die spur des drachen - der spiegel

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Recke beim Schwertschmieden den Am- boss kaputt. Und seine Strahlkraft hält bis heute an. Es gibt ihn als Comic, im Film und auf der Opernbühne. Worms hat ihm vor vier Jahren ein Museum errichtet. Siegfried sei eine „Kernfigur der deutschen Kultur- geschichte“, so sieht es der Vorsitzende der Nibelungenlied-Gesellschaft, Volker Gallé. Und erst dieses Epos! In rund 2400 Stro- phen kündet das „Nibelungenlied“ vom tragischen Tod des Helden. Trotz Tarn- kappe und Hornhaut fällt Siegfried einer Intrige am Hof des Burgunderkönigs Gunther zum Opfer. Am Ende versenkt sein Mörder Hagen von Tronje den Hort, 144 Wagenladungen voll Kostbarkeiten, im Rhein (siehe Grafik Seite 150). Für viele Forscher scheint ausgemacht: All das ist Legende, Phantasie. Siegfried gilt ihnen als nordischer Herakles, den Göt- tern näher als den Menschen. All das hätten sich vor 1000 und mehr Jahren die germanischen Sänger ausgedacht, umge- ben von Runen und einfachen Flecht- wandhütten. Oder war alles ganz anders? Verbirgt sich hinter dem Recken vom Rhein wo- Titel E s beginnt mit einem Hinterhalt: In einer Grube versteckt, lauert Sigurd (wie er im Altnordischen heißt) dem Untier auf. Als es über ihn hinweggleitet, sticht er von unten zu. Der „gleißende Wurm schüttelte sich und schlug mit Kopf und Schwanz um sich“, berichtet die um 1250 in Nordeuropa verfasste Lieder- sammlung „Edda“. Rot bis zu den Achseln, schneidet der Attentäter dem Drachen das Herz heraus und brät es „an einem Stecken“. Schließ- lich dringt er in dessen Höhle ein. Sie hat Eisentüren. Dahinter liegt ein „glutroter Schatz“, der fluchbeladene Hort der Ni- belungen. Sagas von Grönland bis nach Böh- men berichten vom größten germani- schen Helden: Er hatte Schultern „so breit wie zwei Männer“ und eine Hornhaut aus dem Blut des gift- speienden Lindwurms. „An Tüch- tigkeit und Tapferkeit“ habe der Bursche „mehr besessen als alle an- dern in der Nordhälfte der Welt“, preist ihn die – um 1250 wohl in Nor- wegen verfasste – „Völsunga saga“. In einem Volksbuch von 1530 haut der Die Spur des Drachen Gab es einen echten Siegfried? Liegt der Schatz der Nibelungen in einem Berliner Museum? Forscher suchen nach einem historischen Kern des Lindwurm-Epos. Ihr Verdacht: Der Sagenheld ist identisch mit Hermann dem Cherusker, der vor 2000 Jahren das militärische Ungeheuer Rom herausforderte. Hermannsdenkmal, römischer Heerzug*: Partisanenkrieg gegen den Legionärswurm der spiegel 20/2005

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Titel

Die Spur des DrachenGab es einen echten Siegfried? Liegt der Schatz der Nibelungen in einem Berliner

Museum? Forscher suchen nach einem historischen Kern des Lindwurm-Epos. Ihr Verdacht: Der Sagenheld ist identisch mit Hermann dem Cherusker,

der vor 2000 Jahren das militärische Ungeheuer Rom herausforderte.

Es beginnt mit einem Hinterhalt: Ineiner Grube versteckt, lauert Sigurd(wie er im Altnordischen heißt) dem

Untier auf. Als es über ihn hinweggleitet,sticht er von unten zu. Der „gleißendeWurm schüttelte sich und schlug mit Kopfund Schwanz um sich“, berichtet die um1250 in Nordeuropa verfasste Lieder-sammlung „Edda“.

Rot bis zu den Achseln, schneidet derAttentäter dem Drachen das Herz herausund brät es „an einem Stecken“. Schließ-lich dringt er in dessen Höhle ein. Sie hatEisentüren. Dahinter liegt ein „glutroterSchatz“, der fluchbeladene Hort der Ni-belungen.

Sagas von Grönland bis nach Böh-men berichten vom größten germani-schen Helden: Er hatte Schultern „sobreit wie zwei Männer“ und eineHornhaut aus dem Blut des gift-speienden Lindwurms. „An Tüch-tigkeit und Tapferkeit“ habe derBursche „mehr besessen als alle an-dern in der Nordhälfte der Welt“,

preist ihn die – um 1250 wohl in Nor-wegen verfasste – „Völsunga saga“. Ineinem Volksbuch von 1530 haut der

Hermannsdenkmal, römischer Heerzug*: P

d e r s p i e g e

Recke beim Schwertschmieden den Am-boss kaputt.

Und seine Strahlkraft hält bis heute an. Es gibt ihn als Comic, im Film und aufder Opernbühne. Worms hat ihm vor vierJahren ein Museum errichtet. Siegfried sei eine „Kernfigur der deutschen Kultur-geschichte“, so sieht es der Vorsitzende derNibelungenlied-Gesellschaft, Volker Gallé.

Und erst dieses Epos! In rund 2400 Stro-phen kündet das „Nibelungenlied“ vomtragischen Tod des Helden. Trotz Tarn-kappe und Hornhaut fällt Siegfried einerIntrige am Hof des BurgunderkönigsGunther zum Opfer. Am Ende versenktsein Mörder Hagen von Tronje den Hort,144 Wagenladungen voll Kostbarkeiten, imRhein (siehe Grafik Seite 150).

Für viele Forscher scheint ausgemacht:All das ist Legende, Phantasie. Siegfriedgilt ihnen als nordischer Herakles, den Göt-tern näher als den Menschen. All das hätten sich vor 1000 und mehr Jahren diegermanischen Sänger ausgedacht, umge-ben von Runen und einfachen Flecht-wandhütten.

Oder war alles ganz anders? Verbirgtsich hinter dem Recken vom Rhein wo-

artisanenkrieg gegen den Legionärswurm

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Drachentöter Siegfried (Farbdruck von 1904): Der Held verspeist das Herz

möglich eine wahre Person? Enthaltendie Nibelungen eine verwackelte histori-sche Botschaft?

Unter Handschriftenforschern, Germa-nisten und Archäologen schwelt eine aben-teuerliche Debatte. Hinter dem Märchen-schleier aus Zwergen, Tarnkappe und Zaubergürtel soll sich ein Faktenkern be-finden. Siegfried, heißt es, sei nicht als Mythos, sondern als realer Mensch zu be-handeln.

Und es gibt einen Kandidaten, der an-geblich als Vorbild für den Drachentöterdiente. Auch der erschlug eine Art Lind-wurm – dieser allerdings trug Kettenhem-den, Sandalen und schwere Eisenhelme,hatte über 36000 Füße und rasselte bei je-dem Schritt. Gemeint ist Hermann derCherusker, der in Westfalen den aus drei

* Links: im Teutoburger Wald; unten: aus dem Film „Gla-diator“.

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römischen Legionen bestehenden Armee-zug des Varus besiegte.

Im Jahre 9 nach Christus, berichtet Ta-citus, lockte der Germane das feindlicheHeer in einen Hinterhalt. Die 17., 18. und19. Legion, dazu drei Reiter- und sechs In-fanterie-Einheiten, gingen zugrunde. Hoherömische Offiziere bluteten unter dem Op-fermesser germanischer Priester.

