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544 ARCH. MATH. Eine ~iquiaffine Charakterisierung der euklidischen Bewegungen vermSge einander oskulierender Hiillkurvenpaare Herrn Professor Dr. W. BURAU zum 70. Geburtstag gewidmet Von J~GE~ TSLKE Bei der kinematischen Behandlung umfangreicherer Transformationsgruppen kommt der Frage nach kinematischen Kennzeichnungen yon Unterscharen ein natiir- liches Interesse zu. In diesem Sinne befassen wir uns hier mit einander oskulierenden Hiillkurvenpaaren und zeigen insbesondere: Unter den regul~ren elliptisehen ~qui- affinbewegungen sind die euklidischen Bewegungen dadurch gekennzeichnet, dab die Berfihrpunkte sAmtlieher einander bestAndig oskulierender Hfillkurvenpaare auf der jeweiligen Polbahntangente liegen. Wir schlieBen mit einer ~quiaffinen Charakterisie- rung der Trochoidenbewe~ungen. 1. In bekannter Weise sei eine affine Abbildung ~ zweier Ebenen e, e' dadurch festgelegt, dab in e ein affines Koordinatensystem {0; el, e2} und in e' dessen Bild {0'; er, e2,} gegeben ist. Wir denken uns die beiden Ebenen zusammenfallend. Fassen wir die Komponenten yon 0'X :-----x'---- x~'e~, bzw. OX':= x = xiel zu ein- spaltigen Matrizen x' bzw. x zusammen, so ist ~ bzw. ~-1 durch die Matrixgleichung (1) x'=C'(x--c) bzw. x=C(x'--c') mit DetC'=:c'~0 gegeben, wobei wir 00' := v, 0'0 := e', CC' = E(= Einheitsmatrix) gesetzt haben. Eine yon einem reellen Parameter t abh~ngige Schar affiner Abbil- dungen ~r(t) heiBt eine A//inbewegung genau dann, wenn die Elemente fiir t = konst. einer Gruppe angehSren. Wie fiblich machen wir iiberdies noch hinreichende Diffe- renzierbarkeitsannahmen. Unseren Untersuchungen legen wir nicht parabolische A//inbewegungen Anp zu- grunde, bei denen (ira projektivem AbschluB) an jeder Parameterstelle drei linear unabh~n~ge Momentanpole derart existieren, da~ der endiiche Momentanpol P im Parameterintervall nieht lest ist und an keiner Stelle die Tangenten der yon den Polen gebildeten Kurven mit einem Fernpol inzidieren. Wir sprechen yon regul~iren A//inbewegungen An~. Bezeichnet (Ableitungen nach dem Parameter deuten wir

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544 ARCH. MATH.

Eine ~iquiaffine Charakterisierung der euklidischen Bewegungen vermSge einander oskulierender Hiillkurvenpaare

Herrn Professor Dr. W. BURAU zum 70. Geburtstag gewidmet

Von

J~GE~ TSLKE

Bei der kinematischen Behandlung umfangreicherer Transformationsgruppen kommt der Frage nach kinematischen Kennzeichnungen yon Unterscharen ein natiir- liches Interesse zu. In diesem Sinne befassen wir uns hier mit einander oskulierenden Hiillkurvenpaaren und zeigen insbesondere: Unter den regul~ren elliptisehen ~qui- affinbewegungen sind die euklidischen Bewegungen dadurch gekennzeichnet, dab die Berfihrpunkte sAmtlieher einander bestAndig oskulierender Hfillkurvenpaare auf der jeweiligen Polbahntangente liegen. Wir schlieBen mit einer ~quiaffinen Charakterisie- rung der Trochoidenbewe~ungen.

1. In bekannter Weise sei eine affine Abbildung ~ zweier Ebenen e, e' dadurch festgelegt, dab in e ein affines Koordinatensystem {0; e l , e2} und in e' dessen Bild {0'; er , e2,} gegeben ist. Wir denken uns die beiden Ebenen zusammenfallend.

