emmet eichhörnchen - bro emmet und die fee des waldes

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1 Emmet Eichhörnchen I Bro Emmet und die Fee des Waldes Gold floss durch das Blätterdach. Die Mittagssonne bahnte sich ihren Weg. Sie kroch anmutig durch das Grün der Bäume, schlängelte sich an ihren Stämmen hinab und verbreitete eine wohlige Wärme. Eine leichte Brise rauschte durch die Kronen und die Schatten begannen zu tanzen. Das atemberaubende Spiel von Licht und Schatten war wieder im Gange. Ein vollkommenes Duett. Und es endete erst, wenn die Sonne beschloss, sich zur Ruhe zu begeben und hinter dem Rand der Welt versank. Aber bis dahin war noch Zeit. Noch viel Zeit. Noch funkelte das Licht im plätschernden Bach, wie glänzende Diamanten. Es sprang auf den kleinen Wellen auf und ab und badete in seiner eigenen Pracht. Die ruhige, gleichmäßige Stimme des Baches wurde nur übertönt vom Singen der Vögel. Zwei Stare sangen ihr Lied. Abwechselnd wiederholten sie wieder und wieder dieselbe Strophe. Ein Specht sprang mit ein und klopfte den Rhythmus zu ihrem Werk. Ein schwarzer Schatten erschien aus dem Blätterdach und huschte flink an einem Baumrücken hinab. An einem Anderen wieder hinauf. Ein Eichhörnchen. Es schien vollkommen lautlos dahin zu tänzeln. Wie ein magischer Künstler des Waldes, der niemals etwas anderes tat, sprang es den Stamm entlang. Sein schwarzes Fell glänzte im herab scheinenden Sonnenlicht. Der elegante Schweif flatterte im Wind, als das Eichhörnchen über den kleinen Bach an einen anderen Baum segelte. Dort hüpfte es wieder hinab. Starke Muskeln zeichneten sich unter seinem Fell ab. Dieses Tier besaß ganz offensichtlich einen kräftigen, gestählten Körper. Es erklomm das Geländer einer mit Moos überwucherten, steinernen Brücke. Blieb dort stehen und hielt Ausschau. Gleichzeitig zeigte es seinen leuchtend weißen Bauchflaum, welcher sich deutlich vom glänzenden Schwarz des restlichen Fells abhob und einen faszinierenden, Kontrast bot. Ein flauschiges Wunder der Natur. Dieses Wunder der Natur war ich. Emmet. Emmet Eichhörnchen. Die Meisten nennen mich Em. Andere sagen würdevoll „Bro Emmet“. Warum? Nun, diese Frage ist einfach zu beantworten. Denn ich war wieder auf der Jagd.

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Lustige, kurze Geschichte aus dem Leben eines Eichhörnchens, dessen Selbstbewusstseins möglicherweise etwas über dem Level liegt, welches man gemeinhin als gesund bezeichnen würde.

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Emmet Eichhörnchen I Bro Emmet und die Fee des Waldes Gold floss durch das Blätterdach. Die Mittagssonne bahnte sich ihren Weg. Sie kroch anmutig durch das Grün der Bäume, schlängelte sich an ihren Stämmen hinab und verbreitete eine wohlige Wärme. Eine leichte Brise rauschte durch die Kronen und die Schatten begannen zu tanzen. Das atemberaubende Spiel von Licht und Schatten war wieder im Gange. Ein vollkommenes Duett. Und es endete erst, wenn die Sonne beschloss, sich zur Ruhe zu begeben und hinter dem Rand der Welt versank. Aber bis dahin war noch Zeit. Noch viel Zeit. Noch funkelte das Licht im plätschernden Bach, wie glänzende Diamanten. Es sprang auf den kleinen Wellen auf und ab und badete in seiner eigenen Pracht. Die ruhige, gleichmäßige Stimme des Baches wurde nur übertönt vom Singen der Vögel. Zwei Stare sangen ihr Lied. Abwechselnd wiederholten sie wieder und wieder dieselbe Strophe. Ein Specht sprang mit ein und klopfte den Rhythmus zu ihrem Werk. Ein schwarzer Schatten erschien aus dem Blätterdach und huschte flink an einem Baumrücken hinab. An einem Anderen wieder hinauf. Ein Eichhörnchen. Es schien vollkommen lautlos dahin zu tänzeln. Wie ein magischer Künstler des Waldes, der niemals etwas anderes tat, sprang es den Stamm entlang. Sein schwarzes Fell glänzte im herab scheinenden Sonnenlicht. Der elegante Schweif flatterte im Wind, als das Eichhörnchen über den kleinen Bach an einen anderen Baum segelte. Dort hüpfte es wieder hinab. Starke Muskeln zeichneten sich unter seinem Fell ab. Dieses Tier besaß ganz offensichtlich einen kräftigen, gestählten Körper. Es erklomm das Geländer einer mit Moos überwucherten, steinernen Brücke. Blieb dort stehen und hielt Ausschau. Gleichzeitig zeigte es seinen leuchtend weißen Bauchflaum, welcher sich deutlich vom glänzenden Schwarz des restlichen Fells abhob und einen faszinierenden, Kontrast bot. Ein flauschiges Wunder der Natur. Dieses Wunder der Natur war ich. Emmet. Emmet Eichhörnchen. Die Meisten nennen mich Em. Andere sagen würdevoll „Bro Emmet“. Warum? Nun, diese Frage ist einfach zu beantworten. Denn ich war wieder auf der Jagd.

