e f wirtschaft aus erster hand - crusta nova · 2019. 12. 10. · 108 manager magazin september...
TRANSCRIPT
WIRTSCHAFT AUS ERSTER HAND 9/2017 DE 9,00 EUR
Wie das Ehepaar ACH L E I TN ER die deutsche Wirtschaft lenkt – und für sich nutzt
INSIDERDIE Ös
terr
eich
EUR
9,8
0 | S
chwe
iz s
fr 1
4,70
Bene
lux E
UR 1
0,00
| Fr
ankr
eich
, Ita
lien,
Por
tuga
l, Sp
anie
n EU
R 10
,80
| Sp
anie
n K
anar
en E
UR 1
1,00
Management Was Brutalos in derChefetage bringen
WalmartEin Nerd soll Amazon stoppen
Gründe gegenden Abgesang auf BMW,Daimler und Co.
DIE AKTESTEINHOFF
Die Machen-
schaften
des Ikea-
Rivalen
108 manager magazin S E P T E M B E R 2017
FOOD-START-UPSLEBEN
Eigentlich drehte sich derBerufswunsch von MarcSchlegel (30) und Mat-thias Kramer (32) umFrauen. Dann kam ih-nen etwas in die Quere:
Pizza. Nach ihren Uniabschlüssen tüfteltendie beiden an einer Dating-App. Das großeVorbild: Tinder. Liebe im Internetzeitalter.Ein Wisch nach rechts für die Chance aufein Abenteuer oder ewiges Glück. Zur Prä-sentation ihrer Tinder-Kopie Fumaki imFreundeskreis servierte Sportfreak KramerPizza mit kalorienarmem Teig aus Lein -samen. Die App fiel durch, die Pizza nicht.
Heute befeuern die Bäcker wider Willeneinen Trend, der sich übers Land ausbreitetwie Bratensauce auf dem Teller: Rund 1000Start-ups werkeln an umweltfreundlichenKnödeln, Sushi-Ingwer-Würstchen oderTiefkühlcocktails für den Toaster.
Essen ist die neue Religion. Nach CraftBeer und Foodtrucks erfasst die Revolutionnun die Nahrungsmittelindustrie. Hand -gefertigt statt Masse. Daran glaubt inzwi-schen sogar der Einzelhandel. Der einstversperrte Weg in die Regale öffnet sich, inden USA erreichen erste JungunternehmenMilliardenbewertungen.
Ein weißes Reihenhaus aus den 50erJahren am Rande der Frankfurter Büro-stadt Niederrad. 1000 Meter von derDeutschland-Zentrale des Nahrungsmit-telgiganten Nestlé entfernt rollen recht-eckige, braune Teigstücke über ein Förder-band, eine junge Frau klebt die Etikettenper Hand auf. Alles wirkt ein wenig, als üb-ten ein paar Studenten für „Deutschlandsucht den Superbäcker“. Ein Stockwerk da-rüber sitzt Marc Schlegel in Shorts undschlägt die Beine übereinander. Einen Tagnach der missglückten App-Präsentation
wurde aus Fumaki Lizza. Für den Namen,eine Wortschöpfung aus Low Carb und Pizza, brauchte das Duo nur eine Stunde.Der Rest ist eine rasante Lernkurve.
Mit 400 über Nacht gefertigten Pizza-teigen geht es auf einen Wochenmarkt.Schlegel und Kramer wollen ihr Produkttesten und denken an den Aufbau einerFranchisekette. Den Kunden aber schmecktvor allem der ungewöhnliche Teig, der ka-lorienarm ist und glutenfrei dazu. NächstePlanänderung.
Im Februar 2016 eröffnet das Gespanneinen Onlineshop. Schlegel und Kramerwerden Pizzateigversender. Noch im sel-ben Jahr klettert der Umsatz auf 1,4 Millio-nen Euro. Das Unternehmen ist von Beginnan profitabel. Treue Fans und starke Abver-kaufszahlen überzeugen den Einzelhandel.Im laufenden Jahr sollen die Erlöse auf fünfMillionen Euro steigen.
BayerischeGarnelen
FOOD-START-UPS Klasse statt Masse: Immer mehr Gründer drängen auf den hart umkämpften Markt für Nahrungsmittel.
Ihre teils wilden Mixturen kommen bei Kunden und Handel gut an.
