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1 AUSGABE FRÜHLING/SOMMER 2015 Thema Wärme Wie Öko-Landwirte ihr Gewächshaus beheizen Warum wir dringend eine Wärmewende brauchen Wie Biogasherde Menschenleben retten Was Afrika hilſt, wenn die Dürre kommt

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AUSGABEFRÜHLING /SOMMER 2015

Thema

WärmeWie Öko-Landwirte ihr Gewächshaus beheizen

Warum wir dringend eine Wärmewende brauchen

Wie Biogasherde Menschenleben retten

Was Afrika hilft, wenn die Dürre kommt

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Heiße Zeiten

Die KfW ist einer der weltweit größten Finanzierer von Umwelt- und Klimaschutzprojekten. Unser Engagement hat nun auch eine wichtige internationale Anerkennung gefunden. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat angekündigt, nationale Entwicklungsbanken stärker in den Prozess der internationalen Klimafinanzierung einzubinden. Daher freuen wir uns, dass wir bei der UN-Klimakonferenz am Jahresende in Paris vertre-ten sein werden und unser Know-how einbringen können.

Schon heute engagieren wir uns national und international im Kampf gegen die globale Erwärmung, zum Beispiel in Marokko, wo wir den größten Solarpark der Welt mitfinanzieren (Seite 42). In Deutschland haben wir neue Förderprogramme aufgesetzt, um Investitionen in die Energieeffizienz gewerb-licher und kommunaler Gebäude sowie Produktionsanlagen anzuregen. Vor allem Wärme müssen wir nachhaltiger nutzen, wollen wir die Energiewende vollenden (Seite 14). Was beson-ders fortschrittliche Gemeinden und Unternehmen dafür tun, lesen Sie in unserer Deutschland-Reportage (Seite 28). In Entwicklungsländern ist bereits ein großer Fortschritt erreicht, wenn Menschen nicht über offenen Feuern kochen müssen. Der schadstoffhaltige Rauch, der dabei entsteht, kostet Millionen Leben. Wie Biogasherde in Bangladesch und Nepal Abhilfe schaffen, lesen Sie auf Seite 36. Für Bewohner des Senegal ist schnelles Handeln nach einer Dürre existenziell. Eine neue Versicherung half jetzt erstmals in Afrika (Seite 48).

Ich hoffe, Sie bekommen bei der Lektüre des Magazins einen Eindruck davon, wie sehr es sich lohnt, Verantwortung zu übernehmen und Veränderungen anzustoßen. Haben Sie einen schönen Sommer! Egal wie heiß es wird, seien Sie gewiss: In unserem Büro in Burkina Faso ist es noch heißer (Seite 54).

DR. ULRICH SCHRÖDER

Vorstandsvorsitzender der KfW Bankengruppe

WÄRME

Die Tomaten in Deutschlands größtem Bio-Gewächshaus haben es immer mollig warm – dafür sorgt das Blockheizkraft-werk nebenan. Der Landwirt-schaftsbetrieb Westhof Bio in Dithmarschen wird es dieses Jahr schaffen, seinen kompletten Energiebedarf aus eigener Kraft zu decken. Warum das Familien- unternehmen auf regenerative Energie setzt, erzählen Marketing- fachfrau Maike Carstens und die beiden Firmenchefs in der Reportage auf Seite 28. Rüdiger Nehmzow hat Maike Carstens für unser Cover fotografiert

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8Klimawandel

Volkswirt Zeuner und Politologe Lomborg

debattieren in London

26WechselhaftMeteorologin

Katja Horneffer über Kapriolen

des Wetters

40 HerzensprojektGründerin Diana Klückmann sucht Vorbilder für Heimkinder

28Netzwerker

Solarcomplex-Chef Müller erschließt regenerative

Energien für Kommunen

4 | CHANCEN

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14EnergiewendeWir müssen den Wärmeverbrauch drastisch senken

50 Tech-Pionier Unternehmer Kuhn setzt auf extra- dünne Dämmung

48 Schnelle Hilfe Wie sich Staaten gegen Dürrefolgen absichern

Inhalt

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6 Portfolio

REDEN 8 Dicke Luft?

KfW-Chefökonom Jörg Zeuner diskutiert mit Wissenschaftler Bjørn Lomborg

14 Deutschland braucht eine Wärmewende Warum es beim Stromsparen nicht bleiben darf

16 Fünf Hebel für eine W ärmewende So können wir unseren Energiebedarf senken

21 V on Polarfüchsen und HitzerekordenEine grafische Grad-Wanderung

25 Kommt kuscheln! Jörg Thadeusz will die Deutschen auftauen

26 Es bleibt unbeständig Warum unser Wetter ständig Kapriolen schlägt

HANDELN 28 Energie aus eigener Ernte

Drei clev ere Projekte aus Deutschland

36 Gesunde Küche W ie Biogasherde Menschen in Bangladesch schützen

40 Vorbilder gesuchtEine Unternehmerin macht Heimkindern Mut

42 Welt der Wärme W ie wir die Kraft von Feuer und Wasser nutzen

48 Wenn der Regen auf sich warten lässt Eine neue Dürrev ersicherung lindert Not in Afrika

50 »Unser Wachstum ist sehr sportlich«W ürzburger fertigen Hightech-Dämmmaterial

53 Kühle Häuser, warmes WasserDrei Projekte für nachhaltige Energienutzung

54 Im ewigen Hochsommer Von der Arbeit im heißesten Außenbüro der KfW

56 »Neue Musik für eine neue Zeit« Roland Diry erzählt v on einer besonderen Tournee

57 Impressum/Die Links auf der rechten Seite

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Returnon Invest

6 | CHANCEN

300 Millionen Kinder

will die globale Impfallianz Gavi in den nächsten fünf Jahren immunisieren – zum Beispiel gegen Keuchhusten oder Masern. Bei einer internationalen

Geberkonferenz in Berlin kamen Anfang des Jahres 7,5 Milliarden US-Dollar für dieses Vorhaben zusammen. Die Bundesregierung hat

600 Millionen Euro zugesagt. Einen Großteil der Summe wird der Geschäfts- bereich KfW Entwicklungsbank auszahlen, der sich seit vielen Jahren für

eine verbesserte Immunisierung von Kindern engagiert. Die Entwicklungsbank finanziert Impfstoffe und hilft beim Ausbau der Logistik, damit die

Impfstoffe gekühlt auch in entlegene Regionen gebracht werden können.

Ältere Chefs investieren wenigerMit zunehmendem Alter legen die Inha-ber kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) eine geringere Investitionsbereit-schaft an den Tag. Von den Firmenchefs, die älter als 60 Jahre sind, investiert nur noch jeder Dritte in sein Unternehmen, wie eine Studie von KfW Research zeigt. Für die Substanz der Betriebe hat die nachlassende Investitionsneigung gra-vierende Folgen. »Dadurch droht vielen kleinen und mittleren Unternehmen ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und an Anziehungskraft für neue Kunden. Das mindert den Wert des Unternehmens, in dem oft ein ganzes Arbeitsleben steckt«, sagt KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. Eine frühzeitige Nachfolge-regelung sehen die Autoren der Studie als wichtigen Baustein, um dem Problem zu begegnen. Mehr als 1,3 Millionen Inhaber von KMU sind hierzulande bereits 55 Jahre oder älter. Gleichzeitig rücken zu wenige Existenzgründer nach.

Mehr zum Thema in ›Fokus Volkswirtschaft‹, Nr. 85: www.kfw.de/fokus

Für grüne Fabriken

Viele internationale Unternehmen haben in den vergangenen Jahren Produktionsstandorte in Vietnam aufgebaut. Ein neues Schulungs-zentrum für effiziente und nachhaltige Produktionsmethoden soll dem Land nun dabei helfen, wettbewerbsfähig zu bleiben, Ressourcen

optimal zu nutzen und Umweltschutzanforderungen einzuhalten. Die DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH unterstützt das Zentrum ›Lean and Green Factory‹ an der Vietnamese-German University nahe Ho Chi Minh City. Dafür stellt die KfW-Tochter 191.000 Euro aus Mitteln des develoPPP.de-Programms des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung bereit. Privater Partner ist die Münchner Leonardo Group GmbH. Das Beratungs- und Weiterbildungsunternehmen investiert rund 260.000 Euro. Insgesamt umfasst das aktuelle Vietnam-Portfolio der DEG etwa 63 Millionen Euro.

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PORT FOLIO

Reservebatterie in XXL

Um regenerativen Strom wirt-schaftlich zu nutzen, müssen Energieversorger Wege finden, das Stromnetz bei jedem

Wetter stabil zu halten. In Schwerin hat die WEMAG zu diesem Zweck im September 2014 einen riesigen Batterie-speicher errichtet. Rund 25.000 Lithum- Ionen-Akkus mit fünf Megawatt Leistung helfen dabei, wetterbedingte Schwankungen in der Verfügbarkeit von Solar- und Windenergie ohne den Einsatz fossiler Kraftwerke auszuglei-chen. Gerade im Norden und Nordosten Deutschlands ist Windkraft verfügbar. Mithilfe der Akkus in Schwerin entsteht dafür Platz im Netz. Der Batteriespeicher hilft dabei, die Energiewende erfolg- reich umzusetzen. Derzeit ist er der größte kommerzielle Speicher Europas – schon in der Startphase war er profitabel. Finanziert wurde das Projekt mit einem Darlehen in Höhe von vier Millionen Euro aus dem KfW-Programm ›IKU – Kommunale Energieversorgung‹.

»Europa verdient unsere Solidarität.

Wir sind Teil von Europa und sollten unseren

Teil zum Gelingen des europäischen Einigungswerkes

beitragen.«

Dr. Ulrich Schröder,

KfW-Vorstandsvorsitzender

Alles über das Europa-Engagement der KfW: www.kfw.de/europa

Nordsee unter Strom

Hunderte Kilometer Nordsee liegen zwischen der Küste Deutschlands und der Norwegens – doch die Strommärkte der beiden Länder werden nun direkt miteinander verbunden: Der norwegische Stromkonzern Statnett, der Übertragungsnetzbetreiber TenneT und die KfW haben die

Verlegung eines Seekabels von 623 Kilometern Länge beschlossen. Rund 1,5 bis zwei Milliarden Euro sollen in das Projekt NordLink investiert werden. Durch das 1.400-Megawatt-Kabel fließt künftig überschüssig erzeugte Wind- und Sonnen-energie aus Deutschland nach Norwegen. Im Gegenzug lassen sich Verbrauchs-spitzen hierzulande mit norwegischer Wasserkraft ausgleichen. Für Deutschland ist NordLink ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Unabhängigkeit von nicht erneuerbaren Energiequellen – und damit ein Eckpfeiler der Energiewende.

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RE

DE

N

WORT WECHSEL

8 | CHANCEN Wärme

Dicke Luft?Ein Disput über den richtigen Umgang mit dem Klimawandel und eine effektive Entwicklungshilfe.

Interview: Dr. Christian Chua, Fotos: Frank Blümler

DR. BJØRN LOMBORG

leitet das Copenhagen Consensus Center. Weltweit bekannt wurde der Politikwissen-schaftler und Statistiker mit dem kontrovers diskutierten Bestseller ›Apocalypse No!‹, worin er zentrale Positionen von Klimaschützern infrage stellt. Gemeinsam mit Nobelpreisträgern initiierte der Däne den ›Copenhagen Consen-sus‹, einen Aufgabenkatalog für die Entwicklungspolitik. Das Magazin ›Time‹ zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Menschen weltweit.

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DR. JÖRG ZEUNER

ist der Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe. Bevor

Zeuner von der Liechten steiner VP Bank zu Deutschlands

größter Förderbank stieß, war er fast zehn Jahre für den Inter -

natio nalen Währungsfonds (IWF) in vielen Stabilisierungs- und

Reformprogrammen weltweit tätig. Der Ökonom lehrt

Angewandte Makroökonomik an der Ruhr-Universität

Bochum und International Finance an der Hoch-

schule St. Gallen.

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Vor sechs Jahren verständigte sich die UN-Weltklimakonferenz in Kopenhagen darauf, den Anstieg der Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau auf weniger als zwei Grad zu begren - zen. Ist das Abschlussdokument bereits Makulatur?ZEUNER Nein, aber der Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende November in Paris muss mit einem verbindlichen internationalen Klima-schutzabkommen die Weichen für den Schutz des Weltklimas stellen. An der Verbindlichkeit mangelt es bisher. LOMBORG Dem stimme ich absolut zu. Die Politik ist gefordert. Ich fürchte aber, es gibt keine sinnvolle globale Lösung, die in CO₂-Zielen verankert ist. Niemand stößt CO₂ mutwillig aus, um das Klima zu belasten. Der CO₂- Ausstoß ist die Nebenwirkung einer Energieerzeugung, die für die Industrie-nationen lange Zeit von enormem Nutzen war und immer noch ist. Gleich-zeitig sind die Kosten zur Senkung von CO₂-Emissionen hoch. Wir sehen das derzeit in Deutschland. Warum sollten die Entwicklungs- und Schwellenländer auf günstige Energie verzichten und teure CO₂-Ziele anstreben?

Was können wir also tun? ZEUNER Die Industrieländer müssen hier Vorreiter sein, allen voran Deutsch-land. Wir vollziehen die Energiewende ja auch, weil wir uns das materiell eher leisten können als die Entwick-lungs- und Schwellenländer, und sorgen so für Innovation und Fortschritt. Die KfW finanziert Umwelt- und Klima-schutz weltweit und sie transferiert Know-how. Dabei weiß niemand besser als wir, dass Umweltschutz am Ende auch wirtschaftlich sein muss. Wir reden fast täglich mit Unternehmern darüber. LOMBORG Wir müssen erheblich mehr Geld in Innovationen investieren, um günstigere Solar- und Windenergie mit einer besseren Energiespeicherung zu entwickeln. Zudem müssen wir einen Weg finden, um China und Indien an

Bord zu holen. Klimaschutz muss so günstig sein, dass alle Länder mitmachen wollen. Aber wenn man sich die europäische Lösung anschaut und feststellen muss, dass Spanien aktuell mehr Geld für Subventionen erneuerbarer Energien ausgibt als für höhere Bildung, dann könnten viele zu dem Schluss kommen, dass die Prioritäten möglicherweise falsch gesetzt sind. ZEUNER Zugegeben, die Energie - wende in Deutschland ist teuer, Fehler wurden gemacht und müssen korrigiert werden. Aber neue Techno-logien sind anfangs immer kostspielig. Und noch etwas sollten Sie berück-sichtigen: Wenn wir in der EU einen besser funktionierenden Markt für CO₂-Verschmutzungsrechte hätten, wäre es hierzulande möglich gewesen,

den erneuerbaren Energien mit viel geringeren Subventionen zum Durch-bruch zu verhelfen. So aber erlebte die Kohle eine Renaissance als preis-werter Energieträger.

