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Orbis Litterarum 49: 52-62, 1994 Copvripht 0 Munksaaard I994 Printed in Denmark , AN rights reserved ORBIS ZitterarUm ISSN 0105-7510 Neues zur Biographie Thomas Manns 1992,l Review A r t icle Herbert Lehnert, University of California, Irvine, CA, U.S.A. >>Jahre des Unmuts. Thomas Manns Briefwechsel mit Rent! Schickele 1930-1940<((, herausgegeben von Hans Wysling und Cornelia Bernini, Frank- furt am Main. Vittorio Klostermann, 1992. (Thomas Mann Studien, Zehnter Band.) Der grolJte Teil des Briefwechsels Thomas Manns mit Renk Schickele, dessen literar- historischer Wert in dieser Ausgabe durch ausgiebige Zitate aus anderen Quellen und durch den Abdruck von zugehorigen Dokumenten vermehrt wird, gehort in die Geschichte der deutschen Exilliteratur. In den ersten Briefen dieses Bandes geht es noch um die Beteiligung Thomas Manns und Rene Schickeles an der Sektion fur Dichtkunst der PreulJischen Akademie der Kiinste, um die Taktiken in der Abwehr des Versuches einer nvolkischenct Gruppe von Autoren, die Sektion in ihrem Sinn zu einer Akademie deutscher Dichtung umzuwandeln, Ende 1930 bis Anfang 1931. An- fang 1933 fanden Schickele und Thomas Mann sich im Exil. Dennoch glaubten sie eine Zeitlang, an den Machthabern vorbei in der symbolischen Sprache der Literatur noch immer mit ihren Lesern, den Bildungsbiirgern in Deutschland, kommunizieren zu konnen. Es gab damals Leser in Deutschland, die literarische Abweichungen vom gebotenen Konformismus schatzten. Sowohl Thomas Mann wie Schickele erhielten Briefe von ihnen. Dennoch waren diese Leser machtpolitisch nicht relevant, sei es, weil ihre Zahl klein und Verschworungen riskant waren, sei es, dalJ sie ihre Leseerlebnisse lediglich als Gegengewicht gegen ihre BulJere Anpassung brauchten. Diese war der Preis fur die Erhaltung ihrer Stellung in der Oberschicht. Es war die Tradition dieser Bildungs- schicht, sich der Obrigkeit anzuvertrauen, und von ihr die Ruckkehr zu rechtsstaatli- chen Formen zu erwarten. Nachdem Thomas Mann und Schickele im Oktober 1933 Gottfried Bermann-Fischer gestatteten, ihren Riickzug von der Mitarbeit an Klaus Manns Monatsschrift Die Sarnrnlung bekanntzugeben, driickt Thomas Manns Brief vom 17.0ktober 1933 eine ambivalente Reaktion auf diese Ereignisse aus: zwar hatten die ))Stillhalte-Opfercc, die Zuriickhaltung, ihre Verachtung fur das Regime in Deutschland auszudrucken, Sinn gehabt, um der nWirkungsmogIichkeitcc willen, aber die Sache sei auch ))beschamendcc (S. 42f.). Nur in einer literarischen Sprache, deren politisches Ziel nicht gleich erkenn- bar war, konnten sie ihre Leser noch erreichen. Schickele hatte noch im April 1933 ein Feuilleton in der Frankfurter Zeitung veroffentlicht, in dem von den in England zensierten, ))verbrannten(c,Buchern von D. H. Lawrence die Rede war. Thomas Manns

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Orbis Litterarum 49: 52-62, 1994 Copvr iph t 0 Munksaaard I994 Printed in Denmark , AN rights reserved ORBIS ZitterarUm

ISSN 0105-7510

Neues zur Biographie Thomas Manns 1992,l Review A r t icle

Herbert Lehnert, University of California, Irvine, CA, U.S.A.

>>Jahre des Unmuts. Thomas Manns Briefwechsel mit Rent! Schickele 1930-1940<((, herausgegeben von Hans Wysling und Cornelia Bernini, Frank- furt am Main. Vittorio Klostermann, 1992. (Thomas Mann Studien, Zehnter Band.)

Der grolJte Teil des Briefwechsels Thomas Manns mit Renk Schickele, dessen literar- historischer Wert in dieser Ausgabe durch ausgiebige Zitate aus anderen Quellen und durch den Abdruck von zugehorigen Dokumenten vermehrt wird, gehort in die Geschichte der deutschen Exilliteratur. In den ersten Briefen dieses Bandes geht es noch um die Beteiligung Thomas Manns und Rene Schickeles an der Sektion fur Dichtkunst der PreulJischen Akademie der Kiinste, um die Taktiken in der Abwehr des Versuches einer nvolkischenct Gruppe von Autoren, die Sektion in ihrem Sinn zu einer Akademie deutscher Dichtung umzuwandeln, Ende 1930 bis Anfang 1931. An- fang 1933 fanden Schickele und Thomas Mann sich im Exil. Dennoch glaubten sie eine Zeitlang, an den Machthabern vorbei in der symbolischen Sprache der Literatur noch immer mit ihren Lesern, den Bildungsbiirgern in Deutschland, kommunizieren zu konnen.

Es gab damals Leser in Deutschland, die literarische Abweichungen vom gebotenen Konformismus schatzten. Sowohl Thomas Mann wie Schickele erhielten Briefe von ihnen. Dennoch waren diese Leser machtpolitisch nicht relevant, sei es, weil ihre Zahl klein und Verschworungen riskant waren, sei es, dalJ sie ihre Leseerlebnisse lediglich als Gegengewicht gegen ihre BulJere Anpassung brauchten. Diese war der Preis fur die Erhaltung ihrer Stellung in der Oberschicht. Es war die Tradition dieser Bildungs- schicht, sich der Obrigkeit anzuvertrauen, und von ihr die Ruckkehr zu rechtsstaatli- chen Formen zu erwarten.

