Scheinselbständigkeit in der Museumspädagogik Ein Problem und seine Lösungsmöglichkeiten
Dr. jur. Jens Bortloff
Kaufmännischer LeiterStellv. Museumsdirektor
TECHNOSEUM Stiftung Landesmuseum für Technik und ArbeitMuseumsstraße 168165 [email protected]
Vortrag anlässlich der Arbeitstagung des
Museumsverbands Baden-Württemberg e. V.
Tübingen, 30. März 2019
Scheinselbstständigkeit in der Museumspädagogik.Ein Problem und seine Lösungen©2/2019 Dr. Jens Bortloff, Mannheim
Hinweis: Die folgenden Übersichten sind Teil eines Vortrags, sie dienen zur Illustration und Erleichterung des Verständnisses. Nur aus
dem Vortrag selbst ergibt sich ein Gesamtbild der Situation. Die Darstellungen sind zur Erleichterung des Verständnisses vereinfacht
und können die volle Komplexität und Einzelfallbezogenheit der Problematik nicht vollständig widergeben.
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Mitglied im Vorstand des Deutschen Museumsbundes e. V. (DMB)
Sprecher des Arbeitskreises Verwaltungsleitung im DMB
Inhalt
A. Tätigkeitsformen in Museen – Überblick
B. Freie Mitarbeit und ihre Grenzen – Überblick
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit: Wie damit umgehen?
D. Reduzierungsmöglichkeiten bei Nachzahlung
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A. Tätigkeitsformen in Museen – Überblick
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Arbeitnehmer /
Arbeitnehmerinnen
(bzw. Tarifbeschäftigte)
Beamtinnen
/ Beamte
Abzubis
Ehrenamtliche
Kräfte
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B. Freie Mitarbeit und ihre Grenzen: Risiken
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Risiken bei Scheinselbständigkeit:
Betriebsprüfung: (Sozialversicherungsrecht)
4 Jahre zurück Sozialversicherungsbeiträge mit
Säumniszuschlägen
und
entsprechend Lohnsteuernachzahlung (Steuerrecht).
„Einklagen“ der Person (Arbeitsrecht)
Strafbarkeit (Strafrecht, § 266a
StGB)
Katastrophale ÖA
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B. Freie Mitarbeit und ihre Grenzen: das rechtliche Problem
Arbeiten für jemand anderen
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unentgeltlich
Dienstvertrag
seltener: Werkvertrag
entgeltlich
Arbeitsvertrag
Sozialversicherungs-
recht
Arbeitsrecht
Steuerrecht
Unfallversicherung
etc.
Abhängig
beschäftigt?
Lohnsteuer?
Arbeitsunfall?
oder Ehrenamt
Geldzahlung noch
angemessen
niedrig?
Liegt Vergütung iSv
Arbeitslohn vor?
nur Auslagenersatz
betroffene
Rechtsgebiete:
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B. Freie Mitarbeit und ihre Grenzen: Arbeitsvertrag?
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Grundsatz: Jede Tätigkeit kann als freier Mitarbeiter, durch Arbeitnehmer oder ehrenamtlich erfolgen.
Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung an.
Wann liegt ein Arbeitsvertrag (und meist Lohnsteuerpflicht und Sozialversicherungspflicht) vor?
Antwort: § 611a Abs. 1 BGB:
„Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung
• weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit
• in persönlicher Abhängigkeit
verpflichtet.
Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen.
Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab.
Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen.
Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die
Bezeichnung im Vertrag nicht an.“
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Für die
Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V)
Rentenversicherung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI)
Arbeitslosenversicherung (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III)
Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB XI)
sind „versicherungspflichtig ….Personen ….,
die im Sinne des § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs (SGB) IV (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung)
gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind.“
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B. Freie Mitarbeit und ihre Grenzen: Sozialversicherungspflichtig?
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Was heißt Beschäftigung?
§ 7 Abs. 1 SGB IV:
„Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit,
i n s b eso nde r e in einem Arbeitsverhältnis.
Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach
Weisungen und eine
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“
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B. Freie Mitarbeit und ihre Grenzen: Sozialversicherungspflichtig?
Bundessozialgericht (BSG):
„Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.