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Meine Tasthaare zuckten ganz unwillkürlich, als ich den ersehnten Geruch witterte. Beute. Die Jagd hatte begonnen. Ich sprintete los. Eines war klar. Wenn ich zu spät kam, konnte der Kampf bereits verloren sein, bevor er überhaupt angefangen hatte. Es ging den Hügel hinab, springend über gefallene Baumstämme. Elegant schlängelnd zwischen anderen hindurch. Dann war ich am Ziel. Und es sah gut aus. SIE sah gut aus. Flauschig. Der Duft hatte mich zu einer Eichhörnchendame geführt. Etwa eine Nusslänge kleiner als ich. Silberne Haare komplettierten die rotbraune Färbung ihres Rückens. Ihre Ohrpinsel waren zum Anbeißen. Kokett kaute sie sich auf einem kleinen Zweig, während sie bereits umworben wurde. Mein Konkurrent war ein Brauner. Er umtänzelte sie und versuchte offenbar mit einer gefundenen Walnuss zu beeindrucken. Sollte er sie ihr doch schenken. So einfach waren die Damen nicht rumzukriegen. Die Nuss würde ich mir später noch genüsslich mit ihr teilen. Ich hatte kein Geschenk dabei. Brauchte ich auch nicht. Ich hatte mich. Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, als ich den bittenden, nahezu verzweifelten Ausdruck auf dem Gesicht meines Konkurrenten sah. Er tat mir schon fast leid. Aber Gefühle waren hier fehl am Platz. Schnell hatte ich meinen Plan durchdacht und machte mich sogleich an die Eroberung. Mit all meiner Selbstsicherheit trat vor sie. Ließ mich plump nieder und blickte sie an. Wartete bis sie meinen Blick erwiderte. Während sie begann, sich in meinen strahlenden Augen zu verlieren, setzte ich schon das zweite Instrument der Verführung ein. Meine Stimme. „Hi Süße.“ Ich drehte meinen Kopf nach links und war mir gleichzeitig bewusst, dass ich im vollen Sonnenlicht stand. Schließlich wusste ich, wie ich das schwarze Funkeln meines Fells perfekt ausnutzen konnte. „Ich bin Em.“ Und um sie völlig zu fesseln drehte ich meinen Kopf nun zur anderen Seite und gab den Blick auf mein linkes Ohr frei. Die Spitze fehlte. Die Attraktion nicht. Sofort kam das zarte Wesen auf mich zu und betrachtete staunend mein Ohr. Es zeigte, dass ich viel durchgemacht hatte. Das ich gewiefter war als jeder Fuchs. Mysteriös. Tapfer. Mit einem Wort zusammengefasst: Bemerkenswert. Das hatte sie schnell bemerkt. Ihre Augen begannen zu glänzen und blickten nun fest in mein Gesicht. Ich sah ihren weichen Flaum und stellte mir vor, wie es wäre ihn sanft zu streicheln. Wir rückten noch näher zusammen. Die Spannung stieg. Von meinem braunen Konkurrenten nahm ich keine Notiz mehr. Wahrscheinlich war er schon längst verschwunden, da er schnell erkannt hatte, dass hier ein Profi am Werk war. Ein Genie. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis ich mit ihr in meiner Wohnung allein war. Endlich raffte die Dame sich zusammen und stellte sich ebenfalls vor. Nun, ich war kein Tier der großen Worte. Deswegen hatte ich gelernt mich kurz