Nachdem Thomas Mann und Schickele im Oktober 1933 Gottfried Bermann-Fischer gestatteten, ihren Riickzug von der Mitarbeit an Klaus Manns Monatsschrift Die Sarnrnlung bekanntzugeben, driickt Thomas Manns Brief vom 17.0ktober 1933 eine ambivalente Reaktion auf diese Ereignisse aus: zwar hatten die ))Stillhalte-Opfercc, die Zuriickhaltung, ihre Verachtung fur das Regime in Deutschland auszudrucken, Sinn gehabt, um der nWirkungsmogIichkeitcc willen, aber die Sache sei auch ))beschamendcc (S. 42f.). Nur in einer literarischen Sprache, deren politisches Ziel nicht gleich erkenn- bar war, konnten sie ihre Leser noch erreichen. Schickele hatte noch im April 1933 ein Feuilleton in der Frankfurter Zeitung veroffentlicht, in dem von den in England zensierten, ))verbrannten(c, Buchern von D. H. Lawrence die Rede war. Thomas Manns

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Feuilleton ))Meerfahrt mit Don Quijotett in der Neuen Ziircher Zeitung im November 1934 ist ein anderes Beispiel. Er spricht darin von dem Heimweh der aus Spanien ausgewiesenen Maranen, auf sein eigenes anspielend und auf die Unmenschlichkeit der Austreibung von Juden.

Sowohl Schickele als auch Thomas Mann hatten jiidische Freunde und waren entsetzt iiber den barbarischen Antisemitismus der Nationalsozialisten. Dennoch teil- ten sie bis zu einem gewissen Grade die anti-jiidischen Vorurteile der Mehrheit der nichtjudischen Bildungsbiirger. Beide Schriftsteller herbergten ein Ressentiment gegen deutsch-jiidische Schriftsteller, besonders die erfolgreichen und gegen die Exilpresse, die das Erscheinen ihrer Biicher in Deutschland schuldig sprach. Einmal schreibt Thomas Mann iiber die deutsche Literatur, die die Nationalsozialisten ausgeschlossen haben. ))Zuviel ist ihnen schon entschliipft, und sei es meinetwegen, dal3 man mit den Feuchtwanger, Arnold Zweig und E. Ludwig nicht genug Ehre einlegt, so sind eben Sie da, mein Bruder und Hermann Hesse [...It(. In diesem Bunde (der nichtjiidischen Schriftsteller) mochte er rider Vierte oder Fiinftecc sein (77). Er zielt auf die Qualitat, aber es ist wohl kein Zufall, dal3 in diesem Brief an Schickele die abgewerteten Schriftsteller jiidischer Herkunft sind. Dafiir spricht auch, dal3 Erika Mann, immer bereit, ihren Vater gegen Kontroversen zu schiitzen, diese Stelle im Abdruck dieses Briefes in ihrer Ausgabe gestrichen hat. Ebensowenig eindeutig wie Thomas Manns Vorurteile sind die Schickeles. Am 14. April 1934 schrieb dieser in sein Tagebuch, die Solidaritat der Juden im Ausland sei geringer als die der Deutschen oder Englander (Schickele, Gesammelte Werke, Koln. Kiepenheuer & Witsch, 1959, 111, 1089). Die AuBerung behandelt alle Juden als fremde Nationalitat, womit nur ein Teil der deut- schen jiidischer Herkunft einverstanden war. Die Kontroverse mit der Exilpresse brachte Vorurteile gegen die jiidischen Exilierten zum Vorschein. Hans Wyslings Einlei- tung spricht davon. Schickele fiihlte sich von Gottfried Bermann-Fischer verraten, war in Geldnoten und nahm an, dal3 in der Exilpublizistik doch ein jiidisches Bezie- hungs- und Hilfsnetz funktionierte. Deutsche exilierte Juden wiederum diirften Schik- keles franzosische Staatsangehorigkeit beneidet haben.

Spatestens seit dem Erscheinen der Tagebiicher Thomas Manns aus den ersten Exiljahren wissen wir, wie komplex und widerspriichlich Thomas Manns Beziehung zu seinem und dem Heimatland seiner bildungsbiirgerlichen Leser war. In einem Brief Thomas Manns an Schickele vom 24. November 1933 spricht er von dem ))Geistcc und meint ))das altere, bessere, hohere Deutschlandtt, namlich die Bildungsbiirger, die er beschworen hatte, die deutsche Kultur gegen die neue Barbarei zu verteidigen. Er konnte immer noch hoffen, dal3 sie neine Art von Zellenbildung betreiben, und das Ubermachtige allmahlich durchsetzen und modifizierencc (S. 48). Darin tauschte er sich, wie sein Briefpartner Schickele wohl wuDte. Wenig mehr als sieben Monate spater, am 3. Juli 1934, nach der Rohm-Affare, bringt Mann seine Verzweiflung iiber das Land seiner Herkunft zum Ausdruck: ))Welch ein Ungliicksland! Nein, nein, nie wieder kann man sich ihm anvertrauen. Weit weg davon leben und sterben ist das Einzigecc (S. 7 1). Kennzeichnend fur Thomas Manns Form, seine Biirgerlichkeit zu erleben, ist das Wort ))anvertrauencc. Eine vertrauende Bindung an das biirgerliche Gegengewicht seiner literarisch-gedankenexperimentellen, anarchischen, destruktiven Freiheit war ihm wert und notig.

In einem langen Brief an Schickele vom 2. April 1934 folgt auf die Hoffnung, sein Miinchener Eigentum zuriickzuerhalten und seinen Pal3 doch noch verlangert zu bekommen, die Mitteilung, er denke ))iiber eine buchformige Auseinandersetzung

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hochst personlicher und riicksichtsloser Art mit den deutschen Dingencc nach. Ein solches Buch bedeute ))den endgiiltigen Bruch rnit Deutschland bis zum Ende des Regimes, d.h. doch wohl bis an meiner Tage Endecc. In dem ))Tiefstandcc, der sich als meuecc Welt gibt, seien er und Schickele nFremdlingecc (S. 61). Wir wissen, dal3 er im August 1934 Vorarbeiten fur ein solches Buch begann und dann liegen IieR. Man darf wohl einen der Urspriinge der Assoziation der Entfremdung des Kiinstlers mit Deutschland im Doktor Fuustus in diesen uberlegungen sehen.

