das arzt-patienten-verhältnis im schatten des marktes: zwischenbilanz nach 20 jahren

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Kongressbericht | Congress Report Dt Ztschr f Akup. 56, 4/2013  51 DZA DOI: 10.1016/j.dza.2013.11.020  51 51 Dt. Ztschr. f. Akupunktur 56, 4/2013 Dr. Wolfram Stör [email protected] W. Stör Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Schatten des Marktes: Zwischenbilanz nach 20 Jahren Tagung des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung in Verbindung mit dem Dialogforum Pluralismus in der Medizin Berlin, 18. September 2013 Von Jahr zu Jahr wird deutlicher, wie die Ökonomisierung des Gesundheitswesens das Verhältnis zwischen Patienten und Ärz- ten erodiert. Vor 20 Jahren wurde das Gesundheitsstrukturgesetz eingeführt, vor zehn Jahren die Fallpauschalen: Anlass für eine Zwischenbilanz. Vor ca. 40 geladenen Experten des Forum Plu- ralismus in der Medizin warnte Bundesärztekammerpräsident Prof. Frank U. Montgomery davor, dass der Arzt als Kaufmann und Beamter seine Professionalität verliert. Gastgeber Prof. Robert Jütte vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert- Bosch-Stiftung wies in seiner Einleitung darauf hin, dass der Staat seit Anfang des 19. Jahrhunderts aus wirtschaftlichen Gründen in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingreift. Er zitierte den Göttinger Dr. Marx: „In politischen Kreisen sind diejenigen, die Schmerzensschreie ertönen lassen und Heilmittel dagegen erfinden, ein- und dieselben“ und umriss damit die ganze Pro- blematik des Themas. Erfreulich nüchtern stellte sich Gerhard Schulte den Tatsachen. Er hatte als Ministerialrat unter Gesundheitsminister Horst Seehofer 1992 die umfassende Einführung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen verantwortet. Aus seiner Sicht lief schlecht, dass nur die Form, aber nicht die Inhalte der Versorgung verändert worden seien. Klare Kante zeigte der Ökonom Prof. Günter Neubauer von der LMU München mit einem kompromisslosen Plädoyer für Wettbewerb im Gesundheitswesen. Ausgehend vom Ideal einer sozialen Marktwirtschaft à la Erhard bezeichnete er den Wettbewerb in freier Gesellschaft und Rückzug des Staates als unvermeidlich, besonders im Blick auf den stationären Bereich. „Wo Schiedsrichter mitspielen, gibt es schlechtere Ergebnisse.“ Es widersprach Dr. Wolfgang Klitzsch, Geschäftsführer der Ärztekammer Nordrhein: Das Gesundheitswesen sei nicht an kurzfristigem, ruinösem Wettbewerb interessiert, sondern an langfristigen Ergebnissen. Kooperation, nicht Wettbewerb sei die ungenutzte Effizienzreserve. Qualität, Prävention und Gesunderhaltung würden nicht durch Wettbewerb gefördert. Zudem gebe es das Problem der Übernutzung der Medizin, denn die Indikationsstellung für Diagnostik und Therapie sei „verhältnismäßig elastisch“. „Markt und Wettbewerb funktionieren nicht! Wir sollten Qualität in den Vordergrund stellen – und messbar machen.“ Auch der Arzt Prof. Peter Matthiessen von der Universität Witten-Herdecke beklagte, dass das Marktmodell zu einer Käuflichkeit führe. In Patient und Arzt würden sich zwei Experten begegnen, der eine für das Befinden, der andere für den Befund. Leistungsträger im Gesundheitswesen seien die Bürger, die sich gesund erhalten und die mit oder auch trotz ärztlicher Behandlung gesund bleiben. Empathie führe zu Liebe, die nicht blind macht. Es sei die Aufgabe des professionellen Arztes, hören zu können auf das gelebte und das nicht gelebte Leben. Es müsse ein gesellschaftlicher Konsens herbeigeführt werden, dass bestimmte Leistungen exklusiv von Ärzten erbracht werden und diese dann auch die Verantwortung übernehmen und sich am Gemeinwohl orientieren. Die Einzelleistungsvergütung sei schädlich, da sie niemals selbstlimitierend sei. Besser sei als Vergütungsmodell eine Kopfpauschale je eingeschriebenem Bürger, ob krank oder gesund. Gesundheit sei keine messbare ökonomische Größe, sondern Teil der Kultur, wie Schulen, Universitäten u. a. Als letzten Vortrag stellte die Medizinjournalistin Sonia Mikich/ Köln die Sicht anhand eigener bedrückender Erfahrung als fehl behandelte Patientin dar. Die guten Seiten des Gesundheitswesens würden vom Ausmaß der Defizite verstellt. Der Patient könne nicht Kunde sein, da er nicht auf Augenhöhe mit Arzt und Gesundheitssystem verhandeln könne. Hilfe würde immer Zeit erfordern und Berücksichtigung des Kontextes. Im Gesund- heitswesen dürften nicht die Maßstäbe aus der Industrie bezüglich Produktivität herangezogen werden. Der Arzt müsse nach Arbeitszeit honoriert werden. Die Vorträge boten Stoff für Diskussion: Beklagt wurde, dass das System der dualen Finanzierung versagt habe, weil der Staat fast nicht mehr zur Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser beiträgt und damit seit 30 Jahren gegen geltendes Recht verstößt. Die Ökonomie müsse wieder den Ärzten helfen, statt sie zu dominieren. Auf Unverständnis stieß der Vorschlag von Prof. Neubauer Patienten für die Zusatzleistung „sprechende Medizin“ einen Aufschlag zum Versicherungsbeitrag abzuverlangen. Ein interessantes Beispiel berichtete Peter Meister: In einer Untersuchung der Universität Witten-Herdecke zeigte sich, dass auch in einer rein schulmedizinischen Behandlung die Kenntnis der ausführlichen biografischen Anamnese eines Patienten zu völlig anderen Behandlungsstrategien der hausärztlich- internistischen Ärzte geführt hatte. Der Zeitdruck in den Kliniken führe zu höheren Fehlerquoten. Erwartungsgemäß brachte die Tagung keine Patentlösung. Sie zeigte jedoch, dass vonseiten der Ökonomie ein enormer Druck besteht, den eingeschlagenen Weg noch weiter zu radikalisieren, obwohl schon jetzt bei weltweit verglichen sehr hohem Mitteleinsatz im deutschen Gesundheitswesen wesentliche Defizite des Patienten-Arzt-Verhältnisses zu erkennen sind. Es ist das Verdienst der Veranstalter, dies thematisiert zu haben. Ärztliche Fachgesellschaften und Interessenverbände, gerade aus der Komplementärmedizin, sind gefordert, das Problem in die Politik zu transportieren.