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Die rot hervorgehobenen Aspekte treten bei der Prüfung stets in den Hintergrund, da Museumsführer im Museum arbeiten müssen. Unternehmensrisiko: Beauftragung.
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und
Vermittlungsarbeit: Wie damit umgehen?
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1. Wie kann ausführendes museumspädagogisches Personal noch selbständig sein?
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit: Wie
damit umgehen?
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Gemäß LSG-Urteil (Museumsführerfall*) noch selbständig, wenn …
• …KEIN Zeit, Dauer, Ort und A r t d e r A u s f ü h r u n g umfassendes WEISUNGSRECHT vorliegt
• Person NICHT in den Betrieb EINGEGLIEDERT ist und …
ART DER AUSFÜHRUNG: Wie intensiv ist Museumsführer in den Führungsbetrieb eingebunden? d. h.
• in welchem Umfang bestimmt Museumsführer den Führungsinhalt und
• die Art und Weise der Führungsgestaltung (Stichwort Dozent),
• sonstige Umstände der Dienstleistung und
• inwieweit wird er zur Nebenarbeit herangezogen (z. B. noch Aufsichtsfunktion)?
EINGLIEDERUNG: Anpassungszwang für FM
Auf Grund von für alle geltenden organisatorischen Gründen
= Sachzwänge
Auf Grund des vom Auftraggeber geäußerten betriebspolitischen Willens zur
Ausführung = Weisung
*Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 24.2.2015, Az: L 11 R 5165/13
bei „Dienst höherer Art“ = naturgemäß wenig Vorgaben
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1. Wie kann ausführendes museumspädagogisches Personal noch selbständig sein?
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Nach Ansicht der DRV BW: Einzelfall entscheidet, LSG-Entscheidung hat nur Einzelfallcharakter, keine
Leitentscheidung.
Daher: wohl weitere Urteile, insbesondere des Bundessozialgerichts nötig, um DRV von dieser
Rechtsmeinung zu überzeugen.
LSG-Urteil ist eine juristische Leitentscheidung für die Zukunft, aber:
Sicher nur: Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV
(sog. Statusfeststellungsverfahren, Antrag-Nr. V0027, s. Webseite der DRV, Erläuterungen V0028)
C. Scheinselbständigkeit in der Museumspädagogik: Folgen für
die Bildungs- und Vermittlungsarbeit
GESAMTWÜRDIGUNG aller Umstände: Was spricht für, was gegen Beschäftigung?
Gewichtung erforderlich:
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2. Auswirkungen
a) Für die Museen (1)
Ausführende museumspädagogische Kräfte können selbständig tätig sein, wenn sie nicht weisungsabhängig
und nicht eingegliedert sind. Ob dies so sein soll, muss jedes Museum individuell entscheiden:
Museumsführer Weisungsfreiheit wirklich möglich?
Betreuer von Kindergeburtstagen? Weisungsfreiheit wirklich möglich?
Workshop-Leitungen? Weisungsfreiheit wirklich möglich?
Faustregel: FM ok, wenn wie VHS-
Dozenten, aber: zurück zu den Ur-Anfängen der Museumspädagogik?
„Immer lauter und zahlreicher werden die Mahnungen derer, die wünschen, daß von den offiziellen Museumsorganen Führungen regelmäßig veranstaltet und in das Museumsprogramm aufgenommen werden. Tatsächlich hat die Berliner Nationalgalerie eingeführt, daß an bestimmten Tagen für jedermann öffentliche Vorträge vor den Bildern von einem der Beamten gehalten werden, und zahlreiche Museen sind diesem Vorbild gefolgt.“
Aus: Otto Homburger, Museumskunde, Abschnitt: Die praktischen Aufgaben der Museen, 1924.
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit:
Wie damit umgehen?
Vorführkräfte? Weisungsfreiheit wirklich möglich?
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2. Auswirkungen
a) … für die Museen (2)
Welche Qualitätskontrolle erscheint noch möglich bei freien Mitarbeitern?
