die rolle des kreativitätsproblems in der mathematikdidaktik
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Kornelia Neuhaus
Die Rolle des Kreativitatsproblems in der Mathematikdidaktik
Vom Fachbereich Mathematik der Gerhard-Mercator-Universitat zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Padagogik genehmigte Dissertation.
KreativiW, kreatives Arbeiten, kreatives Verhalten sind Gegens11inde, die untersucht werden, wenn man sich mit Lemprozessen, mit Arbeitsprozessen, mit allgemeinen und speziellen Denkprozessen in den Fachdidaktiken beschaftigt. Doch schon der Begion von Untersuchungen wird schwierig, wenn man allein eine allgemeinbefriedigende Definition des Begriffs Kreativitlit angeben soH. Es besteht die grundslitzliche Schwierigkeit, mit einem Begriff hantieren zu mUssen, der im Prinzip nicht in rational faBbaren Bereichen angesiedelt is!, sondern der seine Wurzeln im Emotionalen, im Intuitiven, im Affektiven hat.
Betrachtet man aber Kreativitlit speziell beim Mathematiklernen und beim Mathematikschaff en, so ist zumindest das Ergebnis kreativen Arbeitens, das "kreative Produkt", an einem objektiven Wahrheitskriterium meBbar. Damit kann dieses Produkt fixiert und an den Anfang der Untersuchungen gestellt werden. Beschiiftigt man sich dann weiter mit der Literatur zum LernprozeB Mathematik, so stoBt man neben dem Begriff des kreativen Produkts auf die Begriffe "kreativer ProzeB", "kreative Person" und ''kreatives Umfeld". Darauf konzentrieren sich die meisten Untersuchungen zum Kreativitlitsproblem.
Die Entwicklungen und die Forschungen zum Problem Kreativitlit beim Mathematiklernen werden in dieser Arbeit dargestellt und untersucht. Um die Erkenntnisse in ihrer Gesamtheit Ubersehen zu kOnnen, werden zurutchst die einschlligigen Beitrlige aus der Psychologie gesichtet und geordnet, dann die Resultate der ptidagogischen Kreativitiitsforschungen zusammengestellt und schlieBlich die Ergebnisse der Mathematikdidaktik herausgearbeitet. Die Systematik legt dabei nahe, die mathematikdidaktischen Arbeiten einer "alteren" und einer "jUngeren" Periode zuzuordnen. Die Schnittstelle kann Anfang der 1960er Jahre gelegt werden, da zu dieser Zeit viele neue Forschungsinstitutionen geschaffen wurden und neue Sichtweisen in den Mittelpunkt der Betrachtungen rilckten.
Untersucht werden in der Arbeit die Verhllitnisse im deutschen Sprachraum. Oem steht nicht entgegen, daB die meisten Literaturen zur psychologischen und plidagogischen Kreativitiitsforschung in englischer Sprache zitiert werden mUssen, denn die Entwicklungen wurden vomehmlich in den USA vorangetrieben. Deren Resultate bildeten dann meist die Grundlage fUr Arbeiten in der deutschen mathematikdidaktischen KreativiWsforschung.
Kreativitat ist in der Mathematik und Mathematikdidaktik immer wieder Gegenstand des Forschens und Nachdenkens gewesen. Padagogik und Psychologie stellen dazu reichhaltiges Material zur Verfiigung, das von den Fachdidaktiken aufgearbeitet werden kann. Das wird fUr die Mathematikdidaktik im Riickblick der Arbeit erOrtert. Dasselbe
(JMD 23 (2002) H. 1, S. 77-78)
78 Dissertationen / Habilitationen
gilt fUr spezieUe Probleme aus der Kreativitlltsdiskussion, die von der Mathematik Wld ihrer Didaktik eigenstandig bearbeitet werden milBten.
1m Zentrum nahezu aller VerOffentli~Wlgen steht der kreative ProzejJ, der von vielen Autoren als Stufen- bzw. Phasensystem wiedergegeben wird Vor allem in Psychologie und Padagogik findet man zahlreiche Abhandlungen, in denen man den kreativen Proze6 in mehrere, bisweilen 80gar in bis zu vierzehn Phasen gliedert. In der Mathematikdidaktik bezieht man sich oft, wenn es urn die Phaseneinteilung kreativer Prozesse geht, auf das vierstufige Modell von Poicare bzw. von Wallas. Wallas unterteilte, basierend auf den ErfahrWlgen von Poincare, den kreativen Proze6 in vier PhaseD, in VorbereitWlg, Inkubation, Illumination und Verifikation. Diesem Modell wird von den Mathematikdidaktikern in der Regel der Vorrang gegeben gegenUber dem alteren, vornebmlich auf naturwissenschaftlichen BetrachtWlgsweisen beruhenden FOnfPhasen-Modell von Dewey mit den Phasen Begegnung einer Schwierigkeit, Lokalisierung der Schwierigkeit, LOsungsansatz, logische Folgerungen, Prnfimg des LOsungsansatzes.
Neben den Ausftihrungen zwn kreativen Proze6 werden die psychologischen Erkenntnisse zur kreativen Person in der Mathematikdidaktik betrachtet. Besonders zu beachten sind die Arbeiten von Guilford fiber die Faktorengruppen von konvergentem und divergentem Denken. In der Psychologie werden die intellektuellen Hihigkeiten fUr kreatives Verhalten genanot, die danach fUr Plldagogik und Didaktik urngedeutet werden. Das hei6t, sie werden hier den Anforderungen 80lchen Mathematikunterrichts angepa6t, der kreatives Verhalten bei SchUlern entwickeln und filrdern solI. Viele Didaktiker machen VorschUige, wie man die Hihigkeiten ProblembewuBtsein, Flllssigkeit, FlexibiliW, Originalitllt, Umstrukturierung, Elaboration, Penetration, Analyse Wld Synthese schulen kann. Einbezogen werden dabei die in der Psychologie genannten PersOnlichkeitsmerkmale von kreativen Personen wie Flei6, Ausdauer, offene und kritische Haltung gegenUber neuen Problemen, AmbiguiWs- und Frustrationstoleranz, F eldunabhangigkeit, Unkonventionalitllt, Nonkonformitlit. Allerdings gibt es nur selten empirische Studien, die AuskWlfi darUber geben, ob die vorgeschlagenen Aufgaben bzw. Verfahren und die exemplarisch angefilhrten Unterrichtsbeispiele tatsAchlich ubertragbar kreatives Verhalten bei SchUlern ausl<isen bzw. fOrdern, und ob bzw. wie die didaktischen Vorschillge kreatives Tun nachhaltig beeinflussen kOnnen.
Referent: Prof. Dr. M. Leppig Korreferent: Prof. Dr. G. TOO1er Tag der mUndlichen Prnfimg: 26.09.2001
Die Arbeit erscheint im Januar 2002 im Verlag Dr. KOster, Berlin, ISBN 3-89574-442-5
Kornelia Neuhaus, Am Raymannshof 17,46539 Dinslaken