die stadt gehört uns! – ausgabe 13 2014 des strassenfeger

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Straßenzeitung für Berlin & Brandenburg 1,50 EUR davon 90 CT für den_die Verkäufer_in No. 13, Juli 2014 BRASILIANISCH »Die Künstlergruppe Artfabric« (Seite 3) REBELLISCH »Klassenkampf auf dem Wohnungsmarkt« (Seite 6) ALTERNATIV »Camp an der Cuvry- straße« (Seite 10) DIE STADT GEHÖRT UNS!

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Page 1: Die Stadt gehört uns! – Ausgabe 13 2014 des strassenfeger

Straßenzeitung für Berlin & Brandenburg

1,50 EURdavon 90 CT für

den_die Verkäufer_in

No. 13, Juli 2014

BRASILIANISCH»Die Künstlergruppe Artfabric« (Seite 3)

REBELLISCH»Klassenkampf auf dem Wohnungsmarkt« (Seite 6)

ALTERNATIV»Camp an der Cuvry-straße« (Seite 10)

DIE STADT GEHÖRT UNS!

Page 2: Die Stadt gehört uns! – Ausgabe 13 2014 des strassenfeger

strassenfeger | Nr. 13 | Juli 20142 | INHALT

strassen|feger Die soziale Straßenzeitung strassenfeger wird vom Verein mob – obdach-lose machen mobil e.V. herausgegeben. Das Grundprinzip des strassenfeger ist: Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe!

Der strassenfeger wird produziert von einem Team ehrenamtlicher Autoren, die aus allen sozialen Schichten kommen. Der Verkauf des stras-senfeger bietet obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen die Möglichkeit zur selbstbestimmten Arbeit. Sie können selbst entschei-den, wo und wann sie den strassenfeger anbieten. Die Verkäufer erhalten einen Verkäuferausweis, der auf Verlangen vorzuzeigen ist.

Der Verein mob e.V. fi nanziert durch den Verkauf des strassenfeger soziale Projekte wie die Notübernachtung und den sozialen Treff punkt »Kaff ee Bankrott « in der Storkower Str. 139d.Der Verein erhält keine staatliche Unterstützung.

Liebe Leser_innen,diese Ausgabe trägt den bezeichnenden Titel: »Die Stadt gehört uns«. Denn momentan brodelt es wieder in Berlin. Mittlerweile regt sich Widerstand gegen die Wohnungspolitik, gegen die Flüchtlings-politik, gegen die Vertreibung aus dem öffentlichen Raum. Insbe-sondere die Flüchtlinge und deren Unterstützer machen Druck auf die Politik, eine neue, anständige und menschliche Strategie im Um-gang mit ihnen zu entwickeln. Obdachlose und Wohnungslose sind da ein wenig ins Hintertreffen geraten. Es ist sehr schwierig für diese Menschen, sich gemeinsam für ihre gerechte Sache einzusetzen und durch gezielte Aktionen Zeichen Aufmerksamkeit für dieses bren-nende soziale Problem in der deutschen Hauptstadt zu erzeugen. Die Mieter_innen dieser Stadt sind da schon weiter, sie organisieren Widerstand gegen die ständig steigenden Mieten, gegen Vertreibung und fordern eine neue und nachhaltige Wohnungs- und Mietenpo-litik vom Berliner Senat.

Unsere Autoren haben sich deshalb an die Brennpunkte der Stadt begeben und mit Aktivisten, Machern, Soziologen gesprochen. Auf-regend und anregend der Bericht über das Camp an der Cuvrystraße (Seite 3). Dort haben sich obdachlose Menschen ein Stückchen Berlin zurückerobert. Der Eigentümer der Brache lässt gerade die Polizei prüfen, ob er die Bewohner dort räumen lassen kann. Ohne heftigen Widerstand wird das wohl nicht abgehen. Ein tolles Projekt fand gerade im Curvry-Camp statt: Die Künstlergruppe »Artfabric« brachte ein Stücken São Paulo nach Berlin (Seite 10). Ein wichtiger Film sorgt derzeit nicht nur in Deutschland für Furore: »Mietrebel-len« dokumentiert gekonnt die Situation auf dem Wohnungsmarkt und soll Mieter_innen ermuntern, für ihre Rechte zu kämpfen (Seite 6). Passend dazu gibt es ein Interview mit dem Stadtsoziologen An-drej Holm zu dessen Buch »Reclaim Berlin« (Seite 18). Auch sehr wichtig sind die sozialen Stadtführungen der GEBEWO (Seite 9) oder das engagierte Plädoyer unseres Autors Jan Markowsky gegen die Vertreibung aus dem öffentlichen Raum (Seite 13.). Zu denjeni-gen, die von übereifrigen Bezirkspolitikern gerade auch gern vertrie-ben werden, gehören die Straßenmusiker (Seite 14.)

In der Rubrik art strassenfeger rezensiert Urszula Usakowska-Wolff die Ausstellung »Oskar Kokoschka: Humanist und Rebell« im Kunstmuseum Wolfsburg (Seite 16). Auch in der Ausgabe: Ein Interview mit einer wunderbaren Illustratorin über ihr faszinieren-des Gartenbuch »Der goldene Grubber« Seite 24). Lassen Sie sich überraschen! Ganz wichtig: die Berichte im Sporteil über die »In-ternationalen Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften der Behin-derten« (Seite 27) und die »Deutschen Straßenfußballmeisterschaft der Wohnungslosen« in Karlsruhe.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leser_innen, wieder viel Spaß beim Lesen!Andreas Düllick

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DIE STADT GEHÖRT UNS!Besuch im Camp an der Cuvrystraße

Film »Mietrebellen« soll Mieter ermuntern

Soziale Stadtrundfahrt der GEBEWO

»Artfabric« bringt São Paulo nach Berlin

Keine Vertreibung aus dem öff entlichen Raum!

Straßenmusiker in Berlin

Fahrradfahrer wollen mehr Platz & Sicherheit

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TAUFRISCH & ANGESAGTa r t s t r a s s e n fe g e rAusstellung »Oskar Kokoschka: Humanist und Rebell« im Kunstmuseum Wolfsburg

B re n n p u n k tAndrej Holm »Reclaim Berlin«

»BAG Wohnungslosenhilfe« fordert nationale Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Armut

s t r a s s e n fe g e r r a d i oDer digitale Bürger ist an seiner Überwachung selbst schuld

K u l t u r t i p p sskurril, famos und preiswert!

A k t u e l lKat Menschik »Der goldene Grubber«

S p o r tInternationale Deutsche Leichtathletik-Meisterschaft en der Behinderten

Deutsche Straßenfußballmeisterschaft der Wohnungslosen

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AUS DER REDAKTIONH a r t z I V - R a t g e b e rWichtige Urteile des Bundessozialgerichts (3)

K o l u m n eAus meiner Schnupft abakdose

Vo r l e t z t e S e i t eLeserbriefe, Vorschau, Impressum

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 2014 DIE STADT GEHÖRT UNS! | 3

»Ich hatte vom normalen Leben die Schnauze voll«Ein erster Besuch im Camp an der CuvrystraßeR E P O R T A G E : D e t l e f F l i s t e r | F O T O S : T h o m a s G r a b k a

Ankunft und erste Eindrücke: Am spä-ten Nachmittag kommen wir im Camp in der Cuvrystraße an. Unsicher schaue ich mich um. Ich habe irgendwie Angst

und bin unsicher, befürchte, dass es zu irgend-welchen Übergriffen der Bewohner kommt. Das Camp besteht aus einigen Häusern, die mühsam aus Holz zusammen gehämmert wurden und die nicht besonders stabil wirken. Der Platz ist sehr sandig. Bei starkem Wind wird dieser Sand auf-geweht und fliegt quer durch das Camp, für die Bewohner ein großes Problem. Schön ist, dass das Camp einen eigenen Zugang zur Spree hat. Im Zentrum steht ein Tippi, es wird von einem an Krücken laufenden Mann bewohnt. Das Camp

ist sehr international, Menschen aus der ganzen Welt leben hier zusammen.

In den vorderen Häusern wohnen die Sinti und Roma. Die Bedingungen, unter denen sie hier leben müssen, sind extrem. Ganze Großfamilien wohnen eng an eng in den Holzbüdchen. Die ein-zelnen Familienmitglieder haben nicht wirklich Platz für sich, um sich auch einmal zurückzuzie-hen, allein zu sein und in Ruhe nachdenken zu können. Auch die Campbewohner berichten über die Probleme, die sie mit ihnen haben. Ein Mann verteilt Spielzeug: Ein Plastikauto, mit dem man fahren kann, und einen kleinen Roller. Der Junge ist ziemlich frech und wird daher immer wieder zurechtgewiesen. Ständig laufen bei unseren Un-

terhaltungen einige Sinti und Roma dazwischen und betteln. Die Situation macht mich unsicher. Ich weiß ob der vielen bettelnden Menschen nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich erkläre ih-nen etwas hilflos meine finanzielle Lage. Ich be-komme eine kleine Rente/Grundsicherung. Aber sie scheinen mich nicht zu verstehen, gehen mich immer und immer wieder an. Ich fühle mich regel-recht bedrängt und verängstigt.

F l i p y u n d P h i l p p

Nach einer Weile kommen wir im hinteren Teil des Camps an. Wir erfahren von Flipy, dass Tho-mas, der Mann, den wir als Kontaktperson

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01-04 Alltagsleben im Curvry-Camp

05 Das Camp hat sogar eine eigene Bibliothek!

strassenfeger | Nr. 13 | Juli 20144 | DIE STADT GEHÖRT UNS!

ausgesucht hatten, gestern Depressionen hatte und nun verschwunden ist. Flipy hat das Haus übernommen und es vorher auch ausge-baut. Er ist ein lockerer, aufgeschlossener Mann, der die Haare im Jamaika-Look trägt. Flipy be-richtet mir, dass große Firmen wie die »Bayer AG« dieses Gelände gekauft und wieder abgesto-ßen hätten. Er erzählt, dass es hier sehr schwer sei, sich ein Haus zu bauen und diese manchmal einsacken, weil hier ein Keller oder ein Nazibun-ker unter dem Gelände sei.

Flipy verrät mir, dass er zeitweise in Miet-wohnungen gelebt hat und sein Geld mit Schwarzarbeit verdient habe. Als die Arbeit dann aber weg war, häufte er schnell Mietschul-den an und musste raus aus seiner Wohnung. »Ich hatte vom normalen Leben schließlich ir-gendwann die Schnauze voll«, sagt Flipy mir. »Ich suchte eine neue Art zu leben und landete schließlich hier im Camp!« Später erzählt er, dass viele Medien sie hier schon besucht haben: »Spiegel«, »Stern«, »Berliner Zeitung«, »B. Z.« und auch Fernsehsender wie PRO 7 und SAT 1. Die Berichterstattung sei aber bis auf den »Spie-gel« immer negativ gewesen.

Während wir uns unterhalten kommt ein schwarzhaariger Mann angelaufen und berich-tet über einen farbigen Mitbewohner, der immer wieder Streit anfängt und sich mit niemandem versteht. Das bringe ganz schön Unruhe ins Camp. Überhaupt: Es gäbe auch schon mal Prü-geleien und soziale Konflikte, die das Zusam-menleben erheblich erschweren. Während ich

weiter Gespräche mit den Bewohnern des Camps führe, beob-achte ich eine Aufräum- und Säuberungsaktion. Eine Couch wird durch das Camp getragen und auch Müll beseitigt. Die Müllbeseitigung ist in diesem Camp ein extremes Problem. Überall liegt er herum und stinkt vor sich hin. Aber wie diese Aktion hier zeigt, gibt es ernsthafte Bemühungen, dieses Pro-blems Herr zu werden.

Dann treffe ich Philipp. »Mein Leben war schwierig und total stressig«, berichtet er mir. »Ich bin seit Dezember 2013 hier. Man hat hier viele Freiheiten und lernt interessante Leute kennen, hat dadurch das Gefühl, nicht alleine zu stehen mit seinen Problemen. Trotz Unruhe und Zoff sind wir hier irgendwie wie eine eine große Familie, die, wenn es darauf ankommt, zusammenhält!« Auch ihn hat der Alltagsstress aus dem normalen Leben getrieben und ihn nach Alternati-ven suchen lassen.Philipp erzählt mir, dass auch Touristen hierherkommen, die mit den Bewohnern grillen, quatschen und Party machen. Aber es gibt auch immer wieder Schwie-rigkeiten. »Kurz nachdem wir das Camp aufgebaut hatten«, berichet Philipp, »wollten sie es räumen! Es gab Demos und Protestaktionen, und wir erhielten auch Unterstützung von der Bevölkerung. Dabei bekamen wir auch Kontakt zum strassenfeger!« Er erzählt dann auch über die Begegnungen mit der Berliner Polizei. Sie sei übergriffig und gewalttätig und gehe zu brutal zur Sache, meint Philipp.

E i n e B i b l i o t h e k & B e g e g n u n g m i t R u s s e n & j e d e M e n g e D ü f t e

Auf dem Rückweg gehen wir in die Bibliothek des Camps. Thomas, unser Fotograf, spricht mit einer Frau aus Hessen und einigen Russen, die Karten spielen. Ich ziehe mich et-was zurück und höre zu, bekomme aber zu den Menschen

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06 Wenigstens ein Dach über dem Kopf!

07 Domizil mit Spreeblick

08 Kleine Heimat

09 Ordnung muss sein

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keinen Kontakt, weil sie mir unnahbar erscheinen. Man er-zählt uns, dass die Bibliothek vor einigen Jahren von einem Südafrikaner gespendet wurde, der auch das Haus dafür ge-baut habe. Die Bibliothek selbst ist ziemlich unaufgeräumt und jede Menge Krempel liegt auf dem Boden. Es riecht auch unangenehm: Eine Glocke von allen möglichen, teils undefinierbaren Düften, schwebt durch den Raum. Auch Alkohol ist dabei, irgendein billiger Rotwein, und Ha-schisch. Ich bekomme ein leicht flaues Gefühl im Magen. Schnell verschwinde ich an die frische Luft.

Zum Schluss treffen wir noch Sascha und David. Merk-würdigerweise kochen beide getrennt, obwohl sie in einem Haus leben: Einer bereitet Suppe zu und der andere Spa-ghetti. Beide wirken sehr scheu, wollen sich eigentlich nicht fotografieren lassen. Sie sind aber offen, aufgeschlossen und freundlich, wie die große Mehrheit der Campbewohner. Da-für bin ich besonders dankbar, ich hatte eher mit Ablehnung und Unfreundlichkeit gerechnet hatte. Schließlich gibt es auch noch Fotos: Sascha und David stellen sich so hin, dass sie kaum zu erkennen sind. Danach sind zwei aufregende Stunden im Camp vorbei, die Zeit ist wie im Flug vergan-gen. Es war anregend und irgendwie ungewöhnlich. Ich be-schließe, wiederzukommen.

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01 Filmplakat (Quelle: http://mietrebellen.de)

02 Der Filmregisseur Matthias Coers (Foto: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

03 Demonstration gegen Zwangsräu-mungen (Quelle: http://mietrebellen.de)

04 Fanny-Hensel-Kiez (Foto: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

05 Auch die Anwohner des Kottbusser Tors gehen für ihre Rechte auf die Straße! (Quelle: Kotti & Co)

06 Abriss & Neubau an der Belforter Straße in Prenzlauer Berg (Foto: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

07 Auch die Bewohner des Hauses Schlesische Straße 25 leiden unter Sanierungsdruck! (Foto: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

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»Es herrscht Klassenkampf auf dem Wohnungsmarkt«Der Film »Mietrebellen« soll Mieter ermuntern, für ihre Rechte zu kämpfenI N T E R V I E W : A n d r e a s D ü l l i c k

Berlin hat sich in den vergangenen Jahren rasant verändert. Wohnungen, die lange als unattraktiv galten, werden von Investoren als sichere Geldan-lagen genutzt. Massenhafte Umwandlungen in Ei-gentumswohnungen und Mietsteigerungen in bis-

her unbekanntem Ausmaß werden alltäglich. Die sichtbaren Mieterproteste in der schillernden Metropole Berlin sind eine Reaktion auf die zunehmend mangelhafte Versorgung mit be-zahlbarem Wohnraum. Die Filmemacher Gertrud Schulte Wes-tenberg und Matthias Coers haben über diese Entwicklungen eine Dokumentation gedreht. »Mietrebellen« ist ein Kaleidos-kop der Mieterkämpfe in Berlin gegen die Verdrängung aus den nachbarschaftlichen Lebenszusammenhängen. Eine Besetzung des Berliner Rathauses, das Camp am Kottbusser Tor, der orga-nisierte Widerstand gegen Zwangsräumungen und der Kampf von Rentnern um ihre altersgerechten Wohnungen und eine Freizeitstätte symbolisieren den neuen Aufbruch der urbanen Protestbewegung. Andreas Düllick sprach für den strassenfe-ger mit dem Regisseur Matthias Coers über »Mietrebellen«.

Andreas Düllick: Ansatz für Euren Film ist: »Es herrscht Klassenkampf auf dem Wohnungsmarkt«…

Matthias Coers: Dieser Klassenkampf besteht eigentlich darin, dass ungefähr neun von zehn Wohnimmobilien eh mit Reichtum schon sehr gut versorgten Menschen oder hoch-profitablen Immobiliengesellschaften gehören. Das heißt, die Mieter zahlen denen die Miete. Das wäre vielleicht in Ord-nung, wenn sich das wie folgt zusammensetzen würde: ein Drittel für die Miete, ein Drittel für Instandhaltung, ein Drittel für Betriebskosten und weitere Kosten. Das ist aber nicht so. Jahrzehntelang wurden die Gelder vieler Mieter einkassiert, aber die Besitzer haben nicht einmal den notwendigen Sanie-rungsbedarf erledigt. Dann verfallen die Häuser und werden verkauft. Die neuen Eigentümer modernisieren neuerdings energetisch und können die Kosten auf die Mieter umlegen. Die Mieter haben dafür quasi schon bezahlt, es wurde aber nichts gemacht. Und jetzt fliegen diese aus den Wohnungen raus mit dem Argument, das Haus ist ja runter, es muss auf einen modernen Stand gebracht werden.