Die Schlacht schrieb Weltgeschichte.Roms Reichsdoktrin – Vorverlegung derGrenze bis zur Elbe – scheiterte. Trotz wü-tender Gegenangriffe konnten Augustus(Kaiser bis 14 n. Chr.) und Tiberius (bis 37n. Chr.) ihr Ziel nie erreichen.

Exakt diese Auseinandersetzung soll sichim Drama vom Lindwurm symbolisch spie-geln. Über Abgründe der Schriftlosigkeitund „zersungen“ von den Spielleuten, sei der Triumph am Teutoburger Wald zur Legende verzerrt worden – so sah es der Wiener Germanist Otto Höfler, der

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Die Nibelungensage . . .Heldenlied in ca. 2400 Strophen

13 Jahre später folgt Kriemhild einemBrautwerber zu König Etzels Burg in Gran (Ungarn)und sinnt auf Rache. Sie lockt ihre Brüder zu einemFest. 9000 unbewaffnete Burgunder werden in ei-nem Hinterhalt getötet. Hagen und die Könige, diegerade im Festsaal speisen, greifen zu den Waffen.Dietrich von Bern, der am Hof Etzels im Exil lebt,erhält freies Geleit. Es entbrennt ein grausamerKampf. Am Ende zündet Kriemhild den Palast an,lässt ihren Bruder Gunther enthaupten und schlägtihrem Todfeind Hagen den Kopf ab. Hagen nimmtsein Wissen um den Nibelungenschatz mit ins Grab.Zuletzt fällt Kriemhild selbst unter dem Streich vonDietrichs altem Waffenmeister Hildebrand.

Siegfried, Königssohn aus Xanten, wirdzum Drachentöter und gelangt in den Besitz desSchatzes der Nibelungen. Beim Burgunder Gunther inWorms wirbt er um dessen Schwester Kriemhild. Erdarf sie ehelichen, nachdem er dem König hilft, diestarke Brünhild im Dreikampf zu bezwingen. Unsicht-bar unter einer Tarnkappe, führt er Gunther beim Weit-wurf die Hand und trägt ihn beim Sprung. Weil sichdie Besiegte in der Hochzeitsnacht dennoch verwei-gert, muss der Recke erneut einspringen. Jahre späterverrät Kriemhild den Betrug und nennt Brünhild eineDirne ihres Mannes. Hagen von Tronje nimmt diesals Vorwand für einen Mordplan: Er ersticht Siegfriedauf der Jagd. Dann bringt er den Nibelungenhort ansich und versenkt den Schatz im Rhein.

1. Teil1. Teil

2. Teil2. Teil

Titel

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bereits in den sechziger Jahren Eck-steine für das Gedankengebäudeaufstellte. Und es gibt erstaunlicheDetails: • Siegfried ersticht einen Wurm mit

langem Körper, in den Textenauch „funkelnde Schlange“ ge-nannt – der Heerzug des Varus,blitzend von Metall, war etwasechs Kilometer lang.

• Der Drache aus der Legende trägteinen „Schreckenshelm“ auf demKopf. In seinem Hort liegenSchwert und Brustpanzer. Genausolche Waffen erbeuteten dieGermanen wirklich.

• Siegfried hat eine Tarnkappe –auch Hermann blieb für denFeind meist unsichtbar. Er mieddie offene Feldschlacht und

AK

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„Kriemhild an Siegfrieds Bahre“, Farblithografie nach einem Gemälde von Emil Lauffer (1879)

abgebildete Personen: 1 Burgunderkönig Gunther, 2 Hagen von Tronje, 3 Gernot und 5 Giselher – Brüder vonGunther, 4 Siegmund – Vater von Siegfried, 6 Kriemhild, 7 Siegfried, 8 Ute – Mutter von Kriemhild, Gunther,Gernot und Giselher, 9 Brünhild

kämpfte nach Guerilla-Art. „DasHauptproblem der Römer lagdarin, den mobilen Feind über-haupt zu stellen“ (so der Histori-ker Rainer Wiegels).Am verblüffendsten ist der

womöglich identische Vorname derbeiden Streiter. Denn „Arminius“hieß der Freiheitskämpfer nur bei

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den Römern. Diese Bezeichnung ver-deutschte das 18. Jahrhundert zu „Her-mann“. Sein Originalname jedoch klanganders: Bekannt ist, dass von acht Mitglie-dern der cheruskischen Königssippe fünfdie Vorsilbe Segi (Sieg) im Namen trugen.Der Vater nannte sich Segimer, der Schwa-ger Segimund.

Ist Arminius also der wahre Siegfried?Eine spannende Spur tut sich da auf.

Doch die neue Gleichung vom Heldenim Doppelpack will nicht allen schmecken.Höflers Who’s who im Reich der Nibelun-gen hat viel Ablehnung hervorgerufen. DieGeschichte sei „reine Fiktion“, wehrt derMainzer Historiker Peter Arens die Theo-rie ab.

Viele halten den Drachenmörder füreine reine Märchenfigur, die mit der Ge-schichte vom Starken Hans verbunden ist.

Andere sehen ihn als Heros im Übergangvon der Stein- zur Eisenzeit, als dieMenschheit die Metallbearbeitung erlern-te. So wie der Schmied Feuer machte, umdas Erz aus dem Bergwerk zu schmelzen,habe Sigurd dem flammenspeienden Dra-chen die Schätze aus der Höhle gestohlen.

Moderne Kulturschaffende meiden dasThema lieber ganz – es ist ihnen zu belas-

Bereits in frän-kischer Zeitwurden die bei-den Ereignissezu einer Sageverknüpft.

. . . und ihredunklen Quellen

Tod des Hunnen AttilaAttila (= Etzel), Alleinherrscher derHunnen, eines eurasischen Reiter-volks, dessen Ansturm auf Europa amBeginn der Völkerwanderung steht.Seine germanische BrautIldico (= Kriemhild)* steht in demVerdacht, an seinem Tod in der Hoch-zeitsnacht Anteil zu haben.

Untergang der BurgunderGundahar (= Gunther),Heerkönig der Burgunder, wirdvom römischen Feldherrn Aetiusund hunnischen Hilfstruppen ver-nichtend geschlagen. Chronikenzufolge stirbt „fast das ganze Volkund der König“.

436 n. Chr.

453 n. Chr.

um 1200: Niederschrift des NibelungenliedesDer unbekannte Dichter des Epos vermischt mehrere Sagenkreise („Uns ist in altenMaehren wunders vil geseit“). Dabei verwendet er historische Helden aus derÜberlieferung und bettet sie in eine neueHandlung ein.

Endgültiger Unter-gang WestromsTheoderich der Große(= Dietrich von Bern)Der Ostgotenkönig erobertRavenna und ermordet denletzten weströmischenRegenten Odoaker.

VarusschlachtArminius (= Siegfried)*

Der Germane organisiert den Wider-stand gegen das Militär-UngeheuerRom. 21 n. Chr. von Verwandtenermordet.Thusnelda (= Brünhild)* Die Frau desArminius wird 15 n. Chr. als Kriegsge-fangene nach Rom gebracht.

493 n. Chr.

In der ursprünglichenSiegfriedsage tötet derHeld den Lindwurm und ge-winnt den Nibelungenschatz.Danach freit er nicht umKriemhild, sondern um Brün-hild, die hinter einem schierunüberwindlichen Feuerkreisauf Erweckung wartet.

9 n. Chr.

Dietrichsagen

*umstritten

tet. Richtig ist: Jahrhundertelang wurdeSiegfried als Edel-Arier missbraucht, blondund blauäugig.