Fassen wir die Komponenten yon 0 ' X :----- x'---- x~'e~, bzw. O X ' := x = xiel zu ein- spaltigen Matrizen x' bzw. x zusammen, so ist ~ bzw. ~-1 durch die Matrixgleichung

(1) x '=C' (x - -c ) bzw. x=C(x ' - - c ' ) mit D e t C ' = : c ' ~ 0

gegeben, wobei wir

00' : = v, 0 ' 0 : = e ' , CC' = E ( = Einheitsmatrix)

gesetzt haben. Eine yon einem reellen Parameter t abh~ngige Schar affiner Abbil- dungen ~r (t) heiBt eine A//inbewegung genau dann, wenn die Elemente fiir t = konst. einer Gruppe angehSren. Wie fiblich machen wir iiberdies noch hinreichende Diffe- renzierbarkeitsannahmen.

Unseren Untersuchungen legen wir nicht parabolische A//inbewegungen Anp zu- grunde, bei denen (ira projektivem AbschluB) an jeder Parameterstelle drei linear unabh~n~ge Momentanpole derart existieren, da~ der endiiche Momentanpol P im Parameterintervall nieht lest ist und an keiner Stelle die Tangenten der yon den Polen gebildeten Kurven mit einem Fernpol inzidieren. Wir sprechen yon regul~iren A//inbewegungen An~. Bezeichnet (Ableitungen nach dem Parameter deuten wir

Vol. XXu 1977 Euklidische Bewegungen 545

dutch Punkte an)

B : = C C ' bzw. B ' : = C ' C

die in/initesimale Abbildungsmatrix yon ~ (t) bzw. ~-1 (t) und setzen wit

a : = Spur B , b := Det B, d : = a~ -- 4 b,

so gilt ftir im Parameterintervall regulgre Affinbewegxmgen Anp 1)

(2) bd ~ 0, 16 ~= 0, [B/~, 15] =~ 0,

wobei p bzw. p' den Ortsvektor des Momentanpols P bezeichne. Mit cc' ~- 1 folgt

a = cS',

so dal~ die regul~ren ~quia//inen Bewegungen Any dureh (2) und

a = 0 , sgaac > 0

erfa•t werden. Um die ~dmliehkeits- bzw. Pseudo~hnlichkeitsbewegungen unter den Affinbewe-

g-angen A ~ zu eharakterisieren, betrachten wir die die Fernpole festlegenden Rich- tungen rl , r2 mit

r r 1, ] = 1 , 2 .

Differentiation dieser Beziehung liefert unter Beachtung yon

(3) B 2 = - - b E + aB

fast unmittelbar: Die ~hnlichlr bzw. Pseudoi~hnlichkeitsbewegunzjen sind unter den nicht paraboli~chen A]finbewegungen dutch

(4) /~ = -~- ~- B + d E , sgn d <: 0 bzw. sg'n cI > 0

gekennzeichnet.

2. Ffir das Folgende ist es zweckmgl3ig, die einer regul~k.en Affinbewegung -4n~ zugeordnete Xorm-Differentialgleichung der Gangpolbahn zu verwenden. Ist an der betraehteten Parameterstelle der Momentanpol P kein Wendepunkt seiner Polbahn, so versteht man unter dem Polbahnkri~mmungskegelschnitt der Gangpolbahn P (Rast- polbahn P') jenen dureh die l~'ernpole gehenden Kegelsehnitt, der die Polbahn P(P ' ) im Pol oskuliert [2, 5]. Fiir den Krfimmungskegelschnitt der Gangpolbahn gilt die Darstellung

~ , / ; ] [B (x --/~), x -- p] + 2 [B/~,/~] [/~, x -- ~o] = 0.

Damit folgt die gesuehte Norm-Dif]erentialgleichung der Gangpolbahn zu

1 ( 5 ) = 1 - m

1) U n t e r [a, b] ve r s t ehen wir die Determinante der S p a l t e n v e k t o r e n a, b.

Archly der Mathematik XXVlII 35

546 J. TOLKE ARCH. MATH.

Hierbei ist ~ = (~(t) eine ,,willktirliche" Parameterfunktion und m = re(t) :4= 1 der f~hnlichkeitsmodul der bezfiglich dem Momentanpol zentrisch ~hnlichen Polbahn- krfimmungskegelschnitte.

Ftir den J~hnlichkeitsmodul m ergibt sich mit [3] : F/~r regul~re ~quia]/inbewegungen An~ ist m (t) (=~ 0, oo) das VerMiltnis der Kuben der Lieschen Bogenelemente der l~ast- und Gangpolbahn.