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zu fassen. „Mein Baumhaus ist nur zwölf Sprünge von hier. Und es wartet auf uns.“ Sie grinste breit. Ich grinste frech. Ich wusste, dass ich sie am Haken hatte. Sie folgte mir ergeben und wir ließen den braunen Jüngling staunend und vielleicht auch ein wenig verärgert zurück. Auch wenn sich so mancher, der dies vernimmt, wundern mag – es ist wahrlich keine übertierische Leistung. Eher ein Hobby. Nein, mehr als das. Es ist unsere Bestimmung als Lebewesen. Genauso natürlich wie Fressen und Klettern. Wer das einmal verstanden hat, wird sich auch wundern, warum sich so manch Brauner unbeholfen aufspielt. Nun, für mich war das alles normal. Ich genoss mein Leben. Morgens einen ausgedehnten Sprint, um in Form zu bleiben. Topform war lebenswichtig in diesem Wald. Gefahren lauerten überall. Noch wichtiger war natürlich die Futtersuche. Und mittags war dann ausreichend Zeit für die Jagd. Um sich nach einer kurzen Ruhepause abermals dem Futter zu widmen. Die Abende verbrachte ich entweder zu Hause oder bewunderte die Sonnenuntergänge an meinem Nachdenkteich. Dort ließ ich die Tage Revue passieren. Lernte aus meinen Fehlern. Grübelte über Wege und Methoden, wie ich mein Leben noch besser machen könnte. Oder ich genoss dort einfach den ausklingenden Tag. Ich genoss viele Tage. Diesen einen jedoch nicht. Ich war mit meiner süßen Entdeckung gerade auf dem Weg zu meinem Baum. Unterhielt mich spaßig mit ihr und sie lachte. Lachte und lauschte meiner Stimme. Als ich plötzlich aus dem Augenwinkel ein Zucken wahrnahm. Das verhieß niemals etwas Gutes. Etwas schoss auf uns zu. Ich reagierte schnell, sprang rückwärts und riss meine Begleitung mit mir. Der Angreifer verfehlte uns und landete vor uns im Laub. Es war ein Marder. Der blasse Grauton seines Fells hob sich nur leicht vom dreckigen, dunkleren Grau seines Schwanzes ab. Sein Körper war unförmig lang und glich eher einem Kiefernzapfen als einem Tier. Die Zähne jedoch waren scharf. Und seine Augen funkelten wild. Für einen kleinen Moment loderte Panik in meinem Inneren auf. Der Drang wuchs, ängstlich zu schreien und mich meinem Schicksal zu ergeben. Doch schnell erlangte der Verstand wieder die Oberhand. Der Marder stand genau zwischen mir und meinem Baum – ich konnte also nicht einfach verschwinden und die Türe hinter mir verriegeln. Außerdem lag auf mir die Verantwortung für meine

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flauschige Begleitung. Ich stellte mich vor sie und nahm dem Räuber den Blick auf sie. „Lauf! Schnell!“, rief ich. Auch ohne mein Kommando hätte sie reagiert. Sie schoss davon und war nach wenigen Sekunden außerhalb meiner Hörweite. Der Marder begann zu Knurren und setzte zum Angriff an. Ich machte sofort kehrt und sprintete los. Der Marder hinterher. Mein tägliches Training würde sich also wieder einmal auszahlen. Ich war schnell. Und außerdem kannte ich die Strecke inzwischen im Schlaf. Der Marder hatte also praktisch keine Chance. Aber ich hatte die Rechnung ohne die Natur gemacht. Aus irgendeinem verworrenen Grund hatte sie Marder so geschaffen, dass sie schneller rennen konnten als wir Eichhörnchen. Er kam mir schnell näher. Bedrohlich schnell. Ich wusste zwar, wo ich ihn abschütteln konnte, aber wenn ich nicht bis dahin kam, brachte mir das wenig. Also musste ich Abstand gewinnen. Ich warf mich an einen Baum und hechtete hinauf, dicht gefolgt von den bösartigen Zähnen des Marders. Oben angelangt fühlte ich schnell nach dem Wind und sprang ab. Spürte kurz, wie mir die Luft um die Ohren sauste und landete im nächsten Baum. Der Marder fluchte, riskierte aber dennoch, mir hinterher zu springen. Er traf den Baum, wenn auch ein gutes Stückchen