. I also found this very appealing. To me this work of art does not

convey some deep message full of meaning. It simply shows water

being carried from right to left, and that something can always be lost

in the process. You can build every conceivable philosophical reflection

on that (if you want to). What is the meaning of life? Will my daily

efforts bear fruit? Does movement have intrinsic value?”

weighs in at around one hundred tons. The Kabakov setting is not only

spatial, but weighty, indeed.

The Kabakovs about themselves

Ilya Kabakov: “Previously we’ve always checked the progress of our works

ourselves. I have sourced the various objects, collected them and put

them together or had them assembled. But now we are a bit older, we

draw building plans and forward our requirements to various experts.

Afterwards we say whether something has gone well or not. I had no

qualms at all about this project – the island for the Ruhr Atoll. I knew eve-

rything would be a great success. With Norbert Bauer I get this feeling

that we are on the same wavelength. I have never had this before.”

Emilia Kabakov: “Besides, we have a special relationship with Essen. We

think it has a great past: industrialization, total destruction in the Second

World War, the painstaking reconstruction, the powerhouse of the post-

war years and, finally, the collapse of the coal and steel industry followed

by structural change. Whenever we were in Essen, we sensed that these

were people who look ahead, even in difficult times. They believe in the

future: in a sense, they are utopian. And if they plan something for the

future, then it must definitely be feasible. Other big cities make much

ado about the future, but often their plans are castles in the air. So I

believe the future lies in Essen and in the Ruhrgebiet.”

Ilya Kabakov: “Some special cosmic energy may well lurk in the bowels of

the earth below Essen – some extraordinary energy spot that lends wings

to fantasy and spurs practical action.”

Skizzen, Pläne, Werkzeug – geniales Chaos

Sketches, plans, tools – the chaos of genius

Halbfertig …

The semi-finished island on the lake …

… schwimmt die Insel schon auf dem See.

… and it floats!

Inselpatin Ilona Ahmann

– RWE Kundenservice

GmbH – managt sechs

Angestellte und 18 Stu-

denten. Ilona Ahmann,

RWE Kundenservice

GmbH, is sponsor of

Kabakov island and

manages 6 permanent

staff and 18 students.

Gunnar Helberg, RWE

Innogy (Mergers &

Acquisitions Legal

Affairs) ist Pate der

Kabakov-Insel. Gun-

nar Helberg, RWE

Innogy (Mergers &

Acquisitions Legal

Affairs) is sponsor

of Kabakov island.

Page 9: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

24 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 25

Ilya und Emilia Kabakov: Projekt für den Schutz

von natürlichen Ressourcen

Project for the Preservation of Natural Resources

Page 10: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

26 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 27

Michael Quadflieg ist ein Tausendsassa. Er beherrscht

Holzarbeiten, er „macht in Stahl“, er kann Fliesen

legen, Wände kacheln und Dächer zimmern. Außerdem

ist er ein „Studierter“. Auch Planung und Berechnung

hat er im Griff. Der ideale Mann also, um die Kunstinsel

von Emilia und Ilya Kabakov zu bauen. EnergieKultur-

Ruhr hat ihn auf der Baustelle besucht.

Herr Quadflieg, Sie sind Maschinenbau-Ingenieur und

bauen hier in der Ruhr-Atoll-Halle die Kabakov-Insel

zusammen. Wie kommt ein Ingenieur zur Kunst?

Seit 20 Jahren helfe ich Künstlern, ihre Ideen zu verwirk-

lichen. In meinem eigentlichen Beruf habe ich nie gear-

beitet, sondern immer Kulissen, Bühnenbilder und Kunst-

werke umgesetzt. Beim Ruhr-Atoll bin ich über eine

Empfehlung gelandet und begleite das Projekt jetzt von

der Teilesuche bis zur Endmontage.

Sie bauen die Insel also nicht nur hier in der Halle, son-

dern waren auch auf Schrottplätzen unterwegs?

Ja, klar. Ich habe mit dem Schneidbrenner in alten

Fabrikgebäuden in sechs Meter Höhe schöne alte verro-

stete Rohre herausgetrennt ... Wir haben insgesamt fünf

Tonnen Schrott gesammelt. Alles Teile, von denen wir

denken, dass wir sie für das künstlerische Konzept

Kabakovs gebrauchen können. Schließlich wird davon

aber nur ungefähr eine Tonne verbaut. Es ist ähnlich wie

bei einem Maler, der aus der vollen Farbpalette schöpft

und auch nicht vorher genau weiß, wie viel Gramm

Umbra oder wie viel Gramm Sonnengelb er verbraucht.

Nun schwimmt ein Bild später jedoch nicht. Das von

Ihnen ausgeführte Kunstwerk sollte sich aber sicher

über Wasser halten!

Davon können Sie ausgehen. Das technische Team,

geleitet von Matthias Nitsche, nimmt dafür alle sta-

tischen Berechnungen vor und kontrolliert meine Bauten

und Ausführungen. Die Pontons der Firma Alubau, die

die Insel später tragen werden, sind für große Lasten

ausgelegt.

Sie haben von Kabakov keinen exakten Bauplan erhal-

ten. Sie müssen sich an eher freien Skizzen und einem –

fast kindlich naiv anmutenden – Modell orientieren.

Wie können Sie sicher sein, dass Sie Kabakovs Vorstel-

lung treffen?

Inzwischen gibt es ja schon ein zweites Modell, das ein

Modellbauer und ich gemeinsam erarbeitet haben. Zum

einen haben wir dabei Schrottteile, die Kabakov gesehen

und abgesegnet hat, berücksichtigt, zum anderen haben

wir die eine oder andere Vermaßung realistischer ange-

setzt, als es beim ersten Modell der Fall war. Dieses

Modell hat Kabakov dann abgenommen, es dient jetzt

als Vorgabe für meine Bautätigkeit.

Gibt es noch Details, für die Sie kein Material vom

Schrott gefunden haben?

Ja, einige Details müssen wir nachbauen oder neu her-

stellen. Wir konnten ja nicht fünf Jahre lang alle Schrott-

plätze Europas bereisen.

Die Hütte, in der sich später das Laboratorium befinden

wird, stammt aber ganz hier aus der Nähe!

Ja, das ist eine witzige Geschichte. Die Hütte fand Nor-

bert Bauer in einem verwilderten Grabelandgarten, der

direkt hier an die Atoll-Halle grenzt. Das war einfach ein

Glücksfall! Wir haben die Bude allerdings einmal kom-

plett demontiert und bauen sie jetzt in Kabakovscher

Machart wieder zusammen. Kabakov hat einen sehr schö-

nen Satz gesagt: Alle Teile meines Kunstwerks müssen

sich kennen! In diesem Sinne passt die Hütte, die

Kabakov übrigens sehr gut gefällt, ganz großartig auf

unsere Insel.

Inmitten all dieser Schrotthaufen fühlt man sich als

Laie orientierungslos. Woher wissen Sie, in welcher Rei-

henfolge Sie welches Teil verbauen werden?

Ich arbeite mich anhand des Modells Schritt für Schritt

vor. Beginnend mit der Hütte, die Sie hier bereits im

„Rohbau“ sehen, werde ich nach und nach alle Aufbau-

ten zufügen. Die Zeichnungen von Kabakov wirken zwar

auf den ersten Blick fast wie Kinderbuchillustrationen.

Sie beinhalten aber ganz viele Details zu den Wünschen

und Vorstellungen des Künstlers. Inzwischen denke, lebe

und arbeite ich kabakovisch! Heute werde ich zum Bei-

spiel noch die Innenwände der Hütte fliesen. Da es aber

Fliesen, so wie Kabakov sie sich wünscht, in deutschen

Baumärkten nicht gibt, werde ich diese deutsche Norm-

fliese hier noch einmal in der Mitte teilen und ein wenig

auf „schmuddelig“ trimmen.

Sie sind sich sicher, dass Sie bis Mai fertig werden?

Nun, der Einweihungstermin steht ja und ich bin ganz

zuversichtlich, dass ich mit ein wenig Hilfe auch rechtzei-

tig fertig werde. Ich habe zwar auch schon mit einem

Künstler gearbeitet, der aus der Schlussphase des Auf-

baus eine Performance vor Publikum gemacht hat. Das

wollen wir aber tunlichst vermeiden!

Na, dann an die Arbeit, Herr Quadflieg, und vielen

Dank für das Gespräch!

„ICH DENKE, LEBE UND ARBEITE KABAKOvISCH.““I THINK, LIvE AND WORK KABAKOv-STYLE.”

Starke Arme oder starke Nerven? Michael Quadflieg hat beides. Und er hat das Einfühlungsvermögen, die Gedanken des Künstlers umzusetzen.

Strong arms or strong nerves? Michael Quadflieg has both, plus the empathy to implement the artist’s ideas.

Page 11: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

28 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 29

To describe Michael Quadflieg as multi-talented is an

understatement. He is a master wood carver. He “does

things in steel.” He can lay floors, tile walls and join

rafters. He is also an “educated man.” Plans and calcu-

lations are his bread and butter. Just the chap, then, to

build Emilia and Ilya Kabakov’s artificial island. Energy-

CultureRuhr visited him on site.

Mr Quadflieg, you are a mechanical engineer, yet here

you are assembling the Kabakov island in the Ruhr Atoll

hall. How does an engineer get into art?

I’ve spent 20 years helping artists to realize their ideas.

I’ve never worked in my own profession. My output has

always been backdrops, stage pictures and art works. I

landed the Ruhr Atoll job by word of mouth. Now I’ve

been with the project from component sourcing to final

assembly.

So you’re not just building the island here in the hall:

you’ve done the rounds of the scrapyards as well.

That’s right. I’ve wielded my flame torch to cut rusty old

piping from disused factory buildings, twenty feet up …

We’ve collected five tons of scrap in total – and these are

all components we think we can use for the Kabakov art.

Only about one ton of this will ever be used for the

island. It’s a bit like a painter, who paints from a full pal-

ette and doesn’t know in advance exactly how many

grams of burnt Siena or yellow ochre are going to be

used.

