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Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Entstehung des klassischen Systems A. Merkantilismus und Kameralismus I. Einleitende Bemerkungen 1. Zum Begriff des Merkantilismus Der Merkantilismus ist eine wirtschaftspolitische Doktrin, etwas überspitzt formuliert, die wirtschaftspolitische Doktrin des Absolutismus (überspitzt, weil vom Bürgertum dominierte Länder wie Holland und England ebenfalls merkantilistisch waren; das Standardbeispiel für den Zusammenhang zwischen Merkantilismus und Absolutismus ist Frankreich). Der Merkantilismus wird in der Literatur auch als Handelskapitalismus bezeichnet und erstreckt sich ungefähr über den Zeitraum von 1500 (dem Zeitpunkt der grossen Entdeckungen) bis etwa 1750. In der Mitte des 18. Jahrhunderts setzten Reaktionen gegen Merkantilismus (Staatseingriffe in die Wirtschaft) und Absolutismus ein (das Bürgertum wollte politisch an die Macht). Die merkantilistische Wirtschaft steht im Dienste des Staates und soll seine Existenz sichern und zu seiner Machtentfaltung beitragen. Dabei spielt der Aussenhandel eines Landes die entscheidende Rolle bei der Steigerung des Reichtums eines Landes. Ein grösserer Reichtum soll eine erweiterte Steuerbasis schaffen, über die Administration und Heer, die Instrumente der Machtentfaltung der entstehenden Nationalstaaten finanziert werden sollten. Die Bezeichnung 'Merkantilismus' geht zurück auf Adam Smith (Wealth of Nations, 1776). Er teilte die Geschichte der Wirtschaftswissenschaft in drei Phasen ein: 1) Merkantilsystem (Handelssystem): Merkantilisten (etwa 1500 – 1550 bis 1750), 2) Agrikultursystem (Physiokratie): Physiokraten, vor allem François Quesnay, der sein Tableau Economique um 1750 herum entwickelte. 3) Industriesystem (Synthese von Handels- und Agrikultursystem): Klassiker, vor allem Adam Smith, dessen Hauptwerk «An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations» 1776 herauskam, mitten in der Englischen Industriellen Revolution (etwa 1770-80); die Arbeitsteilung und die rasch wachsende Rolle des Geldes erhöhten die Komplexität des Wirtschaftslebens dramatisch. Smith’s Inquiry entsprach einem Bedürfnis der Zeit. Das Wirtschaftsleben wurde so komplex, dass man es nur noch mit systematischem Denken, also einer umfassenden Theorie, annähernd in den Griff bekommen konnte. (Der Begriff 'Klassik'

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Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte

Die Entstehung des klassischen Systems

A. Merkantilismus und Kameralismus

I. Einleitende Bemerkungen

1. Zum Begriff des Merkantilismus

Der Merkantilismus ist eine wirtschaftspolitische Doktrin, etwas überspitzt formuliert, die

wirtschaftspolitische Doktrin des Absolutismus (überspitzt, weil vom Bürgertum dominierte

Länder wie Holland und England ebenfalls merkantilistisch waren; das Standardbeispiel für den

Zusammenhang zwischen Merkantilismus und Absolutismus ist Frankreich). Der

Merkantilismus wird in der Literatur auch als Handelskapitalismus bezeichnet und erstreckt sich

ungefähr über den Zeitraum von 1500 (dem Zeitpunkt der grossen Entdeckungen) bis etwa 1750.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts setzten Reaktionen gegen Merkantilismus (Staatseingriffe in

die Wirtschaft) und Absolutismus ein (das Bürgertum wollte politisch an die Macht).

Die merkantilistische Wirtschaft steht im Dienste des Staates und soll seine Existenz sichern und

zu seiner Machtentfaltung beitragen. Dabei spielt der Aussenhandel eines Landes die

entscheidende Rolle bei der Steigerung des Reichtums eines Landes. Ein grösserer Reichtum soll

eine erweiterte Steuerbasis schaffen, über die Administration und Heer, die Instrumente der

Machtentfaltung der entstehenden Nationalstaaten finanziert werden sollten.

Die Bezeichnung 'Merkantilismus' geht zurück auf Adam Smith (Wealth of Nations, 1776). Er

teilte die Geschichte der Wirtschaftswissenschaft in drei Phasen ein:

1) Merkantilsystem (Handelssystem): Merkantilisten (etwa 1500 – 1550 bis 1750),

2) Agrikultursystem (Physiokratie): Physiokraten, vor allem François Quesnay, der sein Tableau

Economique um 1750 herum entwickelte.

3) Industriesystem (Synthese von Handels- und Agrikultursystem): Klassiker, vor allem Adam

Smith, dessen Hauptwerk «An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations»

1776 herauskam, mitten in der Englischen Industriellen Revolution (etwa 1770-80); die

Arbeitsteilung und die rasch wachsende Rolle des Geldes erhöhten die Komplexität des

Wirtschaftslebens dramatisch. Smith’s Inquiry entsprach einem Bedürfnis der Zeit. Das

Wirtschaftsleben wurde so komplex, dass man es nur noch mit systematischem Denken, also

einer umfassenden Theorie, annähernd in den Griff bekommen konnte. (Der Begriff 'Klassik'

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte wurde von Marx geprägt und umfasst alle Ökonomen von William Petty bis David Ricardo, die

eine Arbeitswerttheorie vertreten.)

In verschiedenen europäischen Ländern haben sich Varianten des Merkantilismus entwickelt, so

in England, Frankreich, Holland, Italien und Spanien (England und Frankreich legten den

Akzent auf die Produktion und den Export von Manufakturprodukten, und Primärprodukte

sollten importiert werden. In Holland stand der Gewürzhandel im Vordergrund. Spanien richtete

sein Augenmerk auf Edelmetallzuflüsse.)

Der Kameralismus ist der deutsche Zweig des Merkantilismus (in Deutschland konnte der

Merkantilismus nicht entstehen, weil es am Überseehandel nicht teilnahm. Diese ungünstige

geographische Lage war ein Grund dafür. Wichtiger war, dass Deutschland durch den

Dreissigjährigen Krieg (1618-48) in seiner allgemeinen Entwicklung um etwa hundert Jahre

zurückgeworfen wurde – die Bevölkerung ging von in etwa von 17 auf 5 Millionen zurück

(Zimmerman, 1961, p.33). Der Kameralismus wurde deshalb eine Kombination von

'Finanzwissenschaft' und 'Bevölkerungspolitik'.

Grundfrage der Finanzwissenschaft: "Wie erreicht man, dass ein Volk reich wird, damit der

Staatshaushalt floriere" (Zimmerman, 1961, p.35).

- Eine Bevölkerungspolitik wurde wegen der im Dreissigjährigen Krieg erlittenen

Bevölkerungsverluste erforderlich. Zum Beispiel versuchte man – gut qualifizierte! -

Immigranten anzuziehen. Deshalb gewährte man in Preussen (Nord- und Ostdeutschland) den

aus Frankreich vertriebenen Hugenotten, der protestantischen Wirtschaftselite Frankreichs,

grosszügige Aufnahmebedingungen. (1685 wurde das Edikt von Nantes durch Ludwig XIV

aufgehoben, was eine Massenflucht französischen Protestanten nach Holland, England, der

Schweiz (Uhrenindustrie!) und vor allem nach Brandenburg-Preussen hervorrief; in Preussen

spielten die Hugenotten in der Folge eine wichtige Rolle in Wirtschaft, Militär und Politik. Das

Edikt von Nantes war von Heinrich IV. 1598 erlassen worden und garantierte den französischen

Protestanten freie Religionsausübung, Schutz (befestigte Städte) sowie die Möglichkeit, wichtige

Ämter zu bekleiden. Die Aufhebung des Edikts erfolgte, weil die – reichen – Hugenotten, die

hohe Steuern bezahlten, mehr politische Macht wollten, vor allem ein Mitspracherecht in

Wirtschafts- und Steuerfragen, was mit dem französischen Absolutismus und den Privilegien des

Geburtsadels unvereinbar war.)

2. Die Problematik

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Im Merkantilismus steht der Beschäftigungseffekt oder Skaleneffekt des internationalen Handels

im Vordergrund. Die Frage ist: Was kann über den internationalen Handel getan werden, um das

Beschäftigungsvolumen eines Landes zu erhöhen, damit die Arbeitslosigkeit zu vermindern und,

als Folge, den Reichtum eines Landes zu erhöhen? Letzteres wiederum sollte die Steuerbasis

verstärken. Höhere Steuern waren für die Machtpolitik (Administration, Heer) des

merkantilisch-absolutistischen Staates erforderlich.

Bei den modernen klassischen und neoklassischen Theorien des internationalen Handels jedoch

ist das Beschäftigungsniveau gegeben; meistens wird Vollbeschäftigung angenommen. Diese

modernen – heute vor allem neoklassischen - Theorien des internationalen analysieren den

Struktureffekt des internationalen Handels im Zusammenhang mit dem Prinzip der komparativen

Kosten. Dieses Prinzip besagt, dass jedes Land diejenigen Güter exportieren soll, die es relativ

(komparativ) am kostengünstigsten herstellen kann. Zum Beispiel sollte die Schweiz aufgrund

von historischen und natürlichen Gründen Uhren und Maschinen nach Zentralamerika

exportieren und von dort Südfrüchte (Orangen, Bananen) importieren. Offensichtlich können

beide Handelspartner dadurch ihren Wohlstand steigern. Für eine gegebene Menge Uhren und

Maschinen erhält die Schweiz mehr Südfrüchte, als wenn diese in der Schweiz in Treibhäusern

produziert würden. Umgekehrt erhalten die zentralamerikanischen Länder für eine bestimmte

Mengen an Südfrüchten mehr und bessere Uhren und Maschinen.

Das Grundproblem der modernen (neoklassischen) Aussenhandelstheorie ist deshalb die

Allokation von gegebenen Ressourcen auf internationaler Ebene bei gegebener

weltwirtschaftlicher Wirtschaftsaktivität (Output, Beschäftigung), in der Regel wird

Vollbeschäftigung in allen Ländern postuliert. Die neoklassische Aussenhandelstheorie ist

friedensfördernd, weil jeweils beide Handelspartner vom internationalen Handel profitieren.

Dagegen impliziert die merkantilistische Aussenhandelstheorie mögliche Konflikte. Weil keine

Tendenz zur Vollbeschäftigung existiert, gewinnt das erfolgreiche Exportland (es erhöht seine

Beschäftigung), während das weniger erfolgreiche Land beschäftigungsmässig unter die Räder

kommt. (Nebenbei gesagt ist die merkantilistische Aussenhandelstheorie – in etwas anderer

Form - in der heutigen Zeit der Verlagerung von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit dem

Kampf um Weltmarktanteile von grösster Aktualität.)

3. Literatur über den Merkantilismus und wichtige Vertreter der Doktrin

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte a) Das Standardwerk über den Merkantilismus wurde vom schwedischen Ökonomen Eli

Heckscher geschrieben: Der Merkantilismus, 2 Bände, Jena 1932; schwedisches Original 1930.

Heckscher ist Neoklassiker und Begründer des berühmten Heckscher/Ohlin-Theorems in der

Aussenhandelstheorie [«While assuming that production functions are the same everywhere and

assuming two factors of production, two commodities and countries, different and non-reversible

factor intensities of the commodities, identical consumption patterns everywhere and no

transport costs, the Heckscher-Ohlin theory deduces that each country will export that

commodity which is intensive in the use of the country’s abundant factor» (International Trade,

Penguin readings, edited by Jagdish Bhagwati, Harmondsworth (England), Penguin Books,

1969, Introduction, p. 9)].

August Oncken: Geschichte der Nationalökonomie, 1. (einziger) Band, Leipzig (Hirschfeld)

1902 gibt auf den Seiten 147-314 einen ausgezeichneten Überblick über die Varianten des

Merkantilismus in den verschiedenen Ländern.

Ein neueres Werk über den Merkantilismus ist W.E. Minchinton, editor, Mercantilism: System

or Expediency ? Lexington, Massachusetts, 1969. Das hervorragende Buch von William Letwin

(The Origins of Scientific Economics – English Economic Thought 1660-1776, Westport

(Connecticut), Greenwood Press, 1963) zeigt wie aus den merkantilistischen

Theorienbruchstücken allmählich das systematische und umfassende klassische Theoriensystem

von Adam Smith herauswächst.

