eichenprozessionsspinner

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Zbl Arbeitsmed 2014 · 64:193–194 DOI 10.1007/s40664-014-0029-1 Online publiziert: 11. Mai 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 M. Bundschuh · A. Gerber Zentrum für Gesundheitswissenschaften, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main Eichenprozessionsspinner  Eine aktuelle Übersicht Der folgende Artikel bezieht sich auf einen Bericht der Bundesanstalt für Arbeits- schutz und Arbeitsmedizin (BAuA; [1]). Der Eichenprozessionsspinner (Thau- metopoea processionea) ist ein nachtak- tiver Schmetterling sowie Schädling für Eichenbäume. Während ihrer Entwick- lung durchlaufen Schmetterlinge die Sta- dien Ei, Larve oder Raupe, Puppe und Erwachsenenstadium. In allen Stadien können sie giftstofffreisetzende Haare ausbilden. Da sich die – von Blättern verschiedener Eichenarten ernährenden – Raupen in Gruppen von 20 bis 30 In- dividuen im Gänsemarsch auf der Suche nach Nahrung fortbewegen, erklärt sich der Name Eichenprozessionsspinner [2]. An der Unterseite tragen die Raupen cha- rakteristische feine Brennhaare, die das Nesselgift Thaumetopoein enthalten, ein für Menschen und Tiere gesundheits- schädliches Eiweißgift. Die Brennhaare haben eine Länge von etwa 0,2 mm bei einem Durchmesser von 0,005 mm. Bei Berührung können sie abbrechen und noch über Jahre hinweg nesselnd wirken (. Abb. 1). Zu den Hauptverbreitungsge- bieten des Schädlings gehören vor allem trockene und warme Regionen in Zent- ral- und Westeuropa [3, 4, 5]. In Deutsch- land besteht seit etwa 20 Jahren auch in städtischen Regionen eine zunehmende Ausbreitung, wobei es dazu in der Lite- ratur keine aktuellen epidemiologischen Daten gibt. Die Raupenperiode dauert von Mai bis Juli. Die Brennhaare sind nicht nur auf den Raupen vorhanden, sondern auch auf deren Pfaden und in deren Gespinst- nestern, die die Raupen zur Verpuppung bilden [1]. Durch Wind können sich die Brennhaare in der Umgebung verbrei- ten und noch Jahre später bei Wald- oder Forstarbeitern gesundheitliche Beschwer- den hervorrufen. Thaumetopoein ist ein histaminfrei- setzendes Protein (Molmasse 28 kDA), das toxisch-irritative Reaktionen an Haut und Schleimhäuten einschließlich Auge und Lunge auslösen kann. An ungeschütz- ten Hautregionen wie z. B. den unteren Extremitäten, Hals und Gesicht kann es zu einer Raupenhaardermatitis kommen, die sich in Form einer Kontakturtika- ria oder toxisch irritativen Dermatitis manifestieren kann [2]. Weiterhin in der Literatur beschrieben sind Konjunktivi- tis und durch Einatmung der Brennhaare eine Bronchitis, Pharyngitis sowie eine asthmatische Beschwerdesymptomatik. Außerdem können Allgemeinsymptome mit Fieber bis hin zu schweren anaphy- laktoiden Reaktionen auftreten [1, 2, 5, 6]. Zur Behandlung der Hautreaktionen eignet sich eine symptomatische Therapie mit kortikosteroidhaltigen Externa und internen Antihistaminika. Bei Atemwegs- beschwerden können β-Mimetika- und/ oder steroidhaltige Dosieraerosole ange- wendet werden. Eine systemische Korti- kosteroidgabe kann bei schweren Verläu- fen indiziert sein [2, 7]. Bedeutung für die Arbeitsmedizin Die Durchführung von Arbeitsschutz- maßnahmen erfolgt in der Arbeitsme- dizin nach dem sog. TOP-Prinzip, d. h. technischen, organisatorischen und per- sonenbezogenen Maßnahmen. Grund- sätzlich haben technische Maßnahmen Vorrang. Sollten diese jedoch nicht um- setzbar sein, folgen organisatorische und ergänzend dazu personenbezogene Schutzmaßnahmen. Im Rahmen der organisatorischen Maßnahmen sollte der Aufenthalt, wenn möglich, in vom Eichenprozessionsspin- ner betroffenen Regionen vermieden werden. Vor Baumarbeiten sind Eichen auf einen Befall mit Brennhaaren hin zu untersuchen und gegebenenfalls lokal Abb. 1 9 Eichenpro- zessionsspinner (Bild- rechte liegen bei dpa) 193 Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 3 · 2014| Übersichten

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Page 1: Eichenprozessionsspinner

Zbl Arbeitsmed 2014 · 64:193–194DOI 10.1007/s40664-014-0029-1Online publiziert: 11. Mai 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

M. Bundschuh · A. GerberZentrum für Gesundheitswissenschaften, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin

und Umweltmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Eichenprozessionsspinner Eine aktuelle Übersicht