Paintings aren’t destined to float. But the art you are

working on was definitely supposed to stay above

water …

You can safely assume it will. The technical team, led by

Matthias Nitsche, are handling all the static calculations

and checking my constructs and output. Alubau, the

contractor making the pontoons which will later support

the island, has designed them for heavy loads.

You have received no exact working drawing from the

Kabakovs. You’ve got to work from free sketches, from

a model almost childish in its naiveté. How can you be

sure you are reflecting the Kabakovs’ idea?

Now there’s already a second model, which I devised

with a pattern maker. It used some scrap parts which

Kabakov had seen and approved. We also gave it a few

tweaks to make the dimensions more realistic than in the

first. Kabakov then accepted the second model, which

now governs my building activity.

Are there still some details for which you have found

no scrap material?

Yes, there are. We will have to retrofit some details or

make them from scratch. We couldn’t spend five years

touring the scrapyards of Europe.

But the hut which is going to house the ‘laboratory’

comes from near here!

Yes, and it’s a funny story. Norbert Bauer found the hut

in an overgrown garden, just next-door to the Atoll hall

here. It was pure luck. We have stripped the cabin right

down. Now we are going to reassemble it à la Kabakov.

Kabakov put it very nicely: all parts of my art have to

know each other. In these terms, the hut is an ideal fit

on our island, and Kabakov is very pleased with it.

A layperson feels at a loss among all these scrap heaps.

How do you know which part to assemble, in what

sequence?

I work my way forward, step by step, following the mod-

el. I’m going to start with the hut. You can see the ‘car-

cass’ right here. Bit by bit, I shall add all the fittings. At

first sight Kabakov’s drawings do look rather like the

illustrations for a children’s book. But they contain a

wealth of detail on the artist’s wishes and ideas. Mean-

while I think, live and work Kabakov-style. Today, for

example, I’m going to tile the inside walls of the hut. As

the German builders’ merchants don’t stock the kind of

tiles Kabakov wants, I’m going to split these standard

German tiles down the middle and give them a slightly

more “ragged” trim.

Are you sure you’re going to finish by May?

Well, the date for the dedication has been set, and I’m

quite confident that, with a little help, I can also finish in

time. I’ve worked once before with an artist who turned

the final stage of the erection into a public performance.

But we’ll do our utmost to avoid that!

I’ll let you get on with your work, Mr Quadflieg, and

thank you for talking to me.

Michael Quadflieg wählt aus fünf Tonnen Schrott aus, um daraus ganz im Sinne Kabakovs mit Hammer und Schweißgerät Kunst entstehen zu lassen.

Michael Quadflieg hand-picks from five tons of scrap. All to create art with hammer and welding gear, to the Kabakov blueprint.

Page 12: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

30 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 31

EIN U-BOOT UND DIE IDEE EINER INSEL.A SUBMARINE AND AN ISLAND IDEA.

Die ortsbezogene U-Boot-Skulptur „ICH KANN, WEIL ICH WILL, WAS ICH

MUSS“ ist aus einer Kooperation des Bildwissenschaftlers Prof. Dr. Hans

Ulrich Reck und des Künstlers Andreas M. Kaufmann hervorgegangen.

Die U-Boot-Skulptur, die sich formal an der amerikanischen U-Boot-

Klasse „OHIO“ beziehungsweise „Lafayette“ orientiert (beide stammen

aus der Zeit des Kalten Krieges), thematisiert das U-Boot sowohl als

Kriegswaffe in Kriegen um Energie und andere zivilisatorisch bedeu-

tende Ressourcen, wie auch als Metapher für künstlerische Subversivi-

tät. Die Collage selbst nimmt das Doppel-Thema auf der bildlichen Ebe-

ne auf und verwebt es zu einem teils leuchtenden, teils in der Dunkel-

heit des Innenraums verschwindenden Medienteppich. Den „Fenster-

öffnungen“ in Buchstabenform kommt dabei die Funktion von Moni-

toren zu, die bestimmte Bildereignisse besonders hervorheben, wäh-

rend andere der Sichtbarkeit praktisch entzogen werden.

So mutiert die U-Boot-Skulptur zum Raumbild, das man modellhaft als

eine ohnehin nur fragmentarisch zu denkende Kathedrale für das Bild-

gedächtnis der Menschheit sehen kann. Darüber hinaus erinnert es

an das Ruhrgebiet als einen Ort (neben anderen Orten), wo die Kon-

flikte um Energie-Ressourcen ihren Ursprung haben, indem sich die

konkrete Landschaft (Baldeneysee), in die die Skulptur eingebettet ist,

einer Doppelbelichtung gleich in die sichtbaren Teile der Bilder-Collage

einspielt.

The submarine sculpture “I CAN BECAUSE I WANT TO DO WHAT I

MUST” was created specifically for this location. It is the fruit of co-

operation between professor of visual studies Dr. Hans Ulrich Reck and

artist Andreas M. Kaufmann. The sculpture is formally based on the

American “Ohio” and “Lafayette” classes of submarine (both dating

from the Cold War era). It treats the submarine both as a weapon in

wars over energy and other resources of importance to civilization, and

as a metaphor for artistic subversiveness. The collage itself takes up

this dual theme in its imagery. The leading ideas are woven into a

media fabric, partly gleaming, partly swallowed up in the dark inner

hull. Letter-shaped “portholes” serve as monitors, to highlight particu-

lar manifestations of image, while other such manifestations are practi-

cally out of view.

Thus the submarine sculpture mutates into a spatial image. It can be

seen as exemplifying a cathedral to human visual memory, though con-

ceivable only in fragmentary form. It also points to the Ruhrgebiet as

one source (among many) of conflict over energy resources. This hint

comes from the specific setting (Lake Baldeney) in which the sculpture

is embedded. It is as if the lake casts the visible parts of the collage of

images in two different lights.

Das U-Boot im Duisburger Hafen

The submarine in the port of Duisburg

Page 13: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

32 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 33

WALDEMAR WEISS, WAS ER WILL.WALDEMAR KNOWS HIS OWN MIND.

Am 2. Februar 2010 auf der Meidericher Schiffswerft. Lautes metal-

lisches Schlagen von überdimensionalen Hämmern dringt aus Schiff-

bauhalle 3 zu uns herüber. Über Schnee und Eis kämpfen wir uns ent-

lang des Docks durch nasskalten Graupelregen. Wir betreten die Halle.

Funken sprühen. Durch den heißen Regen der Funken eröffnet sich ein

seltsames Bild: Ein U-Boot liegt in Schiffbauhalle 3. Ein U-Boot? Nun,

ein halbes U-Boot. Oder besser: Ein Schiff in Bau, das ausschaut wie

ein U-Boot, später aber nicht unter Wasser, sondern auf dem Wasser

schwimmen wird. Später. Im Mai. Auf dem Baldeneysee. Wenn hoffent-

lich die Sonne scheint und ein laues Lüftchen weht. Im Moment ist das

Einzige, das wärmt, ein Schweißgerät.

Das U-Boot wird von Mai bis Oktober 2010 zu einer der Kunstinseln

des Ruhr-Atolls. Ein scheinbar im Baldeneysee auf Grund gelaufenes

U-Boot, das den Schriftzug „Ich kann, weil ich will, was ich muss.“ trägt.

Ersonnen haben es zwei Kölner: der Künstler Andreas M. Kaufmann und

der Medienwissenschaftler Hans Ulrich Reck. Sie begegnen mit ihrer

schwimmenden Installation dem Thema Energie politisch. Immer wieder

werden Kriege um Energieressourcen geführt, so begründen der Künst-

ler und der Wissenschaftler ihren Ansatz. Durch den steigenden Ener-

giebedarf exportierten die Wohlstandsländer mörderische Konflikte

weltweit.

Die Auswirkungen globaler Misswirtschaft haben auch die 40 Mitarbei-

ter auf der Werft in den vergangenen Monaten zu spüren bekommen.

Die Weltwirtschaftskrise hat sie getroffen. Die Auftragslage war mau.

Aber Gott sei Dank sind noch alle Mann an Bord. Mit Kurzarbeit hat man

sich über Wasser gehalten. Durchaus willkommen war deshalb auch das

ungewöhnliche Projekt, ein Kunstwerk auf der Werft zu bauen. Und so

haben der Schiffsbauer, der Schlosser und der Schweißer 14 Tage zuvor

losgelegt! Zu dritt arbeiten sie regelmäßig an dem Objekt, setzen

Bleche gegeneinander, schweißen Nähte, schwingen den Hammer. Die

Bleche für das Atoll-U-Boot fertigte zuvor die Firma SGB in Eisenhütten-

stadt. Dort wurden die Teile ausgebrannt, exakt verformt und dreidi-

mensional gebogen. Auf der Werft liegen sie nun stapelweise überein-

ander, durchnummeriert. Stückliste und Bauplan, der tatsächlich ein

wenig Ähnlichkeit mit den Anleitungen eines bekannten schwedischen

Möbelhauses hat, hat Schiffsbaumeister Waldemar stets im Blick. Auf

der linken Seite sind die Konturen des U-Boot-Rumpfes bereits gut zu

erkennen. Von der rechten Seite ist der Bauch noch offen, zeigen sich

Stahlstreben und Gerüste, die später die schwarze Blechhaut tragen

werden. Waldemar hat die Sache im Griff. Er weist seine beiden Mitar-

beiter an, Teile aneinanderzufügen und die Schweißnähte exakt zu set-

zen. Heute beginnen die Arbeiter, den Turm des U-Boots auf den Rumpf

zu setzen.

