legalitäts- und opportunitätsprinzip

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Legalitäts- und Opportunitätsprinzip Author(s): Ulrich Vultejus Source: Zeitschrift für Rechtspolitik, 32. Jahrg., H. 4 (April 1999), pp. 135-137 Published by: Verlag C.H.Beck Stable URL: http://www.jstor.org/stable/23425708 . Accessed: 12/11/2014 02:49 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Verlag C.H.Beck is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Zeitschrift für Rechtspolitik. http://www.jstor.org This content downloaded from 74.95.10.245 on Wed, 12 Nov 2014 02:49:32 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Page 1: Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

Legalitäts- und OpportunitätsprinzipAuthor(s): Ulrich VultejusSource: Zeitschrift für Rechtspolitik, 32. Jahrg., H. 4 (April 1999), pp. 135-137Published by: Verlag C.H.BeckStable URL: http://www.jstor.org/stable/23425708 .

Accessed: 12/11/2014 02:49

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Page 2: Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

Vultejus, Legalitäts- und Opportunitätsprinzip ZK? 1999, Heft 4 135

zu kaufen oder weniger zugänglich ist"46. Deshalb sollte

der Alkoholverkauf lizensiert werden. Ein Verkauf von Al

koholika durch Automaten, an Tankstellen und in der Nä

he von Schulen sollte nicht mehr zulässig sein47.

6. Konsumbeschränkungen

Von Bedeutung sind schließlich Trinkbeschränkungen und Trinkverbote, die für bestimmte Berufe oder bestimm

te Tätigkeiten gelten. So hat ein Ausschuß des Europäi schen Parlaments schon Vorjahren gefordert, „daß auf Ge

meinschaftsebene ein Höchstsatz für den Blutalkoholspie

gel bestimmter Arbeitnehmergruppen und bestimmter Ver

treter der freien Berufe festgelegt wird, die schwierige und

für sich und andere gefährliche Tätigkeiten ausüben", und

daß ein einheitlicher Alkoholgrenzwert für Kraftfahrer

festgelegt wird48.

In Deutschland ist der Alkoholgrenzwert seit Mai 1998

von 0,8 auf 0,5 Promille herabgesetzt worden. Sachgerecht wäre freilich ein völliges Alkoholverbot für Kraftfahrer, wie es in manchen Staaten bereits besteht und für Berufs

kraftfahrer auch in Deutschland gilt49. Zudem ist ein völliges Alkoholverbot am Arbeitsplatz

anzustreben, wie es die DHS schon vor Jahren gefordert hat und wie es inzwischen viele Betriebe eingeführt ha

ben50.

III. Bilanz

Angesichts der eingangs genannten alarmierenden Befun

de, hinter denen sich unsägliches Leid zahlloser Menschen

verbirgt, ist der Staat zum Eingreifen verpflichtet, denn er

hat von Verfassungs wegen Leben und Gesundheit der Bür

ger zu schützen 51. Zwar ist kein allgemeines Alkoholverbot

zu empfehlen, wie es zur Zeit der Prohibition in den USA be

stand, denn ein solches Verbot wäre nicht nur verfassungs rechtlich problematisch52, sondern es wäre - wie die ameri

kanischen Erfahrungen zeigen - unter den heutigen Gege

benheiten auch nicht durchsetzbar und würde zudem krimi

nelle Organisationen fördern53. Aber wie sich ergeben hat,

gibt es eine Reihe brauchbarer Maßnahmen, die in optima ler Bündelung durchaus etwas bewirken können: Wenn der

Gesetzgeber die Alkoholwerbung verbietet, angemessene Warnhinweise auf Alkoholflaschen vorschreibt, für ein Al

koholverbot am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr sorgt und die Alkoholschäden nach dem Verursacherprinzip der

