Wolken, Himmel und atmosphärische Optik bei Joos de Momper
von Jan Kelch und Franz Ossing1 Februar 1998
Bildaufbau und Farbgebung bei Joos de Momper
Mit der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts gewinnt der Himmel eine bis dahin unbekannte
Bedeutung in der Landschaftsdarstellung. Auf dem Weg dorthin kommt den flämischen
Landschaftsmalern, insbesondere Pieter Breughel d.Ä., Joos de Momper und Peter Paul Rubens, eine
Schlüsselrolle zu. Bereits hier besitzt der Himmel eine die Atmosphäre des Gemäldes bestimmende
Funktion.
Joos de Momper (1564 - 1635) zählt deshalb zu den bedeutendsten flämischen Landschaftsmalern,
weil seine Landschaftsdarstellungen den Übergang zwischen von der Weltlandschaft der Manieristen2
zur naturalistischen holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts aufzeigen.
Mompers Bildaufbau folgt, mit wenigen Variationen, fast immer dem flämischen Farbschema der drei
Gründe: die Landschaft staffelt sich kulissenartig vom braunroten Vordergrund über grüne Bewaldung
im Mittelgrund in die lila-bläuliche Ferne.
Abb. 1: Joos de Momper: „Herbst“ (c. 1612-1620, Öl auf Eiche, c. 55,5 x 97 cm;mit freundlicher
Genehmigung des Herzog Anton Ulrich-Museums, Braunschweig)
Diese Farbabstufung vermittelt den Eindruck großer Tiefe in Mompers Gemälden. Die warmen Farben
des Vordergrundes und das helle Graublau der Ferne werden optisch verbunden durch gelbe und grüne
1 Die nachfolgende Darstellung ist ein Kapitel einer umfangreicheren Publikation der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft: "Die Vier Jahreszeiten - Der Braunschweiger Gemäldezyklus von Joos de Momper", Deutsche Meteorologische Gesellschaft (Hrsg.), Berlin, 1998, ISBN 3-928903-16-0, über: FU Berlin, Inst. f. Meteorologie, C.-H.-Becker-Weg 6-10, 12165 Berlin
2 Kunstepoche zwischen ca. 1520 und 1590; in Italien stärker mit der Hochrennaissance, im Norden eher mit der
gotischen Tradition verbunden. Wichtigste Meister: Michelangelo, Tintoretto, Greco, Baldung, Cranach. Die Himmelsdarstellung im Manierismus ist gekennzeichnet durch eine extrem klare Atmosphäre.
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Bildelemente im Mittelgrund. Verstärkt wird dieser Eindruck durch diagonal in die Bildtiefe führende
Wege oder Flüsse.
Mompers Farbgebung entspricht dem Gang des Sonnenlichtes durch die Atmosphäre. Die
Wahrnehmung des Lichtes durch das menschliche Auge wird, physikalisch ausgedrückt, bestimmt
durch die Streuung der Sonnenstrahlung im sichtbaren Bereich an den Molekülen und Partikeln der
Atmosphäre. Gerade bei lichtdurchfluteten Landschaften überwiegen aufgrund der Rayleigh-Streuung
die warmen Farbtöne im Vordergrund und die kalten Farbttöne im Hintergrund.
Mit geringer Variation benutzt Momper dieses Schema auch im Braunschweiger Gemäldezyklus "Die
vier Jahreszeiten" und im Gemälde "Flußlandschaft mit bewachtem Weg" (ca. 1620, Adenauer-Zimmer
im Palais Schaumburg, Bundeskanzleramt).
Der Himmelsanblick in Mompers Gemälden ist dieser Farbkomposition untergeordnet. Die Wolken sind
zwar insofern realistisch, als sie sich nach Gattung, Unterart usw. bestimmen lassen, ihre Farbgebung
liegt aber fast immer im Graublau, ihre Position im Bild liegt fast immer in der Ferne. Dieses
unterscheidet Mompers Gemälde deutlich sowohl von der manieristischen Himmelsdarstellung als auch
von den holländischen Meistern des "Goldenen Zeitalters", die eine Generation später den Himmel als
eigenständigen Gegenstand der Landschaftsmalerei entdeckten.3
Die Streuung des Lichtes und die Farben
Was unsere Augen sehen, ist die Wahrnehmung reflektierter Strahlung im sichtbaren Bereich. Ohne
Atmosphäre erschiene uns die Sonne als eine gleißende Scheibe, der Himmel wäre schwarz. Erst durch
die Streuung der Sonnenstrahlen an unendlich vielen Molekülen und Partikeln der Atmosphäre erhält
der Himmel seine Färbung. Die Reflexion der Lichtstrahlen an Gegenständen macht diese erst für uns
sichtbar.