Weitere Tendenzen aus der Rechtsprechung:
„Leiter des Besuchsdienstes ist bei ersten Probeauftritten zugegen und hat sich so vor Beginn der Zusammenarbeit von deren
intellektuellen und rhetorischen Fähigkeiten überzeugt“ (LSG Berlin-Brandenburg vom 15.7.2011 – Bundesratsführer),
aber: solange damit nicht die Inhalte der Besucherführung feststehen!
„wie die Führungen im vorgegebenen Rahmen der Pflichtstationen im Einzelnen ausgestaltet sind, bleibt (den Besucherführern)
überlassen (LSG Berlin-Brandenburg vom 15.7.2011 – Bundesratsführer).
Vergütung von Fortbildungsveranstaltungen, „mag empirisch ungewöhnlich sein. Es ist aber …. ein Indiz für die
Unselbständigkeit. An diesen besteht jedoch kein Anwesenheitszwang“ (LSG Berlin-Brandenburg vom 15.7.2011 –
Bundesratsführer).
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit:
Wie damit umgehen?
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„bloße, abstrakte Beschreibung der … zu erbringenden Leistung“ zulässig, im Sinne von „strukturierten didaktischen
Empfehlungen“, Benennung von „Lernfeldern“ und „Literaturempfehlungen“
„Keine Vorgaben, die Schulleitung ggf. im Wege einer Weisung … hätte wirkmächtig durchsetzen können.“
(BSG vom 14.8.2018 – Musikschullehrer; Az. B 12 R3/17 R))
Spezialfrage: Ausfall der Führung:
FM hat Anspruch auf Ausfallhonorar, wenn Gruppe nicht
kommt, § 615 BGB. Dies kann aber vertraglich
ausgeschlossen werden.
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2. Auswirkungen …
b) Für die museumspädagogischen Kräfte
Wenn selbständig und damit weisungsfrei = Dozenten, so LSG-Verständnis und DRV
Rentenversicherungspflicht gemäß § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für Dozenten
Anzeigepflicht nach 3 Monaten Tätigkeit
Aber Vorteil:
• Status dürfte damit für DRV geklärt sein,
• daher dann wohl eher nicht Gegenstand einer Betriebsprüfung.
Übungsleiterpauschale kann genutzt werden § 3 Nr. 26 Einkommensteuergesetz
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit:
Wie damit umgehen?
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3. Perspektiven: Modelle in der Praxis
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit:
Wie damit umgehen?
Modelle des Einsatzes von Personal
in der ausführenden Vermittlung in Museen
Anstellung Mischmodell Outsourcing
Führungen
ohne
inhaltliche
Weisungen
und
Kontrolle*
Freie
Mitarbeiter
Rahmenvertrag
mit
Einzeltages-
arbeitsverträgen
Anstellung
mit festen
Arbeitszeiten
Jahresarbeits-
stundensoll und
Praxis der Termin-
vereinbarung
„Arbeit auf Abruf“
vereinbart
(TECHNOSEUM)
Kinder-
geburtstage/
Workshops
Angestellte
Museums-
diensteHamburg/
Berlin
VHS
organisiert
Gesamt-
vergabe an
Dienstleister
Einzel-
vergabe
an Freie
Mitarbeiter
mit Rahmen-
vertrag* mit
Buchungs-
service
+
* = Scheinselbständigkeit kann hier
relevant sein.
MPZ
München(i. S. v.
Agentur, d. h.