Entfremdung und Abstand von der politischen Macht lag Schickele naher. Er hatte eine franzosische Mutter und einen elsassischen Vater. Erst in der Schule entschied er sich fur die deutsche Sprache, in der er meist schrieb. Um vor der Verfolgung der elsassischen Autonomisten, rnit denen er sympathisierte, durch die franzosische Staats- polizei sicher zu sein, siedelte er sich in Badenweiler, also auf der deutschen Seite des Oberrheins an. Daher die Ironie, mit der Schickele Thomas Manns Anhanglichkeit an Deutschland betrachtete. (Ausziige ans Schickeles Tagebuch S. 225.)

Die kiinstlerische Gestaltung der Dialektik von narzil3tisch-artistischer Entfremdung von der Gesellschaft und dem Bediirfnis nach ))Anvertrauentr, nach Integration, nach humorvollem Verstandnis rnit den Lesern, hatte von jeher Thomas Manns Werk bestimmt. Das E d , das verdeutlichen nicht zuletzt diese Briefe, erganzt durch Doku- mente in den Anmerkungen, verstarkte die Seite der Entfremdung in dieser Dialektik und nverteufeltecc sie zugleich, eine Entwicklung, die in die Konzeption des Daktor Fuustus einging.

Die Herausgeber setzen in den Anmerkungen mehrfach Ausziige aus Thomas Manns Tagebiichern ein, die, zusammen rnit dem Briefen die Widerspriichlichkeit im Verhalt- nis Thomas Manns zu seinem Land belegen. Dazu kommen andere Dokumente, darunter der ))Protest der Richard-Wagner-Stadt Miinchencc rnit allen Unterschriften und Thomas Manns Brief an die Frankfurter Zeitung, der dort noch im April 1933 unter dem Titel nEine Verteidigungcc veroffentlicht wurde (221-223). Diese Dokumente sind nicht immer neu, letztere Zuschrift ist unter dem Titel ))Erwiderungcc in den Gesummelten Werken gedruckt ( G W XI, 785f.), aber die Leser werden den Herausge- bern dennoch danken, sie zur Erganzung des biographischen Wertes der Briefe bei der Hand zu haben. Die Rechtfertigung Thomas Manns fur die Absage an Die Sarnmlung in seinem Brief an die Arheiterzeitung, Wien war im Briefwechsel rnit seinem Verleger Bermann Fischer 1932-1955 Frankfurt am Main. S. Fischer, 1973, zu finden, hier steht auch die Antwort der Zeitung (S. 237). AuRerdem gibt es eine Fiille von weiteren Dokumenten und Informationen. Der Anmerkungsteil macht das Buch zu einer Darstellung eines Aspektes des deutschen literarischen Exils 1933-1940.

Die Herausgeber teilen in den Anmerkungen aus Schickeles Tagebiichern mit. Der Druckfassung in Werke in drei Biinden (Koln. Kiepenheuer und Witsch, 1959) haben sie aus der Handschrift in Marbach einiges im Text erganzt. Ein llngerer Tagebuchauszug berichtet von einer Geburtstagsfeier bei Schickeles. Dort stehen vielsagende Satze: ))Wie immer reden die Briider Mann liebevoll aneinander vorbei - Thomas am stark- sten, wenn er Heinrich ausdriicklich beistimmt. Er hat dann ein merkwiirdiges, verhal- tenes Zogern in der Stimme. Heinrich sieht man die Freude an, mit seinem Bruder beisammen und einig zu seincc (S. 226). In dem gleichen Eintrag sind die gesellschaftli- chen Schwierigkeiten anschaulich geschildert, die durch die Minderwertigkeitsgefiihle Nelly Krogers hervorgerufen wurden, der spateren Frau Heinrich Manns.

Thomas Manns Bruderverhaltnis in dieser Zeit war gespalten. Er war sich rnit Heinrich einig in der Opposition gegen das nationalsozialistische Regime und im Wunsch nach

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einem besseren Sozialstaat. Aber Heinrichs politische Artikel ebenso wie die ))ordinare Freundincc (Thomas Mann, Tagebucher 1933-1934, Frankfurt a.M. Fischer, 1977, S. 177), mit der er lebte, miissen Thomas Mann auch immer noch erheblich gestort haben. Dem Artikel Heinrich Manns, ))Sittliche Erziehung durch deutsche Erhebungcr im ersten Heft der Sammlung, fehlte die literarische Spielfreiheit. Am 7. September I933 schreibt Thomas Mann in sein Tagebuch: ))Ubrigens hat Klaus uns mit der Aufnahme des Arti- kels von Heinrich einen Streich gespieltcc (Tagebiicher 1933-1934, S . 172). Das wnscc meint auch Schickele, mit dem er an diesem Tag zusammen war.

Unter den Briefen, die den Anmerkungsteil so historisch relevant machen, sind auch Ausziige aus: Annette Kolb - RenC Schickele, Briefe im Exil- 1933-1940. Aus denen geht hervor, daB Schickele schwere finanzielle und gesundheitliche Note hatte. Die verschweigt er fast vollig in seinen Briefen an Thomas Mann. Schickele wollte Annette Kolb daran hindern, Thomas Mann um Geld anzugehen. Jedoch hat Katia Mann Schickele eine Zeitlang regelmlDig mit Geld unterstiitzt.

So freundschaftlich die Briefe sind, es zeigen sich doch auch Spuren von Fremdheit zwischen Schickele und Thomas Mann. Die Herausgeber begrunden sie damit, daB Schickele im Ersten Weltkrieg und danach entschieden auf der Seite Heinrich Manns stand. Ein Dokumentanhang gibt die Belege dafiir. Auf der anderen Seite beweist Schickeles Tagebuch in den Jahren 1933 und 1934 auch kritische Distanz zu Heinrich Mann. Obwohl er das Franzosisch Heinrich Manns lobt, fiigt er nach der Lekture der Leitartikel-Sarnmlung Der HaJ hinzu: ))Die Deutschen tun mir leid. Der Verfasses des Husses auchcc (Schickele, GW 111, 1059). Im Lob von Heinrich Manns Roman Die Jugend des Kiinigs Henri Quatre (1934) waren sich beide Briefpartner einig, Schickele ubrigens nicht ohne Kritik (S. 85, 88).