„He, Waldemar! Das ist doch die falsche Platte!“ Aufgeregt schaut der

Geschäftsführer der Meidericher Schiffswerft, Georg Höckels, um die

Ecke. Exakt an dieser Stelle soll später der Schriftzug beginnen: „Ich

kann …“ Waldemar grinst: „Nein, ich passe dieses Blech hier nur an. Ich

weiß, dass da der Spruch anfängt! Wat ich will, dat muss ich auch, oder

wat da so steht!“ Noch liegen die Bleche mit den ausgesägten Buchsta-

ben in Fragmenten übereinander. Die Vorstellung, ein Arbeiter würde

sie in falscher Reihenfolge zusammenschweißen, lässt Waldemars

Augen schalkhaft blitzen. „Ich will, weil ich kann, was ich muss.“ Oder

besser: „Ich kann, weil ich muss, was ich will.“

Nein, das wird nicht passieren. Waldemar weiß, was er will: den Zeit-

plan einhalten, dem Vertrauen der Auftraggeber gerecht werden und

eine gute Arbeit abliefern. Ob er und seine Mitarbeiter sich die Kunst-

werke auf dem See im Mai auch ansehen werden? „Mal schauen, eigent-

lich haben wir es hier ja nich’ so mit der Kunst!“ Viel spannender findet

er die Frage, wie das U-Boot auf den See kommt. Da es über Rhein und

Ruhr durch zahlreiche Schleusen geschleppt wird, ist es als Bausatz kon-

zipiert. Die Endmontage erfolgt im Mai auf dem Baldeneysee selbst. (ko)

Meiderich Shipyard, 2 February 2010. The loud clang of giant hammers

on metal drifts across to us from Shed 3. With snow and ice underfoot,

we battle our way along the dockside through driving, chilling sleet and

make it to the shed.

Sparks flash everywhere. Through this glowing spray, we can make out

a strange scene. A submarine is laid out in Shed 3. A submarine? Well,

half a submarine or, rather, a ship under construction that looks like a

submarine. Its destiny is not to prowl beneath the waves, but to float

placidly at the surface. Launch date is set for May; the site will be

Essen’s artificial Lake Baldeney. Fingers are crossed for sunshine, ideally

with a gentle breeze. Here and now, the only warmth around comes

from the welding gear.

From May to October 2010, the submarine will serve as one of the artifi-

cial islands of the Ruhr Atoll. The submarine will appear to have run

aground on Lake Baldeney, and will bear the legend “ich kann, weil ich

will, was ich muss” [I can because I want to do what I must.] The Atoll is

the brainchild of two gentlemen from Cologne. One is artist Andreas M.

Kaufmann; the other a media man, Hans Ulrich Reck. Their water-borne

installation represents their political response to the issue of energy.

Justifying their approach, artist and mediatician point to the recurrent

wars fought over energy resources. The rich nations’ growing demand

for energy is exporting murderous conflicts worldwide.

In recent months, the 40 workers at the shipyard have also felt the

unfairness of the globalized economy. Recession-hit, they have a thin

order book though, mercifully, everyone is still ‘on board.’ Short-time

working has kept their business afloat. Still, an unusual project – to

build a work of art in their shipyard – came as welcome news. The ship-

builders, metalworkers and welders had set to about a fortnight earlier.

They regularly work on the art sub. in threes, matching up metal plates,

Ein U-Boot im Rohbau Carcass of a sub. Waldemar hat die Sache im Griff.

Waldemar has everything under control.

Es wird geschweißt und gehämmert.

To hammer and to weld

Page 14: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

34 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 35

welding seams, and swinging those hammers. SGB, steelmakers in

Eisenhüttenstadt, pre-fabricated the plates for the Atoll sub. They

etched out the components, precision-shaped them and bent them into

three dimensions. Now they lie stacked up at the shipyard, numbered in

sequence. Master shipbuilder Waldemar keeps a watchful eye on the

parts list and on the working drawing, which vaguely resembles instruc-

tions from a well-known Swedish purveyor of home furnishings. On the

left, the outlines of the submarine’s hull are already clearly discernible.

On the right, the bottom is still open, revealing the steel carcass and

ribs to which the plate steel skin will later be riveted. Waldemar has

everything under control. He instructs his two fitters to join parts

together and position the welds accurately. Today the workers are

beginning to fit the conning tower to the hull.

“Oi, Waldemar! That’s the wrong plate.” Alarmed, the Managing Direc-

tor of Meiderich Shipyard, Georg Höckels, peers round the corner. This

is the exact point where the “ich kann …” wording is to go later. Walde-

mar grins, “don’t worry. I’m just tinkering with the position of this

plate. I know that’s where the motto begins. ‘A man’s gotta do what a

man’s gotta do,’ or words to that effect.” The steel plates with their

string of German modal verbs still lie separate in piles. Waldemar’s eyes

have a mischievous glint at the thought that a welder might weld them

together in the wrong order. “I want to because I can and must.” Or

rather “I can because I must and want to.”

Clearly there is going to be no mix-up. Waldemar knows what he wants:

to work to time, earn his customer’s trust and deliver a good product.

Will he and his staff go and admire the works of art on the lake in May?

“We’ll have to see. We’re not really arty types here.” To him, a much

more exciting question is how to get the submarine to the lake. It has

been designed as a two-part kit, for towing through numerous locks on

Rhine and Ruhr. It will finally be assembled on Lake Baldeney this May.

„Das U-Boot ist ein beeindruckendes Symbol für das weltweite Konflikt-

potenzial um Energieressourcen. Ich finde, das ist ein Appell an uns

alle, Energie bewusst zu nutzen, nicht zu verschleudern und dieses Pri-

vileg auch schätzen zu lernen. Ich habe mich mit dem Künstler Andreas

M. Kaufmann getroffen, und wir haben sowohl über das Dreieck Versor-

gungssicherheit, Umweltschutz und Preiswürdigkeit als auch die ener-

giepolitischen Hintergründe der Stromerzeugung und der Gas- und Koh-

lebeschaffung diskutiert. Das sind alles Aspekte, die Kaufmann auch

bildnerisch in den U-Boot-Fenstern umsetzt. Beim Konzept der Ruhr-

Atoll-Inseln gefällt mir die Zusammenarbeit zwischen Künstlern und

Wissenschaftlern – verschiedene Blickwinkel auf ein Thema, die sich

gegenseitig bereichern.

The submarine is an expressive symbol of the potential for world con-

flict around energy resources. I see this as a wake-up call to all of us to

be aware of our energy use, not to waste energy and to learn to appre-

ciate it as a privilege. I met the artist, Andreas M. Kaufmann, and we

discussed the triangle of security of supply, environmental protection

and cost-effectiveness. We also talked about the energy policy back-

ground to electricity production and gas and coal procurement.

Kaufmann portrays all these aspects visually in

the submarine portholes. In the plan for the

Ruhr Atoll islands, I like the co-operation

between artists and scientists – their dif-

ferent and mutually enriching view-

points on a theme.”

„Ich finde es sehr interessant, U-Boot-Pate zu sein, weil ich sowohl den

Künstler bereits treffen als auch das Kunstwerk im Entstehen schon

sehen konnte. Von Mal zu Mal wird die Spannung größer, wie dieses

Kunstwerk wohl schließlich auf dem Wasser wirken wird. Ich finde auch

das Thema der geplanten Bildinstallation im Innern des U-Boots sehr

wichtig. Der Künstler wirft die Frage auf, inwieweit die Verteilungs-

kämpfe um Energieressourcen den Weltfrieden und die Gerechtigkeit

unter den Menschen beeinflussen.

Being a submarine sponsor is something I find very interesting. I have

already had the opportunity to meet the artist and see the work of art

under construction. Our excitement peaks from time to time as we won-

der how this art work will finally come across on water. I also consider

the planned installation inside the submarine very important. The artist

raises the question of how far the contested distribution of energy

resources affects world peace and justice for the human race.”

Bauphase auf der Meidericher Werft Building stage at Meiderich Shipyard

U-Boot-Pate Eric West-

pfahl ist kaufmän-

nischer Auszubildender.

Eric Westpfahl, commer-

cial trainee and subma-

rine sponsor

Dr. Horst Meyrahn von der

RWE Power AG ist U-Boot-

Pate. Dr. Horst Meyrahn,

RWE Power AG, Climate Pro-

tection Division – submarine

sponsor

Page 15: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

36 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 37

Andreas M. Kaufmann / Hans Ullrich Reck:

Ich kann, weil ich will, was ich muss.

I can because I want to do what I must.

Page 16: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

38 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 39

Andreas M. Kaufmann über die Kunst

„Kunst will jenseits kurzfristiger individueller Interessen mit Konzentra-

tion und Ruhe erarbeitet und erlebt werden. Dadurch trägt sie dazu bei,

das Leben menschlicher zu leben. Kunst kann darüber hinaus helfen,

dass Menschen Zusammenhänge und Strukturen in ihrem immer kom-

plexer werdenden Leben entdecken. Sie tut dies, wenn sie durch das

unmittelbare Erleben Aufmerksamkeit und Nachdenklichkeit stimuliert

und indem sie sich vor allem um solche Inhalte und Realitäten kümmert,

die aus dem öffentlichen Bewusstsein bürgerlicher Zivilisationen ver-

drängt oder aber missbraucht beziehungsweise sinnentstellt wurden. In

diesem Sinne ist Kunst für die Gesellschaft ein Lebensmittel, so wie

Speise und Trank für das Individuum. Sie erinnert an die Lebensnotwen-

digkeit, auf breiter Basis ständig dazuzulernen, das Gelernte weiterzu-

geben und geistig flexibel zu bleiben. Kunst und Kultur werden immer

dann wichtig für die Menschen, wenn sie in Situationen geraten, in

denen sich die Sinnfrage unausweichlich aufdrängt. Da Kunst von Men-

schen für Menschen gemacht und als solche erkannt wird, basiert sie

auf einer aktiv gelebten Praxis des Teilens und Mitteilens. Als Mensch

und Künstler versuche ich, diesem Anspruch gerecht zu werden und

einen Beitrag dazu zu leisten, dass diese vielfältigen Quellen auch für

die kommenden Generationen sprudeln.“

Von HANS ULRICH RECK / By HANS ULRICH RECK

• BildistnichtKunst.

• KunstistKunst,andereBildersindandereBilder,andereHandlungenandereHandlungen.

• KunstisteinbesondererTeilderBilderundHandlungen.

• Kunstbestehtnichtzuletztinderinsistenten,aktiven,kasuistischdurchgeführtenUnterscheidungvonBildund

visueller Präsenz.

• Kunstermöglichtnicht,sonderntransformiertundverbrauchtkreativeEnergien.

• EsgibtkeinenzwingendenGrund,beliebigvielenkreativenProzessenimmerwiederdeneinenNamenKunst

beizulegen.