Vermittlung,
Zahlung an
Schule)
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3. Perspektiven: Folgende Grundmodelle gibt es in der Praxis
Betriebsform Beschreibung
Freie Mitarbeit Tätigkeit auf Honorarbasis, inhaltlich weisungsfreie Tätigkeit, nur Themenvorgabe. Wenn nicht als rentenversicherungspflichtig gemeldet: Statusfeststellungsverfahren dringend zu empfehlen; wenn dann bestätigt und Praxis nicht vom Papier abweicht: rechtssicher
Modell VHS „Vorträge vor den Bildern“,inhaltlich weisungsfreie (Lehr-)Veranstaltungen, nur Themenvorgabe.Museumspädagogische Kraft meldet sich als rentenversicherungspflichtig, Statusfeststellung dürfte entbehrlich oder unzulässig sein, vergleichsweise rechtssicher
Anstellung Arbeitsvertrag, Voll- oder Teilzeit, nur Ausführung oder auch Ausarbeitung von KonzeptionenRechtssicher, volles museumspädagogisches Gestaltungspotenzial mit Qualitätskontrolle, regelmäßige Präsenz
Modell TECHNOSEUM Arbeitsvertrag mit Teilzeitmodell Jahresflexible Arbeitszeit, „Arbeit auf Abruf“, aber mit Terminvereinbarung und pauschalierten Arbeitspaketen.Präsenz nur bei Bedarf, hoher Verwaltungsaufwand
Auftrag an Dienstleister Dienstleister erbringt die museumspädagogischen ProgrammeSchulung z. T. auch durch MuseumskräfteVergabeverfahren erforderlichGrenze zu Arbeitnehmerüberlassung zu beachten
Modell Vollübertragung an Dienstleister
wie oben, aber auch mit Buchungsannahme
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit:
Wie damit umgehen?
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Exkurs: Gleichzeitige Beschäftigung als Arbeitnehmer und freier Mitarbeiter?
Wirklich trennbar oder ein einheitliches Arbeitsverhältnis?
Modell Arbeitsvertag und freie Mitarbeit ist nicht empfehlenswert, wenn der Tätigkeitsbereich
ähnlich ist, z. B. in der Bildung und Vermittlung. Hohes Risiko!
Voraussetzung: „lupenreine“ freie Mitarbeit liegt vor, keine Scheinselbständigkeit
(BAG 27.6.2017, Az. 9 AZR 851/16 - Berliner Musiklehrerin -)
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit:
Wie damit umgehen?
Dies auch im Sinne des Sozialversicherungsrechts!
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Exkurs: Gleichzeitige Beschäftigung als Arbeitnehmer und freier Mitarbeiter?
Fall: Berliner Musikschullehrerin (BAG 27.6.2017, Az. 9 AZR 851/16)
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit:
Wie damit umgehen?
Grundsätze der Rechtsprechung Bundesarbeitsgericht:
Allgemeinbildende Schulen: Lehrkräfte = Arbeitnehmer
Volkshochschulen / Musikschulen: Lehrkräfte können Arbeitnehmer oder freie Mitarbeiter sein,
„auch wenn es sich bei ihrem Unterricht um aufeinander
abgestimmte Kurse mit vorher festgelegtem Programm
handelt“.
Arbeitnehmer dann, wenn Schule
• zeitliche Lage der Unterrichtsstunden einseitig bestimmen oder
• Unterrichtsgegenstand oder
• Art und Ausmaß der Nebenarbeiten festlegen,
• intensivere Kontrolle der Leistung von Schülern und des Unterrichts oder
• sonstige Weisungen erteilen kann.
(zur Erinnerung: LSG BW: Museumsführer können Arbeitnehmer oder freie Mitarbeiter sein)
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Checkliste*
C. Scheinselbständigkeit in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit:
Wie damit umgehen?
Freie Mitarbeit
Thema wird vorgegeben, aber nähere Leistungsbeschreibung nur abstrakt
Es erfolgt eine „Gesamtwürdigung“ aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls!
Praxis entspricht dem Honorarvertrag (bei Abweichung entscheidet die Praxis allein!)
„Honorarvertrag“ mit ausdrücklicher Betonung: kein Arbeitsvertrag, Steuer- und Sozialversicherung führt der FM ab
FM besorgt (Unterrichts-) Materialien
- zeitliche Lage der Leistung,
- inhaltliche und methodische Gestaltung des Unterrichts,
Vom Auftraggeber wird nicht einseitig bestimmt oder ist bestimmbar:
- Art und Ausmaß von Nebenarbeiten,
- intensivere Kontrolle des Leistungsstands der Schüler, des Unterrichts,
* = Aufzählung kann nicht abschließend sein.
Keine sonstige organisatorische Eingliederung (Teilnahme an Besprechungen, Weiterbildung freiwillig, bei
Teilnahme Vergütung)
- sonstige Gegenstände.