Die Briefe sind ungekurzt wiedergegeben. Register der Werke beider Briefpartner und ein Personregister erleichtern die Benutzung des Bandes. Das Literaturverzeichnis enthllt Siglen, die in den Anmerkungen verwendet und sonst nicht erklart werden. Ich habe nur wenige kritische und ergdnzende Bemerkungen:

S. 212, zu S. 33 Anm. 8, wird Doblins wcharfer Linkskurscc fur die Spannungen in der Berliner Akademie zwischen Republikanern und ))Volkischenrc mitverantwortlich gemacht. Dagegen wende ich ein, daR Doblin damals, nach 1926, eher nach religiosen als nach politischen Bindungen suchte. Er hat vor und nach dem Austritt der ))Volkischencc Anfang Januar 193 1 die Akademie ideologisch neutral halten wollen. Eine andere Sache ist es, daB die ))Volkischencc seine Anwesenheit in der Akademie als Affront empfanden. Fur sie war er ein linker Groostadtdichter und uberdies jiidischer Herkunft.

S. 337, zu S. 99 Anni. 14, geht die Formuliering )>endgiiltige Liquidierung der trotzkisti- schen Oppositioncc zu sehr auf die Schuld-Konstruktion der Stalinisten ein. Es handelte sich wohl eher um Stalins Willen, jede potentielle Opposition vorbeugend zu vernichten.

S. 365, zu S. 127, Anm. 9, wird Ludendorff erklart, aber nicht die Anspielung auf den plombierten Eisenbahnwagen, in dem Ludendorff Lenin 191 7 durch Deutschland iiber Schweden nach RuBland transportieren lieB.

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Peter de Mendelssohn, ))Der Zauberer, Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. Jahre der Schwebe: 1919 und 1933. Nachgelassene Kapitel. Gesamtregister<c, Frankfurt am Main. S. Fischer, 1992.

Die beiden nachgelassenen Kapitel der Biographie von Mendelssohn (das erste war langer geplant und bricht Ende des Jahres 1919 ab) sind gut lesbar, was der grol3e Vorzug der Schreibweise Mendelssohns ist. Auch lassen sie die Problematik in diesem Leben erkennbar werden. Es ist richtig, da0 Thomas Mann Gegengewichte brauchte. Entschieden ubertrieben ist jedoch die Verallgemeinerung Mendelssohns, die ganze zweite Lebenhalfte Thomas Manns sei beherrscht gewesen von dem ))verbissenen Streben fur sich und sein Werk, die Ordnung einer heilen Welt wiederzugewinnena (S. 6). Die Biographie ist nicht fur Thomas-Mann-Spezialisten geschrieben. Deshalb kann man Mendelssohn nicht vorwerfen, daD er vie1 aus Texten zitiert, die der Forscher kennt oder zur Hand hat. Aber weniger lang hatten solche Zitate ohne Schaden sein konnen. Mendelssohns Freude an Details dient oft der Lebendigkeit seiner Darstellung, kann aber auch uber das Ziel hinausschieDen. Einen ganzen Absatz widmet er den Katzen und Hunden irn Kusnachter Haus (S. 264).

Im grol3en und ganzen wird Mendelssohns Darstellung der Biographie des Jahres 1919 gerecht, aber man konnte in diesem Jahr, in dem das Tagebuch allzuviele experi- mentelle und widerspriichliche Ansichten enthalt, eher mehr als weniger Darstellung dieser Widerspruche brauchen. So gehort Thomas Manns zeitweise und nie ganz iiberzeugtes Gedankenexperiment mit dem Kommunismus mit Mittelalterstudien zu- sammen und mit Landauers Zuriickgreifen auf mittelalterliche Wirtschaftsformen in seinem Aufrufzurn Soziulismus. Das ist fur den Zuuberberg, insbesondere die Naphta- Figur wichtig.

Auch ist Mendelssohn nicht in allen Einzelheiten genau. Er scheint nicht gemerkt zu haben, obwohl das aus Thomas Manns Tagebuch hervorgeht (15. November 1918, S. 79), dal3 es zwei Rate geistiger Arbeiter in Munchen gab und dal3 Thomas Mann nur an einem der beiden teilnahm, was ihn nicht hinderte, auch einmal eine Sitzung des anderen zu besuchen. Aus der Eintragung vom 3. Juni 1919 der Tagebiicher (S. 53), als deren Herausgeber er selbst firmiert, zitiert Mendelssohn: ))Ich stellte dem jungen Toller brieflich ein Zeugnis aus, das ihn vor weiteren Verhaftungen schutzen solkc. Die zugehorige Anmerkung sagt, dal3 es sich nicht um den ehemaligen Vorsitzen- den des Zentralrats, den Schriftsteller Ernst Toller handeln kann, sondern urn einen Studenten Trummler, der schon in der Eintragung vom 2. Juni vorkam. DaI3 Ernst Toller nicht gemeint sein kann, wie in Mendelssohns biographischem Text impliziert, geht aus dem Wortlaut der Eintragung hervor. Toller hielt sich nach dem Sturz der kommunistischen Rateregierung verborgen, wurde am folgenden Tage, 4. Juni, verhaf- tet und blieb vor und nach seiner Verurteilung bis zum 15. Juli 1924 in Haft. Das Verschreiben des Namens zeigt immerhin an, dal3 Thomas Mann sich mit dem Schick- sal des gesuchten Toller beschaftigte.

Man wunschte sich gerade von Mendelssohn eine eingehendere Behandlung der Wechselwirkung zwischen Thoms Mann und den historischen Geschehnissen. Thomas Mann wahlte in der bayrischen Landtagswahl 1919 nicht die Bayrische Volkspartei, wie Mendelssohn S. 3 1 behauptet, sondern die Deutsche Volkspartei i[n] B[ayern], wie er am 12. Januar 1919 im Tagebuch berichtet, (Tugebiicher 1918-1921, von jetzt ab

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Th, 133). Uber seine Stimme bei der Wahl zur deutschen Nationalversammlung, eine Woche spater, schweigt das Tagebuch; am Sonntag 19. Januar 1919 fehlt die Eintragung iiberhaupt. Es wird auch die Deutsche Volkspartei gewesen sein, die damals monarchi- stisch war, aber immerhin etwas liberaler als die Deutschnationalen, denen Mendels- sohn (S. 31) Thomas Manns Sympathien zuschreibt (vgl. Tb, S. 439). Die Wahl, bei der Thomas Mann nicht dem Rat seiner Frau folgte, die Deutsche Demokratische Partei zu wahlen, war nicht die zur Nationalversammlung (Mendelssohn S. 31), son- dern die erste Reichstagswahl am 6. Juni 1920 (Tb, s. 443; vgl. 439). Mendelssohn (S. 52) spricht von 3 Wochen Raterepublik in Bayern. Es handelte sich urn zwei Raterepubliken, die eine dauerte nur wenige Tage und wurde von USPD-Mitgliedern aus dem Kreis des ermordeten Eisner dominiert; das war die, an der Landauer, Toller und Miihsam beteiligt waren. DaB gerade die Teilnahme von Schriftstellern Thomas Mann zuwider war, ware erwahnenswert gewesen. Die andere Raterepublik war die kommunistische Levines, in der Toller als Truppenkommandeur eine Rolle spielte.