2FO
TO
S:
DA
NIE
L D
EL
AN
G /
CR
US
TA
NO
VA
, H
EL
GE
KIR
CH
BE
RG
ER
/ C
RU
STA
NO
VA
&Sushi-Ingwer-Würstchen
CrustaNova
PRODUKTWeiße
TigergarnelenGRÜNDER
Fabian RiedelS ITZ
bei MünchenI NVESTOREN
u. a. Fördermit-tel von Bayern
und der EU
GARNELEN STATT GESETZBUCH Rechtsanwalt Fabian Riedel
fischt Gambas ausEuropas größterZuchtanlage. Kilopreis: 79 Euro.
Jetzt übernimmt ein Lohnproduzent dieHerstellung, die Minibäckerei im Kellerwird zum Labor. Die passenden Saucenzum Pizzateig gibt es schon, aber damit sollnoch lange nicht Schluss sein. Ob Brötchenoder Pasta: Lizza will so ziemlich alles ausLeinsamen herstellen. „Wir möchten einglobales Unternehmen aufbauen“, sagtSchlegel. „Wir bedienen Megatrends.“
400 Kilometer weiter südlich steht Fabian Riedel (34) das Wasser bis zu denKnien. Seine Karriere klingt wie ein Gag aus dem „Yps“-Heft. Die Hobbykrebszuchteines Freundes hat den Rechtsanwalt vomWeg abgebracht und zum Schalentier -experten gemacht. Statt Mandanten zu be-raten, fischt Riedel seit März 2016 Garnelenaus Europas größter Aquakulturanlage amMünchener Stadtrand. 30 Tonnen im Jahr.Kilopreis: 79 Euro.
Die Nachfrage aus Gastronomie undHandel nach den fangfrischen Gambas ausBayern ist größer als das Angebot. Crusta-Nova-Chef Riedel baut bereits an und willsein Know-how im Ausland an Lizenzpart-ner vergeben.
Quer durch die Republik stürzen sichGründer in die Produktion von Nahrungs-mitteln. Manche, wie die Augsburger Brü-der Denis (36) und Daniel (33) Gibisch,sind als Suppenmeister erfolgreich und er-zielen mit Little Lunch, ihrer Antwort auf„Pulversuppen voller Chemieschrott“, in-
zwischen zweistellige Millionenumsätze.Andere wollen die Welt verbessern, wie derMediziner Zubin Farahani (33), der mitDörrwerk aus nicht verkäuflichem Obstund Gemüse knuspriges Fruchtpapier undTomatenchips macht. Der Architekt FelixPfeffer (34) verarbeitet nicht verkauftesBrot zu ausgefallenen Knödelvarianten undbietet sie unter der Marke Knödelkult ver-zehrfertig im Glas an.
Der Hype drängt in den Handel
Oft werden einfach nur Trends aus denUSA adaptiert, so wie von Jan René Fricke(26), der die Cold-Brew-KaffeelimonadeCaffezza vertreibt. Hoch im Kurs stehenProteinriegel, Shakes und Chiasamen, mitdenen neben dem Hamburger Start-up Hejauch die früheren Rocket-Internet-Mana-ger Philipp Schrempp (32) und TobiasSchüle (30) zweistellige Millionenumsätzebewegen. Selbst gestandene Industrie -manager wie Ralf van Deest (51) versuchenihr Glück als Jungunternehmer. Der lang-jährige Bahlsen-Geschäftsführer setzt mitVegawell auf vegane Saucen und Gebäck.
Gemeinsam kreieren sie einen Hype,der aus dem Internet über Szeneviertel undHipster-Bars in die Regale des Einzelhan-dels drängt.
Sogar Deutschlands größter KrämerEdeka öffnet dafür die Regalreihen. „Wegenunserer dezentralen Struktur mit denselbstständigen Kaufleuten sind wir der geborene Partner für Start-ups“, hofft Vor-standschef Markus Mosa. Rund 150 Grün-der haben sich auf der neu eingerichteten
Plattform Food-Starter registriert. Die Metro-Tochter Real hat ein Regal mit demMotto „Das erste Mahl“ aufgestellt.
Christian Weiten (46) hat seinen Durch-bruch dem Einkaufschef von dm zu verdan-ken. Der Werber wollte schon seit Jahrensein eigenes Ding machen. Dann kaufte er2009 ein paar Gramm Xylit in der Apothekeund experimentierte damit. Wochen späterbestellte er im Internet ein paar Kilo, ver-packte den weitgehend unbekannten Zu-ckerersatz in seiner Wohnung in kleine Be-hälter und vertickte sie bei Ebay. Mit Xylitsüßen Konzerne wie Wrigley ihre Zahnpfle-gekaugummis, sonst nutzt den Stoff kaumeiner, da er zehnmal so teuer ist wie Zucker.