Wie hat sich die Situation generell verändert?Soziologen sagen, seit gut zehn Jahren gibt es eine zuneh-

mende Verknappung von Wohnraum. Ein Grund ist der massive Zuzug. Die Metropole Berlin ist zwar nicht so schnell gewachsen wie nach dem Hauptstadtbeschluss prophezeit – mit fünf Milli-onen Einwohnern – aber die Bevölkerung wächst spürbar. Darauf wurde politisch überhaupt nicht reagiert. Ausbaden müssen es die individuellen Mieter, die immer wieder denken, ich bin selber Schuld. Dieses Gefühl des Versagens zu über-winden ist übrigens ein starkes Motiv für unseren Film, der den Menschen Mut machen soll. Wir haben bei der Recherche und beim Dreh in ver-schiedenen Häusern oder bei den Kontakten mit den Kiezinitiativen erfahren, dass die Menschen mittlerweile schon sehr aktiv sind. Entweder sind sie von ihrer psychischen Konstitution sehr stark oder sie sind sehr politisch und denken, man muss da jetzt handeln. Andere Leute haben die Perspektive: Ich muss mich jetzt mal ein Jahr lang um meine Mietwohnung kümmern. Aber das ist letztlich so eine Belastung, dass sie das oft gar nicht schaffen. Leute, die es sich gerade leisten können, ziehen dann oft aus. Oder sie lassen sich für einen kleinen Betrag aus der Wohnung raus-kaufen, ohne die Folgen zu bedenken.

Wer ist für Dich ein Mietrebell und warum?Dahinter steckt der Sozialrebell, eine Art

moderner Robin Hood. Menschen, die sich quasi gegen das geltende Recht stellen und scheinbar Unrecht begehen, aber um Gerechtigkeit her-zustellen. Ein Beispiel: Mietrebellen sind für mich die Rentner_innen der Palisadenstraße in Friedrichshain. Die haben im geförderten sozi-alen Wohnungsbau gewohnt. Die Häuser wur-den Anfang der 90er Jahre gebaut. Altengerecht, behindertengerecht, ganz wunderbar für diese Leute zugeschnitten. Die Mieten waren schon nicht billig, lagen mit sechs Euro netto kalt schon über dem Berliner Durchschnitt. Und die sollten, weil die Förderung wegfiel und der Eigentümer die komplette Kostenmiete umlegen wollte, auf

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einen Schlag auf zwölf Euro steigen. Da haben sie sich zusammengetan und erst mal eine Ver-sammlung gemacht, um zu sehen, wer eigentlich der Nachbar ist. Dann haben sie sich an den Be-zirksbürgermeister und die verschiedensten poli-tischen Stellen gewandt. Sie haben vom Eigentü-mer gefordert, dass er die Miete nicht erhöht. Das sind Menschen, die sind 80, 85 Jahre alt! Und die sagen: Wenn wir das nicht machen, fliegen wir hier raus. Sie haben völlig richtig gehandelt. Sie haben politischen Druck erzeugt, haben Initiativ-arbeit gemacht, haben sich mit Mietern anderer Häuser in der Stadt zusammengeschlossen. So konnten sie dann die Mietsteigerung eindämmen. Die Miete ist nur um 1,60 Euro gestiegen. Das ist immer noch sehr viel, sie zahlen jetzt 7,60 Euro kalt. Aber das ist besser, als dort ausziehen zu müssen oder rausgeworfen zu werden. Das sind eigentlich Menschen, die nicht so viel Kraft ha-ben, Leute, bei denen man denkt, denen musst du jetzt mal deinen Arm geben und sie stützen. Aber das sind Rebellen auf ihre Art!

Selbst »Normalbürger« werden momentan hinausgedrängt, weil sie sich die energetische Modernisierung nicht leisten können oder weil ihre Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen…

Das ist sicherlich einer der wesentlichen Punkte. Das ist nicht nur eine Frage der Gesell-schaftsschicht, Unterschicht, Mittelschicht usw. Ein extremes Beispiel aus der Mittelschicht: Zwei Bekannte von mir sind beide Lehrer. Ihre Wohnung wird verkauft, dann umgewandelt in eine Eigentumswohnung. Sie könnten sie sogar kaufen. Aber sie gehen auf die 60 zu und die Wohnung ist so teuer, dass sie die nicht einfach so mal aus der Portokasse bezahlen können. Hohe finanzierbare Kredite zu bekommen, ist auch für sie nicht einfach.

Dazu tragen aber auch die enormen Zuzüge bei?

Dieses Phänomen gibt’s natürlich auch. Da kommen junge Menschen aus Deutschland und der ganzen Welt und wollen hier berechtigter-weise studieren. Wenn man sie fragt, habt ihr denn schon ein Zimmer gefunden, antworten sie: Super Zimmer, war ganz einfach. Boxhage-ner Platz, 15 qm für 700 Euro mit Blick auf den Platz. In Bezug auf die Wohnkosten in ihren Hei-matländern wie Australien oder Schweden ist das dann noch ganz moderat. Oder manche El-tern kaufen einfach eine Wohnung. Das bedeutet natürlich ein Riesenproblem für die alteingeses-senen Bewohner und für die Menschen, die nicht so gute finanzielle Möglichkeiten haben.

Eine Stadtsoziologin sagt: »Nicht das persön-liche Versagen, sondern der kapitalistische Verwertungsdruck ist für den drohenden Woh-nungsverlust verantwortlich.«…

Das persönliche Versagen ist auf gar keinen Fall schuld, weil wir in einer Leistungsgesellschaft leben. Da wird überhaupt nicht nach den Fähig-keiten und dem Talent der Leute gefragt, sondern alle werden über einen Kamm geschoren. Und wenn man ökonomisch nicht klarkommt, ist man quasi ein Verlierer. Dazu kommt: Aus was für einer Familie kommt man, was hat man für Möglichkei-ten? Das ist natürlich absolut entscheidend und das merkt man auch auf dem Wohnungsmarkt.

Ihr wollt mit Eurem Film ermuntern, wollt Leute motivieren, ein bisschen Mut machen. Wie habt Ihr das hingekriegt?

Wir haben versucht, mit einem verstehen-den Blick den Menschen zu begegnen. Wir waren in Spandau, wo die Mieter unglücklich darüber sind, dass so viele Hartz IV-Empfänger zuziehen. Auch viele Menschen, die eigentlich gar nicht da wohnen wollen, die aber aus der Innenstadt verdrängt werden. Dadurch bringen sie die ge-wachsene Sozialstruktur durcheinander. Trotz-dem helfen sich die Leute. Oder nehmen wir das

Wohnungslosenmilieu, das ist ja nicht gerade friedfertig. Trotzdem helfen sich die verarmten Menschen dort gegenseitig. Dort ist die Not sehr groß und die Konkurrenz oft noch größer. Aber auch da, auf der gezeigten Brache, haben die Menschen ein ganz starkes Bewusstsein für das Wohnproblem und sich total klug geäußert. Man fragt sich manchmal, warum sitzen die nicht im Parlament? Da sieht man dann, wie wichtig es ist, mit seinen Nächsten und Nachbarn zu kommuni-zieren, am besten sich sogar zu organisieren.

Wir waren auch in der Stillen Straße. Dort geht es nicht um Mietwohnungen. Die Senioren-Freizeitstätte sollte verkauft werden, um Kosten zu sparen für den Bezirk. Dazu kommt, das ist ein Filetgrundstück, das kann man wunderbar veräußern. Da haben sich viele Menschen solida-risiert und selbstlos gesagt: Ich kämpfe nicht nur um meine Sache, sondern auch für die anderen. Man sieht es auch am Kottbusser Tor: Da leben Menschen, die zahlen unterschiedliche Miethö-hen. Und trotzdem stützen die sich gegenseitig. Wir haben im Film versucht, unsere positiven Erfahrungen mit den Mietern, die aktiv werden, und mit der nachbarschaftlichen Solidarität wiederzugeben. Der Film soll die Unterschied-lichkeit der Proteste und Solidarisierungen an verschiedenen Orten der Stadt erfassen und da-durch auch so eine Art Überblick schaffen. Der Film ist sicherlich nicht objektiv, der ist bewusst subjektiv und hat auch eine Tendenz. Investoren und Immobilienvertreter kommen nicht vor, es gibt keine Experten. Die Mieter sprechen für sich selbst. Aus ihrem eigenen Bewusstsein, mit ihren eigenen Fragen, Fähigkeiten und ihrer Wut.

Ihr zeigt eine veränderte Sichtweise auf die so-zialen Probleme von Betroffenen…

Im Prozess des Wohnens, der nachbar-schaftlichen Bezugnahme geht es wirklich um Repolitisierung. Menschen werden zu Experten. Allein wenn man die Abgeordnetenhaus-

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› http://mietrebellen.deAufführungen mit Filmemachern und Aktivisten:

3. Juli 2014, 20.30 in der Villa Neukölln

9. Juli 2014, 19.00 im Moviemento / Kreuzberg

10. Juli 2014, 19.00 im Lichtblick / Prenzlauer-Berg

11. Juli 2014, 20.00 im b-ware!-Ladenkino / Friedrichshain

23. Juli 2014, 20.00 im Moviemento /Kreuzberg

24. Juli 2014, 20.00 im Zukunft / Friedrichshain

25. Juli 2014, 20.00 im b-ware!-Ladenkino / Friedrichshain

26. Juli 2014, 20.00 im Lichtblick / Prenzlauer-Berg

7. August 2014, ab 20.00 Open-Air Leopoldplatz / Wedding

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versammlung zum Wohnen anschaut, die die Mieter organisiert haben, da waren 200 Mieter. Da konnte man mit allen Leuten reden. Andererseits gibt es aber auch Menschen, die gar keine Stimme haben, und es gibt oft auch keinen öf-fentlichen Ort, an dem man sich dazu artikulieren kann. Die Mieter haben das in dieser Zeit, die wir dokumentiert haben, zunehmend gemacht. Auf jeden Fall zeigt sich eine Bewusstwerdung. Es gibt auch eine Art Radikalisierung, ein Empowerment. Hier in der Lausitzer Straße waren bei der zweiten Zwangsräumung über tausend Menschen. Vielleicht die Hälfte kam aus der direkten Nachbarschaft. Die Herkunft der Familie (Türkei) spielte gar keine Rolle. Die Mieter hat-ten verstanden: Wenn wir uns jetzt nicht zur Wehr setzen, dann ist diese Familie verloren. Und wir sind die nächsten, die ihre Wohnung verlieren.

Neben »Mietrebellen« gibt es auch den Begriff »Mietnoma-den«. Wie geht Ihr damit um?

Wir haben den Begriff »Mietrebellen« durchaus gegen den Begriff »Mietnomaden« gesetzt. Für den Film habe ich darüber mit verschiedenen Leuten gesprochen, z. B. von der »Berliner MieterGemeinschaft«, und einiges gelesen. Die Uni-versität Bielefeld hat eine Studie dazu gemacht und herausge-funden, dass es pro Jahr bundesweit nur rund 300 Fälle gibt, die man als »Mietnomadentum« bezeichnen kann. Das ist im Verhältnis zu allen Mietverhältnissen verschwindend gering. Der Begriff ist aber in der Presse angekommen, und da sieht man, welche Macht die Immobilienwirtschaft hat. Der Begriff ist zwiespältig. Denn, wenn man sagt, man geht von einem Vertragsverhältnis gleichberechtigter Vertragspartner aus, dürfte die Immobilienwirtschaft gar kein Interesse haben, ihre Vertragspartner, die Mieter, schlecht zu machen. Aber mit diesem Begriff »Mietnomaden« wurde quasi in alle Köpfe ge-setzt: Potenziell sind Mieter Menschen zweiter Klasse. Wenn man so wie ich aus Westdeutschland kommt, vom Land, weiß man, dass früher gesagt wurde: »Auf dem Spielplatz dahinten spielen die Mieterkinder.« Für Berlin und die Großstädte ist das natürlich ein Witz, weil hier 85 Prozent der Menschen zur Miete wohnen. Hier fährt die Professorin Straßenbahn, genauso wie sie zur Miete wohnt. Der Begriff »Mietnomaden« ist despektierlich, wird aber immer wieder von den Medien aufgegriffen. Anhand der Zahlen kann man sich gut vorstel-len, dass der bewusst installiert worden ist. Das ist eigentlich ein unsozialer Abwertungsbegriff.

Welche Forderungen habt Ihr an die Politik?Wenn man Filme macht, kann man natürlich einen po-

litischen Film machen, man fordert aber nicht unbedingt. Es geht eher um Sichtbarmachung, um Aufklärung, nicht um Forderungen. In meinem Fall, als Mensch, der es rich-

tig findet, zur Miete zu wohnen, sind mir bezahlbare Mieten und eine behutsame Stadtentwicklung wichtig. Meine kon-kreten Forderungen an die Politik sind: Neben Milieuschutz und vielen notwendigen Regelungen die Fehler des Verkaufs des öffentlichen Wohnungsbestandes rückgängig zu machen, auch gegen die neoliberale Ideologie sozusagen. Die Politik hat Gestaltungsspielraum. Das Land besitzt eigene Grundstü-cke in der Stadt. Das Land kann günstige Kredite bekommen, und das Land soll selber bauen. Quasi Wohnen als soziale Infrastruktur schaffen. Und das auch massenhaft und nicht nur ein paar kleine Häuser. Oder nehmen wir die Debatte zum Tempelhofer Feld. Dort sollten knapp 5 000 Wohnungen gebaut werden. Davon wären 4 000 sowieso nur für Leute, die über 8,50 Euro bezahlen können. Die wenigen restlichen wären nur zehn Jahre preisgebunden und danach auch unbe-zahlbar. Das heißt: Es muss ein relevant günstiger Wohnraum geschaffen werden, der die Wohnkosten senkt. Neben dem Schutz der Bestandsmieter und der Regulierung der Neuver-mietungsmieten ist das der entscheidende Punkt.

Wie geht es weiter bei euch? Wir arbeiten weiter am Thema. Aber wir werden wohl

nicht »Mietrebellen 2« machen, »Mietrebellen 1« ist schließlich schon mal ein Statement. Im Moment wird der Film intensiv diskutiert, Berlin- und bundesweit, und ebenso internatio-nal aufgenommen. Auch in Ländern, wo sonst gedacht wird, Deutschland ist vollkommen problemfrei, ist das »reiche Land«. Die internationale Wahrnehmung ist, auch hier gibt es Wider-sprüche, und hier sind ebenfalls Menschen, die sich sozial enga-gieren und sich politisch artikulieren. Das freut uns sehr.

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 2014 DIE STADT GEHÖRT UNS! | 9

»In keiner Straße war die soziale Kluft so groß«Die soziale Stadtrundfahrt der GEBEWOB E R I C H T : D e t l e f F l i s t e r

Es gibt viele soziale Brennpunkte in unserer Stadt. Punkte, an denen sich soziale Armut zeigt. Die Fried-richstraße ist ein Beispiel für einen solchen Brenn-punkt »In keiner Straße geht die soziale Schere

zwischen reich und arm so weit auseinander, wie in der Friedrichstraße«, erzählt Harald Steinhausen, einer der bei-den Stadtführer der sozialen Stadtrundfahrt der GEBEWO. Das Thema der sozialen Stadtrundfahrt, an der ich teilnahm, lautete: »Soziale Veränderungen der Gesellschaft im Berliner Osten«. Klaus Seilwinder, er war von 2002 – 2011 in Berlin obdachlos, und Harald Steinhausen – er studierte Politikwis-senschaften, seit 2011 ist er Stadtführer für Regierungsbe-sucher der Stadt – führten uns an die sozialen Brennpunkte Berlins.

K l a u s S e i l w i n d e r w e i ß g e n a u , w o v o n e r s p r i c h t !

Besonders beeindruckt hat mich Klaus Seilwinder: Er zeigte uns die Plätze, an denen er als Obdachloser gelebt und geschla-fen hat. Ich kann hier nur einen Teil des Erlebten erzählen. Die Tour startete an der Leipziger Str./Ecke Friedrichstraße. Hier hatte Klaus sein zweites Nachtquartier gefunden, nachdem er den Tiergarten nach einigen brutalen Überfällen verlassen hatte. Das neue Hotel stand damals noch nicht. Stattdessen befand sich dort eine zweite Baumreihe. In den Hecken baute er sich einen Bunker. Dort versteckte er, während er auf Tour war, seine gesamte Habe. Die bestand aus Schlafsack und Er-satzkleidung. An dieser Ecke war schon immer viel Betrieb. Trotzdem wurde er nie bestohlen. Die Leute trauten sich ein-fach nicht, etwas von seinen Sachen wegzunehmen.

Seinen Schlafplatz hatte Klaus auf einem typischen DDR-Spielplatz auf einem Klettergerüst, das mit einem Holzdach geschützt war und bei dem alle Seiten geschlossen waren. Nur der Weg zur Treppe nach oben war offen. So war er bei Wind und Wetter geschützt und hatte oben einen ziemlich sicheren Schlafplatz. Wenn in den gegenüberliegenden Häusern das Licht anging, packte er sein Zeug und verschwand. »Ich hatte Angst und Scham und wollte nicht entdeckt werden«, berich-tet Klaus. Einmal habe er verschlafen. Plötzlich habe ein Mäd-chen vor ihm gestanden und gefragt: »Schläfst Du hier?« Er habe das bestätigt. Das Mädchen habe dann gefragt: »Du hast doch bestimmt noch nicht gefrühstückt?« Er habe auch das bejaht. Nach einer Weile sei das Mädchen mit einer Thermo-skanne Kaffee, einem Brötchen und Kuchen wieder zurück-gekommen. »Später hat sie mich ihren Eltern vorgestellt. Es entstand eine Patenschaft«, erzählt Klaus. Sonntags sei er oft zum Essen eingeladen worden, er habe praktisch zur Familie gehört. Das Mädchen, so Klaus, habe inzwischen Abitur und der Kontakt bestehe noch heute.

