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Iwan-Michelangelo D‘Aprile
Friedrich und die
Aufklärer
Die Aufklärung in Brandenburg-Preußen ist mit keinem Namen so sehr verbunden
wie mit Friedrich dem Großen. Trotzdem wurden erst nach Friedrichs Regierungs-
zeit mit den Preußischen Reformen ab 1806 zentrale politische Forderungen der Auf-
klärung umgesetzt. Ohne eine Reihe von Aufklärern wäre diese Gesellschaftsmo-
dernisierung nicht möglich gewesen. Dies gilt für die Zirkel französischer Aufklärer
am Hof in Sanssouci sowie für bestimmte Formen bürgerlicher Aufklärung in den
brandenburgischen Städten bis zu den Volksaufklärern auf dem Land. Anhand von
20 Porträts wird in diesem Buch die Gründungsepoche des modernen Brandenbur-
gisch-Preußischen Staates anschaulich gemacht. Verschiedene Persönlichkeiten und
Orte der Aufklärung in Brandenburg (von Frankfurt (Oder) über Potsdam bis Perle-
berg, Gielsdorf, Ruppin und Reckahn) werden vorgestellt.
www.edition-brandenburg.de
Iwan-Michelangelo D‘Aprile
Friedrich und die
Aufklärer
Basierend auf einer Serie in derMärkischen Oderzeitung
ISBN 978-3-941092-86-0
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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MOZ Redaktion GmbHRedaktion: Gitta DietrichGestaltung: Mario Schrötz
Druck Print & Media Merten Schmidt, Dänschenburg
Berlin/Wildeshausen 2012Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Buch erscheint in der Reihe Edition Brandenburg der Märkischen Oderzeitung und CULTURCON medien.
Einleitung 05
Ezechiel Spanheim und das Edikt von Potsdam 10
Christian Thomasius und die Universitäten der Aufklärung 15
John Toland und die spinozistische Internationale in Brandenburg 20
Gottfried Arnold: Radikaler Pietismus in Perleberg 25
Pierre-Louis Moreau de Maupertuis und die Weltwissenschaften
in Brandenburg 30
Julien Offray de la Mettrie und die Philosophen von Sanssouci 35
Brandenburgs starke Frauen der Aufklärung 39
Gotthold Ephraim Lessing und die Theaterrevolution
in Frankfurt an der Oder 44
Moses Mendelssohn und die jüdische Aufklärung in Preußen 48
Daniel Nikolaus Chodowiecki und die Aufklärung im Bild 53
Die Struensees und der europäische Reformabsolutismus 57
Johann Heinrich Casimir von Carmer und das Allgemeine Landrecht 61
Friedrich Gedike: Erfinder des Abiturs aus der Prignitz 66
Karl Philipp Moritz und das Militärwaisenhaus in Potsdam 70
Friedrich Eberhard von Rochow und die Volksaufklärung 74
Jean le Rond d’Alembert und die Volksbetrugs-Preisfrage 79
Johann Heinrich Schulz und die selbstdenkenden Staatsbeamten 83
Hans von Held und die politischen Schriftsteller der Spätaufklärung 88
David Friedländer und das Emanzipationsedikt von 1812 92
Karl August von Hardenberg und der vernünftige Staat 97
Abbildungsnachweis 102
Personenregister 104
Weiterführende Literatur 108
Danksagung 112
Inhalt
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D ie Aufklärung war eine gesamteuropäische Reformbewegung, die
