die historische entwicklung literaturwissenschaftlicher methoden 1. einleitung

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Die historische Entwicklung literaturwissenschaft licher Methoden 1. Einleitung

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Die historische Entwicklung

literaturwissenschaftlicher Methoden

1. Einleitung

Literatur Joséphine Maria Téfal: Résistance La littérature est à la civilisation ce que la

queue est à la casserole: quand il n’y en a pas, l’homme a l’air con.

der Fisch nach dem Netz beschrieben Untersuchungsgegenstand in uns selbst bzw. in

anderen Subjekten Ernst Cassirer – Unterschied zwischen Galilei

und Plato Studies in the History of Science: All this is

implied in the saying of Galileo’s that philosophy is written in the great book of nature. For Plato philosophy was not written in nature. It was written in the minds of men.

im Buch der Natur oder im menschlichen Geist

Definitionen von Literatur Übereinstimmung mit Gesetzen Gustave Flaubert und seine Verleger – Madame Bovary outrage à la morale publique et religieuse et aux bonnes

mœurs Staatsanwalt Ernest Pinard: L’art sans règle n’est plus l’art; c’est comme une femme

qui quitterait tout vêtement. Imposer à l’art l’unique règle de la décence publique, ce n’est pas l’asservir, mais l’honorer. On ne grandit qu’avec une règle. Voilà, messieurs, les principes que nous professons, voilà une doctrine que nous défendons avec conscience.

Pierre de Blois (Petrus Blesensis) Insani capitis est amores illicitos canere et se

corruptorem virginum iactitare.

Die Moral Baudelaire: Cette morale-là irait jusqu’à dire:

Désormais on ne fera que des livres consolants et servant à démontrer que l’homme est né bon, et que tous les hommes sont heureux – abominable hypocrisie!

Urteil: Attendu qu’à ces divers titres l’ouvrage déféré au tribunal mérite un blâme sévère, car la mission de la littérature doit être d’orner et de récréer l’esprit en élevant l’intelligence et en épurant les mœurs plus encore que d’imprimer le dégoût du vice en offrant le tableau des désordres qui peuvent exister dans la société; [...]

Der Freispruch Attendu qu’il y a des limites que la littérature,

même la plus légère, ne doit pas dépasser, et dont Gustave Flaubert et coinculpés paraissent ne s’être pas suffisamment rendu compte;

Mais attendu que l’ouvrage dont Flaubert est l’auteur est une œuvre qui paraît avoir été longuement et sérieusement travaillée, au point de vue littéraire et de l’étude des caractères; [...]

Attendu que Gustave Flaubert proteste de son respect pour les bonnes mœurs et tout ce qui se rattache à la morale religieuse; [...]

Le tribunal les acquitte de la prévention portée contre eux et les renvoie sans dépens.

Die Staatsphilosophen Hans-Georg Gadamer: Plato und die

Dichter, 1934 Plato: Politeia X der Dichter als ein Zauberkünstler täuschende Scheinbilder und Aufrührung

der Leidenschaften die erzieherische Funktion die Idee des Guten der Seinsgrund von

allem nur die lehrhafte Dialogdichtung zur Verbesserung der Menschen

Die Theologen Thomas von Aquin durch das ausgelöste Wohlgefallen zu einer höheren

Erkenntnis menschliche factio proportio sive consonantia, claritas und integritas

sive perfectio göttliche creatio Konzil von Trient 1564: Index librorum prohibitorum Gottfried Ephraim Scheibel: Die Unerkannten

Sünden der Poeten Welche man Sowohl in ihren Schriften als in ihrem Leben wahrnimmt Nach den Regeln des Christenthums und vernünftiger Sittenlehre geprüfet (1734)

Philip Sidney: An Apology for Poetry (1595): Da der Dichter nie etwas behauptet, kann er auch nicht lügen.

Die lügenhafte Täuschung Giovanni Boccaccio: Genealogie deorum

gentilium, ~1360 Poeta, quantumque fingendo mentiatur,

mendacis ignominiam non incurrit, cum suum officium, non ut fallat, sed ut fingat, iustissime exequatur.

Teofilo Folengo: Baldus (1517-52) Quottidie quantas illi fecere bosias,

quottidie tantos bisognat perdere dentes,qui quo plus streppantur ibi, plus denuo nascunt.

Alexandre Vinet – Ferdinand Brunetière

Die ironischen Konkurrenten Cervantes: Don Quijote I.6 Ritterromane in der Amadis-Tradition CAPITULO VI

Del donoso y grande escrutinio que el cura y el barbero hicieron en la libreria de nuestro ingenioso hidalgoY abriendo uno, vio que era La Diana de Jorge de Montemayor, y dijo, creyendo que todos los demás eran del mesmo género:– Estos no merecen ser quemados, como los demás, porque no hacen ni harán el daño que los de caballerias han hecho; que son libros de entendimiento, sin perjuicio de tercero.– ¡Ay, señor! – dijo la Sobrina. – Bien los puede vuestra merced mandar quemar, como a los demás; porque no sería mucho que, habiendo sanado mi señor tío de la enfermedad caballeresca, leyendo éstos se le antojase de hacerse pastor y andarse por los bosques y prados cantando y tañendo, y, lo que sería peor, hacerse poeta, que, según dicen, es enfermedad incurable y pegadiza.