Dann ging es weiter zum Hackeschen Markt. Dort ver-diente Klaus sich ein wenig Geld. In der Nähe des Haus-vogteiplatz zeigte er uns dann eine Parkuhr. In der habe er Geldbeträge zwischen Cent und sechs Euro gefunden. Auch U-Bahnhöfe sind nützlich, betonte Klaus. Im Winter könne

man sich dort aufwärmen und ausruhen. Klaus erzählte uns auch, wie wichtig Mülleimer für Obdachlose sind. Darin gebe es Pfandflaschen, mit denen man seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Extrem wichtig seien Wasch- und Dusch-gelegenheiten für Obdachlose, verriet uns Klaus noch. Sein Geheimtipp war die Staatsbibliothek am Potsdamer Platz, die öffentlichen Toiletten am Achteck Leipziger Straße und die Suppenküche in der Wollankstraße. Die habe nebenbei auch noch eine hervorragende Kleiderkammer, so Klaus.

» H a u s G r a b b e a l l e e « u n d d a s O b d a c h l o s e n w o h n h e i m » D i e Pa l m e «

Danach führten uns Klaus und Harald in das »Haus Grabbe-allee«, eine Einrichtung der Wohnungslosenhilfe. Wir erfuh-ren von unseren kundigen sozialen Stadtführern, dass dort 24 Männer leben, die von vier Betreuern unterstützt werden. Das Prinzip sei »Hilfe zur Selbsthilfe«. Die Betreuer erwarteten Ei-geninitiative. Nichtmitwirkung sei ein Kündigungsgrund. Bis zu 1,5 Jahre könnten sich Klienten dort aufhalten. Zum Ab-schluss brachten uns Klaus und Harald zum 1887 eröffnete Obdachlosenwohnheim Prenzlauer Berg in der Fröbelstraße. 5 000 Plätze gab es im berühmt-berüchtigten, größten Ob-dachlosenasyl »Die Palme«. Unfassbar! Das Heim sei meist überfüllt gewesen, eine Trennung zwischen Männer, Frauen und Jugendlichen habe es nicht gegeben, erzählte uns Harald. Übergriffe des Personals und der Bewohner hätten zum ganz »normalen« Alltag gehört. Auf dem Gelände habe sich auch eine Polizeidienststelle befunden, die sozial auffällige Män-ner in das Arbeitshaus in Rummelsburg gebracht habe. Das sei damals dem Zuchthaus gleichgekommen. An dieser Stelle befindet sich heute ein Krankenhaus. Nur eine Gedenktafel erinnert heute an die schlimmen Zustände des damals wohl schlimmsten sozialen Brennpunkts in der Stadt. Hier endete unsere soziale Stadtrundfahrt mit der GEBEWO. Interessant und spannend war es!

Sozialer Stadtführer: Klaus Seilwinder (Foto: Antje Görner/GEBEWO)

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201410 | DIE STADT GEHÖRT UNS!

01 Eric Marécal diskutiert mit Cuvry-Campbewoh-ner über seine Kunst

02-03 Eric Marécal immer im Dialog

04 Fabi Futata dokumentiert die Aktionen der Künstlergruppe »Artfabric«

05-07 Ein tolles Miteinander der Bewohner und der Künstlergruppe »Artfabric«

Kunst und ObdachlosigkeitDie Künstlergruppe »Artfabric« bringt São Paulo nach BerlinB E R I C H T : A n n a G o m e r | F O T O S : T h o m a s G r a b k a

Das Global Village kennt seine Priori-täten. Milliarden für König Fußball und nichts für die Armen. Mitten in der Wirtschaftskrise gönnt sich die

Welt eine Auszeit. Fest im Griff der offiziellen Medien wandern die Blicke der deutschen Zu-schauer in Richtung Brasilien und streifen dabei nur widerwillig die Proteste der brasilianischen Bevölkerung gegen unhaltbare Zustände von Ar-mut, Staatsgewalt und Korruption. Die Künstler-gruppe »Artfabric« ging den umgekehrten Weg und kam jetzt aus ihrer Heimat São Paulo nach Berlin. In ihrem aktuellen Projekt widmet sie sich gezielt der Situation der Obdachlosen in der Welt.

Fabi Futata und Eric Maréchal folgen den Bewe-gungen der Armen. Sie suchen Flüchtlinge und Obdachlose in ihren Camps an den Rändern der Metropolen von Argentinien über Mexico bis

China auf. Oder eben auch in der Cuvrystraße in Berlin-Kreuzberg, wo unter dem Eindruck der EU-Erweiterung Menschen vor allem aus Osteuropa gestrandet sind. Die Bewohner dieser etwas anderen Dörfer leben abgeschnitten und ausgegrenzt von Social Media ohne Stimme und Ausdruck für ihre Bedürfnisse. Das versuchen die beiden Künstler zu ändern. Fabi Futata kommt aus der sozial engagierten Fotografie und hat sich in den letzten Jahren in vielen sozialen Projekten mit Gentrifizierung und Vertreibung auseinan-dergesetzt. Eric Maréchal kämpfte für die Akzep-tanz der Street Art, die in immer mehr Ländern verfolgt wird. So verbreitete er seit 2008 unter dem Titel »Street Art without borders« Werke von Street Artists auf seinen Reisen durch die Welt, indem er sie an die Wände fremder Städte anbrachte (pasten). Die beiden trafen sich in São Paulo und gründeten »Artfabric«.

Fabi Futata und Eric Maréchal suchen nach neuen Formen der Kommunikation und bringen diese aus dem Virtuellen auf die Straße zurück. Soziales Engagement besteht für sie darin, Obdachlosen und Flüchtlingen in künstlerischer Zusammen-arbeit und Gespräch eine Möglichkeit des Aus-drucks zu geben und dadurch das Leben ohne eigenen Raum nicht als endgültigen Mangel erfah-ren zu lassen. Dabei bedienen sie sich der Sprache der Street Art. Street Art war von Anfang an eine Form der Kommunikation der Künstler miteinan-der und mit der Gesellschaft. Sie begann in den 1980er Jahren, die Straße für die Bedürfnisse ih-rer Bewohner zurückzuerobern, um der visuellen Umweltverschmutzung, wie Éric es nennt, durch die Werbung entgegenzuwirken. Die Monotonie und Funktionalität der Städte sollte durch leben-dige Fantasie durchbrochen, die Individualität der Künstler_innen dem entindividualisierten Gesicht der Städte aufgeprägt werden. Mehr und mehr politische Inhalte, die die Lebenswelt der Städtebewohner hinterfragten, kamen auf…Daher entbehrt es nicht einer inneren Logik, dass das Künstlerkollektiv auch für die Belange der an-deren Stadt(rand)bewohner die Street Art wählte.

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Kunst und geschützter Raum, ein Innenraum mit seinen Wänden scheinen schon immer miteinan-der und mit dem menschlichen Dasein verbunden gewesen zu sein. Die mythologischen Ursprünge der Kunst verweisen auf die Unabdingbarkeit ei-nes solchen Raums für die Entstehung der Kunst. So zeichnet ein Mädchen die Silhouette des Ge-liebten auf einer Höhlenwand nach und legt somit beim antiken Philosophen Plinius den Ursprung der Kunst fest. Und die ältesten bekannten Zeich-nungen in der Höhle von Lascaux sind vermutlich als Produkte sakraler Akte entstanden. Zurück aus der mythischen Vorzeit, finden wir keine frei zugänglichen Höhlen mehr, in welchen ein jeder Kunst schaffen kann. Kunst wird durch institutionelle Räume definiert. Sie wird gelehrt, in Museen gezeigt, auf dem Markt verkauft und vom Kritikapparat zur solchen erklärt. Außerhalb gesellschaftlicher Definition und institutioneller Repräsentation gibt es keine Kunst. Räume in der Sesshaftigkeit und Verwaltbarkeit der Städte sind kontrolliert und privatisiert. Die aus dem verwal-teten Alltag Herausgefallenen fristen ihr Dasein in der Unsichtbarkeit der Favelas, auf der Straße. Dort ist kein Raum für Ästhetik und für Kunst-schaffen. Doch auch dort richten sich Menschen ein, abseits der Blicke der Mehrheitsgesellschaft. Den Blick für diese Problematik durch ihre Arbeit als Street Art-Fotograf einerseits und als sozial en-gagierte Fotografin andererseits geschärft, haben Eric und Fabi das Problem des Kunstschaffens als menschliche Tätigkeit selbst, als Moment der In- und Exklusion erkannt und zum Zentrum ihrer Kunst gemacht.

Ausgehend von ihren ursprünglichen Interessen hat sich »Artfabric« zu einem von weltweit über vierhundert Künstlern getragenen einzigartigen »Kunstgewebe« entwickelt. In den Jahren seines Engagements für Street Art hat Eric sehr viele Street Artists aus der ganzen Welt kennengelernt. Dieses Netzwerk war die Voraussetzung für das Projekt. Die Künstler liefern die Arbeiten, die verfremdeten Porträts der Obdachlosen, ihre zu Bildern kristallisierten Träume. Doch die eigent-

liche künstlerische Aktion wird von Eric und Fabi selbst durchgeführt. Indem sie in die Obdachlo-sen-Communities gehen und dort mit den Men-schen über ihre Ideen und Geschichten sprechen, schaffen sie nämlich eine neue Situation in der alle Momente, die erste mitunter misstrauische Begegnung, die langsame Akzeptanz von Seiten der Obdachlosen und die Zusammenarbeit mit ihnen, enthalten sind. Diese bildet die Voraus-setzung für das Anbringen und Integrieren der Kunstwerke in den Lebensraum der Menschen.

Den beiden Künstlern wird oft vorgeworfen, sie würden sich nur um Zweitrangiges kümmern, nach dem Motto: Erst das Fressen, dann die Mo-ral! Doch so sehen sie das nicht. Das Bedürfnis nach Kunst und Ästhetik ist ihrer Meinung nach ein genuin menschliches und somit auch ein Men-schenrecht, wie Fabi Futata betont. So führt ihre

Kunst zu einer Konfrontation mit den Repräsen-tanten der Mehrheitsgesellschaft. In den Ausei-nandersetzungen über ihr Verhältnis zur Kunst stellt sich immer wieder heraus, dass diese selber oft in Museen gehen, aber die Unzugänglichkeit der Museen und Galerien für Obdachlose noch nie ins Auge gefasst haben. Diese gehören eben nicht zur Öffentlichkeit. Sie haben keinen Innen-raum. Die Innenräume dieser Gesellschaft sind für sie versperrt. Doch die Obdachlosengruppen, mit denen »Artfabric« zusammenarbeitet, sind schon so lange an bestimmten Orten, dass da be-sondere Räume entstanden sind. Die Bewohner dieser Niemandsräume und diese Räume selbst, werden von »Artfabric« sichtbar gemacht.

»Artfabric« verkehrt das Außen und das Innen, verflüssigt die starre Grenze zwischen den bei-den Sphären. Sie weist durch das Anbrin-

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gen von Kunstwerken an die Außenwände darauf hin, dass da Wände sind. Die Obdachlosigkeit ist wie die Mauer menschengemacht, sie ist keine natürliche Grenze, sie ist eine Ausgrenzung. Die Absicht der »Artfabric« ist, dass Geschich-ten der Obdachlosen und ihre Bedürfnisse - auch die nach dem ästhetischen Ausdruck - von der Gesellschaft gesehen werden. Andererseits wird der offiziell fremde Raum von denen ange-eignet, die dort leben.

Die Wände, die nach außen hin immer Mauern heißen, wer-den so wieder zu Wänden, weil an ihnen, wie in bürgerli-chen Wohnzimmern, jetzt selbst gewählte Bilder hängen, die ihre eigene Geschichte erzählen - ein Hauch Privatheit in

der Depraviertheit ihrer Lebenssituation. Solange die Blicke der deutschen Fußballfans nach Südamerika gerichtet sind, sehen sie die Flüchtlingcamps in den eigenen Städten, wie dem in der Cuvrystraße in Berlin, wo die beiden Künstler jetzt arbeiten, vielleicht nicht. Doch die Bewohner des Camps können jetzt mit »Artfabric« ihr provisorisches Heim mitge-stalten. Die Kunstwerke bleiben, ziehen Blicke der Touristen auf sich, die auch ihretwegen nach Berlin, diesem Mekka der Street Art, kommen. Und vielleicht streifen diese Blicke auch den Lebensraum derer, die dort leben.

Der Begriff ›Street Art‹ hat mit »Artfabric« eine neue Be-deutung bekommen. Und die bleibt hoffentlich…

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My home is my castle!Plädoyer gegen die Vertreibung aus dem öffentlichen RaumB E R I C H T : J a n M a r k o w s k y

Rückblick aus aktuellem Anlass: Ich war einige Jahre ohne festen Wohnsitz. In dieser Zeit musste ich beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsange-legenheiten einen neuen Ausweis beantragen. Als

ich das Dokument in der Hand hielt, stand da als Adresse »Berlin«. Ich hab das aufgegriffen und gesagt, ich wohne in Berlin. In der Vorstellungsrunde eines Plenums habe ich dann gesagt: »Ich habe die größte Wohnung von allen!« An diese besondere Begebenheit habe ich mich erinnert, als in Buda-pest das Ergebnis der Grundtvig-Partnerschaft »Partizipation von Obdachlosen« diskutiert wurde. Die Berliner Delegation hatte drei Forderungen für die Zukunft mitgebracht: Rechts-anspruch auf Mitbestimmung der Wohnungslosen, Recht auf Wohnen mit Privatsphäre und »my home is my castle«.

Ve r t re i b u n g O b d a c h l o s e r w e g e n O b d a c h l o s i g ke i t

Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: In ihre Wohnung dringt ein Polizist ein und sagt Ihnen, Sie dürfen Ihre Wohnung nicht betreten. Undenkbar? Ich erzähle Ihnen jetzt die Geschichte von Sabine: Sie hat sich im kaufkräftigen Charlottenburg un-beliebt gemacht. Sie schläft mit ihrem Freund auf der Straße, im wortwörtlichen Sinn. Und sie geht in Charlottenburg ih-rem Gewebe nach, sie schnorrt. Sabine ist suchtkrank und muss ihr Leben auf der Straße und ihr Suchtmittel finanzie-ren. Sie kann stundenlang mit gesenktem Kopf sitzen, ohne ein Wort zu sagen. Als ich sie das letzte Mal traf, sagte sie mir, irgendwelche offiziellen Menschen hätten ihr Platzver-bot für Charlottenburg erteilt, also ein Hausverbot für ihre Wohnung. Nach § 29 ASOG können Mitarbeiter der Ord-nungsämter und Polizei vorübergehend gegenüber Personen von einem Ort verweisen oder vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Das Allgemeine Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) nennt die Abwehr einer Gefahr als Voraussetzung für die Maßnahme. Welche Gefahr vom öffentlichen Leben auf der Straße ausgeht, erschließt sich mir nicht.

Ähnliches wurde im strassenfeger über Viola V. berichtet. Viola hatte sich unter den Eisenbahnbrücken am Innsbrucker Platz häuslich eingerichtet. Das für öffentliche Ordnung im Be-zirk Tempelhof-Schöneberg zuständige Amt wollte sie da weg haben und hat Kontakt mit ihr aufgenommen. Das brachte nicht den gewünschten Erfolg. Da hat der Stadtrat sie räumen lassen. Damit hat er kurzfristig einen vermeintlich unhaltba-ren Zustand beendet und gleichzeitig ein größeres Problem geschaffen. Mit dieser hemdsärmligen Aktion hat der Herr Stadtrat nämlich das Misstrauen von Viola gegenüber Behör-den ganz erheblich verfestigt. Misstrauen wirkt nachhaltig!

E s g e h t a u s a n d e r s : L e o p o l d p l a t z

Auf dem Leopoldplatz hat sich eine Szene mit Suchtkranken und Wohnungslosen etabliert. Gleich um die Ecke ist eine Ausgabestelle für Methadon und andere zugelassene Subs-titutionsmittel. Die Menschen wurden allein gelassen. Dem-entsprechend robust war auch der Umgang miteinander. Die Anwohner fühlten sich gestört, und viele Menschen aus dem Wedding mieden den Bereich. Angst vor den Männern wurde genannt. Für die Anwohner lag die Lösung auf der Hand: Die Störer müssen weg. Alkoholverbot auf dem Platz und dann woandershin mit den Störern. Doch was wäre geschehen,

wenn den vermeintlichen Störern ihr Wohnzimmer wegge-nommen würde? Die Probleme wären nicht gelöst, sondern nur verlagert und verfestigt worden. Im Rahmen des Umbaus des Leopoldplatzes wurde ein eigener Bereich für sie geschaf-fen. Der liegt etwas abseits und ist mit einer Trockenmauer umgeben. Aber es ist ihr Bereich, und sie fühlen sich für ihren Bereich verantwortlich. Ein Streetworker unterstützt bei den unvermeidlichen Problemen mit den Ämtern und sorgt so für ein Stück Frieden bei den Menschen.

A m t s p o s s e a m B r a n d e n b u rg e r To r

Das Bezirksamt Mitte hat am 1. April beschlossen, kleinkünstle-rische Darstellungen auf dem Pariser Platz nur zu dulden, wenn dafür keine Spenden gesammelt werden. Der Bezirksstadtrat für Ordnung Carsten Spallek (CDU) hat das mit Beschwer-den und der historischen Bedeutung des Platzes begründet. Er hat die Uniformen ausdrücklich genannt. Wie am Checkpoint Charlie konnten sich Touristen mit Menschen in nicht mehr aktuellen Uniformen fotografieren lassen. Eigentlich ein harm-loser Spaß. Aber da ist die Würde des Ortes, und die ist in einer weltoffenen Metropole wie Berlin allemal wichtiger als der kleine Verdienst. Und da alles seine Ordnung haben muss, sind die Straßenmusiker gleich mit betroffen. Die Kleinkünst-ler müssen beim Amt eine Sondernutzung beantragen. Wer das Geld für die Genehmigung nicht hat, wird ausgeschlossen.

Der Bezirk Mitte hat vielen armen Menschen und Stu-denten aus Berlin, aus Deutschland und allen Teilen der Welt eine Chance verbaut, sich vor einem größeren Publikum aus-zuprobieren. Der Bezirk nimmt auch in Kauf, dass Talente unentdeckt bleiben. Metropole sieht für mich anders aus!

