Florian Wolf-Roskosch
Verlagdisserta
Ideologie der Waffen-SS
Ideologische Mobilmachung der Waffen-SS 1942-45
Wolf-Roskosch, Florian: Ideologie der Waffen-SS: Ideologische Mobilmachung der Waffen-SS 1942-45, Hamburg, disserta Verlag, 2016 Buch-ISBN: 978-3-95425-692-1 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-693-8 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2016Covermotiv: pixabay.com Covergestaltung: Rieke Heinze Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
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,,Was die Beendigung und das Gewinnen des Krieges anlangt,
so müssen wir insgesamt eine Erkenntnis in uns aufnehmen:
Ein Krieg muss geistig, willensmäßig, seelisch gewonnen werden,
dann ist die körperliche, leibliche, materielle
Gewinnung nur eine Folgeerscheinung.“
(Reichsführer SS Heinrich Himmler in Posen, 04.10.1943)
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung 9
II. Hauptteil 21
1. Für ,,Rasse und Reich“: Weltanschauung als Waffe. 21
1.1. Wozu Weltanschauung? Über die ideologische Basis eines totalitären Projekts 21 1.1.1. Hitlers Weltanschauung. 21 1.1.2. Hitlers und Rosenbergs weltanschauliche Erziehungsgrundsätze 27 1.1.3. Rosenbergs weltanschauliche Thesen 29 1.1.4. Eine NS-Studie zur Wirkung der Weltanschauung 32 1.1.5. Weltanschauliche Schulungsarbeit der NSDAP 34
1.2. Himmlers „germanischer Rassekrieger“. Reden im Schatten der Ostfront 37 1.2.1. Himmlers Weltbild 37 1.2.2. Reichsführer SS an der Ostfront. Reden vor der Waffen-SS. 42
1.3. Schwarzer Orden und ,,Rote Weltgefahr“. Waffen-SS als Phalanx für Europa? 56 1.3.1. ,,Ausrottung des Bolschewismus“ als Rettung Europas? 56
2. Weltanschauung für den politischen Soldaten. Schulungsaktivitäten des SSHA 1942-45. 73
2.1 Lehrpläne und Richtlinien für Front und Führer I. SS-Schulung im Kriegsverlauf 1942/43 74 2.1.1 Winterkrise vor Moskau und ideologischer Gegenstoß 1942 74 1.3.2. Mobilisierung für den totalen Krieg 1943. Erziehungsarbeit nach Stalingrad 89
2.2 Lehrpläne und Richtlinien für Front und Führer II. SS-Lektüre im Kriegsverlauf 1944/45 104 2.2.1 Militärische Defensive und weltanschauliche Offensive 1944 104 2.2.2 Zusammmenbruch 1945. Letzte Konzepte und Parolen 124
3. Bilanz. Ideologische Schwerpunktbildungen und WE-Lehrpläne 1942-1945. 129
4. Fallbeispiel: Esten in der Waffen-SS. Erziehung zu Treue und Fanatismus. 143
4.1 Estland im deutschen Machtbereich. Rekrutierungen für Himmlers ,,Ostkampf“. 143 4.2 Kampf bis zum Ende. Militärische Abwehr und ideologische Schulung 1944/45 161
III. Synthese. Weltanschauliche Erziehung als ideologische Mobilmachung. 167
IV. Abkürzungsverzeichnis 179
V. Literaturverzeichnis 183
V.1 Einzeldarstellungen 183 V.2 Zeitschriften, Aufsätze 187
VI. Lexika / Nachschlagewerke 189
VII. Quellenverzeichnis 191
1. Quelleneditionen 191
2. Bundesarchiv 191
3. Militärarchiv Prag / Kriegsarchiv der Waffen-SS (MHA Prag) 193
4. Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB) 193
5. Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin (UB) 196
6. Sonstige Quellen / Internet 196
IX. Dokumentenanhang mit Verzeichnis 197
9
I. Einleitung
,,Soldat sein, das ist eine Berufung. Wer sie hat, der kann sich ihr nicht entziehen, auch wenn
er nur einen Arm, ein Auge oder ein Bein hat, dann kämpft er weiter. Und würde er selbst mit
der Waffe nicht mehr weiterkämpfen können, so müßte er den Geist seine Waffe werden
lassen und in geistiger Auseinandersetzung fechten, genau wie jeder von Euch verpflichtet ist,
mit der Waffe und mit seinem Herzen zu kämpfen. (…) In beiden Fällen, mit der Waffe und
dem Herzen, dürft ihr niemals klein werden, niemals verzagen, sondern immer kämpfen.“1
Diese Worte sprach Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei,
anlässlich der Verleihung des Ärmelstreifens ,,Götz von Berlichingen“ an die 17. SS-Pz.-
Gren.-Div. am 10.04.1944 in Thouars.
Die vorliegende Arbeit verfolgt als eines ihrer wesentlichen Ziele, die von Himmler viel
beschworene geistige Auseinandersetzung, die der Nationalsozialismus zu führen habe,
inhaltlich näher zu bestimmen und ihre Relevanz für die Gewaltpraxis einer ideologi-
schen Elite aufzuzeigen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, inwiefern die weltan-
schauliche Begründung einer Diktatur für Radikalisierungstendenzen innerhalb der Praxis
ihrer Deutungs- und Machteliten in ursächlich-begründender Hinsicht (Sinnstiftung / Legiti-
mation) bzw. als methodisch-operatives Machtmittel (Indoktrination / Fanatisierung) verant-
wortlich gemacht werden kann.
Das Projekt der nationalsozialistischen ,,Volksgemeinschaft“, welches sich bei Himmler
zur ,,Blutsgemeinschaft“ auswuchs, das ganze Organisationswesen der NSDAP mit seinen
Vereinen und Blockwarten, darunter ,,SA“, ,,deutsche Arbeitsfront“, ,,NS-Lehrerbund“ und
,,Kraft-durch-Freude e.V.“, sowie das Programm eines Propagandaministers Dr. Joseph
Goebbels für eine verbindliche Sprachregelung in Presse, Film und öffentlichem Leben
erscheinen als der Versuch, ein ganzes Volk zu einer neuen weltanschaulichen Grundhal-
tung zu erziehen - als eine Form von ,,Erziehungsdiktatur“. Die Revision des
,,Schandfriedens“ von Versailles, die ,,Gleichschaltung“ sämtlicher Verbände und Vereine
unter Führung der NSDAP, die Durchsetzung des ,,Führerprinzips“ in allen gesellschaftlichen
Lebensbereichen, der Primat der Gemeinschaft - sinnhaft verdichtet in der Parole ,,Du bist
nichts, Dein Volk ist alles“ - eine Volksgemeinschaft, die sich durch ,,Arisierung“ jüdischen
Vermögens bereicherte und nach den Nürnberger Rassegesetzen volle Bürgerrechte nur an
Deutsche mit ,,Ariernachweis“ verlieh - eine solche Gemeinschaft produzierte zwangsläufig
Ausgestoßene und belohnte Mitläufer- und Denunziantentum. Der Analyse vom national-
sozialistischen ,,Doppelstaat“ des Politologen Ernst Fraenkel folgend, galt für die deutsche
10
Mehrheit der grundsätzlich kapitalistisch eingerichtete ,,Normenstaat“, während gegen die
verfolgten Minderheiten der durchideologisierte ,,Maßnahmenstaat“ zum Einsatz kam. Ein
solches sozialrevolutionäres Projekt, dessen Rechtssystem eine Massenmanipulation durch
angedrohten bzw. exekutierten Terror verfolgte, wie es bereits Franz Neumann in seiner
Studie ,,Behemoth“ beschreibt, und das eine rassenpolitisch motivierte ,,Auslese“ der
Bevölkerung vornahm, wobei es in seiner Ideologie moderne mit voraufgeklärten Elementen
und einen jahrhundertelangen Diskurs um Volk und Reich mit antisemitischen und rassisch-
biologistischen Argumentationen verband, hielt ein großes Reservoir an Deutungen bereit, die
sich ungehindert der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte eines 80-Millionen-Volkes
bedienen konnten. Der Krieg sollte dieses Projekt in Form eines deutschen
,,Rasseimperialismus“ nach ganz Europa tragen.