Der Gegenstand Literatur die besondere Stellung des Subjekts zu seinem

Gegenstand Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse, 51979: Der Kritizismus verlangt, daß sich das erkennende

Subjekt, bevor es seinen geradezu erworbenen Erkenntnissen traut, der Bedingungen der für es prinzipiell möglichen Erkenntnis vergewissert. Erst anhand von zuverlässigen Kriterien der Geltung unserer Urteile können wir prüfen, ob wir unseres Wissens auch gewiß sein dürfen. Allein, wie könnte vor dem Erkennen das Erkenntnisvermögen kritisch untersucht werden, wenn doch auch diese Kritik selber Erkenntnis zu sein beanspruchen muß? [...] Jede konsequente Erkenntnistheorie verstrickt sich von Anbeginn in diesen Zirkel.

der von der Forschergemeinschaft akzeptierte, methodisch gesicherte Erkenntnisfortschritt

Methodisch gesichert Karl Popper: Logik der Forschung, 51973 drei Forderungen: 1. Es muß synthetisch sein (eine nicht

widerspruchsvolle, ‚mögliche‘ Welt darstellen); 2. es muß dem Abgrenzungskriterium genügen, darf also nicht metaphysisch sein (es muß eine mögliche ‚Erfahrungswelt‘ darstellen); und 3. es soll ein auf irgendeine Weise gegenüber anderen derartigen Systemen (als ‚unsere Erfahrungswelt‘ darstellend) ausgezeichnetes System sein.

Die Objektivität der wissenschaftlichen Sätze liegt darin, daß sie intersubjektiv nachprüfbar sein müssen.

Two sides Wilkie Collins: The Moonstone, 1868: „This question

has two sides, he said. An Objective side, and a Subjective side. Which are we to take?“

Problem der Objektivität – jede Erfahrung bereits ein Urteil über die Wahrnehmung

Habermas: Selbst die einfachste Wahrnehmung ist Produkt eines Urteils und das heißt eines impliziten Schlusses.

eine Untersuchung der Elemente des Denkprozesses Popper: Unsere Sprache ist von Theorien durchsetzt:

es gibt keine reinen Beobachtungssätze. Gottfried Wilhelm Leibniz: veritas pendeat a

definitionibus terminorum, definitiones autem terminorum ab arbitrio humano.

Das erkenntnisleitende Interesse Habermas: Der Unterschied zwischen Natur-

und Geisteswissenschaften muß deshalb auf die ‚Verhaltungs-weise‘ des erkennenden Subjekts, auf dessen Stellung zu den Objekten zurückgeführt werden.

Ergebnisse der Forschung: den Gesetzen der Logik entsprechen das erkenntnisleitende Interesse erkennbar einer intersubjektiven Kritik ausgesetzt in Form von Hypothesen zu formulieren romantische Heldenfiguren lungenkrank Lyrik Alfred de Mussets → Rhythmus seiner

Aorta-Insuffizienz Beobachtungen ?

Popper (1) Das Spiel Wissenschaft hat grundsätzlich kein Ende;

wer eines Tages beschließt, die wissenschaftlichen Sätze nicht weiter zu überprüfen, sondern sie etwa als endgültig verifiziert zu betrachten, der tritt aus dem Spiel aus.

(2) Einmal aufgestellte und bewährte Hypothesen dürfen nicht ‚ohne Grund‘ fallengelassen werden; als ‚Gründe‘ gelten dabei unter anderem: Ersatz durch andere, besser nachprüfbare Hypothesen, Falsifikation der Folgerungen.

Sie besteht einfach darin, daß man versucht herauszufinden, was andere über das vorliegende Problem gedacht und gesagt haben; wie sie es zu lösen versucht haben. Das scheint mir ein wesentlicher Schritt in der allgemeinen Methode der rationalen Diskussion zu sein. Denn wenn wir ignorieren, was andere Leute denken oder gedacht haben, dann muß die rationale Diskussion aufhören, mag auch jeder von uns weiter vergnügt mit sich selbst diskutieren.

Das, was war Gustav Droysen: Historik, 51967: Das, was war, interessiert uns nicht darum, weil

es war, sondern weil es in gewissem Sinn noch ist, indem es noch wirkt, weil es in dem ganzen Zusammenhang der Dinge steht, welche wir die geschichtliche, d.h. sittliche Welt, den sittlichen Kosmos nennen.