Als 1755 die erste Handschrift des „Ni-belungenliedes“ wiederentdeckt wurde,stieg das Verswerk alsbald in den Rang ei-ner „Ilias des Nordens“ auf. Von „düsterenGewalten“ und „grausamer Todeslust“,hieß es, würde das vergilbte Pergamentkünden – und von der „Wiederkehr deut-scher Glorie“.

Als das Heer 1871 in Paris einzog, war Bis-marck der „Siege-Fried“. Im Ersten Welt-krieg ließ Kaiser Wilhelm II. die „Sieg-friedlinie“ bauen – vier Jahre später folgtedie Niederlage, verbrämt durch die „Dolch-stoßlegende“. Adolf Hitler stieg im Zeichender SS-Runen auf. Und noch HermannGöring rief den Soldaten von Stalingrad zu,sie sollten sich wehren wie die eingeschlos-senen Nibelungen in Etzels Burg, die mitBlut ihren Durst löschen.

Nach dem Krieg waren die Sinnangebo-te erschöpft. Im Film verquoll der Heldzum Hammerwerfer Uwe Beyer. Auf derBühne mutierte er zum Nazi.

Kaum anders erging es dem anderen Su-permann in Schwarz-Rot-Gold: Hermann.Als Eisenstatue mit Helmbusch, 26 Meterhoch, ragt der „Befreier Germaniens“ beiDetmold über den Teutoburger Wald. „Ichhab ihn von hertzen lib“, befand Luther.Doch das ist lange her.

Während Asterix beim Nachbarn Frank-reich zum Volkshelden aufstieg, wirkt Arminius, der reale Widerständler gegenRom, steif, vermufft, altdeutsch. Sei-ne Frau hieß Thusnelda und sank als

„Tussi“ zur Patin aller dummen Mädchenherab.

Auch der Wegbereiter der Arminius-gleich-Siegfried-Formel, der GermanistHöfler, ist dem politisch korrekten Lagerverdächtig – und tatsächlich hat er brauneFlecken auf der Weste: Als junger Mann ar-beitete er beim SS-Ahnenerbe mit. SeinerGleichung hafte das „Odium deutschna-tionaler Rhetorik“ an, meint der WienerHistoriker Herwig Wolfram.

Andere halten dagegen. „Bloß keineMaulkörbe verteilen“, sagt der EthnologeGallé. Er rät, die Scheuklappen abzulegenund einen frischen Blick auf die National-stars zu wagen. „Beide sind von chauvinis-tischem Nebel umhüllt. Wir müssen siewiederentdecken.“

Die breite Masse tut das bereits. ÜberPfingsten werden in Kalkriese bei Osna-brück 30000 Besucher zu einem „Gipfel-treffen am Ort der Varusschlacht“ erwartet.Geplant ist Europas größte Historienschaumit kostümierten Legionären aus Englandund Italien. An Herdfeuern brutzelt origi-nal fades Essen aus Germania.

Und auch die Suche nach dem wahrenSiegfried ist voll entbrannt. Die Erkennt-nisse der Archäologie zeigen, dass dieGermanen einst enorme Schätze erbeute-ten. Damit ergibt sich eine völlig neue Sichtauf den sagenhaften Nibelungenhort.

Allein nach der Varusschlacht fielen denSiegern zentnerweise Werkzeuge, prunk-volle Möbel, Sessel und Silberbestecke indie Hände. Weil ihre Schmiede nur min-derwertiges Raseneisenerz verhütten konn-ten, waren die Cherusker, Langobarden

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und Chatten versessen auf alles Metalli-sche. Also rissen sie den toten Soldaten je-den Knopf, jede Gürtelschnalle vom Leib.

Das – 1987 entdeckte – Schlachtfeld vonKalkriese wurde über Jahre geplündert, je-des Stück Schrott mitgenommen. Übrigblieb fast nur Krimskrams. Die Ausgräberfanden Griffe von Prunkgefäßen, kleineSchmucknägel von Truhen und Gliedervon Kettenhemden. Ein einziger Silberlöf-fel kam zutage; die Sammler hatten ihnübersehen.

Den Verfechtern der Siegfried-Arminius-Gleichung passt das ins Bild. Für sie ist dasberühmte „Rheingold“ nichts anderes alsRaubgut, das die germanischen Stämmeum Christi Geburt als Kriegsbeute ein-heimsten. Von dort habe die Sage ihrenAusgang genommen.

Und es gibt sogar einen konkreten Ver-dacht, wo Siegfrieds Klunker noch heuteliegen könnten. In einem spannenden Aufsatz hat der Magdeburger ProfessorWalter Schuhr „Anlass zu der Vermutung“geäußert, dass der Nibelungenhort mit dem „Silberschatz von Hildesheim“ iden-tisch sei.

Ebenjener Fund ist der größte antikeEdelmetallschatz, der je jenseits der Alpenentdeckt wurde. Sein Gewicht: 54 Kilo-gramm. Er liegt, verteilt auf drei Vitrinen,die eher schmucklos in ein Seitengelass ge-sperrt sind, in der Antikensammlung desAlten Museums in Berlin.

Bereits 1868 hatten Soldaten beim Aus-heben eines Schießstandes das Tafelge-schirr am Galgenberg bei Hildesheim ent-deckt. Sie bargen vergoldete Karaffen, Bei-

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Restauratorin NiemeyerPrunkbecher im Acetonbad

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stelltische und mit Girlanden, Lorbeer undTheatermasken verzierte Prunkbecher. ImDreck lagen Silberteller, Näpfe für Soßen,Kasserollen. Das schwerste Stück, ein Kra-ter zum Mischen von Wein und Wasser,wiegt knapp zehn Kilogramm.

„Klassische Schönheit“ sprechen die For-scher dem Fund zu, er sei nahezu einzigar-tig. Nur die Pretiosen von Boscoreale – ei-ner antiken Villa, die in der Vulkanasche desVesuv versank – können da noch mithalten.

Derzeit wird das alte Tafelsilber von Bar-bara Niemeyer untersucht. Sie hat bereitsRöntgenbilder davon anfertigen las-sen. Die Restauratorin vom AltenMuseum taucht einen Kelch ins Ace-tonbad. Alte Lackreste werden ent-fernt. „Die Lötstellen der Henkel wa-ren vielfach abgebrochen“, erklärtsie. Einige hat sie neu zusammenge-setzt.

Hinter ihr, in der Werkstatt, stehenRankenbecher und Kandelaber, überdie sich dunkle Patina aus Silbersulfidzieht. Einige Teile funkeln schon wie-der. „Die Römer haben unglaublichprunkvoll gespeist“, sagt Niemeyer.Selbst die „Heraklesschale“ ist mitGebrauchsspuren übersät. Nur, wiegelangte das kostbare Essgerät so hochin den Norden? „Ein germanischerKönig hätte sich so etwas nie leisten

21CheOrgstasch(gewirerm

hr. Roms Kaiser Augustus plantsdehnung des Imperiums bis zureginn der „Germanenkriege“.

he nach Siegfriedbelungen im geschichtlichen Umfeld

hr. „Schlacht im Teutoburger Wald“

16 n. Chr. Hochphase der Kämpfetfälisch/niedersächsischen Raum.rliert rund 50 000 Soldaten.

I S C H E Z E I T

ögliche Vorbilder fürie Sagenfigur Siegfried

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können“, so der Heidelberger HistorikerReinhard Stupperich. Er vermutet, dass diePrunkstücke einem römischen Offiziergehörten. Die Gegend um Hildesheim aberwar nie von der Weltmacht des Altertumsbesetzt.

