28. April 2014
Arzneimitteltherapie im höheren Lebensalter: Medikationsfehler und PRISCUS-Liste
Prof. Dr. med. Petra A. ThürmannPhilipp Klee-Institut für Klinische PharmakologieHELIOS Klinikum WuppertalLehrstuhl für Klinische PharmakologieUniversität Witten/Herdecke
Folie 2
Potentielle Interessenskonflikte
Angestellt:bei HELIOS; keine leistungsbezogenen Gehaltsanteile
Beratungstätigkeit:Biotest Pharma AG; MYR
Honorare:rottapharm Maddaus (Vortrag), Bayer Healthcare AG (Vortrag)
Finanzierung wissenschaftlicher Untersuchungen:Biotest Pharma AG (Phase I Studie); Bayer HealthcareAG (Phase I Studien), BMBF, BMG
Aktienbesitz:keine
Folie 3
Leitliniengerechte (?) Therapie, Frau 81 Jbei Hypertonie, Hypercholesterinämie, z.N. Herzinfark t, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus Typ 2, Osteoporose , Kniegelenksarthrose
Medikament Einnahme Indikation
Ramipril 5 mg 1-0-1 Hypertonie, Herzinsuffizienz
HCT 25 mg 1-1-0 Hypertonie, Herzinsuffizienz
Metoprolol 50 mg 1-0-1 Hypertonie, Herzinsuffizienz
Spironolacton 25 mg 1-0-0 Herzinsuffizienz
ASS 100 mg 1-0-0 Z.n. Infarkt
Simvastatin 40 mg 0-0-1 Hypercholesterinämie, Z.n. Infarkt
Eucreas® (Metformin 850 mg/ Vildagliptin 50 mg)
1-0-1 Diabetes mellitus Typ 2
Naproxen 250 mg 1-1-1 Kniegelenksarthrose (bei Bedarf)
Omeprazol 20 mg 1-0-0 Magenschutz (ASS + NSAR)
Fosavance(Alendronsäure/Vitamin D)
1 mal wöch.
Osteoporose
Mirtazapin 30 mg 0-0-0-1 Depression, Schlafstörung
Folie 4
Warum kann das nicht gut sein?
Folie 5
Polypharmazie: eine Quelle für Medikationsfehler und Nebenwirkungen
• Polypharmazie � Interaktionen � Nebenwirkungen
� Adhärenz
Unübersichtlichkeit � Dosierungen, Doppelverordnungen
Nebenwirkungen � Verordnungskaskaden
• Medikationsfehler = Fehler im Medikationsprozess, die
durch den Arzt, die Pflegekraft, den Apotheker oder den
Patienten selbst verursacht werden.
• Medikationsprozess umfasst alle Aspekte von der
Auswahl des Medikamentes, seiner Dosierung bis hin zur
Verabreichung beim oder Anwendung durch Patienten.
Folie 6
Non-Adhärenz als Ursache für UAEs bei Älteren
Kohortenstudie an ca. 30.000 Medicare-Versicherten ü ber 12 MonateMittleres Alter 74 Jahre, zu Hause lebendN = 1523 UAEs
0
10
20
30
40
50
60
70
Verordnungsfehler Monitoring Fehler Patient non Compl iance Dispensierfehler
Pro
zen
t (%
)vermeidbar
nicht vermeidbar
Gurwitz JH et al, JAMA 2003
Folie 7
Adhärenz mit der Herzinsuffizienz-Medikation und Mortalität
Gislason et al, Circulation 2007
Gis
laso
net
al,
Circ
ulat
ion
2007
Folie 8
Non-Adhärenz bei oralen Antidiabetika als Ursache für stationäre Einweisungen?
Antidiabetika !
Über-Compliance bei oralen Antidiabetika häufiger bei einmal täglicher Applikation als bei 2-3 mal täglicher Einnahme!Winkler et al, Swiss Med Wkly 2002
Netzwerk regionaler Netzwerk regionaler Netzwerk regionaler Netzwerk regionaler PharmakovigilanzzentrenPharmakovigilanzzentrenPharmakovigilanzzentrenPharmakovigilanzzentren
Bei ca. 2/3 der Patienten war non-Adhärenz die Ursache für UAE(Reimann IR et al, 2007)
Folie 9
Ab wie vielen Einnahmen bzw. Tabletten/d wird‘s kritisch?