John Maynard Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Money, London

(Macmillan), 1973/1936 gibt im 23. Kapitel (pp. 333-71) u.a. eine sehr positive Darstellung der

merkantilistischen Theorienbruchstücke und bezeichnet die Merkantilisten ausdrücklich als seine

Vorgänger.

b) Merkantilistische Praktiker und / oder Schriftsteller

Frankreich: Jean-Baptiste Colbert (1619-83) war Wirtschafts- und Finanzminister Ludwigs

XIV;

Jean Bodin (1530-96) war in erster Staatsphilosoph, zusammen mit Thomas Hobbes einer der

Begründer der Doktrin des Absolutismus; und Antoine de Montchrétien de Vatteville (1576-

1621) war der erste, der den Ausdruck ‘Politische Ökonomie (Economie Politique)’ verwendete;

Pierre le Pesant, Sieur de Boisguillebert (1646-1714) schrieb u.a. Le détail de France.

England:

Thomas Mun (1571-1641, England’s treasure by foreign trade),

Gerard de Malynes (1586-1641, A treatise of the canker of England’s Commenwealth),

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Nicholas Barbon (1640-98, Discourses on trade), Josiah Child (1639-97, A new discourse on

trade), waren alle Direktoren der Englischen Ostindienkompagnie, einer gigantischen

Handelsgesellschaft, die das Monopol für den englischen Asienhandel innehatte.

William Petty (1623-87, Political Arithmetic (publ. 1690), war Matrose, Arzt und

Landvermesser in Irland unter Cromwell);

Daniel Defoe (1660-1731, Robinson Crusoe (1719, deutsch 1720 !), A Plan of the English

Commerce (1728))

James Steuart (1712-80, An inquiry into the principles of political economy (1767), direkter

Vorläufer von Keynes)

Deutschland (Kameralisten) :

Johann Joachim Becher (1635-82, Politischer Discurs von den eigentlichen Ursachen des Auff-

und Abnehmens der Städt, Länder und Republicken, in specie, wie ein Land folckreich und

nahrhafft zu machen und in eine rechte Societam civilem zu bringen, 1668)

J.G. Darjes (1714-91, Erste Gründe der Cameral Wissenschaften, 1756)

J. von Justi (1717-91, Die Natur und das Wesen der Staaten, 1760)

W. von Schröder (1640-88), Fürstliche Schatz- und Rentenkammer, 1688)

V.L. von Seckendorff (1626-92, Teutscher Fürsten-Staat, 1656)

Hermann Conring (1606-81, Begründer der Statistik)

II. Die Rahmenbedingungen des Merkantilismus

1. Der neue wissenschaftliche Geist

Der wissenschaftliche Geist der Neuzeit ist antidogmatisch; im Gegensatz zum Mittelalter gibt

es keine gesicherten und geglaubten Wahrheiten. Diese Geisteshaltung betrifft sowohl die Natur-

wie die Geisteswissenschaften. Begründet wurde die antidogmatische Haltung durch den

französischen Philosophen René Descartes (1596-1650). Descartes räumt radikal mit allen

Vorurteilen, Dogmen, Autoritäten und damit der Tradition auf und beginnt mit einer einzigen

Gewissheit: Cogito ergo sum – ich denke, also bin ich. Wahrheit ergibt sich, sobald ein geistiger

oder materieller Gegenstand klar und deutlich erfasst worden ist. « Es geht also darum, dass in

der Wesenschau eine Vorstellung nicht nur richtig [klar] in ihrem Gehalt erfasst, sondern auch

unvermischt mit anderen nur in ihrer eigenen Identität allein gesehen wird [deutlich]. Aber was

noch wichtiger ist, es fällt hier nicht mehr das Wort von der adaequatio intellectus et rei

[Übereinstimmung von Denken und Sein]. Wahrheit ist eine Sache der Vernunft; […] Bei

Descartes selbst steckt hinter der perceptio clara et distincta die idea clara et distincta. Seine

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Wesenschau ist [platonische] Ideenschau [Schau einer objektiv vorgegebenen Idee] » (Johannes

Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Band II, p. 95). Am klarsten und deutlichsten ist

natürlich die mathematisch-geometrische Darstellung eines Gegenstandes (genau der Idee des

Gegenstandes, auch des idealen Gegenstandes). Wissenschaft ist demnach für Descartes

Deduktion und mathematisch-geometrische Darstellung. Damit folgt er Platon und kann als

Begründer der exakten Wissenschaften gelten, auch der heutigen mathematischen

Wirtschaftswissenschaften. Die Dominanz von Vernunft (Setzen der Prämissen) und Verstand

(Deduktion ausgehend von vorgegebenen Prämissen), also des reinen Denkens, eigentlich

unabhängig von der Erfahrung, widerspiegelt das französische Misstrauen gegenüber den

Sinneswahrnehmungen, die uns täuschen können (die Sonne kreist um die Erde!). Léon Walras,

der mit seinem Allgemeinen Gleichgewichtsmodell die mathematischen

Wirtschaftswissenschaften begründet hat, führt damit die von Descartes begründete Tradition auf

dem Gebiete der Volkswirtschaftslehre fort.

Ganz anders gingen die Engländer vor. Hier rückten die Sinneswarnung und die Induktion in den

Vordergrund (englischer Empirismus im Gegensatz zudem französischen Rationalismus).

Grundlegend für die englische Tradition ist das wissenschaftliche System von Francis Bacon

(1561-1626).

Francis Bacon wollte eine umfassende Erneuerung der Wissenschaft, die im Mittelalter zum

Stillstand gekommen war. Sein Ziel war allgemeiner Fortschritt, d.h. zunehmende

Naturbeherrschung durch den Menschen zum Zweck der Verbesserung der Lage des Menschen.

Seine Methode: Zuerst Elimination aller Vorurteile (etwa mittelalterlicher Dogmen, z.B. Sonne

kreist um die Erde, die den Mittelpunkt des Universums darstellt). Dann erfolgt die Befragung

der Natur durch systematische (von der Vernunft geleitete) Induktion:

1) Arbeitshypothese aufstellen,

2) Beobachten und Erfahrungen sammeln,

3) Experimente durchführen,

4) Allgemeine Sätze (Gesetze) aufstellen; diese systematisch durch Experimente überprüfen.

5) Gelingt es nicht, die Arbeitshypothese durch Gesetze zu bestätigen, wird ein neuer Anlauf mit

einer anderen Arbeitshypothese gemacht.

Francis Bacon machte sich – im platonischen Sinn! - auch Gedanken über die ideale

Gesellschaft. Er verfasste ein Manuskript: Das neue Atlantis. Der Staat sollte nicht von

Politikern regiert werden, sondern von den besten Köpfen der Wissenschaft. Diese

Schlussfolgerung ist eindeutig platonisch. Die gesellschaftliche Realität kann dann in

Abweichung von der Idealgesellschaft erklärt werden.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die neuzeitlichen Denker haben also nicht nur nach Naturgesetzen gesucht, sie versuchten auch

Gesetze zu finden, die das gesellschaftliche Leben bestimmen; es ging darum, Prinzipien zu

finden, die zur Organisation von Gesellschaften eingesetzt werden können.

Dies führte zu den Vorstellungen von anzustrebenden Gesellschaftssystemen. Drei solche

Vorstellungen von politischen Systemen haben sich in der Neuzeit herausgebildet: der

Absolutismus, der Liberalismus und der Sozialismus. Diesen politischen System entsprachen

wirtschaftliche Systeme: Merkantilismus, Kapitalismus (‘Marktwirtschaft’) und Planwirtschaft

(von 1917 bis 1991 in Russland, ab 1945 auch in Osteuropa, als zentral geplante Wirtschaft

verwirklicht). Etwas vereinfachend gesagt stellt also der ‘Merkantilismus’ das

wirtschaftspolitische System des Absolutismus dar.

2. Der Absolutismus (die dem Merkantilismus entsprechende Staatsphilosophie)

Die politische Theorie des Absolutismus wurde am konsequentesten vom englischen

Staatsphilosophen Thomas Hobbes (1588-1679) ausgearbeitet.

a) Grundlagen seines Systems

Alle theologischen und ethischen Gesichtspunkte werden aus der Politik entfernt. Nur die

Erfahrung zählt. Politik wird demnach Machtpolitik im Sinne von Macchiavelli. Tüchtigkeit und

Erfolg sind primär. Das Problem der guten Gesellschaft tritt zurück. Es geht um staatliche

Machterhaltung und Machtausweitung.

Die mechanistische und mathematische Naturerklärung (Galileo Galilei, Isaac Newton) soll auch

in der Gesellschaftslehre und auf historische Entwicklungen angewendet werden.

b) Das Menschen- und Gesellschaftsbild von Hobbes

Der Mensch ist ein Egoist. Es geht ihm einmal um die Erhaltung seiner Existenz, zum andern

strebt er nach dem Besitz möglichst vieler Güter.

Im NATURZUSTAND herrscht ein KRIEG ALLER GEGEN ALLE (Homo homini lupus –

Der Mensch ist dem andern ein Wolf).

Im Naturzustand wird das Bedürfnis nach Sicherheit sehr stark. Sicherheit kann aber nur durch

eine absolute Macht, den STAAT, garantiert werden.

Wenn sich die Menschen dem Staat unterwerfen, dann werden FRIEDE, geschütztes

EIGENTUM und HÖHERE SITTLICHKEIT (Ausübung von TUGENDEN) möglich.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Staatsbürger haben sich also dem vom Staat gesetzten Recht zu unterwerfen. Dieses Recht

ist nicht, wie im Mittelalter, ein von Gott gesetztes Recht (Naturrecht). "Der Staat bestimmt, was

Recht ist: Was er erlaubt, ist Recht; was er verbietet, Unrecht" (Störig, Kleine Geschichte der

Philosophie).

Hobbes schliesst, dass der Mensch "die Wahl zwischen zwei Übeln [hat,] dem Urzustand, das

heisst völliger Anarchie, oder der restlosen Unterwerfung einer staatlichen Ordnung [einem

absolutistischen Staat]" (Störig).

[Exkurs: Die politische Philosophie des Absolutismus von Hobbes in einem weiteren

Zusammenhang (die Achsenzeit in Europa (Griechenland) und in China).

Ausgangspunkt ist das Buch Vom Ursprung und Ziel der Geschichte (Frankfurt a.M., Fischer-

Verlag, 1955) des deutschen Philosophen Karl Jaspers. Darin spricht Jaspers von geistigen

Hochblüten, die gleichzeitig – in der so genannten Achsenzeit - und unabhängig voneinander in

verschiedenen Räumen entstanden. Diese Epoche stellt nach Jaspers einen Einschnitt in die

Menschheitsgeschichte dar. ‘Mythisch-Theologisches Denken’ tritt zurück, das rationale und

analytische Denken rückt in den Vordergrund. «Diese Achse der Weltgeschichte scheint nun

rund um 500 vor Christus zu liegen, in dem zwischen 800 und 200 stattfindenden geistigen

Prozess. Dort liegt der tiefste Einschnitt der Geschichte. Es entstand der Mensch, mit dem wir

bis heute leben. Diese Zeit sei in Kürze ‘Achsenzeit’ genannt. […]

In dieser Zeit drängt sich Ausserordentliches zusammen. In China lebten Konfuzius und Laotse,

entstanden alle Richtungen der chinesischen Philosophie […], - in Indien entstanden die

Upanischaden, lebte Buddha, wurden alle philosophischen Möglichkeiten bis zur Skepsis und bis

zum Materialismus, bis zur Sophistik und zum Nihilismus, wie in China entwickelt, - in Iran

lehrte Zarathustra das fordernde Weltbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, - in

Israel/Palästina traten die Propheten auf, z.B. Elias, Jesaias und Jeremias, - Griechenland sah

Homer, die Philosophen – Parmenides, Heraklit, Plato, [Aristoteles]» (Jaspers, 14-15).

Der Mensch stellt in dieser Zeit radikale Fragen, beginnt systematisch über Probleme

nachzudenken, also Theorien zu bilden. «Es erwuchsen geistige Kämpfe mit den Versuchen, den

andern zu überzeugen durch Mitteilung von Gedanken, Gründen, Erfahrungen. Es wurden die

widersprechendsten Möglichkeiten versucht. Diskussion, Parteibildung, Zerspaltung des

Geistigen, das sich doch im Gegensätzlichen aufeinander bezog, liessen Unruhe und

Bewegungen entstehen bis an den Rand des geistigen Chaos. In diesem Chaos wurden die

Grundkategorien hervorgebracht, in denen wir heute denken» (Jaspers, 15).