Untersucht wird anhand der weltanschaulichen Erziehung (WE) in der Waffen-SS, ob
die ideologische Dimension des nationalsozialistischen Projekts unter den Bedingungen
existentieller Krisen während der zweiten Kriegshälfte den SS-Eliten als ein probates
Mittel erschien, als zentraler Motor von Fanatismus, Vernichtungs- und Durchhaltewil-
len zu fungieren, und falls ja, welche Semantiken und Feindbilder dabei vorherrschten.
Hierfür bietet sich der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion an, in dessen Verlauf die
meisten Opfer an Menschen auf dem europäischen Kriegsschauplatz während des Zweiten
Weltkriegs zu beklagen waren, und der unter großen Verlusten auf beiden Seiten bis zuletzt
ausgefochten wurde. Ungefähr dreieinhalb Millionen deutsche Soldaten sind an der Ostfront
gefallen, erfroren oder verhungert, über zehn Millionen Rotarmisten gefallen bzw. vermisst,
Millionen Zivilisten sind verhungert oder wurden ermordet. Hitlers Krieg im Osten brachte
millionenfaches Leid über Juden, Polen, Russen, Ukrainer, Sinti und Roma (u.a.). Laut
Wolfgang Benz (Enzyklopädie des Nat.Soz.; 1998) wurden zwei Millionen Juden aus der
Sowjetunion vergast oder erschossen; die Shoah brachte insgesamt sechs Millionen Juden den
Tod. Am Ende fiel die Aggression und Hybris eines kolonisatorischen Projekts auf das
deutsche Volk zurück, dessen Eliten unter aktiver Mithilfe oder Duldung der eigenen Bevöl-
kerung sowie anderer Nationen eine Diktatur der ,,deutschen Herrenrasse“ über Europa
durch Umsiedlung bzw. Tötung ,,rassisch Minderwertiger“ umzusetzen getrachtet hatten.
Himmlers schwarzer Orden, die nationalsozialistische Schutzstaffel (SS) und der Sicherheits-
dienst der SS (SD), zeichnete sich dabei durch besondere Gewaltbereitschaft und Brutalität
aus. Die Einsatzgruppen des SD und der Ordnungs- und Sicherheitspolizei haben bisher im
Fokus der Forschungen zu Judenvernichtung und Völkermord im Rahmen der ,,Endlösung“
11
gestanden. Die vorliegende Arbeit rückt nun die Verbände der Waffen-SS als ,,Himmlers
Rassekrieger“ in den Fokus, die für ihren Führer Adolf Hitler, dem sie Treue bis in den Tod
geschworen hatten, das ,,germanische Reich deutscher Nation“ erkämpfen sollten. Einen
Schwerpunkt in der Quellenarbeit soll dabei der ,,jüdische Bolschewismus“ als vielbe-
schworener Todfeind bilden. Es soll hier nicht um die Auswertung von Vernichtungs- oder
Kriegstagebüchern der SS-Divisionen bzw. Aktenverläufen zur Organisation der Massenmor-
de, sondern um die dahinter stehende weltanschauliche Begründung der tausendfach
befohlenen Maßnahmen gehen, bei denen Wehrmacht, SS, Polizei und Soldaten der Waffen-
SS als Täter Schuld auf sich luden.
Militärisch gesehen stand für zwei lange Jahre von 1941-43 allein das Riesenreich unter
Joseph Stalin und der KPdSU Hitlers Ambitionen eines deutsch beherrschten Kontinentaleu-
ropas entgegen und bewirkte durch sein großes Menschen- und Rüstungspotential eine
zunehmende Verzettelung der deutschen Kräfte angesichts der neu hinzugekommenen
Fronten. Der Fall ,,Barbarossa“, der am 22. Juni 1941 mit dem deutschen Überfall auf die
Sowjetunion begonnen hatte, leitete den vom Deutschen Reich angeführten ,,Kreuzzug gegen
den jüdischen Bolschewismus“ ein, an dem sich auch Angehörige osteuropäischer Völker
beteiligten, und der bis heute die Beziehungen dieser Staaten zu Russland belastet und – nicht
zuletzt durch die Erfahrung der sowjetischen Besatzung während des Kalten Krieges - die
bereits vorhandene antirussische Einstellung noch verschärfte. Eine zu überprüfende
Hypothese besagt, dass der ,,jüdische Bolschewismus“ bis Kriegsende das Kernstück des
nationalsozialistischen Feindbildes ausmachte und die ,,westlichen Plutokratien“
England und - ab 1942 - die Vereinigten Staaten von Amerika ein weiteres zentrales
Feindbild darstellten. Das ,,Volksreich Adolf Hitlers“ bzw. ,,Großdeutsche Reich“ unter
Einschluss Österreichs hätte nach Ausbruch des Krieges im Herbst 1939, der zunächst auf den
Krieg mit Polen, England und Frankreich begrenzt blieb, durch einen deutschen Sieg im
Sommer 1940 bzw. bei einem Einlenken Englands - unter Anerkennung des status quo - nicht
zwangsläufig in einen Weltkrieg münden müssen. Gleichwohl stand Hitlers Plan eines
gewaltsamen Hinaus-schiebens der deutschen Ostgrenze zur Sicherung von ,,Lebensraum im
Osten“ fest, vorformuliert in seinem Buch Mein Kampf. Frankreich war im Juni 1940
geschlagen und als Gegner ausgefallen. England war geschwächt und konnte sich lediglich im
Luftkrieg und in Nordafrika engagieren, indem es 1942 Rommels Vorstoß nach Ägypten und
in den Nahen Osten unterband. Doch erst mit amerikanischer Hilfe (US-Kriegseintritt:
8.12.41) konnte es das Afrikakorps schlagen und im Juli 1943 die Südfront in Italien und im
Juni 1944 die Front im Westen eröffnen. Die Hauptlast des Kampfes gegen Hitler-
12
Deutschland aber trug die Rote Armee. Sie brachte der Wehrmacht und der Waffen-SS im
Winter 1941/42 vor Moskau, 1942/43 in Stalingrad, 1943 bei Kursk und im Sommer 1944 bei
der Heeresgruppe Mitte vernichtende Niederlagen bei, die maßgeblich zur Zerstörung des
,,Nimbus der Unbesiegbarkeit“ und zur deutschen Kapitulation am 7. und 8. Mai 1945
führten.