• Zwischen einmal und zweimal tägl. Einnahme meist kein Unterschied in der Adhärenz (Eisen et al, Arch Intern Med. 1990; Kruse et al, Int J Clin Pharmacol Ther 1994)
• Bei einmal täglicher Gabe etwa doppelt so viele Tage ganz ohne Medikation im Vergleich zu zweimal tägl. Einnahme (Kruse et al, Int J Clin Pharmacol Ther 1994)
• Ab 3 mal täglicher Einnahme signifikante Reduktion der Adhärenz (Paes et al, Diabetes Care 1997)
• Abendlich Dosen fallen eher aus als morgendliche (Kruse et al, Int J Clin Pharmacol Ther 1994)
Folie 10
Ab wie vielen Einnahmen bzw. Tabletten/d wird‘s kritisch?
• Zwischen einmal und zweimal tägl. Einnahme meist kein Unterschied in der Adhärenz (Eisen et al, Arch Intern Med. 1990; Kruse et al, Int J Clin Pharmacol Ther 1994)
• Bei einmal täglicher Gabe etwa doppelt so viele Tage ganz ohne Medikation im Vergleich zu zweimal tägl. Einnahme (Kruse et al, Int J Clin Pharmacol Ther 1994)
• Ab 3 mal täglicher Einnahme signifikante Reduktion der Adhärenz (Paes et al, Diabetes Care 1997)
• Abendlich Dosen fallen eher aus als morgendliche (Kruse et al, Int J Clin Pharmacol Ther 1994)
Folie 11
Arzneistoff Dosis Indikation
Valsartan 80 mg 1-0-0-0 Hypertonie
Torasemid 20 mg 1-1-0-0 Hypertonie/Herzinsuffizienz
Bisoprolol 5 mg 1-0-0-0 Hypertonie/Vorhofflimmern/HI
ß-Acetyldigoxin 0,2 mg 1-0-0-0 Vorhofflimmern/Herzinsuffizienz
ASS 100 mg 1-0-0-0 Vorhofflimmern
Metamizol 500 mg 1-1-1-0 Gonarthrose/Schmerztherapie
Fentanyl Matrixpfl. 12 µg/h Di + Fr Gonarthrose/Schmerztherapie
MCP Supp. 10 mg 1-0-1-0 Übelkeit
Risperidon 1 mg 1-0-2-0 Unruhezustände bei Demenz
Alprazolam 0,5 mg ½-½-1-0 Unruhezustände
Promethazin 30 mg 1-1-1-0 Unruhezustände/Übelkeit
Prothipendyl 0-0-0-1 Unruhezustände
Dimenhydrinat Supp. 4 x 1 Supp. bei Übelkeit
Promethazin 30 mg 3 x 30 mg bei Unruhezuständen
Medikationsprobleme und Fehler …Medikation einer Heimbewohnerin
Folie 12
• 1. stationäre Aufnahme wegen Verschlechterung des Allgemeinzustandes.
• Entlassungsbrief: verordnet u. a. Novodigal 0,1 mg.
• Arztpraxis schickt Rezept über Digotab 0,2 mg.
• 2. stationäre Aufnahme wegen anhaltender Nausea und Emesis.
• Entlassungsbrief: verordnet u. a. Novodigal 0,1 mg.
• Arztpraxis schickt Rezept über Digotab 0,2 mg.
• Pflegebericht: Allgemeinzustand (Erbrechen) bessert sich nicht. Unruhe und Verwirrtheit nehmen weiter zu.