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte So hat Aristoteles mit seiner Lehre von den Staatsformen die Grundlagen für die Politischen

Wissenschaften geschaffen. Den guten Staatsformen Monarchie, Aristokratie und Demokratie

stehen die Entartungen gegenüber: Tyrannei, Oligarchie und Anarchie (siehe Manuskript ‘Antike

und Mittelalter’). Der Absolutismus von Hobbes würde im Aristotelischen System zwischen

Monarchie und Tyrannei stehen.

Es ist nun aufschlussreich parallel zu Karl Jaspers und Griechenland Konrad Seitz über China zu

betrachten (China – Eine Weltmacht kehrt zurück, 3. Auflage, Berlin (Berliner Taschenbuch-

Verlag), 2003). «Die Grundlagen der chinesischen Kultur wurden Mitte des ersten

vorchristlichen Jahrtausends gelegt – in jener weltgeschichtlichen Wendezeit zwischen 800 und

200 v.Chr., die Karl Jaspers als ‘Achsenzeit’ bezeichnete. […] Der Mensch trat aus der

Selbstverständlichkeit und Geborgenheit des Mythos heraus und trat ein in die vorwärts

drängende Zeit des Logos. [Er] begann zu fragen und zu zweifeln. Er wollte selbst erkennen,

‘was gut und böse ist’. Der grosse Aufbruch, von dem niemand weiss, wohin er die Menschheit

noch führen wird, begann» (Seitz, 38).

«Die Achsenzeit war in China eine Zeit des Zusammenbruchs der politischen wie der

moralischen Ordnung» (Seitz, 39). Der jahrhundertealte chinesische Feudalstaat brach um 770

v.Chr. zusammen. Die «mehr als tausend ehemaligen Leihensfürsten [waren] nun de facto

unabhängig und traten in einen darwinistischen Überlebenskampf aller gegen alle ein.

Wie die politische Ordnung, so zerfiel auch die moralische Ordnung. […] Die Welt war aus den

Fugen. Es herrschte Bürgerkrieg. Die Menschen lebten in ständiger Angst vor Plünderung,

Misshandlung und Tod. Wie liess sich die Welt wieder in Ordnung bringen? Aus dieser Frage

entstand die chinesische Philosophie. Sie begann, anders als die Spekulation der jonischen

Naturphilosophen, als Moralphilosophie; ihr Gegenstand war wie bei Sokrates der Mensch. Aus

den ‘hundert’ Antworten auf die Frage, wie Frieden und Harmonie wiederherzustellen seien,

wurden drei für die geistige Entwicklung Chinas entscheidend: die Antwort der Legalisten, die

Antwort der Daoisten und vor allem die Antwort der Konfuzianer. Diese drei Antworten haben

die chinesische Kultur geformt» (Seitz, 39/40).

«Die Legalisten gingen davon aus, dass eine neue Zeit begonnen habe, [eine Zeit der

Verteilungskämpfe. Es war nun unmöglich,] nach den alten Ritual- und Moralregeln regieren zu

wollen. Frieden und Ordnung liessen sich nur durch ein grundlegend neues Herrschaftssystem

wiedergewinnen – ein System, das sich nicht auf ein angeblich göttliches Moralgesetz berief,

sondern die Untertanen unter ein vom Herrscher willkürlich, doch planvoll gesetztes Recht

zwang. Die neuen ‘Handhaben der Macht’ waren harte Strafgesetze und grosszügige

Belohnungen.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Legalisten zielten darauf, den Feudalstaat endgültig abzulösen durch einen zentralistischen

Staat unter einem absoluten Herrscher. Der Herrscher regierte mithilfe einer Beamtenschaft, die

er nach ihrer fachlichen Qualifikation aussuchte. An die Stelle einer feudalen Aristokratie trat

eine Meritokratie. Vor dem Gesetz waren alle gleich. Es galt für die Aristokraten wie für den

gemeinen Mann ohne Unterschied, und es forderte von den Untertanen keinerlei moralische

Zustimmung, sondern nur blinden Gehorsam. Die Legalisten gaben also auf die Krise ihrer Zeit

eine Antwort, wie sie – aus der gleichartigen Erfahrung des englischen Bürgerkrieges heraus –

Thomas Hobbes zweitausend Jahre später geben sollte: Schaffung eines Leviathans, des

allmächtigen Staatsapparats, unter einem absoluten Herrscher, der die Menschen durch Furcht

und Terror zu Ordnung und Frieden zwingt» (Seitz, 40/41).

Wirklich eine frappierende Übereinstimmung! Sind eventuell über die Seidenstrasse Berichte

über die Chinesische Politische Theorie in den Westen gelangt? Diese Frage gilt auch für den

Daoismus. Sicher ist dagegen, dass das physiokratische System von François Quesnay

entscheidend von konfuzianischen Gedanken beeinflusst wurde (Berichte von Jesuiten, die in

China gelebt hatten). François Quesnay wurde sogar der Konfuzius des Westens genannt (siehe

Manuskript über die Physiokratie).

«Für die Daoisten ist die Ursache aller Übel die Zivilisation, die Herauslösung des Menschen

aus der Natur, in der er einst harmonisch lebte. Wie zwei Jahrtausende später Rousseau fordern

sie deshalb eine Rückkehr zur Natur. Der Mensch soll sich wieder, ruhig und absichtslos, der

Ordnung der Natur (dao) überlassen. [Es bestehen auch Ähnlichkeiten zur den römischen

Stoikern.]

Der Daoismus wurde zu einer breiten geistigen und religiösen Strömung, die bis heute

wirkungsmächtig blieb. Er regte die kontemplative Versenkung in die Natur an und inspirierte

die Maler chinesischer Landschaftsbilder […] ebenso wie die Schöpfer chinesischer Gärten»

(Seitz, 41/42).

Im Gegensatz zum individualistischen Daoismus steht die Lehre von Konfuzius, «nach der der

Mensch seine Menschlichkeit nur als Teil der Gesellschaft entfalten [kann – wie bei

Aristoteles]» (Seitz, 42).

«Die gute Gesellschaft und der gute Staat [kann nur] durch die Wiederherstellung der

überlieferten Moralordnung [zustande kommen]. Ordnung und Harmonie konnten nur entstehen,

wenn die Menschen von einer verinnerlichten Moral geleitet würden» (Seitz, 43). Wiederum

besteht eine Parallele zu Aristoteles.]

3. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte a) Politische Veränderungen

Aus dem Spätmittelalter wächst allmählich eine neue politische Struktur heraus: der

Absolutismus, der sich zeitlich etwa mit dem Merkantilismus deckt - ungefähr 1550-1750. An

der Spitze eines Territorialstaates steht der Landesfürst (König, Herzog, Fürst-Bischof). Der

Fürst stützt sich ab auf ein (Söldner-)Heer und die Administration. Der Adel stellt Offiziere und

Beamte. Der Klerus stellt ebenfalls Beamte (die Kardinäle Richelieu und Mazarin als engste

Berater von Ludwig XIII und Ludwig XIV), ebenso das Grossbürgertum – Grossbürger werden

vielfach geadelt. Wirtschaftlich gesehen sind die Grossbürger, Fern-Kaufleute und Besitzer von

Manufakturen und Bankiers; sie entrichten hohe Steuern und Abgaben. Das Kleinbürgertum

besteht aus unabhängigen Bauern und Handwerker sowie Kaufleute. Die unterste

Gesellschaftsschicht sind die unselbständigen Arbeiter in Landwirtschaft, in Manufakturen

sowie im Handwerk.

Die Staatsphilosophie von Hobbes bildet die konzeptionelle Grundlage dieser gesellschaftlichen

Ordnung.

b) Wirtschaftliche Veränderungen (stichwortartig: Wirtschaftsgeschichte!)

Es findet eine rasche Entwicklung des Überseehandels ab 1500 statt. Es werden

Handelskompanien (Ostindienkompanien) und Manufakturen gegründet. Der Staat (die

staatliche Administration) gewährte Privilegien für die Produktion und den Handel von Gütern.

Für diese Privilegien waren Zahlungen an den Staat zu leisten. Weil die Privilegien meistens

ausschliesslich waren, entstanden Handels- und Produktionsmonopole.

Die gigantischen Handelsgewinne wurden für den Kauf von Boden und zum Aufbau von

Manufakturen verwendet.

Verarmte Adelige verkauften Land an Bürger, vor allem Grossbürger (und an den Hochadel). In

protestantischen Gebieten nahm der Landbesitz der Bürger besonders rasch zu. Klöster wurden

enteignet, vor allem natürlich Land und Gebäulichkeiten. Allgemein fand eine Aneignung von

Kirchengut in protestantischen Ländern statt. Grosskaufleute, die risikoreichen Fernhandel

betrieben, kauften Boden, um ein sicheres Einkommen zu haben.

Kapitalistische Bodennutzung zielte auf eine rentablere Produktion. Beispielsweise ging man

vielfach von Ackerbau auf Viehzucht über, vor allem Schafe. Die Schafzucht warf hohe Erträge

ab, weil die Nachfrage nach Wolle sehr stark war (rasche Ausbreitung von Textilmanufakturen).

Zudem ist die kapitalistische Bodennutzung verbunden mit der Einzäunungsbewegung, die mit

massiven Freisetzungen von landwirtschaftlichen Arbeitskräften verbunden sind. Allgemein

wird die Produktion rationalisiert. Vor allem wichtig ist, dass die Schafzucht viel weniger

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte arbeitsintensiv ist als der Ackerbau. Vielfach findet eine gewaltsame Vertreibung von Bauern

statt. Dadurch wurden meistens sehr alte feudale Nutzungsrechte der Bauern einseitig

aufgehoben (beim Lehenswesen hatten Adel und Bauern Nutzungsrechte am Boden).

Mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft wird das Gemeineigentum an (Lehens-)Boden immer

mehr zum Privateigentum. Die Ausbreitung des Privateigentums beschleunigt sich mit den

kapitalistischen Tendenzen der Neuzeit. [In aristotelischer Terminologie fand eine progressive

'Chrematisierung' des Bodens statt. Der Zweck des Bodens ist nicht mehr die Versorgung der

politischen Gemeinschaft mit Nahrungsmitteln, sondern Gewinnerzielung.]

Manufakturen und Verlagssystem:

In den Manufakturen wurden in grösserem Umfange Güter hergestellt. Mehrere Handwerker

werden in einem Raum vereinigt. Es findet einfache Arbeitsteilung statt. Der einzelne Arbeiter

spezialisiert sich und stellt nur noch einen Teil eines Produktes her. (Diese vereinfachten

Arbeitsvorgänge werden dann im Zuge der industriellen Revolution zum grossen Teil von

Maschinen übernommen.)

Beim Verlagssystem versorgt ein Grosskaufmann Heimarbeiter (Familien) mit Rohmaterialien,

z.B. Wolle. Diese wird in Heimarbeit gesponnen und verwoben. Der Grosskaufmann kauft dann

den Heimarbeitern das Fertigprodukt ab und besorgt den Verkauf, zum Teil auf fernen Märkten.

Arbeitslos gewordene Handwerker sowie freigesetzte landwirtschaftliche Arbeitskräfte bilden

den Grossteil des Manufakturproletariats.

c) Gesellschaftliche und politische Folgen dieser Veränderungen

Die zunehmende Wirtschaftstätigkeit in Europa (Landwirtschaft, Handel, Manufakturen)

bewirkte gewaltige Einkommens- und Vermögenssteigerungen vor allem des Grossbürgertums.

Gestützt auf diese zunehmende wirtschaftliche Kraft ergibt sich auch eine Verstärkung der

politischen Rolle des Bürgertums, vor allem in einer Mitsprache im wirtschaftlichen Bereich

(Wirtschaftsgesetze, Steuerfragen, Staatsausgaben).

Der absolute Staat (mit dem Fürsten an der Spitze) wird vom Bürgertum immer abhängiger, vor

allem aus drei wichtigen Gründen:

*Einmal verschlingen die Söldnerheere gewaltige Geldsummen. Die Erhaltung und Abrundung

des Territoriums im Zeitalter der europäischen Nationenbildung bringt ständige Kriegsgefahr.