Der Zeitraum 1942-1945 bietet sich exemplarisch an, um die Wechselwirkung von
militärischer Krise und weltanschaulicher Erziehung in der Waffen-SS näher zu
untersuchen. Hierzu werden Divisionsakten einzelner SS-Einheiten sowie Unterrichtsmateri-
al und Lehrpläne des SS-Schulungsamtes, angesiedelt im SS-Hauptamt (SSHA) unter
Obergruppenführer Gottlob Berger, einer Analyse unterzogen, wodurch die Möglichkeit
eröffnet wird, anhand von Originalquellen fundierte Aussagen über die Bedeutung und
Dimension der ideologischen Indoktrination hinsichtlich der Kampfmoral und weltan-
schaulichen Durchdringung der kämpfenden bzw. in Ausbildung befindlichen Truppe
gewinnen zu können. Während im Untersuchungszeitraum für die Rekrutierung und Front-
schulung der SS-Divisionen die Zuständigkeit beim SS-Hauptamt lag, zeichnete das SS-
Führungshauptamt (SSFHA) unter Obergruppenführer Hans Jüttner für die Ausbildung der
Ersatzeinheiten sowie für militärische Ausbildung und Einsatz der Fronttruppe verantwort-
lich. Die Kontakte zwischen Bergers Schulungsamt und der SS-Truppe wurden über die
,,Dienststelle für weltanschauliche Erziehung“ (Abt.VI) im SSFHA abgewickelt, was
immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten und Reibungen zwischen beiden Ämtern führte.
Für die Quellenbasis der Arbeit wurden im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BA) v.a. die
Bestände des Schulungsamtes im SS-Hauptamt (BA/NS 31 u. NSD 41) von Mikrofilm
kopiert.
Als Hypothese, die in diesem Zusammenhang hier aufgestellt und im weiteren überprüft
wird, sei angeführt, dass Bergers Hauptamt im Verbund mit dem SSFHA eine weltan-
schauliche Mobilmachung betrieb, die besonders in Zeiten militärischer Krise den
Soldaten der Waffen-SS in ideologisch vertiefender Weise zu einem fanatischen Kämp-
fer der nationalsozialistischen Idee erziehen sollte, der, von der Richtigkeit seines
Einsatzes unerschütterlich überzeugt, seinen Eid ,,Meine Ehre heißt Treue“ über jede
Entbehrung und jedes Opfer stellen würde. Die Überprüfung dieser These einer ,,zweiten
Mobilmachung“ der Waffen-SS auf weltanschaulichem Gebiet, die ihr Analogon in der
,,wehrgeistigen Erziehung“ der Wehrmacht hat, stellt ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit
dar. Der methodische Ansatz sieht vor, neben den Lehrplänen und Richtlinien des SSHA
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vor allem die als Unterrichtsmaterial dienenden amtlichen Druckschriften des Schu-
lungsamtes im Hinblick auf wiederkehrende Topoi bzw. Selbst- und Feindbilder zu
analysieren. Herausgeber der amtlichen Broschüren war der Reichsführer SS (RFSS) bzw.
das ihm unterstellte SS-Hauptamt. Die Überlieferung der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) ist
trotz einiger Kriegsverluste überraschend gut. Daneben sind im Bundesarchiv die SS-
Leithefte, das offizielle Schulungsorgan der SS, sowie das ,,Schwarze Korps“, das Organ der
Reichsführung SS, überliefert. Anhand des Schulungsmaterials soll nachvollzogen werden,
welche Elemente der Weltanschauung konstant blieben, und welche sich offen für Akzentuie-
rungen, nachträgliche Bearbeitungen und Deutungsverschiebungen zeigten.
Für den Inhalt und Stellenwert der weltanschaulichen Erziehung innerhalb des Ausbil-
dungsplanes der Einheiten dürfte, so eine weitere Hypothese, die Erfahrung mit der
Roten Armee und die zunehmend dramatische Lage an der Ostfront von maßgebender
und prägender Bedeutung gewesen sein. Es soll untersucht werden, ob ein modifizierter
weltanschaulicher Ansatz daraus resultierte, der grundsätzlich geeignet war, stabilisie-
rend auf die Motivation der Kriegsakteure (SS-Männer) zurückzuwirken. Der konkrete
Nachweis einer solchen Wirkung der WE müsste jedoch einer größeren Studie vorbehalten
bleiben (u.a. einer Analyse von Feldpostbriefen der Waffen-SS). Sofern die SS-Führer mittels
der WE systemgefährdende Handlungsspielräume der ihnen unterstellten Einheiten (z.B.
Befehls-verweigerung, Desertieren, Selbstverstümmlung) tatsächlich auf systemstabilisieren-
de Handlungs-weisen einengen konnten (hin zu Opferbereitschaft, Todesverachtung, Fana-
tismus etc.), wäre die Weltanschauung im Sinne einer ,,mentalen Waffe“ eine äußerst
erfolgreiche, kriegs-verlängernde Maßnahme gewesen. Ähnliche Wirkungen hätten dann
vermutlich auch für andere extreme Situationen wie angeordnete Massenerschießungen oder
Partisanenjagden gegolten. Neben Befehlskette und Gruppendruck müsste dann ein weiterer
maßgeblicher Faktor stärkere Beachtung finden: die persönliche Überzeugung. Folgende
Fragen sind daher von Interesse: Wie organisiert man Gefolgschaft unter den Bedingun-
gen existentieller Krisen und omnipräsenter Gewalt? Welche Formen ideologischer
Indoktrination kommen zum Einsatz? Wie verhalten sich die Inhalte zur aktuellen
militärischen und politischen Situation? Lässt sich Gewalt durch Rationalisierung
dauerhaft etablieren? Wie erfolgt die Motivierung der Akteure? Welche Legitimierun-
gen erfährt der Massenmord an den europäischen Juden in der WE-Arbeit?