Das sichtbare Sonnenlicht besteht aus Strahlung unterschiedlichster Wellenlängen, die ein
Farbspektrum von Violett und Blau über Grün und Gelb zu Rot ergeben. Das weiße Licht entsteht durch
die Mischung dieser Farben. Der englische Physiker Lord Rayleigh konnte 1871 nachweisen, daß das
Sonnenlicht an den Luftmolekülen in alle Richtungen gestreut wird. Weiterhin zeigte er, daß die
kurzwelligen Lichtstrahlen (also Violett und Blau mit Wellenlängen L=0,38 bis 0,45 µm) an diesen
kleinen Partikeln stärker gestreut werden als das langwellige Licht (Orange und Rot, L=0,65 bis 0,75
µm).
Die Streuung des Lichtes nimmt also mit abnehmender Wellenlänge zu. Das Himmelsblau ergibt sich
als gewichtetes Mittel aller gestreuten Strahlung des sichtbaren Bereiches, in dem der kurzwellige
Blau-Anteil überwiegt. Umgekehrt
beruht auch die Rotfärbung der
tiefstehenden Sonne auf diesem
Effekt, da aufgrund des langen
Weges durch die Atmosphäre die
Blau- und Grünanteile aus der
direkten Sonnenstrahlung
herausgestreut werden und
Orange und Rot überwiegen.
Abb. 2: Spektrale
Energieverteilung der direkten
Solarstrahlung in Abhängigkeit
von der durchstrahlten Luftmasse
ml (Ossing; nach Feußner und
Dubois 1930) 4
3 Neumann, Nathalie/ Ossing, Franz/ Zick, Christian: "Wolken-Ge-Bilde", Interaktiver Vergleich der Himmelsdarstellung der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts mit Himmelsfotografien, Kapitel der CD-ROM Wolken-Malerei-Geschichte", Hrsg.: Deutsche Meteorologische Gesellschaft (DMG) Brandenburg/Berlin, Berlin 1996
4 Feußner, K. u. Dubois, P. (1930): „Trübungsfaktor, precipitable water, Staub“. in: Gerlands Beitr. z. Geophysik 27, 132—175
3
Steht die Sonne im Zenith, ist der Weg der Sonnenstrahlung durch die Atmosphäre am kürzesten. Dies
entspricht einer "optischen Luftmasse" ml=1. Je tiefer die Sonne steht, desto länger ist der Weg der
Strahlung durch die Atmosphäre. Die Graphik zeigt deutlich, daß bei ml=1 das Maximum der
Strahlungsintensität bei Grünblau liegt, bei ml=15 liegt es im Roten.
Die blaugraue Färbung entfernter Landschaftsteile, die Momper in seinen Bildern stets zur Herstellung
optischer Tiefe der Gemälde einsetzt, beruht auf genau diesem Streu-Effekt. Weit entfernte Berge
erscheinen auch in der Natur blaugrau, wenn sie dunkler sind als der Himmel. Ihre dunklere Färbung
wird übertüncht durch das blaue Streulicht der Atmosphäre zwischen den fernen Bergen und dem
Beobachter. Nahe Gegenstände werden dagegen weitaus weniger durch das blaue Streulicht
eingefärbt, daher behalten sie ihre "wärmere" Farbtönung, wie z.B. das gelbe Getreidefeld auf dem
Foto.
Abb. 3: Entfernte
Gegenstände erscheinen
blaugetönt aufgrund von
Rayleigh-Streuung. (Foto:
F. Ossing)
Das Gemälde im Bundeskanzleramt, Bonn
Im Gemälde "Flußlandschaft mit bewachtem Weg" (Abb. 4) sind die Bildebenen und ihre Farbgebung
deutlich zu identifizieren. In diesem bisher kaum bekannten Werk Mompers ergeben große, rotbraune
Felsbrocken im linken Bildvordergrund sowie am rechten vorderen Bildrand, braungrüne Blätter am
Baum rechts und ein rotbraunes Haus am oberen Rand des unteren Bilddrittels die Vordergrundkulisse.