Viola kämpfte engagiert um ihren Freiraum. Am Ende verlor sie diesen ungleichen Kampf. (Foto: Jutta H.)

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201414 | DIE STADT GEHÖRT UNS!

»Auf der Straße zu spielen ist voll der Stress«Wie man als Straßenmusiker in Berlin über die Runden kommtR E P O R T A G E & F O T O : M a x i m i l i a n N o r r m a n n

Ein kleiner Schluck Bier, dann beginnt Ino wieder dynamisch auf die Saiten seiner Gitarre zu schlagen. Dabei wird er von Hannes begleitet, der, eine Zigarette im

Mundwinkel, rhythmisch auf seinem Cachon trommelt. Friderike aus Mecklenburg untermalt das Ganze mit ihrer Querflöte. Menschenmassen strömen ununterbrochen die Warschauer Straße hinunter auf dem Weg zur East Side Gallery oder der Oberbaumbrücke. Davon vollkommen un-beeindruckt spielt die Band »Gartensalat« am Rande des Stroms vor einer Unterführung laut Musik. Nicht viele nehmen die drei jungen Leute, die seit gut drei Jahren zusammen auf der Straße Musik machen, in dem Trubel war.

»Gartensalat« – das sind Hannes, Ino und Fri-derike. »Die Bahnunterführung bietet uns eine gute Akustik und verstärkt unsere Musik hör-bar in die Umgebung«, erzählen sie mir. Für unsere kurze Unterhaltung haben sie ihr kos-tenloses Konzert unter freiem Himmel kurz unterbrochen. Ich erfahre, dass sie ihre Abende mindestens alle zwei Wochen so zu verbringen versuchen. Sie setzen sich frei nach Schnauze irgendwo hin und beginnen dann einfach zu spielen zu. Wegen Ausbildung, Freiwilligen-dienst oder Praktikum sei es oft schwierig, sich häufig zu treffen und zu musizieren. Umso mehr freuen sie sich über jeden Zaungast, der kurz stehen bleibt und ihnen eine Zeit lang zuhört oder ihnen gar im Vorbeigehen etwas Kleingeld in ihre schwarze Tasche wirft. Das Geldverdie-nen beim Musizieren ist für sie nebensächlich, im Vordergrund steht für die drei die Lust am Musikmachen, bei dem der öffentliche Raum ih-nen viele Möglichkeiten bietet. Deshalb haben sie keinen festen Spielort. Sie spielen entweder in der S-Bahn, an der Schönhauser Alle, in der Eberswalderstraße oder in diversen Parks.

Einige hundert Meter weiter auf der Oberbaum-brücke spielt die nächste Band. »Stray Mood« das sind die beiden Berliner Simon und Burak. Während die Niederlande gegen Australien das erste Tor im Spiel erzielten und in den Bars an der »East-Side-Gallery« stürmender Jubel ausbricht, erklingen unter den Dachbögen der Brücke ge-fühlvolle englische Songs. Simon singt und spielt auf seiner Westerngitarre, während Burak die Lieder mit seiner am Verstärker eingestöpselten E-Gitarre begleitet. Schon während ihrer Studi-enzeit seien sie als Straßenmusiker in Hannover unterwegs gewesen, um sich etwas Geld zu ver-dienen, erzählen sie mir. Simon, der vor seinem

Studium schon in Berlin lebte und nach vier Se-mestern Fotografie hierher zurückzog, empfindet es heute als deutlich schwieriger, Musik auf der Straße zu machen. »Damals hatte man deutlich weniger Probleme mit dem Ordnungsamt!«

Im Gegensatz zur Band »Gartensalat« würden sie immer wieder vom Ordnungsamt verjagt. Lapidare Begründung der Ordnungshüter: Das Spielen mit einem Verstärker ist in Berlin ohne Genehmigung nicht zulässig. »Stray Mood« müssten beim Bezirksamt dafür eine entspre-chende Genehmigung beantragen. Doch an diese Genehmigung, sie kostet 65 Euro (!), zu kommen, sei für sie nicht einfach, berichtet Si-mon. Jeder kann auf der Straße Musik machen, solange er nicht länger als eine Stunde an einem festen Ort spielt. Simon und Burak erklären mir, es stimme zwar, dass man in Berlin deutlich mehr Möglichkeiten habe, sich auszuleben. Unbedingt freier und toleranter gegenüber urbaner Kunst und Musik sei die deutsche Metropole allerdings nicht. Weil sie schon so oft vom Ordnungsamt vertrieben worden sind, müssen sie sich ihre Plätze mittlerweile genau aussuchen. Sie spielen

dort, wo sie am wenigsten Ärger zu befürchten haben. Leider müssen die beiden deshalb in Kauf nehmen, von nicht so vielen Menschen wahr-genommen zu werden. Unter den Türmen der Oberbaumbrücke flanieren nicht so viele Touris-ten wie anderswo. Dafür sind die meisten von der traumhaften Akustik hier fasziniert.

Simon und Burak versuchen zurzeit mit ihrer Straßenmusik ihren Lebensunterhalt zu finan-zieren. Was sie pro Tag verdienen, wollen sie lieber für sich behalten, reich werden kann man davon allerdings nicht. Und wenn sie dann wie-der mal kostenpflichtig vom Ordnungsamt ver-trieben werden, bleibt am Ende nicht mehr viel übrig. Übrigens: Viele Betreiber kleinerer Lo-kale, unter anderem auf der Schönhauser Allee, freuen sich über die Straßenmusiker vor ihren Läden. Ich wünsche den beiden noch viel Erfolg und mache ich mich auf den Heimweg. Schließ-lich geht es schon fast auf Mitternacht zu. Für die Berliner_innen, die Straßenmusiker – und Künstler_innen und die zahllosen Touristen geht das bunte Treiben im öffentlichen Raum weiter. Berlin schläft nie!

Die Band »Gartensalat« spielen in ihrer Freizeit an der U-Warschauer Straße und an weiteren Orten in der Stadt

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Karik

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»Steh doch einfach früher auf!«Fahrradfahrer wollen mehr Platz und Sicherheit B E R I C H T : A n d r e a s P e t e r s

Ende letzten Jahres führte die Senatsver-waltung für Stadtentwicklung und Um-welt unter radsicherheit.berlin.de eine Online-Umfrage zur Sicherheit von Fahr-

radfahrern in Berlin durch. Anlass dazu gab die auffallend hohe Quote an schwerwiegenden Ver-kehrsunfällen zwischen Fahrradfahrenden und abbiegenden PKWs und LKWs. Ziel war es einen Leitfaden zur Vermeidung von Unfällen zu erar-beiten. Dieser wurde nun vor kurzem der Öffent-lichkeit vorgelegt und bestätigt in vielerlei Hinsicht Handlungsbedarf. Für die Politik, die Polizei und natürlich auch für die Verkehrsteilnehmer selbst.

Die Polizei zeigt daher aktuell vermehrt Präsenz an als kritisch und gefährlich eingestuften Kreuzun-gen. Als ich letzte Woche in solch eine Situation geriet, fürchtete ich schon, es sei eine Kontrolle und mein fehlender Reflektor am Vorderrad wird mir zum Verhängnis. Doch mitnichten, die Polizei trat mehr als Freund und Helfer auf. Es wurden weder Verwarnungen ausgesprochen noch Ord-nungswidrigkeiten geahndet. Vielmehr wurde Aufklärung zu den allgegenwärtigen Gefahren eines Radfahrers im vom Auto dominierten Stra-ßenverkehr betrieben. Sehen und Gesehen wer-den, das ist der Schlüssel zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Das dies gerade an Kreuzungen beim Aufeinandertreffen von LKW und Fahrrad oft ein schwieriges Unterfangen ist, wird durch die Online-Umfrage belegt und bestätigt.

Ich war also relativ schnell versöhnt mit dieser Polizei-Aktion, die letztlich auf mehr Miteinan-der und Rücksicht abzielte. Doch wie zur Bestä-tigung der Notwendigkeit wurde ich unmittelbar vor meinem Weiterfahren Zeuge eines Beinahe-Unfalls einer fahrradfahrenden Zeitgenossin. Offensichtlich war sie der Auffassung, dass das Rot der Ampel nicht für sie gelte, und geriet da-bei beinahe vor die anfahrende Straßenbahn. Bewegungslos blickte ich dieser Situation nach. Ich konnte auf meiner Weiterfahrt an nichts an-deres mehr denken und machte mich zuhause daran zu recherchieren.

Aktuellen Zahlen zufolge sind dieses Jahr be-reits sechs Radfahrer bei einem Unfall im Berli-ner Stadtverkehr ums Leben gekommen. Auch wenn die Zahl der registrierten Fahrradunfälle in Berlin in den letzten Jahren stetig abnahm, waren es 2013 immer noch fast 7 000. Zu viele, zumal die meisten davon hätten vermieden wer-den können. Zum Beispiel durch eine bessere Straßenführung mit deutlichen Markierungen,

oder einer separaten Radspur auf der Fahrbahn. Oft fehlt es auch an Radwegen, die für PKW und LKW gut einsehbar sind. Nach meinem Empfin-den ist zudem die Geschwindigkeit, sowohl der PKW-Fahrer, als auch der Radfahrer oft zu hoch. Es kommt dabei ebenso schnell zu Fehleinschät-zungen in der konkreten Verkehrssituation wie zu Verkehrsverstößen laut StVO.

Auf den von mir absolvierten zwanzig Kilome-tern von und zur Arbeit mitten durch Berlin werde ich in den letzten Monaten aber vor allem durch Baustellen zu ordnungswidrigem Verhal-ten provoziert. Es ist der gleiche Ärger, der mich auch als Autofahrer überkommt. Wenn die eine (Haupt-) Straße gesperrt wird und zugleich auf der alternativen Route eine neue Baustelle ent-steht. Dennoch ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren bei Straßenbaumaßnahmen die Interessen der Fahrradfahrer mehr berücksich-tigt werden. Bauliche und verkehrstechnische Vorgaben für benutzungspflichtige Radwege werden zunehmend neu definiert und zum Bei-spiel Einbahnstraßen für das Rad freigegeben. Allerdings werden immer noch an zu vielen Stel-len in Berlin Radfahrer und Fußgänger auf engen Wegen zusammengepresst.

Ich bin deshalb froh darüber, dass die Zeiten, in

denen zügiges Autofahren durch die Stadt Priori-tät hatte, vorbei sind. Für eines aber können wir weder die Polizei, noch die Politik oder andere Verkehrsteilnehmer verantwortlich machen. Das ist der Faktor Zeit. Neulich bekam ich mit, wie eine Radfahrerin einem Drängler an der Am-pel entgegnete »Steh doch einfach früher auf!« Recht hat sie.

Immer wieder lassen Fahrradfahrer_innen ihr Leben auf den Berliner Straßen! (Foto: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201416 | TAUFRISCH & ANGESAGT a r t s t r a s s e n fe g e r

Was für ein Leben! Was für ein Mensch! Was für ein Künstler! Die Ausstellung »Oskar Kokoschka: Humanist und Rebell« im Kunstmuseum Wolfsburg R E Z E N S I O N : U r s z u l a U s a k o w s k a - W o l f f

So viel Kokoschka war schon lange nicht: In Wolfsburg, der VW-Stadt, nur eine Stunde Bahnfahrt von Berlin entfernt, zeigt das Kunstmuseum die beeindru-

ckende Ausstellung eines der wichtigsten Künst-ler des 20. Jahrhunderts, der, am Anfang seiner Laufbahn als Bürgerschreck, enfant terrible und »Oberwildling« apostrophiert, im letzten Drit-tel seines langen Lebens vor allem als Porträtist von Politikern und Prominenten großes Anse-hen genoss. »Oskar Kokoschka. Humanist und Rebell« heißt diese Schau, die anhand von 50 Gemälden, 138 Papierarbeiten, Skulpturen und zahlreichen Dokumenten tiefe und intime Ein-blicke in das einzigartige Werk und die turbu-lente Vita einer Persönlichkeit gewährt, die noch immer fasziniert, anregt und sehr aktuell wirkt. Die von Beatrice von Bormann kuratierte Schau ist in elf Kapitel unterteilt: »Kokoschkas Lehr-jahre«, »Frühe Bildnisse«, »Herwarth Walden und Der Sturm«, »Alma Mahler«, »Die Macht der Musik«, »Kinderbildnisse«, »Kokoschka in Dresden«, »Tierporträts«, »Allegorische Frauen-bildnisse«, »Humanistisches Engagement« und »Selbstbildnisse«. Die Ausstellung bildet den Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 20. Jubi-läum des Kunstmuseums Wolfsburg, das 1994 mit einer Fernand-Léger-Retrospektive seine Tä-tigkeit begann, und ist zugleich eine Hommage auf Markus Brüderlin, den langjährigen Direktor des Hauses, der am 14. März im Alter von 55 Jahren plötzlich verstarb.

S t a r t m i t B o d y A r t Oskar Kokoschka war ein Multitalent: Zeichner, Maler, Grafiker, Schriftsteller, Erneuerer und Visionär der Kunst, dem es gelungen war, seine Ideen zu verwirklichen, ohne auf die jeweiligen Moden oder Moralvorstellungen zu achten. Er

war immer ein Verfechter der gegenständlichen Malerei. Er malte meisterhafte Porträts und allegorische Bildnisse, die man jetzt in Wolfsburg bewundern kann; Landschaften, Städ-tebilder; er schrieb sechs Dramen, die zu den Höhepunkten des Expressionismus gehören. Kokoschka war auch ein be-gnadeter Selbstdarsteller, der schon früh verstand, dass ein Künstler nur dann erfolgreich sein kann, wenn er sich gekonnt in Szene setzt: Nur eine gelungene Provokation sorgt in den Medien für Irritation, wodurch ihr Urheber zu einer Sensation wird. Seinen ersten Skandal entfachte der Student der Kunst-gewerbeschule in Wien als Dramatiker. Die Premiere seines Stücks »Mörder, Hoffnung der Frauen« fand am 4. Juli 1909 im Sommertheater in der Kunstschau statt. Im Vorfeld der Aufführung sorgte sein Plakat für Schlagzeilen. Darauf stellte er eine furchteinflößende, bleiche und dem Tod ähnelnde Frau, eine Pieta dar, die ein kleines, lebloses und blutüberströmtes Männchen umklammerte: Symbol des Geschlechterkampfes. Kein Wunder, dass die Karten lange vor der Uraufführung ausverkauft waren. Das Publikum konnte einem Spektakel beiwohnen, in dem die halbnackten, von Kokoschka bemal-ten Schauspieler wie eine Horde Wilder auf der Bühne tobten. Es war eine der ersten Performances in der neueren Kunstge-schichte: Die Body Art war geboren. Ihr Vater war der 23-jäh-rige Oskar Kokoschka, der Spross einer kleinbürgerlichen Familie aus Niederösterreich, deren Vorfahren Goldschmiede in Prag waren. Dank dem Aufsehen, das sein Theaterstück er-regte, wurde Kokoschka, der am 1. März 1886 in Pöchlarn zur Welt kam, einerseits als »junges Talent« der Wiener Moderne gefeiert, andererseits hatte ihn die Kunstkritik vehement abge-lehnt, sodass er sich den Kopf kahlrasieren ließ.

H a l l u z i n a t i o n u n d m e n s c h l i c h e P ro j e k t i o n Doch bevor er ein kahler Maler wurde, erlebte er etwas, was seine Malerei, die bis zum damaligen Zeitpunkt unter dem Einfluss von Vincent van Gogh, Edvard Munch und Egon Schiele stand, unverkennbar und einzigartig machte: »Es war eine Mondnacht, als ich nach der Aufführung von >Mörder, Hoffnung der Frauen< nach Hause ging«, erzählte er in der NDR-Fernsehdokumentation »Oskar Kokoschka. Ein Selbst-

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Oskar Kokoschka Humanist und Rebell noch bis zum 17. August Kunstmuseum Wolfsburg

Hollerplatz 138440 Wolfsburg

Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr Eintritt 8 / 5 Euro › www.kunstmuseum-wolfsburg.de

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 2014 TAUFRISCH & ANGESAGT | 17 a r t s t r a s s e n fe g e r

01 Pietá, Plakat für ein Bühnenstück Oskar Kokosch-kas in der Kunstschau, 1908 (Foto: Oskar Anrather ©

Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2014)

02 Blick in die Ausstellung »Oskar Kokoschka: Huma-nist und Rebell« (Foto: Urszula Usakowska-Wolff)

03 Oskar Kokoschka (Foto: Pete Hohn)

04 Mädchen mit Puppe, 1921/22 (Detroit Institute of Arts,

USA / The Bridgeman Art Library © Fondation Oskar Kokoschka

/ VG Bild-Kunst, Bonn 2014)

porträt« (1966). »Da hatte ich eine Halluzination: Ich schwebte im Raum. Ich verstand, dass der Mensch im Raum schwebt und ich den Menschen im Raum schaffen muss. Wenn man damals Port-räts gemalt hat, waren das mehr oder weniger ko-lorierte Fotografien. Das Neue von mir war, dass ich die Ausstrahlung, die Aura des Menschen im Raum widergegeben habe, unbewusst, denn ich hatte ja keine Technik. Ich war da wohl begabt in dieser Weise, aber es war genau das Gegenteil von dem, was damals Mode war. Jetzt sagt man wieder, es gibt keinen Raum in der Malerei, die Malerei muss zweidimensional sein. Malerei hat mit Logik nichts zu tun. Der Raum ist nichts anderes, als eine menschliche Projektion, eine Projektion der menschlichen Fantasie.« Oskar Kokoschka hatte Glück, denn seine Fantasie, sein unkonventionel-les Wesen und die Auseinandersetzung mit dem damals vorherrschenden Jugendstil, mit dem Dik-tat des Ornaments, fand Anerkennung und Un-terstützung wichtiger Persönlichkeiten, die ihm weiterhalfen, sodass er über die Runden kam. Ei-ner seiner Förderer war Adolf Loos, Wegbereiter der modernen Architektur, Autor der berühmten Abhandlung »Ornament und Verbrechen«, der ihm zu Porträtaufträgen verhalf und schon früh seine Kunst sammelte. Loos machte ihn auch mit Herwarth Walden, dem Herausgeber von »Der Sturm« in Berlin bekannt. Kokoschka kam Ende April 1910 für ein Jahr nach Berlin und arbeitete als Zeichner mit dieser bedeutenden Zeitschrift des deutschen Expressionismus zusammen. Der Kontakt mit Walden riss erst 1916 ab, als Ko-koschka einen Vertrag mit dem Berliner Galeris-ten Paul Cassirer unterschrieb.