Mit der weltanschaulichen Schulung der Truppe waren seit 1940 die Kompaniechefs, und z.T.
auch Bataillonskommandeure betraut, weshalb die Unterführer-Ausbildung bei der Schulung
14
der Waffen-SS eine zentrale Rolle spielte. Daneben gab es von Regimentsebene an aufwärts
sog. ,,Weltanschauliche Erziehungsführer“ (WE-Führer), die den Kompaniechefs zuarbei-
teten bzw. das Schulungsmaterial an die Mannschaften weitergaben; sie waren zugleich
Führer der für weltanschauliche Fragen zuständigen Abteilung VI a. Ausbildungspläne,
Schulungsmaterial, aber auch Maßnahmen zur Truppenbetreuung u.a. für die ,,germanischen
Freiwilligen“, finden sich in den überlieferten Aktenbeständen der Abt. VI. Diesbezüglich
wurden für die vorliegende Arbeit Bestände des Vojensý ústrední archiv / Militärhistorisches
Archiv Prag (MHA) gesichtet, welches das ehemalige Kriegsarchiv der Waffen-SS beherbergt
und erst seit 1991 zugänglich ist. Dort zeigte sich zwar eine durch Kriegsschäden und -
verluste beeinträchtigte, lückenhafte Überlieferungs-situation, die jedoch für einige SS-
Einheiten ungewöhnlich gut war, darunter für die 2. SS-Panzer-Division Das Reich, sowie für
Ausbildungs- und Ersatzeinheiten an den Waffen-SS-Schulen im Reichsprotektorat Böhmen
und Mähren, das der Waffen-SS als Truppenübungsplatz diente. Das Material selbst war
äußerst fragil, die Papierqualität schlecht und die Typoskripte oft nur als Abschriften oder
Durchschläge erhalten; dennoch konnte eine größere Anzahl aufschlussreicher, bisher von der
Forschung nicht ausgewerteter Dokumente mithilfe der deutsch-tschechischen Findbücher
ausfindig gemacht werden. Hier fanden sich auch Schriftgutreste zur 20. Waffen-Grenadier-
Division der Waffen-SS (estn. Nr.1), die bisher nicht veröffentlicht sind. Einige Akten aus
Prag sind in Kopie dem Dokumentenanhang beigegeben. Die vorliegende Arbeit ist primär
als Quellenstudie angelegt und verfolgt unter Einbeziehung relevanter Sekundärlitera-
tur einen ideengeschichtlich orientierten, hermeneutisch-interpretativen Ansatz.
Wie die vorangehenden Ausführungen erkennen lassen, wird vom Verfasser dieser
Arbeit der politischen Ideengeschichte, verstanden als Motivationshintergrund für
soziale Bewegungen bzw. für Großprojekte gesellschaftlicher Eliten, im Falle des
Nationalsozialismus hinsichtlich seiner weltanschaulichen Indoktrination - neben der
allgemein gesellschaftlich wirkenden - eine ,,kriegsorganisatorische“ Rolle beigemessen,
und zwar insbesondere bezüglich der zunehmend dringlicher werdenden Notwendigkeit
weltanschaulicher Begründungen der maßgeblichen Akteure (bezogen auf die Waffen-
SS v.a. Himmler, Berger, Jüttner) im Hinblick auf Massenmord, Kriegsführung und
Nachwuchsgewinnung. Ein solcher Ansatz erscheint gut geeignet, zur Erklärung ideolo-
gisch-politischer Radikalisierungstendenzen innerhalb der deutschen Führung im
Verlaufe des Zweiten Weltkrieges beizutragen. Andere Erklärungsansätze des mit unbarm-
herzigen Mitteln geführten Krieges gegen die Sowjetunion, der keine Haager Landkriegsord-
nung und kein internationales Völkerrecht gelten ließ, reflektieren stark die militär-
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strategischen Zielsetzungen bzw. kriegsökonomischen Erwägungen bei der Schaffung neuen
deutschen Lebensraumes im Osten, dem die Weite des Raumes und die 200-Millionen-
Bevölkerung des Vielvölkerstaates im Wege waren. Weitere stellen bisweilen Hitlers Projekt
der Juden-vernichtung als das eigentliche Kriegsziel heraus, dem nach Scheitern des Blitz-
kriegskonzepts vor Moskau und bei absehbarer Niederlage seit 1942/43 die Ostfront nunmehr,
zugespitzt formuliert, als ,,Schutzschirm für Auschwitz“ dienen sollte. Hierbei kam es vor,
dass der utopischen Dimension der nationalsozialistischen Idee von ,,Rasse und Reich“
als einem politisch-ideologischen Projekt für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte
zu wenig Beachtung geschenkt wurde.
Jüngere Forschungen zur weltanschaulichen Truppe der SS, die sich deutlich von der früheren
Memoirenliteratur ehemaliger Angehöriger abhoben, haben sich - ganz im Sinne des hiesigen
Untersuchungsansatzes - der ideologischen Dimension des Krieges weiter geöffnet, v.a.
Bernd Wegners Studie Hitlers Politische Soldaten. Die Waffen-SS 1933-1945. (4.Aufl., 1990)
sowie Jürgen Matthäus` (u.a.) Publikation Ausbildungsziel Judenmord? (2003) zur Bedeutung
der WE in SS und Polizei. Für das weite Feld ideengeschichtlicher Zugänge seien stellvertre-
tend genannt: Josef Ackermanns Studie Heinrich Himmler als Ideologe (1970), Claus-
Ekkegard Bärschs Die Politische Religion des Nationalsozialismus (1998), Richard Breitmans
Der Architekt der Endlösung (1996), Christopher R. Brownings Ganz normale Männer
(1993), Martin Cüppers Wegbereiter der Shoah (2005), Jürgen Elverts Mitteleuropa! Deut-
sche Pläne zur europäischen Neuordnung 1918-1945 (1999), Hans-Jochen Gamms Pädago-
gik des Nationalsozialismus (1964), Christian Gerlachs Durchschnittstäter. Handeln und
Motivation. (2000), Erich Goldhagens Aufsatz Weltanschauung und Endlösung in der VfZG
24 (1976), Andreas Hillgrubers Aufsatz in der VfZG 20 (1972) zum rassenideologischen NS-
Programm, Eberhard Jäckels Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft (1981),
Frank-Lothar Krolls Utopie als Ideologie (1998), Peter Longerichs Biographie über Heinrich
Himmler (2008), Rolf-Dieter Müllers Studien Hitlers Ostpolitik und die deutsche Siedlungs-
politik (1991) u. Hitlers ausländische Helfer beim ,,Kreuzzug gegen den Bolschewismus“
(2007), Hans Werner Neulens Eurofaschismus und der Zweite Weltkrieg (1980), Gerhard
Pauls Die Täter der Shoah (2002), Ernst Pipers Studie zu Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideo-
loge (2005), Michael Salewskis Aufsatz Geschichte als Waffe (1985), die Quellenedition
Heinrich Himmler. Geheimreden 1933-45 von Smith/Peterson (1974) sowie Michael Wildts
Studien Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes.
(2002) u. Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des
Reichsführers SS. (2003).
