don't stop me now!

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TREFFPUNKT FORSCHUNG | Bei der Muskeldystrophie vom Du- chenne-Typ handelt es sich um eine degenerative Erkrankung der Skelett- muskulatur, die X-chromosomal re- zessiv vererbt wird und somit hauptsächlich beim männlichen Ge- schlecht auftritt. Sie beruht auf einer Mutation des Dystrophin-Gens. Dys- trophin ist ein Zytoskelettprotein, das die Struktur und Funktion der Muskelfasermembran aufrecht erhält. Fehlt dieses Protein, wie es bei der Muskeldystrophie vom Duchenne- Typ (MD) der Fall ist, kommt es zu Membrandefekten der Muskelfasern. Eine Überladung der Muskelzellen mit Calcium durch verstärkten Ca 2+ - Einstrom und daraus resultierender Degeneration sowie Nekrose der Muskelzellen ist die Folge. Die Erkrankung, die sehr schnell voranschreitet, beginnt schon im Kleinkindalter, meist an Ober- schenkeln und Becken, und betrifft in fortgeschrittenen Stadien auch die Atem- und Herzmuskulatur. Der Tod tritt meist vor dem 20. Lebensjahr durch zunehmende Ateminsuffizienz oder Herzversagen ein. Bei der Mutation des Dystrophin- Gens kann es sich um Deletion, Du- plikation oder Punktmutation han- deln. Bei der Punktmutation entsteht statt Dystrophin ein Non-sense-Pro- tein durch vorzeitigen Einbau eines Stoppcodons. Die derzeitigen therapeutischen Maßnahmen wie Behandlung mit Glucocorticoiden, Immunsuppres- siva, Antibiotika gegen Atemwegs- infektionen sowie künstliche Beat- mung und Physiotherapie sind rein symptomatisch und können lediglich den Krankheitsverlauf verlangsamen. Schon länger ist bekannt, dass ho- he Konzentrationen von Aminoglyko- sid-Antibiotika wie Gentamicin in Säugerzellen Non-sense-Mutationen unterdrücken können. Die Hauptwir- kung dieses Aminoglykosid-Antibioti- kums beruht auf einer Induktion der Anlagerung falscher Aminoacyl-tRNAs während der bakteriellen Trans- lation. Hieraus resultiert letztendlich eine gestörte Proteinbiosynthese. Versuche, Patienten mit entsprechen- den Mutationen im Dystrophin-Gen bzw. im Gen für den Cystic Fibrosis Conductance Transmembrane Re- gulator mit Gentamicin zu behan- deln, zeigten erste Erfolge, allerdings sprechen die nephro- und ototoxi- schen Nebenwirkungen sowie die Notwendigkeit einer intravenösen oder intramuskulären Verabreichung gegen die breite Anwendung von Gentamicin. Bei Hochdurchsatz-Screenings mit ca. 800.000 niedermolekularen Substanzen wurde eine Substanz, PTC124, gefunden, die bereits im Konzentrationsbereich von 0,01 bis 0,1 μM zu einem „Überlesen“ des Stoppcodons führt, wobei die maxi- male Aktivität bei 3 μM erreicht wird [1]. Bevorzugt wird dabei das Stopp- codon UGA überlesen, gefolgt von UAG und UAA. Von Gentamicin muss dagegen eine Konzentration von 1 mM erreicht werden, um ein „Überlesen“ des Stoppcodons zu se- hen. PTC124 der Firma PTC soll bei Non-sense-Mutationen u.a. auch bei MD eingesetzt werden. PTC124 bin- det an die 40S-Untereinheit der Ribo- somen und bewirkt, dass das vorzei- tig eingebaute Stoppcodon in der mRNA bei der Translation überlesen, die Translation somit fortgeführt wird und funktionelle Proteine ent- stehen. Normale, sinngemäße Stopp- codons werden jedoch nicht über- lesen, sodass keine Proteine mit Überlänge resultieren. Da eine ge- naue Erklärung, warum selektiv die vorzeitigen Stoppcodons überlesen werden, noch nicht bekannt ist, wur- de das Problem in klinischen Studien mit hohen Dosen von PTC124 so- wohl in Gewebekulturen, im Tiermo- dell als auch in Menschen sorgfältig untersucht. Diese Studien ergaben keine Anhaltspunkte für eine Produk- tion von Proteinen mit Überlänge während der Behandlung mit PTC124. Der Wirkstoff ist oral bioverfüg- bar und wird in Dosierungen von 10 bis 50 mg/kg zweimal täglich als Sus- pension angewendet. PTC124 befindet sich derzeit in Phase II der klinischen Studie. Die Studie beschränkt sich auf Patienten mit durch Non-sense-Mutationen ver- ursachter Mukoviszidose und Mus- keldystrophie vom Duchenne-Typ. 356 | Pharm. Unserer Zeit | 5/2008 (37) www.pharmuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim MEDIZIN | Don’t Stop Me Now! Verschiedene Krankheiten, wie Duchenne’sche Muskeldystrophie aber auch die im vorherigen Beitrag erwähnte Cystische Fibrose können durch einen Mutationstyp verursacht werden, der zu einem frühzeitigen Abbruch der Proteinsynthese führt. Ein neuer Wirkstoff mit dem Kürzel PTC124 könnte bei allen diesen verschiedenen Krankheiten abhilfe leisten. ABB. 1 VERGLEICH DER STRUKTUREN VON GEN- TAMICIN UND PTC124. O CH H2N O HO NH2 H2N O O HO CH3 NH R 1 H N R 2 OH CH3 R 1 R 2 Gentamicin C1 CH3 CH3 Gentamicin C1a H H Gentamicin C2/C2a CH3 H Gentamicin C2b H CH3 COOH N O N F PTC124