Alkoholindustrie anlastet (und dadurch die Alkoholika we sentlich verteuert), so wird dies die Abkehr vom Alkohol för

dern, die nun (insbesondere dank der Fitneß-Welle) ohnehin

in Gang zu kommen scheint54. Auf dem Fundament einer

solchen Gesetzgebung können dann andere Aktivitäten zur

Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs (öffentliche Informa

tion, Gesundheitserziehung, Unterstützung von Selbsthilfe

gruppen, Entwöhnungsprogramme, Forschungsförderung) aufbauen55. Wichtig ist nicht zuletzt eine Bekämpfung der

46) Seifert (o. Fußn. 4), S. 11 (mit weiteren Ausführungen), der in die sem Zusammenhang auch auf die Bedeutung eines Mindestalters für Alko holkonsum hinweist: „Alle Studien zeigen, daß die Absenkung des Min destalters in der betroffenen Altersgruppe zu mehr alkoholbedingten Ver kehrsunfällen führt, während ein höheres Mindestalter solche Unfälle re duziert" (S. 12).

47) Siehe DHS (o. Fußn. 5), S. 34.

48) Siehe Bericht im Namen des Ausschusses für Umweltfragen, Volks

gesundheit und Verbraucherschutz über die Probleme des Alkoholismus in den Ländern der Gemeinschaft (Berichterstatterin Frau Vera Squarcialupi), Europäisches Parlament Sitzungsdokumente 1981-1982, Dokument 1 1012/81 v. 23. 2. 1982, S. Nr. 9 und Nr. 10.

49) Siehe v. Hippel (o. Fußn. 20). 50) Siehe Bericht „Trunkene Mitarbeiter", Die Welt v. 13. 8. 1994,

S. 13.

51) Vgl. BVerfGE 56, 54 (73) = NJW 1981, 1655. - Die staatliche

Schutzpflicht besteht jedenfalls gegenüber den ungeborenen Kindern und

psychologischen Defzite, welche die Wurzel der Alkohol sucht (wie auch anderer Süchte) bilden56.

den Minderjährigen, aber wohl auch gegenüber Alkoholabhängigen, die

infolge ihre Sucht nicht mehr willensfrei sind.

52) Vgl. hierzu die Entscheidung des BVerfG zum Haschischverbot vom 9. 3. 1994, NJW 1994, 1577 (1584 f.).

53) Siehe v. Hippel (o. Fußn. 1), S. 43. - Vgl. aber auch Seifert (o. Fußn. 4), S. 11: „Prohibitionen sind möglicherweise von beträchtlich zu nehmender illegaler Herstellung und illegalem Verkauf von Alkohol beglei tet. Vom Standpunkt öffentlicher Gesundheit und des Sozialwesens kann Prohibition aber nicht als völliger Fehlschlag angesehen werden. Während der Prohibition in Amerika sanken z. B. die Zirrhose-Sterblichkeit um fast

50%, wie auch andere alkoholbedingte Probleme. Weiterhin weisen in den ersten Jahren der Prohibition in Kanada, Finnland und den USA alle Indika toren für den Alkoholkonsum und für Alkoholprobleme den niedrigsten Wert auf".

54) Siehe Bericht „Abkehr vom Alkohol", Hamburger Abendblatt v. 14. 8. 1996, S. 21.

55) Entsprechendes gilt für ein Programm zur Bekämpfung der Tabak

Epidemie; siehe v. Hippel (o. Fußn. 3). 56) Siehe v. Hippel (o. Fußn. 1), S. 249 f.

Professor Ulrich Vultejus, Berlin

Legalitäts- und Opportunitätsprinzip *

Der Autor untersucht das Spannungsverhältnis zwischen dem

rechtsstaatlichen Legalitätsprinzip und dem politischen Opportu

nitätsprinzip anhand von bekannten Beispielen aus der jüngsten

Vergangenheit. Er zeigt vor diesem Hintergrund einen Weg auf, die Einstellung wegen Geringfügigkeit in Strafsachen aus dem

rechtsstaatlich kaum kontrollierbaren Opportunitätsprinzip in

das Legalitätsprinzip zu überführen und den am Recht orientier

ten richterlichen Entscheidungsraum zu erweitern, um so rechts

staatliche Strukturen in der Justiz zu stärken und sie gegen politi sche Einflüsse abzuschirmen.