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Diesem Ansatz folgend besagt eine weitere Hypothese, die im Rahmen der vorliegenden
Arbeit untersucht wird, dass der Nationalsozialismus als ,,weltanschauliches Großpro-
jekt“ in seiner ultimativen Zielsetzung weit mehr als militärische Expansion und
Vernichtung der europäischen Juden beinhaltete, nämlich die Schaffung einer
,,germanischen Elite“ für ganz Europa. Dies soll anhand von Himmlers Reden vor
Einheiten der Waffen-SS und SS-Führern, die in den Akten Persönlicher Stab Reichsfüh-
rer SS im Bundesarchiv Berlin dokumentiert sind, exemplarisch nachgewiesen werden. Auf
diese Weise kann auch der hohe Legitimationsbedarf ,,radikaler Lösungen“ nachvollzogen
werden. Himmler nannte die Judenvernichtung lapidar eine ,,Sache der Reinlichkeit“. Als
RFSS forcierte er die Erneuerung des Reichsgedankens auf biologisch-rassischer Grundlage
in Form eines ,,großgermanischen Reiches“, die Bindung ,,germanischer“ Völker an den
,,Blutkreislauf des Reiches“, das ,,Ausscheiden artfremden Bluts“, die Versklavung des
,,slawischen Untermenschen“ etc. Der Reichsgedanke, der seit dem Ende des Alten Reiches
anno 1806 ein politisches Refugium konservativer Kreise gewesen war, spielte bei den
rechtsgerichteten Parteien der Weimarer Republik eine gewichtige Rolle. Er wurde mit der
Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 quasi zur neuen Staatsdoktrin erhoben und erhielt mit
dem ,,Blutgedanken“ der Schutzstaffel jene rassepolitischen Zielsetzungen, die sich im
,,Generalplan Ost“ von 1942 widerspiegeln, der für die Politik von Partei und SS in den
besetzten Ostgebieten zu einer Anleitung für bevölkerungspolitische Maßnahmen brutalster
Art wurde.
In diesem Zusammenhang muss der ,,Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ erwähnt
werden, an dem sich namhafte Historiker, Politologen, Juristen und Ökonomen des Großdeut-
schen Reiches beteiligten, u.a. im ,,Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“
und im ,,Ahnenerbe e.V.“ der SS. Die Einbeziehung dieser Diskurse würde jedoch den
Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Die WE-Schulung der NSDAP soll nur insoweit
ergänzend thematisiert werden, als sie für die WE der Waffen-SS als aufschlussreich erscheint;
zu nennen wäre hier die Dienststelle Alfred Rosenberg (DBFU). Das Rasse- und Siedlungs-
hauptamt der SS (RuSHA) sowie die vom SSHA mitherausgegebene Schriftenreihe der
Ordnungspolizei stoßen als Schulungsinstanzen hinzu. Ferner empfiehlt sich ein Blick in
Hitlers Mein Kampf und Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts.
Die Tatsache, dass im Verlaufe des Krieges zunehmend ausländische Truppen
(,,germanische“ und ,,fremdvölkische“ Einheiten) geworben und in den Verbänden von
Wehrmacht und SS im Kampf gegen die Rote Armee sowie zur Partisanenbekämpfung und
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Judenvernichtung eingesetzt wurden, ließ - kriegsbedingt – auch eine Modifikation ideologi-
scher Argumentationen notwendig werden. Während zu Beginn des Krieges gegen die
Sowjetunion v.a. ,,Volksdeutsche“ vom Balkan und ,,germanische Freiwillige“ aus Nord- und
Westeuropa geworben wurden, veranlassten die großen Verluste an Mannschaften und
Unteroffizieren die verantwortlichen Akteure bei Heer und Waffen-SS dazu, verstärkt auch
osteuropäische Völker zu werben, darunter Esten, Letten, Litauer, Ukrainer und Kosaken.
Sogar Russen, denen als Kriegsgefangenen auf sowjetischer Seite der Gulag drohte, wurden
als Teil der ,,Russischen Befreiungsarmee“ (ROA) ab Ende 1944 unter General Wlassow
eingesetzt. In Einheiten der Waffen-SS dienten ferner Moslems vom Balkan und aus der
Sowjetunion. Ein osttürkischer und ein kaukasischer Waffenverband der Waffen-SS wurden
ebenfalls gegen Kriegsende auf Befehl Himmlers gebildet und teilweise eingesetzt.
In einem Fallbeispiel soll anhand der estnischen 20. SS-Waffen-Grenadier-Division
untersucht werden, inwieweit das Konzept einer ,,europäischen Abwehrfront“ unter
ideologischer Führung der SS bei der weltanschaulichen Schulung nichtdeutscher
Einheiten eine Rolle spielte, und ob es den Ideologen möglich war, ein baltisches Volk
für den Kampf gegen die Rote Armee zu gewinnen, ohne das SS-eigene Rassekonzept
vom ,,kämpfenden Blutsorden nordisch bestimmter Männer“ grundsätzlich in Frage
stellen zu müssen. Die Akten aus Prag (MHA) dokumentieren, unter welchen SS-Parolen die
Esten bis zuletzt einen aussichtslosen Kampf fochten. Dabei müssen Argumentationsmuster
und Richtlinien seitens der SS-Führung, Propagandamaterialien für die Feldeinheiten sowie
Semantiken bezüglich eines ,,europäischen Freiheitskampfes“ besondere Beachtung
finden. An der Ernsthaftigkeit eines paneuropäischen Projekts, welches die deutsche Domi-
nanz auf dem Kontinent relativiert und die Nationalismen der kleineren Völker gestärkt hätte,
lassen sich nicht zuletzt durch Äußerungen Hitlers, Bergers und Himmlers berechtigt erschei-
nende Zweifel anbringen. In diesem Zusammenhang sollen auch pangermanische Konzepte
der Waffen-SS analysiert werden.
Als weitere Hypothese wird formuliert, dass die drohende Niederlage an der Ostfront
zwar bei der deutschen Führung Anlass für neue Konzepte zur Behandlung von
,,germanischen“ bzw. ,,fremdvölkischen“ Angehörigen der Waffen-SS, wie auch der
,,Ostvölker“ im Allgemeinen gab, diese jedoch nur solche Rücksichtnahmen zuließen,
die letztlich mit dem NS-Rassekonzept vereinbar waren. Taktische Volten in der Erzie-
hungsarbeit durften, so wird hier postuliert, niemals die Grundlagen der nationalsozialisti-
schen Weltanschauung in Frage stellen. Das von Hitler anlässlich der Errichtung des Protek-
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torats Böhmen und Mähren für Mitteleuropa geforderte ,,Volksgruppenrecht“ zum Schutz der
,,völkischen Eigenart“ kleinerer Völker bot zwar theoretisch Anschluss für Autonomiekon-
zepte, blieb aber stets auf die ordnende ,,Schutzmacht“ des deutschen Reiches bezogen. Die
deutsche Vernichtungspraxis im Osten steht hierzu in unüberseh-barem Widerspruch und
offenbart neben den dort wirksamen Radikalisierungstendenzen der Machteliten auch inhä-
rente Paradoxien innerhalb des nationalsozialistischen Weltbildes, das schon aufgrund
der Eigenlogiken seiner unterschiedlichen Akteure und polykratischen Führungs-strukturen
kein in sich abgeschlossenes System darstellte und unter den extremen Bedingungen des
Krieges Dynamiken entwickelte, die weder gänzlich vorhersehbar noch berechenbar waren.