tiefer. Das verschaffte mir einen kleinen Vorsprung. Dieses Spiel wiederholten wir ein paar Mal. Die Klauen meines Angreifers rückten in zunehmende Entfernung. Schließlich kamen wir am Waldweg an. Ich sprang ab und begab mich wieder auf den unsicheren Boden. Der Marder witterte Hoffnung und beschleunigte noch einmal. Ich hetzte den staubigen Weg entlang. Hinter mir hörte ich das Keuchen meines Verfolgers. Es wurde lauter. Und ich hatte noch ein gutes Stück weg vor mir. Sein Atem reichte nun fast schon bis an meine Hinterbeine. Panisch beschleunigte ich noch mehr. Meine Lungen keuchten als ich die Luft mit aller Kraft hinein und wieder hinaus jagte. Meine Beine begannen zu brennen. Ich blickte zurück und sah gerade noch, wie der Marder mit einem triumphalen Grinsen zum Sprung ansetzte. Ich rollte zur Seite. Die rechte Klaue des Marders streifte meinen Oberschenkel. Ein stechender Schmerz breitete sich in meinem Bein aus. Doch ich hatte Glück. Der größte Teil des Marders rauschte an mir vorbei und landete jaulend im Dreck. Blitzschnell rappelte ich mich wieder hoch, ignorierte alle Schmerzen und trieb meine Beine in den Boden. Der Marder nahm abermals die Verfolgung auf. Noch entschlossener als zuvor. Mein Ziel rückte nun näher. Zwischen zwei Bäumen hindurch, sprang ich zurück in den Wald. Lief Slalom zwischen einigen Stämmen, machte einen eleganten Satz über einen Baumstumpf. Dann war ich angekommen. Ich hetzte ein paar Sprünge über die Wiese, die sich nun vor mir ausbreitete.

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Drehte nach rechts. Und stürzte mich in das hohe Blumenfeld. Hier musste der Marder einfach die Orientierung verlieren. Ich ging einige Schritte weiter ins Feld und wandte mich dann nach links, in der Hoffnung, dass der Marder einfach geradeaus weiterpreschen würde. Gerade wollte ich mich dran machen, schnell zwei Blumen umzudrücken und meinem Verfolger eine Stolperfalle bescheren. Doch eine Stimme hielt mich zurück. „Halte ein, Eichhorn!“ Sie war zart; zärter als die einer jeden Eichhörnchendame. Und doch zugleich herrschend. Anmutig. Befehlsgewohnt. So als duldete sie keinen Widerspruch. Ich erstarrte sofort in meiner Bewegung. Über mir ertönte ein Sirren und aus einem Tulpenkopf über mir erhob sich ein engelgleiches Geschöpf. Es war eine Waldfee. Schon oft hatte ich eine aus der Entfernung gesehen, aber noch niemals zuvor hatte mich eine von ihnen angesprochen. „Der Marder wird dir nichts mehr tun“, erklärte sie und flog zum Rand des Blumenwaldes, dort wo ich hineingekommen war. Ich stand immer noch wie angewachsen an derselben Stelle. Wieder ertönte die Stimme der Fee, diesmal gebieterisch. „Halt!“ Kaum eine Sekunde später hörte ich, wie der Marder aufjaulte. „Er ist fort, Eichhörnchen. Komm heraus.“ Ich war mir nicht sicher ob ich diesem verführerischen Geschöpf trauen konnte. Ganz vorsichtig streckte ich meinen Kopf durch die Halme. Am anderen Ende der Lichtung sah ich noch, wie der Marder gehetzt im Wald verschwand. Die Fee bemerkte meinen überraschten Ausdruck und lachte. Ihr Lachen war laut und zugleich zart. Durchdringend und doch klar wie das Klingen edler Steine. „Ich bin Maywee“, erklärte sie mir, nachdem das Lachen geendet hatte. „Aber nenn mich May.