Raymond Aron: Leçons sur l’histoire, 1989: Le passé que nous cherchons à reconstruire ou à

réanimer n’existe pour nous que par les traces qu’il a laissées. [...] On peut donc dire que ce que nous faisons quand nous pensons l’histoire consiste à interpréter. [...] Toute connaissance historique est une connaissance de l’homme par l’homme et, pour ainsi dire, un déchiffrement [...]

Ableitungen Wilhelm Dilthey: Das Erlebnis und die

Dichtung, 1906 Geisteswissenschaft → Verstehen von

Gegenständen nicht deren gesetzmäßiges Erklären Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik,

1946 das Beschreiben = das Ziel aller

Literaturwissenschaft dass wir begreifen, was uns ergreift

Das Buch Handschrift oder Druck die Konstruktion des Menschen von der

eigenen Vergangenheit ein privilegierter Zugang zu sozialen

Organisationsformen und intellektuellen Modellen

Literaturtheorie, nicht ausschließlich Literaturgeschichte

Herder: im stillen Gange eines Müllertiers Völker und Zeiten durchschreitet

Dokument oder Monument Monument für sich selbst W. P. Ker: a work of literature is not a link in

a chain and is above the world of movement

Eine kausale Entwicklung ? René Wellek: The Fall of Literary History: [...] the radical difference between literary study and

military, social and political history, not least in this that you cannot have an edition of the battle of Waterloo or of George III’s madness.

Dokumente zur Literatur – Beweismaterial Wellek: There is no progress, no development, no history

of art except a history of writers, institutions and techniques. This is, at least for me, the end of an illusion, the fall of literary history.

Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, 1970: Literaturgeschichte ist in unserer Zeit mehr und mehr, aber keineswegs unverdient in Verruf gekommen. Die Geschichte dieser ehrwürdigen Disziplin beschreibt in den letzten 150 Jahren unverkennbar den Weg eines stetigen Niedergangs.

Eine Neuorientierung am Leser Maria Moog-Grünewald: Einfluß- und

Rezeptionsforschung. In: Manfred Schmeling (Hg.): Vergleichende Literaturwissenschaft, 1981:

1. die passive Rezeption durch die breite Lesermasse;

2. die reproduzierende Rezeption durch Kritik und andere Dokumente der Vermittlung;

3. die reproduktive Rezeption durch Autoren. Analyse von Verkaufs- oder Verbreitungszahlen

nicht auf Individuen übertragbar Erwerb und spezifische Zusammensetzung

einer Büchersammlung

Wirkung und Rezeption die Bibliothek spezielles Interesse Grad der Zugänglichkeit Präsenz – Übersetzung – produktive

Rezeption Prozesse von Wirkung und Rezeption Gunter Grimm: Rezeptionsgeschichte.

Grundlegung einer Theorie. Mit Analysen und Bibliographie, 1977

eine Sozialgeschichte der Leser Norbert Groeben: Rezeptionsforschung als

empirische Literaturwissenschaft, 1977 empirische Leserpsychologie

Welche Beschreibung ? Dokument oder Monument Literaturgeschichte ein chronologischer Überblick mögliche und vielleicht noch aktuelle Aspekte Ansätze zum Verständnis des Gegenstandes

durch die Geschichte der Beschäftigung mit ihm Alistair C. Crombie: Styles of Scientific Thinking

in the European Tradition, 1994: The general style of any culture, and the

particular styles of the activities within it, both produce their own subject-matters and objective and at the same time are produced by them.

Epochen Gustav Gröber:

Grundriß der Romanischen Philologie, 1888

fünf große Zeiträume:

13.-15. Jh. 16.-17. Jh. Beginn 18. – Beginn

19. Jh. (ca. 1815) 1815-60 1860-1914 Rest des 20. Jh.

Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit, Teil 4, 21982:

Epochen werden nicht nur und nicht primär geschieden, sondern als vergleichbar gesehen.

Nicht der Zeitpunkt, sondern die durch ihn getrennten Zeiträume beginnen den Epochenbegriff zu bestimmen.

Abschnitte die mittelalterlichen

Kanonbildung die Poetiken der Frühen

Neuzeit und ihre Auseinandersetzung mit antiken Theorien

von der Querelle des Anciens et des Modernes zur Ästhetik der Aufklärung

die romantisch-nationale Literaturwissenschaft in Frankreich und Italien

der Positivismus die französische

Schule Lansons (Explication de texte), die Stilkritik Spitzers und die Philosophie Croces

die Hermeneutik einschließlich Rezeptionsästhetik von Jauß, von Eco und Stilistik von Riffaterre

der Strukturalismus von Texttheorie bis

Literary Computing

Parodien David Lodge: Small World, 1984 Ecos Weiterführung der

Palimpsestes (1982) von Gérard Genette

all bodies that matter die Ansätze zur Vergleichenden

Literaturwissenschaft Umkehrung der

Wissenschaftsgeschichte