Ein stehendes Heer wird erforderlich.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte *Zudem werden weltweite Interessen vertreten, um die Wirtschaftskraft und damit auch die

militärische Kraft eines Landes zu stärken. Zweck ist die Stärkung der Position auf der

europäischen politischen und militärischen Szene. Kolonien und abhängige Gebiete werden

geschaffen, Stützpunkte errichtet, um neue Absatzmärkte und Rohstoffquellen zu erschliessen.

Die Sicherung dieser Gebiete und der entsprechenden Seewege erfordert umfangreiche

militärische und administrative Mittel.

*Schliesslich muss innerhalb des einzelnen Landes eine Administration aufgebaut werden

(Staatsfinanzen, Gesetzgebung und -ausführung, Justiz und innere Sicherheit, Erziehung und

Ausbildung (in merkantilistischer Zeit noch schwach ausgebildet; die Kirche spielt im

Schulwesen immer noch die entscheidende Rolle) und natürlich die Finanzierung des Heeres und

der weltweiten Interessenvertretung).

Deshalb sind die Fürsten auf hohe Steuereinnahmen angewiesen, die nur vom Bürgertum (vor

allem Grossbürgern) erbracht werden können. Zudem verschulden sich die Staaten zunehmend.

Grosse Bankiers (Fugger, Rothschild) gewähren Darlehen an Fürsten. In Einzelfällen wird auch

versucht, das Geldsystem zu reorganisieren, um die Ressourcen eines Landes besser nutzen zu

können. Warengeld (Edelmetalle) sollen durch stoffwertloses Papiergeld abgelöst werden

(Anwendung der Gesetzestheorie des Geldes). Bezeichnend dazu ist das Experiment des

schottischen Financiers John Law im Frankreich von Ludwig XV. zu Beginn des 18.

Jahrhunderts. Das Bürgertum wird also vom Staat beansprucht und zu Leistungen herangezogen.

Das Bürgertum ist aber verständlicherweise nur bereit, Leistungen an den Staat zu erbringen,

wenn der Fürst Gegenleistungen erbringt. Die wichtigsten Gegenleistungen des Fürsten an das

Bürgertum sind nach Eli Heckscher die folgenden:

1) Vereinheitlichung des Wirtschaftsgebietes (Abschaffung von Binnenzöllen). Damit weitet

sich für den einzelnen Produzenten der Markt aus.

2) Vereinheitlichung des Rechtssystems (Ausbreitung des Römischen Rechts). Auf einer

solideren Rechtsgrundlage kann sich das Wirtschaftsleben besser entfalten.

3) Sicherheit für Handel und Gewerbe: Sicherung der Verkehrswege, vor allem der Seewege für

den Überseehandel und der erforderlichen Stützpunkte (erfordert den Aufbau einer Kriegsflotte).

4) Schaffung von neuen Märkten, vor allem für Manufakturprodukte (z.T. in Kolonien und

abhängigen Gebieten).

5) Damit einher geht die Sicherung von Beschaffungsmärkten für Rohstoffe.

6) Gewährung von Handels- und Manufakturprivilegien (Monopole).

Zum Beispiel sind die Englische und die Holländische Ostindienkompanie Riesengesellschaften,

die in ihrem Land das Monopol für den Asienhandel haben. Beide waren Aktiengesellschaften.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Aktien der Holländischen Ostindienkompanie wurden vom holländischen Staat, der Stadt

Amsterdam und von holländischen Grossbürgern gezeichnet. Die ‘finanzkräftige’ Holländische

Ostindienkompanie war auch militärisch so stark, dass sie es im 17. Jh. einmal gewagt hat, einer

der grössten europäischen Seemächte, Spanien, den Krieg zu erklären!! (Allerdings gab es keine

Seeschlachten.).

4. Neues Wirtschaftsdenken

Im Mittelalter war das wirtschaftliche Denken von der Ethik dominiert. Das Zinsnehmen und die

Zinshöhe mussten gerechtfertigt werden. Der Versuch, gerechte Preise durchzusetzen, erforderte

Qualitätskontrollen. Es bestand ein allgemeines Streben, erlaubten von unerlaubtem Reichtum zu

trennen.

In der Neuzeit (ungefähr ab 1500) wurde das Wirtschaftsleben langsam aus der Ethik

herausgelöst und wurde immer mehr autonom und man konnte daran gehen, wirtschaftliche

Tatsachen zu erforschen, um wirtschaftliche Gesetzmässigkeiten herauszufinden. Es setzt ein

Denken über wirtschaftliche Probleme ein. Dieses ist allerdings noch nicht umfassend und

systematisch, so dass man von einem theoretischen System sprechen könnte. Ein solches wurde

erstmals von Adam Smith entwickelt. Deshalb wird Adam Smith’s Wealth of Nations auch als

Beginn der ökonomischen Klassik bezeichnet (‘klassisch’ bedeutet ‘perfektioniert’, ‘ausgereift’).

Die Merkantilisten haben Theorienbruchstücke entwickelt, vor allem im Zusammenhang mit den

Problemen der Beschäftigung und des Geldes.

In der merkantilistischen Zeit entwickelt sich also zunehmend die Vorstellung, dass die

Wirtschaft ein autonomer Bereich mit eigener 'natürlicher' Ordnung sei. Aber ein

sozialethisches Element ist immer noch vorhanden. Die Wirtschaft im Merkantilismus ist noch

vorwiegend Mittel im Dienste des Staates. Im Liberalismus wird dann die Wirtschaft immer

mehr zum Selbstzweck.

Man beginnt auch, Vorstellungen über die Organisation, die Gestaltung der Wirtschaft zu

entwickeln (Wirtschaftspolitik - Handeln im wirtschaftlichen Bereich).

Was das Handeln - Wirtschaftspolitik - angeht, ist der wichtigste Grundsatz, Reichtum jeder Art

zu fördern. Dazu sind Techniken zu entwickeln.

In einer ersten Phase (bis 1688 in England) steht der Reichtum des Staates, des Fürsten im

Vordergrund: Der Kaufmann ist Diener von König und Vaterland! Der englische Merkantilist

Thomas Mun (1571-1641) schreibt in seinem Buch, das 1644 posthum veröffentlicht wurde:

"Man liebt sein Vaterland und dient ihm ... . ... es ist ein Grundsatz der Staatsräson, alles zu

erhalten und zu beschützen, was den Staat und sein Vermögen stärkt und mehrt." Dies ist typisch

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte merkantilistisch. Von grundlegender Bedeutung ist, dass Thomas Mun und eigentlich alle

Merkantilisten implizit die Ansicht vertraten, dass eine Geldwirtschaft nicht selbstregulierend

sei und dass Arbeitsplätze über den internationalen Handel mit Exportüberschüssen erkämpft

werden müssen.

Intuitiv haben die Merkantilisten gesehen, dass die mittelalterliche Sequenz W-G-W’

(allgemeine Überproduktion ist nicht möglich) nicht mehr gilt - diese impliziert, dass letztlich

Waren gegen Waren getauscht werden, wobei das Geld G nur als Mittler auftritt. Die

mittelalterlichen Wirtschaften waren also noch Tauschwirtschaften. Dagegen sind die

neuzeitlichen bereits Geldwirtschaften. Die neuzeitlichen Sequenzen sind nun G-W-G’ (für den

Handel, vor allem den Fernhandel) und G-W … P …W’-G’ für die Produktion und Zirkulation

(Manufakturen und Verlagswesen), wobei P bereits für eine einfache Form des sozialen

Produktionsprozesses steht (Bezugs- und Lieferungsgeflecht, in der neuesten Zeit durch die

Leontiev-Tabelle festgehalten). In einer Geldwirtschaft kann die Nachfrage in Geld ausgedrückt

(G’) eine Restriktion für den Absatz von Waren (W oder W’) bilden. Allgemeine

Überproduktion und unfreiwillige Arbeitslosigkeit werden möglich.

In einer zweiten Phase (etwa ab 1700, in England ab 1688) steht vermehrt privates

Reichtumsdenken im Vordergrund. Der Staat setzt nur noch den (vor allem rechtlichen) Rahmen,

um privates Reichtumsstreben zu fördern. Von zentraler Bedeutung ist, dass die Wirtschaft

immer mehr als selbstregulierendes System betrachtet wird. Dies ist bereits Liberalismus. Das

liberale Denken erreicht mit Adam Smith einen ersten Höhepunkt. Selbstregulierung und

Harmonie werden hier in Analogie zu Newtons Harmonie der Sphären (des Universums)

postuliert.

III. Das Wesen des Merkantilismus

1. Der Merkantilismus als politisches und ökonomisches System (Eli Heckscher)

a) Liberalismus und Merkantilismus

Im modernen Liberalismus ist die politische Macht nicht Selbstzweck. Sie soll die materielle und

geistige Wohlfahrt der Einzelnen fördern. Die Politik steht im Dienste der Wirtschaft (Setzen

von Rahmenbedingungen, so dass die Wirtschaft möglichst gut funktioniert).

Im Merkantilismus ist politische Macht und Steigerung der Macht Selbstzweck (Machtsystem

nach Heckscher). Dies ist das Wesen des Absolutismus, in dessen Diensten die merkantilistische

Wirtschaft steht.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Machtentfaltung des absolutistischen Staates tritt vor allem nach aussen in Erscheinung. Es

geht um die Erhaltung und die Erweiterung (Abrundung) des Territoriums. So hat Frankreich

über Jahrhunderte hinweg nach natürlichen Grenzen gestrebt. Vor allem versuchte es, den Rhein

zu erreichen. Die Machtentfaltung nach innen drückte sich beispielsweise aus in strengen Strafen

für geringfügige Vergehen, etwa jahrelange Galeerenstrafen für die Gewinnung von Salz aus

Mehrwasser, weil dies gegen das Salzmonopol des Staates verstiess. Das Individuum zählt nicht,

es war nur Funktionsträger in der Gesellschaft und hatte im Dienste des Staates zu stehen.

Machtdemonstrationen des Herrschers, die sich ausdrückten in Prachtbauten, wie Versailles,

sowie die luxuriöse Lebenshaltung des weitgehend parasitären Adels stellen ebenfalls

Machtentfaltung nach innen dar.

Nur eine starke Wirtschaft konnte die Mittel der äusseren und inneren Machtpolitik beschaffen.

Deshalb wurden verschiedene Massnahmen getroffen, um die Wirtschaft zu stärken.

b) Drei Massnahmen zur Stärkung der Wirtschaft und damit zur Erhöhung der Steuereinnahmen

(Eli Heckscher, Der Merkantilismus):

1) Förderung der Produktion, quantitativ und qualitativ

*Errichtung von staatlichen (Muster-)Manufakturen (vor allem in Frankreich während der

zweiten Hälfte des 17. Jh. durch Jean-Baptiste Colbert, dem Wirtschafts- und Finanzminister von

Ludwig XIV.)

*Verbesserte Ausbildung der Arbeitskräfte, um qualitativ hochstehende Produkte herzustellen

(Kleidung - Luxuskleider, Gobelins – Wandteppiche mit eingewirkten Gemälden). Frankreich

versuchte in Europa modisch führend zu sein (Kleider, Möbel) und unternahm regelrechte

Marketing-Kampagnen, um den Absatz vor allem von Luxusprodukten im Ausland zu fördern.

*Eingliederung aller verfügbaren Arbeitskräfte in den Arbeitsprozess. Damit verbunden war der

Kampf gegen den Müssiggang und die zwangsweise Beschäftigung von Bettlern und

Vagabunden.

2) Förderung des Binnenhandels

*Abschaffung der Binnenzölle, damit Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes.

In jedem Territorialstaat wurde ein einheitliches Rechtssystem geschaffen (Wirtschaftsrecht im

Allgemeinen, Handelsrecht im Besonderen). Allgemein in Westeuropa fand so eine stetige

Ausweitung des römischen Rechts statt. Dieses gelangte im Zuge der Französischen Revolution

durch die gesetzgeberischen Massnahmen Napoleons endgültig zum Durchbruch.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Heckscher bezeichnet die Massnahmenpakete 1) Förderung der Produktion und 2) Förderung des

Binnenhandels als Einheitsbildendes System. Beide Massnahmengruppen trugen entscheidend

zur Bildung der Einheit der europäischen Nationalstaaten bei.

3) Aussenhandel

Reichtumssteigerung durch Erzielen eines Aussenhandelsüberschusses, verbunden mit einem

Zufluss von Edelmetallen. Modern gesprochen geht es hier um den Beschäftigungseffekt des

Aussenhandels.