H u m a n i s t , K a v a l l e r i s t u n d Pa z i f i s t Als Oskar Kokoschka ein »kleiner Bub« war, schenkte ihm sein Vater, ein Handelsreisender,

zwei Bücher, die einen entscheidenden Einfluss auf die Geisteshaltung und die Motivwahl des künftigen Künstlers haben sollten: die Home-rische »Odyssee« und ein Reprint des 1653 er-schienen illustrierten Jugend- und Schulbuchs »Orbis sensualium pictus« (Die sichtbare Welt) des mährischen Humanisten Johann Amos Co-menius. Darin entdeckte er seine Welten: die der griechischen Antike und der Mittelmeerkultur und die der europäischen Aufklärung. Doch bevor er sich auf die Suche nach ihren Spuren und Zeugnissen begeben konnte, zog er Ende 1914 als Freiwilliger und Kavallerist in den Krieg. Das war seine Flucht vor der amour fou zur Alma Mahler, der er 1912 in Wien begegnete und die er heiraten wollte, doch sie ihn nicht. Er wurde in der Ukraine schwer verwundet und 1916 aus dem Kriegsdienst entlassen. Seitdem verabscheute er den Krieg und blieb bis zum Ende seines Lebens Pazifist. 1919 berief ihn die Kunstakademie in Dresden als Professor. Weil er die Trennung von Alma Mahler und die Tat-sache, dass sie ihr gemeinsames Kind abgetrie-ben hatte, lange Zeit nicht überwinden konnte, ließ er sich seine Geliebte als Puppe anferti-gen. Sie diente ihm als Modell für viele seiner Alma-Mahler-Porträts. Nach vier Jahren an der Dresdner Kunstakademie nahm er unbezahlten Urlaub und kehrte nie wieder in sein Amt zu-rück. Bis 1930 unternahm er ausgedehnte Reisen durch Europa, Vorderasien und Nordafrika. Von 1931 bis 1934 lebte Kokoschka wieder in Wien, doch er flüchtete dann nach Prag und von dort 1938 nach London. Als Pazifist, Humanist und »Entartetster unter den Entarteten« musste er im Dritten Reich um sein Leben fürchten. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten 417 sei-ner Werke aus deutschen Museen, viele seiner Arbeiten wurden zerstört. 1953 übersiedelte er

mit seiner Frau Olda Palkovská, die er 1941 in einem Luftschutzbunker in London heiratete, in die Schweiz: nach Villeneuve unweit von Mon-treux am Genfer See. 1966 malte er das Port-rät des Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Das von der Illustrierten »Quick« bezahlte Honorar – 200 000 DM, spendete der Künstler den Kin-dern obdachloser Eltern. Oskar Kokoschka starb am 22. Februar 1980 im Alter von 94 Jahren in seinem Schweizer Domizil.

R e s p e k t f ü r d a s G e s c h ö p f Was für ein Leben! Was für ein Mensch! Was für ein Künstler! Die Ausstellung »Oskar Ko-koschka: Humanist und Rebell« im Kunstmu-seum Wolfsburg feiert eine Persönlichkeit, der alle Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts zuteil wurden, einen aufrichtigen und ehrlichen Mann, der trotz seiner Erlebnisse den Glauben an die Menschheit und ihre Errungenschaften nicht verloren hat. Die gleichermaßen spekta-kuläre wie intime Schau ist ein faszinierender Einblick in dieses Leben, das sich in Porträts seiner Zeitgenossen und in seinen Selbstbildnis-sen widerspiegelt. Sie bringt uns, wie in einem begehbaren Buch mit elf Kapiteln, einen Künst-ler näher, der stets an seinem Menschenbild festhielt, das heißt, er stellte die Abgebildeten ungeschönt dar, und zwar in ihrer ganzen Ver-letzlichkeit, Unvollkommenheit und Gebrech-lichkeit – Freunde, Geliebte, Geistesgrößen, Pro-letarierkinder, Politiker, bekannte, unbekannte, vergessene und unvergessliche Gesichter: Ein Facebook, das alle Achtung verdient. Die Bilder wirken außergewöhnlich plastisch, man merkt, dass Kokoschka ein malender Bildhauer war. Allein seine Tierporträts sind einer Reise nach Wolfsburg wert, denn sie zeigen die Seele und die Individualität jeder einzelnen Kreatur. Der Respekt für das Einzelne, das Eigene, das Un-wiederholbare, welches in allen Geschöpfen steckt, macht Kokoschkas Humanismus aus. Er beugte sich nie den künstlerischen Zwängen und blieb der figurativen Malerei treu, was nach dem Zweiten Weltkrieg als überholt und »unmodern« galt. Er war also durchaus ein Rebell, der gegen die künstlerische Konformität aufbegehrte. Dass er seiner Zeit weit voraus war und die Kunst bis heute noch beeinflusst, zeigt eines seiner letzten, für ihn ungewöhnlich großen (130 x 100 cm) Bilder: »Time, Gentlemen, Please«, entstanden 1971/1972. Das ist ein Porträt des Künstlers als alter Mann, den nur noch ein Schritt vom Jen-seits trennt: ein Feuerwerk explodierender Far-ben, eine vitale Versöhnung mit dem Tod. Der »Oberwildling« Oskar Kokoschka spürte, dass sein Leben zu Ende geht. Doch seine Kunst wird alle diesseitigen Moden überleben, denn sie ist das Werk eines großen Meisters.

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201418 | TAUFRISCH & ANGESAGT B re n n p u n k t

I N FO

Andrej Holm (Hg.): »Reclaim Berlin. Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt.« (Verlag »Assoziation A. «, Berlin 2014, 368 S., 18 Euro)

»Wir müssen die Wohnungsfrage politisieren! «Andrej Holms Buch »Reclaim Berlin« ist ein Kom-pendium zur Gentrifizierung Berlins I N T E R V I E W : A n d r e a s D ü l l i c k

Wer kann das nicht: Ganz plötzlich holt man ein Schreiben des Hausbesitzers aus dem Briefkasten, in dem eine saftige Mieterhö-hung angekündigt wird. Aus der ehemals günstigen Wohnung wird ein unbezahlba-

res Luxusgut. Oder aber man wird aufgefordert, sich bin-nen einer gewissen Frist etwas Neues zu besorgen, weil der Besitzer Eigenbedarf anmeldet. Hinter dem sich dann letzt-lich nur der Wunsch des Eigentümers versteckt, durch Neu-vermietung eine höhere Rendite zu erzielen. Verdrängung angestammter Mieter_innen aus den Innenstadtquartieren hat Hochkonjunktur. Der Stadtsoziologe Andrej Holm be-schäftigt sich seit langem schon mit diesem Thema. Jetzt hat er gemeinsam mit anderen Autoren ein Buch dazu veröffent-licht. In »Reclaim Berlin« nehmen Holm und Co die Woh-nungspolitik des Berliner Senats kritisch unter die Lupe. Ei-nen »Masterplan der Neoliberalisierung« nennen sie diese. Außerdem kritisieren sie die massive Privatisierung landes-eigener Wohnungen und die Liberalisierung des Baurechts. Andreas Düllick traf Andrej Holm am Rande der Veranstal-tung »Wohnen für Menschen mit seelischen Behinderungen – Inklusive Perspektiven?« im Schöneberger »Pinellodrom« und sprach mit ihm über das Buch und die aktuellen Ver-drängungsprozesse in Berlin.

Andreas Düllick: Was war der Auslöser, die Grundidee, für das Buch »RECLAIM BERLIN?«

Andrej Holm: Es war erst mal eine verlegerische Ent-scheidung, weil – obwohl es so viele Bewegungen und Proteste gibt – es kein Buch gibt, in dem das mal zusammengefasst ist. Viele kennen das aus ihrem Alltag, es gibt immer mal wieder einen Artikel im strassenfeger und anderen Magazinen, es gibt ganz viele Webseiten. Aber es gibt kein kompaktes Kompen-dium, das einen Überblick über die Bewegungen in den letzten zehn, zwölf Jahren gibt. Das wollten wir ändern.

Nach welchen Kriterien haben Sie das Buch aufgebaut?Wir haben Themen gesetzt: Gentrifizierung und Verdrän-

gung, Wohnungs- und Mietenpolitik, also Dinge, mit denen ich mich intensiv beschäftige. Dann ist uns aber schnell klar-

geworden, dass es auch noch andere Themen in der Stadt gibt, dass da Arbeitskämpfe stattfin-den, dass es Ärger mit dem Quartiersmanage-ment gibt, dass es Wohnungslosigkeit gibt.

Ein Kapitel trägt die Überschrift »KON-FLIKTE UND WIDERSPRÜCHE«, was steckt dahinter?

Berlin ist eine Stadt, in der sich in den ver-gangenen 15 Jahren eine neoliberale Politik durchgesetzt hat. Liest man wissenschaftliche Berichte, hat man das Gefühl, dass die großen Konflikte bereits ausgestanden wären: Der Um-bau zur neuen Hauptstadt in den 90er Jahren, der Potsdamer Platz mit den großen Infrastruk-turmaßnahmen, die Sanierung des Innenstadt-bereichs von Ost-Berlin – und die Verdrängung hat schon längst stattgefunden. Mir war wichtig zu zeigen, dass es hier in Berlin auch nach der Jahrtausendwende jede Menge von Widersprü-chen gibt. Diese müssen diskutiert werden, und es muss auf der Straße Protest dagegen geben. Diese Dinge haben wir in diesem Abschnitt des Buches zusammengefasst.

Eine äußerst negative Entwicklung haben Sie am Beispiel der Entwicklung des Stadtteils Neukölln beschrieben. Dort sei ein Kampf um Wohnungen unter Geringverdienern ent-brannt. Dieser sei politisch gewollt und werde vorangetrieben, schreiben Sie. Das ist äußerst bedenklich?

Wir müssen darauf reagieren! Das wird zum Teil in den Interviews deutlich und auch in den Mietinitiativen der Stadt. Wir müssen es schaf-fen, die Wohnungsfrage, die ja einen Großteil der Menschen in Berlin betrifft, zu politisieren. Wir müssen herausfinden aus der Haltung, wir alle seien daran selbst schuld oder wir hätten gerade kein Glück mit unserem Vermieter und

Der Stadtsoziologe Andrej Holm

Buchcover

Page 19: Die Stadt gehört uns! – Ausgabe 13 2014 des strassenfeger

strassenfeger | Nr. 13 | Juli 2014 TAUFRISCH & ANGESAGT | 19 B re n n p u n k t

seien deswegen mit einer Mietsteigerung kon-frontiert. Das ist eine politische Frage, die die gesamte Stadt angeht und die auch nicht auf ein-zelne Viertel beschränkt bleiben darf. Das zeigen die Aktivitäten von Initiativen wie »Kotti & Co«, »Zwangsräumungen verhindern« und anderen Bündnisssen: Wir artikulieren diesen Protest auf der Straße. Wir wollen, dass das in der Öffent-lichkeit diskutiert wird, dass das ein mediales Thema ist. Und vor allem auch, dass es ein poli-tisches Thema wird.

Gentrifizierung in Berlin im Jahr 2014 – was bedeutet das im Klartext?

Das bedeutet, dass die Mieten fast wöchent-lich steigen, sodass wir als Wissenschaftler schon Schwierigkeiten haben, diesen klassischen Gen-trifizierungsbegriff, der auf einzelne Gebiete bezogen war, überhaupt noch fortzuführen. Wir zeigen im Buch, dass das ein Mainstreamprozeß ist, der flächendeckend in der Innenstadt statt-findet. Alle, die zurzeit eine Wohnung suchen, kennen das. Und wenn man dann noch an die Bemessungsgrenzen der Jobcenter gebunden ist, dann findest man selbst in Marzahn und Spandau keine Wohnung. Das ist das Drama, das mit dem Begriff Gentrifizierung schon fast verharmlost wird. Verdrängen und Ausschließen all derer vom Wohnungsmarkt, die weniger Geld in der Tasche haben, das ist ein stadtweites Problem. Wir haben nur noch ganz wenige Inseln, wo es preiswerte Wohnungen gibt. Und das sind dann Gegenden, in die niemand ziehen will.

Die Mieten sind in Berlin in den vergangenen Monaten stark gestiegen, damit natürlich auch der Verdrängungsdruck auf Menschen aus ih-ren angestammten Bezirken. Was müssen die Politik und das Land Berlin dagegen tun?

Man muss eine Wohnungspolitik betrei-

ben, die tatsächlich den Schutz der Mieter_in-nen in Bestandswohnungen zum Ziel hat. Es gibt den sozialen Wohnungsbau – noch! Es gibt Altbauten, die noch nicht energetisch saniert wurden, da muss man schützend eingreifen, anstatt ausschließlich Neubauprogramme star-ten zu wollen. Wir brauchen eine Wohnungs-politik, die den Mut hat, Investoreninteressen entgegenzutreten. Wir haben seit vielen Jahren in Deutschland generell eine Wohnungspolitik, die versucht, im Gleichschritt mit den Investo-ren so ein wenig was abzumildern. Das Problem aber sind tatsächlich die Profitinteressen der privaten Eigentümer, die muss man einschrän-ken. Da ist eine ganze Menge von Instrumenten im mietrechtlichen, städtebaurechtlichen und steuerrechtlichen Bereich denkbar. Die werden momentan aber nicht ausreichend diskutiert. Wir brauchen einen Mentalitätswandel hin zu »Wir wollen wirklich soziale Wohnungspolitik machen«. Dann werden auch den Akteuren die entsprechende Gesetze und Verordnungen ein-fallen, mit denen sich das umsetzen lässt. Aber diese Mentalität gibt es derzeit überhaupt nicht. Stattdessen freut sich die Berliner Landesregie-rung über jede Investition, die ist willkommen. Die Lasten tragen die Mieter_innen.

Sie fordern vom Land Berlin ein, verstärkt auf kommunalen Wohnungsbau zu setzen. Was ge-nau soll und kann dadurch erreicht werden?

Bei den Problemen der Mietentwicklungen in Berlin gibt es den Gegensatz zwischen priva-ten wirtschaftlichen Interessen der Eigentümer, hohe Kapitalrenditen zu erwirtschaften, und der beschränkten Zahlungsfähigkeit von Menschen, die entweder schlecht bezahlte Jobs oder gar kein Einkommen haben. Unter diesem Gesichtspunkt kann man es von den privaten Eigentümern ei-gentlich nicht verlangen, dass sie die sozialen

Aspekte der Wohnungsversorgung lösen, denn sie sind ja kapitalistische Investoren und wollen einen hohen Ertrag erzielen. Deshalb kann ei-gentlich nur ein öffentlicher, ein gemeinnütziger, ein kommunaler Wohnungsbau in die Bresche springen. Wir brauchen nicht an Profit orien-tierte Wohnbauträger, wenn wir tatsächlich ei-nen sozialen Wohnunsgbau in der Stadt wollen. Da ist die Stadt gefragt, da sind Ideen für einen neuen gemeinnützigen Wohnungsbau gefragt. Das Drama momentan in Berlin ist, dass gerade die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, die nicht privatisiert wurden, sich gar nicht so sehr der sozialen Frage verschrieben haben. Das ist natürlich mit einer politischen Entscheidung verbunden, zumal, wenn man diese wie einen Goldesel behandelt und hofft, dass sie helfen, die Haushaltslöcher des Landes zu stopfen.

Welche konkreten Möglichkeiten haben die be-troffenen Menschen, sich gegen Verdrängung und Mietpreiserhöhungen zu wehren?

Man kann ganz individuell mit guter recht-licher Beratung seine rechtlichen Möglichkeiten ausnutzen. Wir sehen aber auch, dass in vielen Bereichen eine Verdrängung scheinbar recht-mässig ist, und da bleibt den Mieter_innen ei-gentlich nur, sich politisch zu organisieren, sich zusammenzuschließen, Öffentlichkeit herzustel-len und letztlich politischen Druck zu entfalten. Ich empfehle sozusagen einen Drei-Stufen-Plan: Individuell nehme ich meine Rechte wahr, auf der Ebene des Hauses organisiere ich mich kol-lektiv, und ich muss die Wohnungspolitik grund-sätzlich gesellschaftspolitisch verändern.

Ihr Statement zu der Dokumentation »Mietre-bellen«?

Das ist eine sehr gute Dokumentation, weil sie tatsächlich für diesen Mietrechts- und Mieter-kampf in den letzten Jahren beschreibt, wie groß der Druck für die Mieter_innen in den Innenstadt-bereichen geworden ist. Auf der anderen Seite ist es ein Film der Mut macht, der zeigt, dass auch Menschen, die nicht in Parteien oder Verbänden organisiert sind, die keine Lobby hinter sich ha-ben, aufstehen und sich dagegen wehren können. Das ist der Ausgangspunkt für jede politische Ver-änderung. Es kommt nur was in Bewegung, wenn sich der Protest auf der Straße artikuliert.