3. Nach [5] gilt ffir zusammengehSrige Hi~llkurvenpaare k, k', die mit der Roll. gleitzahl ,~ = A (t) aufeinander rollen und gleiten, das DGL-System

(6) ~ = L B ( x - - p ) und ~ '~- -L 'B ' (x ' - -p ' )

mit den Abkfirzungen

, L ' L . - - 1 - - 4 -- : ~ - l + Z .

Hierbei ist X ~= P der gemeinsame Beriihrpunkt des Hfillkurvenpaares. Ffir den Krfimmungskegelschnitt der Kurven k bzw. k' im Beriihrpunkt X haben

wir nach [5] die Darstellung

[~, 4] [B (y -- x), y -- x] + 2 [B~, 4] [~, y -- x] = 0 bzw.

[ ' , ~'] [B'(z' - - x') , z' - - x'] + 2 [B '~ ' , ~'] [~', z ' - - z ' ] = 0 .

Bezeichnet ~ = T (t) den J~hnlichkeitsmodul der verm6ge

y - - x = ~ ( z - - x )

zentrisch ~hnlichen Krfimmungskegelschnitte, so gilt ersichtlich

(7) [x, ~] [B~, ~] = 0

0ffenbar oskulieren sich zusammengehSrige Hfillkurvenpaare im Eingriffspunkt X genau dann, wenn ~ = 1. Gehen wir hiermit in (7) und beachten (6), so folgt

(s) [ B ( x - - p ) - B p , B ( z - - p ) ] = 0 .

Zur weiteren Behandlung setzen wir

~--~=~p+z~B~, B~=b~+b~B~,

womit eine einfache Zwischenrechnung auf

2 + b~ x2~ + (b~ (a z - b) + abb2 + rib-- a'b) x 2 (8')

+ (2bbg + 2abl -- "b)xlx2 -- bx2 -~ 0

ffihrt. Die mSglichen Eingriffspunkte X einander sich sti~ndig oskulierender ttiill- kurvenpaare einer regul~ren Affinbewegung An~ liegen somit i. a. auf einem Kegel- schnitt, dem Eingri/]skegelschnitt (8'), der die Polbahnen im Momentanpol beriihrt. Genau ffir die (allgemeinen) regulgren ~hnlichkeits- bzw. Pseudo~hnlichkeitsbewe- gungen geht der Eingriffskegelschnitt durch die Fernpole.

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4. Warm, so wollen wir uns fragen, zerf/illt der EingTiffskegelschnitt in die Pol- bahntangente und die l%rngerade ? Notwendig und hinreichend dazu ist

(~r bl ~-- O, (fl) 2bb~ -- b = O, (7) d - - ab2 = O.

Was gilt dann ffir die iafinitesimale Abbildungsmatrix ? Zun~chst fo l~ (unser An- satz) aus bl = 0

(9) / ~ = b 2 B - ~ - N rait N p = 0 .

Differentiation yon (3) liefert hiermit

(10) N(Bp) = (2bb2 -- b)p -4- (4- ab2)B~.

Insgesamt haben wir

Satz 1. Unter den regul~iren nicht parabol@chen A//inbewegungen sind die ~hnlich. beitsbewegungen bzw. Pseudo~ihnlichkeitsbewegungen mit

(11) 2 a b - - a b = 0

dadurch charabterisiert, daft die m6glichen Ber4hrpunbte sdmtlicher einander st~indig oskulierender Hiillkurvenpaare au] der ]eweiligen Polbahntangente liegen.

Speziell ergibt sich daraus

Korollar. Unter den regulgren elliptischen ~quiaHinbewegungen sind die euklidischen Bewegungen dadurch 9ekennzeichnet, daft die m6glichen Beriihrpunkte sSmtlicher ein. ander stSndig oskulierender Hiillkurvenpaare au] der ]eweilige~ Polbahntangente liegen.