Eine aufschlussreiche Quelle zum nationalsozialistischen Selbstverständnis bietet der
deutsche ,,Volksbrockhaus“, der im Frühjahr 1943 bereits in der zehnten Auflage erschien.
Einige zentrale Begriffe sollen hier einleitend geklärt werden. Im Volksbrockhaus lautet die
Definition von Nationalsozialismus wie folgt: ,,Der Kern der von Adolf Hitler begründeten
Weltanschauung des Nationalsozialismus ist die Vorstellung vom Volk als dem höchsten
Wert gegenüber dem einzelnen und dem Staat. Der Nationalsozialismus sieht im Volk die
lebendige Gemeinschaft von Blut und Geschichte, der jeder einzelne mit allen seinen Kräften
zu dienen verpflichtet ist. (...) Er erstrebt die geistige Neuformung des Volkes und erhebt
unter schärfster Bekämpfung des Liberalismus und Marxismus den Anspruch auf die Totalität
seiner Idee im Gesamtbereich des völkischen Lebens.“2 Weltanschauung wird als ,,eine
Schau vom inneren Zusammenhang alles Lebens, die es dem Menschen ermöglicht, die Dinge
nach Rang und Wert zu ordnen“ erläutert. Die Weltanschauung eines Volkes sei bestimmt
,,durch dessen Rasse und Charakter, Lage und Schicksal“. Rasse bezeichne ,,die Teilgesamt-
heit einer Art, die sich von anderen Rassen durch bestimmte Erbeigenschaften unterscheidet.“
Die ,,nationalsozialistische Erkenntnis von der Bedeutung der Rasse für das Leben und die
Gesittung der Völker“ habe die Rassenkunde als wissenschaftliches Fach etabliert. Rassen-
politik sei ein Gebot zum Schutze des eigenen Volkes: ,,Als staatlich geführte angewandte
Rassenbiologie arbeitet die deutsche Rassenpolitik mit den Mitteln neuzeitlicher Gesetzge-
bung. Aufgabe der Rassenpflege (Rassenhygiene) ist, die wertvollen Erbanlagen im Volke
mit allen Mitteln zu fördern und die minderwertigen zu bekämpfen (...)“. Die wertvollsten
Anlagen seien in der ,,nordischen Rasse“ verkörpert. Diese hochgewachsene blonde Rasse
wird als ,,Trägerin der indogermanischen und germanischen Kultur“ bezeichnet, deren
,,geistig-seelische Kennzeichen“ Entschlusskraft, Wahrhaftigkeit und ,,kultur-schöpferische
Begabung“ seien. Sie sei ein ,,(...)Hauptbestandteil der Bevölkerung Skandinaviens und z.T.
Norddeutschlands, als deutlicher Rasseneinschlag ist sie im ganzen übrigen nördlichen und
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mittleren Europa zu finden (...)“. Demgegenüber erscheint das Judentum als ,,eine über fast
alle Länder zerstreute Volks- und Religionsgemeinschaft, etwa 16-17 Mill.“, ein
,,Rassengemisch“ auf Grundlage der ,,vorderasiatischen und orientalischen Rasse“. Durch das
,,Zusammenleben mit ihren Wirtsvölkern“ hätten ihre Wesenszüge ,,Händlergeist, Intellektua-
lismus, Macht- und Geldstreben“ zu ,,erheblichen Störungen der lebensgesetzlichen Grundla-
gen vornehmlich in den führenden Schichten des deutschen Volkes“ geführt. Jüdisch stark
beeinflusst sei der Bolschewismus als eine ,,marxistische Lehre, auf der die kommunistische
Arbeiterbewegung und die 1917 errichtete Räteregierung (Sowjets) in Rußland sich aufbau-
en“. Dort herrsche durch die Diktatur des Proletariats eine ausgeprägte Klassenherrschaft:
,,Der Bolschewismus erstrebt die Weltrevolution und die Beseitigung des Privateigentums, er
leugnet die Bedeutung von Rasse und Volkstum (…).“ Daher habe Adolf Hitler ,,zur Rettung
Deutschlands und ganz Europas“ den Kampf gegen den Bolschewismus aufgenommen. Der
Krieg in Europa seit 1939 wird als ,,Großdeutscher Freiheitskampf“ bezeichnet. In ihm
verwirkliche sich ,,(...) die Idee des Reiches als der besonderen Aufgabe, die dem deutschen
Volk, dem Führer- und Schutzvolk Europas, zugewachsen ist: das Reich bedeutet die ausge-
wogene Gliederung des europäischen Großraumes vom deutschen Kernraum aus, es sichert in
ihm (…) die politische und kulturelle Entwicklung der Einzelvölker.“ Das Wort Reich wird
wie folgt erklärt: ,,Verwandt mit Recht und Gerechtigkeit, vom indogermanischen Stamm rek
,König` herkommend, bezeichnet es die von der Gewalt ausgehende Rang- und Rechtsord-
nung.“ Es handele sich hier um einen ,,obersten Begriff“, der eine ,,Weltanschauung in sich“
fasse. Als politische Ordnung des deutschen Volkes im Sinne einer Staatslehre stelle sich der
Deutsche Sozialismus dar: ,,Erst der Nationalsozialismus hat durch Überwindung dieser
marxistischen Lehren die Grundlage einer gesunden Volksordnung schaffen können (Deut-
scher Sozialismus). (…) Er sieht daher in der Ordnung und Entfaltung der Volksgemeinschaft
das höchste Ziel.“ Zudem überwinde er alte Klassen- und Standesgegensätze. Der Pluralis-
mus wird dagegen gestellt als ,,die Aufspaltung der Volksgemeinschaft durch die Vielheit der
Parteien“. Das Weimarer System sei durch die ,,nationalsozialistische Revolution“ beseitigt
und durch den ,,Führerstaat“ ersetzt worden. Negativ besetzt ist auch die Plutokratie: Sie
bedeute ,,(...) Geldherrschaft, eine Staatsverfassung, in der die politische Herrschaft durch
eine Klasse der Reichen ausgeübt wird (…); daher seit 1939 politischer Kampfbegriff, vor
allem gegen England sowie die Vereinigten Staaten.“ Abschließend sei auf den Artikel zur SS
im ,,Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen“ (1942) hingewiesen: ,,SS, Abkürzung für die
Schutzstaffel, eine Gliederung der NSDAP, die 1925 aus der SA (Sturmabteilung) ausgeson-
dert wurde. Sie stellt eine festgefügte, weltanschaulich verschworene Kampftruppe dar. (...)