Doch jetzt löst sich das Rätsel: Die neu-en Analysen, darunter auch mikroskopi-sche Verfahren, zeigen, dass der Fund fastpunktgenau aus jener Zeit um Christi Ge-burt stammt, als es zum großen Schlagab-tausch zwischen Römern und Germanenkam. Es ist folglich Kriegsbeute.

Auch der Tübinger Vor- und Frühge-schichtler Reinhard Wolters tippt auf Plün-dergut. Seine Idee: „Die Germanen habenmehrfach ganze römische Trosse ausge-raubt.“ Diese seien, vom Bett bis zumSchuhzeug, unter den Barbaren aufgeteiltworden. Einen Teil davon hätten sie so-dann in ihren Heiligtümern den Götterngeopfert. So seien auch die HildesheimerTafelsets in den Boden geraten.

All diese Überlegungen verleihen derIdee vom doppelten Helden neue Plausi-bilität.

Aber auch Germanisten und Runenkund-ler haben interessante Entdeckungen ge-macht. Sie spüren – in Wort und Bild – einerGestalt nach, die zu den erstaunlichsten derWeltliteratur zählt. Im Mittelalter war Sieg-

n. Chr. Arminius,ruskerhäuptling undanisator des Wider-nds gegen die römi-en Legionen,boren um 16 v. Chr.)d von Verwandtenordet.

um 50 n. Chr. ÄltesteRuneninschrift (auf einerGewandspange in Dith-marschen)

100 n. Chr. Preisliedergermanischer Sänger aufdie Taten des Cheruskers.

Limes

Ö M I S C H E S

R E I C HSchlachtfeld bei Kalkrieseam Teutoburger Wald

bedeutende römische Städte,Militärlager und Kastelle

SU -EBEN

Regensburg

DonauRhein

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fried von den Färöer-Inseln bis nach Spa-nien bekannt. An der Kirche von Sangüesa(Nordspanien) ist er ins Portal geschnitzt.

Vor allem aber im hohen Norden hin-terließ der Hornhäutige Spuren. Es gibtBildsteine von ihm auf Gotland, Norwe-gen und auf der Isle of Man. Berühmt istdie Felsritzung von Ramsundberg inSchweden (um 1030 n. Chr.). Sie zeigt aufeiner Breite von 4,7 Metern, wie der Heldein schlangenartiges Monster ersticht.

In Deutschland sind die Vorläufer derSage leider alle verloren. Ein Unstern wal-tete auf der althochdeutschen Literatur.Zwar ließ schon Karl der Große (747 bis814) „barbara et antiquissima carmina“,also barbarische und älteste Lieder, vonden Taten seiner Vorfahren niederschrei-ben. Doch sein frömmelnder Sohn Ludwigvernichtete das Werk.

Dafür leuchtet das um 1200 verfasste „Ni-belungenlied“ um so heller. In 39 „Aven-tiuren“ erzählt es von feinen Rittersleut undhöfischem Leben. Verfasst hat es ein Unbe-kannter im Raum Passau. Kaiser FriedrichBarbarossa war damals gerade beim An-marsch zum Kreuzzug ins Heilige Land imFluss Saleph (in Anatolien) ertrunken.

Das Lied erzählt vom Besuch desDrachentöters am Hof des Burgunderkö-nigs Gunther. Als er dessen schöne Schwes-

ter Kriemhild sieht, entbrennt seineLiebe, er will sie heiraten. Als Be-dingung verleitet der König ihn zueinem Betrug. Siegfried soll ihm hel-fen, die überstarke Isländerin Brün-hild zu freien – die will sich aber nurdem Mann hingeben, der sie imDreikampf besiegt.

Unsichtbar durch seine Tarnkap-pe, unterstützt der Held Gunther, derdadurch den athletischen Wettkampfgewinnt. In der Hochzeitsnacht ver-weigert sich Brünhild dennoch demKönig – erneut muss der Mann mitder Zaubermütze einspringen, er hilftGunther beim Vollzug des Sexual-akts. Später fliegt der Skandal auf.Brünhild fühlt sich entehrt, der Bur-gunderfürst Hagen von Tronje will

um 300 Victor von Xanten, einrömischer Soldat, wird als Christ undBefehlsverweigerer in Xanten hinge-richtet. Das Mittelalter verehrt ihnspäter als Drachentöter.

um 100 n. Chr. Das römische Xantenerhält Stadtrechte.

2. Jhdt. Neuerlicher Landgewinn derRömer. Das Imperium verlegt denGrenzwall (Limes) weiter nach Norden.

um 350 Wulfilas Gotenbibel –älteste germanische Literatur

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V Ö L K

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Silber von Hildesheim*: Wurde die Kriegsbeute der Germanen zum mythischen Nibelungenschatz?

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sie rächen. Er ersticht mit ZustimmungGunthers den Helden und bringt sogar denNibelungenschatz unter seine Kontrolle.

Jahre später wirbt der Hunnenkönig Et-zel um die schöne Witwe Kriemhild – diesieht dadurch endlich eine Chance, sich anihrer Sippe zu rächen. Sie folgt Etzel inseine Burg (im heutigen Ungarn) und locktihre Verwandten mit 9000 burgundischenRittern in eine Falle. Alle sterben.

Im Nibelungenepos spielt das Wurm-monster kaum eine Rolle. Siegfried tritt,gleichsam gezähmt, als Schönling mit fei-nen Manieren und süßem Mund auf. „Wiescoene was sîn lîp“, schreibt der Autor. Diebewegte Vergangenheit des Hünen wirdam Rande erwähnt. Nur nebenbei erzähltim dritten Kapitel Hagen, dass der Mannaus Xanten einst den „Linddrachen“ er-schlug und in dessen Blut badete. Dabei fiel dem Recken ein Lindenblatt auf dieSchulter – seine einzige verwundbare Stel-le. Genau dorthin zielt Hagen später mitdem Speer, „daz von der wunden sprancdaz bluot“.

In Skandinavien hingegen haben sichweit mehr Details über Jung-Siegfried er-

* Mit Theatermasken verzierter Becher, Beistelltisch,Prunkschale mit Abbildung der Göttin Athena.

E R W A N D E R U N G

70 Ansturm dern aus dem Osten

6. Jhdt.anische „Skopen“gen mit Leier und die „Helden“lkerwanderung.

Untergang desnderreichs amrhein

Niederlage auf den Kata-chen Feldernreich)

476 Zusammenbruch desWeströmischen Reichs

493 Der Ostgote undspätere Sagenheld Theo-derich der Große mar-schiert in Ravenna ein.

Theoderich-Grabmal in Ravenna

halten. Kaufleute aus Soest und Bremenbrachten die Geschichte zum Handelstütz-punkt Bergen in Norwegen mit, wo sieschnell die Runde machte. Hoch im Nor-den galt Sigurd als „Held aus dem Süden“.

Allein die als „königliche Handschrift“erhaltene „Edda“ enthält 14 Lieder, dieums Personal der Nibelungensage krei-sen. Auf die „Völsunga saga“ stützte sichRichard Wagner. Dort besitzt Sigurd„scharf blickende Augen“ und lockigeHaare, „braun und schön anzusehen“.

Vor dem Jahr 1000 werden die schriftli-chen Hinweise allerdings dünn. Ein um 980n. Chr. datiertes Skaldengedicht um-schreibt das Wort Gold mit „Sand desRheins“ und spielt damit auf den Nibelun-genschatz an. Das in der „Edda“ überlie-ferte „Atlilied“ soll in seiner Urfassung um800 n. Chr. entstanden sein.