»Wir von der KfW sind keine Feuerwehr, sondern engagieren uns langfristig.«Dr. Jörg Zeuner

REDEN

10 | CHANCEN Wärme

Wie würden Sie also die Effektivität der deutschen Energiewende unter dem Strich beurteilen?ZEUNER Auf vielen Feldern kommt die Energiewende sehr gut voran, während sie auf anderen Gebieten zu langsam ist. Wind und Sonne wurden dem Energiemix sogar zu schnell hin-zugefügt. Das war zu teuer und wird jetzt gebremst. Auf der anderen Seite hinken wir beim Energieverbrauch hinterher. Der ist noch viel zu hoch. Hier werden aber bereits neue Anreize für Hausbesitzer, Kommunen und Unternehmen gesetzt. Auch von uns.

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LOMBORG Die deutsche Energiewende verfolgt zwar im Kern das richtige Ziel. Vor dem Hintergrund hoher Kosten sollten die Schwellenländer die wenigen Ressourcen, die sie haben, aber besser in die Anpassung an den Klimawandel investieren, statt den Kampf gegen die Erderwärmung anzutreten.

»Wir sollten uns auf die Dinge konzentrieren, für die

wir Lösungen kennen.«Dr. Bjørn Lomborg

Wäre das nicht eine Kapitulations-erklärung?LOMBORG Ich versuche, knappe Ressourcen so effektiv wie möglich zu verwenden, denn Sie können jeden Euro nur einmal ausgeben. Meine Frage ist, wie viel Euro bekomme ich über die Zeit für jeden ausgegebenen Euro zurück. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das nicht aus der Klimapolitik kommt. Es war typisch, wie im vorigen Jahr alle über Ebola diskutierten, während niemand mehr über Tuberkulose,

HIV-Infektionen oder Malaria sprach, die viel mehr Todesopfer fordern. Ich sehe meine Aufgabe darin, solche Diskussionen anzustoßen. Weit größere Gesundheitsrisiken als das von Ebola können mit einem weit geringeren finanziellen Aufwand reduziert und vielleicht sogar ausge-schlossen werden. Muss das nicht unsere Priorität sein? ZEUNER Zunächst mal hat Ebola in einer globalisierten Welt ein Ansteckungsrisiko, das es bei Malaria in dieser Form gar nicht gibt. Für einen Gesundheitspolitiker, Arzt oder Entwicklungshelfer ist das aber eine unzulässige Abwägung. Abgesehen davon stellt sich die Frage so in der Praxis nicht. In einigen Regionen dieser Welt gibt es keine Malaria, aber andere große Gesundheitsrisiken, die dort bekämpft werden können und müssen.

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LOMBORG Aber Sie geben mir recht, dass wir für unsere Entscheidungen Orientierung brauchen. Wenn in einem Restaurant auf der Karte keine Preise stehen, werden Sie sich beim Bestellen nicht besonders wohlfühlen. Für die wenigsten von uns spielen Preise keine Rolle. Sie helfen bei der Zusammen-stellung des Menüs. ZEUNER Einverstanden. Aber ich denke auch daran, was ich gestern gegessen habe, was mir mein Arzt empfiehlt und was mir schmeckt. LOMBORG Ich würde nie sagen, dass wir nichts gegen Ebola tun sollten. Aber selbst im Worst-Case-Szenario der Weltgesundheitsorganisation WHO war die prognostizierte Zahl an Ebola- Toten geringer als die jährliche Todes-rate von Tuberkulose-Erkrankten. Darüber sollten wir nicht hinwegsehen, auch wenn es hart ist.

Wenn Sie Entwicklungsziele mit Preisschildern versehen, machen Sie nicht nur Proportionen kenntlich, Sie beeinflussen auch Entscheidungen.LOMBORG Natürlich, das hoffe ich auch. Wir möchten Zielen, die sich als kosteneffektiv erweisen, Rückenwind geben. Eine Person vor Malaria zu retten, kostet Sie ein Zehntel dessen, was Sie aufwenden müssen, um ein Leben vor einer tödlichen HIV-Infektion zu bewahren. Das liegt vor allem daran, dass Sie jemanden sehr einfach vor Malaria schützen können. Sie müssen nur zehn Tage lang ein ziemlich günsti-ges Medikament verabreichen. Sie können also entweder zehn Menschen vor Malaria oder eine Person vor dem tödlichen Verlauf einer HIV-Infektion bewahren. Ich weiß, das fühlt sich nicht gut an, aber das ist die Realität. ZEUNER Die Gefahr Ihres Ansatzes, Herr Lomborg, liegt darin, dass Sie wichtige Aspekte von Entwicklung außer Acht lassen. Über die punkt uelle Bekämpfung von Krankheiten hinaus muss den Entwicklungsländern zu robusten Gesundheitssystemen mit einem umfassenden medizinischen Angebot verholfen werden.

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LONDONS FINANZDISTRIKT

IM BLICK

Bjørn Lomborg (links) und Jörg Zeuner trafen sich

in der britischen Nieder- lassung der KfW IPEX-Bank

zum Gedankenaustausch

REDEN

12 | CHANCEN Wärme

Herr Lomborg, die Staatenge-meinschaft will die Millenniums- Entwicklungsziele fortschreiben. Wenn Sie die 2,5 Billionen Dollar, die die Welt bis 2030 für Ent-wicklungshilfe einsetzen will, verteilen dürften, welche drei Prioritäten würden Sie setzen?LOMBORG Wenn sie lediglich den Nutzen jedes ausgegebenen Dollars oder Euros maximieren wollen, dann steht der Freihandel ganz oben auf der Liste. Sie könnten die Volkswirt-schaften von Entwicklungsländern schneller wachsen lassen. Bis 2030 würden 160 Millionen Menschen die Armutszone verlassen. Der zweite Punkt wäre die Empfängnisv erhütung für Frauen. Hier können Sie mit dem Einsatz von einem Euro eine

Wirkung von 120 Euro erzielen. An dritter Stelle wäre eine Vielzahl von Gesundheitsinterventionen zu nennen. Bei Tuberkulose würde beispielsweise jeder investierte Euro einen Nutzen von 43 Euro haben. Auch der Schutz der Korallenriffe ist eine unglaublich gute Investition.

Erläutern Sie das bitte.LOMBORG Es ist sehr billig, einfach auf das Dynamitfischen in Korallenriffen zu verzichten. Das schützt die Riffe, hilft, neue Fischgründe zu schaffen, und steigert den Tourismus. Für jeden Euro, den Sie für Korallenriffe ausgeben, er - rechnen wir einen Nutzen von 24 Euro.

Die Ursache vieler Schwierigkeiten sind Armut und soziale Probleme.

Sollten wir nicht besser die Ursa-chen bekämpfen, statt Symptome zu lindern?LOMBORG Es ist doch nicht falsch, Symptome zu behandeln. In einer Welt, in der wir nicht alles reparieren können, sollten wir uns auf die Dinge konzent-rieren, für die wir Lösungen kennen. So werden zwar nicht alle Probleme beseitigt, aber es ist besser als nichts.

Ist das ein Rezept für die KfW?ZEUNER Wir arbeiten mit Ländern und Projektpartnern zusammen, die ihr souveränes Recht nutzen, eigene Prioritäten zu setzen. Wir beraten sie dabei und helfen bei der Umsetzung dessen, was wir sinnvoll finden. Hierbei fließen globale Überlegungen selbst verständlich ein, etwa die Erd-

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erwärmung – über den Klimaschutz haben wir ja bereits gesprochen. Wir sind keine Feuerwehr, sondern nehmen eine langfristige Perspektive ein, um funktionierende Institutionen entstehen zu lassen. Wir engagieren uns lang-fristig. So können wir allen Beteiligten dabei helfen, jenseits der Tagespolitik mit einem langen Atem zu agieren. LOMBORG Ich finde auch, dass lang- fristige Ziele außerhalb eines allzu stark politisch eingefärbten Kontexts wichtig sind. Die Arbeit der Entwick-lungsbanken könnte aber noch besser sein, wenn sie sich deutlicher auf die wirklich besten Projekte konzen- trieren würde.

Kommentare an: [email protected]

LEKTÜRETIPPS

Mike Hulme

Streitfall Klimawandel

Vielschichtige und philosophische Betrachtung der Debatte

Oekom Verlag, 2014

Richard Tol

Climate Economics

Ökonomische Konzepte zur Analyse des Klimawandels

Edward Elgar Publishing, 2014

Die Energie der ZukunftEin gutes Stück Arbeit.

Erster Fortschrittsbericht zur Energiewende

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Die Energie der Zukunft

Datensammlung zur Energiewende mit Diskussion ihrer Rahmenbedingungen

www.bmwi.de

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Bjørn Lomborg

How to Spend $ 75 Billion to Make the World a Better Place

Darstellung von Lomborgs Vorschlägen für nachhaltige Entwicklungsziele

Copenhagen Consensus Center, 2014

Intergovernmental Panel on Climate Change

Climate Change 2014: Synthesis Report

Aktuelle und weltweite Datenschau zum Klimawandel

www.ipcc.ch

Abhijit Banerjee & Esther Duflo

Poor Economics

Praxisorientiertes und einfach geschriebenes Buch über Armutsbekämpfung

Public Affairs, 2011

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Wärmebilder Alle Aufnahmen auf dieser und den folgenden Seiten wurden mit einer Wärmebildkamera gemacht (Thermografie). Solche Fotos zeigen, wo aus Gebäudehüllen Wärme entweicht

Hohe Wärmeverluste

Mittlere Wärmeverluste

Geringe Wärmeverluste

14 | CHANCEN Wärme14 | CHANCEN Wärme

REDEN

Deutschland braucht eine WARMEWENDE

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Die Energiewende lässt sich nur vollenden, wenn wir aufhören, in Wohnungen, Büros und

Fabriken Wärme zu verschwenden. Höchste Zeit für ein Umdenken in Deutschland.

Ein Kommentar von Dr. Karl Ludwig Brockmann

»Wir müssen der Energieeffizienz größere Aufmerksamkeit schenken.«

Dr. Karl Ludwig Brockmann,Konzernbeauftragter für Umwelt und Nachhaltigkeit bei der KfW

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Wer an die Energiewende denkt, hat meist Wind räder und Solarmodule vor Augen. Sie stehen für die saubere und sichere Alter-native zu Kohlekraftwerken und Atom-meilern. Im vergangenen Jahr deckten

Wind, Sonne, Biomasse & Co. schon rund 28 Prozent der Strom-nachfrage. Im Dezember 2014 produzierten Windräder so viel Elektrizität wie nie zuvor: 8,9 Milliarden Kilowattstunden – und damit mehr als alle neun verbliebenen Atomkraftwerke im Monatsdurchschnitt. Angesichts der großen Erfolge beim Ausbau der erneu erbaren Energien wird je- doch allzu oft außer Acht gelassen: Deutschland braucht dringend eine Wärmewende, um die Energiewende zu vollenden. Der Wärmebedarf von Wohngebäu-den, Büroimmobilien und Industrie-betrieben ist enorm. Ein Blick auf die Fakten zeigt, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Wärme und der Energieeffizienz größere Aufmerk sam-keit schenken müssen, will Deutsch-land seine Klimaziele erreichen und massiv CO₂-Emissionen senken. Ledig- lich gut 20 Prozent des kompletten Energieverbrauchs in Deutschland ent - fallen auf die Elektrizität. Fast 30 Pro-zent machen die Kraftstoffe aus. Der weithin größte Posten aber ist die Wärme. Etwa die Hälfte der Energie wird benötigt, um Gebäude zu beheizen und die Industrie mit der notwendi-gen Prozesswärme zu versorgen. Wollen wir die Energiewende erfolgreich zu Ende führen, kommen wir nicht umhin, unseren Wärmebedarf deutlich zu senken und die erforderliche Wärme effizient und umwelt-freundlich zu erzeugen. Energieeffizienz ist schließlich die sauberste, wirtschaftlichste und sicherste Ressource. Es mag banal klingen, aber bei all unseren Überlegungen sollte gelten: Jede Einheit Energie, die nicht verbraucht wird, muss zuvor nicht teuer erzeugt werden.

Ansatzpunkte gibt es überall. Rund zwei Drittel aller Wohnge-bäude, die vor dem Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzver-ordnung 1977 errichtet wurden, sind energetisch ineffizient. Dabei verschlingt das Heizen mit rund 70 Prozent den Löwen-anteil der Energie in privaten Haushalten und verursacht damit hohe Energiekosten. Im Jahr 2013 zahlten die Verb raucher in Wohn- und Nicht-Wohngebäuden 53 Milliarden Euro allein für die Raumwärme, weitere 15 Milliarden Euro mussten für die Warmwasserbereitung berappt werden.

In der Industrie entfallen rund zwei Drittel des Energieverbrauchs auf Prozesswärme, beispielsweise für technische Verfahren wie Schmelzen, Härten und Trocknen. Die Abwärme, die hierbei entsteht, wird zu oft un- genutzt an die Außenluft abgegeben. Dabei könnte sie gut verwendet werden, um Büros, Sitzungs- und Pausenräume zu beheizen. Zusätzlich könnte die Abwärme in externe Fern- wärmenetze eingespeist werden. Die Bundesregierung hat erkannt, dass Nachholbedarf besteht und im Dezember vergangenen Jahres den Nationalen Aktionsplan Energieef-fizienz beschlossen. Damit schuf sie eine wichtige Grundlage für eine Wär mewende in Deutschland. Die

KfW hilft tatkräftig mit, diese Effizienzziele zu erreichen und damit auch das Klima zu schützen. Zusätzliche Förderpro-gramme sollen Unternehmen von diesem Sommer an die not-wendigen Investitionen in einen effizienteren Umgang mit Energie erleichtern, neu gestaltete Programme den Ausbau der erneuerbaren Wärmeerzeugung forcieren. Bei Wohngebäu-den hatte die KfW zuvor bereits durch höhere Fördersätze neue Impulse gesetzt. Es war noch nie so günstig, etwas für die Wärmewende zu tun!