Diese Doktrin wurde während etwa 200 Jahren (1550-1750) von den Merkantilisten mit

grösstem Nachdruck vertreten.

Um die merkantilistische Doktrin zu begründen wurden Bruchstücke von Theorien entwickelt,

vor allem in den Bereichen Aussenhandel, Beschäftigung und Geld. Daraus wurden

wirtschaftspolitische Vorschläge abgeleitet. (Aber erst die Physiokraten und Klassiker haben

umfassende Systeme der Volkswirtschaftslehre entwickelt.)

2. Die zentrale Bedeutung des Aussenhandels illustriert am Beispiel einer Schrift von

Thomas MUN (1571-1641)

Thomas Mun, Direktor der Englischen Ostindien-Kompanie, war einer der profiliertesten

merkantilistischen Schriftsteller. 23 Jahre nach seinem Tode (1664) veröffentlichte sein Sohn

sein Buch Discourse on England’s Treasure by Forraign Trade, das eine der besten

Formulierungen der merkantilistischen Wirtschaftdoktrin enthält. Dazu einige kommentierte

Auszüge, enthalten in

Heinrich Bortis: Thomas Mun and David Ricardo – The Origin of two Approaches in the Theory

of International Trade. In: L’espace économique mondial et régional en mutation – Hommage au

Professeur Gaston Gaudard, édité par Philippe Gugler et Remigio Ratti. Zurich-Berne-Bâle

(Schulthess Médias Juridiques SA) 2003, pp. 61-80.

Seite 62: “Thomas Mun starts his Discourse on England’s Treasure by Forraign Trade in an

almost solemn way by saying that „the Merchant is worthily called The Steward of the Kingdoms

Stock, by way of Commerce with other Nations;“(Mun 1664, p. 3). The core of Mun’s argument

is set forth in chapters II and III (Mun 1664, pp. 11-33). Chapter II is about „The means to enrich

this Kingdom, and to encrease our Treasure“ (p. 11). In modern terms the problem is about

raising output and employment on the one hand, and about increasing the quantity of money –

precious metals in mercantilist times – facilitating thus the building up of a state (royal) treasury.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Thomas Mun, the great practical economist, starts off very firmly: „The ordinary means ... to

encrease our wealth and treasure is by Forraign Trade, wherein we must ever observe this rule;

to sell more to strangers yearly than we consume of their value“ (p. 11). Exports must exceed

imports. In chapter III Mun considers „The particular ways and means to encrease the

exportation of our commodities, and to decrease our Consumption of forraign wares“ (p. 7). We

mention here some of the twelve points Mun considers.

„First, although this Realm be already exceeding rich by nature, yet might it be much encreased

by laying the waste grounds (which are infinite) into such employments as should no way hinder

the present revenues of other manured lands, but hereby to supply ourselves and prevent the

importations of Hemp, Flax, Cordage, Tobacco, and divers other things which now we fetch

from strangers to our great impoverishing“ (pp. 15-16).

“[Second, we] may likewise diminish our importations, if we would soberly refrain from

excessive consumption of forraign wares in our diet and rayment, with such often change of

fashions as is used, so much the more to encrease the waste and charge; which vices at this

present are more notorious amongst us than in former ages. Yet might they easily be amended by

enforcing the observation of such food laws as are strictly practised in other Countries against

the said excesses; where likewise by commanding their own manufactures to be used, they

prevent the coming in of others, without prohibition, or offence to strangers in their mutual

commerce“ (pp. 16-17).

“[Third, in] our exportations we must not only regard our own superfluities, but also we must

consider our neighbours necessities, that so upon the wares which they cannot want, nor yet be

furnished thereof elsewhere, we may (besides the vent of the Materials) gain so much of the

manufacture as we can and also endeavour to sell them dear, so far forth as the high price cause

not a less vent in the quantity“ (p. 17).

And Mun goes on to say that England’s export goods should be transported by English ships,

and that its own fishing grounds should be used better (pp. 20-22). „Our Fishing plantation

likewise in New-England, Virginia, Greenland, the Summer Islands and the New-found-land, are

of the like nature, affording much wealth and employment to maintain a great number of poor,

and encrease our decaying trade“ (p. 23). He ends by saying that, „in all things we must

endeavour to make the most we can of our own, whether it be Natural or Artificial“(p. 31), a

conclusion echoed by Keynes in his National Self-Sufficiency (Keynes 1933-1982) three hundred

years later.

Thomas Mun was, of course, not the only one to argue in favour of the largest possible surplus of

exports over imports. Already around 1550 an English mercantilist, Clement Armstrong, worried

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte about immense quantities of foreign products flowing into England, causing there scarcity of

precious metals and destroying handicrafts, putting out of work many people, who, subsequently,

have no incomes to buy food and beverages, and are forced to lie idle and who, eventually, have

to beg or to steal to be able to survive (Heckscher II, 1932, pp. 109-10). William Petty went even

further and claimed, around 1662, in a Keynesian vein, that it would be better to burn the

produce of a thousand workers, than to let these people lose their capacity to work through

unemployment. Later Friedrich List argued that the capacity to produce is more important than

the increased wealth resulting from production (Heckscher II, 1932, pp. 109-10). Johann

Joachim Becher said that it is always better to sell products to foreigners rather than to buy from

them; selling is associated with great advantages regarding employment, buying causes

unemployment; a French saying went thus: „il faut décharger le royaume de ses

marchandises“(Heckscher II, 1932, p. 102). Heckscher – a well-known neoclassical economist –

concludes by saying that mercantilism was obsessed by a fear of gluts which cannot be explained

(Heckscher II, 1932, p. 100). However, the mercantilist fear of gluts was evidently closely

associated with a concern about unemployment and with the possibility to create workplaces

through aggressive trade policy and with other measures against unemployment (Heckscher II,

1932, p. 107).

This is indeed the crucial point confirmed by Keynes in his General Theory in the Notes on

Mercantilism, The Usury Laws, Stamped Money and Theories of Underconsumption (Keynes,

1936/1973, ch. 23): „For some two hundred years [1550-1750 approximately] both economic

theorists and practical men did not doubt that there is a peculiar advantage to a country in a

favourable balance of trade and grave danger in an unfavourable balance, particularly if it results

in an efflux of the precious metals“ (Keynes, 1936, p. 333). Subsequently, Keynes pictures the

essential characteristics of mercantilist economic thought.

First, „Mercantilists’ thought never supposed that there was a self-adjusting tendency by which

the rate of interest would be established at the appropriate level. On the contrary they were

emphatic that an unduly high rate of interest was the main obstacle to the growth of wealth; and

they were even aware that the rate of interest depended on liquidity preference and the quantity

of money [...] and several [mercantilist writers] made it clear that their preoccupation with

increasing the quantity of money was due to their desire to diminish the rate of interest“

(Keynes, 1936, p. 341). And, in mercantilist times, the only possibility to increase the quantity of

money was an excess of exports over imports, unless, of course, a country possessed gold or

silver mines.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Second, the „mercantilists were aware of the fallacy of cheapness and the danger that excessive

competition may turn the terms of trade against a country“ (Keynes, 1936, p. 345). Later, the

squandering of a country’s products on foreign markets at low prices has become known as

immiserising growth.

Third, the „mercantilists were the originals of ‚the fear of goods’ and the scarcity of money as

causes of unemployment which the classicals [and the neoclassicals] were to denounce two

centuries later as an absurdity“ (Keynes 1936, p. 346). They „were conscious that their policy [of

aiming at a trade surplus] killed two birds with one stone. On the one hand the country was rid of

an unwelcome surplus of goods, which it was believed to result in unemployment, while on the

other the total stock of money in the country was increased, with the resulting advantages of a

fall in the rate of interest“ (ibid., p. 347). This argument can even be carried further: The surplus

of exports over imports is an autonomous or primary demand which leads to a multiple of

(induced or secondary) demand for consumption goods. What mattered for the mercantilists was

the primary and secondary employment thus created. Inserting beggars and people without work

into the process of production was a fundamental mercantilist preoccupation associated with the

‚fear of goods’(Heckscher, 1932). This is the ‚real’ side of the argument associated with a direct

output and employment effect of an export surplus, the monetary side being linked with the rate

of interest and its influence on investment. This leads to an indirect link between export surplus

and employment: The surplus of exports over imports leads to an inflow of precious metals or an

increase in the quantity of money. The rate of interest declines as a consequence and, as a rule,

the volume of investment increases which, again, means a rise of primary or autonomous

demand inducing a secondary or indirect demand for consumption goods. On the whole, the

mercantilists expected, as a rule, a cumulative process of employment creation from an export

surplus, leading to a cumulative increase of national wealth in the form of a higher social

product.

Forth, and finally, the „mercantilists were under no illusions as to the nationalistic character of

their policies and their tendency to promote war. It was national advantage and relative strength

at which they were admittedly aiming“(Keynes, 1936, p. 348). With substantial involuntary

unemployment in the various trading countries and no tendency towards full employment,

competition becomes a struggle for survival. This struggle was economic and political-cum-

military in mercantilist times, when the European nations were basically formed. An export

surplus was one important element leading to a ‚strong’ economy capable of yielding high tax

revenues which, in turn, enabled a country to build up an efficient army or, much more

important, a strong navy to protect the merchant fleet and to keep colonies or dependent regions

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte under control. Hence a strong state (army, navy) would make the economy stronger, and vice

versa. There was a cumulative interaction between the economy and the state, above all

regarding its military dimension. Basically with mercantilism, sometimes combined with

absolutism, with France being the leading example of this combination, the economy stood, as a

rule, in the service of the state which, in turn, depended upon the economy. Agriculture and the

peasants were no longer able to produce a surplus, that was sufficiently high to carry the state,

which, therefore, more and more relied upon trade, local and overseas, and upon manufactures to

obtain the tax revenues required, in line with the ambitions of the emerging nation states”(Seite

66).

3. Der analytische Kern der merkantilistischen "Wirtschaftstheorie"

Die merkantilistische Wirtschaftstheorie kann leicht verständlich mit Hilfe von Keynesianischen

Konzepten dargestellt werden. (Wie gerade in Punkt 2 oben angedeutet, gibt das 23. Kapitel der

'Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes' Aufschluss über die sehr

enge Beziehung zwischen Keynes und den Merkantilisten. Keynes bezeichnet die Merkantilisten

ausdrücklich als seine Vorläufer.)

Den Merkantilisten und Keynes ist gemeinsam: Vollbeschäftigung kommt in einer

Geldwirtschaft nicht automatisch zustande. Ein höheres Beschäftigungsniveau - weniger

Arbeitslosigkeit - muss erkämpft werden.

Nach Heckscher stehen zwei grundlegende Aspekte des Handelsbilanzüberschusses im

Vordergrund, der Warenaspekt und der Geldaspekt. Heute würde man vom realen Aspekt und

vom monetären Aspekt des Handelsbilanzüberschusses sprechen.

a) Der Warenaspekt (realer Aspekt):

Ein Handelsbilanzüberschuss (X – M > 0) stellt eine autonome Nachfrage dar. Ein Land verkauft

im Ausland mehr (Exporte X) als es vom Ausland kauft (Importe M). Diese autonome Nachfrage

schafft zusätzliche Produktion, Einkommen und Arbeitsplätze. Aber die Wirkungen von (X-M)

gehen über diesen Primäreffekt hinaus. Die zusätzlichen Einkommen werden zum grössten Teil

konsumiert. Dadurch entsteht im Konsumgütersektor eine Zusatznachfrage, die wieder zu

zusätzlicher Produktion, Einkommen und Beschäftigung führt. Ein Teil der neuen, im

Konsumgütersektor geschaffenen Einkommen wird wieder konsumiert, und so weiter.

Der Handelsbilanzüberschuss als autonome Nachfrage löst also einen kumulativen Prozess der

Konsumgüternachfrage aus.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Prinzipiell kann dieser kumulative Prozess in moderner Form durch den Ausgabenmultiplikator

von Keynes dargestellt werden – die Merkantilisten haben natürlich keine Formeln entwickelt,

sondern diesen Prozess verbal beschrieben. (Hier wird die allereinfachste Form des

Multiplikators präsentiert, wie sie sich in jedem Lehrbuch über Makroökonomie findet.)

Q, das Sozialprodukt, und Y das entsprechende Volkseinkommen, repräsentieren die

Angebotsseite der Wirtschaft. Die Nachfrage-komponenten sind die Konsumgüternachfrage C,

die Investitionen I und der Handelsbilanzüberschuss (X-M).