Thomas Manns homosexuelle Neigungen, die er in den Tagebiichern dieser Zeit nicht verschweigt, behandelt Mendelssohn obenhin. Unbefriedigend ist die Darstellung der zeitweisen Faszination Thomas Manns fur Spenglers Der Untergang des Ahendlan- des. Das Tagebuch bietet genug Material, den Griinden dieser wichtigen Wende nach- zugehen. Unter anderem spielt der auch zu fliichtig behandelte Alfred Baeumler eine Rolle in Thomas Manns Wendung gegen Spengler. Wir diirfen allerdings nie vergessen, daB Mendelssohn nicht selbst letzte Hand an das Kapitel angelegt hat. Wesentlich besser ist Mendelssohns Darstellung der Entstehung des Gesangs vom Kindchen und der Wiederaufnahme des Zauherbergs.

Das Kapitel uber das Jahr 1933 leidet daran, daB Mendelssohn, als er es schrieb, die Tagebucher noch nicht benutzten konnte. Aus Leiden an Deutschland rekonstruierte er allerdings wichtige AuBerungen, die Thomas Mann ans seinen Tagebiichern in diesen spateren Text iibertragen hatte. Dennoch mu0 dieses komplizierte und wider- spruchsvolle Kapitel aus Thomas Manns Leben noch einmal geschrieben werden. Thomas Sprecher hat in einem Vortrag von 1990 eine umfassende Darstellung ))Tho- mas Mann in Ziirichcc versprochen (Blatter der Thomas Mann Gesellschaft Zurich, Nummer 23, 1989-1990, S. 44). Der Vortrag (ebenda, S. 5-27) gibt noch genauere Auskunft iiber die finanziellen Verhaltnisse als Mendelssohn und benutzt mehr briefli- che Quellen als dieser.

Jedoch ist auch Mendelssohn zu loben, weil er viele wenig, nicht oder seinerzeit nicht bekannte Quellen herangezogen hat, darunter auch die Briefe an Schickele. Ungedruckte Briefe von Erika Mann an ihren Vater und an Klaus sind S. 222 zu finden. Die ungliickliche Affare des Riickzugs von der Mitarbeit an der Zeitschrift Die Sammlung von Klaus Mann stellt Mendelssohn sehr anschaulich dar. Ich hatte nicht gewuBt, daB die hollandischen Verleger, die deutsche Exilliteratur veroffentlich- ten, Querido und de Lange miteinander verfeindet, wahrend die jeweiligen Leiter ihrer Abteilungen fur deutsche Literatur Landshoff und Landauer Freunde waren. Fur die Darstellung des wechselhaften Verhaltnisses zu seinem Verleger Bermann war Mendelssohn als Herausgeber des Briefwechsels pradestiniert.

Auch fur dieses Kapitel gilt, daB Mendelssohn wenig Wert auf den historischen Horizont legt. Paul Egon Hiibinger hat in Thomas Mann, die Universitat Bonn und die Zeitgeschichte (Miinchen. Oldenbourg, 1974) mit grol3er Akribie nachgewiesen, daD Reinhard Heydrich in Miinchen und in Berlin Thomas Manns Ausbiirgerung seit 1933 verfolgte und daB an der Verzogerung der Ausbiirgerung Thomas Manns das

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Auswartige Amt und Goebbels’ Ministerium fur Volksaufklarung und Propaganda beteiligt war. Den im Propagandaministerium federfiihrenden Beamten Dr. Heinz Wismann hat Hiibinger in seinem Buch vorgestellt. Mendelssohn zitiert Hiibinger gelegentlich, kann aber das dort ausgebreitete Material nur unvollstandig zur Kenntnis genommen haben, darunter wohl kaum Hiibingers Biographie Wismans, dessen Bild bei Hiibinger zweideutig erscheint, den Mendelssohn dagegen als freundlichen jiingeren Mann vorstellt (S. 2 5 3 , dem Suhrkamps Vergangenheit als Lehrer in der Wickersdorfer Heimschule sympathisch gewesen sei (diese Nuance hat Hiibinger nicht). Wismann, der sowohl selbst Parteigenosse war als auch bittere Feinde in der Partei hatte, hat endlich 1936 das Einverstandnis des Propagandaministeriums fur die Ausbiirgerung ausgesprochen, aber erst, nachdem Thomas Mann die tschechoslowakische Staatsbiir- gerschaft beantragt hatte (Hiibinger, S. 539), wahrend Beamte des Auswlrtigen Amtes die MaRnahme weiterhin verhindern wollten (Hiibinger 176). Fur all dies hat Mendels- sohn nur den Satz: ))Die Behorden in Berlin und Miinchen waren offenbar nicht eines Sinnes . ..N. Vielleicht kann eine Biographie Thomas Manns diese komplexen Verhaltnisse nicht ganz kliren, sie gehoren zu der Auseinandersetzung zwischen bildungsbiirgerlicher Beamtenburokratie und nationalsozialistischen politischen Ideo- logen. Aber sie hangen mit Thomas Manns Hoffnung zusammen, durch die Veroffent- lichung seines Werkes in Deutschland auf die bildungsbiirgerliche Schicht noch einzu- wirken. Deshalb verdienten sie Aufmerksamkeit. Ein Verdienst der Darstellung Men- delssohns ist es, deutlich gemacht zu haben, wie wenig Thomas Mann der Zustand des Stillhaltens paRte, schon im Jahr 1933. Zum historischen Hintergrund gehort auch, was Mendelssohn deutlich ausspricht, wie sehr die Behandlung Thomas Manns durch die Schweizer Behorden eine Ausnahme war, die anderen Fliichtlingen nicht zuteil wurde (S. 261f.).