• Im Rahmen der präfinalen Palliativmassnahmen werden bis auf Analgetika alle Medikamente abgesetzt
• Nach einer Woche Patientin allseits orientiert, isst mit Appetit
Epikrise
Folie 13
Arzneistoff Dosis Indikation
Valsartan 80 mg 1-0-0-0 Hypertonie
Torasemid 20 mg 1-1-0-0 Hypertonie/Herzinsuffizienz
Bisoprolol 5 mg 1-0-0-0 Hypertonie/Vorhofflimmern/HI
ß-Acetyldigoxin 0,2 mg 1-0-0-0 Vorhofflimmern/Herzinsuffizienz
ASS 100 mg 1-0-0-0 Vorhofflimmern
Metamizol 500 mg 1-1-1-0 Gonarthrose/Schmerztherapie
Fentanyl Matrixpfl. 12 µg/h Di + Fr Gonarthrose/Schmerztherapie
MCP Supp. 10 mg 1-0-1-0 Übelkeit
Risperidon 1 mg 1-0-2-0 Unruhezustände bei Demenz
Alprazolam 0,5 mg ½-½-1-0 Unruhezustände
Promethazin 30 mg 1-1-1-0 Unruhezustände/Übelkeit
Prothipendyl 0-0-0-1 Unruhezustände
Dimenhydrinat Supp. 4 x 1 Supp. bei Übelkeit
Promethazin 30 mg 3 x 30 mg bei Unruhezuständen
Medikationsprobleme und Fehler …Medikation einer Heimbewohnerin
Folie 14
Problemfelder
• Wirkungen von Medikamenten im Alter �
• Verordnungskaskaden
• Dosierung nicht Altersgerecht - Nierenfunktion
• Nebenwirkung oder (neue) Krankheit?
• Selbst leicht demente Patienten können sich zur Kognition nur begrenzt äußern
• Kompetenz der Pflegenden (Beobachtung) wurde nicht berücksichtigt
• Kommunikation Heim – Hausarzt - Krankenhaus –Hausarzt – Heim …
Folie 15
• Polypharmazie• Iscover im Haus nicht
vorhanden, gegen Plavixausgetauscht
• Operativer Eingriff geplant• Iscover sollte abgesetzt
werden• Plavix ≠ Iscover?• Plavix wurde nicht
pausiert �Op verschoben
Medikation an den Sektorengrenzen und im stationären Bereich
Folie 16
Maßnahmen zur Verbesserung
• Sensibilisierung von Ärzten und Pflegenden für das
Thema Medikationssicherheit, Fortbildungen, …
elektronische Verordnung mit Decision Support
Systemen
• Broschüre für die UND Einbindung der Patienten
• Medikationsplan bei Entlassung und Gespräch mit dem
Patienten
– Therapiedauer (z.B. Schmerzmedikation, PPIs)
– Besonders kennzeichnen: neue Medikation
Folie 17
Maßnahmen zur Verbesserung
• Sensibilisierung von Ärzten und Pflegenden für das
Thema Medikationssicherheit, Fortbildungen, …
elektronische Verordnung mit Decision Support
Systemen
• Broschüre für die UND Einbindung der Patienten
• Medikationsplan bei Entlassung und Gespräch mit dem
Patienten
– Therapiedauer (z.B. Schmerzmedikation, PPIs)
– Besonders kennzeichnen: neue Medikation
Folie 18
Maßnahmen zur Verbesserung
• Sensibilisierung von Ärzten und Pflegenden für das
Thema Medikationssicherheit, Fortbildungen, …
elektronische Verordnung mit Decision Support
Systemen
• Broschüre für die UND Einbindung der Patienten
• Medikationsplan bei Entlassung und Gespräch mit dem
Patienten
– Therapiedauer (z.B. Schmerzmedikation, PPIs)
– Besonders kennzeichnen: neue Medikation
Folie 196. Nationaler Qualitätskongress Gesundheit 2012
Der Medikationsplan soll:
• - Einen hohen Wiedererkennungswert haben
• - der Vereinheitlichung der Arzneimittel-Dokumentation dienen
• - Sektorale Grenzen überwinden
• - Dient den Patienten als zentrale, haptische und visuelle Orientierungshilfe
• - den Leistungserbringern als Aktualisierungs- und Koordinierungsmedium in der Behandlungskette
Aktionsplan AMTS 2010-2012 des BMG
Checklisten für das ärztliche Schnitt-stellenmanagement zwischen den Versorgungssektoren
Der Medikationsplan
Folie 20
Pharmakotherapie im Alter –überprüfen & nach dem Therapieziel fragen!
� Einmal jährlich Medikationscheck
� Alles noch indiziert?
� Verträglichkeit?
� Wechselwirkungen?
� OTC-Präparate
� Einmal jährlich Nierenfunktion überprüfen
� Gerinnungshemmer (ASS bis Phenprocoumon) –Blutungsprobleme?
� Neue Symptome – neue Krankheit oder Nebenwirkung?