Q = Y = C + I + (X-M) (1)

Der Konsum hängt vom Einkommen ab : C = cY (2)

c ist hier die marginale und durchschnittliche Konsumquote, z.B. c = 0.8, d.h. 80% der

Einkommen werden konsumiert.

(2) in (1) eingesetzt und der Konsum cY auf die linke Seite genommen, ermöglicht es, die

kumulative Auswirkung von (X-M) auf Q und Y im Prinzip zu erfassen:

1

∆Q = ∆Y = -------- (X-M) (3)

1 - c

Bei einem Aussenhandelsbilanzüberschuss (X-M) = 1000 und bei einer Konsumquote von c =

0.8 erhöht sich also das Volkseinkommen und das Sozialprodukt um 5000, d.h. der Multiplikator

1/(1-c) ist gleich 5.

Dieses Resultat ist zurückzuführen auf einen kumulativen Prozess, der von der autonomen

Ausgabe (X-M) eingeleitet wird. Dieser Prozess kann mit einer geometrischen Reihe erfasst

werden [Mathematik als Kurzschrift, um ein komplexes Problem in den Griff zu bekommen;

wichtig ist der Inhalt, nicht das Formale!]. Die Zunahme des Sozialprodukts und des

Volkseinkommens kann nämlich so geschrieben werden:

∆Q = ∆Y = (X-M) + c (X-M) + c2 (X-M) + c3 (X-M) + c4 (X-M) + ... (4)

Der Aussenhandelsüberschuss (X-M) stellt eine erste Zunahme von Sozialprodukt und

Volkseinkommen dar; es handelt sich hier um den Primäreffekt von (X-M). Alle anderen

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Ausdrücke stellen den wichtigeren Sekundäreffekt der Konsumgüternachfrage- und produktion

dar: c(X-M) stellt den Konsum aus den durch den Aussenhandelsüberschuss geschaffenen

Einkommen in der Höhe von (X-M) dar. Durch diese Konsumgüternachfrage entstehen neue

Einkommen in der Höhe von c(X-M). Daraus wird wieder konsumiert und dadurch neue

Einkommen in der Höhe von c2 (X-M) geschaffen, und so weiter.

Ausgehend von Gleichung (4) kann der Multiplikator ganz enfache hergeleitet werden. In dieser

Beziehung muss zuerst einmal mit der Konsumquote c (z.B. 0.8) multipliziert werden:

c ∆Q = c ∆Y = c (X-M) + c2 (X-M) + c3 (X-M) + c4 (X-M) + c5 (X-M) + ... (5)

Gleichung (5) von (4) subtrahiert ergibt die Beziehung (3)! In (4) und (5) fallen nämlich auf der

rechten Seite alle Ausdrücke, die die Konsumquote c enthalten, weg.

Dieses Argument kann mit einem Zahlenbeispiel noch etwas besser verständlich gemacht

werden [(X-M) = 1000 und c = C/Y = 0.8]:

∆Q ∆Y

(X-M) = 1000 1000

c(X-M) = 800 800

c2(X-M) = 640 640

….. ….

5000 5000

Also, ein Aussenhandelsüberschuss von 1000 führt zu einem zusätzlichen Sozialprodukt (∆Q)

und einem erhöhten Volkseinkommen (∆Y). Aus ∆Y = 1000 werden 80% konsumiert, was zu

zusätzlicher Konsumgüterproduktion ∆Q = 800 führt, mit einer entsprechenden Erhöhung des

Volkseinkommens von ∆Y, und so weiter für den nun einsetzenden kumulativen Prozess der

Konsumproduktion: ein Aussenhandelsüberschuss von 1000 führt also bei einer Konsumquote

von c = 0.8 (was einen Multiplikator 1/(1-c) von 5 impliziert), zu einer zusätzlichen

Konsumgüterproduktion von 5000. Der Multiplikator reagiert nun sehr stark auf Veränderungen

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte der Konsumquote. Wenn beispielsweise die marginale und durchschnittliche Konsumquote c von

0.8 auf 0.9 ansteigt, erhöht sich der Multiplikator von 5 auf 10, was natürlich die kumulative

Wirkung des Aussenhandelsüberschusses verstärkt. Hier wird die Wichtigkeit der

Einkommensverteilung offensichtlich. Eine ausgeglichene Einkommensverteilung, vor allem

relativ hohe Minimaleinkommen, ist verbunden mit einer höheren Kaufkraft der Bevölkerung

und führt so zu einer höheren Konsumquote. Der Grund ist, dass aus höheren Einkommen relativ

mehr gespart und entsprechend relativ weniger konsumiert wird.

b) Der Geldaspekt (modern, der monetäre Aspekt) des Aussenhandelsüberschusses

Ein Handelsbilanzüberschuss impliziert auch eine Erhöhung der Geldmenge (Zustrom von Gold

und Silber) und kann damit indirekt einen kumulativen Prozess der Erhöhung von Sozialprodukt,

Volkseinkommen und Beschäftigung auslösen. Die mit dem monetären Aspekt des

Aussenhandelsüberschusses verbundene Kausalkette fängt also an mit Geld und Warenströmen

zwischen dem Inland und dem Ausland und endet mit Auswirkungen auf Sozialprodukt

(Volkseinkommen) und Beschäftigung im Inland. [Man muss sich hier in Erinnerung rufen, dass

es zur Zeit des Merkantilismus noch keine Zentralbanken gab, die Banknoten druckten und über

den Kauf von Staatspapieren die Wirtschaft mit Geld versorgten. Geld bestand aus Edelmetallen

(Gold und Silber), die in riesigen Mengen aus Südamerika nach Europa flossen (Carlo Cipolla

schätzt, dass zwischen 1500 und 1800 um die 82'000 Tonnen Silber aus Südamerika

herausgeholt wurden).]

Exporte führen zu einem Zustrom von Edelmetallen, Importe zu einem Abfluss. Die

Merkantilisten hatten also schon eine echte Geldwirtschaft vor Augen, in der immer Geld gegen

Güter getauscht werden und damit ein Kreislauf von Geld und Gütern besteht. (Erinnern wir uns

daran, dass das Grundmodell der modernen liberalen Theorie, das allgemeine

Gleichgewichtsmodell von Walras, von einer Realtauschwirtschaft ausgeht (W-W’); hier ist das

Geld von sekundärer Bedeutung und erleichtert nur den Tausch.)

Ein Aussenhandelsbilanzüberschuss führt demnach zu einem Nettozufluss von Edelmetallen.

Dieser schlug sich in einer Erhöhung der Geldmenge M1 nieder, was einer Erhöhung des

Geldangebotes gleich kam. Die Merkantilisten haben nun bereits klar gesehen, dass der Zinssatz

ein monetäres Phänomen ist, das durch das Angebot und die Nachfrage nach Geld bestimmt

wird. Ein steigendes Angebot führte bei vorläufig gegebener Nachfrage zu sinkenden Zinssätzen;

umgekehrt bewirkte eine steigende Nachfrage nach Geld höhere Zinssätze. Nun war die

Nachfrage nach Geld in merkantilistischer Zeit beträchtlich und zunehmend. Grob gesprochen

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte bestand die Geldnachfrage aus zwei grossen Komponenten, einmal dem Horten von Privaten und

Fürsten und zweitens aus der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken.

Das Horten von Privaten war zum Teil gigantisch: Geld wurde gehalten als

Wertaufbewahrungsmittel (Vermögensbestandteil), das Vorsichts- und das Spekulationsmotiv

spielten sicher auch eine Rolle. So soll der französische Kardinal Mazarin – eine Art Erster

Minister von König Ludwig XIV. (1642-61) – ein riesiges Vermögen angehäuft haben, das er

nach Italien transferierte (Mazarin, Mazzarini war italienischen Ursprungs). (In Frankreich war

man offensichtlich nicht sehr erbaut darüber, und eine Anekdote besagt, dass das Direktorium,

die grossbürgerliche französische Revolutionsregierung, im Jahre 1796 angesichts leerer

Staatskassen General Napoleon Bonaparte nach Norditalien schickte, um dort zu plündern, und

so einen Teil des Mazarin-Vermögens nach Frankreich zurückzuholen!)

Aber auch die einzelnen Fürsten horteten. Es wurde eine Kriegskasse gehalten, um im Falle

eines Konfliktes sofort zusätzliche Soldaten mobilisieren zu können. Diese Kriegskasse war vor

allem in Frankreich beträchtlich – die Schweizer Söldner mussten bezahlt werden!

Aber auch die Nachfrage nach Geld für Transaktionszwecke nahm zu, einmal weil das reale

Sozialprodukt in Westeuropa stieg (die produzierten Gütermengen und die erbrachten

Dienstleistungen), zum andern aber auch weil die Preise stiegen (Preisrevolution wegen des

Edelmetallzustroms aus Südamerika!).

Angesichts der steigenden Geldnachfrage, die die Zinsen nach oben schob, war also ein

Handelsbilanzüberschuss für ein Land von grösster Bedeutung, um das Zinsniveau zu

stabilisieren oder sogar zu senken. Im Falle von sinkenden Zinsen erhoffte man sich einen

positiven kumulativen Effekt auf Sozialprodukt und Beschäftigung; dies ist der (positive)

Geldeffekt oder monetäre Effekt des Aussenhandelsüberschusses.

Von tieferen Zinsen erhofften sich nämlich die Merkantilisten eine Belebung der

Wirtschaftstätigkeit, vor allem höhere Investitionen (∆I). Zusätzliche Investitionen bedeuten nun

aber eine zusätzliche autonome Nachfrage. Gleich wie der Aussenhandelsüberschuss (X-M)

lösen nun die Zusatzinvestitionen ∆I einen kumulativen Prozess der Konsumgüternachfrage aus.

Die Multiplikatorformel von Keynes hält wiederum fest, wie dieser Prozess im Prinzip abläuft:

1

∆Q = ∆Y = -------- ∆I (6)

1 - c

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Beziehung (6) fasst also den Geldaspekt (Heckscher) oder den monetären Aspekt des

Aussenhandelsüberschusses zusammen.

Angesichts des Doppelaspekts des Aussenhandelsüberschusses – realer und monetärer Aspekt –

begreift man, warum die merkantilistischen Wirtschaftspraktiker, wie z.B. Thomas Mun, so

versessen auf einen Aussenhandelsüberschuss waren.

In den Abschnitten IV und V werden nun einige wirtschaftspolitische Mittel im Zusammenhang

mit dem realen und dem monetären Effekt betrachtet. Diese sollten die in diesem Abschnitt (III)

dargestellten theoretischen Prinzipien konkretisieren.

IV. Mit dem realen (Waren-) Aspekt verbundene theoretische und

wirtschaftspolitische Überlegungen

1. Schutzzollpolitik (Protektionismus)

Die merkantilistische Grundidee ist es, den Aussenhandelsüberschuss zu maximieren. Damit

sollte eine möglichst breite Ausgangsbasis für den kumulativen Prozess der

Konsumgüternachfrage und -produktion geschaffen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten

vor allem zwei Mittel eingesetzt werden:

Erstens, Förderung des Exports von Manufakturprodukten und ‘Behinderung des Imports’ von

‘Manufakturprodukten’. Es wurde sogar explizit vorgeschlagen, die ausländische Oberschicht

(reiche Adelige, Geistliche und Bürger) zu einem luxuriösen und verschwenderischen Leben zu

veranlassen, damit man mehr hochwertige (Luxus-) Manufakturprodukte exportieren konnte. Im

Gegenzug sollte die einheimische Oberschicht zu einem einfachen und sparsamen Leben

angehalten werden.

Zweitens, Rohstoffe und Zwischenprodukte, die zu Manufakturprodukten verarbeitet werden,

sollten nach Möglichkeit importiert werden.

Es geht also nicht nur um einen Aussenhandelsüberschuss. Auch eine bestimmte Struktur des

Aussenhandels soll erreicht werden. Beides soll eine maximale Beschäftigungszunahme

bewirken.

Der Aussenhandelsüberschuss (X-M) soll die oben erwähnten multiplikativen Effekte auf das

Sozialprodukt Q und die Beschäftigung N auslösen.

Der Beschäftigungseffekt soll durch die Struktur des Aussenhandels noch verstärkt werden.