Die letzte Spur findet sich im „Beowulf“,dem Ur-Epos der Briten. Das schmucklosePergamentbuch – es ist das älteste Stück ger-manischer Literatur überhaupt – berichtet anwichtiger Stelle von Siegmund, der den Dra-chen, den „Hüter des Horts“, erschlägt undsich so „großen Tatenruhm“ erwirbt.

Verfasst wurde das Werk, aus dem sichTolkien für seinen „Herrn der Ringe“, aberauch die Macher der Jedi-Ritter im „Krieg

575 Sigibert I.,ein fränkischer König,der mit der westgoti-schen PrinzessinBrunichild verheiratetist, wird ermordet.

F R Ä N K I S C H E Z E I T U N D M I T T E L A LT E R

7. Jhdt. Langsame Konso-lidierung Europas unter derVorherrschaft der Franken.Reich der Merowinger.

um 700 Erste schriftlicheErwähnung eines Drachen-töters Siegmund im alteng-lischen Epos „Beowulf“.

747 GeburtKarls desGroßen

ab 790 Wikieinfälle in Eu

nach 1000 ZFelsritzungensteine in Skamit „Sigurd“-M

um 1200 Niedes Nibelung(erhalten in 3schnitten)

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der Sterne“ Handlungsmotive und Perso-nen entlehnten, etwa um 730 n. Chr., viel-leicht sogar um 670 n. Chr. Und schon seinAutor tut so, als würde jeder den Echsen-killer kennen.

Davor aber bricht die Fährte ab. Einedunkle schriftlose Geschichtstiefe tut sichauf – die Zeit der Völkerwanderung. DieVölker des Nordens hatten kaum Lust aufschreiben – außer ungelenken Runenbrachten sie fast nichts zustande.

In diesen Abgrund aber führt die Sagevom Drachentöter hinein. Eindeutig belegtist, dass zentrale Handlungsmotive des „Ni-belungenliedes“ den „Dunklen Jahrhun-derten“ entstammen, als das WeströmischeReich als Ordnungsmacht zerbrach. Einige

nger-ropa

ahlreiche und Bild-ndinavien

otiven.

derschriftenliedes9 Ab-

1488 Kaiser Friedrich III. lässtin Worms nach Siegfrieds Skelettsuchen. Gefunden werden „etlichGebein“ und ein übergroßer Schädel.

um 1190 Ritter Sieg-fried II. von Mörlekämpft mit Richard Löwen-herz während des 3. Kreuz-zugs in Palästina.

Drachentöter Sigurd, Reliefaus Hylestad, Norwegen

1250 Niederschrift der Edda.

153

Titel

Sagengestalten lassen sich eindeutig identi-fizieren:• „Etzel“ steht für den Hunnenführer At-

tila (406 bis 453), der mit seinen Reiter-horden den Kontinent überschwemmteund bis nach Frankreich vordrang.

• „Gunther“, der Bruder Kriemhilds, hatsein Vorbild im burgundischen Heerkö-nig Gundahar. Dessen Volk lebte anfangsam Unterlauf von Oder und Warthe undzog im vierten Jahrhundert an den Mit-telrhein.In einem neuen Buch hat der Zürcher

Historiker Reinhold Kaiser das karge Wis-sen über das „Geistervolk“ der Burgundervorgelegt*. Als Föderaten Roms erhielten

Bismarck-Postkarte, Einweihung des Hermannsdenkmals (1875), Diktator Hitler auf NSDAP-Parteitag (1938): Die Nationalhelden Hermann

BPK

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sie bei Worms Land zugeteilt. Von dortdrangen sie nach Gallien ein und wurdenschließlich vom Feldherrn Aetius und ei-nem Aufgebot hunnischer Söldner ge-stoppt.

Dann folgte ein Desaster. Antike Quel-len erzählen, dass „fast das ganze Volk derBurgunder“ zugrunde ging, angeblich etwa20 000 Menschen, darunter auch KönigGundahar.

Diese Untat wurde offenbar früh mit At-tila in Verbindung gebracht, der erst kurzeZeit später Europa bestürmte. Viele Ger-manenstämme gerieten unters Joch der Er-oberer. In thüringischen Gräbern des 5.Jahrhunderts fand man künstlich defor-mierte Schädel – eine typische Sitte derHunnen. Sie umbanden die weichen Köpfeihrer Säuglinge, bis sie zu Türmen wuchsen.

* Reinhold Kaiser: „Die Burgunder“. Verlag W. Kohl-hammer, Stuttgart; 284 Seiten; 18,60 Euro.

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Der echte Attila wohnte irgendwo zwi-schen Donau und Theiß im heutigen Un-garn, in einem Holzpalast mit wollenenTeppichen. Dort ereignete sich auch derrätselhafte Tod des Königs. Er starb in derHochzeitsnacht, angeblich an einem Blut-sturz. Neben ihm im Bett lag seine jungeBraut: die Germanin Ildico.

Die Forscher vermuten, dass diese Fraudas Vorbild für die rachsüchtige Kriemhildder Nibelungen abgab. Solche blutigen Er-eignisse griffen die germanischen Sänger(„Skopen“) gierig auf.

In lange Wollröcke gehüllt, kehlige Tönezur Harfe anstimmend – so mag man sichdie Musikanten aus dem Land der Lango-

barden, Franken, Sueben und Cheruskervorstellen. Erhalten ist von diesen urtümli-chen Preisliedern nichts. Nur indirekt liegenBeweise vor. Die Archäologen fanden ver-faulte Holzleiern in germanischen Gräbern.

Wie Rembrandt-Gemälde, gemalt mit düs-terem Grund, ertönte der germanische Hel-dengesang. „Wucht, nicht Schönheit, Span-nung, nicht Harmonie, ein Gewaltsames,nicht das Maßvolle waren seine treibendenKräfte“, so der Germanist Fritz Martini.

Nur auf sich selbst gestellt, durcheilt derHeld in den Strophen die Welt. Kein Glückkennt der germanische Heldengesang, nurblindes Schicksal und herbe Tragik.

Pest und Hungersnöte zermürbten damalsden Kontinent. Es war eine Zeit der Recht-losigkeit. Immer mehr Nordländler über-wanden den römischen Grenzwall (Limes)und plünderten. Die Westgoten zogen spä-ter nach Spanien, die Langobarden nach Ita-lien, die Vandalen bis Kathargo. Im Jahr 500

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lebten in Mittel- und Westeuropa nur nurnoch rund neun Millionen Menschen.

Noch im „Nibelungenlied“ – 700 Jahrespäter verfasst – klingt das Düstere dieserFrühzeit an. Ein Meer aus Liebe und Hasstost am Hof der Burgunder. Entfacht vomeinäugigen Hagen, treibt die Handlung inden Untergang. Zuletzt trifft es Kriemhild:„In Stücke lag zerhauen da das edle Weib.“

Mit der Realgeschichte nahm es der mit-telalterliche Autor allerdings nicht so ge-nau. Typisch für die nordische Sage sei„das Projizieren zeitlich auseinanderlie-gender Ereignisse auf eine einzige Vergan-genheitsebene“, schreibt der FreiburgerGermanist Alois Wolf.

Gleichwohl ist das historische Gerüstdeutlich zu erkennen. Ein Schleier desPhantastischen umhüllt zwar die Akteure.Dahinter aber schimmert ein wahrer Kern.