“ „Em“, stellte ich mich knapp vor und zeigte mit einer schnellen Geste auf mich. Ich war immer noch verwirrt, und es sickerte gerade in meinen Verstand, dass sie mich wohl gerettet hatte. „Danke“, stammelte ich. „Du hast mich gerettet. Warum …“ Sie unterbrach mich forsch. „Ich habe dich nicht gerettet. Aber er…“, sagte sie und zeigte in die Richtung, in die der Marder verschwunden war. „… hätte die Blumen verletzt. Und ich schütze diese Blumen.“ Ich hatte inzwischen ein paar Mal durchgeatmet und beruhigte mich langsam wieder. Erst jetzt fiel mein Augenmerk auf den Körper der Fee. Sie war extrem schlank, wirkte zerbrechlich und zart, so als könnte der kleinste Windhauch sie hinwegfegen. Sie war etwas kleiner als ich. Aber das Seltsamste an ihr war das Fell. Es bedeckte nicht den ganzen Körper, sondern lediglich den Kopf. Eine Art Mähne. Goldene, wunderschön

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funkelnde Haare wehten im Wind. Der restliche Körper war lediglich mit etwas pelzartigem überdeckt. Der falsche Pelz erstrahlte in einem unauffälligen, herbstlichen Rot. Er hing über ihre Füße hinab und wirkte am Ende zerfranzt. Wobei die herabhängenden Fetzen der Form von Eichenblättern auffallend ähnelten. Mays Flügel vibrierten und das Sonnenlicht schien durch sie hindurch. Auch ohne die kleine, goldene Krone auf ihrem Kopf hätte sie majestätisch gewirkt. Für einen Moment war ich von ihrem Anblick gelähmt und starrte sie lediglich an. Um nicht ganz stumm zu erscheinen öffnete ich den Mund und sagte einfach das erste, was mir in den Sinn kam. „Warum beschützt du Blumen?“ Wieder lachte sie. Klar und zart. „Weil ich sie liebe. Weißt du, Eichhörnchen, ich liebe viele Dinge und…“ „Em“, korrigierte ich sie automatisch. Ich hasste es, Eichhörnchen genannt zu werden. „Em“, wiederholte sie und fuhr dann fort. „Ich liebe viele Dinge. Blumen vor allem. Aber ich mag ich es auch, das Rauschen des Windes auf meiner Haut zu spüren, Pflanzen beim Wachsen zuzusehen und den Geräuschen des Waldes zu lauschen.“ Ich nickte nur und schwieg wieder. Aus irgendeinem Grund brachte sie das abermals zum Lachen. Auf eine seltsame Art und Weise entzürnte mich das. Ich war es gewohnt, das Weibchen in meiner Gegenwart lachten. Aber sie lachten über meine Witze und nicht über mich. Sie war komisch. Ich kniff die Augen zusammen und starrte sie an. „Em, du musst doch auch etwas lieben. Die Natur ist voller Wunder. Du kannst sie nicht übersehen.“ Ich beschloss sie zu beeindrucken und überlegte kurz, was ich an der Natur bewunderte. „Ich mag den Anblick des Sonnenuntergangs und die Geräusche vom Vögeln.“ Sie stutzte kurz. „Du meinst Gesang von Vögeln? Ich wusste gar nicht, dass Eichhörnchen so poetische Geschöpfe sind.“ Sie lächelte. Ich konnte meinen Blick immer noch nicht von ihr abwenden. Es schien als hätte sie mich verhext und würde nun meinen Geist kontrollieren. Ich schüttelte mich und blickte nun grimmig. Schon wieder lachte sie und fragte mich nach meinem Wohnort. Ich antwortete ihr und zweifelte gleichzeitig an meinem Verstand. Wie konnte ich ihr verraten, wo sie mich nachts im Schlaf finden würde? Vielleicht würde ich eines Morgens nicht mehr aufwachen. Vielleicht war sie ein Geschöpf des Todes. Als ich ihre Wiese betrat hatte sie mich als Opfer auserkoren und den Marder verjagt, weil ich ihr gehören sollte. Und doch. Sie wirkte so, als könnte sie keiner Blume etwas zuleide tun.