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Seit Beginn des Großdeutschen Freiheitskampfes sind die bewaffneten Verbände unter dem
Begriff Waffen-SS zusammengefasst; sie haben sich in allen Feldzügen Seite an Seite mit
dem Heer in hervorragendem Einsatz bewährt (…). Seit Oktober 1939 obliegt der SS auch die
Umsiedlung der ins Reich heimkehrenden Volksdeutschen und die Fürsorge für die Neubil-
dung deutschen Bauerntums, vor allem im Osten.“3
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I.Hauptteil
1. Für ,,Rasse und Reich“: Weltanschauung als Waffe.
1.1. Wozu Weltanschauung? Über die ideologische Basis eines totalitären Projekts
1.1.1. Hitlers Weltanschauung.
,,Jede Gewalt, die nicht einer festen geistigen Grundlage entsprießt, wird schwankend
und unsicher sein. Ihr fehlt die Stabilität, die nur in einer fanatischen Weltanschauung
zu ruhen vermag.“4
(Adolf Hitler, Mein Kampf)
Adolf Hitlers Bedeutung als charismatische Führerfigur der NS-Bewegung
Am Anfang der Bewegung war Adolf Hitler. Dies sei vorangestellt, da ohne die Person Hitlers als
charismatischer Integrations- und Führerfigur der Nationalsozialismus als totalitäre Form
charis-matischer Herrschaft in seiner historischen Ausprägung kaum denkbar ist. Charisma wird
dabei mit Max Weber als außeralltägliche Qualität eines Menschen verstanden, die auf dem
Glauben seiner Anhänger beruht. Dabei sind sowohl die charismatische Begabung der Führerfigur
als auch die ideelle Gefolgschaft, persönliche Treue und affektive Hingabe der Anhänger notwen-
dige Voraussetzungen charismatischen Führertums. In traditionell gebundenen Epochen birgt es
als politischer Motivator ein revolutionäres Potential; verwandte Formen sind der magische,
Offenbarungs- und Heldenglaube. Hitler bemühte immer wieder die ,,Vorsehung“, eine Form
höheren Schicksals, als deren Vollstrecker er sich sah. Seine ,,Mission“, deren Gründungsdoku-
ment sein 1924 geschriebenes Buch Mein Kampf wurde, sah er darin, das deutsche Volk wieder
zu ,,alter Stärke“ zu führen. Er sah sich als Prophet einer neuen Zeit und einer neuen Weltan-
schauung.
Dass Hitler den Begriff der Weltanschauung bereits sehr früh ins Zentrum seiner programmati-
schen Überlegungen stellte, zeigt schon die Wahl zweier Kapitelüberschriften in Mein Kampf:
,,Weltanschauung und Partei“ und ,,Weltanschauung und Organisation“.5 Neben seiner eigenen,
der Weltanschauung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), existierten
für Hitler andere feindliche Weltanschauungen, die es zu bekämpfen gelte. Neben den politischen
Programmen der Parteien, die zumindest eine ,,rudimentäre Weltanschauung“ erkennen ließen,
gebe es ,,große Anschauungen“, zu denen er neben dem Programm der NSDAP die christliche
und die jüdische Weltanschauung zählte; letztere kehrte laut Hitler vor allem in der marxistischen
bzw. ,,internationalistischen Weltanschauung“ wieder. Dem deutschen Volk habe es vor 1914 an
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einer einheitlichen weltanschaulichen Grundlage gemangelt - weshalb durch den so möglich
gewordenen Dolchstoß der ,,jüdischen Novemberverbrecher“ der Weltkrieg 1918 verloren
worden sei. Für Hitler war eine feste, völkische Weltanschauung die Voraussetzung nationalen
Aufstiegs, der Grund-stein ,,nationaler Wiedergeburt“. Hierzu setzte er sich mit Theorien der
Massenpsychologie aus-einander. Hitler las viel und setzte, wie er selbst sagte, seine Weltan-
schauung mosaikartig über Jahre zusammen. Dem ,,Kampf der Weltanschauungen“ kam dabei
eine zentrale Dimension zu. Als Politiker verschrieb er sich einer sozialdarwinistisch inspirierten
völkisch-antisemitischen Program-matik; er sah den Nationalsozialismus als ,,Polarstern der
suchenden Menschheit“6. Mein Kampf wurde die Bibel der Nationalsozialisten - ein Konglomerat
diverser Lektüren (u.a. Houston Stewart Chamberlain, Henry Ford, Madison Grant, Sven Hedin,
Hans K. Günthers, Paul de Lagarde).
Hitler gehörte einer Generation junger, im Schützengraben des Ersten Weltkriegs traumatisierter
Männer an, die den militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reiches und das Ende der
Monarchie als umfassende Sinnkrise erlebten, welche sie den demokratischen Parteien der neuen
Republik als ,,Verrat am Vaterland“ anlasteten. In Hitlers Augen waren sie Teil einer ,,jüdischen
Weltverschwörung“, wie es die ,,Protokolle der Weisen von Zion“ - eine Fälschung - behaupte-
ten. Eine revisionistisch eingestellte Reichswehr und ein zu nationaler Ehre und deutschem
Überlegenheitsdünkel erzogenes Bürgertum zeigten sich, neben Teilen der Arbeiterschaft, für die
nationalistisch gefärbte Propaganda der aufstrebenden NSDAP, als deren Agitator Hitler auftrat,
empfänglich. Neben einer innenpolitischen Überwindung des ,,Weimarer Systems“, der außenpo-
litischen Revidierung des Versailler Vertrages, einer Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins
sowie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur Hebung von Wirtschafts- und Rüstungskraft,
strebte Hitler mittel- und langfristig eine Expansionspolitik zur Gewinnung ,,neuen Lebens-
raums“ sowie eine neue Bodenpolitik an, die sich mit einer Aufwertung des Bauerntums verband.
Eine solche Landnahme, die bereits auf der ersten Seite von Mein Kampf angesprochen wird,
komme laut Hitler historisch aus einem ,,moralische[n] Recht zur Erwerbung fremden Grund und
Bodens“7. Im vierten Kapitel heißt es dazu: ,,Wollte man in Europa Grund und Boden, dann
konnte dies (…) nur auf Kosten Rußlands geschehen, dann mußte sich das neue Reich wieder auf
der Straße der einstigen Ordensritter in Marsch setzen, um mit dem deutschen Schwert dem
deutschen Pflug die Scholle, der Nation aber das tägliche Brot zu geben.“8 Das Ziel Hitlers war
die deutsche Vormachtstellung auf dem Kontinent. Hierfür sei jedoch, so Hitler in Mein Kampf,
ein Interessenausgleich mit dem britischen Empire notwendig. Ein solches Arrangement sollte
ihm später als Reichskanzler, nicht zuletzt wegen seiner aggressiven Außenpolitik, verwehrt
bleiben.