Manufakturprodukte sind arbeitsintensiv (heute würden wir von hoher Wertschöpfung sprechen),

Rohstoffe dagegen bodenintensiv. Deshalb so viele Manufakturprodukte wie möglich im Inland

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte produzieren und einen möglichst grossen Teil davon exportieren, und die Rohstoffe nach

Möglichkeit importieren.

Die Privilegierung von Manufakturen und Handel sowie die nach aussen gerichtete

Wirtschaftspolitik hatte eine wichtige Implikation, nämlich die Vernachlässigung der

Landwirtschaft.

Um mengenmässig möglichst viele Manufakturprodukte zu exportieren, sollten die Preise dieser

Produkte so niedrig wie möglich gehalten werden. Dies wieder erforderte einen Druck auf das

inländische Geldlohnniveau (wG). [Diesem Argument liegt bereits der berühmte

‘Elastizitätsoptimismus des Aussenhandels’ zugrunde: Preissenkungen für Exportgüter führen zu

einer überproportionalen Zunahme der Mengen, was zu einem steigenden Geldwert der Exporte

führt. Reagierten die Exportmengen auf eine Preissenkung unterproportional, würde der

Geldwert der Exporte sinken!]

Ein niedriger Geldlohn erfordert, dass auch die Preise von lebensnotwendigen Gütern tief

gehalten werden, damit die Arbeiter einen existenzsichernden Reallohn w* (=wG / pL )erhalten,

der auch ihre Kapazität zu arbeiten sichert. Die lebensnotwendigen Güter kommen natürlich vor

allem aus der Landwirtschaft. Der Druck auf die landwirtschaftlichen Preise pL führte

notwendigerweise zu rückläufigen Einkommen in der Landwirtschaft. Der Geldwert des

landwirtschaftlichen Überschusses sank und damit auch die Binnennachfrage nach Handwerks-

und Manufakturprodukten.

Die merkantilistische Wirtschaftspolitik begünstigt also Industrie (Manufaktur) und Handel und

benachteiligt die Landwirtschaft. Zudem impliziert diese Wirtschaftspolitik einen externen, nach

aussen gerichteten Entwicklungsmechanismus, unter Vernachlässigung des

binnenwirtschaftlichen Entwicklungsmechanismus. [Hier ergeben sich eindeutig Parallelen zur

heutigen Zeit. Die europäischen Löhne und Sozialkosten seien im Verhältnis zu den asiatischen

– ausgenommen Japan – zu hoch. Deshalb seien wir auf den Weltmärkten nicht mehr

ausreichend wettbewerbsfähig.]

2. Effektive Nachfrage und Beschäftigung

Alle bedeutenden Merkantilisten haben gesehen, dass die in Geldform auftretende effektive

Nachfrage den Output Q und damit die Beschäftigung N festlegt. Diese Feststellung wurde noch

nicht theoretisch begründet wie im 20. Jh. bei Keynes, den Post-Keynesianern und in der

Klassisch-Keynesianischen Politischen Ökonomie. Aber man kann sagen, dass die grossen

Merkantilisten, vor allem die Direktoren der Englischen Ostindienkompanie, William Petty und

Daniel Defoe, bereits eine monetäre Produktionswirtschaft vor Augen hatten und die

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Problematik der Schlusssequenz, W’ – G’, sahen. Beobachtung und Erfahrung führten zur

intuitiven Einsicht, dass die effektive Nachfrage G’ den Output W’ (oder Q) und damit die

Beschäftigung N beschränkt und dass, konsequenterweise keine allgemeine Tendenz zu

Vollbeschäftigung bestand. Arbeitsplätze mussten erkämpft werden. Die Merkantilisten sahen

im Aussenhandelsüberschuss und in dem dadurch ausgelösten kumulativen Prozess (Abschnitt

III.3 oben) das beste Mittel, um das Beschäftigungsvolumen N zu erhöhen und damit die

Arbeitslosigkeit zu senken.

Unterbeschäftigung oder Arbeitslosigkeit ist das Gegenstück von allgemeiner Überproduktion:

das Vollbeschäftigungs-Sozialprodukt kann nicht voll abgesetzt werden.

Der schwedische Ökonom Eli Heckscher, Autor des Standardwerkes über den Merkantilismus,

hat den Zusammenhang zwischen effektiver Nachfrage einerseits und Arbeitslosigkeit und

Überproduktion andererseits mit Warenangst bezeichnet, der Angst, produzierte Waren nicht

absetzen zu können. Allerdings konnte Heckscher als angebotsorientierter neoklassischer

Ökonom diese Warenangst nicht verstehen (Heckscher vertrat das Gesetz von J.-B. Say (1767-

1832), das besagt, dass allgemeine Überproduktion, die Überproduktion aller Güter, und damit

unfreiwillige, systembedingte Arbeitslosigkeit unmöglich sei). Heckscher sagt:

"Der Merkantilismus ... wurde wirklich von einer nicht erklärbaren Warenangst beherrscht. Dies

ist ein grundwichtiges Faktum in der Geschichte der Wirtschaftspolitik und verdient daher, mit

Äusserungen belegt zu werden“ (Heckscher, II, 100). Und nun einige dieser Äusserungen von

Merkantilisten (und Kameralisten) zur ‘Warenangst’.

"[Der deutsche Kameralist Johann Joachim Becher bemerkt z.B.,] dass es allzeit besser sei,

Waren anderen zu verkaufen als Waren von anderen zu kaufen, denn jenes bringe einen

gewissen Nutzen und dieses unfehlbaren Schaden" (Heckscher, II, 102).

"Eine französische Redensart [besagte], man solle 'das Reich von seinen Waren entlasten'

(décharger le royaume de ses marchandises)..." (Heckscher II, 102).

Die merkantilistische Warenangst war eng verbunden mit der Beschaffung von Arbeitsplätzen

(Exporte schaffen Arbeitsplätze, Importe vernichten solche). Dazu Heckscher: "Die

merkantilistische 'Warenangst' wurde ... genährt durch den Gedanken an eine Beschaffung von

Arbeitsgelegenheiten und Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit (Heckscher, II, 107).

Vielleicht die schlagendsten Äusserungen zu diesem Problem stammen von Clement Armstrong

(um 1550) und William Petty (1662):

"[Armstrong stellt fest:]Grosser Überfluss an fremden Produkten und Waren, die jährlich nach

England eingeführt werden, hat nicht nur eine Knappheit an Geld geschaffen, sondern hat auch

alles Handwerk vernichtet, wovon eine grosse Zahl des gemeinen Volkes Arbeit haben könnte,

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte um daraus Geld zu bekommen, um für ihr essen und trinken zu bezahlen, die aber jetzt in

Müssiggang leben oder betteln und stehlen müssen" (Heckscher, II, 109/10).

"[William] Petty gab dem entscheidenden Argument des Gedankenganges eine unangreifbare

Formulierung als er (1662) sagte, dass es besser wäre, die Produkte der Arbeit von tausend

Menschen zu verbrennen, als diese tausend Menschen ihre Arbeitsfähigkeit durch

Arbeitslosigkeit verlieren zu lassen. Das ist derselbe Gedankengang, den List einmal dahin

formulierte, dass die Kraft, Reichtümer zu schaffen, wichtiger sei als die Reichtümer selbst"

(Heckscher II, 109/10).

In seiner ‘Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes’(z.B. pp. 128-31

im englischen Original) trägt Keynes ähnliche Gedankengänge vor. Wie bereits angedeutet, steht

er den Merkantilisten ausserordentlich sympathisch gegenüber und bezeichnet sie als seine

Vorläufer.

3. Förderung der inländischen Nachfrage

Der Aussenhandel und die ausländische Nachfrage sind für die grossen Merkantilisten besonders

wichtig für das Niveau der effektiven Nachfrage und der Beschäftigung. Jedoch betrachteten

einige Merkantilisten auch die inländische Nachfrage als von zentraler Bedeutung für die

Beschäftigung, vor allem William Petty und Daniel Defoe [der Autor von Robinson Crusoe].

William Petty (1623-87) schlug öffentliche Beschäftigungsprogramme vor, um

Vollbeschäftigung zu schaffen. Vor allem sollten im Infrastruktur- und im Basisgüterbereich

sogenannte 'supernumeraries' (Überflüssige, Arbeitslose) beschäftigt werden. Beispiele für

solche Beschäftigungsprogramme sind:

*Neue Strassen bauen und bestehende instand halten und ausbessern.

* Die Schiffbarmachung von Flüssen soll vorangetrieben werden.

*Man soll Bäume pflanzen, um damit die Holzversorgung zu verbesssern, das Angebot von

Früchten zu erhöhen und um Parkanlagen zu verschönern.

*Brücken und Wege sind zu bauen.

*Der Bergbau ist auszubauen, damit vermehrt Erze, vor allem Eisen, gewonnen werden können.

*Es sind Fabriken zur Metallgewinnung zu errichten, und so weiter.

Diese Arbeiten, sagt Petty, verlangen keine besondere Ausbildung und sind der Nation nützlich,

indem sie die Grundlage für den Handel und die Manufaktur legen. Die entsprechenden Arbeiter

sollen von der Volkswirtschaft als ganzer bezahlt werden. Es sind genügend Arbeitskräfte im

Sektor für notwendige Konsumgüter einzusetzen, so dass die Existenz aller Arbeitskräfte

gesichert werden kann.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte [Es ist aufschlussreich festzuhalten, dass Petty nicht vorschlägt, staatliche Manufakturen zu

bauen, wie das z.B. in Frankreich praktiziert wurde. Modern ausgedruckt, schlägt Petty nur

Projekte vor, die einen Einkommenseffekt, aber keinen oder einen geringen Kapazitätseffekt

haben. Pettys Projekte sollen also ausserhalb des ‘Profit-Sektors’ realisiert werden. Sie sollen die

effektive Nachfrage erhöhen, nicht aber das auf dem Markt auftauchende Güterangebot. Dies ist

tatsächlich die wirksamste Weise die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Keynes erwähnt dies

ausdrücklich in einer berühmten Passage seiner General Theory: «Ancient Egypt was doubly

fortunate, and doubtless owed to this its fabled wealth, in that it possessed two activities, namely,

pyramid-building as well as the search for the precious metals, the fruits of which, since they

could not serve the needs of man by being consumed, did not stale with abundance [sinngemäss:

nicht zu einem Überangebot an Gütern führten]. The Middle Ages built cathedrals and sang

dirges. Two pyramids, two masses for the dead, are twice as good as one; but not so two

railways from London to York [or, even less, an additional textile factory which, with given

demand, may cause the bankruptcy of another factory]» (Keynes, General Theory, 131). Heute

können wir natürlich nicht mehr Pyramiden bauen und (sollten nicht mehr) Kriege führen. Aber

es gibt genug sinnvolle Bereiche für staatliche Ausgaben, die keinen, oder einen

vernachlässigbaren, Kapazitätseffekt aufweisen: Ausgaben für die allgemeine Infrastruktur,

inklusive Infrastruktur für sportliche Aktivitäten, vor allem Ausgaben für Erziehung, Bildung

und Ausbildung sowie für kulturelle Aktivitäten im weitesten Sinne, inkl. Erhaltung des

kulturellen Erbes, Schutz der natürlichen Umwelt und damit Anstreben einer nachhaltigen

Wirtschaftstätigkeit.]

Daniel Defoe forderte hohe Löhne, um die Arbeitsproduktivität und die Beschäftigung zu

erhöhen. Hohe Löhne steigern die Kaufkraft der Bevölkerung und damit die Nachfrage nach

Konsumgütern und schaffen deshalb zusätzliche Arbeitsplätze. Daniel Defoe legte Gedanken

dieser Art in seinem Buch "A Plan of the English Commerce" (1728) nieder, aus dem Heckscher

zitiert. Heckscher sagt z.B. betreffend Löhne und Arbeitsproduktivität:

"die Engländer hätten [gemäss Defoe] höhere Löhne als andere, leisteten aber auch mehr Arbeit,

weil sie besser lebten und daher auch mit grösserer Freude arbeiteten. Er sah darin den

wesentlichen Grund für die Überlegenheit der englischen Industrie, deren Loblied er in seinem

Buche von der ersten bis zur letzten Seite sang" (Heckscher II, 155). [Der Zusammenhang ‘hohe

Löhne – hohe Arbeitsproduktivität’ scheint in England im 17. und 18. Jh. wohl bekannt gewesen

zu sein. Adam Smith erwähnt ihn an einigen Stellen seines ‘Reichtums der Nationen’(1776).]