Der folgende Artikel bezieht sich auf einen Bericht der Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin (BAuA; [1]). Der Eichenprozessionsspinner (Thau-metopoea processionea) ist ein nachtak-tiver Schmetterling sowie Schädling für Eichenbäume. Während ihrer Entwick-lung durchlaufen Schmetterlinge die Sta-dien Ei, Larve oder Raupe, Puppe und Erwachsenenstadium. In allen Stadien können sie giftstofffreisetzende Haare ausbilden. Da sich die – von Blättern verschiedener Eichenarten ernährenden – Raupen in Gruppen von 20 bis 30 In-dividuen im Gänsemarsch auf der Suche nach Nahrung fortbewegen, erklärt sich der Name Eichenprozessionsspinner [2]. An der Unterseite tragen die Raupen cha-rakteristische feine Brennhaare, die das Nesselgift Thaumetopoein enthalten, ein für Menschen und Tiere gesundheits-schädliches Eiweißgift. Die Brennhaare haben eine Länge von etwa 0,2 mm bei einem Durchmesser von 0,005 mm. Bei Berührung können sie abbrechen und noch über Jahre hinweg nesselnd wirken (. Abb. 1). Zu den Hauptverbreitungsge-bieten des Schädlings gehören vor allem trockene und warme Regionen in Zent-ral- und Westeuropa [3, 4, 5]. In Deutsch-land besteht seit etwa 20 Jahren auch in städtischen Regionen eine zunehmende Ausbreitung, wobei es dazu in der Lite-ratur keine aktuellen epidemiologischen Daten gibt.

Die Raupenperiode dauert von Mai bis Juli. Die Brennhaare sind nicht nur auf den Raupen vorhanden, sondern auch auf deren Pfaden und in deren Gespinst-nestern, die die Raupen zur Verpuppung bilden [1]. Durch Wind können sich die

Brennhaare in der Umgebung verbrei-ten und noch Jahre später bei Wald- oder Forstarbeitern gesundheitliche Beschwer-den hervorrufen.

Thaumetopoein ist ein histaminfrei-setzendes Protein (Molmasse 28 kDA), das toxisch-irritative Reaktionen an Haut und Schleimhäuten einschließlich Auge und Lunge auslösen kann. An ungeschütz-ten Hautregionen wie z. B. den unteren Extremitäten, Hals und Gesicht kann es zu einer Raupenhaardermatitis kommen, die sich in Form einer Kontakturtika-ria oder toxisch irritativen Dermatitis manifestieren kann [2]. Weiterhin in der Literatur beschrieben sind Konjunktivi-tis und durch Einatmung der Brennhaare eine Bronchitis, Pharyngitis sowie eine asthmatische Beschwerdesymptomatik. Außerdem können Allgemeinsymptome mit Fieber bis hin zu schweren anaphy-laktoiden Reaktionen auftreten [1, 2, 5, 6].

Zur Behandlung der Hautreaktionen eignet sich eine symptomatische Therapie mit kortikosteroidhaltigen Externa und internen Antihistaminika. Bei Atemwegs-

beschwerden können β-Mimetika- und/oder steroidhaltige Dosieraerosole ange-wendet werden. Eine systemische Korti-kosteroidgabe kann bei schweren Verläu-fen indiziert sein [2, 7].

Bedeutung für die Arbeitsmedizin

Die Durchführung von Arbeitsschutz-maßnahmen erfolgt in der Arbeitsme-dizin nach dem sog. TOP-Prinzip, d. h. technischen, organisatorischen und per-sonenbezogenen Maßnahmen. Grund-sätzlich haben technische Maßnahmen Vorrang. Sollten diese jedoch nicht um-setzbar sein, folgen organisatorische und ergänzend dazu personenbezogene Schutzmaßnahmen.

Im Rahmen der organisatorischen Maßnahmen sollte der Aufenthalt, wenn möglich, in vom Eichenprozessionsspin-ner betroffenen Regionen vermieden werden. Vor Baumarbeiten sind Eichen auf einen Befall mit Brennhaaren hin zu untersuchen und gegebenenfalls lokal

Abb. 1 9 Eichenpro-zessionsspinner (Bild-rechte liegen bei dpa)

193Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 3 · 2014  | 

Übersichten

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abzusperren. Insbesondere sollte ein Hautkontakt mit Raupen und Nestern vermieden werden. Während der Arbeits-zeit sollten beruflich exponierte Perso-nengruppen wie Wald- und Forstarbeiter in betroffenen Regionen eine persön-liche Schutzausrüstung (PSA) tragen. Zudem sollten hygienische Maßnahmen beachtet werden, d. h. keine Nahrung in diesen Bereichen aufnehmen, die Hände ausreichend reinigen und einen Haut-schutzplan anwenden. Schutzanzüge sind im Anschluss sachgerecht auszuziehen und zu transportieren, beispielsweise mit der Außenseite nach innen und in ver-schließbaren Beuteln. Die Aufenthalts-bereiche für Pausen sollten nicht mit Arbeitskleidung betreten werden [1].