Inzwischen kommen jährlich 500 Ton-nen Xylit und 700 Tonnen des kalorien -freien Ersatzzuckers Erythrit in WeitensLagerhalle im Süden Berlins an. Unter derMarke Xucker lässt der 46-Jährige Schoko-lade, Ketchup, Bonbons, Kaugummi, Gum-mibärchen und Kakao produzieren. Wich-tigster Handelspartner: dm. Demnächstfolgen Kekse, Müsli und Popcorn. Elf Mil-lionen Euro will er dieses Jahr umsetzen.„Wir wollen unsere Chance nutzen, bevorandere aufwachen“, sagt Weiten.
Die neue Konkurrenz und erstaunlicheErfolge wie Chobani, ein Joghurthersteller,der innerhalb weniger Jahre den US-Markteroberte, haben Spitzenmanager wie Nest-lé-Chef Mark Schneider alarmiert. „LokaleMarken haben einen Vertrauensbonus.Marketing und Listungen im Einzelhandelwaren früher extrem teuer, heute ist dasonline extrem günstig.“
Als Andy Romanowski (31) vor einemJahr seinen ersten Facebook-Post auf derToilette absetzte, wusste er nicht recht, waser schreiben sollte. Nun erreicht Kukki mitselbst gedrehten Videos in einer Wocheüber 500 000 Menschen. „Uns haben alleausgelacht“, sagt Romanowski.
Man glaubt es sofort. Cocktails in Fla-schen füllen, ein paar Eisstäbchen dazu unddas Ganze als konservierungsstofffreieTiefkühlware verkauft – wer braucht das?Ein Investor fand sich nicht. Doch Roma-
nowski und seine Mitgründer Josef Klemm (33), ein Maschi-nenbauingenieur, und der Elek-troniker Saif Hamed (28) ließensich nicht entmutigen. Es wurdegetüftelt und geschraubt, bis 100Patente eine Produktion derMarke Eigenbau schützten.
Die Maschinen dröhnen solaut in dem alten Gemäuer desBerliner Goerzwerks, dass vomWortschwall der Gründer oft nur
110
FOOD-START-UPSLEBEN
FO
TO
S:
PR
Lizza
PRODUKTPizzateig,
SaucenGRÜNDER
Matthias Kramerund Marc Schlegel
S ITZFrankfurt/Main
I NVESTORENu. a. Frank
Thelen
L I Z ZA STATT LUSTMit der Dating-
App hat es nichtgeklappt, nun wollen Marc
Schlegel (r.) undMatthias Kramer
als Pizzabäckerdurchstarten
manager magazin S E P T E M B E R 2017
das Dauergrinsen bleibt. Kurz vordem Durchbruch im August 2016war Kukki fast pleite. Inzwischengibt es die Cocktails für 2,99 Euro beiKaufland. Dank eines selbst gebas-telten Toasters steigt die Nachfragein der Gastronomie rasant. Das Ge-rät taut das Gemisch in 30 Sekundenauf. Preis: 299 Euro. Die Bestellungdes Kreuzfahrtriesen Aida sorgt fürNachtschichten.
Über studentisches Experimen-tieren sind die Essenshandwerkerweit hinaus, Elon Musks BruderKimbal proklamiert bereits: „Foodist das neue Internet. Die globaleSoftwareindustrie, in der ich meinGeld gemacht habe, ist 400 Milli -arden Dollar groß. Das entspricht gerade mal dem Markt für Meeres-früchte. Der für Lebensmittel istfünf Billionen Dollar schwer.“
Kein Wunder also, dass auch Private-Equity-Investoren das Ge-schäft für sich entdecken. Der briti-sche Popcornhersteller Propercornetwa gehört einer Beteiligungsgesell-schaft. Start-ups wie der schottischeCraft-Beer-Brauer BrewDog, der US-Proteinriegelhersteller Quest Nutri-tion oder Hampton Creek, ein Pro-duzent veganer Mayonnaise, dertierische Rohstoffe in allen Lebens-mitteln ersetzen will, bringen es be-reits auf Milliardenbewertungen.
„Die Nahrungsmittelmultis sindaufgewacht“, sagt Florian Heine-mann, Chef des Berliner Venture-Capital-Anbieters Projekt A. „DasFoodgeschäft ist unterdigitalisiert.Und die Konzerne haben wenig Er-fahrung in der Entwicklung zugkräf-tiger Marken für das immer wichti-ger werdende Direktgeschäft.“
Ob Oetker, Katjes oder Nestlé,fast alle namhaften Hersteller bauenBeteiligungsfonds auf. Unilever, demmit der Eismarke Ben & Jerry’s eineder bislang wenigen erfolgreichenIntegrationen von Manufakturmar-ken in Großkonzerne gelang, hat sichjüngst das Ketchup-Start-up Sir Ken-sington’s einverleibt. Der Brause-konzern Dr. Pepper hat Bai Brandsgeschluckt, einen Hersteller antio-xidativer Getränke. Für 1,7 Milliar-den Dollar.