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D. Reduzierungsmöglichkeiten bei Nachzahlung
Studenten: Hier KV-Beitrag schon enthalten
Geringfügig Beschäftigte (§ 8 SGB IV)- Minijob (450,- Euro) oder - Kurzfristig Beschäftigte (saisonal) 50 Tage bzw. 70 Tage / Jahr, wenn nicht mehr als 450,- monatlich übersteigtEinkommen ist insoweit steuer- und sozialversicherungsfrei. Bei Nachzahlung ist im Fall Minijob diese auf die Pauschale reduziert.
Übungsleiterpauschale
§ 14 I S. 3 SGB IV i. V. m. § 3 Nr. 26 EStG
„Steuerfreie Aufwandsentschädigungen und die in § 3 Nr. 26 und 26a des Einkommensteuergesetzes genannten steuerfreien Einnahmen gelten nicht als Arbeitsentgelt.“
§ 3 Nr. 26 EStG bezeichnet als steuerfreie Aufwandsentschädigung „nebenberuflicher Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher,
Betreuer oder vergleichbarer nebenberuflicher Tätigkeiten“ bis zur Höhe von 2. 400,- Euro.
Museumsführer ist nicht aufgeführt, aber vergleichbar, da pädagogische Ausrichtung besteht und auf andere Menschen durch persönlichen
Kontakt Einfluss genommen wird, um auf diese Weise geistige oder leibliche Fähigkeiten zu entwickeln. So auch VHS-Dozenten. (s. a. OFD-
Verfügung Frankfurt/M zum Stadtführer).
D. h.: sozialversicherungsfrei sind:
450, Euro geringfügig beschäftigt
200,- Übungsleiterpauschale
650,- insgesamt monatlich = 7.800,- / Jahr
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Organisatorisch für Betriebsprüfung
Buchhaltung: • Jahresweise Ermittlung des Honorarvolumens für jede Kraft
Enge Zusammenarbeit mit (museums-)pädagogischer Abteilung:
• Dokumente aufheben bzw. sammeln (Beauftragungen, Rechnungen etc.)• Wie ist / war die Anleitung, inhaltliche Vorgaben/Konzepte ausgegeben?• Zeugen: Wer kann aussagen, erforderlichenfalls vor Gericht?• Kollegen aus den betroffenen Bereichen miteinbinden, da ggfls. Zeugen• Adressen der Honorarkräfte sammeln und ggfls. aktualisieren (Übungsleiterpauschale-Versandaktion)
Honorarkräfte: Wer kann evt. positive Aussagen im Verfahren machen? (Aber „keine Pferde scheu machen“)
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Maßnahmen gegen Eingliederung in Betrieb:
Kein Postfach, keine E-Mail-Adresse etc.Ungleichbehandlung zu Tarifbeschäftigten „pflegen“
Inhaltliche Maßnahmen:
Bewahrung der „inhaltlichen Freiheit“ (Konsequenz aus Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom Juli 2011), d. h. keine „Konzepte“ vorgeben, zumindest einschränken (Widerspruch zu Qualitätsbewahrung), Keine Kontrolle
Sonstige Maßnahmen:Evt. im Vertrag mit Honorarkräften VOL/B Bestandteil machen (s. Urteil LSG Berlin/Brandenburg)
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Literaturempfehlungen und Hinweise
Zum spezifischen Thema “Scheinselbständigkeit und ausführende museumspädagogische Kräfte“ gibt es meines Wissens keine Literatur. Die Schriften über Scheinselbständigkeit im Allgemeinen geben keine Hinweise auf die konkrete Lage im Bereich Bildung und Vermittlung in Museen, sondern beschreiben die allgemeine Lage, die für die konkrete Beurteilung in dieser Frage nicht weiterhelfen.
Hilfreich sind momentan ausschließlich die angegebenen Gerichtsurteile (s.o).
Im Übrigen sind sinnvoll:
Zum Statusfeststellungsverfahren s. http://www.clearingstelle.de/formulare.html
Zu § 7 Sozialgesetzbuch IV: Text und Erläuterung SGB IV, herausgegeben von der Deutschen Rentenversicherung, 13,- Euro, zu beziehen über die Deutsche Rentenversicherung Bund:https://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/03_broschueren_und_mehr/02_fachliteratur/02_kommentare/kommentar_sgb_IV.html
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