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„Vielleicht besuche ich dich einmal, wenn mir der Sinn nach etwas Unterhaltung steht“, meinte sie. Allerdings war ich auch keine Blume. Vielleicht sollte ich umziehen? „Jetzt muss ich allerdings weiter, ich werde an einem anderen Ort gebraucht. Auf wiedersehen Em.“ Sie hatte noch ein anderes Werk zu verrichten. Noch ein anderes Opfer, das ahnungslos auf sie wartete. Ich starrte ihr hinterher, als sie über das Blumenfeld davon flog. So anmutig wie sie in der Luft schwebte erschienen mir alle meine Gedanken hinfällig. In mir wusste ich, dass sie kein grausames Tier war. Dennoch erschauderte ich bei der Erinnerung an den Einfluss, den sie auf mich gehabt hatte. Wie ein Geist des Waldes. „Maywee“, wiederholte ich ihren Namen. Endlich löste ich mich aus meiner Starre und stapfte los in Richtung Heimat. Diese Feen sind wahrhaft wunderliche Geschöpfe. Irgendetwas an ihnen konnte einen verzaubern. In ihren Bann ziehen. Wenn sie es gewollt hätte, wäre ich ihr wehrlos ausgeliefert gewesen. Ich versprach mir eines: Sollte ich sie noch mal sehen, würde ich sie zur Rede stellen. Niemand durfte Bro Emmet einfach so paralysieren. Wie und warum tat sie das überhaupt? Ich schüttelte kräftig den Kopf und verdrängte den Gedanken an sie, so gut es ging. Jedoch verschwand ihr Bild nicht vollständig aus meinem Kopf. Grrr. Als ich schon auf dem Heimweg war, zuckte ich plötzlich zusammen, als ich hinter einigen Bäumen den Marder bemerkte. Lauerte er mir auf? Er saß in einiger Entfernung um Laub und verharrte vollkommen still. Entgegen jeder Vernunft schlich ich näher zu ihm. Besser ich überrasche ihn, als umgekehrt. Jetzt war ich nah genug, um ihn genauer zu betrachten. Er bemerkte mich nicht einmal. Fast hätte ich gelacht. Von wegen auflauern. Der Marder saß im Dreck und hielt sich seine blutige Schnauze. Marder erkannt, Gefahr gebannt! Lachend huschte ich an ihm vorbei und erreichte beruhigt meinen Baum. Was für ein harter Tag! Aber jetzt war es Zeit für mein weiches, gemütliches Bett. Ich zog die Tür hinter mir zu und verschwand im Inneren meines Baumhauses. Wummms! Ein Stein hämmerte gegen meine Wand. Ich schreckte hoch und hastete zur Türe. Ich riss sie auf und riskierte einen Blick hinaus. Ein Stöhnen entschlüpfte mir. Die Braunen! Belagern mein Baumhaus! Ständig versuchten diese Braunen uns Schwarze auszugrenzen. Halten sich für besser, nur weil sie mehr sind. Schnell knallte ich die Türe wieder zu und verriegelte sie. Ich drehte mich um und wollte das Fenster schließen. Aber

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es war schon zu spät. Wie ein Kung-Fu-Hörnchen hechtete sich ein Brauner hindurch und stieß einen nicht ganz so erschreckenden Kampfschrei aus. „Haaaiaaaa!!“ Wie todesmutig von ihm. Sieben Sekunden später lag er bewusstlos in der Ecke des Hauses. Vielleicht wollten die anderen ja auch schön im Gänsemarsch nacheinander durch mein Fenster klettern. Hinter mir krachte es. Mein Blick schnellte zur Tür. Sie hatten sie aufgebrochen. Drei Braune Eichhörnchen standen mit selbstgefälligem Grinsen im Türrahmen. Sie wechselten verschwörerische Blicke und schritten dann auf mich zu. Einer von denen war eine Sache. Aber drei auf einmal… Das waren zu viele. Gut dass ich vorgesorgt hatte. Mit einem Satz war ich hinter meinem Bett und öffnete die Falltüre. Meinen Notausgang. Schwupps war ich verschwunden. Viel Spaß beim Pflegen eures bewusstlosen Kung-Fu-Freaks. Der Wind stich sanft durch die Kronen der Bäume, die meinen Nachdenkteich umringten. Die Sonne spiegelte sich auf dem Wasser und war gerade dabei, den Tag für beendet zu erklären. Bald würde sie zwischen den Bäumen verschwunden sein und das Licht mit sich nehmen. In