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Page 1: Don't Stop Me Now!

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

Bei der Muskeldystrophie vom Du-chenne-Typ handelt es sich um einedegenerative Erkrankung der Skelett-muskulatur, die X-chromosomal re-zessiv vererbt wird und somithauptsächlich beim männlichen Ge-schlecht auftritt. Sie beruht auf einerMutation des Dystrophin-Gens. Dys-trophin ist ein Zytoskelettprotein,das die Struktur und Funktion derMuskelfasermembran aufrecht erhält.Fehlt dieses Protein, wie es bei derMuskeldystrophie vom Duchenne-Typ (MD) der Fall ist, kommt es zuMembrandefekten der Muskelfasern.Eine Überladung der Muskelzellenmit Calcium durch verstärkten Ca2+-Einstrom und daraus resultierenderDegeneration sowie Nekrose derMuskelzellen ist die Folge.

Die Erkrankung, die sehr schnellvoranschreitet, beginnt schon imKleinkindalter, meist an Ober-schenkeln und Becken, und betrifftin fortgeschrittenen Stadien auch dieAtem- und Herzmuskulatur. Der Todtritt meist vor dem 20. Lebensjahrdurch zunehmende Ateminsuffizienzoder Herzversagen ein.

Bei der Mutation des Dystrophin-Gens kann es sich um Deletion, Du-plikation oder Punktmutation han-deln. Bei der Punktmutation entstehtstatt Dystrophin ein Non-sense-Pro-tein durch vorzeitigen Einbau einesStoppcodons.

Die derzeitigen therapeutischenMaßnahmen wie Behandlung mitGlucocorticoiden, Immunsuppres-siva, Antibiotika gegen Atemwegs-infektionen sowie künstliche Beat-mung und Physiotherapie sind reinsymptomatisch und können lediglichden Krankheitsverlauf verlangsamen.

Schon länger ist bekannt, dass ho-he Konzentrationen von Aminoglyko-sid-Antibiotika wie Gentamicin inSäugerzellen Non-sense-Mutationenunterdrücken können. Die Hauptwir-kung dieses Aminoglykosid-Antibioti-kums beruht auf einer Induktion derAnlagerung falscher Aminoacyl-tRNAswährend der bakteriellen Trans-lation. Hieraus resultiert letztendlicheine gestörte Proteinbiosynthese.Versuche, Patienten mit entsprechen-den Mutationen im Dystrophin-Genbzw. im Gen für den Cystic FibrosisConductance Transmembrane Re-gulator mit Gentamicin zu behan-deln, zeigten erste Erfolge, allerdingssprechen die nephro- und ototoxi-schen Nebenwirkungen sowie dieNotwendigkeit einer intravenösenoder intramuskulären Verabreichunggegen die breite Anwendung vonGentamicin.