• VerschiedeneFunktionenzwischenKunstundvisuellerKultursindlokalbedingt.

• „Fremde“BilderkönnendieMechanikder„eigenen“BilderüberdieVerkörperungihrerGrenzenauf

spezifische Weise zeigen.

• DasKunstsystemerzeugtgewöhnlichfürdieKunstdieWerke,dieihrenFunktionsmechanismusbestätigen.

• Kunstistdennochzutiefstnicht,wasdurchdasglobaleKunstsystemgewürdigtwird,sondernvorallem,was

als ihr wesentlicher Sachverhalt und als Ereignis wirkt.

• KunstisteinProduktderSelbstbewertungeinesspezifischenKonzeptsvonvisuellerKultur.

• EsgibtimNamenvonKunstkeinenAnspruchaufkulturelleExklusivität.

• Imageisnotart.

• Artisart,otherimagesareotherimages,otheractionsareotheractions.

• Artisaparticularpartofimageandaction.

• Notleast,artconsistsofaninsistent,active,casuistdistinctionbetweenimageandvisualpresence.

• Artdoesnotenablecreativeenergies,butitdoestransformandconsumethem.

• Thereisnocompellingreasontokeeplabellinganynumberofcreativeprocessesasart.

• Localfactorsdeterminevariousinteractionsbetweenartandvisualculture.

• “Alien”imagesmayspotlightthemechanicsofour“own”imagesbyembodimentoftheir

boundaries.

• Thesystemofartusuallyproducestheworkswhichconfirmandendorseart’sfunctional

mechanism.

• Atdeepestlevel,however,artisnotwhattheglobalartsystemprizes.Aboveall,itisthatwhich

acts as its basic substance and manifestation.

• Artisaproductoftheself-appraisalofaspecificconceptofvisualculture.

• Artlaysnoclaimtoculturalexclusivity.

Andreas M. Kaufmann says

“Art calls for calm and concentration if it is to be developed and lived

beyond the bounds of selfish interests. When this happens, art helps us

to live in a more human way. Art can also help people discover links and

structures in the growing complexities of their lives. It does this

through direct experience, which prompts attentiveness and reflection.

Above all, it deals with content and realities which are taboo, distorted

or seen as meaningless in the commonly accepted outlook of bourgeois

civilizations. Thus art is a foodstuff for society, just as food and drink

sustain the individual. Art is a reminder of the necessities of life: the

need for a broad and continuous learning how to pass on what has

been learned; and the need to stay mentally supple.

People always grasp the importance of art and culture when they get

into situations which prompt the question ‘why?’ Art is made by people

for people, and is recognized as such. This means it is based on the

practice of active sharing and informing. As a human being and artist, I

try to live up to this, and help to keep these varied sources alive for

future generations.”

SÄTzE zUR KUNST FüR SCHNELLLESER.ART EPIGRAMS FOR SKIM READERS.

Der Künstler Andreas M. Kaufmann besucht sein Kunstwerk auf der Werft. Artist Andreas M. Kaufmann surveys his work of art at the shipyard.

Page 17: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

40 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 41

EIN EISBERG UND DAS HEULEN DES POLARWINDES.AN ICEBERG IN A HOWLING POLAR GALE.

Auf dem Baldeneysee schwimmt ein Eisberg. Mächtig ragt er aus dem

Wasser. Ein orangefarbenes Zelt darauf – eingegraben in das ewige Eis –

zeugt von den Aktivitäten der Polarforscher. Nachts ist es beleuchtet.

Der Kölner Künstler Andreas Kaiser hat in Zusammenarbeit mit dem Phy-

siker und Polarforscher Dr. Lars Kindermann den schroffen Riesen zu

Wasser gelassen. Windheulen, Donnergrollen, Regenprasseln und Mee-

resrauschen schallen nachts vom Berg über den See. Die Naturge-

räusche machen auf die Zukunft der Energiegewinnung aufmerksam.

Sie verweisen auf regenerierbare Ressourcen, die sowohl Ziel aktueller

Energieforschung als auch Symbol für die zerstörende Wirkung der Kli-

maverschiebung sind. Während nachts der Forscher in seinem kleinen

Zelt auf einem Berg von gespeicherten Klimadaten nach Erkenntnis

sucht, bricht die Naturgewalt über ihn herein. Tagsüber ist die Scholle

begehbar. Jeweils vier Besucher können für einige Minuten das Innere

des Eisbergs betreten. In die schwimmende Skulptur ist ein Container

eingelassen, der ähnliche Ausmaße wie die PALAOA Messstation (Peren-

nial Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean) des Alfred-Wegener-

Instituts (AWI) in der Antarktis hat. Wer durch den Gang in das Innere

des Berges vordringt, erlebt einen kühlen, verdunkelten Raum. Drei

Fenster stellen Fragen um den energetischen Aufwand künstlerischer

Forschung, die visuelle Transkription der Datenströme von PALAOA und

die Poesie der Datenspeicherung in Bremerhaven.

Andreas Kaiser über die Entstehung des Kunstwerks ICEBERG

„Zeitgleich mit der Anfrage von Norbert Bauer habe ich 2005 die Einla-

dung zu einer Ausstellung im Museum für Archäologie in Herne bekom-

men. Dort standen mir 400 Quadratmeter zur Verfügung, um zur paral-

lel stattfindenden ‚Klimaausstellung‘ ein künstlerisches Statement zu

liefern. Dagegen ist die Insel des Ruhr-Atolls fast überschaubar. Ich

habe die Fläche damals mit 25 Gewächshäusern bespielt. Jedes dieser

Glashäuser hatte orientiert an den Klimafaktoren sein eigenes Thema.

In einem schwamm ein kleiner Eisberg. Wenn man weiß, dass inzwi-

schen Hunderte Meter tief ins arktische Eis gebohrt wird, um dort die

Entstehungsgeschichte der letzten zwei Millionen Jahre zu erforschen,

dann schrumpft der Zeitraum des eigenen Lebens und Wirkens auf das

Minimale. Für mich liegt in diesem Phänomen eine große Spannung.

Damals habe ich mich sehr stark mit der Klimaforschung auseinanderge-

setzt und bin auf das AWI gestoßen. Lars Kindermann, Leiter der For-

schungsstation PALAOA in der Antarktis, war mein Wunschpartner für

das Ruhr-Atoll-Projekt, und der Austausch ist unglaublich belebend.

Das Perennial Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean horcht durch

das überhängende Schelfeis hindurch in eine Gegend, in der mensch-

liche Geräusche nicht vorkommen. Ein visuell völlig unerforschtes

Gebiet wird so akustisch wahrnehmbar gemacht. Diese Sounds erzeu-

gen in unseren Köpfen ganz eigene Bildwelten, und die Daten werden

in Bilder übersetzt – ein für mich als Künstler besonders faszinierender

Moment. Was wir mit dem Ohr wahrnehmen, wertet das AWI in Wellen

und Diagrammen aus. Meine Installation liefert zunächst auch nur ein

Bild – einen Eisberg mit einem Zelt oben drauf. Aber immer dann, wenn

bei meinen Installationen Sound ins Spiel kommt, erreichen sie eine

Unmittelbarkeit, die von Bildern nicht generiert werden kann. Unser

visuell trainiertes Hirn kann Bilder locker ausblenden, den geheimnis-

vollen Lauten im Inneren des Eisbergs kann man sich nicht entziehen.

Die bildstarke Metapher vom einsamen Forscher oder Künstler im ewi-

gen Eis der Erkenntnis hat aber auch eine gesellschaftliche Komponen-

te. Kann der Einzelne im Rückzug und den Kräften der Natur ausgelie-

fert bestehen? Kann ich mich vor den bohrenden Fragen um die Zukunft

unserer Ressourcen in mein Zelt zurückziehen und darauf warten, dass

es bald besser wird? Können Messergebnisse das Handeln bestimmen,

oder sind es nicht letztlich mediale Ereignisse, die Veränderungen errei-

chen? Der Kontrast zwischen ‚natürlichen Ressourcen‘ wie dem Eisberg

und dem menschlichen Eingriff durch die künstlerische Imitation macht

aber auch auf das kulturelle Verständnis einer westlich-kapitalistischen

Wertegesellschaft aufmerksam, die den Menschen nicht als Teil der ihn

umgebenden Welt definiert. Die Aufgabe der Kunst ist es, Fragen erst

zu stellen und damit an deren Lösung zu arbeiten!“

Dr. Lars Kindermann über seine Forschungsarbeit

„Das Meer unter den mehrere Hundert Meter dicken Schelfeisen der

Antarktis ist einer der unerreichbarsten Orte der Welt. Diese schwim-

menden Eisschilde bilden die Schnittstelle der südlichen Kryosphäre

zum Weltozean. Vor Jahrtausenden gefallener Schnee strömt in ihnen

nordwärts und kehrt als kalbende Eisberge zurück in den globalen Was-

serkreislauf. Diese Grenze ist nicht nur für das Weltklima von entschei-

dender Bedeutung, hier liegt auch eines der biologisch produktivsten

Gebiete der Erde. Die im Sommer 24 Stunden scheinende Sonne ernährt

in einer extrem kurzen Nahrungskette über Algen und den Krill die größ-

ten Vorkommen von Meeressäugern weltweit. Wie reagieren Wale und

Robben auf abbrechende Eismassen? Wie sehen die Wanderrouten aus?

Dies kann mithilfe von unter dem Eis angebrachten Hydrofonen er-

forscht werden. Man stellt sich immer vor, unter Wasser sei es so sam-

tig, schwarz, ruhig. Aber das ist überhaupt nicht so. Die Horchstation

PALAOA zeichnet alle Geräusche im Wasser unter dem Eckström-Schelf-

eis auf und sendet sie per Satellit direkt an die Computer unserer Wis-

senschaftler in Bremerhaven.

Wir tauchen ein in eine fremde, nur durch das Ohr erfahrbare Welt. Die

Gesänge der Robben vermitteln ein Gefühl tobenden Lebens. Von Zeit

zu Zeit werde ich aufgeschreckt durch das Grollen von vorbeitreibenden

Eisbergen. Wenn die Milliarden Tonnen schweren Kolosse am Rand des

Kontinentes kratzen, erzeugt das mit die lautesten natürlichen

Geräusche überhaupt.