Die Arriviertenliste der hiesigenGründerszene ist dagegen bislangeher kurz: Fritz-Kola, MyMuesli,True Fruits und Bionade. Seit einigen
Monaten gehört Monkey 47 dazu, einGin aus dem Schwarzwald, den derSpirituosenriese Pernod Ricard nunzur Weltmarke aufbauen will.
Die Gründer der ersten Stundegehören zu den Business-Angels derneuen Generation. Von ihren Er -fahrungen profitiert auch Michael Ziegler. Der 29-Jährige klappt seinen Laptop auf und führt durch eine Prä-sentation über Deutschlands Wurst-theken. Durchschnittsalter der Kun-den: 50 Jahre, innovative Produkte: 0.
Argumente, mit denen Zieglerund sein Kompagnon Manuel Stöff-ler (29) ein kleines Wunder gelun-gen ist. Zwischen Hackfleisch undHaxe führen immer mehr Einzel-händler seine Würstchen der MarkeGrillido. Mit dem 80 Jahre altenFleischwolf von Opa fing Ende 2014alles an. Das Ziel: kalorienarmeWürstchen in ausgefallenen Ge-schmacksrichtungen wie Sushi-Ing-wer, Spinat-Feta und Guarana.
Landjäger mit Proteinturbo
Schon bald war keine Zeit mehr fürdie lukrativen Jobs bei Daimler undin der Sensorikindustrie. Inzwischenlassen die Wirtschaftsingenieure ih-re Würstchen bei Großmetzge reienherstellen. Die erste Umsatzmillionist erreicht, zwei bis drei peilen diefrisch gekürten Sieger des Deut-schen Gründerpreises für 2017 an.
Grillido vertreibt auch Saucen undGewürze, in Kürze folgen Fleisch-chips. Für Fitnessstudios hat das Gespann Landjäger mit besondershohem Proteingehalt entwickelt. AlsAlternative zum Eiweißshake für
Fleischjunkies.„Wir wollen eine Lifestyle-marke mit hohem Qualitätsan-spruch schaffen“, sagt Ziegler. „Dochmehr als 50 Millionen Euro Umsatzpassen wohl nicht zum Manufaktur-versprechen.“ Eine Food-Marke zugründen, um Milliardär zu werden,sei verwegen.
Für den Fall, dass der Höhen-rausch mit einem Kater endet, sinddie jungen Lebensmittelproduzen-ten ebenfalls gerüstet. Founderho-lics-Gründer Christopher Prätsch(30) hat eine Mischung aus Elektro-lyten, Vitaminen und Pflanzenex-trakten entwickelt, die den Körperselbst nach übelstem Alkoholmiss-brauch wieder munter machen soll.One:47 wird gerade an der Uni Mainzgetestet. Online ist der Zaubertrankschon erhältlich.1 Martin Mehringer
111
FO
TO
S:
PR
Kukki
PRODUKTTiefgekühlte
CocktailsGRÜNDER
Saif Hamed,Josef Klemm
und Andy Romanowski
S ITZBerlin
I NVESTORENBusiness-Angels
Xucker
PRODUKTZuckerersatz-
stoffe Xylit und Erythrit,
Süßwaren,Saucen, Gebäck
GRÜNDERChristian Weiten
S ITZBerlin
I NVESTOREN
Bankkredite
S E P T E M B E R 2017 manager magazin
Gegendarstellung
zum Beitrag „Das Schweiger-Kartell“auf Seite 102 ff. des manager maga-zins, Ausgabe Juni 2017.
Auf Seite 106 des Beitrags heißt es ineinem Schaubild, dass ich eine Spen-de zugunsten der Til SchweigerFoundation geleistet hätte.
Hierzu stelle ich fest: Ich habe keineSpende zugunsten der Til SchweigerFoundation geleistet.Prof. Dr. h. c. mult. Hasso Plattner
Anm. d. Red.: Herr Plattner hatrecht.
Grillido
PRODUKTWürste, Saucen,
GewürzeGRÜNDER
Manuel Stöfflerund Michael
ZieglerS ITZ
MünchenI NVESTOREN
u. a. die Gründer von Flixbus und
MyMuesli
AUS DER GARAGEAUF DEN GR I L L
Langeweile beimBrutzeln trieb
Michael Ziegler(r.) und Manuel
Stöffler zu Experimenten
mit OpasFleischwolf