Lesen Sie auf den nächsten Seiten, wo die Einsparpotenziale am größten sind.

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16 | CHANCEN Wärme16 | CHANCEN Wärme

REDEN

Fünf Hebel für die WärmewendeWie Deutschland seinen Wärmeverbrauch drastisch senken kann, zeigt Diplom-Ingenieurin Petra Bühner. Die Technische Sachverständige bei der KfW hat dafür zahlreiche Studien ausgewertet und eigene Berechnungen angestellt. Die Ergebnisse veröffentlicht das CHANCEN-Magazin exklusiv.

Aufgeschrieben von Nicolas A. Zeitler

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Gebäude sanierenÄltere Häuser sind zumeist schlecht isoliert. Wärme entweicht durch Fenster und Wände. Auf diese Weise verpufft viel Energie wirkungslos. 13 Millionen Wohnhäuser, das sind zwei Drittel des Gesamtbestands in Deutschland, wurden vor November 1977 gebaut. Damals trat die erste Wärmeschutzverordnung in Kraft. Erst rund 30 Prozent dieser Häuser sind inzwischen ganz oder zumindest teilweise energetisch saniert worden. Mit einem guten Wärmeschutz lässt sich ordentlich Heizener-gie sparen. Allein 40 Prozent bringt die Dämmung von Fassade, Dach und Keller. Für den Besitzer eines typischen Zweifamilien-hauses aus den 1970er Jahren heißt das: Der Heizaufwand reduziert sich um bis zu 100 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Werden noch die Fenster ausgetauscht sowie Heizung und Warmwasserbereitung auf den neuesten Stand gebracht, kommen weitere 30 bis 40 Prozent dazu. Ähnliche Effekte entstehen durch energetische Sanierung der 2,7 Millionen Fabrik- und Bürogebäude sowie öffentlichen Immobilien in Deutschland.

Sparpotenzial: Die Heizenergie für ältere Häuser lässt sich durch Gebäudesanierung um 80 Prozent reduzieren.

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18 | CHANCEN Wärme18 | CHANCEN Wärme

REDEN

Energieeffizient bauenBauherren reizen freiwillige Energie-sparmöglichkeiten noch längst nicht aus. Viele orientieren sich nur an der Energie-einsparverordnung des Bundes. Sie legt fest, wie viel Primärenergie* ein Neubau höchstens verbrauchen darf. Diese Ober-grenze kann aber schon heute deutlich unterschritten werden. Gegenwärtig erfüllt die Hälfte der rund 100.000 neu errichteten Wohngebäude eines Jahres bereits den Standard KfW-Effizienzhaus 70. Diese Gebäude verbrauchen mithin30 Prozent weniger als erlaubt. Die Bundesregierung senkt die Ober-grenze der Energieeinsparverordnung daher weiter. Ab kommendem Jahr dürfen

neue Häuser nur noch 75 Prozent der heute zulässigen Primärenergie verbrauchen. Langfristig wird sich vermutlich der Standard KfW-Effizienzhaus 55 durchsetzen: Ein Neu-bau kommt dann mit 55 Prozent der derzeit erlaubten Energiemenge aus. Als nächster Schritt rückt das KfW-Effizienzhaus 40 in den Blick. Was heute schon möglich ist, könnte dann Standard werden: 60 Prozent Energieersparnis pro Haus im Vergleich zur heutigen Bauweise. Zudem wird das sogenannte Effizienzhaus Plus an Bedeutung gewinnen. So heißen Gebäude, die kaum noch Heizenergie benötigen und den Strom mit erneuerbaren Energien selbst erzeugen.

Sparpotenzial: Neubauten könnten mit 40 Prozent der erlaubten Primärenergiemenge auskommen.

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1919

Prozesse optimierenProzesswärme besser nutzen, heißt Energie sparen. Immerhin fließt ein Fünftel des jährlichen Energiebedarfs in Deutschland in Prozesswärme; wovon die weitaus größte Menge in der Industrie gebraucht wird. Viele Produkte lassen sich nur unter hohen Tem-peraturen herstellen, Eisen zum Beispiel. Auch viele andere indust-rielle Abläufe brauchen Wärme, etwa die Reinigung von Flaschen. Es gibt viele Möglichkeiten, mit Prozesswärme effizient um- zugehen. Eine davon ist, die Abwärme zu nutzen. Das geschieht beispielsweise schon heute in großen Rechenzentren. Die Wärme, die bei der Kühlung der Server entsteht, temperiert die Büroräume. Eine andere Variante: Abwärme fließt wieder in die Fertigung. Muss ein Betrieb Teile trocknen, kann er dies mit Abwärme aus anderen Produktionsprozessen tun. Schließlich kann man auch durch tech-nische Innovationen den Energieverbrauch reduzieren. Etwa indem man die notwendigen Temperaturen bei Produktions prozessen senkt.

Sparpotenzial: Mit effizienten Prozessen und einem stärkeren Einsatz der Abwärme kann die Industrie

ihren Energieverbrauch um 25 Prozent senken.

Erneuerbare Energien nutzenIn der Wärmeproduktion müssen und können regenerative Energien einen wesentlich größeren Stellenwert bekom-men. Heute macht ihr Anteil daran fast zehn Prozent aus. Eine Verfünffachung ist möglich. Das wird aber nur gelingen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt wer-den: Alte Häuser müssen gedämmt, neue energieeffizient gebaut und der Wärme-bedarf in der Industrie gesenkt werden. Bleibt die benötigte Wärmemenge jedoch so hoch wie heute, wird man lediglich etwas mehr als 25 Prozent aus erneuer-baren Energien bestreiten können.

Herkömmlicherweise verbrennen wir Öl, um zu heizen. Im Vergleich dazu hat der Einsatz von erneuerbaren Energien wie Sonne oder Biomasse zwei Vorteile. Erstens: Öl ist ein wichtiger fossiler Energieträger. Er ist endlich und darf nicht verschwendet werden. Zweitens: Bei der Verbrennung von Öl entsteht der Klimakiller CO₂. Wenn wir Wärme aus regenerativen Energien erzeugen, sparen wir also nicht-erneuerbare Energien für andere wichtige Zwecke und fördern den Klimaschutz.

Sparpotenzial: Mehr als 50 Prozent des Wärmebedarfs können mit erneuerbaren Energien gedeckt werden.

*Primär- und EndenergieAls Primärenergie werden Energiequellen bezeichnet, die in der Natur vorkommen. Dazu zählen fossile Energie-träger wie Erdöl oder Kohle, aber auch regenerative wie Sonnenenergie und Wind-kraft. Endenergie hingegen ist die Energiemenge, die beim Verbraucher ankommt – also der Teil der Primär- energie, der nach Verlusten durch Umwandlung oder Transport nutzbar ist.

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20 | CHANCEN Wärme

REDEN

Kraft und Wärme gemeinsam erzeugenBei der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) werden gleichzeitig Strom und Wärme gewonnen. Im Vergleich zu einer getrennten Erzeugung der beiden Energieformen sparen hocheffiziente KWK-Anlagen, die fossilen Brennstoff nutzen, mindestens zehn Prozent der Primärenergie ein. Werden erneuerbare Ressourcen wie Biogas eingesetzt, ist die Einsparung noch deutlich größer. Zurzeit stammen 14 Prozent der in Deutschland produzierten Wärme aus Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung. Kleine KWK-Anlagen könnten künftig auch die sogenannte Regelenergie bereitstellen. Mit ihr gleichen Stromnetzbetreiber unvorhergesehene Leistungsschwankungen aus. Regelenergie wird immer wichtiger, da viele Stromproduzenten Energie unregelmäßig ins Netz einspeisen. Dies gilt beispielsweise für Windkraftanlagen. Die in KWK-Anlagen gleichzeitig produzierte Wärme müsste – sofern sie nicht unmittelbar benötigt wird – gespeichert werden.

Sparpotenzial: 25 Prozent des gesamten Wärmebedarfs könnten mithilfe der Kraft-Wärme-Kopplung bereitgestellt werden.

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REDEN

21 | CHANCEN Wärme

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ZAHLENWER K

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THADEUSZ

Kommt kuscheln!

Ich sei nicht warm genug. Das sagte der Mann zur Begründung, als er mich nicht zum Vorsteher einer sehr erlesenen Gesprächs-

sendung im deutschen Fernsehen machte. Wie es sich für einen ambitio-nierten TV-Gockel gehört, war ich beleidigt und uneinsichtig. Warm? Welcher öffentliche Mensch möchte denn so beschrieben werden? Locker sein zählt. Einen souveränen Eindruck machen, selbst wenn das Herzchen hämmert. Es geht um Lässigkeit. Cool rules! Wie bei George Clooney. Von dem wollen Frauen doch nicht zuallererst gewärmt werden. Viel mehr als das. Der Mann wird heiß begehrt, es geht um hitziges Verlangen – im Vergleich dazu ist Wärme lau. Er beherrscht die ›Immer locker bleiben‹-Pose so bra-vourös, dass wir anderen Männer unseren Kaffee selbstverständlich durch die Kapseln pressen, für die George Werbung macht. Nur damit wir wenigstens die kleinstmögliche Schnittmenge mit ihm haben. Aber auch die Größen unseres hie-sigen Showgeschäfts profilieren sich nicht darüber, dass man ihnen ihre 37-Grad-Körpertemperatur anmerkt. Sitzt Jauch am Sonntagabend in die-sem riesigen Berliner Gasometer, da -mit seine Gäste nicht im Günther- Hitzeschirm verglühen? Mittlerweile erkläre ich mir die Ab- sage von damals gesamtgesellschaft-lich. Der Fernsehchef hat zwar mich abgelehnt, aber er meinte das insge -samt kalte Deutschland. Das wollte und will er erwärmen. Was für ein nobles und vor allem nachvollzieh-bares Anliegen.

JÖRG THADEUSZ

ist Journalist und Moderator. Im rbb ist er regelmäßig mit ›Thadeusz‹ und ›Thadeusz

und die Beobachter‹ auf Sendung

Wir Deutschen kommen ja als Quasi-Eiswürfel zur Welt. Wir müssen mit ähnlich wenig Sonne fertig werden wie die Bewohner Alaskas. Unser weltweites Ansehen hat auch so gar nichts mit Kuschel- republik Deutschland zu tun. Zu uns reist niemand, der gerne von unbekannten Warmherzigen in den Arm genommen werden möchte. Bei uns kaufen asiati- s che Urlauber Messer, die mit kühler Solinger Präzision ge- schliffen sind. Wenn Deutsche in der Gruppe reisen, hat es meistens ein sachliches juristisches Nachspiel. Oder brasilianische Fußballfreunde werden von deutschen Sporturlau-bern mit 1:7 fertiggemacht. So kühl

verübt, dass die jungen deutschen Na-tionalkicker nicht einmal zu schwitzen scheinen. Zuerst müssen wir mit dem ewigen Gewinnen aufhören. Unsere Außen-handelsbilanz ignorieren. Stattdessen vor allem wärmer werden. Küssende Deutsche müssen es in die Auslands-medien schaffen. Für Katzenknuddler muss unser Land ein Sehnsuchtsort werden. Schließlich halten viel mehr Deutsche eine Katze als einen eher unschmusigen Schäferhund. Machen Sie jetzt schon den Anfang und reiben Sie diesen Text. Damit Sie spüren, wie warm er von Herzen kommt.

Sie haben warme Worte für unseren Kolumnisten? Dann schreiben Sie ihm unter: [email protected]

Jörg Thadeusz liest seine Kolumnen- beiträge auch vor. Die Audiodateien finden Sie unter: www.kfw.de/chancen

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REDEN

26 | CHANCEN Wärme

WISSENSTRANSFER

Es bleibt unbeständig

Die Erderwärmung lässt das Wetter Kapriolen schlagen. Was das für diesen Sommer

und unsere Urlaubsplanung bedeutet, erklärt ZDF-Meteorologin Dr. Katja Horneffer.

DR . KATJA HORNEFFER ist promovierte Diplom-Meteorologin und Fernsehmoderatorin. Sie arbeitet in der ZDF-Wetterredaktion

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Das vergangene Jahr war weltweit das wärms-te seit Beginn regelmäßiger Aufzeichnungen. Dabei bot das Wetter einige Überraschungen: Der Sommer in Italien war so verregnet wie seit mehr als 100 Jahren nicht; zur selben Zeit genossen die Schweden nie gekannte Sonne

und Wärme. Was steckt dahinter? Die globale Erwärmung lässt das Wetter immer unberechenbarer werden. Je wärmer unsere Atmosphäre ist, desto mehr Wasser kann sie aufneh-men. Je feuchter die Luft ist, desto höher wird ihr Energie-inhalt. Das heizt den Stürmen ein, es facht sie an: Aus Stürmen werden Orkane. Wetterkapriolen nehmen zu.

Und was heißt das jetzt für diesen Sommer? Leider nichts. Gar nichts. Die Atmosphäre lässt sich nicht so einfach in die Karten schauen; und weder sind alle Prozesse in der Atmo-sphäre noch alle Prozesse im Ozean schon genau durchschaut und modellierbar. Unsere Prognosemodelle bleiben Stückwerk, auch weil die Eingriffe des Menschen mit einfließen müssen. Durch die Dachbegrünung in Megastädten zum Beispiel wer-den versiegelte Flächen wieder dem natürlichen Wasserkreis-lauf zugänglich gemacht. Die Dächer absorbieren Strahlung, die heller Beton zurückgeworfen hätte. Auch die Abholzung des Regenwaldes, die Trockenlegung von Feuchtgebieten oder der Bau von Staudämmen haben allesamt Einfluss auf die globale Strahlungsbilanz, also auf das, was von der Erde ins All zurück geworfen wird, nachdem die Sonne es uns kosten-los geliefert hat.

Doch selbst die bereits bekannten Wettermuster scheinen mehr und mehr aus dem Tritt zu kommen. Nach dem warmen Jahr 2014 dachten wir schon, der Winter bleibe mild, aber nach Weihnachten kam der Schnee. Sogar im Schwarzwald gingen Lawinen ab, auf der Schwäbischen Alb mussten Turn-hallen gesperrt werden, weil deren Dächer unter der Schnee-last einzustürzen drohten.