I. Ausgangspunkt

Die Staatsanwaltschaft hat gegen „Die drei Tenöre" ein

Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingelei tet. Erste Folge: Der Tenor Domingo tritt nicht mehr in

Deutschland auf, weil er seine Verhaftung fürchten muß.

Der Tenor Pavarotti hat seine Zusage, an dem Sylvester konzert 1998 der Berliner Philharmoniker mitzuwirken,

kurzfristig zurückgenommen, so daß entgegen der Pro

grammankündigung in letzter Minute zunächst der Argen tinier Jose Cura und, nachdem auch dieser aus verständli

chem Grund seine Zusage zurückgezogen hatte, der junge

Argentinier Marcelo Alvarez engagiert werden mußten.

Die Erfahrungen der Tennisspielerin Stefanie Graf und ih

res tumben Vaters mit der Strafjustiz schrecken Künstler

und Sportler von Weltrang. Ein Parallelfall: Der damalige Bundeswirtschaftsminister

Graf Lambsdorff mußte wegen eines Verfahrens gegen ihn

mit dem Vorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung (Par

teispendenaffäre) sein Amt als Bundeswirtschaftsminister

aufgeben; bis heute erreichte keiner seiner Nachfolger sein

Format.

II. Gegenstück

Die Bundesregierung lehnt ein Auslieferungsersuchen an

Italien gegen den Kurdenanführer Öcalan ab, obwohl ihm

die Beteiligung an drei Morden in Deutschland zur Last ge

legt wird und obwohl gegen ihn in Deutschland ein Haftbe

fehl besteht. Die Bundesregierung - schon in der neuen

Formation - befürchtet Zusammenstöße mit Kurden.

* Der Autor war Richter in Hildesheim und hat in Strafsachen, insbe sondere Steuerstrafsachen, geurteilt.

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Page 3: Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

136 ZRP 1999, Heft 4 Vultejus, Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

III. Offensichtlichkeit des Widerspruchs zwischen Justiz und Politik

Die ersten beiden Fälle folgen dem Legalitätsprinzip der

Justiz, der letzte dem Opportunitätsprinzip der Politik. Der

Widerspruch ist offensichtlich.

Er ist besonders deutlich im Berliner Mykonosprozeß

hervorgetreten, in dem iranische Attentäter wegen eines

tödlichen Anschlages auf ein Restaurant rechtskräftig ver

urteilt worden sind, den sie, wie im Urteil ausdrücklich

festgestellt wird, im Auftrage der iranischen Regierung

ausgeübt hatten. Der Prozeß unterlag dem Legalitätsprin

zip und doch hätten Mitglieder der Bundesregierung, zu

Recht diplomatische Verwicklungen mit dem Iran fürch

tend, einen Freispruch nicht ungern gesehen. Generalbun

desanwalt Kay Nehm hatte den Sitzungsvertretern der

Bundesanwaltschaft, den Oberstaatsanwälten Jost und

Georg nahegelegt, in ihren Plädoyers keine Namen irani

scher Politiker zu nennen. Beide haben sich dieser Bitte ver

schlossen und mutig, die Freiheit des Plädoyers auch des

Staatsanwalts nutzend, die Namen öffentlich genannt. Als

wenig später über die Besetzung der Stelle eines Bundesan

walts (ein Sprung von R 2 nach R 6) zu entscheiden war, wurde Jost übergangen, obwohl seine Beförderung allge mein erwartet worden war. Man kann sich die Gründe den

ken. Die Freiheit hat ihren Preis.