Trotz aller Probleme und Sorgen ein Lächeln im Gesicht (Fotos: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

Der Kampf geht weiter (Quelle: http://mietrebellen.de)

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201420 | TAUFRISCH & ANGESAGT B re n n p u n k t

Nationale Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Armut »BAG Wohnungslosenhilfe« fordert nationale Strategie zur Bekämpfung sozialer Missstände B E R I C H T : J a n M a r k o w s k y

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosen-hilfe hat am 10. April den Aufruf zu der Nationa-len Strategie der Presse vorgestellt. In der Presse-mitteilung wird die Notwendigkeit der Nationalen

Strategie wie folgt begründet: »In den letzten Jahren hat die Wohnungslosigkeit in vielen Regionen Deutschlands deutlich zugenommen. In den Ballungsgebieten ziehen die Mietpreise ungebrochen an, zugleich schrumpft der Bestand an Sozial- und bezahlbaren Wohnungen. Für die betroffenen Menschen ist der Verlust der eigenen Wohnung oft Endpunkt eines lan-gen sozialen Abstiegs. Wer in Zeiten von Wohnungsnot seine Wohnung verliert, hat wenig Chancen sobald eine neue zu finden. Der Teufelskreis »Ohne Wohnung keine Arbeit- ohne Arbeit keine Wohnung« kann kaum durchbrochen werden. Wohnungslosigkeit bedeutet nicht nur ein Leben ohne Woh-nung, ohne Sicherheit und Privatsphäre, sondern bedeutet so-ziale Ausgrenzung aus vielen Lebensbereichen.

Dieser Negativentwicklung kann nach Ansicht der BAG Wohnungslosenhilfe, des Dachverbandes der Wohnungslo-senhilfe in Deutschland, nur mit komplexen Maßnahmepake-ten begegnet werden. Dabei seien der Bund, die Länder und die Gemeinden gleichermaßen gefordert.« Die BAG W hat die Zahlen ihrer Schätzung jedes Jahr veröffentlicht und die zei-gen eine alarmierende Entwicklung. Doch weder Verwaltung noch Politik haben darauf angemessen reagiert. Jetzt zeigt die BAGW auf, was getan werden kann und muss.

B u n d e s re g i e r u n g e r f ü l l t Ve r p f l i c h t u n g e n g e g e n ü b e r Wo h n u n g s l o s e n u n d A r m e n n i c h t

Die von der BAG W dargestellte Situation verstößt gegen ver-brieftes Recht. Nach Art 11 Absatz 1 des Paktes über Wirt-schaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte vom 11. Dezember 1966 hat jeder Bundesbürger Recht auf »angemessenen Le-bensstandard für sich und seine Familie«, einschließlich »aus-reichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung«. Die Bundesregierung hat den Pakt ratifiziert, und er ist nationales Recht. Jede Regierung hat alle verfügbaren Ressourcen dafür einzusetzen, dass diese verbrieften Rechte allen Staatsbür-gern gewährt werden. Die Nationale Strategie zeigt, wie weit die jetzt amtierenden Regierungen im Bund und in den Län-dern davon entfernt sind. Und, wie weit die Landräte in den Landkreisen sowie Bürgermeister sowie Stadträte in Städten und Gemeinden davon entfernt sind.

Dass es anders geht, habe ich durch die Mitwirkung an der Grundtvig-Partnerschaft »Partizipation von Obdachlo-sen« erfahren. In einer Diskussionsrunde wurde eingeworfen, dass in Finnland und in Schottland die Zahl der Wohnungslo-sen sinkt. Die Gewährung des Rechts auf Wohnen, von dem

Marion Gibbs von der schottischen Nationalregierung in den Räumen des »Glasgow Homelessness Network« in Glasgow sprach, zeigt offensichtlich Wirkung.

D e r A u f r u f z u e i n e r N a t i o n a l e S t r a t e g i e d e r B A G W

Der Aufruf zur Nationalen Strategie ist in drei Kapitel ge-gliedert: I Auf dem Weg zu Wohnungsnotfall-Rahmenplänen (WRP); Notwendigkeit und Funktion, II Aufgaben der Bun-des-, Landes- und lokaler Ebene bei der Entwicklung von Woh-nungsnotfall-Rahmenplänen, III Schwerpunktaufgaben in den wichtigsten fach- und sozialpolitischen Handlungsfeldern.

Die BAG W setzt auf Wohnungsnotfall-Rahmenpläne. In den Ländern, Landkreisen und Kommunen müssen diese Pläne den jeweils spezifischen Bedürfnissen entsprechen. Prä-vention, also Abwendung von Verlust der Wohnung, hat Vor-rang vor Unterbringung in Notversorgung.

Die BAG W fordert für alle politischen Ebenen, dass mindes-tens folgende Globalziele in den Rahmenplänen berücksich-tigt werden:

1. »Förderung eines rechtskreisübergreifend koordinier-ten Gesamtsystems für Wohnungsnotfälle«,

2. »flächendeckender Ausbau eines präventiven Systems zur Verhinderung von Wohnungsverlusten«,

3. »Abbau der Straßenobdachlosigkeit auf Null durch Förderung integrierter Notversorgungskonzepte«,

4. »Aufbau einer flächendeckenden Wohnungsnotfallbe-richterstattung«.

In dem Aufruf zur Nationalen Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Armut in Deutschland sind die Ver-antwortlichkeiten der Bundesregierung, der Länder und der lokalen Ebene die Schwerpunktaufgaben in den wichtigsten fach- und sozialpolitischen Handlungsfeldern (Kapitel III) übersichtlich dargestellt.

A u s b l i c k f ü r B e r l i nIn Berlin wurde ein Obdachlosenleitplan in den 90er Jahren er-stellt. Die Verhältnisse haben sich gewandelt. Es ist einmal der Versuch unternommen worden, dann kam Peter Hartz dazwi-schen. Im Jahr 2014 wird wieder ein neuer Anlauf gemacht. In wie weit der den Anforderungen der Nationalen Strategie der BAG W genügt, kann noch nicht beurteilt werden.

Keine nachhaltige Strategie des Senats für ob-dachlose Menschen (Quelle: Archiv strassenfeger)

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 2014 TAUFRISCH & ANGESAGT | 21 s t r a s s e n fe g e r r a d i o

I N FO

strassenfeger RadioMittwochs 17 – 18 Uhr auf »88vier - kreatives Radio für Berlin«

UKW-Frequenzen 88,4 MHz (Berlin),90,7 MHz (Potsdam & Teile Brandenburgs)

Das Lachen bleibt im Halse steckenDer digitale Bürger ist an seiner Überwachung selbst schuldB E R I C H T : G u i d o F a h r e n d h o l z

Zugeschweißte Gully-Deckel in Berlin, ein un-glaubliches Polizeiaufgebot und ein endloser Livestream – das bleibt uns mündigen Bürger_in-nen vom Staatsbesuch des amerikanischen Präsi-denten Barack Obama vor ziemlich genau einem

Jahr in Erinnerung. Die Netzgemeinde amüsierte vor allem aber auch eine Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie erklärte damals wortwörtlich: »Das Internet ist für uns alle Neuland.« Was dann folgte war klar. Innerhalb weniger Minuten ist der Twitter-Hashtag #Neuland der meist-verbreitete in Deutschland, und die Netzgemeinde feiert ab: »DingDong Die kleine Angela möchte bitte aus dem #neuland abgeholt werden«, und »Ich hab gerade dieses ›Google‹ ent-deckt. Da kann man praktisch alles suchen. Schaut euch das mal an!«, oder »Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen. Deutschland, 19.06.2013: Merkel entdeckt #Neuland.«

S c h l u s s m i t l u s t i gNatürlich wurden schon damals klare Aussagen zu PRISM und der NSA vermisst, wenn sie dann aber auf einem solchen Niveau erfolgen, wie vor wenigen Tagen auf »ZEIT ONLINE«* geschehen, bleibt so manchem das Lachen im Halse stecken. In seinem Gastbeitrag vom 17. Juni 2014, lehnt Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) die Ver-leihung der Ehrendoktorwürde der Universität Rostock für den Whistleblower Edward Snowden ab. Soweit so gut. Aber in Fahrt gekommen, legt Caffier noch einmal ordentlich nach: »Wer seinen Rechner einschaltet, muss sich bewusst sein, dass er von dem Moment an nicht mehr allein ist.« Das ist inzwischen ein unbestrittener Fakt, aber was wollte uns der Innenminister damit sagen? Liegt es in der Eigenverantwor-tung der Bürger, ob sie von Geheimdiensten digital überwacht werden?

M e i n u n g s f re i h e i t d u rc h M e i n u n g s ä u ß e r u n gAuf die Anfrage unserer Radioredaktion zur Konkretisierung dieser Aussage, erhielten wir lapidar den Hinweis auf den voll-ständigen Artikel, mehr wäre dazu nicht zu sagen. Das sehen zum Glück die Leser seines Artikels auf »ZEIT ONLINE« oft-mals ganz anders: »Und ich dachte schon die verbalen Ruten-schläge von Norbert Lammert gegen das Verfassungsgericht, zur Feier von 65 Jahren Grundgesetz, wären infam genug für diese Partei!« Oder: »Es wäre eigentlich Ihre Pflicht als Innen-minister, wenigstens eine Ahnung davon zu haben, was einen Rechtsstaat ausmacht. Wenigstens das, Herr Caffier.« Oder: »Ergänzung zum Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Einzelheiten regelt die NSA.«

» P i r a t e n « f ü r S n o w d e nWas sagen die Vertreter der etablierten Par-teien zu Lorenz Caffiers Ausführungen? Wenig bis nichts, jedenfalls uns gegenüber. Einzig die Piraten bezogen auch live in unserer Sendung Stellung. Carolin Mahn-Gauseweg ist die stell-vertretende Bundesvorsitzende der Piraten: »Spätestens seit die Ausspähung des Kanzlerin-nen-Handys aufgedeckt wurde, müsste jedem in der Union klar sein, welchen Umfang die Über-wachung und welchen Wert damit die Enthüllun-gen Snowdens haben. Das aber blendet Lorenz Caffier ebenso gekonnt aus, wie den eigentlichen Knackpunkt der Debatte: Es ist Aufgabe des Staates, die Wahrung des Fernmeldegeheimnis-ses zu gewährleisten. Nur weil sich die Technik von der Brieftaube zur E-Mail weiterentwickelt hat und wir jetzt vom Grundrecht auf Gewähr-leistung der Vertraulichkeit und Integrität infor-mationstechnischer Systeme sprechen, glaubt er, einfach die Hände in den Schoß legen und auf die bloße Eigenverantwortung verweisen zu kön-nen. Auch Caffier hat, wie einige andere Unions-politiker auch, seine Verantwortung gegenüber den Bürgern nicht verstanden.«* Quelle: www.zeit.de/2014/26/edward-snowden-ehrendoktor-lorenz-caffier

Carolin Mahn-Gauseweg, stell-vertretende Bundesvorsitzende der Piratenpartei (Quelle: Wikipedia)

Lorenz Caffier, Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern (Quelle: Wikipedia)

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201422 | TAUFRISCH & ANGESAGT K u l t u r t i p p s

skurril, famos und preiswert!Kulturtipps aus unserer RedaktionZ U S A M M E N S T E L L U N G : L a u r a

02 DISKUSSION

»Crowdfunding«Outsourcing kennt man schon lange. Dabei gibt es sogar eine Weiterentwicklung dieses Prinzips: Das Crowdsourcing. Die Arbeit wird dabei nicht mehr in Billiglohnländer outgesour-ced, sondern an Menschen, die sich im Internet tummeln – an die Crowd. Im Netz entsteht dadurch ein neuer Niedriglohn-bereich, der unsere Art zu arbeiten verwandeln könnte. Auf der Plattform »Mechanical Turk« von Amazon schuften etwa hundertausende Menschen aus 180 Ländern, darunter Deutschland, oft für zwei bis drei Euro die Stunde, die besten Akkordarbeiter für sieben oder acht. Das neue digitale Prekariat hat praktisch keine Rechte. Trotzdem sind Crowd-worker oft stolz auf ihre Arbeit und fürchten staatliche Regulierung: Diese könnte ihren Arbeitsplatz vernichten. Sebastian Strube, der mit diskutiert, ist freier Journalist in München. Auch er hat schon als Crowdworker gearbeitet, war aber nicht hart genug dafür. Die Moderation wird von der Sozialwissenschaftlerin Cornelia Otto vorgenommen.

Am 3.7., um 19 Uhr, Eintritt frei!

Vierte Welt, Adalbertstraße 4, 10999 Berlin

Info: www.rosalux.de

01 LANGE NACHT

»Stadt für eine Nacht«Im September 2010 entstand auf Initiative und unter Leitung des Hans Otto Theaters zum ersten Mal auf dem zentralen Platz der Schiffbauergasse die »Stadt für eine Nacht«: die künstlerische Installation einer nächtlich beleuchteten Stadt aus verschiedenartigen Pavillons mit mutigen Menschen aus Wissenschaft, Kunst und Kultur. Parallel dazu hatten sich alle Künstler und Macher der Schiffbauergasse vereinigt, um gemeinsam 24 Stunden Programm anzubieten. Nun lädt die Schiffbauergasse bereits zum fünften Mal zum großen 24-Stunden-Fest, mit 24-stündigem Marathon-Programm mit Musik, Theater, Kunst, Film, Literatur und Tanz.

Am 12.7. & 13.7., 14 Uhr bis 14 Uhr. Eintritt frei!Schiffbauergasse 14467 Potsdam

Info & Bild: www.schiffbauergasse.de

03 VORGELESEN

»Theater lesen!«Jeden zweiten Sonntag im Monat veranstaltet das Fabriktheater in Moabit »Theater lesen!«. Aus den von den Besuchern vorgeschlage-nen Theaterstücken wird eines ausgewählt und gemeinsam gelesen. Anschließend darf über das jeweilige Stück diskutiert werden. Eine Anmeldung für den Lesenachmittag sollte bis spätes-tens einen Tag vor der Veranstal-tung erfolgen.

Am 13.7., voraussichtlich um 15.30 Uhr, Eintritt frei d Anmeldung erforderlich!Anmeldung: Per Mail unter [email protected] oder per Telefon unter 0176 - 493 50 644

Fabriktheater Moabit, Lehrter Straße 35, 10557 Berlin

Info: www.fabriktheater-moabit.de Bild: © Christina Gumz

04 VORTRAG

»Rot-Rot-grün«Die Diskussionen um die Zukunft der Ukraine haben zu heftigen politischen Auseinandersetzungen zwischen einigen Politikern und Politikerinnen von SPD, Grünen und DIE LINKE geführt. Denn wen interessiert eigentlich die Meinung der Ukrainer und Ukrainerinnen? Welche Perspektiven hat das Land und was zählt heute noch das Völkerrecht? Sind Sanktionen sinnvoll? Wie kann Schaden von der Bevölkerung in der Ostukraine abgewendet werden? Und vor allem: Welche Rolle sollte Deutsch-land dabei spielen? Der Vortrag im »taz-café« will die Antworten auf diese kniffligen Fragen liefern!

Am 3.7., um 19 Uhr, Eintritt frei!taz.caféRudi-Dutschke-Str. 2310969 Berlin

Info: www.taz.de Bild: © taz / Anja Weber

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VORSCHLAGENSie haben da einen Tipp? Dann

senden Sie ihn uns an:[email protected]

Je skurriler, famoser und preiswerter, desto besser!

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06 KONZERT

»¡Baila, Berlin!«»¡Baila, Berlin!« ist eine zwölfköpfige Band aus Tempelhof. Gespielt wird Salsa, immer angeleitet von der Berliner Bassistin Maike Scheel. Die spanischen Ausrufezeichen sind eine Aufforderung: »Tanze, Berlin!« Das Konzert unterstützt den Parkring e.V. dabei, im Kiez wieder mehr Bewusstsein für Park- und Grünanlagen des Neu-Tempelhofer Kiezes zu entwickeln.

Am 4.7., um 14 Uhr, Eintritt frei! d Aber Spenden sind willkommen.

Wolffring/Ecke Boelckestr. 12101 Berlin

Info: www.parkringneutempelhof.de | www.baila-berlin.de

05 KUNST

»Kunst am Spreeknie«Erstmals 2007 fanden sich in Schöneweide aktive Künstler-gruppen und Kunstinstitutionen zusammen, um im Industrie-gebiet Oberschöneweide ein Projekt mit künstlerischen Interventionen vorzubereiten, vom Kleinflughafen Berlin Schöneweide bis zum interaktiven Kunst-Imbiss. Inzwischen sind fünf Ausgaben des »Kunst am Spreeknie« gefolgt und die Vorbereitung für das siebente läuft. Die »JazzGalerie«, neue Kunstorte und vor allem viele Künstlerinnen und Künstler, Kreative und Projekte mit ihrem Netzwerk »Schöneweide Kreativ« und dem »Schöneweide Artists e.V.« sind dazu gekommen. Das Programm wurde umfangreicher und die einzelnen Plätze lassen Zeit für Muße und Entspannung. Mit dabei sind unter anderem die »artstifter« mit einer mobilen Ausstellung. Normalerweise engagieren sie sich in Schöne-weide in Schulen und unterstützen Schüler bei ihrer Berufs-suche und kreativen Entfaltung.

Vom 10.7., ab 16 Uhr bis zum 13.7. um 1 Uhr - Eintritt frei!An verschiedenen Orten, die der Internetseiten entnommen werden können.

Info: www.kunst-am-spreeknie.de | www.berlin-projekt.orgBild: Tanja Titzmann

07 THEATER

»Ein Hochhaus, ein Flughafen, ein fauler Sack«Hereinspaziert, hereinspaziert! Das wunderbare Ensemble »Theater RambaZamba« unter der Regie von Gisela Höhne spielt eine Commedia dell‘arte open-air auf dem Hof der Kulturbraue-rei. Während hinterlistige Bauspekulanten die Armut der Stadtbewohner ausnutzen, träumt sich Arlecchino in eine Welt der Liebe und der Fantasie. Das Stück verspricht eine höchst amüsante Verspottung der gesellschaftlichen Verhältnisse, in die das Publikum selbstredend einbezogen wird.

Am 14.7., um 17 Uhr, Eintritt frei! d Aber eine Spende ist erwünscht.Hof der KulturbrauereiSchönhauser Allee 3610435 BerlinInfo: www.theater-rambazamba.org Bild: Ralf Henning

08 MUSIK

»FM TRIO«Die vergangenen fünf Jahre hat das »FM TRIO« zu einem Ensemble geformt, das einige wichtige Grundprinzipien aktueller Jazzmu-sik internalisiert hat: Aufbau und stete Erweiterung eines originalen Repertoires, rhythmische Flexibili-tät und Improvisation mit annä-hernd unbeschränkten Möglichkei-ten.Durch das gemeinsame Erarbeiten neuer Originalkomposi-tionen und deren Zerpflückung und Rekonstruktion haben sie einen eigenen Stil geformt. Die musikali-schen Hörgewohnheiten der drei Musiker reichen von der zeitgenös-sischen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, über den wilden 60er Jahre Jazz bis zu Avantgarde-Pop und Experimentalmusik.