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Page 1: Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Schatten des Marktes: Zwischenbilanz nach 20 Jahren

Kongressbericht | Congress Report

Dt Ztschr f Akup. 56, 4 / 20 13    5 1    DZA

DOI : 10. 10 16/ j .dza .20 13 . 1 1 .020   5 15 1    Dt. Z tschr. f. Akupunktur 56, 4 / 20 13

Dr. Wolfram Stö[email protected]

W. Stör

Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Schatten des Marktes: Zwischenbilanz nach 20 Jahren

Tagung des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung in Verbindung

mit dem Dialogforum Pluralismus in der Medizin

Berlin, 18. September 2013

Von Jahr zu Jahr wird deutlicher, wie die Ökonomisierung des Gesundheitswesens das Verhältnis zwischen Patienten und Ärz-ten erodiert. Vor 20 Jahren wurde das Gesundheitsstrukturgesetz eingeführt, vor zehn Jahren die Fallpauschalen: Anlass für eine Zwischenbilanz. Vor ca. 40 geladenen Experten des Forum Plu-ralismus in der Medizin warnte Bundesärztekammerpräsident Prof. Frank U. Montgomery davor, dass der Arzt als Kaufmann und Beamter seine Professionalität verliert. Gastgeber Prof. Robert Jütte vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung wies in seiner Einleitung darauf hin, dass der Staat seit Anfang des 19. Jahrhunderts aus wirtschaftlichen Gründen in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingreift. Er zitierte den Göttinger Dr. Marx: „In politischen Kreisen sind diejenigen, die Schmerzensschreie ertönen lassen und Heilmittel dagegen erfi nden, ein- und dieselben“ und umriss damit die ganze Pro-blematik des Themas.Erfreulich nüchtern stellte sich Gerhard Schulte den Tatsachen. Er hatte als Ministerialrat unter Gesundheitsminister Horst Seehofer 1992 die umfassende Einführung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen verantwortet. Aus seiner Sicht lief schlecht, dass nur die Form, aber nicht die Inhalte der Versorgung verändert worden seien.