mir breitete sich Ruhe aus. Ich saß gemütlich im Kies am Ufer des Sees und ließ meinen Blick über die sanften Wogen des Wassers schweifen. Dieser Tag hatte es in sich gehabt. Aber wie sollte es jetzt weiter gehen? Was konnte ich tun? Diese widerlichen braunen Eichhörnchen. Glauben wohl, dass sie sich nehmen können was sie wollen und dafür unschuldige schwarze Waldbewohner aus ihren Häusern vertreiben dürfen. Denen würde ich es zeigen. Jedes Tier macht mal einen Fehler. Aber diesen würden sie bitter bereuen. Mir war klar, dass ich sie vertreiben würde. Nur wie sollte ich das anstellen. Ich schreckte aus meinen Grübeleien hoch, als ich einen sirrenden Klang vernahm. Mein Blick wanderte instinktiv nach oben. Und da war sie. Maywee. Ihr gefälschter Pelz hatte die Farbe gewechselt und strahlte jetzt in einem reinen Blau. „Na, schmiedest du schon fleißige Rachepläne.“ Sie hatte mir nachspioniert. Das hätte ich mir gleich denken können. War sie gekommen, um ihr grausames Werk an mir zu verrichten? Hier, wo mir keiner helfen konnte? „Was willst du?“, knurrte ich. Ihr typisches, klares Lachen erklang. „Ganz ruhig. Ich wollte dich besuchen und kam genau richtig, um zu sehen, wie du panisch vor ein paar anderen Eichhörnchen davon gespurtet bist. Als wäre der Teufel hinter dir her.“

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„Die haben mich im Schlaf überrascht. Ansonsten wäre es keine schwere Aufgabe gewesen, diese möchtegern Männchen zu verscheuchen.“ Sie landete neben mir am Ufer, setzte sich und lächelte mich an. „Ach so, dann wirst du also gleich wieder zurückwandern und es ihnen heimzahlen?“ Was bildete sie sich eigentlich ein? Mir hier zu folgen, nur um mich lächerlich zu machen? Ich erhob mich, ging ein paar Schritte zurück und begann mit einigen Liegestützen. „Ich muss erst noch trainieren.“ „Da kannst du trainieren, bis du schwarz wirst.“ Maywee lachte wieder. „Müsstest du nicht eigentlich auf deine Blumen aufpassen?“ „Heute Abend mach ich blau“, meinte sie und strich ihren blauen Pelzersatz glatt. Ich war zu Sit-Ups übergegangen und sie blickte mich kritisch an. „Em, bevor du dir noch was tust… Ich glaube ich kann dir helfen.“ Überrascht setzte ich mich auf und blickte sie an. Sie beugte sich zu mir und begann mir ihren Plan ins Ohr zu flüstern. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Der kleine Stein, den Maywee geworfen hatte, klopfte an die Tür des Baumhauses. Ein Brauner öffnet die Türe und tritt heraus. Es ist gar nicht so leicht, seinen Gesichtsausdruck zu beschreiben, als er den nächsten Stein auf sich zufliegen sieht. Ein Brauner weniger. Die anderen stürmen nach draußen und stellen sich auf meiner Holzterrasse auf. May beginnt nun mit ihrer mysteriösen Illusion. Die Braunen reiben sich kurz die Augen und schon sehen sie ein Dutzend schwarze Eichhörnchen um den Baum stehen. Ein Eichhörnchen mit einem auffälligen Schnurrbart rafft sich auf und ruft: „Verschwindet ihr schwarzen Viecher. Verkriecht euch einfach dahin wo ihr hingehört. Ihr seid doch eh nichts wert. Töten sollte man euch alle! Jawohl!“ Die schwarzen Eichhörnchen rücken etwas näher an den Baum heran, richten sich alle gemeinsam auf und fletschen ihre Zähne. Neben dem Braunen mit dem Schnurrbart steht ein kleinerer, der noch fast ein Jungtier zu sein scheint. Er blickt voller Angst drein und auf dem Holz unter ihm bildet sich ein dunkler, nasser Fleck. Wenige Sekunden später stürmen die Braunen panisch schreiend in alle Richtungen davon. Der Sieg war unser. Mein schwarzes Fell glänzte im Licht des Mondes, als ich meine Terrasse schrubbte. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, den penetranten Geruch der Braunen aus meinem Haus zu kriegen. Aber gemeinsam war es uns gelungen. May hatte die Inneneinrichtung übernommen. Ich hatte mich