Bewaldeter grüner Fels rechts im Bild, eine gelbe Sandfläche in der Bildmitte, sowie ein Wald am linken
mittleren Bildrand erzeugen die Ebene der optischen Bildmitte. Das Auge wird dorthin geleitet durch
den Fluß und durch den Weg, die aus dem Vordergrund in die Tiefe führen. Die beiden grün bzw. gelb
gekleideten Wachen vermitteln zusätzlich zwischenVorder- und Mittelgrund. Der Hintergrund schließlich
wird gebildet durch blaugraue Berge in der Ferne sowie den Fluß, der eine ebensolche Färbung zum
Horizont hin erhält. Am fernen Himmel finden sich taubengraue Cumulus- oder Cumulonimbuswolken
wie nach einer abziehenden Regenfront (Abb. 5).
4
Abb. 4: Joos de Momper: "Flußlandschaft mit bewachtem Weg" (117 x 84 cm, Öl auf Holz, ca. 1620,
Adenauer-Zimmer im Palais Schaumburg, mit freundlicher Genehmigung des Bundeskanzleramts
Bonn)
Abb. 5: Abziehendes
Gewitter (Cumulonimbus
capillatus) mit mittelhoher
Bewölkung (Altocumulus
cumulonimbogenitus),
Trondheim, Norwegen,
12.08.1976, 1755 MEZ
(Foto: F. Ossing)
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Die Gemälde des Jahreszeitenzyklus im Herzog Anton-Ulrich-Museum, Braunschweig
Die vier Gemälde des Braunschweiger Jahreszeitenzyklus (Inv.-Nr. 64 - 67) wurden von Joos de
Momper vermutlich in den Jahren zwischen 1612 und 1620 geschaffen. Das Format der auf Eichenholz
gemalten Bilder ist 56x97 cm. 5 Auch in ihnen findet sich die Farbabfolge wieder, die Mompers
Gemälde charakterisiert: braunrote Töne im Vordergrund, gelbgrüne Farben im Mittelgrund, graublaue
Farbtöne in der Bildferne.
Für unser Thema ist besonders das Frühlingsbild interessant, denn hier findet sich ein Regenbogen vor
abziehender Schauerbewölkung. Die weißliche Färbung des Regenbogens deutet darauf hin, daß sich in
dem Niederschlag, der den Regenbogen erzeugt, auch Schnee oder Graupel befinden muß. Ein
Regenbogen entsteht aufgrund der Brechung des Sonnenlichtes in den Regentropfen, Schnee und
Graupel können keinen Regenbogen erzeugen. Die Wolke ist also typisch für die Jahreszeit, in der
Regen mit Schnee oder Graupel vermischt fällt, echtes Aprilwetter eben. 6
Abb. 6: Joos de Momper: „Frühling“ (c. 1612-1620, Öl auf Eiche, c. 55,5 x 97 cm; mit freundlicher
Genehmigung des Herzog Anton Ulrich-Museums, Braunschweig)
Momper war ein sehr genauer Beobachter der Natur, trotzdem weist dieser Regenbogen
meteorologische Unstimmigkeiten auf (vgl. unten, „Regenbogen und Lichtbrechung“). Bei der
Darstellung der Wolken ist Mompers Auge sehr scharf: die naturgetreue Schauerwolke läßt sich als
jahreszeitentypische Quellwolke (Cumulus congestus oder Cumulonimbus) bestimmen. Von rechts her
scheint die Sonne durch Wolkenlücken in die Szenerie.
Ein solches Wetter entspricht, genau betrachtet, nicht der im Gemälde dargestellten Szenerie. Die
Weißwäsche, die zum Trocknen und Bleichen auf die Wiese gebracht wurde, würde sicherlich nicht bei
Schauerwetter, sondern bei "gutem Trockenwetter" (Steland, S. 15) ausgelegt werden. Insofern
5 Steland, Anne Charlotte (1986): "Die vier Jahreszeiten. Zu einer Bilderfolge von Joos de Momper" ["The Four Seasons. A Series of Pictures by Joos de Momper"], hrsg. v. Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, 67 S., Braunschweig
6 Informationen zum Klima im 17.Jahrhundert, zur Entstehung der Jahreszeiten und zu Himmelsstimmungen
finden sich im Beitrag "Wolken und Wetter über den Vier Jahreszeiten" von Werner Wehry und Bernhard Mühr auf der CD-ROM "Die Vier Jahreszeiten" (vgl. Fn. 1).