im späten 17. Jahrhundert in den Niederlanden, Frankreich und
Großbritannien ihren Anfang nahm, ab der Mitte des 18. Jahrhun-
derts in Paris ihr Zentrum hatte und sich in den unterschiedlichen europä-
ischen Regionen, aber auch außerhalb von Europa – etwa in Lateinamerika
oder im Osmanischen Reich – bis ins 19. Jahrhundert ausbreitete. Histori-
ker bezeichnen das Zeitalter der Aufklärung deshalb auch als das „lange
18. Jahrhundert“.
Diese Reformbewegung betraf alle Bereiche der Gesellschaft. Die leid-
volle Erfahrung der konfessionellen Bürgerkriege im 16. und 17. Jahrhun-
dert führte zu einer veränderten Staatsauffassung im Zeichen von Aufklä-
rung und der Religionstoleranz. In den holländischen Stadtstaaten, in der
Englischen Revolution von 1688/89, aber auch in einigen „absolutistischen“
Fürstenstaaten im späteren 18. Jahrhundert wurden Rechtsgleichheit und
Glaubensfreiheit zu politischen Zielvorstellungen. Zu den ersten, welche
die alte politische Ordnung in Frage stellten, gehörten Baruch de Spinoza
und John Locke. So entwarf Spinoza im Jahr 1670 am Beispiel Amsterdams
das Modell eines liberalen Staates, dessen Macht nicht auf der Angst, son-
dern der Vernunft seiner Bürger beruht und in dem es „jedem erlaubt ist,
zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt.“ Und in England for-
mulierte John Locke in seinen „Zwei Abhandlungen von der Regierung“
(1689) erstmals das Prinzip der individuellen Grund- und Freiheitsrechte,
auf welche die Regierung keinen Zugriff haben dürfe. In der Amerikani-
schen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 und der Französischen
Menschenrechtserklärung vom 26. August 1789 wurden allgemeine und
gleiche Menschenrechte als Grundlage des Staates festgeschrieben – hier
beginnt die Geschichte moderner Verfassungsstaaten.
Einleitung
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Zweitens war mit der Aufklärung eine Verwissenschaftlichung des bis
dahin noch weitgehend theologischen Weltbildes verbunden. Ausgehend
von England und Frankreich wurden überall in Europa Akademien der
Wissenschaften geschaffen, in denen neben der Grundlagenforschung
immer auch die technische und soziale Anwendung dieses Wissens er-
kundet wurde. Der erste Präsident der Londoner „Royal Society“, der
Physiker und Mathematiker Isaac Newton (1642-1727), galt im 18. Jahr-
hundert unangefochten als wichtigster Wegbereiter der Aufklärung. Den
Optimismus, dass wissenschaftlich-technische Modernisierung auch zu
gesellschaftlichem Fortschritt führen könne und dass es in der Hand der
Menschen selbst liege, dass die Zukunft besser als die Vergangenheit wer-
de, teilten die meisten Aufklärer. Vor allem aber war die neue Reformbe-
wegung eine grenzüberschreitende Kommunikationsgemeinschaft – von
den Pariser Salons über die schottischen Universitäten bis zu den nord-
italienischen oder baltischen Städten wurden die gleichen Bücher gelesen
und ähnliche Fragen diskutiert.
Die Aufstiegsgeschichte des brandenburgisch-preußischen Staates
zur europäischen Großmacht zwischen dem Ende des Dreißigjährigen
Krieges 1648 und dem ausgehenden 18. Jahrhundert war von Anfang an
untrennbar mit der Aufklärung verbunden. Für den vom Krieg verwüste-
ten und entvölkerten Staat mit einem Flickenteppich als Territorium und
unterschiedlichsten Konfessionen war Aufklärung immer auch Sach-
zwang und Staatsraison – etwa in Form der Toleranzpolitik. Zum einen
lag diese wegen des konfessionellen Zwiespalts zwischen calvinistischem
Herrscherhaus und lutherischer Bevölkerungsmehrheit im unmittelba-
ren dynastischen Interesse der Hohenzollern. Zum anderen wäre der Auf-
schwung Preußens seit der Regierungszeit des Großen Kurfürsten ohne
Zuwanderung undenkbar gewesen: seit dem Potsdamer Toleranzedikt von
1685 waren unter anderem 20 000 Hugenotten, 20 000 Protestanten aus
Salzburg, tausende Immigranten aus Böhmen sowie Juden aus Osteuropa
gekommen. Die Einwanderer hatten von der Textilherstellung bis zum
Anbau von bis dahin unbekannten Nutzpflanzen zahlreiche neue Gewer-
bezweige gegründet. Auch die Förderung der Buch- und Pressekultur als
Basis der Aufklärung lag zunächst vor allem im ökonomischen Interesse
des Staates. Ein Charakteristikum der preußischen Aufklärung ist daher
das Spannungsverhältnis zwischen einer offiziellen Aufklärung als Herr-
schaftsrechtfertigung und der aufklärerischen Kritik an den gesellschaft-
lichen Verhältnissen. Dabei lassen sich drei Phasen unterscheiden.
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Die Periode vom späten 17. Jahrhundert bis zum Beginn der Regierungs-
zeit Friedrichs des Großen 1740 kann man als Phase der Frühaufklärung
bezeichnen. Sie ist vor allem durch die Anbindung an die protestantischen
und insbesondere calvinistischen Netzwerke in den Zentren der westeu-
ropäischen Frühaufklärung in Holland, England und Frankreich gekenn-
zeichnet. Aber auch auf dem Gebiet der Wissenschaften wurden hier wich-
tige Grundlagen der Aufklärung geschaffen: etwa mit der Einrichtung der
Reformuniversität in Halle (1694), mit aufklärerischen Professoren an der
Viadrina in Frankfurt oder mit der Gründung der Akademie („Societät“)
der Wissenschaften durch Gottfried Wilhelm Leibniz und Kurfürst Fried-
rich III. im Jahr 1700. Leibniz und die Königin Sophie Charlotte standen zu
dieser Zeit im Briefwechsel mit Gelehrten in ganz Europa.