Allein bei Siegfried wollte sich bislangkein rechtes Vorbild finden. Als wunder-samer Kraftkerl platzt der Fremdling beim– historisch verorteten – BurgunderkönigGunther in Worms herein. Lauter ge-schichtliche Figuren umgeben ihn – nur erselbst wirkt wie ein Alien, als würde er garnicht richtig dazugehören.

Der Eindruck täuscht nicht. Ursprünglichbildete die Mär vom Drachentöter einen ei-genen Sagenkreis, der in ganz Nordeuropaerzählt wurde. Reste davon haben sich in der„Edda“ erhalten. Die Urstory ging allerdingsnoch anders: Anfangs war es nicht KönigGunther, sondern Siegfried selbst, der nachdem Tod der Echse um Brünhild wirbt undsie aus einem schier unüberwindlichen Feu-erkreis, der Waberlohe, befreit.

und

Das um 1200 entstandene „Nibelungen-lied“ spinnt den Handlungsfaden zum Teilvöllig neu. Ihr Autor verrührt, er schichtetum und schafft so einen verwirrendenTextcocktail. Nur wo liegen die Wurzeln?Wie sieht Siegfried ohne Tarnkappe aus?

Die Sehnsucht, den „nordischen Achill“in Fleisch und Blut zu fassen, begann be-reits im Mittelalter. Im 12. Jahrhunderttauchte ein falscher Siegfried-Sarg auf, derheute im Kloster Lorsch steht. Gut 300 Jah-re später ließ Kaiser Friedrich II. auf einemFriedhof in Worms nach dem Skelett desNibelungen graben.

Moderne Schatzgräber gehen andersvor. Weil Hagen das verfluchte Gold an ei-

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Siegfried umhüllt eine Wolke aus Chauvinismus und Schwulst

nem Ort „ze Lôche“ in den Rhein kippte,erkunden sie mit Vorliebe das Flussbett beiLochheim. Radar und Echolot kamenschon zum Einsatz. „Bild“ heizte die Fahn-dung durch eine kühne Rechnung an:„Jede Karre hätte 300 Kilogramm tragenkönnen: Goldwert: 430 Millionen Euro.“

Aber auch renommierte Historiker lässtdas Problem nicht los. Einige verorten denHelden in der Merowingerzeit im 6. Jahr-hundert. Dort lebte ein König Sigibert. An-dere halten ihn für einen Wikinger. Stän-dig werden neue Personen genannt (sieheChronik Seite 152).

Einen weiteren Kandidaten brachte inder vorletzte Woche der MittelalterforscherJürgen Breuer aus Mainz ins Spiel*. Ertippt auf den Grafen Siegfried II. von Mör-

* Jürgen Breuer: „Historische Siegfriedfiguren“. In: VolkerGallé (Hg.): „Siegfried – Schmied und Drachentöter“.Worms-Verlag, Worms; 304 Seiten; 19,90 Euro.

le, der 1193 beim dritten Kreuzzug dabeiwar.

Doch all diese Gestalten haben in Wahr-heit zu wenig Fallhöhe. Siegfried nämlich istnicht nur schön und stark, sondern auch un-geheuer berühmt. „Keiner war bisher sokühn, dass er auf dem Weg des Drachen zusitzen wagte, und diese Heldentat wird imGedächtnis fortleben, solange die Weltsteht“, heißt es etwa in der „Völsunga saga“.

Der Germanist Wolf hält die Sucheschlicht für aussichtslos. Er glaubt, dass derforschende Geist „in der germanischenHeldensage praktisch nirgends hinter dieVölkerwanderungszeit zurückkommt“.Schon die Bedeutung des Wortes Nibelun-

gen sei ungeklärt. Es könnte Nebel heißen– oder auch etwas ganz anderes.

Doch die Vertreter der Arminius-Formellassen sich von solchen Zweifeln nichtschrecken. Sie drängen weiter in den Zeit-tunnel zurück, um in die Nähe jener le-gendären Auseinandersetzung zu gelan-gen, bei der die Römer über 20000 Solda-ten verloren: die Varusschlacht.

Ist es Zufall, fragen sie, dass Siegfriedaus Xanten stammt, von wo aus die Römerihre Angriffe nach Germanien starteten?Und warum heißt im altnordischen „Re-ginslied“ der Vorbesitzer des Nibelungen-horts ausgerechnet „Gust“ – was so klingt,als sei Kaiser Augustus gemeint?

Ständig zeigt der Kompass in die Anti-ke. Der Germanist Höfler hatte dafür ei-ne Erklärung: Er glaubte, dass die Legen-de, als man sie im Mittelalter endlich niederschrieb, immer noch uralte Ein-sprengsel enthielt. Diese seien als Teile

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aus „altertümlicher nicht mehr verstande-ner Überlieferung der Sage“ wie Kieselim Flussbett vom Erzählstrom mitgerissenworden.

So weidet Siegfried den Lindwurm inder „Edda“ regelrecht aus, er trinkt seinBlut und schneidet dessen Herz auf. DerWormser Forscher Thomas Eichfelder siehtdarin eine „entfernte Erinnerung an denkultischen Kannibalismus“ der germani-schen Urzeit.

Anderes Beispiel: In den nordischen Lie-dern haftet Sigurd eine bestimmte Tier-symbolik an. Er wird von einer Hirschkuh(„Hindin“) gesäugt und erscheint in einemTraum als goldener Hirsch. „Herrlicher

Hirsch heiße ich“, tönt er. Später befreit erBrünhild vom „hindarfjall“, dem Hirsch-kuhfelsen. Für einen mutigen Haudegenwirkt der Vergleich mit dem scheuen Paar-hufer eher komisch.

Sinn kriegt das ganze allerdings durchdie verblüffende Tatsache, dass der Hirschoffenbar das Totemtier der Cherusker war.Der Name des Stammes leitet sich ab vomgermanischen Wort „herut“ ab: Hirsch.„Eine bemerkenswerte Spur“, meint Eich-felder.

Und es gibt ein weiteres Indiz, das denDrachentöter direkt mit Arminius ver-knüpft. In der „Edda“ wird mehrfach derOrt genannt, an dem Sigurd den feistenWurm erschlug. Der Kampf fand auf der„Gnitaheide“ statt.

Den Weg zu diesem rätselhaften Platzweist eine alte Handschrift, die hoch amPolarkreis entdeckt wurde: Es sind die Rei-seaufzeichnungen des Benediktinermön-

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Titel

Moorleiche „Mädchen von Windeby“: Ehebrecherin mit obszöner Fingergeste versenkt

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Altenglisches Epos „Beowulf“, germanische Prunkmaske (7. Jh.): Held im Zeittunnel

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chs Nikulás, späterer Abt auf Island. Etwaim Jahr 1150 verließ er seine kalte Heimatund pilgerte nach Rom. Das Tagebuch be-richtet, dass der Gottesmann mit demSchiff nach Jütland übersetzte und dannüber Schleswig und Itzehoe ins Stauffer-reich hineinwanderte. Vorbei an Burgzin-nen und frühgotischen Domen erreichte erPaderborn.

Genau in dieser Gegend, notierte derMönch, liege die Gnitaheide, wo „Sigurdden Fafner angriff“. Nikulás meinte dieKnetterheide bei Schötmar. Sie liegt amNordrand des Teutoburger Waldes – 18 Ki-lometer vom Hermannsdenkmal und 70Kilometer vom Schlachtfeld bei Kalkrieseentfernt.