Grundsätzlich sollte eine persönliche Schutzausrüstung nur dann zum Ein-satz kommen, wenn andere Maßnah-men wie die Vermeidung des Betretens einer mit Brennhaaren betroffenen Re-gion nicht möglich sind. Zur persönlichen Schutzausrüstung bei Vorhandensein von Eichenprozessionsspinnern gehören der Schutz der Atemwege und der Augen ge-mäß den berufsgenossenschaftlichen Re-geln (BGR) 190 und 192. Es sollte daher zumindest eine Atemschutzmaske FFP2 mit einem Ausatemventil und eine Korb-brille getragen werden. Die BGR sind Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften und Unfallversi-cherungsträger mit empfehlenden Regeln für die Arbeitgeber bei der Benutzung von z. B. Atemschutzgeräten [8]. Außerdem werden Schutzhandschuhe zur persön-lichen Schutzausrüstung [1], ein körper-bedeckender Schutzanzug mit Kopfbe-deckung gemäß DIN EN 465 Typ 4 und geschlossenes Schuhwerk, z. B. Nitrilstie-fel, gemäß EN 13832-3 empfohlen.

Im Rahmen der Schädlingsbekämp-fung können die Raupen des Eichenpro-zessionsspinners mit chemischen und biologischen Bioziden behandelt werden. Bei der Entfernung der Gespinstnester sollten nach der jeweiligen Gefährdungs-beurteilung spezielle Sicherheitsstaub-sauger je nach Vorliegen der Staubklasse (Staubklasse H, ggf. Vorabscheider) ein-gesetzt werden, um eine Aufwirbelung des Staubs zu vermeiden [1].

Fazit für die Praxis

Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge sollten beruflich exponierte Personengruppen wie Forst- und Wald-arbeiter über die Risiken und Gefahren des Eichenprozessionsspinners aufge-klärt und für entsprechende Schutzmaß-nahmen sensibilisiert werden.

Korrespondenzadresse

M. BundschuhZentrum für Gesundheitswissenschaften, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin, Goethe-Universität FrankfurtTheodor-Stern-Kai 7, Haus 9b, 60590 Frankfurt am [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. M. Bundschuh und A. Gerber geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

1. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsme-dizin. Brennhaare des Eichenprozessionsspinners. http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Gefahr-stoffe/Stoffinformationen/Eichenprozessionsspin-ner.html. Zugegriffen: 06. März 2014

2. Utikal J, Booken N, Peitsch WK et al (2009) Cater-pillar dermatitis. An increasing dermatologic pro-blem in warmer regions of Germany. Hautarzt 60:48–50

3. Gottschling S, Meyer S, Dill-Mueller D et al (2007) Outbreak report of airborne caterpillar dermatitis in a kindergarten. Dermatology 215:5–9

4. Maronna A, Stache H, Sticherling M (2008) Lepi-dopterism – oak processionary caterpillar derma-titis: appearance after indirect out-of-season con-tact. J Dtsch Dermatol Ges 6:747–750

5. Maier H, Spiegel W, Kinaciyan T et al (2003) The oak processionary caterpillar as the cause of an epide-mic airborne disease: survey and analysis. Br J Der-matol 149:990–997

6. Jans HW, Franssen AE (2008) The urticating hairs of the oak processionary caterpillar (Thaumetopoea processionea L.), a possible problem for animals? Tijdschr Diergeneeskd 133:424–429

7. Muller CS, Tilgen W, Pfohler C (2011) Caterpillar dermatitis revisited: lepidopterism after contact with oak processionary caterpillar. BMJ Case Rep 2011

8. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2011) BGR/GUV-R 190. Benutzung von Atemschutzge-räten. http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/r-190.pdf

Zusammenfassung · Abstract

Zbl Arbeitsmed 2014 · 64:193–194DOI 10.1007/s40664-014-0029-1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

M. Bundschuh · A. GerberEichenprozessionsspinner. Eine aktuelle Übersicht

ZusammenfassungDer Eichenprozessionsspinner ist ein nacht-aktiver Schmetterling sowie Schädling für Eichenbäume. Seine Raupen bilden sog. Brennhaare aus, die das Nesselgift Thaumeto-poein enthalten, ein für Menschen und Tiere gesundheitsschädliches Eiweißgift.

Klinisch kann es zu kutanen und respira-torischen Reaktionen kommen, die Therapie besteht aus Kortikosteroiden und Antihista-minika. Vor allem beruflich exponierte Perso-nengruppen sollten im Rahmen der arbeits-medizinischen Vorsorge über die Gefahren aufgeklärt werden.

SchlüsselwörterThaumetopoea processionea · Thaumetopoein · Raupenhaardermatitis · Hautreaktionen · Schutzmaßnahmen

Oak processionary. A current overview

AbstractThe oak processionary is a nocturnal butter-fly and pest of oak trees. Its caterpillars form urticating hairs that contain the poison thau-metopoein, a deleterious poison for humans and animals. Clinically, it may cause cuta-neous and respiratory reactions, which are treated with corticosteroids and antihista-mines. Especially occupationally exposed people should be informed about possible dangers.

KeywordsThaumetopoea processionea · Thaumetopoein · Dermatitis, allergic contact · Dermatitis · Protective measures

194 |  Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 3 · 2014