Die friderizianische Regierungszeit nach 1740 war unbestritten die
Phase der Hochaufklärung in Brandenburg-Preußen. Friedrichs Blick
orientierte sich vor allem an Paris, dem seinerzeit unangefochtenen Zen-
trum der europäischen Aufklärung. Es gelang ihm, europaweit führende
Wissenschaftler und Gelehrte nach Potsdam zu holen, das bis dahin auf
der imaginären Karte der Aufklärung ein weißer Fleck gewesen war. Bis
zum Zerwürfnis mit Voltaire und dessen Flucht aus Preußen im Jahr
1753 sahen viele Aufklärer in Friedrich einen Hoffnungsträger, der die
Verbindung von Vernunft und Macht zu verkörpern schien. Zeitgleich
bildeten sich in Berlin neue Formen einer bürgerlich-städtischen Aufklä-
rung heraus, die sich in zahlreichen Gründungen von Zeitschriften und
gelehrten Gesellschaften manifestierten. Nicht zuletzt wurde Berlin zum
europäischen Zentrum der jüdischen Aufklärung, der „Haskala“. Gott-
hold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai sind
nur die bekanntesten einer Reihe von Aufklärern, die es nun in die größte
märkische Stadt zog.
Die Phase der Spätaufklärung ab 1780 schließlich lässt sich durch eine
zunehmende Politisierung und Popularisierung charakterisieren. Die Pri-
vilegien des Adels, wie Steuerfreiheit und ständische Gerichtsbarkeit, sowie
die Leibeigenschaft der Bauern wurden schon vor der Französischen Revo-
lution in Frage gestellt. Die Aufklärung der ländlichen Bevölkerung, die
mit 80 Prozent die weitaus größte Schicht ausmachte, wurde von reform-
orientierten Pastoren in der Provinz und Landadligen als drängendste
Aufgabe erkannt. Und so wie die Revolution von 1789 in Frankreich als
Verwirklichung der Ideen der Aufklärung galt, so wurden in Preußen viele
ihrer politischen Forderungen in der Reformzeit nach 1806 umgesetzt.
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Auch wenn Friedrich der Große sich als der erste Aufklärer im Staa-
te Preußen stilisierte, ist er in einer Entwicklung zu sehen, die weit über
ihn hinausweist. In diesem Band wird die Aufklärung in Brandenburg an
Hand von 20 Porträts anschaulich gemacht, in denen ausgewählte Persön-
lichkeiten und Orte – von Frankfurt an der Oder und Potsdam bis Perle-
berg, Gielsdorf, Ruppin oder Reckahn – vorgestellt werden. Die Auswahl
der Porträts folgt zwei Leitlinien: Zum einen stehen sie exemplarisch für
zentrale Entwicklungen der Brandenburgischen Geschichte zwischen 1685
und 1820. Und zum anderen soll die Aufklärung in Brandenburg in ih-
rer geographischen, personellen und thematischen Breite anschaulich
gemacht werden. Deshalb sind den beiden bekanntesten Protagonisten,
Friedrich selbst und Voltaire, keine eigenen Porträts gewidmet. Dies kann
man an anderer Stelle ausführlicher nachlesen, etwa in den empfehlens-
werten Studien von Jürgen Luh oder Jens Bisky anlässlich von Friedrichs
300. Geburtstag. Hier werden vielmehr Persönlichkeiten vorgestellt, die zu
Unrecht in der zweiten Reihe stehen und ohne die das Bild der Aufklärung
in Brandenburg unvollständig wäre. Wenn das Buch an der einen oder an-
deren Stelle zum Weiterlesen anregt, hat es seinen Zweck erfüllt.