Viele fragen sich, welche Aussagekraft diese Daten haben. Mehr als

eine Million Großwale wurden in der Zeit des kommerziellen Walfanges

erlegt, allein etwa 350.000 Blauwale. In der aufblühenden Industriege-

sellschaft war Walöl einer der wichtigsten Rohstoffe, bis er vom Erdöl

verdrängt wurde. Heute leben noch 700, vielleicht auch 7.000 Tiere die-

ser Art. Ihre tiefen Rufe, einst der lauteste von Lebewesen erzeugte

Klang, hören wir in PALAOA aus Hunderten Kilometern Entfernung. Wie

viele gibt es tatsächlich noch? Welchen Einfluss nehmen wir heute auf

Dr. Lars Kindermann im ewigen Eis

Dr. Lars Kindermann in perpetual ice

Andreas Kaiser (l.) und Lars Kindermann warten auf Strom für den Mediencontainer im Innern ihrer Insel.

Andreas Kaiser (left) and Lars Kindermann wait for the electricity to come on for the media container.

Page 18: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

42 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 43

diese Art? Übertönt das Geräusch der sie längst an Zahl und Lautstärke

übertreffenden Containerschiffe und Öltanker ihre Paarungsrufe? Wird

die Art überleben?

PALAOA ist vor allem wegen der Energieversorgung eine Herausforde-

rung. Es gibt an der Eiskante keine Steckdose. Sonne und Wind versor-

gen die Station rund ums Jahr mit Energie. In der monatelangen Polar-

nacht bei bis zu minus 50 Grad Celsius schaltet eine intelligente Steue-

rung Messgeräte bei Windstille zeitweise aus. Wie alle Lebewesen hier

lernt man als Forscher, mit den natürlichen Ressourcen über den Winter

zu kommen. Viele der Klänge, die unsere Hydrofone unter dem Eis auf-

fangen, können wir nicht erklären. Stammen sie vom Eis? Von Lebewe-

sen? Vom Menschen? Gibt es da eine prinzipielle Unterscheidbarkeit?

Kann ein Künstler darauf Antwort geben?“

An iceberg floats on Lake Baldeney, towering majestically above the

water. An orange-coloured tent is pitched on top – dug in to the perma-

nent ice. It is a sign that polar researchers are at work. The berg lights

up at night. Cologne-based artist Andreas Kaiser laboured in tandem

with physicist and polar researcher Dr. Lars Kindermann to bring this

hulking colossus to the water. A howling gale, rumbling thunder, beat-

ing rain and roaring waves echo over the lake from the iceberg at night.

These natural sounds are suggestive of the future of power generation.

They remind hearers of the regenerative energy sources now being

researched. But they also symbolize the destructive impact of climate

change. As the researcher weathers the night in his small tent, trawling

a mound of stored climate data for knowledge, the might of nature

makes its presence felt. By day, the ice floe is accessible on foot.

Four visitors at a time can spend a few minutes exploring the iceberg’s

interior. The floating sculpture incorporates a container of similar

dimensions to PALAOA, the Alfred Wegener Institute’s Perennial Acous-

tic Observatory in the Antarctic Ocean. Those who venture down the

gangway into the iceberg find themselves in a cool, darkened room.

Three windows pose questions about energy input to experimental art,

the visual transcription of data flows from PALAOA, and the poetry of

data storage in Bremerhaven.

Andreas Kaiser about the origin of his piece of art

“Coinciding with Norbert Bauer’s inquiry, in 2005 I received an invita-

tion to exhibit at the Westphalia-Lippe Museum for Archaeology in

Herne. The space at my disposal was 400 square metres, in which I was

to provide an artistic statement, parallel to an exhibition on climate.

The space on the Ruhr Atoll island is cramped in comparison. At the

time, I filled that space with 25 glasshouses. Each greenhouse had its

own subject, oriented towards climate factors. One of them had a small

iceberg floating inside. Since then, they have bored hundreds of metres

into the Arctic ice, to trace the pattern of evolution over the past two

million years. When I realize this, the span of my own life and influence

shrinks to next to nothing. I find this phenomenon really exciting. At

the time, I became deeply involved in climate research and came across

the Alfred Wegener Institute. Lars Kindermann, the head of the PALAOA

research station in the Antarctic, was my partner of choice for the Ruhr

Atoll project. Our exchange of ideas has been incredibly invigorating.

The Perennial Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean listens

through the overlaid shelf ice, in a region where human noise does not

occur. Visually, the area is completely unexplored, but sound brings it

within range. Our minds respond to these sounds with unique imagery.

For me, as an artist, the translation of acoustic data into pictures is a

moment of special fascination. The Alfred Wegener Institute uses

waves and diagrams to evaluate what we hear with our ears. In the first

instance, my installation conveys only one image – an iceberg with a

tent pitched on top. But whenever sound plays a role in my installa-

tions, they gain an immediacy which pictures cannot create. Our visual-

ly trained brains can easily fade out images. But there is no evading the

mysterious sounds from within the iceberg.

There is also a social element to the expressive image of the solitary

researcher or artist in the permanent ice of knowledge. Can the retiring

individual, exposed to the forces of nature, survive? Faced with the

insistent questions of the future of our resources, can I withdraw into

my tent and wait for a speedy improvement? Can measured results

prompt action, or are not media events the prime movers of change?

However, the contrast between ‘natural resources,’ such as the iceberg,

and human intervention through artistic imitation, also highlights the

cultural understanding of a western society founded on capitalist val-

ues. Such a society does not define human beings as part of the world

around them. Art’s primary task is to ask questions; then set to work

answering them!”

Dr. Lars Kindermann about his research project

“The shelf ice of the Antarctic is several hundred metres thick. The sea

beneath it is one of the most inaccessible places on earth. These float-

ing plates of ice form the interface between the southern cryosphere

and the world’s ocean. Snow which fell thousands of years ago flows

northwards in this sea, and returns to the global water cycle in the form

of calving icebergs. This frontier area is not only of decisive importance

to the world’s climate. It is also one of the most biologically productive

regions on earth. Shining 24 hours a day in summer, the sun nurtures

the world’s most abundant marine mammal life, in an extremely short

food chain via algae and krill.

How do whales and seals react to ablating ice masses? What is the

impact on migration routes? Hydrophones, installed under the ice, can

explore these questions. The underwater world is often thought of as

soft, dark and quiet. But this is not so at all. The PALAOA listening sta-

tion records all noises in the water under the Ekström shelf ice and

transmits them direct by satellite to our scientists’ computer in Bremer-

haven. We find ourselves immersed in a world perceptible only by ear.

The calls of the seals convey a sense of teeming life. From time to time I

am startled by the rumble of passing icebergs. When the billion-ton

masses shear off the edge of the continent, it generates the loudest

noises possible in the natural world.

Many people question what meaning such data can have. More than a

million great whales were hunted and killed in commercial whaling era;

the figure for blue whales was only around 350,000. In burgeoning

industrial society, whale oil was one of the most important commodi-

ties, until it was superseded by petroleum. Today 700, or possibly even

7000, of these whales survive. At PALAOA we hear their deep calls,

once the loudest sound produced by a living organism, echoing across

distances of hundreds of kilometres. How many of them still exist?

What influence do we still have on this species? Does the rumble of the

container ships and oil tankers, which have long overtaken them in

number and acoustic output, drown their mating calls? Will the species

survive? The greatest challenge facing PALAOA is power supply. There

is no electricity socket on the edge of the ice. Sun and wind are the sta-

tion’s energy sources, all the year round. The polar night lasts for

months, at temperatures as low as –50 °C. In these conditions, an intel-

ligent control temporarily switches measuring instruments off when

there is no wind. Like all living beings here, researchers learn to rely on

the resources of nature to get through the winter. Our hydrophones

under the ice pick up many sounds which we cannot explain. Do they

come from the ice? From living beings? From humans? Are they distin-

guishable in principle? Can an artist answer these questions?

Künstler, Insel-Paten, Wissenschaftler … Artists, island sponsors, scientists … … und kleine Gäste auf der Matinée … and small visitors at the matinée

Page 19: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

44 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 45

„Ich war sehr glücklich, dass mir der ICEBERG als Patenkind zugespro-

chen wurde. Denn auch für meine Tätigkeit im Produktmanagement der

RWE Effizienz GmbH habe ich mich sehr bewusst entschieden. Da wol-

len wir ganz entscheidende Dinge zur Energieversorgung der Zukunft

bewegen, und gerade in Bezug auf dieses Thema muss die Kreativität

noch angeregt werden. Viele Dinge sind dabei nicht neu, und trotzdem

müssen wir sie neu anpacken. Das muss besser gehen, das muss schnel-

ler gehen, das muss anders gehen. Was das konkret heißt, weiß ich in

manchen Bereichen heute noch nicht. Aber die Auseinandersetzung mit

der Kunst ist sicherlich hilfreich, eingefahrene Wege zu verlassen. Ich

möchte an dieser Stelle auch betonen, dass nicht ich allein die Paten-

schaft für den Eisberg übernehmen werde, sondern dass ich mich für

mein ganzes Team beworben habe. Denn das ganze Team soll die

zukünftigen Energie-Effizienz-Produkte mit den Zielen Klimaschutz und

CO2-Einsparung entwickeln, und da kann durch Kreativität nur ein posi-

tiver Anschub erfolgen.

I was very happy to be allocated the Iceberg as my ‘godchild.’ My job in

product management at RWE Effizienz GmbH was also a quite deliber-

ate choice. The division wants to make decisive moves towards the

energy supply of the future. And it’s necessary to deploy greater crea-

tivity on this subject. Many of the issues are not new. Nevertheless, we

have to adopt a new approach. Things must go better, things must go

faster, things must go differently. In many areas, I do not yet

know what this entails in practical terms. But it cer-

tainly helps to engage with art if you need to

depart from the tramlines. At this point I

would emphasize, too, that I won’t be han-

dling the Iceberg sponsorship on my own,

but applied to do so with my whole team.