6
können die fortziehende Niederschlagswolke und der Regenbogen ikonographisch für das neu
aufblühende Leben nach dem dunklen Winter stehen.
Abb. 7: Aprilwetter mit Quellwolke
(Cumulonimbus calvus); aus der Wolke fällt
ein Schneeregenschauer. Aufnahme v.
08.04.1975, 1535 MEZ, Coesfeld-Klye,
Westfalen (Foto: F. Ossing)
Regenbogen und Lichtbrechung
Die dominierende Wolke im Gemälde "Frühling" des Braunschweiger Zyklus' ist eine kräftige,
abziehende Schauerwolke (Cumulus congestus oder Cumulonimbus) mit einem schwachen Regenbogen
im rechten oberen Bildbereich. Zugleich fallen von links oben Strahlenbündel ins Bild. Regenbögen
erscheinen ausschließlich in Opposition zur Sonne, ihr Zentrum befindet sich stets 180° von der Sonne
entfernt. Wer einen Regenbogen beobachtet, hat also immer die Sonne im Rücken, wie das Foto zeigt:
der Schattenwurf des Fotografen läuft genau auf das Zentrum des Regenbogens zu (Abb. 8).
In Mompers Gemälde jedoch scheint die Sonne von links in das Bild, ihr Strahlengang bildet also einen
Winkel von etwa 90° zum Regenbogen. Diese Darstellung ist nach den Gesetzen atmosphärischer Optik
unmöglich.
Auch steht der Regenbogen zu hoch am Himmel. Die Höhe der Sonne über dem Horizont beträgt im
Gemälde fast 40 Grad. Bei Sonnenhöhen über 42 Grad verschwindet der Haupt-Regenbogen ganz, im
Gemälde müßte er also entschieden flacher sein.
Peter Paul Rubens, ein später Zeitgenosse Mompers und exzellenter Landschaftsmaler, hatte die
gleichen Probleme bei der Darstellung seiner Regenbögen. 7 Die Lichtbrechung im Regenbogen wurde
1637 zuerst von Descartes entdeckt; es brauchte weitere 30 Jahre, bis Newton die Farben des
Regenbogens erklären konnte.
7 Die Landschaft "Schiffbruch des Äneas" (c. 1620, 61x98 cm, Staatl. Museen zu Berlin, Gemäldegalerie) von P.P.
Rubens zeigt ebenfalls einen Regenbogen, der durch eine seitlich ins Bild scheinende Sonne erzeugt wird. Regenbögen sind jedoch ausschließlich im Winkel von 180 Grad zur Sonne zu sehen. Rubens' außergewöhnliche Fähigkeiten als Landschaftsmaler sind ausführlich dargestellt und kommentiert in:
Brown, Christopher, 1996: "Making & Meaning: Rubens's Landscapes", National Gallery Publications, 128 S., London
7
Abb. 8:
Regenbogen,
Sierksdorf/Holstein,
27.08.1978, 1840
MEZ (Foto: F.
Ossing)
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Die Autoren danken dem Bundeskanzleramt in Bonn für die Möglichkeit, das bisher kaum bekannte
Gemälde von Joos de Momper: "Flußlandschaft mit bewachtem Weg" aus dem Adenauer-Zimmer im
Palais Schaumburg, Bonn hier einer größeren Öffentlichkeit vorstellen zu können.Die Reproduktion der
Gemälde "Frühling" und "Herbst" aus dem Braunschweiger Jahreszeitenzyklus von J. de Momper erfolgt
mit freundlicher Genehmigung des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig. Der Deutschen
Meteorologischen Gesellschaft, insbesondere Herrn Prof. Dr. Werner Wehry, Berlin, sei an dieser Stelle herzlich für die offene und unkomplizierte Unterstützung bei der Realisierung dieses Kapitels gedankt.
Quelle: http://bib.gfz-potsdam.de/pub/wegezurkunst/