~ber die tats/~chlichen MSglichkeiten gibt [4] Auskunft. Wie dort so gilt auch im Falle (4), (Ii)

Satz 2. Be~ regulgiren ~4"hnlichkeits- bzw. PseudoShnlichkeitsbewegunge~ mit (11) be. sitzen sSmtliche au/einander roUgleitenden Hiillkurvenpaare, welche 8ich st~ndig oskulie- ren, die DarsteUung

x = p + q l ~ und x ' = p ' + 5 1 ~' mit

@1 = {50 -- ~e;"~tdt} e-;~gt, @0 = konst. .

Ihre RoUgleitzahl ist gleich dem Quotienten der Kriimmung der Gangpolbahn und der- ]enigen der Rastpolbahn.

B e m e r k u n g . Benutzen wir fiir die Bewegungen (4), (11) die ~ormdarstellung

C'----/~(t) [sin~(t) cos~(t)J ' /~(t) [sinhq~(t) coshq~(t)J

so ist (11) im Falle a 4= 0 offenbar mit

(11') /~ (t) ---- e ~~ , Ice = konst.

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548 3. TSLKZ ARCH. MATH.

~quivalent. Das heifer, die zu den Akmlichkeits- bzw. Pseudo~hnlichkeitsbewegungen mit (11) gehSrigen zentralen Bewegungen sind Burmestersche logarithmisch-spiralige Bewegungen [1]. Somit ist die Gangpolbahn Evolute der um -- (/c0~ -~ kz) gedreh- ten Normalen der Kurve k.

5. Die ~ltesten und einfachsten euklidischen Bewegungen sind die Trochoiden. bewegungen. Sie entstehen durch das Abrollen zweier Kreise. Schliel3en wir die MSglichkeit, dab einer der Kreise zu einer Geraden entartet, aus, so sprechen wir yon eigentlichen Trochoidenbewegungen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dal3 die Affm- normalen der Polbahnen best~ndig zusammenfallen und der Mitte]punkt des Gang- polbahnkriimmungskreises eine Bahnkurve beschreibt [6]. Bemerkenswerterweise werden sie hierdurch unter den ~quiaffinen elliptischen S(m)-Bewegungen [7] gekenn- zeichnet. Wir wollen die notwendigsten Schritte kurz andeuten, man finder leicht: JBei einer reguldren A//inbewegung Anp (m ~ O, oo)/allen die A//innormalen der Pol- bahnen genau dann zusammen, wenn

~n l + m (~ =b2 +

m l - - m

Nach Abschnitt 2 folgt ffir den Mittelpunkt M~ des Krfimmungskegelschnittes der Gangpolbahn

2 = + ( 1 - { 2 -

d.h.: Bei einer reguldren A//inbewegung Anp (m =4= oo) beschreibt der Mittelpunlct des Gangl~olbahnkris genau dann eine Bahnkurve, wenn

und

2 ~ + b 2 - - - - 1 - - m - - - - 2 = 0 1 - - m

a a - - 2 a + 1 - - m + 2 1 - - m

Hieraus folg~ insbesondere

+ 2 ~ ) - - 2~i+4bz---- 0.

Satz 3. Unter den regul5ren elliptischen dquia//ine~ S(m)-Bewegungen (m =~ O, cr sind die eigentlichen Trochoidenbewegungen dadurch gekennzeichnet, daft der Mittel- punkt des Gangpolbahnlcriimmungskreises eine Bahnkurve beschreibt und die Polbahnen stSndig eine gemeinsame A//innormale besitzen.

Literaturverzeichnis

[1] M. K_aAUs~, Analysis der ebenen Bewegung. Leipzig 1920. [2] H. R. MffLr,~, Die Formel yon Euler-Savary in der affmen Kinematik. Arch. Math. 10,

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Vol. XXVIIL 1977 Euklidische Bewegungen 549

[5] J. TSL~:E, Affine Kinematik der Ebene. Diss. Karlsruhe 1967. [6] J. TST.~, Kennzeiehnungen der symmetrischen Rollungen hSherer Ordung. Mech. Mach.

Theory 7, 277--290 (1972). [7] J. TSLKv., Ebene projektive Kinematik III . Math. I~'achr. 68, 221--237 (1975).

Anschrift des Autors:

Jiirgen TSlke Gesamthochschule Fachbereich Mathematik HSlderlinstraBe 3 D-5900 Siegen-21

Eingegangen am 3. 2. 1976