The whole team will be developing energy

efficiency products in future, with the

aims of developing climate protection

and saving CO2 emissions. Creativity can

only lend positive impetus to this.”

Die Ponton-Träger-Konstruktion (links) und die ICEBERG-Insel-Hülle stehen zur Montage bereit. Ein Kran hievt am Ufer des Baldeneysees das ICEBERG-Skelett auf die

Insel-Basis (Bild unten). Ready for assembly: the pontoon support structure (left) and the shell of the ICEBERG island. A crane on the bank of Lake Baldeney heaves

the ICEBERG framework on to the island base (pictured below).

Claudia Schmies, RWE Effizienz

GmbH, ist ICEBERG-Patin.

Claudia Schmies, RWE Effizienz

GmbH, Product Management Divi-

sion and ICEBERG sponsor

Dr. Max Voß, RWE AG, Bereich

Forschung und Entwicklung –

ICEBERG-Pate

Dr. Max Voss, RWE AG

Research and Development

Division and ICEBERG sponsor

„Zu meinem ‚Patenkind‘, dem ICEBERG, habe ich ein ganz besonderes

Verhältnis. Denn bevor ich meine Stellung bei der RWE AG antrat, habe

ich auch eine Zeit lang beim Alfred-Wegener-Institut gearbeitet und

war selbst im Jahr 2000 in der Antarktis auf der Neumeyer-Station. Lars

Kindermann kannte ich sogar von früher. Der Eisberg als Kunstwerk

symbolisiert das Thema Klimaschutz und in diesem Zusammenhang die

Beobachtungen an den Polkappen. Obwohl der Kunstwerk-Eisberg, weil

er ein künstlicher Eisberg ist, nicht schmilzt, stellt er die Vergänglichkeit

dar. Ich sehe in dem Kunstwerk dadurch eine direkte Verbindung zu

RWE als Energieunternehmen. Klimaschutz gewinnt für uns eine immer

größere Bedeutung. Emissionsreduzierung ist ein ganz wichtiges, aktu-

elles Thema!

I enjoy a special relationship with my ‘godchild,’ the Iceberg. In fact,

before I took up my present post at RWE AG, I spent some time working

with the polar researchers, the Alfred Wegener Institute. In 2000 I was

at the Neumeyer Antarctic station myself, having already met the physi-

cist, Lars Kindermann. The Iceberg, as a work of art, is symbolic of cli-

mate protection and the climate-related observation of the polar ice

caps. Although the art ‘Iceberg’ is an artificial construct and does not

melt, it does stand for impermanence. I therefore see this work of art as

direct linked to RWE as a utility. Climate protection is of growing impor-

tance to us. Cutting emissions is a vital, hot topic!”

Page 20: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

46 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 47

SPREcHEN SIE WaLIScH?DO yOU SPEaK WHaLE?

PALAOA steht für PerenniAL Acoustic Observatory in the Antarctic Oce-

an. Palaoa ist aber auch das hawaiianische Wort für Wal. Und tatsäch-

lich zeichnen die Forscher auf der Station in der Antarktis mithilfe hoch-

sensibler Unterwassermikrofone die Gesänge dieser Meeresriesen auf.

Überhaupt ist es in den Ozeanen nicht so still, wie wir Menschen mei-

nen: Robben und Wale singen, pfeifen und jubilieren. Eisberge und

Schollen dröhnen und rumpeln. Die Experten des Alfred-Wegener-Insti-

tuts (AWI) erforschen, welche Rolle die Akustik unter Wasser spielt.

Inzwischen verstehen sie nicht nur Walisch, sie können auch verschie-

dene Robbendialekte unterscheiden.

Das Observatorium – ein kleiner Forschungscontainer – ist unbemannt.

Es steht unweit der Station Neumayer III auf dem Schelfeis der Akta-

bucht in der Antarktis. Von hier aus werden alle akustischen Signale aus

der Unterwasserwelt aufgezeichnet. Im antarktischen Ozean leben ver-

schiedenste Meeressäuger – darunter Schwertwale und Blauwale, die

größten Tiere der Erde. Sie kommunizieren, jagen und navigieren mithil-

fe von Lauten. Da im antarktischen Winter fast völlige Dunkelheit

herrscht, sind biologische Untersuchungen dort nur eingeschränkt

möglich. PALAOA ist jedoch von den Sichtverhältnissen unabhängig

und nimmt das ganze Jahr über 24 Stunden am Tag auf, was tief unter

dem Schelfeis im Wasser vor sich geht. Nicht nur die Stimmen der Mee-

resbewohner sind zu hören, die Tiere sind auch von einer ständigen

Geräuschkulisse umgeben: Eisschollen reiben aneinander und treiben

durchs Meer, große Stücke Schelfeis stürzen tosend ins Wasser; und

zweimal im Jahr schippert die „Polarstern“ vorbei, um die Neumayersta-

tion zu versorgen. Alle diese Ereignisse hinterlassen Spuren auf den

Aufzeichnungen.

Nur der Vorratskeller des rastlosen Abenteurers Ernest Shackleton

(1874–1922) – randvoll gefüllt mit Hochprozentigem – hatte stumm sein

ungewöhnliches Lagergut über ein Jahrhundert lang geborgen. Teilneh-

mer einer Expedition entdeckten im Februar 2010 im Packeis der Ant-

arktis fünf Kisten mit Whisky- und Cognacflaschen, die dort schlum-

merten. Experten bezeichneten den Fund als „Geschenk des Himmels“

für Whisky-Liebhaber. Die Rezepte der alten Sorten existierten teilweise

nicht mehr. Oder sind die teuren Stücke doch auf den Aufzeichnungen

zu hören? Vielleicht als wohlig sanftes Gluckern? (ko)

PALAOA stands for PerenniAL Acoustic Observatory in the Antarctic

Ocean. But Palaoa is also the Hawaiian word for whale. In fact the

researchers at the Antarctic station do record the calls of those levia-

thans, via highly sensitive undersea microphones. The ocean is not

nearly such a quiet place as we humans imagine. Seals and whales sing,

pipe and make merry. Icebergs and floes boom and rumble. The experts

of the Alfred Wegener Institute (AWI) are finding out what role acous-

tics play under water. They not only understand whale-speak; they can

also distinguish between various seal dialects.

The observatory is a small research container and is unmanned. Not far

away is the Neumayer III station, perched on the shelf ice of Akta Bay in

the Antarctic. PALAOA itself records all audible signals from the under-

water world. A wide variety of sea mammals live in the Antarctic Ocean,

including orcas and blue whales, the biggest mammals on earth. They

communicate, hunt and navigate by means of sounds. A feature of the

Antarctic winter is near-total darkness, which places a constraint on bio-

logical investigation. But PALAOA is not dependent on conditions of

visibility, and records whatever occurs deep below the shelf ice in the

water, 24 hours a day, 365 days a year. The voices of the denizens of

the deep are not the only sounds to be heard. Constant background

noise surrounds the mammals. Ice floes rub against each other and

travel over the waves; great lumps of shelf ice drop into the water with

a roar; and, twice a year, the “Polarstern” supply ship chugs past on its

way to the Neumayer station. All these events leave their marks on the

recordings.

Only the storage cellar of the restless adventurer Ernest Shackleton

(1874–1922), crammed full of powerful drink, kept its unusual contents

in silence for more than a century. In February 2010, members of an

exhibition discovered five crates of bottled whisky and cognac – the

best-kept secret of the Antarctic pack ice. Experts rated the find a

‘heaven-sent gift’ for whisky connoisseurs. Some of the recipes for

these old varieties had been lost. Or can these expensive items actually

be traced on the recordings? Do they come across as a blissful, gentle

gurgling? (ko)

Die Messstation PALAOA in der Antarktis

Observatory PALAOA in the Antarctic Ocean

Larsen B Eisschelf

The Larsen B ice shelf

Driftender Eisberg

Iceberg adrift

Die Polarstation Neumayer III wurde nach dem deutschen Polarforscher Georg von Neumayer (1826–1909) benannt.

Polar station Neumayer III: named after German polar explorer Georg von Neumayer (1826–1909)

Page 21: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

48 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 49

ICEBERG FERTIG AUF DEM SEE!! KOMMT NACH DEM 12.5.

Andreas Kaiser / Lars Kindermann: ICEBERG

Page 22: Energiekultur Ruhr / Ruhr-Atoll 2010

50 WWW.ENERGIEKULTURRUHR.DE RUHR.2010 – DIE PROJEKTE DER RWE 51

EIN FROSCH, EIN TEEMEISTER UND DIE SYMBIOSE AUS SPIRITUALITÄT UND ÖKOLOGIE.FROG, TEA MASTER AND ECO-SPIRITUAL SYMBIOSIS.

Das Projekt ist ein west-östlicher Dialog über das Wohnen auf unserem

Planeten. Es fasst in einem stillen Bild auf dem Wasser die Grundbedürf-

nisse eines jeden Menschen zusammen: Was brauchen wir denn wirk-

lich? Antwort: einen festen Boden unter den Füßen, ein Dach über dem

Kopf, den Kreislauf des Wassers. Thematisiert wird dies mit Verweisen

auf das Ruhrgebiet, mit einem japanisch anmutenden Teehaus (ein Ort

der inneren Einkehr) mit seiner großen Schale (ein Urbild für die Gegen-

wart des Menschen) und einem Gemüsegarten hinterm Haus, einer

schon fast vergessenen Selbstverständlichkeit gerade im Ruhrgebiet.

Kazuo Katase aktualisiert hier sein Projekt „Apokalypse Amazonas“ von

1992 für die Ausstellung „Arte Amazonas“ in Rio de Janeiro, anlässlich

des UN-Erdgipfels. Die Künstler sollten die Probleme des Regenwaldes

in ihre Kunstprojekte einbeziehen, Brücken zwischen Mensch und Natur,

zwischen Sinnlichkeit und Geist schlagen. Beim Ruhr-Atoll wird diese

Arbeit über Mensch und Natur im Dialog „Frosch und Teemeister“ fort-

geführt, einem Inselprojekt, welches von menschlicher und von der Fos-

silenergie dieser Region, aber auch von Zukünftigem erzählt. Spirituali-

tät und Ökologie werden zu einer Symbiose zusammengeführt, und ein

Inselprojekt wird aus der Froschperspektive gedacht und entworfen.