12.7., um 21.30 Uhr, Eintritt frei!Kunst im Schlot, Invalidenstrasse 117,10115 BerlinInfo: www.kunstfabrik-schlot.de Bild: Andre Stoeriko

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I N FO

Kat Menschik »Der goldene Grub-ber. Von großen Momenten und kleinen Niederlagen im Gartenjahr«Verlag Galiani Berlin 2014, 304 Seiten, Spezialformat 21 × 21 cm, Rundum-Farbschnitt

durchgehend illustriert, mit zahl-reichen Farbtafeln, Preis 34,99 Euro, ISBN 978-3-86971-083-9

strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201424 | TAUFRISCH & ANGESAGT A k t u e l l

»Mit der Feder knurkelt die Linie immer so schön!«Kat Menschiks wunderbares Buch »Der goldene Grub-ber« ist viel mehr als ein Gartenbuch!I N T E R V I E W : A n d r e a s D ü l l i c k

Die Illustratorin Kat Menschik hat ein Buch ge-macht. Von großen Momenten und kleinen Nie-derlagen im Gartenjahr berichtet sie in »Der goldene Grubber«. Nun ja, so ungewöhnlich ist das nicht, sollte man meinen. Gartenbücher

gibt es wie Sand am Meer. Aber so eines nun wieder doch nicht. Denn dieses Buch geht ans Herz. Die amüsanten Ge-schichten aus dem Alltag einer Hobbygärtnerin sind so liebe-voll illustriert, dass man sich gar nicht sattsehen kann an die-sem Buch. Es kommt daher wie ein Comic, ach was, was sage ich, wie ein bunter Schmetterling. Wer dieses Buch gelesen und angeschaut hat, der begibt sich sofort auf die Suche nach einem eigenen Garten. Grund genug also, sich auf eine kleine Reise zu begeben. Andreas Düllick traf die famose Illustrato-rin und Autorin in ihrem wunderbaren Garten weit weg von der großen Stadt zum Interview.

Andreas Düllick: »Der Goldene Grubber« ist ein echter Wurf, er wurde gerade zu den 25 besten Büchern des Jahres gewählt!

Kat Menschik: Ich habe das nicht erwartet. Das ist natür-lich großartig und ich habe erst mal ein Rumpelstilzchentänz-chen vollführt. Weil ich in den ganzen Jahren, in denen ich jetzt schon Bücher mache, immer wieder Bücher eingereicht habe. Und das freut mich umso mehr, dass das jetzt geklappt hat, weil der »Goldene Grubber« ja das erste Buch ist, das ich selbst geschrieben und gezeichnet habe und wirklich kom-plett allein gemacht habe. Und dass ich dafür jetzt sogar einen Preis bekomme, ist umwerfend.

Warum haben Sie ausgerechnet den Grubber für sich entdeckt? So einen Grubber braucht man ja ständig im Garten,

manche sagen auch Gartenkralle dazu. Das ist so ein kleines, dreizackiges Gerät. Ich habe das Buch so genannt, weil ich finde, das ist einfach ein wirklich cooles Wort. Das klingt toll. Ich kann Ihnen auch meinen Originalgrubber mal zeigen.

Sie sind ja hübsch systematisch im Buch vorge-gangen...

Sie meinen jahreszeitlich? Ja! Ja, ich dachte, das macht man so in Gartenbüchern. Ich finde das logisch. Weil es ja im und mit dem Garten das ganze Jahr über immer etwas zu tun gibt. Und selbst in der Winterpause, wenn der Garten ruht, kann man mit Dingen aus dem Garten basteln oder Vogelhäuschen bauen und Vögel füttern und diese beobachten. Man kann sich das ganze Jahr im Garten aufhalten.

Mal ganz formell: Warum überwiegt das Grün in Ihrem Buch?

Grün ist doch sehr schön! Ich habe die Ge-schichten anfangs zuerst in der Frankfurter All-gemeinen Zeitung veröffentlicht. Dort erschie-nen sie als täglicher Comic in Schwarz-Weiß. Dann entstand die Idee, daraus ein Buch zu machen. Ich dachte, nee, das wäre schade, ein Schwarz-Weiß-Buch zu machen. Wenn ich über den Garten schreibe, wäre es doch prima, wenn diese schwarzen Zeichnungen einfach in Grün auf weißem Papier gedruckt werden. Dann habe ich mir die ganze Zeit das Buch schon so vorge-

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01 Buchcover (Quelle: Verlag Galiani Berlin)

02 Kat Menschik – Hobbygärtnrerin und famose Illustratorin (Foto: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

03-05 Schöne Seiten aus dem Buch (Quelle: Verlag Galiani Berlin)

06 Die Buchautorin bei der Arbeit (Foto: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

07 Herrlich! (Quelle: Verlag Galiani Berlin)

G e s c h e n ke ! ! !

Wem das Buch gefällt, schreibt uns kurz warum. Die lustigsten fünf Kommen-tare bekommen vom Verlag bzw. uns ein kleines Garten-Paket mit Postkarten zum Buch und ein paar Samentütchen!

Mail an [email protected]

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stellt, wie es jetzt auch aussieht. Dass das quasi wie so ein Stück Rollrasen ist. Dass da überall Grün ist, und überall exakt gleich grün. Auf dem Cover, im Schnitt und im Innenteil. Und es war wirklich alles Grün in Grün. Als ich dann fertig war, habe ich gedacht, ein bisschen fehlt was. Ein bisschen Farbe muss hier noch rein. So habe ich mich im Nachhinein entschlossen, die acht Farb-seiten, die im Buch sind, noch zu malen. Dafür habe ich – ich schätze mal seit 20 Jahren – zum ersten Mal wieder einen Pinsel rausgeholt und mit Pinsel und Farben wieder richtig gemalt. Ich habe hier vor meinen Blümchen gesessen und die abgemalt. Das hat großen Spaß gemacht.

Das hat sich wirklich gelohnt!Ja ich fi nde, die müssen auch sein, nicht

wahr!? Es ist wenig und der große Inhalt fi ndet auf den grünen Seiten statt, aber man bleibt schon hängen an den acht Farbseiten. Und ich möchte das und brauche das auch in einem Gartenbuch!

Auf diesen Seiten gibt es aber nicht nur wun-derschöne Pfl anzen, sondern auch wunderbare Tiere!

Ja! Es ist ein ziemlich großer Garten. Und der liegt direkt am Dorfrand. Ich habe nur zu einer Seite Nachbarn, ansonsten gibt es eine Feldseite und eine Waldseite und eine Seite zu einer Koppel. Und deshalb haben wir hier sehr oft tierische Besucher. Und deshalb gehört das auch in das Buch rein. Weil wir sie mögen. Und

weil die bei uns auch überleben dürfen. In der Regel. Außer Mücken und Nacktschnecken!

Große Momente und kleine Niederlagen?Große Momente, das ist, wenn man in einem fertig her-

gerichteten Garten sitzt oder man weiß, jetzt muss ich noch den Rasen mähen die Sonne scheint, man sitzt bei einer Tasse Tee oder einem Glas Wein, schaut in die Natur, hört die Vö-gel zwitschern und ist einfach glücklich dabei. Oder man be-obachtet Tiere. Das ist großartig. Und natürlich ist es auch großartig, wenn Pfl änzchen anfangen zu blühen oder wenn es mir gelingt, dass die Pfl anzen nicht eingehen. Womit wir dann ja auch bei den Niederlagen wären. Denn das ist mir oft genug passiert, dass die eingehen. Dass ich ein mein ganzes Taschengeld nehme, um eine neue Staude zu kaufen. Und dann gibt es so Widrigkeiten wie Wühlmäuse, Trockenheit, Nacktschnecken, die mir das alles wieder zerstören können.

Der Garten ist ein Familienmitglied, schreiben Sie...Ja, das würde wahrscheinlich jeder unterschreiben, der

längere Zeit einen Garten sein Eigen nennt. Man fängt ja an zu pfl anzen. Und ob das ein ganz kleiner Minibaum ist, oder ein Büschchen oder eine großer Baum, ich habe z. B. eine Platane und Birken gepfl anzt, man beobachtet die im Laufe der Jahre, wie sie wachsen und größer werden... Ich kann mir das gar nicht vorstellen, aus diesem Garten jemals wegzugehen, weil diese Pfl anzen ja alle meine Schützlinge sind. Ich will immer, dass es ihnen gut geht und ich möchte wie bei Kindern sehen, wie die größer werden. Bei den meisten werde ich das nicht erleben, dass sie erwachsen sind.

»Manchmal fühle ich mich wie eine orientierungslose

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Anfängerin...«(fängt an, schallend zu lachen) Ja, das pas-

siert wirklich in jeder Saison wieder, dass ich bei meinen Nachbarinnen in den Gärten bin und denke, diese Rabatten, sind die schöööön. Und so dicht! Und so perfekt aufgebaut! Im vorde-ren Teil die kleineren Pflänzchen, dahinter die größeren Stauden, und farblich ist das alles so wunderbar arrangiert. Hach, denke ich dann, in diesem Jahr will ich das auch. Und dann klappt das wieder nicht. Dann habe ich zu viel gepflanzt oder zu wenig, und es gehen Pflanzen ein oder es entstehen große Lücken. So richtig kriege ich das immer noch nicht hin.

Sie leiden an Blumenkaufsucht...Ich leide wie so viele meiner Freundinnen

absolut gar nicht unter einem Schuhtick oder Klamottentick oder darunter, dass ich ständig shoppen muss! Das ist mir relativ fremd. Ich ver-bringe meine Zeit lieber im Blumenmarkt oder im Baumarkt. Da kann ich dann aber auch nicht vorbeigehen. Da muss ich immer was Kleines mitnehmen und einpflanzen!

Gärtners Glück – Gärtners Pech?Ganz toll ist, wenn ich denke, in diesem Jahr

ist mein Garten am allerschönsten! So schön war der noch nie! Ich weiß gar nicht, ob das stimmt. Aber das ist schon ein großes Glück, wenn man das jedes Jahr sagen kann.

Die besten Tipps kriegen Sie sicher von Ihrer Freundin Henni?

Jawohl! Meine Freundin Henni ist eine ver-sierte Gärtnerin, insbesondere eine Gemüse-gärtnerin. Sie gibt mir selten Tipps zu Blumen, weil sie gar nicht so viele hat. Dafür aber einen fantastischen, großen Gemüsegarten! Henni könnte fast Selbstversorgerin sein. Ich kann so viele Tipps, die sie hat, oft gar nicht umsetzen, weil ich selbst gar keinen Gemüsegarten mehr habe. Ich habe das einmal probiert, habe alles schön vorbereitet und im Frühjahr sah der auch fantastisch aus mit ganz exakt abgesteckten Bee-ten nach einem Pflanzplan. Leider wurde der mir während des ersten Sommers dermaßen zerstört von Sonne, Schnecken, Unkraut. Da habe ich ge-merkt, dass man als Wochenendgärtnerin keinen

Gemüsegarten pflegen kann. Und deshalb habe ich den wieder platt gemacht. Ich sage mir aber immer wieder: Wenn ich irgendwann ganz hier rausziehe, dann lege ich als allererstes wieder ei-nen Gemüsegarten an!

Ihre Lieblingsblume ist...Im Frühjahr der Flieder! Weil, der duftet

am allerschönsten! Fliederduft könnte ich ja das ganze Jahr haben! Im Sommer liebe ich sehr die Cosmeen, die sehen immer soooo zart aus! Und eigentlich sind die auch sehr dankbar im Garten. Ach, es gibt so viel! Im Frühjahr sind die Magnolien ganz toll. Jetzt bin ich gerade auf Dahlien. Ich habe ganz viele bunte Dahlien! Die kann man ausbuddeln im Herbst. Man lässt die Knollen trocknen und kann die im nächsten Jahr wieder benutzen.

Lieblingsfrucht & liebstes Gemüse?Kirschen von unserem Kirschbaum! Tomaten.

Handarbeit?Ich zeichne immer mit Feder und Tusche

auf Papier. Das ist die analoge Arbeit dabei. Ich zeichne auch immer auf A4-Druckerpapier, weil sich das, wenn die Arbeit getan ist, so gut weg-heften lässt. Dieses Papier eignet sich dann aber sehr gut dafür, es zu scannen. Ich scanne also meine A4-Schwarz-Weiß-Zeichnungen und be-arbeite sie dann noch mal im Rechner. Die End-ergebnisse, die dann auch gedruckt werden, sind digital. Ich retuschiere oder jetzt im Gartenbuch die Schrift, die ich immer mit der Hand geschrie-ben habe, die war oft nicht ganz ausgeglichen, die habe ich dann am Rechner noch mal verscho-ben. Ich koloriere am Computer, und wenn ich Muster mit Schatten hinterlege, das mache ich alles am Rechner.

Gerade »Der Golden Grubber« sieht aus, als wäre alles von Hand gemacht, als wären es Holz-oder Linolschnitte?

Das habe ich schon öfter gehört, aber das ist alles mit der Feder gezeichnet, deshalb benutze ich sie auch so gerne. Die Feder hat ja auch diesen schönen Duktus einer nicht ganz gleichmäßigen Linie. Ich könnte die Arbeit ja auch mit einem Ta-blet machen oder einem Fineliner, wo man immer die exakt gleiche Strichstärke hat. Aber mit der Feder knurkelt die Linie immer so schön. Oder man kann auch sagen, dass sie immer so lebendig aussieht, wenn man näher rangeht. Dass sie nicht so glatt ist. Daher kommt dann dieser Eindruck. Und wenn ich eine Zeichnung durchzeichne mit ganz vielen Strukturen drin, dann mag das sicher so etwas Holzschnittartiges haben.

Ihr Garten ist auserzählt, woran arbeiten Sie gerade?

Ich habe gerade ein Buch fertig, das erscheint im August. Dafür habe ich das »Kalevala« illus-triert, das ist das finnische Nationalepos, da hat Tilman Spreckelsen die Geschichte der »Kale-vala« nacherzählt. Und gestern habe ich gerade ein Manuskript bekommen, daran werde ich im Sommer arbeiten. Das ist ein Kinderkrimi!

In zehn Jahren gibt es dann doch noch den zwei-ten Teil des »Goldenen Grubbers«?

Eigentlich nicht so ungern. Mir sind im letz-ten halben Jahr schon so Kleinigkeiten aufgefal-len, bei denen ich gedacht habe, ach Mist, hätte gut ins Buch gepasst! Mal gucken!

Was ist Luxus für Sie?Mit meinem Kaffee in der Hand morgens aus

der Küchentür zu kommen und barfuß auf der Wiese zu stehen. Mehr brauche ich nicht!

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 2014 TAUFRISCH & ANGESAGT | 27 S p o r t

»Glückliche Athleten, zufriedene Zuschauer und ein Fotofinish« Spitzenleistungen bei den 36. Internationalen Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften der BehindertenB E R I C H T : C l a u s F r o e m m i n g / A n d r e a s D ü l l i c k

»Glückliche Athleten, zufriedene Zuschauer und ein Fotofinish zum Schluss bei den 200m-Sprintern – mehr geht nicht. Unterm Strich ist alles gut gelaufen und ich freue mich schon auf die nächsten IDM im kommenden Jahr.« Dieses tolle Fazit zog der Veran-

staltungschef Klass Brose vom Behinderten-Sportverband Berlin zum Abschluss der 36. Internationalen Meisterschaf-ten in der Leichtathletik der Behinderten im Berliner Fried-rich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Insbesondere die deutschen Athleten glänzten in Berlin und erzielten bei Wind und Regen gleich drei deutsche Rekorde.

Irmgard Dorethy Bensusan (TSV Bayer 04 Leverkusen) verbesserte in der Startklasse 44 (Verlust Unterschenkel) die deutschen Rekorde über 200m (27,39s) und 400m (1:04,98min). Paralympicssieger Markus Rehm (TSV Bayer 04 Leverkusen) gewann den Weitsprung in der Startklasse 44 (Verlust Unterschenkel) bei widrigen Bedingungen mit sensationellen 7,88 Metern. Damit blieb er nur sieben Zen-timeter unter seinem eigenen Weltrekord von 2013. Vanessa Low aus Leverkusen sprintete die 100m in der offenen Klasse in 15,96s. Damit belegte sie hinter der starken Niederländerin Marianne Verdonk (13,67s) zwar »nur« den zweiten Platz. Trotzdem schob sie sich mit dieser bei Wind und Regen erziel-ten neuen persönlichen Bestzeit in der Startklasse 42 (Verlust Oberschenkel) auf Platz eins der ewigen deutschen Besten-liste. Auch im Weitsprung musste sich Weltrekordhalterin Vanessa Low geschlagen geben. Mit 4,19m belegte sie hinter der Britin Stefanie Reid (5,29m) den Rang zwei. Schon im Vorfeld der Wettkämpfe hatte die smarte Sportlerin betont, dass sie in der Form ihres Lebens ist. Ihr großes Fernziel sind nun die Paralympics 2016 in Rio. Dort will sie unbedingt eine Medaille gewinnen.

Das 100m-Rennen in der Startklasse 44 gewann der Para-lympicssieger Arnu Fourie aus Südafrika in 11,24s vor Felix Streng aus Leverkusen (11,44s) und dem Niederländer Ro-nald Hertog (11,80s). Höhepunkt des dritten Wettkampftags war das 200m-Rennen der Männer in der Startklasse 44. Dabei traf Fourie, ehemaliger Weltrekordhalter über diese Strecke, wie schon über 100m wieder auf seinen deutschen Herausforderer Felix Streng. In einem Fotofinish lag Fourie um eine Nasenlänge vorn und gewann in 22,98s vor Streng (23,01s) und Nick Weihe vom PSC Berlin (25,10s).

