editorial: der weg der astronomie
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| E D I TO R I A L
Seit Galileo Galilei am Anfang des 17. Jahrhunderts erstmals
ein Fernrohr auf den Himmel richtete und dabei seine um-
wälzenden Entdeckungen machte,hat die beobachtende Astro-
nomie entscheidend zur Formung unseres heutigen Weltbildes
beigetragen.In den letzten hundert Jahren ist diese Entwicklung
besonders stürmisch, ja geradezu atemberaubend gewesen und
hat nicht nur die Fachwelt, sondern auch ein großes Publikum
in ihren Bann gezogen. Dabei hat die enge Wechselwirkung
zwischen Beobachtung und Theorie eine wichtige Rolle ge-
spielt, wobei praktisch alle Bereiche der Physik und auch Teile
der Chemie herangezogen wurden.
Was die Beobachtungen anbetrifft, so ist in der optischen
Astronomie die Front der Forschung derzeit durch zwei
Instrumente markiert: Das Very Large Te-
lescope der Europäischen Südsternwarte,
dessen Empfindlichkeit die von Galileis
Fernrohr um das Hundertmillionenfache
übertrifft,und das Weltraumteleskop Hub-
ble. Dieses weist eine exzellente Winkel-
auflösung auf, wie sie wegen der Luftun-
ruhe vom Erdboden aus nur schwer zu erreichen ist. Diese In-
strumente bilden die Speerspitze beim Vorstoß in die Tiefen des
Kosmos. Sie erfassen Objekte, die mehr als zehn Milliarden
Lichtjahre entfernt und entsprechend alt sind.
Ein weiteres Standbein der astronomischen Forschung ist
die Radioastronomie,die in den 1930er-Jahren begann und
nach dem zweiten Weltkrieg durch eine „Konversion“ der
Radartechnik einen raschen Aufschwung nahm. Er ist bis heu-
te ungebremst und hat zu zahlreichen Riesenteleskopen wie
dem 100-Meter-Spiegel in Effelsberg oder dem 300-Meter-Spie-
gel in Arecibo geführt.Die Entdeckung der Quasare,der Pulsare
und anderer Arten von Radioquellen lieferte ganz neue Er-
kenntnisse über die Entwicklung der Materie im Kosmos. Die
anschließende Erschließung des Submillimeter- und Infrarot-
bereiches erbrachte viele Erkenntnisse über die Sternentste-
hung und Galaxienentwicklung.
Als ganz besonders ergiebig haben sich die „neuen“ Spek-
tralbereiche erwiesen, die mit Hilfe der Weltraumtechnik
erschlossen wurden. Die ersten Beobachtungen der Sonne im
Ultraviolett- und Röntgenbereich erfolgten 1948/49 in den USA
mit erbeuteten V-2-Raketen. Die Entdeckung der ersten kosmi-
schen Röntgenquelle Scorpius X-1 im Jahr 1962 war eine große
Überraschung, weil ihre Energieabstrahlung milliardenmal
größer war als die der Sonne im Röntgenbereich.
Wie sich bald zeigte, war des Rätsels Lösung die Um-
wandlung von Gravitations- in thermische Energie beim
Materieeinfall auf Neutronensterne oder Schwarze Löcher in
Doppelsternsystemen. Bereits 1970 wurde die erste Röntgen-
Himmelsdurchmusterung mit Uhuru durchgeführt,danach ging
es Schlag auf Schlag und oft in großen Schritten weiter. So war
die Durchmusterung mit dem deutschen Röntgensatelliten
ROSAT in den neunziger Jahren hundertmal empfindlicher als
die seines Vorgängers. Derzeit verfügt die Röntgenastronomie
über zwei große Observatorien, Chandra und XMM-Newton.
Parallel zur Röntgenastronomie hat sich die Astronomie mit
Gammastrahlen entwickelt, die ebenfalls nur vom Welt-
raum aus möglich ist. Allerdings war ihr Weg wesentlich müh-
samer. Zum einen wegen der geringen In-
tensitäten kosmischer Gammaquellen bei
gleichzeitig starkem Gammahintergrund,
und zum anderen wegen des Fehlens ab-
bildender Instrumente mit hoher Winkel-
auflösung.
Nach Pionierexperimenten mit ballongetragenen Instru-
menten und den frühen Satelliten SAS-1 und COS-B ist es
vor allem das Compton-Observatorium gewesen,das zum Fort-
schritt beigetragen hat. Heute wird die Front der Forschung
auf diesem Gebiet von Europas Teleskop INTEGRAL markiert,
über dessen erste Erfolge Volker Schönfelder in diesem Heft
berichtet.
Quantitativ und qualitativ betrachtet steht die Gamma-
Astronomie heute dort,wo die Röntgenastronomie in den
siebziger Jahren war. Gleichwohl hat sie mit spektakulären
Entdeckungen beispielsweise der Gamma-Pulsare, Gamma Ray
Bursts oder der radioaktiven Strahlung in Supernova-Über-
resten wichtige originäre Beiträge zur modernen Astronomie
geleistet.
Wir können nur dann darauf hoffen, die Entwicklung des
Kosmos und der Materie in ihm zu verstehen, wenn wir
alle Informationsquellen ausschöpfen.Dazu gehören neben den
Bereichen der Photonen-Astronomie auch die Teilchen der
kosmischen Strahlung, deren Spektrum sich bis zu besonders
hohen Energien erstreckt.Sehr erfolgreich war bereits die Astro-
nomie mit Neutrinos, während die Forschung mit Gravita-
tionswellen gerade die ersten Schritte unternimmt.
Der Weg der Astronomie
Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Trümper istemeritierter Direk-tor des Max-Planck-Instituts für extra-terrestrische Physik(MPE). Er baute zu-erst in Tübingen und dann am MPEdie Röntgenastrono-mie in Deutschlandauf, die mit ROSATkulminierte.
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© 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Nr. 6 | 35. Jahrgang 2004 | Phys. Unserer Zeit | 255