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Die demokratiefeindlichen Tendenzen an den linken und rechten Rändern des politischen
Spektrums der Weimarer Republik hatten unter den politisch radikalisierend wirkenden
Krisenbedingungen von Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit Ende der Zwanziger
Jahre großen Zulauf bekommen. Sie waren seit Ausrufung der Republik eine schwere
Hypothek für die junge Demokratie gewesen, die nach mehreren Notstandsgesetzen im Januar
1933 in die Kanzlerschaft Hitlers und die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten
mündete. Das von der NSDAP durchgesetzte Ermächtigungsgesetz, also der juristisch
festgeschriebene politische Ausnahmezustand, die Etablierung des Überwachungsstaates und
die damit einhergehende politische Gleichschaltung der Parteien und Medien, eröffnete den
neuen Machthabern die Chance, ihre in Hitlers Mein Kampf vorformulierte Programmatik in
die Tat umzusetzen. Welche weltanschaulichen Elemente waren nun bei Hitler von Anfang an
die dominierenden? Ein Überblick über die wichtigsten Topoi, der nur summarisch sein kann,
sei an dieser Stelle gegeben.
Hauptelemente in Hitlers Weltanschauung – Mein Kampf als ideologisches Gründungsdoku-
ment
,,Selten oder vielleicht tatsächlich nie in der Geschichte hat ein Herrscher, ehe er an die Macht
kam, so genau wie Adolf Hitler schriftlich entworfen, was er danach tat. Nur deswegen
verdient der Entwurf Beachtung.“9 Eberhard Jäckel hat in seiner Studie zu Hitlers Weltan-
schauung dessen Kernthemen in Form von Kapitelüberschriften benannt: ,,Die Eroberung
von Raum“, ,,Die Entfernung der Juden“, ,,Der Staat als Mittel zum Zweck“,
,,Zusammenfassung im Geschichtsbild.“10 Hitler hat den Staat als Vehikel zur Durchsetzung
der Rassenlehre gesehen. Er selbst schrieb hierzu im zweiten Band von Mein Kampf: ,,Die
völkische Weltanschauung sieht im Staat prinzipiell nur ein Mittel zum Zweck und faßt als
seinen Zweck die Erhaltung des rassischen Daseins der Menschen auf.“11 An anderer Stelle
erscheint der Staat als Züchtungsprogramm: ,,Das Deutsche Reich soll als Staat alle Deut-
schen umschließen mit der Aufgabe, aus diesem Volke die wertvollsten Bestände an rassi-
schen Urelementen nicht nur zu sammeln und zu erhalten, sondern langsam und sicher zur
beherrschenden Stellung emporzuführen.“12 Hinter solchen Zitaten stehen evolutionistische
Konzepte, inspiriert u.a. von Herbert Spencer. Die Notwendigkeit einer ,,rassischen Auslese“
zur Sicherung des Überlebens eines Volkes sah Hitler in der Geschichte begründet. Für ihn
war sie die ,,geeignetste Lehrmeisterin“13 politischen Handelns. Geschichte sei Ausdruck des
Lebenskampfes eines Volkes: ,,Alles weltgeschichtliche Geschehen aber ist nur eine Äuße-
rung des Selbsterhaltungstriebes der Rassen (…).“14 Während Karl Marx in seinem Kommu-
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nistischen Manifest von 1848 die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft als eine Geschichte
von Klassenkämpfen vorstellte, behauptete Hitler den historischen Primat der Rassenkämp-
fe. Nicht sozial-ökonomische Gruppen seien die Protagonisten der Geschichte, sondern
ethnisch-biologische Rassen, die sich angeblich auf ,,Ur-Rassen“ zurückführen ließen. Dabei
setzte Hitler fälschlicherweise den Artbegriff mit dem der Rasse gleich, was in der Folge zu
unhaltbaren Aussagen über die Natur des Menschen führte: Die Gattung Mensch (Homo
Sapiens) wird bei Hitler eben nicht als eine Art mit mehreren Unterarten bzw. rassischen
Varianten gesehen, sondern wird als mehrere Arten behandelt, die er jedoch Rassen nennt. Da
sich, so Hitler, jedes Tier nur mit Genossen der gleichen Art paare, müsse man auch beim
Menschen dem ,,Gesetz der Rassenreinheit“ folgen. Das Postulat einer von Natur aus gegebe-
nen Abgeschlossenheit der Arten, welche der ,,Degeneration durch Rassenmischung“
entgegenwirke, musste in seiner Logik zu den Nürnberger Rassegesetzen führen, die u.a. den
Geschlechtsverkehr bzw. die Ehe zwischen ,,Ariern“ und Juden verboten. Sein undynami-
scher Artbegriff offenbart eine überholte, lamarckistische Sichtweise. Hitlers Irrtum liest sich
bei ihm so: ,,Jede Kreuzung zweier nicht ganz gleich hoher Wesen gibt als Produkt ein
Mittelding zwischen der Höhe der beiden Eltern. Das heißt also: das Junge wird wohl höher
stehen als die rassisch niedrigere Hälfte des Elternpaares, allein nicht so hoch wie die höhere.
Folglich aber wird es im Kampf gegen diese höhere später unterliegen. (…) Die geschichtli-
che Erfahrung (…) zeigt in erschreckender Deutlichkeit, daß bei jeder Blutsvermengung des
Ariers mit niedrigeren Völkern als Ergebnis das Ende des Kulturträgers herauskam.“15 Dies
war nicht nur ein Verkennen dominant-rezessiver Vererbungsmöglichkeiten, sondern eine
Instrumentalisierung der Mendelschen Vererbungslehre, die mithilfe der Saatgutauslese
weniger eine ,,rassische Auslese“ anstrebte, sondern die regelhafte Weitergabe von Erbanla-
gen innerhalb einer Art beschrieb. Hitlers Eugenik dürfte einer politischen Indienstnahme des
Biologen Ernst Haeckel entstammen, wobei seine Argumentation eine Fehlinterpretation von
Darwins ,,struggle for life“ beinhaltet, bei dem sich keinesfalls die körperlich (und mental)
Stärksten durchsetzten, was Hitler unter ,,rassisch höherstehend“ versteht, sondern die
umweltmäßig Anpassungsfähigsten (,,survival of the fittest“). Hitlers relevante Umwelt war
keine biologische Nische, die bestimmte Erbmerkmale von Individuen begünstigt oder
benachteiligt, sondern es war jener historisch-archaische Kampfplatz, auf dem sich die Rassen
totschlugen: ,,Ungezählt sind die Arten der Lebewesen der Erde, unbegrenzt (...) ihr Selbster-
haltungstrieb sowie die Sehnsucht der Forterhaltung, begrenzt hingegen der Raum, auf dem
dieser ganze Lebensprozeß sich abspielt. (…) In dieser Begrenzung des Lebensraumes liegt
der Zwang zum Lebenskampf (…).“16 Hier schloss Hitler argumentativ die Notwendigkeit