Alles Zufall? Oder verketten nicht ver-dächtig viele Glieder das „Nibelungenlied“

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mit der Niederlage der römischen Eisen-ritter während der Varusschlacht? Wiesowird Siegfried in den Sagas ständig als Mi-litärstar gefeiert? Als „großartigsten derHeerkönige“ rühmt ihn die „Edda“. Ananderer Stelle heißt es: „Es wird deinName berühmt sein, Kriegsheld, solangedie Welt besteht.“

Solche Elogen passen in der Realge-schichte nur auf eine Person – den Befrei-er Germaniens. Arminius, so der Histori-ker Wolfram, wagte die „unvorstellbareTat“: Er forderte den lorbeerbekränztenAugustus heraus, den Herrn des Römi-schen Reiches.

Antike Geschichtsschreiber schreibenvoller Achtung über den Partisanen vonder Weser. Hoch im Ruf stand er auch beiden eigenen Landsleuten. Die Germanen,

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so Tacitus, hätten ihn noch 100 Jahre nachder Varusschlacht mit Preisliedern geehrt.Liegt hier der Ursprung des Drachen-mythos?

Erst unter dem Spaten der Ausgräberzeigt sich jetzt, was für dramatische Ge-schehnisse einst Hessen, Westfalen undNiedersachsen erschütterten. Die Archäo-logen fanden Waffenschrott, Ruinen alterMilitärlager und – in Friesland – sogar dieÜberbleibsel eines Flottenstützpunkts.

Der Auftakt zur Unterwerfung des sper-rigen Nordlands begann 16 v. Chr. Acht rö-mische Legionen zogen über die Alpen biszur Donau. Dann rückte das Heer in 40neu erbaute Kastelle am Rhein ein. Haupt-stützpunkte waren Mogontiacum (Mainz),Vetera (Xanten) und Noviomagus (Nim-wegen).

Schließlich stießen die Truppen zur Elbevor. Berufssoldaten, darunter Afrikanerund Schleuderer von den Balearen, stan-den rückstandigen Barbaren gegenüber,die in Reetdachhäusern lebten und aufKoppeln kleine Rinder züchteten. Volks-speise war Haferbrei.

Was für ein Kulturgefälle! Jene hattenBuchstaben, diese kannten nur die oraleTradition. Im Vergnügungsviertel von Romboten Huren und Transvestiten ihre Diens-te an. Die Germanen dagegen ertränktenschwule „Schandkerle“ im Sumpf. Das„Mädchen von Windeby“, wohl eine un-treue Ehefrau, wurde mit einer obszönenDaumengeste im Moor versenkt.

Die Römer waren stark, jeder Soldattrug 15 Kilogramm Metall am Körper. DieBrüder aus Gallien hatten sie bereits un-terjocht. Nun zielten sie Richtung Ostsee –auf ein Land, das Tacitus „durch seine Wäl-der grauenerregend“ vorkam.

Der Armee folgten Straßenbauer,Schmiede, Händler. Getreidekähne fuhrendie Ems hoch. Feste Städte wurden errich-tet. Die neuen Grabungen zeigen, wie weitdas zivilisatorische Netz schon ausgewor-fen war. Im letzten Jahr kam bei He-demünden nahe Göttingen ein römischesMilitärlager zutage – über 200 Kilometervon der Rheinlinie entfernt.

In Samttogas, die Brust in blitzendenRüstungen, so reisten Oberbefehlshaberwie Germanicus und Tiberius als Mitglie-der der kaiserlichen Familie in den Norden.In Anreppen nahe der Lippe kamen Restebemalter Häuser zutage. Auch fand manSpuren großer Grabbauten und vergolde-ter Betten, verziert mit Elfenbeinköpfen.

Auch Varus prasste. Der Feldherr hattezuvor als Statthalter in Syrien gedient undwar dort zu großem Reichtum gelangt. 7 n.Chr. übernahm er die Rheinarmee undrückte in Niedersachsen und Westfalen ein.Er sprach Recht, begann mit dem Aufbaueiner Provinzverwaltung und lud Germa-niens Warlords zur Speisung ins Feld-herrnzelt.

Vom niedergermanischen StatthalterPompeius Paulinus, der zwischen 55 und

Titel

Rekonstruierte Wehrmauer der Germanen*: 20000 tote Legionäre beim finalen Schlag BEN

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57 v. Chr. das feindliche Nordland durch-zog, ist bekannt, dass er etwa vier Tonnenan Tafelsilber dabeihatte. Roms Taktik:Wer blendet und gut kocht, macht sich denFeind gewogen.

Besonders die Cherusker – wichtigs-ter Stamm zwischen Rhein und Elbe – gerieten damals in die gleißenden Fängeder Eroberer. Widerstand sei zwecklos, erklärte die Machtzentrale in Rom. Zu-gleich bot sie ihren Feinden ein ange-nehmes Leben an. In dieser Zeit des Wandels kam Arminius um 16 v. Chr. zur Welt.

Der Schwiegervater Segestes kuschte, erspielte sich als Freund der Südländer auf.Auch der Vater verhielt sich ruhig undschickte Arminius zur Offiziersausbildungnach Rom. Von einer Holzhütte wechselteder Knabe in eine Stadt mit Theatern, Mar-morpalästen und Pferderennbahnen, dieschon damals rund eine Million Einwohnerhatte. Der junge Mann erhielt römischesBürgerrecht. Man vertraute ihm sogar eigene „Auxilien“ an, Hilfstruppen der Armee.

Doch der Drang nach Ruhm und Frei-heit war stärker. Im Jahr 9 n. Chr. ent-stand der Plan zum heimlichen Aufstand.Brukterer, Chatten und Marser unter-stützten ihn.

Als Varus im Herbst mit dem Heer aufdem Heimweg hinter die Rheinlinie war,schlugen die Germanen los. Drei Tage zo-gen sich die Kämpfe hin, während die hartgedrillte Römerarmee, die sich wie einLindwurm über die Sandwege zog, dieMarschordnung aufrechterhielt. Doch im-mer wieder brachen die Aufständischenseitlich aus den Wäldern hervor. BlutigeLücken entstanden. Die ungeheure fron-tale Kampfkraft der Legionen konnte sichnicht entfalten.

Vermutlich bei Kalkriese wagten dieBuschkrieger den finalen Schlag im Nah-kampf. Am Ende lagen rund 25000 Solda-ten des Imperiums im Staub, vernichtetvon einem „Volk von geborenen Lügnern“,wie der Germanienkämpfer Velleius Pa-terculus schimpfte.

Die Sieger folterten ihre Feinde, sie na-gelten ihre Köpfe an Bäume. „In den be-nachbarten Hainen standen die Altäre derBarbaren, an denen sie die Tribunen undZenturionen ersten Ranges geschlachtethatten“, so Tacitus. Und sie schlepptenGold und Silber weg.

All diese Geschehnisse scheinen sich inden nordischen Sigurdliedern märchenhaftverkleidet zu wiederholen. Der Dracheheißt dort „Fafnir“, Umschlinger, Umklam-merer – als Sprachbild für die römischenBesatzer, die von Rhein und Donau aus dasNordland umschlossen, würde das passen.

Und auch zum Nibelungenhort bietensich Parallelen an. Die „Völsunga saga“ er-zählt, wie Siegfried nach dem Tod der Bes-tie in dessen Haus einbricht. Es hat Säulenaus Eisen. Dort stiehlt er neben Bergen an

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Gold auch einen Brustharnisch, einSchwert sowie den „Schreckenshelm“ –solche Waffen fielen den Germanen beider Varusschlacht in die Hände.