Zum ersten Mal in der deutschen Rechtsgeschichte ist in

dem Berliner Urteil die Staatsführung eines fremden Staa

tes als Urheber schwerer Straftaten bezeichnet worden. Bis

her kannte man eine derartige Charakterisierung nur bei

Staatsführungen verblichener Regime, wie dem NS-Re

gime oder dem der SED. In beiden Fällen tat und tut sich

die Justiz schwer.

Das Legalitätsprinzip ist Ausfluß der Gleichheit vor dem

Gesetz, eines Kernstücks des Rechtsstaatsprinzips und ver

langt, daß alle Bürger ohne Rücksicht auf die politische

Zweckmäßigkeit, ohne Rücksicht auf die „Opportunität",

gleich behandelt werden. Das Legalitätsprinzip hat es hier

zulande in einer Zeit, in der die Prinzipien des Rechtsstaa

tes zwar lauter denn je - immer ein schlechtes Zeichen - be

schworen, aber immer weniger verstanden werden, schwer, sich Anerkennung zu verschaffen. Im Konfliktfall verlangt das Legalitätsprinzip stets ein Handeln gegen die aktuelle

Zweckmäßigkeit. Es ist schwer, Politiker, aber auch Bürger zu finden, die ein solches Handeln unterstützen.

Auch in den Ausgangsfällen kann ich mir Menschen vor

stellen, die eine vorzeitige Beendigung der Verfahren mit gu ten Argumenten für richtig gehalten hätten und die die Ent

scheidung der neuen Bundesregierung, nicht die Ausliefe

rung Ocalans zu verlangen, für richtig halten. Sie mögen be

denken, daß es auf der schiefen Bahn der Opportunität kei

nen Halt gibt und daß die schiefe Bahn in der Willkür der

Macht endet, die die Opportunität zu definieren vermag. Bei Licht betrachtet, sind Zusammenstöße von Legalität

und Opportunität oft Anzeichen für Mängel der Gesetze, die in dem Einzelfall besonders kraß hervortreten und -

hier liegt der Fehler - nicht allgemein, sondern eben nur im

Einzelfall, korrigiert werden sollen. So entsteht leicht der

Eindruck, das Legalitätsprinzip habe die Aufgabe, blind

mit der Binde vor den Augen der Justitia schlechte Gesetze

durchzusetzen, und daher sein verbreitet schlechter Ruf.

Das Gegenteil ist richtig: Das Legalitätsprinzip ist die Auf

forderung an den Gesetzgeber, Gesetze zu beschließen, die

auch im Einzelfall zu opportunen Ergebnissen führen!

Die Steuergesetzgebung ist hier ein ergiebiges weites Feld, das zu beackern mehr als einen eigenen Aufsatz erfordern

würde. Der Fall der „Drei Tenöre" ist ein gutes Beispiel. Fi

nanzpolitiker im Deutschen Bundestag haben sich, angesta

chelt von der repressiven Feindseligkeit der Philister gegen über Intellektuellen und Künstlern, darüber geärgert, daß

ausländische Künstler in Deutschland Einnahmen erzielen, die sie nur in ihrem Heimatland versteuern, und aus diesem

Ärger heraus ein Gesetz beschlossen, das die Finanzverwal

tung nur in Ausnahmefällen durchzusetzen vermag. Es for

dert deshalb zur Umgehung auf. Dem gut beratenen Cleve

ren gelingt sie, dem Vater von Stefanie Graf, einem Mann

eher einfacher, wenn auch nicht immer gerader Denkungs

art, ist sie mißlungen, und auch deshalb mußte er in ein Haus

mit Gittern einziehen. Die Zinsabschlagsteuer hat zu dem

Phänomen „Luxemburg" geführt, das den Finanzplatz Lu

xemburg gefördert, den deutschen Banken aber sehr gescha det hat. Die unterschiedliche steuerliche Förderung der Ge

meinnützigen Einrichtungen und der politischen Parteien ist

die Ursache des Falles „Lambsdorff".