Kazuo Katase: „In der Kontinuität lebt die Zeitlosigkeit. In ihr öffnet sich

das Innere nach außen und gestaltet Natur.“ 2004 lud Kazuo Katase den

The project is an east-west dialogue about living on our planet. In an

image of water-borne tranquillity, it encapsulates the basic needs of

any human being. What do we really need? Answer: firm ground to

tread on, a roof over our heads, and the water cycle. The project links

these themes to the Ruhrgebiet. A Japanese-style tea house (a place of

inner contemplation) features a large bowl (an archetype of humanity’s

present moment). Behind the house is a vegetable garden, something

which was once commonplace here in the Ruhr, but is nowadays almost

forgotten.

Here Kazuo Katase updates his “Apocalypse Amazonia” project, origi-

nally created in 1992 for the “Arte Amazonas” exhibition in Rio de

Janeiro, to coincide with the United Nations Earth Summit. The artists

were required to incorporate the problems of the rain forest in their

projects, to build bridges between man and nature, between the mate-

rial and the spiritual. The “Frog and Tea Master” dialogue at the Ruhr

Atoll follows on from this work on humanity and nature. The Ruhr Atoll

is an island project which tells the story of this region’s human and fos-

sil energy, while also looking to the future. It brings spirituality and

ecology into symbiosis. This island project is conceived and designed

from the frog’s perspective. As Kazuo Katase notes, “timelessness lies

in continuity. That is where the inner self opens out and shapes nature.”

In 2004 Katase invited “building frog” Michael Wilkens (an architect) to

join him in this dialogue. The Building Frogs (“Baufrösche”) are a team

founded in 1978, who approach home building “from the frog’s per-

spective” and describe their business as “living completely.” They add,

“even a fifth-floor flat is incomplete without a little garden (and the

chance to potter about outside the flat). Carrots don’t have to be trans-

ported halfway round the globe.” Wilkens and his wife, landscape

designer Heidrun Hubenthal, are working to promote urban agriculture

and to make collective (cross-cultural) gardens possible. Common to all

these “garden initiatives” is the fun of doing things together, a wish for

social organization, and a taste for healthy fruit and vegetables. Their

action befits the philosophy of the Indian poet Rabindranath Tagore:

“Fools make haste, the clever wait, the wise go into the garden.”

A gangway links two pontoons, each ten metres square. One pontoon

supports the teahouse and its big bowl; a vegetable garden with ten

planters has been laid out on the other. Water is pumped by solar pow-

er to a tank positioned at the top of a tower structure in the middle of

the teahouse. This gravity tank supplies the ten planters of vegetables

with water. Any surplus water flows over the roof into a gutter, thence

to the bowl and back into the lake.

Architekten und „Baufrosch“ Michael Wilkens ein, mit ihm diesen Dialog

zu führen. Denn die „Baufrösche“ beschäftigen sich seit ihrer Gründung

1978 mit einem Wohnungsbau „aus der Froschperspektive“ – und dem,

was sie „Vollständiges Wohnen“ nennen: „Jede Wohnung, auch die im

5. Stock, ist ohne einen kleinen Garten (und eine Möglichkeit zum Wer-

keln außerhalb der Wohnung) unvollständig. Und die Karotten müssen

nicht um den halben Globus transportiert werden.“ Zusammen mit sei-

ner Frau, der Landschaftsplanerin Heidrun Hubenthal, setzt sich Wil-

kens für eine urbane Landwirtschaft und die Ermöglichung kollektiver

(interkultureller) Gärten ein. All diese „Garteninitiativen“ eint die Freude

am gemeinsamen Tun, der Wunsch nach sozialer Organisation und nach

gesundem Obst und Gemüse. Sie handeln im Sinne des indischen Philo-

sophen und Dichters Rabindranath Tagore: „Narren hasten, Kluge war-

ten, Weise gehen in den Garten.“

Zwei zehn mal zehn Meter große Pontons sind durch einen Steg verbun-

den. Der eine trägt das Teehaus und die große Schale, auf dem anderen

ist ein Garten mit zehn Gemüsebeeten angelegt. Eine solar angetrie-

bene Wasserpumpe füllt einen Wassertank, der auf einem Förderturm

im Zentrum des Teehauses platziert ist. Dieser Schwerkrafttank ver-

sorgt die zehn Gemüsebeete mit Wasser. Das Überflusswasser fließt

über das Dach in eine Regenrinne, dann in die große Schale und von

dort in den See zurück.

Das Teehaus war bereits im Sommer 2009 fertig, diente unter anderem als Bühne für eine Tanzperformance, und wurde dann demontiert und zwischengelagert.

The Tea House was ready early – by summer 2009 – and served as the stage for a dance performance. Then it was dismantled and placed in interim storage.

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„Ich habe mir das Teehaus ausgesucht, weil es sich mit Energie im

zyklischen Sinne beschäftigt. Dieser Aspekt ist auch Teil meiner täg-

lichen Arbeit: Bei den Wasserkraftwerken wird Energie durch Kreislauf-

systeme erzeugt. Katase legt, glaube ich, besonderen Wert darauf, die

östliche der westlichen Kultur gegenüberzustellen, die Schrebergarten-

mentalität mit den vielen kleinen Pflanzen und Blumenkästen mit der

kontemplativen Wirkung des Teehauses zu kontrastieren. Deshalb darf

das Teehaus übrigens auch nicht betreten werden. Die Besucher dürfen

es vom Boot aus – quasi aus der Froschperspektive – nur anschauen. So

regt die Anschauung eine Sehnsucht an. Die Sehnsucht, das Teehaus

betreten zu wollen und die Ruhe genießen zu können. Mich begeistert

es, Teehaus-Patin zu sein, weil ich mich sehr für fernöstliche Traditionen

interessiere. Ich betreibe zum Beispiel auch Aikido, eine japanische

Kampfsportart.

I singled out the teahouse because it deals with energy in the cyclical

sense. This aspect is also part of my daily work. The basis of power gen-

eration in hydro-electric plants is the natural cycle of the renewable

energy sources. As I understand it, Katase makes a point of comparing

oriental and western culture, contrasting the allotment mentality with

the many small plants and planters, with the contemplative effect of

the teahouse. That is why the teahouse is out of bounds. Visitors can

only look at it from the boat – almost a frog’s-eye view. So the viewing

creates a longing – a desire to go inside the teahouse and savour its

calm. I am an enthusiastic teahouse sponsor, because I am

interested in far-eastern traditions. For exam-

ple, I also practise Aikido, a Japanese mar-

tial art.”

Das Kunstwerk von Kazuo Katase nahm umter anderem durch die Beteiligung der Qualifizierungs- und Beschäftigungs-Initiative „Essener Konsens“ (Bilder oben) und

mit Unterstützung von Heidrun Hubenthal, Landschaftsplanerin und Dozentin, Gestalt an. Kazuo Katase’s work of art was shaped by the involvement of “Essener

Konsens” (a qualification initiative for unemployed people – pictured above) and supported by landscape planner and lecturer Heidrun Hubenthal.

„Ich befinde mich noch in einem Kennenlern-Prozess gegenüber

meinem Kunstwerk. Es war sehr hilfreich, mit dem Künstler selbst über

sein Werk sprechen zu können. Was mir an dem Werk ‚Frosch und Tee-

meister‘ besonders gefällt, ist die Harmonie, die es ausstrahlt. Im

Gegensatz zu den anderen – in meinen Augen eher spektakulären –

Kunstwerken ist ‚Frosch und Teemeister‘ eine sehr schöne Ergänzung zu

dem Themenfeld ‚Energie und Kunst‘. Für mich, der sonst ja nur die

Gelegenheit hat, ‚fertige‘ Kunstwerke zu betrachten, ist es sehr interes-

sant, den Entstehungsprozess des Ruhr-Atolls hautnah miterleben zu

können – von den ersten Skizzen über die Arbeit in den Werkstätten bis

zum Stapellauf. Ich appelliere an meine Kollegen und Freunde, sich ein-

mal auf diese Art von Kunst einzulassen, zum See zu kommen, sich das

Ruhr-Atoll anzuschauen und das gesamt Ensemble auf sich wirken zu

lassen.

I’m still getting to know my art work. Being able to talk to the artist

about his work was really helpful. Something I specially like about the

work ‘Frog and Tea Master’ is that it radiates harmony. Unlike the other

works of art – which I see as pure spectacle – ‘Frog and Tea Master’ apt-

ly complements the subject-matter of ‘energy and art.’ Otherwise, I

have only ever had the opportunity to view ‘finished’ works of art. So I

find it ever so interesting to be able to follow the Ruhr Atoll’s progress

at close quarters – from rough sketches through the workshop stages to

the final launch. And I do urge my friends and colleagues to open them-

selves to this kind of art, come to the lake, see the Ruhr Atoll, and allow

the ensemble to work on them.”

Kathrin Schmelter, RWE Power

AG, Abteilung Steuerung und

Betrieb Wasserkraftwerke

Kathrin Schmelter, RWE Power

AG, Hydro Plant Control and

Operation Division and teahouse

sponsor

Achim Schillak, bei der

RWE Effizienz GmbH verant-

wortlich für das Portal

www.energiewelt.de und

Teehaus-Pate

Achim Schillak, responsible

for the portal www.energie-

welt.de at RWE Effizienz

GmbH and teahouse sponsor

Heidrun Hubenthal: „Wir leben in einer globalisierten Welt. Und was haben wir gewonnen? Dass wir im Frühjahr Trauben aus Südafrika oder Indien oder das ganze

Jahr über knackige Äpfel bekommen. Was haben wir aber verloren? Wir haben die Freude verloren, dass wir, wenn wir etwas säen, auch etwas ernten können.“ Hei-

drun Hubenthal: “We live in a globalised world. And what have we gained? Grapes from South Africa or India in Spring, or crisp apples all year round? But have we

lost as well? We have lost the satisfaction of reaping what we have sown.”