Bei Hochdurchsatz-Screeningsmit ca. 800.000 niedermolekularenSubstanzen wurde eine Substanz,PTC124, gefunden, die bereits imKonzentrationsbereich von 0,01 bis0,1 µM zu einem „Überlesen“ desStoppcodons führt, wobei die maxi-male Aktivität bei 3 µM erreicht wird[1]. Bevorzugt wird dabei das Stopp-codon UGA überlesen, gefolgt vonUAG und UAA. Von Gentamicin mussdagegen eine Konzentration von ≥ 1 mM erreicht werden, um ein„Überlesen“ des Stoppcodons zu se-hen. PTC124 der Firma PTC soll beiNon-sense-Mutationen u.a. auch beiMD eingesetzt werden. PTC124 bin-det an die 40S-Untereinheit der Ribo-somen und bewirkt, dass das vorzei-tig eingebaute Stoppcodon in dermRNA bei der Translation überlesen,

die Translation somit fortgeführtwird und funktionelle Proteine ent-stehen. Normale, sinngemäße Stopp-codons werden jedoch nicht über-lesen, sodass keine Proteine mitÜberlänge resultieren. Da eine ge-naue Erklärung, warum selektiv dievorzeitigen Stoppcodons überlesenwerden, noch nicht bekannt ist, wur-de das Problem in klinischen Studienmit hohen Dosen von PTC124 so-wohl in Gewebekulturen, im Tiermo-dell als auch in Menschen sorgfältiguntersucht. Diese Studien ergabenkeine Anhaltspunkte für eine Produk-tion von Proteinen mit Überlängewährend der Behandlung mitPTC124.

Der Wirkstoff ist oral bioverfüg-bar und wird in Dosierungen von 10bis 50 mg/kg zweimal täglich als Sus-pension angewendet.

PTC124 befindet sich derzeit inPhase II der klinischen Studie. DieStudie beschränkt sich auf Patientenmit durch Non-sense-Mutationen ver-ursachter Mukoviszidose und Mus-keldystrophie vom Duchenne-Typ.

356 | Pharm. Unserer Zeit | 5/2008 (37) www.pharmuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

M E D IZ I N |Don’t Stop Me Now!Verschiedene Krankheiten, wie Duchenne’sche Muskeldystrophie aberauch die im vorherigen Beitrag erwähnte Cystische Fibrose könnendurch einen Mutationstyp verursacht werden, der zu einem frühzeitigenAbbruch der Proteinsynthese führt. Ein neuer Wirkstoff mit dem KürzelPTC124 könnte bei allen diesen verschiedenen Krankheiten abhilfe leisten.

A B B . 1 V E RG L E I C H D E R

S T R U K T U R E N VO N G E N -

TA M I C I N U N D P TC 1 2 4 .

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H2NOHO NH2

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R1 R2 Gentamicin C1 CH3 CH3Gentamicin C1a H HGentamicin C2/C2a CH3 HGentamicin C2b H CH3

COOH

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ONF

PTC124

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Bei positiven Studienergebnissenplant die Firma PTC eventuell weite-re klinische Studien zum Einsatz desArzneistoffes bei anderen durch Non-sense-Mutationen verursachten Er-krankungen, wie z.B. dem Hurler’sSyndrom, das zu 70 % durch eineNon-sense-Mutation verursacht ist,der Spinalen Muskelatrophie, der Hä-mophilie, der Neurofibromatose undder Retinopathia pigmentosa. Insge-samt hat die Firma PTC mehr als1800 Erkrankungen identifiziert, diedurch Non-sense-Mutationen hervor-gerufen werden und somit evtl. mitPTC124 therapiert werden könnten.

Ergebnisse aus Phase-I-Studienzeigen, dass der Wirkstoff generell

gut vertragen wird, lediglich bei ho-hen Dosen treten Nebenwirkungenwie Kopfschmerzen und Übelkeitauf. Erste Ergebnisse aus Phase-II-Stu-dien zeigen bei 67 % der Patientensowohl eine gesteigerte Dystrophin-Expression, als auch einen erniedrig-ten Creatinin-Kinase-Spiegel im Se-rum.

In einem Mausmodell der Cysti-schen Fibrose zeigte PTC124 eben-falls eine vielversprechende Wirk-samkeit [2].

Es bleibt abzuwarten, wie dieweiteren Studienergebnisse mit die-sem neuen Wirkstoff aussehen – eininteressanter Therapieansatz ist es allemal!

[1] Welch, E.M., et al.: PTC124 targets geneticdisorders caused by nonsense mutations.Nature 447 (2007), 87-91.

[2] Du, M., Liu, X., Welch, E.M., Hirawat, S.,Peitz, S.W., Bedwell, D.M.: PTC124 is anorally bioavailable compound that promo-tes suppression of the human CFTR-G542Xnonsense allele in a CF mouse model. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 105 (2008),2064-2069.

Andrea Wolf, Jennifer Schaack, Louise Freikamp, Sascha Reutzel

(8. Semester Pharmazie), Ilse Zündorf, Theo Dingermann,

Frankfurt

© 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.pharmuz.de 5/2008 (37) | Pharm. Unserer Zeit | 357