Es sind die Starkwindbänder, die die Erdkugel umkreisen und immer mal wieder zum Teil sehr deutlich vom angestammten Kurs abkommen, sich verhaken und dann wochenlang andau-ernde Großwetterlagen bedingen. Zu viel vom immer Gleichen, das ist beim Wetter fatal. Anhaltende Trockenheit, die sich

zur Dürre auswächst, beeinträchtigt die Landwirtschaft, die Ernte, die Trinkwasserversorgung und steigert die Wald- und Buschbrandgefahr. Starkregen dagegen führt zu Überflutungen und Schlammlawinen. Immer häufiger auftretende Unwetter mit heftigem Hagelschlag und starken Stürmen gefährden Glas- fassaden und Solaranlagen.

»Die Atmosphäre lässt sich nicht so einfach in die Karten schauen.«

»Zu viel vom immer Gleichen,

das ist beim Wetter fatal.«

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Was bedeutet das für die Urlaubsplanung? Zunächst: statt Früh- bucherrabatt lieber Last-Minute-Angebote nutzen! Die Wetter-prognosemodelle sind für Zeiträume bis ein, zwei Wochen in die Zukunft recht zuverlässig. Wenn ich also heute weiß, wie das Wetter nächste Woche wird, kann ich entsprechend kurz entschlossen meine Reise planen.

Wer lieber langfristig plant, dem hilft nicht der Blick auf die Wetterkarte, sondern der auf die Klimatabelle. Aktivurlauber fühlen sich in den Bergen auch dann wohl, wenn es mal regnet. Wer Hitze hasst, peilt besser Nordeuropa an. Gebirgige Inseln bieten den Vorteil eines durch das Wasser gemäßigten Tem-peraturtagesganges und möglicherweise eine Luv- und eine Lee-Seite. Kommen Regenwolken von Westen, ist es auf der Ostseite, im Lee der Berge, eventuell wunderschön warm und sonnig, derweil sich die Regenwolken im Westen im Luv der Berge abregnen können.

Aber viele Deutsche machen sowieso am liebsten Urlaub in heimischen Gefilden. Deutschland belegt Platz eins bei den Reisezielen, nach dem Motto: Warum in die Ferne schweifen, wenn selbst dort ›Sonne satt‹ nicht mehr garantiert ist? Cara-vaning liegt übrigens auch im Trend. Mit dem Wohnmobil können Urlauber dem schlechten Wetter einfach davonfahren. Und sofern die Strecken, die sie dabei zurücklegen, nicht allzu lang sind, tun sie dabei sogar noch etwas für den Klimaschutz: Indem sie auf eine Flugreise verzichten, sparen sie Energie, Ressourcen – und sich vermutlich auch jede Menge Ärger!

Wo auch immer Sie ihn verbringen: Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer!

Kommentare an: [email protected]

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28 | CHANCEN Wärme28 | CHANCEN Wärme

Heißes Wasser fließt aus den Sonnen- kollektoren in den Speicher der Heizzentrale, wo selbst an einem Wintertag schon mal 77 Grad Celsius gemessen werden. Die Einwohner von Büsingen können mit dem warmen Wasser heizen und duschen

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Energie aus eigener ErnteÜberall in Deutschland nutzen Kommunen und

Unternehmen erneuerbare Energien. Sie gewinnen Wärme aus dem Himmel und der Erde. Von den klassischen Energieversorgern werden sie nahezu unabhängig.

Zu Besuch bei drei Projekten mit Strahlkraft.

Text: Christoph Albrecht-Heider, Fotos: Rüdiger Nehmzow

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ALLES UNTER KONTROLLE

Von der Heizzentrale aus können der Ölkessel, die Hackschnitzelanlage und alle anderen Elemente des Nahwärmenetzes gesteuert werden

Die Zentralheizung von Büsin-gen steht auf einer Wiese am Hang oberhalb des Dorfes. Sonnenkollektoren gruppieren

sich um einen Betonkubus. Draußen ist es noch kühl, doch die Sonne scheint und deshalb ist es ein guter Tag für Bene Müller. Im Innern des Kubus deu-tet er auf den Bildschirm des Laptops, mit dem sich die Heizung überwachen lässt. »Da, sehen Sie: 12,6 Grad. Und hier: 77 Grad.« Müller, Vorstand des Unternehmens Solarcomplex, möchte Kommunen

davon überzeugen, sich ein Nahwärme-netz auf Basis regenerativer Energie-quellen zuzulegen. Handfeste Argumente liefern Tage wie dieser im März. Während die Sonne die Umgebungs-temperatur nur auf 12,6 Grad bringt, erhitzen ihre Strahlen die Vakuum-röhren der Sonnenkollektoren so, dass die Wassertemperatur im Speicher der Heizzentrale bei 77 Grad liegt. Genug, um damit im Ort heizen und duschen zu können.

BioenergiedorfBüsingen

HANDELN

30 | CHANCEN Wärme

Deutschlands Südwesten ist von der Sonne verwöhnt.

Mit Solarkollektoren lässt sich ideal Wärme gewinnen

Büsingen liegt am Rhein, zwischen Schaffhausen und dem Bodensee, ist umgeben von der Schweiz und hat 1.300 Einwohner. Die zahlen ihre Rechnungen in Franken, ihre Steuern aber in Euro. Von dem komplizierten Gesetzesgemenge in der deutschen Exklave soll hier nur interessieren, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Büsingen nicht gilt. Als die Gemein-de mit Solarcomplex über den Bau eines Nahwärmenetzes verhandelte, war damit klar: Anders als bei seinen bisherigen Bioenergiedörfern konnte das Singener Unternehmen nicht mit Photovoltaik oder Biogas operieren, weil diese Energiegewinnung in Büsin-gen nicht staatlich gefördert wird. So entstand die Idee, das Heizwasser für die Büsinger auch von der Sonne erwärmen zu lassen, von der Sonne und einem Hackschnitzelbrenner. In den Sommermonaten, das ist ein Vorteil der Büsinger Variante, reicht die Solar-thermie. Der Ofen, der nur mit natur-belassenen Holzresten aus der Region gefüttert wird, steht dann still. Zwölf Dörfer und Kleinstädte, zwi-schen 500 und 5.000 Einwohner groß, haben sich von Solarcomplex bereits Wärmeleitungen legen lassen. In den nächsten fünf Jahren sollen zehn dazu-kommen, alle aus dem Gebiet rund um den Bodensee. »Wenn ich einmal das Netz habe, kann ich auf jede Technik reagieren«, sagt Müller, »das Netz ist der entscheidende Modernisierungs-sprung in der Gemeinde.« Ob das Wasser durch Industrieabwärme erhitzt wird oder Windstrom oder Erdwärme oder gar irgendwann einmal von einer Brennstoffzelle, spiele keine Rolle. Dafür müsse man nur die Heizzentrale umbauen, aber nicht das Netz.

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Müller kommt schnell in den Argumen-tationsmodus. Er ist debattenerprobt von vielen Bürgerversammlungen. Solar-complex braucht ja die Zustimmung derer, die von der Umstellung profitieren sollen. Man könnte meinen, Müller sei vom Fach, technisch oder betriebs-wirtschaftlich. Aber weit gefehlt. Der 49-Jährige hat Geschichte studiert und künstlerisch gearbeitet. Sein Vorstands-kollege Achim Achatz ist Architekt. Solarcomplex entstand im Jahr 2000 aus den Singener Werkstätten, einem Zusammenschluss kritischer Menschen, die der Meinung waren, den Worten von einer besseren Welt müssten auch mal Taten folgen. Sie verschrieben sich den erneuerbaren Energien. Ein ›regenerati-ves Stadtwerk‹ nennt Müller sein Unter-nehmen, dessen Gesellschafterkreis auf mittlerweile 1.000 angewachsen ist, das 40 Mitarbeiter beschäftigt und seit 2003 jedes Jahr Gewinn gemacht hat. Markus Möll ist Bürgermeister von Büsingen seit 2012, dem Jahr, in dem der Ort sein Nahwärmenetz bekam. Das Projekt sei ›eine positive Geschichte‹, sagt er. Alle öffentlichen Gebäude hän-gen am Netz: Rathaus, Schule, Kinder-garten, auch das Restaurant und Hotel Alte Rheinmühle, das die Kommune verpachtet hat. Die Neigung der Bürger, ihr Haus anschließen zu lassen, steigt verständlicherweise mit dem Alter der Heizung. Wer gerade erst einen Brenner gekauft hat, wird ihn nicht gleich wieder abbauen. Die meisten angeschlossenen Büsinger, berichtet Möll, zahlen zurzeit weder mehr noch weniger als früher mit ihrer Ölheizung im Keller. Die Frage, ob sich die Abkehr von den fossilen Brennstoffen rechnet, wird auf Bürgerversammlungen am häufigs-ten gestellt. »Ökologische Argumente sind nur für 10, 15 Prozent der Bevölke-rung maßgeblich«, weiß Müller aus Erfahrung. Für die Wirtschaftlichkeit der Solarcomplex-Investition sorgt ein Darlehen der KfW. 3,75 Millionen Euro hat beispielsweise das Büsinger Projekt gekostet, rund 75 Prozent davon stammen aus dem KfW-Programm ›Erneuerbare Energien Premium‹. Dessen Vorteil ist der Tilgungszuschuss. Ohne den, sagt Müller, »würde die Finanzierung nicht funktionieren«.

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»Wenn ich einmal das Netz habe, kann ich auf jede Technik reagieren.«Bene Müller

ENERGIEVERSORGER

Zehn Dörfer und Kleinstädte will Bene Müller, Vorstand von Solarcomplex, in den nächsten fünf Jahren mit Wärmenetzen ausstatten

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Auch Rainer Carstens, 57, und Paul-Heinrich Dörscher, 47, heizen mit regenerativen Energien. In einem ihrer

Gebäude muss es fast das ganze Jahr über mollig warm sein, deshalb haben sie daneben gleich ein Blockheizkraft-werk gebaut. Das Gebäude ist Deutsch-lands größtes Bio-Gewächshaus. Es steht in Wöhrden im schleswig-holstei-nischen Dithmarschen. In dem Land-strich unweit der Nordseeküste bilden Windräder die Skyline, auf den Feldern wächst neben anderen Gemüsesorten Kohl besonders gut und viel. Carstens und Dörscher, Inhaber des Landwirt-schaftsbetriebs Westhof Bio, haben aber auch einen neuen Markt im Auge: Biotomaten aus Deutschland. Nach Bioland-Kriterien angebaut, energetisch verantwortungsvoll produziert. Nach Jahren der Planung wagten sie sich an die Zwölf-Millionen-Investition, weil sie in Edeka eine Lebensmittel-kette fanden, die ihnen alle Biotomaten abnimmt. Seit 2013 gedeihen die roten Früchte im feuchtwarmen Klima des vier Hektar großen Bio-Treibhauses. 1.300 Tonnen ernteten die Pflücker im vergangenen Jahr. »Die Tomate ist eine absolute Licht-pflanze«, sagt Carstens. Er steht in dem grünen Dschungel aus 70.000 Pflanzen, die an kompostierbaren Fäden in die Höhe ranken. Wände und Decke des Gewächshauses, das 255 Meter lang, 155 Meter breit und sieben Meter hoch ist, sind aus besonders lichtdurchlässi-gem Glas gefertigt. Hier und da stehen Pappkartons, die ›Wohnungen‹ der Hummeln aus Holland, die die gelben Blüten bestäuben. Aus fünf von ihnen werden fünf rote Tomaten à 100 Gramm, immer ein Pfund an einer Rispe. So viel Norm muss auch bei Bioprodukten sein. Anders als in einem konventionel-len Gewächshaus, das nach Schätzung von Dörscher einen um ein Drittel höheren Ertrag bringen würde, wachsen die Westhof-Tomaten nicht auf Stein-wolle, sondern auf Marschboden. Nach der Ernteperiode, die im März beginnt und im November endet, wird er neu aufbereitet. Riesige Gewächshäuser gibt es in Deutschland viele, nach ökologischen

Kriterien betriebene nur wenige. Das Blockheizkraftwerk auf dem Westhof läuft mit Gas aus der eigenen Biogas-anlage. Mit deren Rückständen wird der Boden im Gewächshaus gedüngt, die Anlage liefert zudem den für die Toma-tenzucht wichtigen Stickstoff. Mit Regenwasser aus dem Rückhaltebecken neben dem Gewächshaus werden die Tomaten bewässert. Das Projekt finan-zierte der Westhof genau wie die Büsin-ger mit Mitteln aus dem KfW-Programm ›Erneuerbare Energien Premium‹.