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Der bildende Künstler Kazuo Katase kam 1975 aus seiner Heimat Japan

nach Deutschland, um hier zu leben und zu arbeiten. Erst durch das

Zurücklassen der Heimat, in der Distanz zu Japan konnte er sein eigenes

Erbe tatsächlich entdecken, es durch einen Prozess der Entfremdung

von den Schlacken der Konvention reinigen und mit eigenem Sinn

erfüllen. In der intensiven Beschäftigung mit der europäischen Geistes-

geschichte fand er Spiegelungen seiner persönlichen, vermeintlich

asiatischen Weltvorstellung. Seine Arbeit ist dadurch zu einer ein-

drucksvollen Synthese westlichen und östlichen Denkens geworden.

Die menschliche Situation sei bei Katase durch die Suche nach einer

Lebensmitte gekennzeichnet, die es erlaube, die Spannung zwischen

Individuum und Gesellschaft und die Verwirrung durch die sich vielfach

ändernden Erscheinungen zu überwinden, schreibt Heinz Liesbrock

über ihn. Seine Arbeiten sind genauso einfach wie vielschichtig struktu-

riert. Er stützt sich auf eindringliche, leicht zugängliche Bilder, die

direkt oder auf symbolischer Ebene Grundsituationen menschlichen

Lebens ansprechen: Gemeinschaft und Individuum, Fremdheit und

Nähe, Geburt und Tod. „Er ist ein Reisender, und auf seinen Reisen ist

das Schauen sein Terrain: eine bedingungslose Anschauung, die nichts

sucht und der sich gerade deshalb etwas zeigen kann. Grundsätzlich ist

alles, was ihm begegnet, fähig, seine Bedeutung aufzunehmen – eben

weil es ist. So führen die Bilder auch in die Welt zurück.“

In 1975 the fine artist, Kazuo Katase, moved from his home country of

Japan to Germany to live and work. He was only really able to discover

his own heritage at a distance from Japan, by leaving his home country

Michael Wilkens, Architekt und Gründer des Planungsteams „Baufrö-

sche“, hat die Philosophie dieses außergewöhnlichen Architekturbüros

entscheidend geprägt. Die Baufrösche verstehen sich als „Konzeptema-

cher“, und Konzepte sind für sie Vorschläge, wie die Welt an der von

ihnen zu bearbeitenden Stelle durch Bauen (oder auch Nichtbauen) ver-

bessert werden könnte. Fachliche Unbefangenheit und das Bewusst-

sein, dass es kein „bestes Konzept“ geben kann, prägen die Arbeit der

Gruppe. Ein weiterer wichtiger Aspekt des „Konzeptemachens“ ist die

Orientierung am Begriff der „gestuften Öffentlichkeit“. Das bedeutet,

dass Räume und Flächen so deutlich gegeneinander abgegrenzt sind,

dass sie von Einzelnen oder Gruppen besetzt werden können und darü-

ber die Bildung von Nachbarschaften erleichtert wird. Weitere Leitsätze

der Baufrösche lauten:

•AlleArtenvonAltbeständenkönnendurchUminterpretationfürjede

neue Situation genutzt werden. Abriss ist immer nur die letzte Mög-

lichkeit!

•DiestrikteTrennungvonArbeitundWohnensollwenigstensteilweise

aufgehoben werden – Wohnquartiere sollten immer auch die Möglich-

keit zur Freizeit- und Heimarbeit bieten.

•Architekturbedeutet„AneignungdurchGestaltung“,dasheißtLaut-

stärke und Tempo der Bauästhetik sollten immer auf den Ort, die Auf-

gabe und die verfügbare Technik abgestimmt sein. Traditionen wer-

den bewahrt, solange sie noch sinnvoll und lebendig sind.

• DieBaufröschelassensichnichtaufdasEntwerfenreduzieren.Sie

arbeiten mit Fachingenieuren an Konzepten für neue, ökologische

Stadt- und Energietechnik.

Michael Wilkens, architect and founder of the planning team “Bau-

frösche” has made a decisive contribution to the philosophy of this

DER „BAU“-FROSCH.THE “BULDING” FROG.

DIE NEUENTDECKUNG DES TEEMEISTERS.THE NEW DISCOvERY OF THE TEA MASTER.

exceptional architectural consultancy. The Building Frogs see them-

selves as “concept makers.” By concepts, they mean suggestions on

how to improve the world at the location of their planning work. This

may involve building, or not building. Features of the group’s work are

its unblinkered technical approach and an awareness that there can be

no such thing as “the best plan.” Another important aspect of “concept

making” is its reliance on the notion of the “layered public.” This means

a clear delimitation of spaces and areas, so that they can be occupied

by individuals or groups. This also helps to build up neighbourhoods.

Other guiding principles of the Building Frogs are:

•Allkindsofrelicsfromthepastcanbereinterpretedandputtousein

any new situation. Demolition is only ever a last resort.

•Therigidseparationofhomeandworkshouldbeabolishedor,at

least, relaxed. Living quarters should always allow the options of

spare-time jobs and homeworking.

•Architecturemeans“adaptationbydesign,”i.e.thestridencyand

tempo of building aesthetics should always be suited to the place, the

task and the available technology. Architecture preserves traditions,

as long as they are still living and meaningful.

• TheroleoftheBuildingFrogsextendsbeyondtheboundsofthe

drawing board. They work with specialist engineers on new ecological

concepts for urban and electrical power engineering.

and going through a process of clearance of the dead wood of conven-

tion. This enabled him to purify his heritage and fill it with true mean-

ing. Studying European intellectual history closely, he discovered reflec-

tions of his personal, supposedly Asian, outlook. This has made his

work an impressive synthesis of western and oriental thought.

Heinz Liesbrock writes that Katase sees the human predicament as a

search for a centrepoint to life. This centre makes it possible to over-

come the tension between individual and society, and dispels the con-

fusion caused by so many changing phenomena. Katase’s works are

both simple and multi-tiered. He relies on vivid, readily accessible imag-

es, which relate directly, or at symbolic level, to fundamental situations

of human life. These include community and individual, alienation and

intimacy, birth and death. “He is a traveller and looking is the land of

his travels. His is a gaze without prerequisites. Because it is unsearch-

ing, it has something to show. In principle, whatever he comes across

can be relevant – precisely because that is what it is. So his images also

lead back to the world.”

(Auszug: Schlafende Sterne, Westfälischer Kunstverein,

Münster 1994, Museum Wiesbaden 1996 | Extract from: Sleeping Stars,

Westfälischer Kunstverein, Münster 1994, Wiesbaden Museum 1996)

„Ich liebe Japan, darum bin ich nicht dort.“

“I love Japan. That’s why I’m not there.”

Kazuo Katase

Kazuo Katase (l.) und Michael Wilkens während der Bauphase

Kazuo Katase (left) and Michael Wilkens during the building stage

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Die in westlichen Kulturen als „Teezeremonie“ bezeichnete asiatische

Tradition heißt in Japan chadô (auch: sadô) – (= Teeweg) oder cha-

noyu (= heißes Wasser für den Tee). Schlichte Namen für eine komplexe

Handlung. Einflüsse aus dem Zen-Buddhismus, Elemente des Konfuzia-

nismus, des Shintoismus und I Ging sind darin zu einem Kunstwerk ver-

schmolzen. Ein Teeweg dauert circa vier Stunden. Immer wieder wird

dabei im „Hier und Jetzt“ jeder einzelnen Teezusammenkunft eine

Atmosphäre der Harmonie, des Respekts, der Reinheit und der Stille

neu erschaffen – und zwar von allen Beteiligten, von Gastgeber und

Gästen gemeinsam. Die zentralen Begriffe des Teewegs:

• Harmonie(wa– ) bezieht sich auf das Miteinander aller Beteiligten,

aber auch auf die Zusammenstellung der Teegeräte sowie den Ein-

klang mit der Natur, symbolisiert durch ein Blumengesteck.

• Respekt(kei– ) meint die gegenseitige Achtung von Gastgeber und

Gästen sowie eine für uns Europäer beinahe befremdliche Wertschät-

zung der im Teeraum versammelten Gegenstände: der Teeschale, der

Teedose oder der Wassergefäße.

• Reinheit(sei– ) ist das zentrale Element der Zeremonie. Dabei geht

es selbstverständlich um die Sauberkeit des Teehauses, des Teegar-

tens und aller Gegenstände. Vor allem ist jedoch eine innere, eine spi-

rituelle Reinigung des Geistes von Bedeutung.

• Stille(jaku– ) steht für das gemeinsame Erlebnis des Zur-Ruhe-Kom-

mens und des Bei-sich-Seins.

In Japan, the Asian tradition known to western cultures as the “tea cer-

emony” is simply called “chadô” or “sadô” – (the way of tea) or

even “chanoyu” (hot water for tea making). The names are simple; the

act complex. It blends influences from Zen Buddhism, elements of Con-

fucianism, Shintoism and I Ching, the Chinese Book of Changes, to form

a work of art. A way of tea lasts around four hours. All the participants –

host and guests together – recreate an atmosphere of harmony,

respect, purity and tranquillity in the “here and now” of each individual

tea gathering. The key notions of the way of tea are:

• Harmony(wa– ) refers to the co-presence of all participants, but

also the arrangement of the tea implements and harmony with

nature, symbolized by a flower arrangement.

• Respect(kei– ) means mutual consideration between host and

guests. It also includes an appreciation, which may seem alien to

Europeans, of the value of the objects gathered in the tea room: the

tea bowl, pot or water vessels.

• Purity(sei– ) is the heart of the ceremony. Of course it entails clean-

liness of the tea house, the tea garden and all the objects. But what

matters most is an inner purity of spirit.

•Tranquillity(jaku– ) represents the shared experience of achieving

calm and collectedness.

vergleiche/Compare to: Jana und Dietrich Roloff – zen in einer Schale Tee. Einführung in die japanische Teezeremonie. Lotos verlag, München 2003

KLEINER ExKURS zUR JAPANISCHEN TEEzEREMONIE.A BRIEF FOOTNOTE ON THE HISTORY OF THE JAPANESE TEA CEREMONY.

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Kazuo Katase / Michael Wilkens: Frosch und Teemeister

Frog and Tea Master

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