IV. Die Einstellung wegen Geringfügigkeit

Die mindestens zahlenmäßig wichtigste Einbruchsteile

des Opportunitätsprinzips in das Legalitätsprinzip im

Strafprozeß ist die Einstellung von Strafverfahren wegen

Geringfügigkeit nach §§ 153, 153 a StPO je nach Opportu nität. Wir scheiden zur Zeit, je nach Bundesland unter

schiedlich, ein Drittel bis die Hälfte der Ermittlungs- und Strafverfahren über die §§ 153, 153 a StPO aus der Verfol

gung aus1. Dieses ist auch notwendig, weil das materielle

Strafrecht jedenfalls bis heute unfähig ist, die Straftatbe

stände so zu definieren, daß sie nur das wirklich strafwür

dige Unrecht erfassen.

Das muß aber nicht so sein. Das DDR-Strafrecht hatte

im materiellen Strafrecht eine Bestimmung, nach der

Handlungen unter der Geringfügigkeitsgrenze keine Straf

taten darstellen. Es war gewissermaßen unser § 153 StPO

in das materielle Strafrecht transformiert worden.

Diese materiellrechtliche Lösung ist deutlich besser als

unsere prozessuale:

(1.) Der Begriff der Geringfügigkeit wird aus dem Opportu nitätsprinzip in das Legalitätsprinzip überführt und sei

ne Definition in die richterliche Hand gelegt. Bisher ist das Gericht bei Einstellungen von der Zustimmung des

Staatsanwalts abhängig, dessen Zustimmung oder Ab

lehnung rechtsstaatswidrig kaum überprüfbar ist. Die

staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen werden zu

dem durch die Justizministerien, politisch motiviert,

gesteuert. Es darf nicht sein, daß die Geringfügigkeits

grenze von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich

und abhängig von der politischen Farbe der jeweiligen

Landesregierung definiert wird.

(2.) Mit dieser Lösung würden auch die Staatsanwälte un

abhängiger, weil sie in der Hauptverhandlung nicht an

Weisungen der Justizministerien gebunden wären.

(3.) Die Definition der Geringfügigkeitsgrenze würde der

Prüfung durch die Revisionsgerichte unterliegen und

bald würde sich durch die Rechtsprechung der Oberge richte in Deutschland eine einheitliche Linie durchset

zen. Auch könnte sich die Rechtswissenschaft in den

Disput einschalten. Dieses aber ist dringlich, betrifft die

Frage doch ein Drittel bis die Hälfte aller Verfahren.

(4.) So würden die bisherigen Fallgruppen der §§ 153, 153 a StPO deutlicher voneinander getrennt. Die Auf

erlegung einer Geldbuße oder einer sonstigen Pflicht

nach § 153 a StPO setzt zwar keine Schuldfeststellung im technischen Sinne, aber doch jedenfalls die Plausibi

lität einer Straftat voraus, eine Regelung, die sich am

Rande der verfassungsmäßigen Zulässigkeit bewegt.

1) Vgl. Vultejus, DRiZ 1995, 226.

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Page 4: Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

Renck, Staatliche Grundrechtsvorsorge und Bekenntnisunterricht ZRP 1999, Heft 4 137

Bei § 153 a StPO mag es aber wegen des Kompromiß charakters dieser Verfahrenseinstellung bei der bisheri

gen Regelung verbleiben.

Zahlenmäßig würde sich die Änderung vornehmlich bei der Verfolgung von Ladendiebstählen auswirken. Sie sind in der Tat in der Mehrzahl geringfügig, da der Wert des

Stehlgutes in der Regel unter 50 DM liegt (früher: Mund raub). Die regelmäßige Einstellung nach § 153 StPO in der Praxis ist deshalb gerechtfertigt. Bei Wiederholungstä tern wird indessen, nach leicht unterschiedlichen Krite

rien, nicht eingestellt. Auch das ist richtig und sollte auch

in Zukunft so bleiben. Man wird daher den in das mate

rielle Strafrecht verpflanzten § 153 StPO so formulieren

müssen, daß in die Prüfung der Geringfügigkeit auch Vor

belastungen einfließen.