»Der ökologische Gedanke spielt bei unseren Stammkunden eine große Rolle.«Maike Carstens

SELBSTVERSORGER

Paul-Heinrich Dörscher (links) und Rainer Carstens denken in Kreisläufen: beim Ackerbau und bei der Energieerzeugung

HANDELN

32 | CHANCEN Wärme

20 Kilo Tomaten isst jeder Deutsche im Jahresschnitt. Bioware aus Deutsch-land ist selten und deshalb gefragt. »Der ökologische Gedanke spielt bei unseren Stammkunden eine große Rolle«, sagt Maike Carstens, 30. Wie ihre drei Geschwister arbeitet auch sie im elter-lichen Betrieb. Nach einer Ausbildung

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zur Großhandelskauffrau und einem Betriebswirtschaftsstudium in Kiel und Hamburg ist sie jetzt zuständig für Vertrieb und Marketing. »Für gesunde Ernährung habe ich mich schon immer interessiert«, sagt sie, »das wurde uns in die Wiege gelegt.«

Tomaten gedeihen bei Temperaturen von maximal 25 Grad Celsius. Nachts darf das Thermometer nicht unter 18 Grad fallen. Bei Westhof Bio sorgt ein Blockheizkraftwerk für Wärme im Gewächshaus

Ihr Vater war einer der Bio-Vorreiter in dieser Gegend. Rainer Carstens stellte den Westhof, den er 1978 von seinem Vater übernommen hatte, 1989 auf bio-logischen Landbau um. Sein Nachbar Dörscher, dessen Familie seit gut 150 Jahren Landwirtschaft in Dithmarschen betreibt, schaute sich das ein paar Jahre an und dachte zunächst: »Was macht der Rainer da? Ohne Tiere? Der hat ja den ganzen Winter nichts zu tun.« Er selber merkte, dass er Jahr für Jahr mehr spritzte, um die Erträge zu halten. 2002 taten sich Carstens und Dörscher zusammen. Heute haben sie rund 1.000 Hektar unterm Pflug. Westhof Bio ist damit einer der größten Bio-Gemüse-betriebe in Deutschland. Er beschäftigt

110 Mitarbeiter, davon 20 im Gewächs-haus, und noch mal so viele Saisonkräfte.

Westhof Bio,Wöhrden

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Norddeutschland ist von großen Agrarflächen geprägt – ideal,

um nachwachsende Rohstoffe für die Energiegewinnung anzubauen

Der Ackerbau ist eine zyklische Form des Wirtschaftens, abhängig von den Jahreszeiten. Aber auch energetisch denken Carstens und Dörscher in Kreis-läufen. ›Energieneutralität‹ haben sie sich zum Ziel gesetzt. »Wir schaffen es in diesem Jahr«, sagt Carstens. Zum ersten Mal wird der Westhof alle Ener-gie, die er verbraucht, selbst erzeugen. Kleegras aus eigenem Anbau sowie der Abfall aus Feldproduktion und Gemüsefrosterei liefern das Biogas fürs Blockheizkraftwerk. Die Abwärme aus der Frosterei hilft zusätzlich beim Beheizen des Gewächshauses. Auf dem Trecker sitzen die beiden Agrarstrategen zum eigenen Leidwesen nicht mehr oft. Die Liebe zu Land und Beruf ist geblieben. Das Schönste dabei? »Vielleicht«, sagt Dörscher, »wenn man an einem Frühjahrsabend über die Felder geht und das junge Grün der Möhren in der tiefstehenden Sonne leuchtet.«

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TÜFTLER

Nicht ökologische Überzeugung treibt

Theo Düppre, sondern die Faszination

für das technisch Machbare

»Für mich ist Geothermie die Energiequelle der Zukunft.«Theo Düppre

Wipotec,Kaiserslautern

Große Teile der Pfalz ruhen auf Sandstein, der Wärme gut

speichert. Mittels Tiefbohrungen kann man sie nutzen

34 | CHANCEN Wärme

Hört man Theo Düppre zu, könnte man zunächst meinen, er sei ein Bruder im Geiste der beiden Land-

wirte aus Schleswig-Holstein. »Wir wollen keinen Einsatz von fossiler Energie mehr«, sagt der 65 Jahre alte Unternehmer aus Kaiserslautern, und: »Mein Ziel ist es, bei Wärme und Strom autark zu sein.« Doch den gebürtigen Saarländer Düppre treibt nicht die ökologische Überzeugung. Der Gründer und Geschäftsführer der Firma Wipotec, ein Waagen-Hersteller auf Weltniveau, sagt: »Mich hat das technologisch Machbare ge reizt.« So wie in seinem Unternehmen, das 1988 entstand und heute 550 Mitarbeiter beschäftigt, davon 430 am Stammsitz in Kaisers-lautern. Sie stellen Waagen für dyna-mische Wiegeprozesse her, 2.000 pro Jahr. Diese sorgen dafür, dass der Verbraucher nicht weniger erhält, als auf der Verpackung steht, der Produzent aber auch nichts verschenkt. Wipotec- Waagen wiegen unter anderem in der Lebensmittel-, der Pharma-, der Logistikbranche. In der Stunde zum Beispiel 21.000 Tütensuppen oder 44.400 Kekswaffeln oder 400.000 Medi-kamentenkapseln. Oder 14.400 Briefe. Vor zehn Jahren hat Düppre, der Ingenieur von Beruf ist und nach wie vor Waagen mitentwickelt, ein neues Betätigungsfeld entdeckt: regenerative Energien. Aber gegen den Trend widmet er sich nicht den oberirdischen Potenzialen wie Sonne oder Wind,

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sondern geht unter die Erde: »Für mich ist die Geothermie in 1.500, 1.800 Meter Tiefe die Energiequelle der Zukunft.« Die Variante scheint teuer, doch Düppre hat eine pfälzische Firma engagiert, die auch bei sogenannten mitteltiefen Erdsonden auf einen großen Bohrturm verzichtet und mit einem Lkw als Platt-form auskommt. Auf der Suche nach einer Finanzierung ist auch Düppre auf das KfW-Angebot ›Erneuerbare Energien Premium‹ gestoßen: »Ohne das hätten wir das alles nicht gemacht.« »Alles« ist bei Wipotec eine ganze Menge. Neben einer der Werkshallen ist ein Betondeckel im Boden eingelassen. Darunter führt ein Rohr 1.500 Meter tief in den Sandstein. Dort liegt die Temperatur bei 56 Grad. Wasser fließt durch ein Rohr nach unten, wird erhitzt und kommt mit 30 Grad wieder an die Erdoberfläche. Damit lässt sich die Fuß-bodenheizung betreiben, die in allen Gebäuden – auf insgesamt 18.000 Qua-

dratmetern – verlegt ist. Die neuesten Werkshallen entsprechen dem Passiv-haus-Standard und werden mit LEDs beleuchtet. Strom bezieht Wipotec von einer Photovoltaik-Anlage in der Nähe des Betriebs. Luft, die durch Edelstahl-rohre in einem Regenrückhaltebecken geleitet wird, wärmt oder kühlt die Werkshallen, je nach Jahreszeit. Auf den Dächern liefern Sonnenkollektoren warmes Wasser. Und unter den Park-plätzen liegt eine ›Naturbatterie‹. 300 Bohr sonden führen 25 Meter tief in den Sandstein. Nicht benötigte Energie wird hinabgeleitet und dort gespeichert.

14.400Projekte

förderte die KfW von 2009 bis 2014 mit dem Programm

›Erneuerbare Energien Premium‹.

Weitere Einblicke in die hier vorgestellten Projekte unter:

www.kfw.de/chancen

Und dann ist da noch das ›Schlössl‹ im südpfälzischen Oberotterbach. Düppre hat dort das Amtshaus aus dem 18. Jahrhundert restauriert und in ein Restaurant und Hotel verwandelt. Energetisch sind die alten Gemäuer jetzt auf neuestem Stand. Eine Fuß-bodenheizung sorgt für Wärme – und die kommt selbst hier aus der Erde.

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Das Wasser heizt sich unterirdisch auf 56 Grad auf und kommt mit einer Temperatur

von 30 Grad an die Oberfläche zurück. So bietet es ausreichend Wärme für die

Fußbodenheizung in allen Firmengebäuden

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36 | CHANCEN Wärme36 | CHANCEN Wärme

Gesunde KücheKochen über offenem Feuer ist gefährlich. Der giftige Rauch tötet jedes Jahr Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder. In Bangladesch und Nepal helfen Biogasherde dabei, ihre Gesundheit zu schützen.

Text: Michael Netzhammer, Fotos: Matthias Schmidt-Rosen

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RAUCHFREI

Mit dem neuen Gasherd ist das Kochen plötzlich ganz einfach und nicht länger ein Gesundheitsrisiko

Ein kleines Haus in der Nähe der Stadt Jessore in Bangla-desch: »Kochen ist so viel leichter geworden«, sagt

Sheuli Begum und führt in ihre Küche. Sie dreht den Hahn auf, zündet das ausströmende Biogas an, stellt den Topf auf die Flamme und gießt Öl hinein. Das Gas entsteht in der gemau-erten Biogasanlage hinter dem Haus, den Rohstoff liefern die dort grasenden Kühe. »Einmal pro Tag muss ich die Anlage mit 80 Kilo Kuhmist und Wasser befüllen«, sagt die 26-Jährige. Daraus entsteht genügend Gas, um täglich drei warme Mahlzeiten zubereiten zu können. Kochen ist ein Vergnügen geworden. Früher war es eine Last: »Ich musste täglich Holz und Kuhdung sammeln, daraus ein Feuer machen und warten, bis die Glut so weit war. Und oft saß ich im Rauch, hustend und mit tränenden Augen«, erinnert sich die Mutter von zwei Kindern. Ihr neuer effizienter Herd hingegen ist sauber und rußfrei.

Wie früher auch Sheuli Begum in Bangla desch bereiten noch immer drei Milliarden Menschen ihr Essen rund um den Globus auf offenen Feuern und ineffizienten Herden zu. Am giftigen Rauch der Kochfeuer sterben laut Welt- gesundheitsorganisation (WHO) pro Jahr 4,3 Millionen Menschen – die Emissionen kosten damit mehr Leben als HIV und Malaria zusammen. Darüber hinaus verbringen vor allem Frauen Tausende Stunden mit unproduktiver Feuerholzsuche. In vielen Regionen wird Brennholz knapp. Schließlich führt der Ruß von vielen Hundert Millionen Kochfeuern zu starker Luftverschmut-zung. Effiziente Herde schützen hin- gegen die Gesundheit gerade von Frauen und Kindern, sparen Zeit und Geld und schonen Umwelt und Klima.

Aus diesen Gründen fördert der Geschäftsbereich KfW Entwicklungs-bank im Auftrag der Bundesregierung die Verbreitung von Biogasanlagen zum Kochen in Bangladesch und Nepal.

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Die Biogasanlage von Sheuli Begum ist eine von inzwischen 35.000 in s-tallierten Anlagen in Bangladesch, bis Ende 2016 sollen es 50.000 sein. In Bangladesch kooperiert die KfW mit der dortigen Regierung, der Weltbank sowie anderen Geldgebern. Während die Welt-bank Kredite bereitstellt, bezuschusst die KfW das Projekt mit 8,6 Millionen Euro. Aus diesen Mitteln finanziert der Projektträger, die Infrastructure Development Com pany Limited (IDCOL), die Programmkosten, eine Refinan -zierungslinie für Klein kredite und Baukostenzuschüsse, die die Biogasan-lagen für die Nutzer 25 bis 30 Prozent günstiger werden lassen.

Mit 28.000 Taka, rund 280 Euro, koste die Anlage von Sheuli Begum immer noch viel Geld, schließlich liege das monatliche Haushaltseinkommen auf dem Land bei rund 150 Euro, so Matthias Schmidt-Rosen, bei der KfW zuständig für das Biogasprojekt in Bangladesch. »Wir haben 40 Euro an - gezahlt und über den Rest einen Kredit aufgenommen«, erzählt Sheuli Begum. Inzwischen verkauft sie jeden Monat einige Säcke mit Schlacke aus ihrer Biogasanlage als Dünger an die Nach-barn und verdient damit eigenes Geld.

Den Kredit bekam Sheuli Begum von Grameen Shakti. Das ist eine von rund zwei Dutzend Nichtregierungsorga - ni sationen, die der Projektpartner IDCOL mit der Verbreitung der Biogas-anlagen beauftragt hat. Die Berater von Grameen Shakti informieren die Menschen über die Vorzüge von Biogas, räumen den Käufern Kredite ein, geben den Bau der Anlagen in Auftrag, beaufsichtigen ihn und stellen ihre Wartung sicher.

»Für unsere Kunden ist eine Biogasan-lage eine große Investition. Wir müssen sie also erst überzeugen, dass sie lang-fristig Geld und Zeit einsparen und die Frauen ihre Gesundheit schützen. Das ist für viele Menschen anfangs

sehr abstrakt«, sagt Motiul Islam von Grameen Shakti. Dass der Berater vor Ort sitzt, ist ein Vorteil – auch für die Wartung. Er holt die monatlichen Kreditraten bei seinen Kunden per-sönlich ab. »Bei technischen Schwie - rigkeiten können sie mich direkt ansprechen und wo ich nicht weiter-weiß, steht ein Experte für Biogas-anlagen bereit«, sagt Motiul Islam.

4,3 Millionen

Menschen sterben jedes Jahr am

giftigen Rauch von Kochfeuern.

38 | CHANCEN Wärme

»Für unsere Kunden ist eine Biogasanlage

eine große Investition.

Wir müssen sie also erst über-

zeugen.«Motiul Islam

Diese Hilfe hat Sheuli Begum in Anspruch genommen, als sich Kondens-wasser in der Leitung bildete. Nun kann sie das Problem selbst beheben. »Es war uns sehr wichtig, dass die Kunden auf technische Expertise zurückgreifen können«, sagt Matthias Schmidt-Rosen. Wo diese technische Unterstützung nicht sichergestellt ist, leiden erst der Wirkungsgrad und dann die Akzeptanz der Technologie.

Eine Erfahrung, die die KfW zum Beispiel in Nepal machte. Dort startete bereits 1996 ein Biogasprojekt, doch manche Regionen konnten aufgrund des Bürgerkriegs lange nicht besucht werden. »Als das wieder möglich war, mussten wir feststellen, dass viele Anlagen nicht gewartet worden waren und deshalb nicht mehr effizient funktionierten«, sagt Mira Platzöder, bei der KfW verantwortlich für das Biogasprojekt in Nepal. Mit Restmitteln wurde inzwischen ein Rehabilitierungs-programm für Anlagen, die älter als zehn Jahre sind, aufgelegt. Die Instand-haltung jüngerer Anlagen finanziert die nepalesische Regierung über den Clean Development Mechanism. Die Anlagenbauer waren an Wartungs-vereinbarungen zunächst wenig interessiert, jetzt haben sie darin eine Einnahmequelle entdeckt. Insgesamt hat der Projektträger in Nepal, das Alternative Energy Promotion Centre, rund 300.000 Anlagen bereitgestellt. »Wir haben unser Ziel, die Nutzung von sauberen und klimafreundlichen Bio-gasherden in Nepal zu fördern, erreicht«, sagt Mira Platzöder.