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ausnahmsweise als Putzfrau betätigt. Nun, ein echtes Männchen muss alle Aufgaben des Lebens übernehmen können! Dann war es endlich geschafft. Ordnung und Sauberkeit war wiederhergestellt. Ich dankte May von ganzem Herzen und wir ließen uns erschöpft auf mein Bett sinken. Sie blickte mich an, ich blickte zurück. Tief in die Augen. Sie schlug mich ganz in ihren Bann. „Du hast wunderschöne Augen“, meinte ich ganz ehrlich. „Und deine Haare sind fast so schön, wie die der meisten Anderen.“ Sie stutzte. „Die der meisten Anderen?“ Ich winkte ab. „Der meisten anderen Eichhörnchendamen, die die Ehre hatten, hier Gast zu sein. Aber das ist ja jetzt unwich…“ Ihr Blick veränderte sich. „Du vergleichst mich mit … mit so vielen anderen? Ich bin also nur eine von denen?“ Es folgte ein kurzes Schweigen. Ihre Gesichtsfarbe änderte sich von einem angenehmen Rosa zu einem tiefen Rot und sie begann zu schreien: „ICH BIN ALSO NUR EINES DEINER FICKHÖRNCHEN? NUR EINE SCHLAMPE FÜR ZWISCHENDURCH? VERPISS DICH, DU ELENDER NUSSSCHAUKELNDER SCHWANZLUTZSCHER!“ Sie drehte sich um, rammte gegen die geschlossene Türe und riss sie aus ihren Angeln. Geschockt von ihrem Wandel und völlig ohne zu verstehen, was gerade passiert war, blickte ich ihr hinterher und schüttelte meinen Kopf. Was war bloß in sie gefahren? Ich setzte die Tür wieder ein und legte mich schlafen. Diese Nacht war sehr unruhig. Der Schlaf wollte und wollte einfach nicht über mich kommen und immer wieder tauchte Mays Gesicht vor meinen Augen auf. Ich beschloss mich gleich am nächsten Morgen auf die Suche nach ihr zu machen. Meine Suche ging durch den ganzen Wald. Ich durchsuchte die Baumkronen. Stöberte im Laub. Umkreiste meinen Nachdenkteich. Hetzte zum Blumenfeld und schnüffelte in allen Blumen. Als der Tag sich schon wieder dem Ende zuneigte gab ich ernüchtert auf. Nichts. Maywee war nirgendwo zu sehen. Ich trottete aus dem Blumenfeld. Zwei Bienen blickten mir böse nach und tratschten. „Also Lieselotte, so was. Diese Eichhörnchen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.“ „Das stimmt Charlotte. Es nimmt uns ja die ganze Arbeit, wenn es so in allen Blumen schnüffelt.“ Bevor sie sich noch weiter auslassen konnten, war ich schon außer Hörweite. Traurig schleppte ich mich zurück zu meinem Baumhaus. Dort

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stand ich gerade auf der Terrasse, als ich ein Rascheln vernahm. Ich blickte nach oben. Von dort schaute mir ein bekanntes Gesicht entgegen. „Suchst du jemanden?“, ertönte die klare Stimme der Fee. Mein Herz machte einen Sprung. „May! Ich hab dich gesucht. Ich muss mit dir reden!“ Sie flog anmutig zu mir herab und landete direkt vor mir. „Em, ich weiß du willst dich entschuldigen. Aber ich hab auch nachgedacht. Schau mal, das kann doch nicht funktionieren. Ich bin eine Fee und du, mein Lieber, du bist ein Eichhörnchen.“ Ich strich durch ihr weiches Haar. „Hör mal. Ich habe festgestellt, dass du ganz anders bist als die anderen, May. In den letzten Tagen habe ich etwas Besonderes gespürt. Für mich bist Du etwas ganz Besonderes!“ Die Augen der Fee begannen zu glänzen. „May, für mich bist du die Liebe meines Le…“ Meine Nase zuckte. Ich witterte. Da war etwas. Ein ganz spezieller Duft, den ich schon soo lange nicht mehr vernommen hatte. Es roch nach Heimat. Mein Schweif zuckte. Ich blickte die Fee an, die mir noch immer ins Gesicht starrte. Dann blickte ich auf den Waldboden hinab. Ein schwarzes Eichhörnchenweibchen! Ich blickte die Fee an. Blickte den Baumstamm hinab. Blickte wieder die Fee an. Dann drehte ich mich um und raste nach unten. Die Jagd hatte begonnen!