Ein großer Fortschritt wäre die Tatsache, daß die leichte

Fahrlässigkeit aus dem Strafrecht, nicht aber aus dem Zi

vilrecht ausgeschieden würde. Ich denke etwa an leichte

Fahrlässigkeiten des Arztes (ein alter Traum von Dr. Ha

rald Franzki) oder die des Kraftfahrers, die uns allen auch

bei großer Vorsicht unterlaufen können. Gleichzeitig wür

de die Strafjustiz von der Notwendigkeit, im Grenzbereich

zwischen Schuldlosigkeit und leichter Fahrlässigkeit zu er

mitteln, entlastet. Der gewiß notwendige materielle Aus

gleich würde über das Zivilrecht erfolgen. Die Einstellungen wegen Geringfügigkeit sind hier nur

als Beispiel gedacht. Die Justiz ist auf die Verwirklichung dauerhafter Werte festgelegt. Sie darf nicht nach der Op

portunität des Augenblicks schwanken und ist deshalb

dem Legalitätsprinzip verpflichtet. Sie ist auf die Fähigkeit der Politik angewiesen, Gesetze zu formulieren, die den der

Legalität folgenden Urteilen die Legitimität zugesellen und

die Legalität mit der Opportunität versöhnen. In dem Ma

ße, in dem die Politik diese Fähigkeit verliert, wird sich die

Rechtsprechung verselbständigen und auf eigenen Wegen um Kontinuität bemüht sein.

Richter am VGH a. D. Professor Dr. Ludwig Renck, München

Staatliche Grundrechtsvorsorge und Bekenntnisunterricht *

Im Zuge der Auseinandersetzung um das Brandenburgische

Schulgesetz erhält der Streit um ein Grundrecht auf Bekenntnis

unterricht eine immer größere Aktualität. Es wäre das einzige all

gemeine Grundrecht, von dem wegen der Differenzierung des Be

kenntnisspektrums immer weniger Bürger Gebrauch machen

könnten. Es wäre auch das seltsamste Grundrecht, weil es dem In

haber lediglich einen Anspruch darauf einräumt, daß andere et

was tun, worauf er nicht zuletzt wegen Art. 7 III 2 GG nicht den

geringsten Einfluß hätte.

I. Einführung

Mit dem grundlegenden Wandel der bekenntnissoziologi schen Daten gerät das von Weimar übernommene Bekennt

nisrecht einer volkskirchlichen Gesellschaft immer stärker

unter Rechtfertigungsdruck. Nicht zuletzt die Integration der neuen, überwiegend nichtchristlichen Bundesländer hat

einen Problemschub bewirkt, der nach neuen Antworten auf

alte Fragen des Bekenntnisrechts verlangt. Die Reaktion der

traditionellen Staatskirchenrechtsdoktrin hat sich bisher re

gelmäßig darauf beschränkt, die überkommenen Rechtsver

hältnisse mit neuen Begründungen zu unterfangen. Vehikel

dafür sind an sich verdienstvolle und wertneutrale Begriffe wie die staatliche Grundrechtsvorsorge oder die staatliche

Kulturverantwortung1, die nunmehr eine neue, rechtspoliti sche Bedeutung erhalten. Es handelt sich um variable Grö

ßen mit vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten, so daß sich bei entsprechendem Argumentationsbedarf eine umfassen

de, ja zuweilen überzogene Anwendungspalette geradezu

aufdrängt. Heckel2 beispielsweise benützt das Verfassungs

postulat der Kulturverantwortung zur Verteidigung der

theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen3.