Klare Kante zeigte der Ökonom Prof. Günter Neubauer von der LMU München mit einem kompromisslosen Plädoyer für Wettbewerb im Gesundheitswesen. Ausgehend vom Ideal einer sozialen Marktwirtschaft à la Erhard bezeichnete er den Wettbewerb in freier Gesellschaft und Rückzug des Staates als unvermeidlich, besonders im Blick auf den stationären Bereich. „Wo Schiedsrichter mitspielen, gibt es schlechtere Ergebnisse.“

Es widersprach Dr. Wolfgang Klitzsch, Geschäftsführer der Ärztekammer Nordrhein: Das Gesundheitswesen sei nicht an kurzfristigem, ruinösem Wettbewerb interessiert, sondern an langfristigen Ergebnissen. Kooperation, nicht Wettbewerb sei die ungenutzte Effi zienzreserve. Qualität, Prävention und Gesunderhaltung würden nicht durch Wettbewerb gefördert. Zudem gebe es das Problem der Übernutzung der Medizin, denn die Indikationsstellung für Diagnostik und Therapie sei „verhältnismäßig elastisch“. „Markt und Wettbewerb funktionieren nicht! Wir sollten Qualität in den Vordergrund stellen – und messbar machen.“

Auch der Arzt Prof. Peter Matthiessen von der Universität Witten-Herdecke beklagte, dass das Marktmodell zu einer Käufl ichkeit führe. In Patient und Arzt würden sich zwei Experten begegnen, der eine für das Befi nden, der andere für den Befund. Leistungsträger im Gesundheitswesen seien die

Bürger, die sich gesund erhalten und die mit oder auch trotz ärztlicher Behandlung gesund bleiben. Empathie führe zu Liebe, die nicht blind macht. Es sei die Aufgabe des professionellen Arztes, hören zu können auf das gelebte und das nicht gelebte Leben. Es müsse ein gesellschaftlicher Konsens herbeigeführt werden, dass bestimmte Leistungen exklusiv von Ärzten erbracht werden und diese dann auch die Verantwortung übernehmen und sich am Gemeinwohl orientieren. Die Einzelleistungsvergütung sei schädlich, da sie niemals selbstlimitierend sei. Besser sei als Vergütungsmodell eine Kopfpauschale je eingeschriebenem Bürger, ob krank oder gesund. Gesundheit sei keine messbare ökonomische Größe, sondern Teil der Kultur, wie Schulen, Universitäten u. a. Als letzten Vortrag stellte die Medizinjournalistin Sonia Mikich/Köln die Sicht anhand eigener bedrückender Erfahrung als fehl behandelte Patientin dar. Die guten Seiten des Gesundheitswesens würden vom Ausmaß der Defi zite verstellt. Der Patient könne nicht Kunde sein, da er nicht auf Augenhöhe mit Arzt und Gesundheitssystem verhandeln könne. Hilfe würde immer Zeit erfordern und Berücksichtigung des Kontextes. Im Gesund-heitswesen dürften nicht die Maßstäbe aus der Industrie bezüglich Produktivität herangezogen werden. Der Arzt müsse nach Arbeitszeit honoriert werden.

Die Vorträge boten Stoff für Diskussion: Beklagt wurde, dass das System der dualen Finanzierung versagt habe, weil der Staat fast nicht mehr zur Investitionsfi nanzierung der Krankenhäuser beiträgt und damit seit 30 Jahren gegen geltendes Recht verstößt. Die Ökonomie müsse wieder den Ärzten helfen, statt sie zu dominieren. Auf Unverständnis stieß der Vorschlag von Prof. Neubauer Patienten für die Zusatzleistung „sprechende Medizin“ einen Aufschlag zum Versicherungsbeitrag abzuverlangen. Ein interessantes Beispiel berichtete Peter Meister: In einer Untersuchung der Universität Witten-Herdecke zeigte sich, dass auch in einer rein schulmedizinischen Behandlung die Kenntnis der ausführlichen biografi schen Anamnese eines Patienten zu völlig anderen Behandlungsstrategien der hausärztlich-internistischen Ärzte geführt hatte. Der Zeitdruck in den Kliniken führe zu höheren Fehlerquoten. Erwartungsgemäß brachte die Tagung keine Patentlösung. Sie zeigte jedoch, dass vonseiten der Ökonomie ein enormer Druck besteht, den eingeschlagenen Weg noch weiter zu radikalisieren, obwohl schon jetzt bei weltweit verglichen sehr hohem Mitteleinsatz im deutschen Gesundheitswesen wesentliche Defi zite des Patienten-Arzt-Verhältnisses zu erkennen sind. Es ist das Verdienst der Veranstalter, dies thematisiert zu haben. Ärztliche Fachgesellschaften und Interessenverbände, gerade aus der Komplementärmedizin, sind gefordert, das Problem in die Politik zu transportieren.

++DZA_04_2013.indb 51 25.11.2013 11:12:12