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Friedrich und die Aufklärer
Eines der ersten und zugleich berühmtesten Zeugnisse der Auf-
klärung in Brandenburg ist das Edikt von Potsdam aus dem
Jahr 1685. Der Brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm
hatte es am 29. Oktober in Reaktion auf die Verfolgung seiner
protestantischen Glaubensgenossen in Frankreich und die Auf-
hebung des Edikts von Nantes durch den französischen König Ludwig
XIV. erlassen. Mit dem Potsdamer Edikt gewährte Friedrich Wilhelm
den französischen Hugenotten nicht nur Asyl, sondern auch zahlreiche
Integrationshilfen und Steuererleichterungen. Er begründete damit eine
Brandenburger Toleranztradition, die schon im 18. Jahrhundert sprich-
wörtlich wurde und die einen wesentlichen Aspekt der Aufklärung in
Brandenburg ausmacht.
Die Toleranzpolitik des Großen Kurfürsten war eine kluge Antwort
auf zwei machtpolitische und ökonomische Herausforderungen: Nach
dem Dreißigjährigen Krieg war das Land in weiten Teilen entvölkert,
so dass die gut ausgebildeten, meist aus der Handwerker- und Händler-
schicht stammenden Franzosen entscheidend zum modernisierenden
Wiederaufbau beitragen konnten. Zudem konnte Friedrich Wilhelm
durch die Ansiedlung von Glaubensbrüdern auch seine Machtposition
stärken, da das Hohenzollern’sche Herrscherhaus im Unterschied zur
lutherischen Bevölkerungsmehrheit selbst calvinistischer Konfession
war. Rückblickend gilt die Ansiedlung als Beispiel besonders gelungener
Integration. Die Hugenotten brachten nicht nur neue Wirtschaftszweige
Ezechiel Spanheim und das Edikt von Potsdam
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nach Brandenburg, sondern auch kluge Köpfe, zu deren Nachfahren etwa
der bis heute berühmteste Schriftsteller Brandenburgs Theodor Fontane
(1819-1898) gehört.
Ermöglicht wurde der geschickte Schachzug auch, weil Friedrich Wil-
helm durch seinen wichtigsten Verbindungsmann in Paris, den deutsch-
französischen Diplomaten und Gelehrten Ezechiel Spanheim (1629-1710),
über alle Vorgänge in Frankreich bestens informiert war. Geboren am
7. Dezember 1629 in Genf wurde Spanheim an protestantischen Zentren
wie der Universität Leiden in Holland und der von Calvin begründeten
Genfer Akademie ausgebildet. Ab 1680 war Spanheim als Kurbrandenbur-
gischer Resident (d. h. als Botschafter) in Paris ansässig. Hier erlebte er die
zunehmenden Repressalien gegen die hugenottische Bevölkerung als un-
mittelbar Betroffener. Er gewährte einer großen Zahl von Glaubensgenos-
sen Zuflucht in seinem Haus und verhalf ihnen zur Ausreise. Bereits vor
1685 berichtete er Friedrich Wilhelm über die „grausamen Verfolgungen
ihrer reformierten Landsleute“. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes
startete Friedrich Wilhelm mit Hilfe von Spanheim sofort eine Publikati-
onskampagne und verteilte das Potsdamer Toleranzedikt in einer Auflage
von rund 5.000 Exemplaren in Frankreich. Eile war geboten, denn auch
andere protestantische Staaten wie Holland oder England warben um die
Hugenotten. Der Kurfürst stellte den Flüchtlingen frei, sich innerhalb des
brandenburgisch-preußischen Territoriums „denjenigen Ort, welchen sie
[…] zu ihrer Profession und Lebensart am bequemsten finden werden, zu
erwählen.“ Die Kampagne war erfolgreich: Zwischen 1685 und 1715 ka-
men rund 20.000 Hugenotten nach Brandenburg. Bis 1687 wurden die
ersten französischen Kolonien (neben Berlin) in der Stadt Brandenburg, in
Rheinsberg, Schwedt, Vierraden und Klein-Ziethen in der Uckermark, in
Köpenick und in Frankfurt an der Oder gegründet.
Im Mai 1689 wurde Spanheim nach Brandenburg zurückberufen, um
hier das „Kommissariat für Französische Angelegenheiten“ zu überneh-
men, das für die Umsetzung des Edikts von Potsdam vor Ort zuständig
war. Spanheim wurde Gründungsdirektor des neu gegründeten Franzö-
sischen Gymnasiums, Leiter des französischen Oberkonsistoriums und
Gründer der Spanheim-Gesellschaft, eines gelehrten Netzwerkes, zu
dem unter anderem Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) gehörte und
aus dem die Leibniz’sche Akademie der Wissenschaft hervorging. Span-
heims umfassende Privatbibliothek, die er Friedrich I. verkaufte, bildete
den Grundstein für die 1701 gegründete Königliche Bibliothek zu Berlin,