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GAS AUS GÜLLE

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Sheuli Begum befüllt ihre Biogasanlage täglich mit 80 Kilo Kuhmist und Wasser

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Vorbilder gesucht Diana Klückmann spendet mit ihrem Start-up Herzenswärme: Sie macht Heimkindern Mut, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Text: Alia Begisheva

In den lichtdurchfluteten Räumen des Social Impact Labs in der Frankfurter Falkstraße wartet eine Frau mit einem schüchternen Lächeln, das Gesicht ungeschminkt, die Kleider unauffällig, glatte blonde Haare auf die

Schnelle hochgesteckt. Eine kurze Führung, dann holt sie ihren Spickzettel heraus. Darauf hat sie Botschaften notiert, die ihr besonders wichtig sind. Sie ist selbstbewusst, aber man spürt, dass sie nicht gern im Mittelpunkt steht. Diana Klückmann, 37, ehemaliges Heimkind und heute Unter- nehmensgründerin. Klückmann hat das entdeckt, was Marketingstrategen als ›Nische‹ bezeichnen. Also etwas, das es bisher noch nicht gab, das die Welt aber dringend braucht. Bloß kann man die künftigen Gewinne schlecht in Zahlen ausdrücken: Denn Klück manns Produkt ist der Mut, den Heimkinder für ein erfülltes Leben brauchen. Ihr Start-up heißt ›Klückskinder‹. Das erste Projekt: ein Mutmacher-Kalender mit zwölf Erfolgs-geschichten von ehemaligen Heimkindern – für jeden Monat im Jahr eine. Im Oktober 2014 bewarb sich Diana Klückmann mit ihrer Geschäftsidee beim Social Impact Lab Frankfurt, das Gründungen von Sozialunternehmen unterstützt und von der KfW-Stiftung gefördert wird (siehe Infokasten). Ihr Pro-jekt wurde aufgenommen. »Das Innovative an meiner Idee ist, Menschen zu finden, die früher selbst im Heim waren, um sie zu Vorbildern und Orientierungshilfen für heutige Heim- und Pflegekinder zu machen«, erklärt Diana Klückmann ihre Geschäftsidee. Auch den erfolgreichen Ehemaligen falle es schwer zuzugeben, dass sie im Heim waren. Die Angst vor Stigmatisierung ist groß: »Wenn man überhaupt etwas hört, dann nur Negatives. Nie erfährt man, dass einer es geschafft hat.«

40 | CHANCEN Wärme

»Wenn du weißt, dass etwas geändert werden muss, dann musst du es tun.«

Diana Klückmann

Social Impact LabDas Social Impact Lab Frankfurt (SILF) wurde im Frühjahr 2014 eröffnet, als gemeinsame Initiative der KfW Stiftung, der Social Impact gGmbH und der JPMorgan Chase Foundation. Auch in Berlin, Hamburg und Leipzig gibt es Social Impact Labs.

DIE KFW STIFTUNG fördert die Ausbildung und Vernetzung von Sozialunternehmern, die sogenannten ›AndersGründer‹, während die JPMorgan Chase Foundation junge Gründer mit Migrationshintergrund, die ›ChancenNutzer‹, finanziert. Insgesamt wurden seit Februar 2014 rund 30 ›AndersGründer‹ begleitet.

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›ANDERSGRÜNDER‹ kann werden, wer einer internen Jury eine überzeugende Idee zur Lösung eines sozialen Problems präsentiert. Die ausgewähl ten Stipendiaten erhalten persönliche Beratung, einen Schreibtisch im Lab und viele Netzwerkangebote. In den ersten vier Monaten wird die Geschäftsidee geschärft und am Markt getestet. Bei Erfolg wird das Coaching fortgesetzt. Die Stipendiaten können die Infrastruktur des SILF kostenlos nutzen und sich dort mit anderen Start-ups austauschen.

Weitere Informationen unter: www.socialimpact.eu, www.kfw-stiftung.de

Diana Klückmann hat selbst fünf Jahre ihrer Kindheit in staatlicher Obhut verbracht. Ihr Vater starb, als sie noch klein war, ihre Mutter entschied irgendwann, dass die Tochter besser im Heim als bei ihr aufgehoben sei. Obwohl Diana Klückmann mit zwölf wieder nach Hause kam und ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hat, spricht auch sie nicht gern über die eigene Vergangenheit: »Ich bin ein typisches Heim-kind.« Sie hatte aber ein Vorbild: einen älteren Jungen, der als Erster in ihrem Heim Abitur machte. Die zweite Abituri-entin war Diana Klückmann. Später studierte sie Betriebs-wirtschaft und brachte es zu einer Führungsposition im Einkauf eines Unternehmens. Sie berichtete direkt an den Vorstand. Doch sie konnte die Worte einer Niederländerin nicht vergessen, die sie auf einer Reise durch Indien kennen-lernte: »Wenn du weißt, dass etwas geändert werden muss, dann musst du es tun.« Die Gründerin hat recherchiert: Die Chancen, dass eines der heute 60.000 bis 70.000 Heimkinder in Deutschland einen Schulabschluss macht, stehen eins zu drei. Dass es später studiert, eins zu hundert. Protagonisten für ihren Kalender zu finden, glich also der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. »Im Internet fand ich ganze fünf lebende Vorbilder«, so Klück-mann. Selbst in Kinderbüchern gab es mehr: »Aschenputtel, Tarzan, Superman – alles tragische Kindheitsgeschichten.« Doch am Ende hatte sie zwölf Vorbilder beisammen. Alle zwölf Schicksale im Kalender zeigen, dass auch Kinder mit schlechteren Startvoraussetzungen es schaffen können, zu starken Mitgliedern der Gesellschaft heranzu-wachsen – und dass sie nicht allein sind. Ein Professor ist dabei, ein Bildhauer, eine Jurastudentin sowie einer, der nach Amerika ausgewandert ist und dort eine Putzfirma auf-gebaut hat. Auch dabei ist Diana Klückmanns beste Freundin Bianca Pajaziti. Sie lebte zehn Jahre im selben Kinderheim. Heute ist sie verheiratet, Kinderpflegerin und selbst Mutter zweier Kinder. Auf die Frage, was sie gern früher gewusst hätte, damals, als sie noch im Heim war, schrieb Bianca Pajaziti: »Das Leben an sich ist nicht leicht, aber meist findet sich jemand, der mit Dir geht.« Diana Klückmann hat viele Ideen, wie es weitergehen kann mit der Unterstützung von Kindern in Heimen, betreu-tem Wohnen und Pflegefamilien: Beratung für Erzieherinnen in Kinderheimen anbieten, Beispiele aus der Kinderliteratur für ein Schulprojekt nutzen, eine wissenschaftliche Evaluie-rung initiieren, die untersucht, welchen Einfluss Vorbilder auf die Schicksale von Heimkindern haben. Viele Puzzlestücke, die zusammen eine Geschäftsstrategie ergeben: ›Klücks-kinder‹ soll sich zum Teil über Schulungen finanzieren – aber auch über Spenden oder Crowdfunding. Anfang März hat die Robert Bosch Stiftung das Projekt ausgezeichnet und Diana Klückmann in ihr Netzwerk ›Die Verantwortlichen‹ aufgenommen, ein Netzwerk von Menschen, die sich auf eine herausragende Weise gesellschaftlich engagieren. Sie würde gern auch Mario Adorf für ihr Projekt gewinnen, von dem sie gelesen hat, dass er ebenfalls ein ›Ehemaliger‹ ist. Und sie sucht weitere positive Lebensbeispiele für ›Klückskinder‹, damit sie auch den Mutmacher-Kalender 2016 mit Vorbildern füllen kann. Interessierte erreichen Diana Klückmann unter: [email protected].

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HANDELNHANDELN

Welt der WärmeWir Menschen nutzen die Elemente Feuer

und Wasser auf vielfältige Weise, um Wärme zu gewinnen. Unsere Fotostrecke

zeigt drei Beispiele.

Texte: Ulrike Wronski

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Große Strahlkraft Marokko will sich bei der Energieversorgung künftig noch stärker auf die Kraft der Sonne verlassen. Nahe Ouarzazate entsteht der größte Solarpark der Welt (Foto). Nach seiner Fertigstellung soll er Strom für 1,3 Millionen Marokkaner liefern und so gegenüber der konventionellen Stromerzeugung jährlich etwa 800.000 Tonnen CO₂ einsparen. Das Erste von insgesamt vier Kraftwerken geht im Herbst 2015 ans Netz. Der Bau des zwei-ten und dritten Kraftwerks startet voraus-sichtlich im Juli. Von den rund 2,2 Milliarden Euro Gesamtkosten wird der Geschäfts- bereich KfW Entwicklungsbank knapp 40 Prozent finanzieren. Auch in Chile fördern Entwicklungsbank und die KfW-Tochter DEG die Nutzung von Sonnenenergie. Die Wirtschaft des Landes wächst und damit auch die Nachfrage nach Strom. Für den Bau des ersten solarthermischen Kraftwerks Südamerikas in der Region Antofagasta stellt die Entwicklungsbank der Republik Chile im Rahmen der Deutschen Klima- und Technologieinitiative (DKTI) einen Kredit über 100 Millionen Euro zur Verfügung. Die DEG fördert zudem in der chilenischen Atacamawüste, die als sonnenreichster Ort der Erde gilt, den Ausbau des Solarparks La Huayca. Die Betreibergesellschaft SPS La Huayca S. A. erhält dafür ein Darlehen in Höhe von 18,5 Millionen Dollar.

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HANDELNHANDELNHANDELN

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Kontrolliertes FeuerDie Marinewerft ist der größte Energie- verbraucher im britischen Plymouth. Ein mit deutscher Anlagentechnik und deutschem Know-how gebautes, abfallgefeuertes Heiz-kraftwerk versorgt den Marinestützpunkt von diesem Sommer an direkt mit Strom und Wärme. Um 20 Prozent sollen die Energie- kosten dadurch sinken. Der kommunale Zweckverband vor Ort hat die Mannheimer MVV Umwelt mit Planung, Bau und Betrieb der Anlage beauftragt – eine öffentlich- private Partnerschaft. Ein Konsortium aus KfW IPEX-Bank und Svenska Handelsbanken finanziert das Vorhaben, dessen Gesamt- investitionskosten sich auf 250 Millionen Euro belaufen. Wesentliche Teile der Anlagen- technik kommen aus Deutschland, der Kessel etwa stammt von Baumgarte Boiler Systems aus Bielefeld. Der Einsatz modernster Technik sorgt in Plymouth für geringe Emissionen bei hoher Energieeffizienz. Mit bis zu 49 Prozent erreicht die Anlage einen Nutzungsgrad, der europaweit einen Spitzen-platz einnimmt. Die Briten müssen verstärkt in den Abfall- und Recyclingsektor inves-tieren, um die langfristigen EU-Umweltziele zu erreichen. So entsteht ein Markt mit großem Potenzial für deutsche Fachfirmen.

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HANDELN

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Heiße Quellen Wo nahe der Erdoberfläche Wasserdampf brodelt, schlummert Potenzial für nach- haltige Energiegewinnung. In Lateinamerika sollen künftig die heißen Quellen sauberen Strom erzeugen. Der Geschäftsbereich KfW Entwicklungsbank hat im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Geothermie-Fazilität ins Leben gerufen: Europäische Union, Weltbank und rund ein Dutzend weitere Geldgeber stellen mehr als 760 Millionen Euro bereit, um die Vorbe-reitung und den Bau von Geothermiekraft-werken in zehn Ländern Lateinamerikas zu finanzieren. In Afrika hat die KfW bereits gute Erfahrungen mit Geothermieprojekten gemacht. Dort fördern die Entwicklungsbank und die KfW-Tochter DEG seit mehreren Jahren Erdwärmekraftwerke in Olkaria, Kenia (Foto). Doch noch immer entfallen etwa 40 Prozent der Stromproduktion des Landes auf Wasserkraft. Das ist in einer von Dürren geplagten Region problematisch. Damit die Energie aus dem Erdinneren künf-tig noch mehr Haushalte und Unternehmen mit sicherem Strom versorgen kann, fördert die KfW die Erschließung neuer Quellen. Mit einem zinsverbilligten Darlehen über 80 Millionen Euro für die kenianische Regie-rung soll nun ein weiteres Geothermiefeld, der Bogoria-Silali-Block, erschlossen werden.

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Wenn der Regen auf sich warten lässt

Viele Länder Afrikas kämpfen mit den Folgen von Klimawandel und globaler Erwärmung: Dürren nehmen zu. Eine neuartige Versicherung gegen Dürrefolgen hat ihre Bewährungsprobe bestanden.

Text: Lisa Adrian

Das Jahr hat für die Menschen im Senegal nicht gut begon-nen. Normalerweise hätte es in den Vormonaten mehr

regnen sollen. Stattdessen herrscht Dürre: Kleinbauern bangen um ihre Existenz und das Leben ihrer Familien. Im Senegal arbeiten 78 Prozent der Erwerbstätigen im Agrarsektor. Wenn eine Dürreperiode einsetzt, gefährdet dies die Lebensgrundlage von Hundert-tausenden. Entwicklungsländer leiden besonders unter den Folgen von Klimawandel und

globaler Erwärmung. Extremwetter- ereignisse wie Dürren zwingen sie zum Handeln. Wegen ihrer geringen Wirt-schaftskraft und fehlender Ressourcen sind Staaten wie Senegal, Mauretanien und Niger dabei auf Unterstützung angewiesen. Deshalb hat der Geschäfts-bereich KfW Ent wicklungsbank gemein-sam mit dem britischen Department for International Development, der African Risk Capacity Agency und eini-gen afrikanischen Ländern die weltweit erste Dürre versicherung auf den Weg gebracht. »Der politische Wille in den

häufig von Dürren betroffenen Ländern war da«, sagt Dr. Thomas Duve, Abtei-lungsleiter Südliches Afrika und Regionale Fonds. »Es fehlten nur die notwendigen Strukturen und ent sprechenden Mittel.« Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die KfW 50 Millionen Euro für den Aufbau der Versicherungs-gesellschaft African Risk Capacity Insurance Company Limited (ARC Ltd.) bereit gestellt. Insgesamt konnten 170 Millionen Dollar für die neuartige Versicherung mobilisiert werden.

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STAUBTROCKEN

Unter einer Dürre leidet vor allem die ländliche

Bevölkerung. Ihre Vorräte sind schnell aufgebraucht

Kenia

Niger

Mauretanien

Senegal

afrikanische

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Staaten sind bislang

gegen Dürrefolgen versichert.