Meist wird dabei und nicht nur von ihm übersehen, daß so

ein Wort allein nicht alles zu erklären vermag, was in die Ge

genwart gerettet werden soll. Um bei Heckel zu bleiben: Er

verkennt oder übergeht, daß die Inpflichtnahme des Staates

für die Förderung der konfessionellen Theologie 4

nicht un

bedingt bedeutet, daß dies gerade an staatlichen Universitä

ten in staatlichen Einrichtungen mit staatlichem Personal

geschehen muß oder kann. Einen vergleichbaren Weg

schlägt, wenn auch bedächtiger erwogen und gründlicher

bedacht, aber doch zum selben Zweck, Maurer ein, wenn

er die These verficht, der staatliche Religionsunterricht an

den öffentlichen Schulen sei nicht der Kirchen, sondern der

Kinder wegen gewährleistet. Er beschreitet damit einen

Weg, der verfassungsrechtsdogmatisch ebenfalls zu keinen

überzeugenden Ergebnissen führt.

II. Das Regelschulproblem

Nach dem Schulordnungskonzept des Grundgesetzes ist

die christliche Gemeinschaftsschule im Gegensatz zum

Rechtszustand unter der Vorläuferverfassung nicht die Re

gelschule. Der Landesgesetzgeber verfügt daher über ein Ge

staltungsermessen bei der Normierung des Schulwesens.

Dieses Ermessen ist freilich nicht schrankenlos. Vielmehr

sind die bekenntnissoziologischen Voraussetzungen des je

weiligen Landes zu berücksichtigen6. Er kann deshalb die bekenntnisfreie Schule als Regel einführen. Dies ist bislang lediglich in Brandenburg geschehen, und der Streit darüber ist noch beim B VerfG anhängig7. Es wird darüber zu befin den haben, ob es dem Grundgesetz widerspricht, in einem

Bundesland mit markant areligiös eingestellter und daher

kirchlich nicht gebundener Bevölkerung die bekenntnisfreie

Regelschule vorzuhalten. Eine Rechtspflicht, an derartigen bekenntnisfreien Schulen staatlichen Bekenntnisunterricht

als ordentliches Lehrfach einzuführen, besteht nach dem in

soweit ausdrücklichen Verfassungswortlaut nicht. Maurer8

verkehrt diesen evidenten Befund in sein Gegenteil. Mag der

Begriff der bekenntnisfreien Schule umstritten sein9,

Art. 7 III GG schreibt für diese Schulart jedenfalls keinen staatlichen Bekenntnisunterricht vor, und der Landesgesetz

geber kann dort einen solchen Unterricht nicht einführen, ohne den Charakter der Schulart zu ändern. Bei richtigem Verständnis handelt es sich bei bekenntnisfreien Schulen oh

ne Bekenntnisunterricht als ordentliches Lehrfach rechtlich

* Der Autor ist Richter am VGH a. D. und Honorarprofessor an der Universität Augsburg.

1) In den Stichwortverzeichnissen der Monographien und Kommentare sowie unter den Schlagworten der einschlägigen Lexika haben diese Begrif fe noch keinen nominellen Platz gefunden.

2) Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, 1986, S. 17 ff.

3) Kritisch zu diesen Einrichtungen Renck, NVwZ 1996, 333 ff.

4) In der Praxis freilich immer nur der großen Kirchen.

5) In: Festschr. f. Zacher, 1998, S. 577ff.

6) Zum Ganzen der Problematik der Schultypen BVerfGE 34, 165 ff. =

NJW 1973, 133 und BVerfGE 41, 29ff. = NJW 1976, 947.

7) Es handelt sich um ein von Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion be

antragtes Normenkontrollverfahren und um verschiedene Verfassungsbe schwerden von Kirchen, Eltern und Schülern.

8) Vgl. (o. Fußn. 5), S. 587.

9) Jedenfalls in dem Sinne, in dem ihn anscheinend Maurer vertritt.

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