Wertvoll ist der Hinweis, daB das Essay ))Leiden und GroBe Richard Wagnerscc auch Bestandteile aus den Betrachtungen eines Unpolitischen enthllt, also fur die Kontinuitat im Werk Thomas Manns zeugt. Fur seine Fahigkeit zum Umwerten zeugt ein Brief iiber Wilhelm Herzogs Buch A,ffire Dreyfus, aus dem Mendelssohn S. 120 zitiert: ))Wie es auch stand um das Frankreich von damals [...I, so konnte gesprochen, geschrieben, fur die Wahrheit, die geistige Ehre gekampft werden. Es gab die Freiheitcc. Herzog hatte zu den Aktivisten, den ))Zivilisationsliteratencc im Ersten Weltkrieg gehort und die Vorbildlichkeit der Dreyfus Affare hatte Thomas Mann in den Betrachtungen entschieden bestritten (GW XII, 179). Der Werkbericht iiber den ersten Band des Josephromans beruht uberwiegend auf Thomas Manns Selbstinterpretationen.

Dieser fragmentarische zweite Band hat Anmerkungen und Nachweise, vor allem ein ))Gesamtregistercc, das Anita Naef produziert hat und das den Hauptteil der Biographie mit seinen vielen Informationen benutzbar macht. Anita Naef hat mit grorjer Sorgfalt auch drei Stammtafeln der Familien Mann, Marty (des Schweizer Stamms der Manns), Bruhns (der Mutter Thomas Manns) und Pringsheim zusammen- gestellt.

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Thomas Mann, uNotizbiicher 7-14<(, herausgegeben von Hans Wysling und Yvonne Schmidlin, Frankfurt am Main. S. Fischer, 1992.

Auch fur den zweiten Band des Drucks der Notizbiicher Thomas Manns gilt, was ich zum ersten Band, Notizbiicher 1-6 in nNeues zur Biographie Thomas Manns 1991, I(( in Orbis Litterurum , Vol. 48 (4): 224-233, gesagt habe. Auch in diesem Band werden die einzelnen Notizen Thomas Manns nicht nur kundig kommentiert, sondern auch erganzt durch relevante andere Quellen, Briefe und gekurzte Stellen aus der Hand- schrift des Doktor Faustus, darunter die ungekiirzte Manuskriptfassung von Zeitbloms Beschreibung der dreizehn Brentano-Gesange Leverkuhns (S. 204-208), die auch in Tugebiicher 1944-1946 (Frankfurt am Main. S. Fischer, 1986, S. 807-8 10) erscheinen, dort aber knapper auf weggefallene Textteile beschrankt. Das Notizbuch 9 lag schon in einem Druck von 1976 vor. Dieser Druck ist hier im wesentlichen wiederholt. Die Anmerkungen enthalten Hinweise auf die Thomas Mann Studien, z.B. deren Band I, in dem Hans Wysling den Maja-Plan und den geplanten Literaturaufsatz ))Geist und Kunstct beschrieben und kommentiert hat. Gelegentlich findet man einen Hinweis nur da, zum Beispiel, wo der Aufsatz iiber Stefan George erschienen ist (Januar 1908 in Die Zukunft), aus dem Thomas Mann in Notizbuch 9, S. 47-49 (in dem vorliegenden Abdruck, N II S. 174f.) Ausziige notiert. Wyslings Aufsatz behalt seinen Wert; der Abdruck der Notizen in diesem Band bringt den Vorteil, daD wir die zu ))Die Geliebtentc und nMajact jetzt vollzahlig und in der Reihenfolge verfolgen konnen, in der sie entstanden sind. Vie1 ist in den Doktor Fuustus eingegangen, aber nur einiges von der Grundkonzeption des Gesellschaftsromans, der eine weibliche Mittelpunktsfigur haben sollte, in der Thomas Mann sich selber sah. In deren Mann, Albrecht, war eine Satire auf Heinrich Mann geplant, die in der entsprechenden Figur im Doktor Faustus, Helmut Institoris, nicht mehr zu erkennen ist.

Wie im ersten Band wird Thomas Manns Handschrift mit allen Verschreibungen, Streichungen, Einfiigungen und mit der Orthographie der Handschrift dokumentarisch genau wiedergegeben. Das ist wohl notig, weil die deutsche Handschrift von immer weniger Menschen entziffert werden kann. (In meinen Zitaten normalisiere ich die Schreibungen.) Je zwei Seiten, auf denen die beiden Notizen erscheinen, die als erste Konzeption des Doktor-Faustus-Stoff anzusehen sind, werden als photographische Abbildungen wiedergegeben. Gelegentlich kommen in Thomas Manns Notizen spatere Einfiigungen vor, weshalb die Leser das Zeichensystem genau beachten miissen, das in Band I ( N , 9) erklart ist. So erscheint in Notizbuch 7 S. 147 (N IT, 11 5 ) eine Notiz, in der Thomas Mann in der Nachfolge Schopenhauers grundsatzlich-weltanschaulich von dem Verhaltnis zwischen individueller Konzentration und dem nHeimweh ins Ganzecc spricht, das er dem starken Individuum zuschreibt. Die SchluBzeilen lauten: nDenn das Ich ist eine Aufgabe. Das Nebeneinander von Ichsucht und Weltsucht, von Egoismus und expansiver Leidenschafttt. Darauf folgt: ))(Ende von ‘Friedrich’)cc Diese Klammer ist ein Einschub, konnte also spater hinzugefiigt sein. Wenn nicht, handelte es sich um die erste Erwahnung des Friedrich-Planes von Ende 1904 oder Anfang 1905. Notate historischer Werke zu Friedrich gegen Ende des Notizbuchs 7 sind Ende 1905 zu datieren.