� Stürze und Kognition
Folie 21
Kriterien für Potentiell Inadäquate Medikation ( PIM)
• Arzneistoffe oder Arzneistoffklassen, die generell bei Älteren vermieden werden sollten aufgrund mangelnder Wirksamkeit, eines hohen UAW-Risikos oder des Vorhandenseins sicherer Alternativen
• Arzneimittel, die allgemein bei älteren Patienten geeignet sind, aber bei bestimmten Erkrankungen vermieden werden sollten
• Bestimmte Dosierungen, die im Alter vermieden werden sollten
Holt, Schmiedl & Thürmann, Deutsch Ärztebl Int 2010
Folie 22
Kriterien für Potentiell Inadäquate Medikation ( PIM)
• Arzneistoffe oder Arzneistoffklassen, die generell bei Älteren vermieden werden sollten aufgrund mangelnder Wirksamkeit, eines hohen UAW-Risikos oder des Vorhandenseins sicherer Alternativen
• Arzneimittel, die allgemein bei älteren Patienten geeignet sind, aber bei bestimmten Erkrankungen vermieden werden sollten
• Bestimmte Dosierungen, die im Alter vermieden werden sollten
- Anticholinergika, z.B. einige Urologika, TZA
- Fall-risk increasing drugsz.B. schnell-wirksames Nifedipin,Doxazosin- Langwirkende Benzodiazepine
- Verschiedene NSAID z.B. Indometacin
Folie 23
• 65-jähriger rüstiger Herr in gutem Allgemeinzustand
(78 kg KG; 1,78 m; Serum-Krea. 1,1 mg/dl; Krea.-Clearance 73,86 ml/min)
• Osteoporose (idiopathisch), daher Schmerzen:
Bisphosphonat (Alendronsäure, 70 mg/Woche)
Fentanyl-TTS (50 µg/h)
Ibuprofen (2 x 400 mg bei Bedarf)
• Blasenfunktionsstörung: Oxybutynin (20 mg/d)
• Hypertonie: Ramipril (10 mg/d)
• Umstellung (trotz Zufriedenheit des Patienten) der Schmerzmedikation:
Oxycodon (retard-Präparat, 2x80 mg/d)
Amitriptylin (2x 75 mg/d)
Fallbeispiel
Folie 24
• 65-jähriger rüstiger Herr in gutem Allgemeinzustand
(78 kg KG; 1,78 m; Serum-Krea. 1,1 mg/dl; Krea.-Clearance 73,86 ml/min)
• Osteoporose (idiopathisch), daher Schmerzen:
Bisphosphonat (Alendronsäure, 70 mg/Woche)
Fentanyl-TTS (50 µg/h)
Ibuprofen (2 x 400 mg bei Bedarf)
• Blasenfunktionsstörung: Oxybutynin (20 mg/d)
• Hypertonie: Ramipril (10 mg/d)
• Umstellung (trotz Zufriedenheit des Patienten) der Schmerzmedikation:
Oxycodon (retard-Präparat, 2x80 mg/d)
Amitriptylin (2x 75 mg/d)
Fallbeispiel
➨ Schwindel, Gangstörung, deutliche kognitive Beeinträchtigung, Mundtrockenheit
Folie 25
UAW-verdächtige Symptome -kurzgefasst
Prinzipiell kann jedes neue Symptom eine UAW sein – und
keine neue Krankheit
Symptom Verdächtige Arzneimittel
Sturz Benzodiazepine, Antihypertensiva, Trizyklische Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Doxepin), NSAID
Kognitionsstörungen Delir, Demenz, Somnolenz
Benzodiazepine, Trizyklische Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Doxepin), Neuroleptika
Gastrointestinale Symptome
Antibiotika, NSAID, Herzglykoside, Opoide
Folie 26
Werkzeuge zur Reduktion/Optimierung der Polypharmazie im Alter
Einmal jährlicher Medikationscheck und Überprüfung
nach stationärer Entlassung
„Leitlinien“ für ältere Menschen:
• Die FORTA-Kriterien (http://download.springer.com/static/pdf/110/art%253A10.1007%252Fs40266-
013-0146-0.pdf?auth66=1398696433_8d0cc7a464df6260177049f692868709&ext=.pdf)
• Hausärztliche Leitlinie Multimedikation
(http://www.kvhessen.de/kvhmedia/Downloads/Mitglieder/Leitlinien+_+Vorabversionen/Leitlinie+Multimedikation.pdf)
• Kognition/Stürze: PRISCUS-Liste
www.bpac.org.nz
Ja, kann
man denn
davon satt
werden?