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Unter einer extremen Dürre leidet vor allem die ländliche Bevölkerung. Inner-halb weniger Monate sind die Vorräte von Kleinbauern aufgebraucht, dann müssen sie ihr Vieh notschlachten und ihre Besitztümer verkaufen. Die Dürre-versicherung soll das verhindern, indem sie die bisherigen Formen der Dürre-nothilfe ergänzt. Sie dient dazu, die kritischen Monate zu überbrücken, bis die inter nationale Nothilfe eintrifft. Zwei Satelliten im All messen konti-nuierlich, wie viel Regen in einzelnen Landstrichen fällt. Schneller als bisher können damit Ernte- und Futterausfälle vorausgesagt werden. Hinzukommen klar definierte Notfallpläne. Damit legen die Teilnehmerstaaten vorab fest, was mit der ausgezahlten Versiche-rungssumme passieren soll. »Während die klassische Nothilfe in der Regel erst sieben bis neun Monate nach Dürre eintritt anläuft, kann die ARC Ltd. deutlich früher reagieren und der

Bevölkerung schnell helfen«, so Duve. Die Folge schäden einer Dürre können dadurch erheblich verringert werden. Ihre erste Bewährungsprobe hat die Dürreversicherung be standen: Anfang des Jahres zahlte die ARC Ltd. rund 26 Millionen Euro an drei ihrer Versi-cherungsnehmer aus: Senegal, Maure-tanien und Niger. Allein 16 Millionen Euro gingen an die senegale sischen Dürre opfer. Im Oktober des Vorjahres ließen die Satellitenauf nahmen bereits er ahnen, dass es in den Ländern nicht ausreichend regnen würde. Im Dezem-ber konkretisierten die betroffenen Staaten ihre Notfall pläne und schon im Februar 2015 konnten die Mittel ausgezahlt werden. »Wir sind sehr zufrieden, dass der Me chanismus funktioniert«, sagt Susanne Feser, Projektmanagerin bei der KfW Entwicklungsbank. »Die Erfah rungen des ersten Jahres werden uns helfen, in den nächsten Jahren noch schneller zu agieren.« Investiert wurde das Geld unter anderem in Nahrungsmittel- und Futterhilfen für Vieh. In den drei betroffenen Ländern können dadurch bis zu 1,3 Millionen Menschen unterstützt und Futterhilfen für rund 500.000 Tiere finanziert werden – bis weitere Maßnahmen der klassischen Nothilfe greifen. Die nächste Ernte wird im Sommer erwartet. Bis dahin haben die Klein-bauern im Senegal sowie in Niger und Mauretanien Zeit, sich von der Dürre zu erholen. »ARC Ltd. bietet der Bevöl-kerung schnelle und zielgerichtete Hilfe, um die kritischen Monate nach Dürre eintritt zu überbrücken«, so Feser. Sie ist optimistisch, dass die Teil-nehmerländer damit langfristig weniger verletzlich werden, was die Folgen des Klimawandels betrifft. Derzeit bietet die ARC Ltd. neben den aktuell von Dürre betroffenen Ländern auch Kenia Versicherungsschutz an. Weitere Länder sollen im Jahresverlauf hinzukommen. »Wir sind sehr stolz darauf, den afrikanischen Staaten bei der Bewältigung eines drängenden Problems helfen zu können und auf diese Weise die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort nachhaltig zu verbessern«, sagt Thomas Duve.

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MACHER

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»Unser Wachstum ist sehr sportlich«

Bei Joachim Kuhn dreht sich alles um Wärmeisolierung. Seine Hightech-Schmiede am Rande von Würzburg stellt besonders leistungsstarkes Dämmmaterial her – und heimst damit eine Auszeichnung nach der anderen ein.

Interview: Bernd Salzmann, Fotos: Dominik Buschardt

Herr Kuhn, was macht den Erfolg von va-Q-tec aus?Wir haben ein Vakuumisolationspaneel entwickelt, das zehnmal leistungsfähi-ger ist als konventionelle Dämmstoffe. Das eröffnet uns Marktchancen dort, wo eine sehr gute Wärmedämmung gefragt, aber wenig Platz vorhanden ist.

Ihr Produkt va-Q-safe wurde mit einem ›Innovationspreis Architek-tur + Bauwesen‹ ausgezeichnet. Ja, da Vakuumisolationspaneele als emp- findlich gelten, haben wir für den Ein-satz auf Baustellen eine robuste Schutz-hülle entwickelt. Die Paneele lassen sich jetzt sogar an den Rändern dübeln.

Auszeichnungen sind eine feine Sache, die Öffentlichkeit diskutiert aber sehr kontrovers über Gebäude-dämmung. Da wird der wirtschaft-liche Nutzen in Zweifel gezogen und

auf Risiken wie Schimmelbildung und Brandgefahr hingewiesen. Es gibt keinen Grund, eine ganze Branche zu verteufeln. Wichtig sind eine gute Kenntnis der marktgängigen Materialien, eine gute Beratung und eine fachkundige Montage – dann gibt es auch keine Risiken.

VORREITER

Das World Economic Forum in Davos kürte va-Q-tec

zum Technology Pioneer 2013

Sie werben damit, dass Ihre Produkte besonders leistungsfähig, nicht brennbar, langlebig und recycelbar sind. Vakuumisolations-paneele sind aber auch nicht gerade billig!Zugegeben, bei unserem Material sind die Quadratmeterkosten höher als etwa bei Styropor. Aber ein vernünftiges Urteil darüber lässt sich nur auf Grund-lage einer Gesamtkostenanalyse fällen. Wenn Sie mit dem Einsatz dünner Paneele Platz sparen oder um zusätz-liche Bauarbeiten herumkommen, dann zahlt sich das unterm Strich aus.

Können Sie ein Beispiel nennen?Wir haben in München ein Wohn- und Geschäftshaus isoliert. Mit unserer Dämmung konnten wir mehr Innen-raum bewahren, den der Bauherr ent-sprechend rentabler vermieten oder verkaufen konnte.

Ist die Gebäudedämmung der größte Geschäftszweig von va-Q-tec?Sie ist für uns vor allem ein Markt mit Zukunft. Aktuell sind unsere wich-tigsten Geschäftsfelder die thermische Verpackung und die Isolierung von Kühl- und Gefriergeräten.

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GRÜNDERGEIST

Joachim Kuhn ist einer von drei Forschern, die va-Q-tec 2000 gründeten. Heute gehören neben Kuhn Mit-gründer Roland Caps sowie Christopher Hoffmann zum Vorstand

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Wer nutzt Ihre Boxen und Luft-frachtcontainer? Unsere Kunden kommen aus Branchen mit sehr temperaturempfindlichen Produkten, etwa aus der Pharmazie und der Biotechnologie, aber auch aus der Elektronik und der Optik.

Vakuumisolationspaneele in Kühl- und Gefrierschränken sind hierzulande noch relativ selten. In Asien ist jedes zweite Gerät damit verkleidet. Warum?In Asien spielt Platz eine wichtigere Rolle als bei uns. Die Wohnungen dort sind vergleichsweise klein. Der Kunde

kauft einen Kühlschrank, der ihm unter den gegebenen Verhältnissen das größt-mögliche Volumen bietet.

200 Mitarbeiter

hat das Unternehmen inzwischen.

Ist das der Grund dafür, dass Sie außer in den USA und in Groß- britannien vor drei Jahren auch in Südkorea eine Niederlassung eröffnet haben?Die Vakuumisolationspaneele sind eine relativ neue Technologie. Wir wissen nicht, wo demnächst Märkte erblühen. Es kann sein, dass in den engen asiati-schen Städten große Chancen entstehen. Falls das so kommen sollte, müssen wir dort präsent sein.

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Sehen Sie weitere Geschäftsfelder für va-Q-tec?Wir wollen unbedingt mit der Auto- mobilindustrie ins Geschäft kommen. Die Grundvoraussetzungen dafür sind gegeben: In Autos ist wenig Platz und die Anforderungen an die Isolie-rung sind hoch. Das wird noch einmal zunehmen, wenn sich die Hybrid- und Elektroautos durchsetzen.

Das müssen Sie erklären!Heute können Sie zum Erwärmen eines Benziners die Abwärme des Motors nutzen, die in völligem Überfluss vor-handen ist. Wenn Sie hingegen ein Elektroauto fahren, müssen Sie zum Heizen Leistung von der Batterie ziehen – auf Kosten der Reichweite. Die Batterie selber hat dann auch noch einmal eine spezielle Eigenschaft: Sie ist empfindlich gegen Kälte.

Die Produkte entwickelt Ihr Unter-nehmen selbst?Ja, das ist eine Stärke von uns. Aktuell entwickeln wir zum Beispiel gemein-sam mit einem großen Automobil-zulieferer einen Wärmespeicher, der die Abwärme des Motors sammelt und ihn viele Stunden auf Betriebstempe-ratur hält. Der Motor ist dann selbst im Winter schnell vorgewärmt. Das spart Sprit, verringert den CO₂-Ausstoß und sorgt nebenbei auch für warme Füße und freie Scheiben.

Sie wachsen rasant, eröffnen konti-nuierlich neue Standorte, forschen

und entwickeln – verdienen Sie auch Geld?Tatsächlich ist unser Wachstum sehr sportlich. Wir sind im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre jeweils um 30 Prozent gewachsen. Momentan wach-sen wir sogar noch schneller. Das erfor-dert ein strenges Kostenmanagement und eine gute Marktanalyse. Wir müs-sen jeden Euro zweimal umdrehen, um einen positiven Cashflow zu erzielen.

DÜNNE PLATTE

Die Paneele von va-Q-tec dämmen

effektiver und können deshalb

viel flacher als her-kömmliche Dämm-

platten sein

HANDELN

52 | CHANCEN Wärme

VON ERFURT BIS SEOUL

Produziert wird in Würzburg und

Kölleda bei Erfurt. Internationale

Vertriebsniederlas-sungen gibt es in

Großbritannien, den USA und Südkorea

FINANZIERUNG

Die KfW unter- stützt innovative Gründungen von

Beginn an. Sie bietet Finanzierungen für

die Seed-Phase sowie die Start-up-Phase und verhilft

dem deutschen Mittelstand zu einer

besseren Eigen- kapitalausstattung.

Mehr Informationen: www.kfw.de/ unternehmen

Erreichen Sie Ihr Ziel?Derzeit gelingt uns das ganz gut.

Sie haben über die Physik der ther-mischen Isolierung promoviert und in der Forschung gearbeitet. Warum wollten Sie Unternehmer werden?Schon während meines Physikstudiums habe ich im Nebenfach BWL und nicht wie üblich Astronomie belegt. Es ist toll, ein Produkt zu entwickeln und ein Unternehmen wachsen zu sehen.

Sie haben va-Q-tec im Jahr 2000 gegründet. Was waren anfangs die größten Herausforderungen? Wir mussten nicht nur einmal unseren Businessplan anpassen. Ursprünglich wollten wir Dämmplatten produzieren, die andere in ihre Boxen einsetzen. Das war zu kompliziert. Jetzt produzieren wir das komplette Produkt selbst. Auch bei unseren Luftfrachtcontainern mussten wir umdenken. Das Leasing ist für uns inzwischen lukrativer als der Verkauf. Es wollen weniger Kunden kaufen als gedacht.

War es für Sie als Gründer schwer, einen Finanzier zu finden?Bei uns hat es immer gut geklappt, auch dank der KfW, die zu unseren Gründungsinvestoren zählt und auf der Suche nach weiteren Geldgebern eine wichtige Referenzadresse war.

Welchem Zweck wird Ihre nächste Finanzierungsrunde dienen?Einen guten Teil nutzen wir für den Aus-bau von Vertrieb und internationalen Aktivitäten. Viele unserer Kunden sind weltweit tätig – da müssen wir vieler -orts präsent sein.

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Kühle Häuser

Nachhaltig bauen und gleich-zeitig bezahlbaren Wohn-raum für Geringverdiener schaffen – dieser Herausfor-

derung stellt sich der Bauträger Promo-tora de Viviendas Integrales (PVI) aus dem Großraum Mexiko-Stadt. In den nächsten Jahren will das Unternehmen 3.000 Häuser nach grünen Standards errichten. Damit in den heißen Som-mermonaten möglichst keine Klimage-räte eingesetzt werden müssen, sind die Wohnanlagen so ausgerichtet, dass sie sich weniger stark aufheizen. Die Fenster regulieren die Lichtdurchlässig-keit. Außerdem gibt es Solaranlagen zur Heißwasser- und Stromerzeugung, wassersparende Toiletten und Duschen sowie eine geregelte Abfallentsorgung. »Auch weil PVI deutlich ökologischer orientiert ist als andere Wohnungsbau-unternehmen, finanzieren wir das Wachstum der Firma mit einem Lokal-währungsdarlehen von umgerechnet rund 17 Millionen Euro«, sagt Thomas Gau, Projektmanager bei der KfW-Toch-ter DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH. Zusätz-lich fördert die DEG die Entwicklung eines ressourcenschonenden Baustoffs aus Reisschalen im PVI-Labor, der noch bessere Dämmeigenschaften haben soll.

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Bunker wärmt Badewasser

-Der Weltkriegsbunker im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg war lange ungenutzt; kalt und abweisend stand er da. Seit einem aufwendigen Umbau vor zwei Jahren aber spendet er Wärme. 700 Haushalte in der angrenzenden Siedlung ›Welt

quartier‹ beziehen heißes Wasser für Heizung und Bad aus der einstigen Festung. Zwei Millionen Liter fasst der Speicher im Innern des Bunkers, das entspricht 13.000 Badewannen. Das Wasser wird von einem mit Biogas befeuerten Blockheizkraftwerk erhitzt, von Sonnenkollektoren auf dem Dach des Bunkers und bald auch von der Abwärme eines nahe gelegenen Industriebetriebs. Solarpanels an der Fassade der 45 Meter hohen Betonburg produzieren überdies Strom. Dank eines Betonüberzugs sieht der zuvor verwitterte Quader nun freundlicher aus. Der städtische Energieversorger Hamburg Energie wandelte das militärische Gebäude im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Hamburg um. Die KfW förderte die solarthermische Anlage dieses außergewöhnlichen Projekts mit Mitteln aus dem Programm ›Erneuerbare Energien Premium‹.