Die erwahnte Notiz interpretiert Hans Wysling in Narzissmus und illusionare Exi- stenzform, Thomas Mann Studien Bern. Francke, 1982, S. 98 als ))Liebe des NarziDcc, dem die Liebe zu einem bestimmten Du fehlt. Der Kommentar in Notizbiicher 7-14

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weist auf den kleinen Aufsatz ))SiiBer Schlafcc von 1909 hin, in dem die Notiz verwendet wurde. Dort steht sie im Kontext mit der Moral des Kiinstlers als EntschluB zum ))Sich-zur-entschiedenen-Gestalt-Herausbilden aus der Welt der Moglichkeitencc (Tho- mas Mann, Gesammelte Werke, Frankfurt a.M. S . Fischer 196011974, XI, 337; von jetzt ab zitiert als CW). Diese Kunstlermordl hat rnit kreativer Gestaltung zu tun, die erst Kunst mitteilungswiirdig macht. Sie ist nMoralcc gegen den Typus Bajazzo oder Christian Buddenbrook, die Thomas Mann als Gefahren fur den narzil3tischen Kiinst- ler dargestellt hatte. Das Ich als >)Aufgabecc bedeutet, daB die Erlebnisse des Kiinstlers gestaltenswert werden. Von deren Gestaltung ist die Kommunizierbarheit nicht zu trennen. Gerade der Hinweis auf den Friedrich-Plan beweist, daB Thomas Mann das Heraustreten des NarziB iiber die Grenze des eigenen Traumenden Ich als soziale Gestaltung sieht. nDer Krieg, die Tat ist positivcc, schreibt er in Notizbuch 9 (S. 5; N II, 150) auf Friedrich bezogen. Das ist dort gegen Voltaires Pazifismus gestellt und dessen kritischen ))Geistcc, den Thomas Mann meist als negativ auffaBt. In dem Kriegsaufsatz ))Friedrich und die groBe Koalitioncc sind Friedrichs Taten schicksalhaft auf die preuaisch-deutsche Staatsgriindung hin gerichtet, eine Deutung, die er aus der Romankonzeption herubernahm. Wir sind heute skeptisch gegen solche teleologischen Schicksalsmythen; in Thomas Manns Zeit sind sie als Hinwendung zu den herrschen- den Auffassungen und damit zur sozialen Umgebung zu betrachten. Andererseits wollte er, wie eine Notiz beweist (Notizbuch 9, S. 9-10; N 11, 153), Friedrich keineswegs als Vorbild hinstellen. DaB er dem Roman nicht schrieb, andere Stoffe privaterer Art vorzog und aus dem Material 1914 einen ))AbriB fur den Tag und die Stundecc (CW X , 76) machte, ermoglicht die Vermutung, daB ihm eine Hinwendung zu der herrschenden Staatsideologie denn doch zu ideologisch war, eine Vermutung, die wir durch das Schicksal Aschenbachs eines Kiinstlers, der sich ethisch in die Staatsnotwen- digkeiten eingliedern wollte, stiitzen konnten.

Die Notiz iiber das Ich als Aufgabe 1aBt sich sowohl im Sinne des artistischen NarziBmus als auch als kiinstlerisches Programm lesen, ein Programm, das den Aus- bruch aus der narziI3tischen Existenzform als das eigentlich Kreative hinstellt. Dieses Programm wiederum macht die Deutungen von AuBerungen Thomas Manns und auch von seinen fiktionalen Gestalten mit Hilfe der NarziBmustheorien keineswegs zunichte. Die multiple Deutbarkeit von Thomas Manns Kunstprinzipien, sein Spielen mit Ambivalenzen und Widerspriichen, gegen das er seinen Konservativismus als Gegengewicht einsetzte, kann man gerade aus den Notizbiichern erschlieBen. Ihre Aussagen widersprechen jeder bestimmten Konstruktion von Thomas Manns Welt- und Kunstanschauung. Im Notizbuch 9, das er 1906 begann, kommen am Anfang zwischen Notizen zum Friedrich-Plan solche zum nHochstaplercc vor. Darstellung und Parodie der GroDe stehen nebeneinander.

Im Notizbuch 7 findet sich eine Briefkopie aus einem sonst unbekannten Brief an Thomas Manns Jugendfreund Grautoff aus dem Jahr 1903, in der er auf eine Beobach- tung anspielt, die aller Wahrscheinlichkeit nach Katia Pringsheims Interesse fur ihn war. In demselben Brief kommt ein mackter Fliesenhofcc vor, nDu standest auch damals danebencc. Gemeint ist der Hof des Katharineums in Liibeck. Sowohl er, Thomas Mann, als auch das ))Objektcc hatten ))immerhin Carriere gemachtcc (S. 119-120; N ZI, 89). Das ))Objektcc damals, als Grautoff und Thomas Mann in derselben Schulklasse saoen, war Armin Martens. Man kann das Wort oKarrierecc lesen als gereiftes Eintreten in die Normalitat als (scheinbare) Uberwindung der jugendlichen homosexuellen Neigung. Aber der Vergleich des friiheren homosexuellen

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))Objektscc seiner Aufmerksamkeit rnit der Frau, die er heiraten wollte, la& auch ein BewuBtsein von der Fragwiirdigkeit seiner Eheschlieljung zu, denn Thomas Mann verband seine homosexuellen Neigungen immer rnit Entfremdung als notwendiger Begleiterscheinung der Kreativitat. Der gewollte Glaube und das tiefere BewuBtsein der Fragwiirdigkeit konnte gut nebeneinander vorhanden gewesen sein. Eine spatere Notiz, auf Katia bezuglich wiirde das bestatigen: ))Mllig darf ich mich ihr ja doch nicht mitteilen. Meinem Gram, meinen Qualen ist sie nicht gewachsen. Aber ohne diese Kluft wiirde ich sie wohl weniger lieben. Ich liebe nicht, was mir gleich ist oder was mich auch nur verstehtcc (Notizbuch 7, S. 144; N 11, 112).