Beim Kugelstoßen dominierte wieder einmal die Grand Dame der Paralympics, die Lokalmatadorin Marianne Buggenhagen: Sie stieß in der Startklasse 55 mit 6,84m Saisonbestleistung und reist nun mit Medaillenhoffnungen zu den Europameis-

terschaften nach Swansea. Einen »Beinahe«-Weltrekord sahen die 500 Zuschauer im Hoch-sprung der Männer (offene Startklasse). Der unterschenkelamputierte Brite Jonathan Broom-Edwards hatte 2,14m auflegen lassen, scheiterte nur um Haaresbreite. Den Wettbewerb gewann er mit überquerten 2,09m souverän.

An drei Wettkampftagen waren 562 Athlet_in-nen aus 34 Nationen in insgesamt 216 Entschei-dungen am Start. Organisationschef Dr. Ralf Otto: »Leider hat Petrus nicht ganz mitgespielt. Es war zum Teil böig und regnerisch, das hat na-türlich Top-Zeiten und internationale Rekorde verhindert. Trotzdem waren die sportlichen Leistungen deutlich besser als das Wetter ver-muten ließ.« Die 36. IDM Leichtathletik gehör-ten in diesem Jahr erstmals zur internationalen Wettkampfserie IPC Athletics Grand Prix. Das sind weltweit insgesamt neun Meetings in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate), Peking (China), Sao Paulo (Brasilien), Arizona (USA), Nottwil (Schweiz), Grossetto (Italien), Tunis (Tunesien) und Berlin. Die besten Athleten der Grand Prix-Serie erhalten eine Einladung zum IPC Grand Prix-Finale in Birmingham (Großbritannien) am 25. August 2014.

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Alle Ergebnisse auf:

www.idmleichtathletik.de

Behinderten-Sport-verbandes Berlin e.V.: http://bsberlin.de

Die Sprinterin Vanessa Low (Foto: Andreas Düllick ©VG Bild-Kunst)

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201428 | TAUFRISCH & ANGESAGT S p o r t

»Da ist das Ding!«»Ocker-Beige-Berlin« bei der Deutschen Straßenfuß-ballmeisterschaft der Wohnungslosen in KarlsruheB E R I C H T : A n d r e a s D ü l l i c k | G a n g w a y Te a m B r e n n p u n k t e

Am 20. und 21. Juni fand auf dem zen-tralen Schlossplatz in Karlsruhe die diesjährige Deutsche Straßenfußball-meisterschaft der Wohnungslosen

statt. 22 Teams aus dem gesamten Bundesgebiet nahmen teil. Auf einem extra für die Meister-schaft aufgebauten Straßenfußballplatz (16x22 Meter) spielten 22 Teams von Wohnungslosen-hilfen, Suchthilfen und Straßenzeitungen von München bis Kiel für Fairness und Aufmerk-samkeit. Teams waren dabei. Die Veranstaltung wurde von der Diakonie Karlsruhe, der Heim-stiftung Karlsruhe und dem Arbeitskreis Woh-nungslosenshilfe in Karlsruhe gemeinsam mit Anstoß! e. V. auf die Beine gestellt. An diesem Turnier dürfen Spielerinnen und Spieler teil, die wohnungslos sind, es in den letzten Jahren waren oder vom Straßenzeitungsverkauf leben. Jeweils drei Feldspieler und ein Torwart sowie vier Aus-wechselspieler bilden ein Team, ein Spiel dauert zwei Mal sieben Minuten.

Auch mit dabei: »Ocker-Beige-Berlin«, die Mannschaft des Teams Brennpunkte bei Gang-way e.V. Am ersten Tag wurde in sechs Gruppen die Vorrunde des Turniers ausgetragen. Gleich in ihrem ersten Spiel gegen die »Street-Soccer Karlsruhe« legten die »Ocker-Beigen« los wie die Feuerwehr und gingen früh mit 1:0 in Führung. Da das Team noch nie zuvor in einem Soccer-Court gespielt hatte, waren die Spieler nicht darauf eingestellt, dass es laut Regelwerk nach einem Tor keinen Anstoß gibt, sondern direkt weiter gespielt wird. Während die Berliner noch ihren Treffer bejubelten, fiel völlig überraschend der Ausgleich. Am Ende stand es 4:3 für Karls-ruhe. Nach einer weiteren Niederlage gegen die »Dirty Devils« aus Gifhorn (6:1) bestand im letzten Spiel gegen »Hannibals Erben« aus Kiel aufgrund des besseren Torverhältnisses noch die Möglichkeit, bei einem Sieg Gruppenzweiter zu werden und somit ins Achtelfinale einzuziehen. Nach einer 2:0 Führung ging das Spiel jedoch noch 3:2 verloren und die Berliner wurden leider nur Gruppenletzter. Zusammen mit den anderen Gruppenletzten spielten sie am nächsten Tag um den »City-Cup« der Stadt Karlsruhe.

Am zweiten Tag lief »Ocker-Beige« zur Bestform auf, startete eine Siegesserie und fegte die Gegner reihenweise vom Court. Zunächst feierten die

Jungs einen 7:6 Kantersieg gegen die »Lauterer Buwe«, bevor sie das Team aus Düsseldorf im Halbfinale demoralisierten und ins Finale einzogen. Hier trafen die Hauptstadt-Kicker auf den Frankfurter Verein und unterlagen nach glorreichem Kampf in einem nervenzerreißenden und an Spannung nicht zu übertreffenden Spiel letztendlich knapp mit 8:1. Unter dem Jubel seiner Anhänger wurde dem Team von »Ocker-Beige-Berlin« der Pokal für den zweiten Platz beim »City-Cup« überreicht. Auch die Jungs selbst waren stolz und glücklich: »Wir wollten unbedingt mit einem Pokal wieder nach Hause fahren. Während der Vierte der Deutschen Meisterschaft le-diglich eine Urkunde erhielt, haben wir unser Ziel erreicht und haben den Pott.« Eine taktische Meisterleistung des nicht gerade favorisierten Teams aus Berlin. Die Heimreise wurde zu einem einzigartigen Triumphzug. An jeder Autobahnrast-stätte wurde den staunenden Reisenden der Pokal präsentiert: »Da ist das Ding!«

Bei den Mannschaften, die um den Deutschen Meistertitel spielten, setzte sich der Titelverteidiger von »Jugend hilft Ju-gend« aus Hamburg durch. Den »Fair-Play-Pokal« für ein fai-res Miteinander auf und neben dem Platz wurde an den »Ka-landhof« aus Celle verliehen. Aus allen teilnehmenden Teams wurde außerdem noch ein Kader für das »Team Germany« zu-sammengestellt, welches hoffentlich am diesjährigen Homel-ess World Cup im Oktober in Chile teilnimmt. Momentan werden dafür Sponsoren gesucht. Auch der Deutsche Fußball Bund ist hier gefragt. Der strassenfeger hatte den DFB nach dem Homeless World Cup 2013 in Poznań um Unterstützung für die deutsche Nationalmannschaft der Wohnungslosen-Fußballer angefragt, die auch von der DFB-Führung zugesagt wurde. Aber auch nationale Großkonzerne könnten hier ihr soziales Engagement zeigen.

Das Gangway-Team »Ocker-Beige-Berlin« in Karlsruhe (Quelle: Gangway)

Page 29: Die Stadt gehört uns! – Ausgabe 13 2014 des strassenfeger

strassenfeger | Nr. 13 | Juli 2014 AUS DER REDAKTION | 29 R a t g e b e r

I N FO

Mehr zu ALG II und SozialhilfeDer neue Leitfaden ALG II/Sozialhilfe von A–Z (Stand Juli 2013)

› erhältlich für 11 EUR im Büro des mob e.V., Storkower Str. 139d,, oder zu bestellen bei: DVS, Schumanstr. 51, 60325 Frankfurt am Main,

› Fax 069 - 740 169

› www.tacheles-sozialhilfe.de › www.erwerbslosenforum.de

Ein erzwungener Darlehens-vertrag ist rechtswidrigWICHTIGE URTEILE DES BUNDESSOZIALGERICHTS TEIL 3R A T G E B E R : J e t t e S t o c k f i s c h

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 22.3.2012 – Az. B 4 AS 26/10 R festgestellt, dass ein er-zwungener »freiwilliger« Darlehens-

vertrag rechtswidrig ist.

Hierbei geht es im Prinzip um die häufige Praxis der Jobcenter, Leistungen, auf die ein Rechtsan-spruch besteht, nur zu gewähren, wenn sich Be-troffene per Darlehensvertrag dazu verpflichten, das Geld wieder zurückzuzahlen. Unter dieser Drohung sehen sich viele Betroffene gezwungen, den Darlehensvertrag zu unterschreiben, weil sie das Geld einfach sofort benötigen.

Besteht ein Rechtsanspruch auf eine Leistung, ist die Darlehensvergabe für diese Leistung rechts-widrig. Das BSG argumentierte u. a.: »Nach § 46 Abs. 2 SGB I ist der Verzicht auf Sozialleistun-gen unwirksam, soweit durch ihn andere Perso-nen oder Leistungsträger belastet oder Rechts-vorschriften umgangen werden.«

Der »Verzicht auf Sozialleistungen« besteht hier darin, dass Betroffene über die Tilgung durch den Darlehensvertrag, auf die ihnen ei-gentlich in voller Höhe zustehenden Regelsätze (Sozialleistungen) verzichten. Jedoch ist dieser Verzicht durch ein Darlehen nicht grundsätz-lich rechtswidrig. Muss z. B. ein Kühlschrank ersetzt werden und es ist weder Vermögen noch anderes Einkommen vorhanden, sieht das Ge-setz in der Regel die Vergabe eines Darlehens vor (§ 24 Abs. 1 SGB II).

Die Rechtsvorschriften werden jedoch nach o.g. § 46 SGB I umgangen, wenn auf die Leistungen ein Rechtsanspruch besteht und das Jobcenter nur bereit ist, ein Darlehen zu vergeben. Das ist rechtswidrig, denn zu einem Darlehensver-trag darf niemand gezwungen werden, wenn ein

Rechtsanspruch auf die Leistung besteht. Bei-spiel: Durch Obdachlosigkeit verursacht wird für eine Wohnung eine Erstausstattung bean-tragt. Das Jobcenter lehnt den Antrag ab, weil vor Jahren schon einmal eine Erstausstattung für eine Wohnung gewährt wurde. Jedoch er-klärt es sich zur Gewährung der Erstausstattung bereit, wenn der Betroffene einen Darlehens-vertrag unterschreibt. Hier wird die Rechtsvor-schrift auf Gewährung der Erstausstattung als Zuschuss umgangen. Der Darlehensvertrag ist deshalb unwirksam. Er sollte sofort durch Wi-derspruch angefochten werden. Natürlich erst sofort nach Erhalt des Geldes.

In diesem Ratgeber wurde das Thema der Zwangskredite schon mehrmals behandelt. Es wurde auch schon mehrmals darauf hingewie-sen, dass die Vorgehensweise rechtswidrig ist. In der Sozialberatung wurde Betroffenen geholfen, die Darlehensverträge rückgängig zu machen und das vom Jobcenter einbehaltene Geld zu-rück zu erhalten, denn die Mitarbeiter wissen, dass Zwangskredite rechtswidrig sind!

In dem o.g. Urteil ging es um ein rechtswidri-ges Darlehen für eine Kaution nach Rechtslage vor 2011. Zur Zeit dieser Darlehensvergabe war die Kautionsgewährung in der Regel als Zuschuss vorgesehen. Mit den Gesetzesände-rungen zu 2011 wurde der Zuschuss zur Kau-tion abgeschafft und die Kaution voll unter den Darlehensparagrafen 42 a eingeordnet, ohne dass dafür eine bestimmte Summe zusätzlich im Regelsatz vorgesehen ist.

Das BSG argumentierte hier: »Mit diesem Ver-zicht würden daher die für den streitigen Zeit-raum geltenden gesetzgeberischen Wertent-scheidungen zur Ausgestaltung des Grundrechts zur Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewähr-

leistung eines menschenwürdigen Existenzmini-mums unterlaufen.« Dieser Satz sollte auch für die Kautionsgewährung nach den Gesetzesände-rungen 2011 anwendbar sein.

Denn die Rechtmäßigkeit der langen Zeit der Abzahlung des Darlehens für eine Kaution ist zumindest verfassungsmäßig »bedenklich«. So müsste für eine Kaution (z. B. in Berlin) etwa ein Darlehen von rund 750€ (Nettkaltmiete 250€ x 3=750€) aufgenommen werden. Das heißt für einen Zeitraum von fast 20 Monaten fehlen den Betroffenen jeden Monat knapp 40 Euro. Das sah das Berliner Sozialgericht (Az. S 37 AS 24431/11 ER vom 30.9.2011) ähnlich und lehnte ein Darlehen in diesem Fall ab. Die Klägerin war ohne Vermögen, ohne zusätzli-ches Einkommen und zurzeit ohne Aussicht, arbeiten zu können.

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 201430 | AUS DER REDAKTION K o l u m n e

Karikatur: Andreas Prüstel

Aus meiner SchnupftabakdoseK O L U M N E : K p t n G r a u b ä r

»Hurra! Wir werden reicher!« könnten am 1. Juli die Rentner rufen. An diesem Tag greift die Rentenan-passung. Es gibt 1,7 Prozent mehr für jeden Rentner, und das monatlich! Allerdings sollten sie sich nicht zu früh freuen und womöglich Pläne schmieden, wie

sie das Geld verprassen können. Im Schnitt nimmt ihnen das Finanzamt gleich wieder 25 Prozent davon weg. Da bleiben dann also nur 1,2 Prozent, und dieser Summe steht dann eine Inflationsrate von 0,9 Prozent gegenüber. Ganze 0,3 Prozent bleiben und sollen für ein Jahr reichen, den Kauf-kraftverlust auszugleichen.

Für einen relativ gut versorgten Durchschnittsrentner, der um die 1 000 Euro im Monat hat, sind das 3,50 Euro mehr im Monat. Wenn er die brav spart, kann er sich alle Vierteljahr eine Pizza leisten oder einmal im Monat ein Weizenbier in der Eckkneipe, jedenfalls theoretisch. Für Rentner mit niedrige-ren Bezügen gilt das natürlich nicht. In Wirklichkeit ist näm-lich die Inflationsrate viel höher als 0,9 Prozent. Der niedrige Wert kommt dadurch zustande, dass Computer und Autos billiger geworden sind, die Preise für Benzin und Heizöl vorü-bergehend nachgelassen haben und sogar Gemüse wohlfeiler geworden ist. Andere Lebensmittel, zum Beispiel Molkerei-produkte und Fleisch sind erheblich teurer geworden. Die astronomischen Mietpreiserhöhungen und die stetig höher werdenden Stromrechnungen, mit denen wir unseren Plane-ten retten, sind mit dieser Rentenanpassung auch nicht zu begleichen. Vielleicht sollten sich Rentner daran erinnern, wie lecker nach dem Krieg ein Margarinebrot mit Radieschen oder Tomaten schmeckte …

Wie eine ordentliche Versorgung aussehen muss, macht uns der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Gabriel vor. Zu seinen 14 000 Euro Ministergehalt und 4 000 Euro Abgeordnetendiäten gönnt er sich weitere 2 000 Euro Auf-

wandsentschädigung für seine Nebentätigkeit als Parteivor-sitzender. Die bekommt er aus den Beiträgen der Mitglieder, die ja mit ihrem Beitritt zur SPD für den sozialen Fortschritt kämpfen wollen. Das wäre dann ja erreicht, wenn Gabriel so einkommensmäßig mit der Kanzlerin fast auf Augenhöhe ist. Man fragt sich, was darüber seine Parteigenossen denken, die ebenfalls ehrenamtlich in Nebentätigkeit für die Partei arbeiten und auch noch die Plakate kaufen müssen, die sie aufhängen. Man darf gespannt sein, wann der Wirtschafts-minister beim ersten zarten Konjunkturrückgang uns auf-fordert, den Gürtel enger zu schnallen. Anderseits ist der Vorgang auch ein schönes Beispiel für die Transparenz in der Politik. Wenn man sich Herrn Gabriel anschaut, sieht man deutlich, wo sein Zugewinn bleibt …

Es gibt aber auch schöne Neuigkeiten. Unsere Kinder wer-den immer intelligenter. Bei den Abiturprüfungen schnellt die Zahl der Zeugnisse mit einem Notendurchschnitt 1,0 Jahr für Jahr in die Höhe. 4 600 haben jetzt diese Traumnote erreicht. Auch die Durchschnittsnote aller Abiturienten verbessert sich ständig. Die Berliner Schüler schneiden da am besten ab, sie haben ihren Schnitt von 2,68 auf 2,4 verbessert. Da werden sich viele Eltern schämen, ihrem Nachwuchs ihr eigenes Rei-fezeugnis zu zeigen, das oft nur ausreichende oder befriedi-gende Leistungen bescheinigt. Ich befürchte auch, dass ich eines Tages ein Schreiben meiner alten Schule bekommen werde, in dem mir mitgeteilt wird, dass meine Noten nicht den heutigen Ansprüchen genügen und meine Versetzung in die Oberprima widerrufen wird. Natürlich wird dann auch mein Abitur für ungültig erklärt. Wir haben damals in der Schule nur Wissen erworben. Das veraltet mit den Jahren, wenn man nicht aufpasst. Unsere Kinder erwerben Kompetenzen, zum Beispiel die Kompetenz, ein Reifezeugnis zu erlangen. Wissen ist dabei eher hinderlich und obendrein überflüssig, denn es steht ja alles in Wikipedia oder lässt sich leicht ergoogeln.

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Vorschau

s t r a s s e n fe g e r N r. 1 4

»Berlin, Berlin«erscheint am 14. Juli 2014

»GUERILLA GARDENING«

»EINE BOOTSFAHRT, DIE IST LUSTIG!«

»BERLINER SCHNAUZE«

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strassenfeger | Nr. 13 | Juli 2014 AUS DER REDAKTION | 31

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T I T E L B I L D Die obdachlosen Bewohner der Cuvry-Brache erobern sich die Stadt (Foto: Thomas Grabka)

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