Dass die Cherusker noch weit mehr ab-räumten, davon zeugt nun das Edelgeschirraus Hildesheim. Die feuervergoldete Athe-naschale gilt als schönstes Stück antikenSilbers überhaupt. 60 Teile liegen vor: Ei-erbecher, verzierte Tabletts, Öllampen,Humpen. Der Silbergehalt liegt bei 94 bis98 Prozent.

Doch der Feldherr Varus hatte sicherviel mehr Besteck dabei, das nicht Kilo-gramm, sondern Zentner oder gar Tonnenwog. Zudem wissen die Forscher, dass dieGermanen nicht nur Varus bestahlen. ImJahr 16 n. Chr. geriet bei einem Gefecht anden „langen Brücken“ – einem Bohlen-weg, den die Besatzer durchs morastigeEmsland verlegt hatten – erneut der kom-plette Ausrüstungstross einer Legion mitMöbeln, Kochutensilien, Werkzeug in dieHände der Aufständischen.

Liegt hier die Wurzel des Mythos vomNibelungenschatz? Symbolisiert er die ge-samte Beute aus den Germanenkriegen?

Der Wiener Germanist Hermann Reichertwill davon nichts wissen. Er hält die Theo-rie für viel zu „punktuell und rituell ver-engt“.

Gleichwohl ist die Vielzahl an Parallelenerstaunlich. Und die Anhänger der Formelhaben noch eine weitere Trumpfkarte imÄrmel, die, wie sie glauben, alles sticht:Beide Helden starben grausam, meuchlingsermordet durch die List der eigenen Ver-wandten.

Im „Nibelungenlied“ wird das frevelhaf-te Ende des Drachentöters spannend ge-schildert. Während der Jagd im Odenwaldruht sich Siegfried an einer Quelle aus.

* Auf dem Schlachtfeld von Kalkriese.

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Gerade will er trinken, da treibt ihm Ha-gen (mit Einwilligung Gunthers) den Speer in den Rücken. Er setzt zwar nochzur Gegenwehr an. Doch dann sinkt er in die Kräuter. Die nordische Überliefe-rung kennt sogar noch eine perfidere Version. Dort wird Sigurd im Bett er-mordet.

Als Motiv für die Tat dient vordergrün-dig die Rache für Brünhild. Der Held musssterben, weil er sich an ihrer Vergewalti-gung beteiligt hat. Doch der grimmeHagen erwähnt noch einen anderenGrund: Siegfried sei zu mächtig geworden,räumt er ein. Nun, wo er tot ist, gebe es„nur noch wenige, die wider uns anzutre-ten wagen“.

Genau solch ein Opfer bösen Machtge-rangels wurde aber auch der Cherusker-fürst Arminius. Irgendwo zwischen Han-nover, Osnabrück und Göttingen erlagHermann etwa im Jahr 21 n. Chr. der Tückeseiner Nächsten.

In Grundzügen ist das Finale aus der rö-mischen Geschichtsschreibung bekannt.Arminius war am Ende von Feinden um-stellt. Schon unmittelbar nach der Varus-

schlacht begann sich die Schlinge zuzuzie-hen. Kaiser Augustus nämlich holte umge-hend zum militärischen Gegenschlag aus.Die Rheinarmee wurde aufgestockt, frischeSoldaten herangeführt.

In den darauffolgenden sieben Jahrenwütete das römische Heer durch Nieder-sachsen. Verbrannte Erde überall. Das Im-perium wollte den Sieg erzwingen.

Hermann wehrte die Angriffe zwar mitseiner Guerilla ab. Doch er zahlte einenhohen Preis. Im Jahr 15 n. Chr. geriet seine Frau Thusnelda in Gefangenschaft.„Ohne Tränen“, mit „schwangerem Leib“ sei sie abgeführt worden, schreibtTacitus. Hermann, „wahnsinnig“ vorSchmerz, habe daraufhin noch leiden-

Siegfriedskulptur*„Kernfigur der

deutschen Kulturge-schichte“

schaftlicher zum Widerstandgegen die „Zwingherrn“ aufge-

rufen.Vor allem gegen den „unter die

Götter erhobenen“ Augustus und seinen „auserwählten“Nachfolger Tiberius hetzte er. Roms Kaiser ließen sichvon Priestern umräuchernund feiern wie himmlischeWesen. Dabei seien die-se Leute doch, so Armi-nius, nur Menschen –und zwar ziemlichschlechte.Einige cheruskische

Adlige sahen das ganz anders. Schwiegervater

Segestes hielt offen zu Rom. Dereigene Bruder Flavus lebte sogar

jenseits der Front. Er wurde am Tibermilitärisch ausgebildet.

Denkmal des „Hagen von Tronje“ (in Worms): Meuchelmord im Odenwald G

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Arminius aber blieb unbeugsam.Womöglich schwebte ihm bereits ein ge-eintes Germanien vor. Tatsache ist, dass er17 n. Chr. den mächtigen Marbod in Böh-men angriff, der bereits über mehrere elb-germanische Stämme (Langobarden, Sem-nonen, Goten) herrschte. Er gewann – undwar damit nach Ansicht der Forschung aufdem Sprung zum „supragentilen Heerfüh-rer“. Den anderen Germanenfürsten wur-

de er damit zu gefährlich.Im Jahr 22 n. Chr. kam es des-

halb zur Freveltat. „Nach demKönigsthron strebend“ (Taci-tus), fiel Arminius durch die

* Von Rudolf Maison (1897).

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Hand eines Attentäters aus seiner Ver-wandtschaft. Vielleicht hatte auch Rom sei-ne Hände im Spiel.

So verschied der stolze Berserker derFreiheit. „37 Jahre währte das Leben desArminius, 12 seine Macht, und noch heute besingt man ihn bei den Barbaren-völkern“, schließt der römische HistorikerTacitus seinen Bericht über die Germa-nenkriege.

Im Fellkleide, irgendwo sehnsüchtig imverschneiten Wald sitzend, so mag mansich die letzte Tage des Recken vorstellen.Jenseits der Alpen, das wusste er, in einerunbezwingbaren Stadt aus Stein, schmach-teten seine Thusnelda und der Sohn Thu-melicus. Rom war unerreichbar, von me-terhohen Toren umstellt und bewacht voneinem Monarchen, der 300000 Berufssol-daten unter Waffen hielt.

Zumindest eine Sage kannte einen ganzanderen Ausgang. Die „Edda“ erzählt, dassSigurd eine „Schildburg“ überwindet, hin-ter der, von einem Schlafdorn gestochen,träumend Brünhild liegt (die hier Sigrdri-sa heißt). Er erweckt sie – ein Märchen wiebei Dornröschen.

Fast scheint es, als hätte ein germanischerSänger ein Happy End ersonnen, das inWirklichkeit versagt blieb. Der Cheruskerjedenfalls hat seine Frau nie wiedergesehen.

Kein Zweifel: Im Zauberwald der Ver-gangenheit kobolzen geschichtsträchtigeWunderwesen umher. Die Formel Siegfriedgleich Hermann lässt sich mit vielen Par-allelen und Querverweisen unterfüttern.Ein tiefer Brunnen aus Dichtung undWahrheit tut sich da auf.

24000 Gäste besuchten im letzten Jahrdas Wormser Nibelungen-Museum. „Sieg-fried bleibt modern“, meint der EthnologeGallé. Und er hält fest: „Die größte Hel-densage steht im Spannungsfeld von My-thos und Geschichte.“ Matthias Schulz

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