Sechs Notizbuchseiten fruher steht unter Notizen zu Konigliche Hoheit mit der spater hinzugefiigten Uberschrift ))Zum Romancc 0)Majacc) die Idee eines syphilitischen Kiinstlers, der sich ))einem reinen suljen jungen Madchencc nahert und sich vor der Hochzeit erschieljt (S. 138; N IZ, 107). Splter im selben Notizbuch erscheint eine langere Notiz, ))Novelle oder zu ‘Maja’cc, in der der syphilitische Kiinstler ein ))Dr. Faust und dem Teufel Verschriebenercc ist. ))Das Gift wirkt als Rausch, Stimulans, Inspirationcc (S. 155; N ZZ, 121). Diese Notiz datieren die Herausgeber auf wohl Ende 1904, also in das Ende der Brautzeit. Auf die zweite bezieht sich eine andere zu )tMajacc im selben Notizbuch auf der nachsten Seite, also auch Ende 1904 zu datieren. Darin ist von einem werkommenden Schriftstellercc die Rede, dem ))das Gliickcc verboten ist und der seiner jungen Frau rnit nweiche[r] Wollustcc das ))halbwahre Gestandniscc macht: ))Ich bin gliicklichcc (S. 156; N II, 122). Zu dem selbstparodistischen Thema ))Der Schriftsteller durch den Ruhm verkommendcc gab es schon vorher in Notizbuch 7 Notizen ( N II , 108, 115), auch aus der Brautzeit. Auf dem biographischen Hinter- grund der Absicht, sich der Gesellschaft, der biirgerlichen Familie, einzugliedern, die er am 23. Dezember 1904 seinem Bruder Heinrich erlauterte, erscheinen in Notizbuch 7 die Ideen zu fiktionalen Experimenten rnit anderen, fragwiirdigen Moglichkeiten einer Flucht aus der Entfremdung in die Ehe. Der syphilitische Schriftsteller ist nur die symbolisch verscharfte Variante des verkommenden Schriftstellers. Das Motiv des verbotenen Gliicks kann leicht als eine fiktionale Spiegelung der homosexuellen Nei- gung gedeutet werden. So unterhohlt war in der Wirklichkeit das bequeme Bild von Thomas Mann dem Burger.

Die Widerspriichlichkeit der Betrachtungen eines Unpolitischen geht aus den Notizen in den Notizbiichern 10 und 11 hervor. Fast alle Notizen sind in den Text eingegangen. Nur ausnahmsweise finden wir eine Selbstreflexion wie diese: ))Naturlich bin ich nicht ‘konservativ’, denn wollte ich es meiner Meinung nach sein, so ware ich es immer noch nicht meiner Natur nach, die das ist, was wirkt. In Wahrheit begegnen sich in mir destruktive und erhaltende Tendenzen, und soweit von Wirkung die Rede sein kann, geht eben diese doppelte Wirkung von mir aus. (Buddenbrooks als Markstein nationalen Gesundheitsabstieges. Sofortige Anmeldung konservativen Gegenwillems im ‘Tonio Kroger’)cc. Die Unterscheidung von Meinung und nNaturcc oder nSeintc kommt mehrfach vor in Thomas Manns Selbstreflexionen. Sie relativiert jede ))Mei- nungcc. Das Wort ))Grundtendenzcc in einer Selbstinterpretation aus Notizbuch 12 ist mit grol3er Vorsicht aufzunehmen: ))Die nordische, protestantische, moralistische, id est deutsche Grundtendenz meines Wesens und meiner Kunstlerschaftcc (Notizbuch 12, S. 19; N 11, 304). Diese Selbstdeutung 1aDt sich kaum vereinigen mit einem Satz aus einer wenig splter erscheinenden Notiz: ))es gibt keine Zusammengehorigheit von Kunst und ‘Glauben’!cc (S. 22; N IZ, 306). Destruktive und erhaltende Krafte begegnen sich wohl in aller Literatur. die die Hohe ihrer Zeit halt.

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Die zu sehr aufs Literarische ausgerichtete Sichtweise der Betrachtungen kommt in einer ausnahmsweise nicht verwendeten Notiz in Notizbuch I 1 heraus, in der Thomas Mann die Entente-Freundlichkeit Dinemarks im Ersten Weltkrieg auf danische Roma- ne zuriickfiihrt (S. 35-36; N I f , 278). In Notizen zu den Betrachtungen verstreut finden sich immer wieder Gedanken zum Zauberberg und zu den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull. Merkwiirdig und uberraschend ist es, daU nur wenige Notizen aus Emil Hammacher, Hauptfrugen der modernen Kultur (Leipzig. Teubner, 19 14) erscheinen, obwohl wir von Hermann Kurzke wissen, welch eine wichtige Rolle dieses Buch im Text der Betrachtungen spielt ())Die Quellen der ‘Betrachtungen eines Unpoliti- schen’. Ein Zwischenberichtcc, in: In terna fionales Thomas-Manti-Kolloquium 1986, Tho- mas Mann Studien VII, Bern. Francke, 1987, S. 291-310).

AuUerordentlich dankenswert sind die zuverlassigen Angaben der Herausgeber dar- iiber, wo in den Gesammelten Werken die jeweilige Notiz verwendet worden ist. In den oft ganz knappen Kommentaren steckt eine iiberaus sorgfiiltige Arbeit, offensicht- lich oft mit langwierigen Ermittlungen verbunden. In Notizbuch 12 zitiert Thomas Mann eine Deutung Nietzsches als Rhetor und schreibt sie Overbeck zu. Die Herausge- ber zeigen, daI3 sie nicht von Overbeck, sondern von Carl Albrecht Bernoulli stammt, aus seinem Buch Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche, was Thomas Manns Ver- schreiben erklart (S. 24; N 11, 306). Gelegentlich erscheint ein veritables Kurzessay. AnschlieBend an einen Aufsatz aus der Neuen Rundschau, der in dem Kapitel ))For- schungencc des Zauberbergs verwendet wird, erfahren wir von anderen Buchern, die Hans Castorp dort liest. In einem davon, das Thomas Mann auch im Krull wieder verwendet hat, erscheint der Name eines Biologen Kuckuck ( N IZ, 189). Einmal verweist der sonst sehr zuriickhaltende Kommentar der Herausgeber besonders auf die durchgangige Ambivalenz im Denken und Schreiben Thomas Manns: ))Thomas Mann nahm gegeniiber seinem Bruder die Rolle des moralischen Asketen ein, obwohl er genug Abendteurertum in sich selber spiirtecc ( N ZZ, 71).

Ein Register von in den Texten genannten Werken Thomas Manns und ein allgemei- nes fur beide Bande sowie ein Literaturverzeichnis mit den Siglen fur in den Anmerkun- gen haufig genannter Literatur beschlieljen den Band.