Einblicke in den Energiebunker unter: www.kfw.de/chancen

Alter Stahl zu neuem Stahl

In einem von der KfW IPEX-Bank finanzierten Stahlwerk im US- amerikanischen Arkansas wird es ab Mitte 2016 heiß hergehen. Dann

wird dort Stahlschrott zu hochwertigem Flachstahl verarbeitet. Die Düssel- dorfer SMS group liefert die komplette Produktionsanlage. Das Unternehmen erhält von der KfW IPEX-Bank einen Kredit über knapp 800 Millionen Dollar. Auft raggeber ist Big River Steel LLC aus Arkansas. Das Werk wird zu den leistungsfähigsten und umweltfreund-

lichsten Recyclinganlagen Nordameri-kas zählen. Big River Steel plant die Produktion verschiedener Qualitäts-stähle, darunter hochfeste Mehrphasen-stähle. In Fahrzeugen eingebaut, helfen sie dank ihres geringen Gewichts dabei, Kraftstoff zu sparen. Hauptabnehmer werden US-amerikanische Unterneh-men der Automobil-, Röhren- und Energieindustrie sein. Der Düsseldorfer Stahlwerkausrüster wird über eine US-Tochtergesellschaft vor Ort auch eine Servicewerkstatt betreiben.

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HANDELN

STARTHELFER

Im ewigen Hochsommer

25 Grad Celsius in der Nacht. In Deutschland ist eine solche Tropennacht eher selten und gilt als schwer erträglich. Rebekka Edelmann, Büroleiterin der KfW Entwicklungsbank in Burkina Faso, sagt: »Angenehm kühl.«

Text: Leonore Esser

Um im täglichen Wettlauf gegen die sengende Hitze einen Vorsprung zu gewin-nen, stehen viele Burkinabe

schon gegen fünf Uhr morgens auf. Auch der Büroalltag in der Hauptstadt Ouagadougou startet früh. Rebekka Edelmann beginnt zwischen sieben und acht Uhr mit der Arbeit. Die heißeste Zeit liegt gerade hinter ihr: Im April und Mai waren es mehr als 40 Grad im Schatten.

Wie lässt es sich arbeiten, wenn das ganze Jahr Hochsommer ist? »Wir haben im Büro eine Klimaanlage – das ist ein Privileg«, sagt Edelmann. Ver gan genen Sommer zog die 34-Jährige mit ihrem Mann und dem damals einjährigen Sohn in die burkinische Hauptstadt. Für die Familie hat sich der Alltag dadurch von Grund auf geändert. An die Hitze haben sich die drei gewöhnt. Vor allem der Sohn genießt den ewigen Sommer: »Beim

ersten Besuch in Deutschland musste er Winterstiefel und Winterjacke tragen, das hat ihm gar nicht gefallen.« Seit 2011 ist Rebekka Edelmann im Geschäftsbereich KfW Entwicklungs-bank tätig, zunächst arbeitete sie in Frankfurt am Main. Mit der Entsendung im Auftrag der Förderbank ging für sie ein Traum in Erfüllung. »Die Burkinabe sind sehr offen und engagiert. Es ist schön, hier zu leben und zu arbeiten.« Ihr Team besteht aus Deutschen und Burkinabe, insgesamt sind es sieben Mitarbeiter. Kollegen und Freunde berichten, die Hitze werde immer extremer. Die Folgen der Erderwärmung sind auch dort spür bar, wo ohnehin schon Rekordtem -pe ra turen herrschen: Zusammen mit den Nachbarstaaten Mali und Niger bildet Burkina Faso ein glühendes Drei-eck – heißer als hier ist es an keinem anderen Standort der KfW. Im Auftrag

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des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) widmen sich Edelmann und ihre Kollegen derzeit dem neuen West African Science Service Center on Climate Change and Adapted Land Use (WASCAL). Damit entsteht in Ouagadougou das erste Klima forschungszentrum Westafrikas. »Forschung mit und in Afrika anstatt Forschung über oder für Afrika«, so die Grundidee des Bundes ministeriums. Künftig sollen in dem Zentrum Klima-forschungsnetzwerke für die Region entstehen und afrikanische Wissen-schaftler ausgebildet werden. »Dafür spielt das Design des Gebäudes eine zentrale Rolle«, sagt Edelmann, die mit ihrem Team und den Kollegen in Frankfurt Finanzierung und Bau des Zentrums begleitet. Wichtige Faktoren bei der Wahl des architektonischen Entwurfs waren geringe Energiekosten und Alternativen zur Klimaanlage.

AUSSENPOSTEN Rebekka Edelmann auf einem Markt in Ouagadougou. An die Hitze hat sie sich inzwischen gewöhnt

Das Klima stellt andere Anforderungen an Gebäude als in Deutschland – das betrifft das neue Forschungszentrum ebenso wie den Wohnraum. »Unser Wohnhaus ist nach Norden ausgerichtet, damit keine Sonne hereinkommt.« Auch Strohmatten vor den Fenstern schützen. Eine Klimaanlage haben zu Hause nur wenige Burkinabe. »Viele ste-hen in den heißen Monaten nachts auf, um sich mit Wasser zu übergießen«, berichtet Edelmann. Zwischen Oktober

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und Februar erlebte sie einen einzigen Schauer. Dennoch ist die jährliche Niederschlagsmenge in Burkina Faso höher als in Hessen. Kommt das Wasser, kommt es in Fluten.

»Wir haben eine Klimaanlage im Büro. Das ist ein Privileg.«Rebekka Edelmann

Seit vielen Jahren engagiert sich die Entwicklungsbank mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Wassersektor und in der Land-wirtschaft. »Im Reisanbau werden Talsenken so ausgebaut und befestigt, dass sich darin Regenwasser sammelt. Dadurch wachsen die Reispflanzen und die Ernteerträge steigen um ein Vierfaches«, beschreibt die Büroleiterin einen Förderbereich. Während der Reisanbau ohne Regen nicht möglich ist, sind Bauprojekte nur in der Trocken-zeit realisierbar: Für neue Fundamente werden Sturzbäche zur Gefahr. In der Regenzeit reist Rebekka Edelmann weniger durchs Land, bleibt mehr in Ouagadougou. Dann werden mit den burkinischen Partnern und in Ab stim-mung mit der deutschen Botschaft und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit die Projekte weiter vorangebracht. Dass ihr Büro unweit des Regierungs-viertels liegt, ist einerseits praktisch – kann jedoch auch gefährlich sein. Im vergangenen Herbst wollte der damalige Präsident Blaise Compaoré, der bereits seit 1987 an der Macht war, ein Gesetz verabschieden, mit dem er seine Amtszeit weiter hätte verlängern können. Die Bevölkerung protestierte, in der Nachbarschaft des KfW-Büros fielen tödliche Schüsse. Edelmann be-schloss, den Standort vorübergehend zu schließen. Unter dem Druck der Massen kapitulierte Compaoré schließlich. Nach 27 Jahren im Amt floh er aus dem Land. Schon am Tag danach säuberten die Menschen die Straßen. Der Alltag kehrte zurück. »Der burkinischen Bevöl kerung ist ein friedlicher Übergang gelungen«, sagt die studierte Sozialwissenschaft-lerin Edelmann. Zwar bleibt die Situation bis zu den Neuwahlen am 11. Oktober unberechenbar, doch die Haltung der Bevölkerung hat sie beeindruckt. Auch persönlich ist sie erleichtert: »Ich bin froh, dass ich das Büro rechtzeitig geschlossen habe und dass das Sicher-heitsmanagement der KfW in Frankfurt uns so gut unterstützt hat.«

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HANDELSBIL ANZ

* chilenische Nationalhymne

»Neue Musik für eine neue Zeit«

Prominente erzählen von einem Ereignis, das ihr Leben verändert hat. Roland Diry,

Geschäftsführer des Ensemble Modern, erinnert sich an eine Konzertreise nach Südamerika.

Aufgeschrieben von Leonore Esser

ROLAND DIRY

studierte Klarinette in Frankfurt am Main und Hannover. Er ist seit 1982 Mitglied des Ensemble Modern und seit 2003 dessen Geschäftsführer. Interkultureller Austausch beschäftigt ihn auch aktuell: bei RUANG SUARA, einem vom Ensemble mit der KfW Stiftung und dem Goethe-Institut Jakarta entwickelten Projekt. Dabei schreiben junge indonesische Kom- ponisten Werke für das Ensemble Modern. Indonesien ist 2015 Ehren-gast der Frankfurter Buchmesse. Kurz vor Eröffnung der Messe werden die Stücke am 6. und 7. Oktober uraufgeführt.

DAS ENSEMBLE IM VIDEO

www.ensemble-modern.com > Ensemble Modern > Geschichte

56 | CHANCEN

HANDELN

Mexiko, Uruguay, Argenti-nien und Chile: Diese Län-der standen auf unserem Tourneeplan, als ich 1984

mit dem gerade vier Jahre alten Ensemble Modern das erste Mal nach Südamerika reiste. In sechs Wochen besuchten wirsechs Städte. Wir, eine bunte Gruppe von Mitt- bis Endzwanzigern, traten auf und unterrichteten. Das Repertoire, das wir mitbrachten – die Neue Musik –, war in Südamerika damals noch weit gehend unbekannt. In Buenos Aires spielten wir Olivier Messiaens ›Quartett auf das Ende der Zeit‹ – ein kompositorisches Glanzstück, wie zum Beispiel der Klarinettensatz zeigt: Dessen vom Komponisten vorge-gebenes Tempo liegt weit unter dem des menschlichen Pulsschlags, was ein ande-res Erleben von Zeit bewirkt. Geschrie-ben hat Messiaen das Quartett 1942 in einem Kriegsgefangenenlager der Wehr-macht in Görlitz. In Buenos Aires endete unser Konzert in stürmischem Applaus – und damit, dass uns das Publikum durch die Straßen trug. Nächste Station: Chile. Entfesselter Jubel war hier kaum zu erwarten. Denn anders als in Argentinien war in Chile die Militärjunta noch an der Macht, ob- gleich es bereits heftige Proteste gab – so

auch am Tag unserer Aufführung. In der Hauptstadt Santiago spielten wir wieder Messiaens Quartett. Unsere Musik traf den Nerv: Als unsere Instrumente ver-stummten, standen die Zuhörer ge-schlossen auf, zündeten Kerzen an und sangen die Nationalhymne. Eine unbe-schreibliche Stimmung! Mit ihren Kerzen in den Händen verließen die Gäste den Saal. Was draußen wartete, ließ uns den Atem stocken: Ein großes Polizeiaufge-bot mit Hunden hatte Stellung bezogen und hetzte die Menschen in alle Rich-tungen. Ohnmächtig beobachteten wir Musiker das Geschehen. Trotz ihrer Nöte und entgegen musi- k a lischer Konventionen waren die Men-schen in Südamerika bereit, sich auf die Neue Musik einzulassen. Auf dieser Tour-nee habe ich erfahren, wie Neue Musik Brücken bauen kann und wie man sie Menschen nahebringt. Dass die Stadt Frankfurt uns nach der Tournee anbot, unserem Ensemble eine Heimat zu bieten, war eine große Anerkennung – wenn für uns junge Musiker damals auch ein Wagnis darin lag, einen ande-ren Weg als die traditionelle Orchester-karriere einzuschlagen. Die Tournee gab für mich und viele andere den ent-scheidenden Impuls, dieses Wagnis ein- zugehen.

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Impressum

Herausgeber: KfW Bankengruppe Kommunikation Palmengartenstraße 5–9 60325 Frankfurt am Main

Verantwortlich: Bernd Salzmann (V.i.S.d.P.)

Redaktion: Susanne Brösamle, Axel Breitbach, Dr. Christian Chua, Alexander Kempf, Stefanie Kempf, Verena Mohrenweiser, Cordula Rinsche, Bernd Salzmann (Ltg.), Barbara Schnell, Barbara Schrahe-Timera, Thomas Schuch (alle KfW Bankengruppe) Lisa Adrian, Christoph Albrecht-Heider, Judith Beck, Alia Begisheva, Nicolas Engel, Leonore Esser, Michael Netzhammer, Alexandra Resch, Ulrike Wronski (Ltg.), Nicolas A. Zeitler (alle fischerAppelt, relations GmbH)

Autoren: Dr. Karl Ludwig Brockmann, Dr. Katja Horneffer, Jörg Thadeusz (Kolumnist)

Kontakt: [email protected]

Gestaltung: Gina Biel, Gesa Heitmann, Jan Kruse, Martina Massong (alle Ligalux GmbH)

Fotos: Frank Blümler (S. 4 oben rechts und unten links, S. 8 – 12, S. 40 – 41), BritNet (S. 7 unten), Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (S. 13), Dominik Buschardt (S. 5 Mitte, S. 50– 52), Copenhagen Consensus Center (S. 13), Edward Elgar Publishing (S. 13), gettyimages/mrcmos (S. 57 oben), gettyimages/Tyrone Turner (S. 5 oben, S. 14, S. 16 –17), gettyimages/Visuals Unlimited, Inc./Scientifica (S. 18 –20), ipcc.ch (S. 13), http://chefhansen.de/Alexander Hansen (S. 57 unten), KfW-Bildarchiv/ – (S. 3 oben), KfW-Bildarchiv/ Bernhard Schurian (S. 5 unten), KfW-Bildarchiv/photothek.net (S. 6 unten), KfW Bankengruppe/auslöser photographie (S. 46 –47), KfW Bankengruppe/Ludovic Bayala (S. 54 – 55), KfW Bankengruppe/photothek.net (S. 48 – 49), KfW Banken-gruppe/Jens Steingässer (S. 42 – 43), MVV Energie/Soper (S. 44 – 45), Rüdiger Nehmzow (Titel- und Rückseite, S. 3 unten, S. 4 unten rechts, S. 28 –32, S. 34 –35, S. 53 oben), Oekom Verlag (S. 13), picture alliance/dpa (S. 6 oben), picture alliance/empics (S. 7 oben), Public Affairs (S. 13), Matthias Schmidt-Rosen (S. 36 –37, S. 39), Jenny Siebolt (S. 25), SMS group (S. 53 unten), Manu Theobald (S. 56), Westhof Bio (S. 33), ZDF/Kerstin Bänsch (S. 4 oben links, S. 26)

Illustrationen: Gina Biel (S. 21 –24), Jindrich Novotny (S. 25)

Lithografie: Alphabeta GmbH

Druck: Schirmer Medien GmbH & Co. KG

klimaneutralnatureOffice.com | DE-077-091101

gedruckt

Auflage: 27.500

Redaktionsschluss: 30. April 2015

Erscheinungsweise: mindestens zweimal jährlich

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