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Weiter "verneinte [Defoe] kategorisch die grundlegende merkantilistische Vorstellung, dass ein

Land reich würde, davon, wenn sein Volk arm würde [niedrige Geldlöhne bei gegebenen, aber

tiefen Preisen für landwirtschaftliche Produkte, hohe Exportmengen X, eventuell auch hohe

Profite in den Exportindustrien; der Reichtum eines Landes wurde bis zum Beginn des 19. Jh. an

der Höhe des volkswirtschaftlichen Überschusses, der vor allem Profite, Renten und hohe Löhne

von Grossbürgern einschloss]“ (Heckscher II, 155).

Defoe geht davon aus, dass China, Indien und andere ostasiatische Länder "unglaublich billige

Manufakturen" herstellen und viel davon absetzten. Die Folge davon ist aber, dass [so Defoe

wörtlich] 'die Menschen, die diese schönen Dinge herstellen, so äusserst verelendet sind, ihre

Arbeit so ohne Wert, ihre Löhne so niedrig, dass wir nicht wagen würden, davon zu sprechen,

ihre Lebensweise so, dass wir nur mit Entsetzen daran denken können' "(Heckscher II, 156).

Daraus zieht Defoe Folgerungen für England:

"Wenn da diese Herren [englische Manufakturbesitzer], die die Konsumtion unserer englischen

Manufakturen (oder anderer europäischer Länder ...) durch deren blosse Billigkeit in die Höhe

treiben wollen, ... zufrieden sind, dass die Löhne der Arbeit so niedrig sind wie in China oder

Indien, so besteht kein Zweifel, dass sie den Absatz erhöhen und eine grosse Menge verkaufen

könnten; aber was wäre der Vorteil davon? Sie würden ihre Waren verkaufen und ihre Volk

ruinieren; und den Vorteil, muss ich gestehen, verstehe ich nicht" (Defoe in Heckscher II, 156).

Dies ist ein sehr wichtiges Argument, dass man am besten mithilfe der Konzepte ‘verfügbare

Gütermenge’ und den ‘Austauschverhältnissen – terms of trade’ in den Griff bekommt.

*Zuerst zur Definition der Austauschverhältnisse:

Ausgangspunkt ist die Handelsbilanzgleichung:

pX X = e pM M (1)

(X, M = Export-, bzw. Importgütermengen, pX = Preise der Exportgüter in einheimischer

Währung, pM = Preise der Importgüter in ausländischer Währung und e = Wechselkurs, z.B. 1,2

SFr / 1$).

In (1) dividiert durch pX und M ergibt die Definition für die ‘terms of trade’ (π):

π = (e pM) / pX = X / M (2)

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Ein niedriges π bedeutet, dass die ‘terms of trade’ günstig sind. Für eine gegebene

Exportgütermenge kann ein Land eine grosse Menge an Gütern importieren, weil es hochwertige

Produkte zu hohen Preisen exportiert.

*Die verfügbare Gütermenge ist durch die Definition

Q - X + πM (3)

gegeben. Die Exportmengen müssen vom Sozialprodukt abgezogen werden, weil sie nicht mehr

im Inland verfügbar sind. Im Inneren eines Landes verfügbar werden dagegen die importierten

Gütermengen M.

Wenn nun ein Land versucht, die Exportgüterpreise so niedrig wie möglich zu halten (Druck auf

die Geldlöhne und auf die Preise landwirtschaftlicher Produkte), dann verschlechtern sich die

Austauschverhältnisse (Gleichung 2), π steigt. Aus (3) ist dann ersichtlich, dass ein Land sehr

viel exportieren muss, um eine bestimmte Gütermenge M importieren zu können. Sich

verschlechternde Austauschverhältnisse vermindern also die in einem Land verfügbare

Gütermenge. Daniel Defoe wollte also sagen, dass es einem Land sogar schadet, wenn es

(scheinbar erfolgreich) grosse Gütermengen zu niedrigen Preise exportiert (was durchaus

vereinbar sein mit hohen Gewinnen in der Exportbranche). Dieser Gedankengang von Daniel

Defoe ist in den 1950-60er Jahren in der Theorie der ökonomischen Entwicklung unter der

Bezeichnung ‘immiserizing growth – Verelendungswachstum’ bekannt geworden.]

Daniel Defoe hat also ganz klar folgenden Widerspruch gesehen:

Niedrige Löhne sind erforderlich, um mehr exportieren zu können, hohe Löhne erweitern den

inländischen Markt.

Damit in Zusammenhang stehen auch zwei Theorien der wirtschaftlichen Entwicklung. Die nach

innen gerichtete Entwicklungspolitik versucht, die inländische Nachfrage anzukurbeln. Dies

kann einmal geschehen über eine Erhöhung der Staatsausgaben. Von zentraler Wichtigkeit ist

aber die Erhaltung der Kaufkraft der Bevölkerung. Dies kann erreicht werden über eine gezielte

Verteilungspolitik, die auf eine ausgeglichene Einkommensverteilung abzielt. Letzteres

impliziert relativ hohe Löhne im Verhältnis zu den Profiten und Renten.

Nach aussen gerichtete Entwicklungspolitik kann nur erfolgreich sein, wenn es einem Land

gelingt, vor allem hochwertige Güter zu exportieren und wenn Standardprodukte (bestimmte

Industrieprodukte, Rohstoffe und landwirtschaftliche Güter) soweit wie möglich importiert

werden. In diesem Falle sind die ‘terms of trade’ günstig – π ist niedrig -, und die verfügbare

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Gütermenge entsprechend hoch. Die Exporte sind in dieser günstigen Situation sozusagen der

Entwicklungsmotor, der alle wichtigen volkswirtschaftlichen Grössen (Sozialprodukt, Konsum

und Investitionen) mitziehen soll. Besteht keine Tendenz zur Vollbeschäftigung, ergibt sich

zwischen den exportierenden Volkswirtschaften ein intensives Ringen um Weltmarktanteile für

hochwertige Industriegüter.

4. Arbeitsproduktivität, Bevölkerung und effektive Nachfrage

In Bezug auf diesen Problemkreis haben die Merkantilisten widersprüchliche Thesen vertreten.

Einerseits befürworteten sie eine hohe Arbeitsproduktivität und eine möglichst grosse

Bevölkerung, damit in einem Land möglichst viel produziert werden könne. Andererseits hatten

sie Angst davor, dass die Produktion nicht abgesetzt werden könnte.

Dieser Widerspruch wurde erst in neuester Zeit - in den 1930er Jahren - durch Keynes

befriedigend gelöst.

V. Mit dem Geldaspekt verbundene theoretische Vorstellungen

1. Geld und Reichtum

Adam Smith warf den Merkantilisten vor, sie hätten Geld mit Reichtum verwechselt, was

unsinnig sei (um dies zu belegen wurde wiederholt auf das Schicksal des griechischen Königs

Midas hingewiesen, der gewünscht hatte, dass alles, was er berührte, sich in Gold verwandelte

und der schliesslich verhungerte). Der Vorwurf, Geld mit Reichtum zu verwechseln, mag für die

sogenannten (spanischen) Bullionisten ganz zu Beginn der merkantilistischen Zeit (1500 - 1550

ungefähr) zugetroffen haben, ist aber sonst eindeutig unbegründet.

Die Merkantilisten erkannten nämlich, erstens, dass Geld stellvertretend für Reichtum steht und

dass, zweitens, Geld ein Mittel ist, um den Reichtum eines Landes zu erhöhen. Dies geht

eindeutig aus dem Geldaspekt, dem monetären Aspekt des Aussenhandels-bilanzüberschusses

hervor (Abschnitt III.3 oben), der zum Kern der merkantilistischen ökonomischen Theorie zählt.

2. Wieviel Geld braucht eine Wirtschaft?

Diese Frage wurde von William Petty ausdrücklich gestellt. Wie gross muss die Geldmenge M1

sein, damit die in einer Volkswirtschaft anfallenden Transaktionen bewältigt werden können?

Petty sah klar, dass der erste Schritt zur Beantwortung dieser Frage die Schätzung des

Volkseinkommens war. Für England schätzte er dieses auf 40 Mio £ für die Zeit um 1660.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Er erkannte auch, dass es weniger Geld brauchte, wenn das Geld rascher umlief (in einem Jahr

kann eine Münze an mehreren Transaktionen beteiligt sein). In je kürzeren Abständen Lohn- und

Rentenzahlungen erfolgten, desto weniger Geld brauchte es bei gegebenem Volkseinkommen.

Petty stellt dann weiter fest, dass die Renten alle drei Monate bezahlt werden, die Löhne dagegen

wöchentlich. (Die Renten sind natürlich vor allem Landrenten, die den grössten Teil der

Besitzeinkommen ausmachen. Eingeschlossen sind stillschweigend auch die Profite der

Manufakturen.) Die am Wochenende erhaltenen Löhne werden nun in der folgenden Woche

ausgegeben, die Renten im Verlaufe von drei Monaten. ‘Lohngeld’ zirkuliert also viel schneller

als ‘Rentengeld’. Für die Schätzung der erforderlichen Geldmenge ist es deshalb wesentlich, die

Lohn- und Rentenanteile am Sozialprodukt zu schätzen. Petty schätzt, dass die Löhne und

Renten jeweils etwa die Hälfte des Volkseinkommens von 40 Millionen £ ausmachen, also die

Löhne 20 Millionen £, die Renten ebenfalls 20 Millionen £. Aufgrund der

Zahlungsgewohnheiten in der englischen Volkswirtschaft um die Mitte des 17. Jh. ist die

Umlaufsgeschwindigkeit der Lohngelder 52, die der Renten 4. Petty ist nun in der Lage die

erforderliche Geldmenge M1 für Transaktionszwecke zu berechnen: M1 = 20 (1/52) + 20

(1/4)

M1 = 0.4 + 5.0 = etwa 5.4 Millionen Pfund

3. Fortschritte in der Geldtheorie - Notenmerkantilismus

Einige Merkantilisten waren der Ansicht, das Geld könne seine zentralen Funktionen

wahrnehmen, ohne an eine Ware (Gold oder Silber) gebunden zu sein [Dies bringt die

Gesetzestheorie des Geldes zum Ausdruck: Geld ist eine staatliche Institution. Der Staat

verordnet gesetzlich, dass Geld als letztendliches Zahlungsmittel oder Schuldentilgungsmittel

angenommen werden muss. Gemäss der Gesetzestheorie des Geldes liegt der Ursprung des

Geldes in einem Zahlungs- oder Lieferungsversprechen (Kreditgeld). – Im Gegensatz zur

Gesetzestheorie des Geldes steht die Warentheorie des Geldes: Geld ist die am leichtesten

tauschbare Ware (Schmoller)].

Am weitesten ging hier der Schotte John Law (1671-1729), der als französischer Finanzminister

unter Ludwig XV. als erster eine Notenwährung einführte.

John Law legte seine Ideen in einer Schrift dar: "Money and Trade considered with a proposal

for supplying the nation with money" (1705).

In dieser sagt er, dass Gold und Silber als Wertmassstab Schwächen aufweise, weil ihr Wert mit

Angebot und Nachfrage schwanke. Der Wertmassstab solle unbeweglich sein. Boden sei am

besten.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Boden kann jedoch wegen seiner Unbeweglichkeit nicht direkt als Geld benutzt werden. Deshalb

Mobilisation des Bodens als Geld durch Hypothekenscheine. Gestützt auf diese Scheine werden

Banknoten ausgegeben. Dies geschieht durch eine Banque Générale (Nationalbank).

Der Gegenwert der Banknoten ist also Boden; der Einfachheit halber sind die Banknoten jedoch

in Gold und Silber eintauschbar. Die Edelmetalle waren durch eine Bergwerksgesellschaft zu

beschaffen, die so genannte Mississippigesellschaft. Jedoch liess der französische Staat (unter

Louis XV) zu viele Banknoten drucken. Weil es offensichtlich nicht mehr möglich war, diese in

Gold einzulösen, ging das Vertrauen verloren und die Währung brach zusammen.

VI. Merkantilistische Persönlichkeiten und Institutionen

1. Persönlichkeiten

Die Merkantilisten waren fast ausschliesslich Praktiker, die sich Gedanken gemacht haben über

die Funktionsweise der sich entwickelnden Geldwirtschaften. Einige der grossen Merkantilisten

waren Direktoren oder Direktionsmitglieder der Englischen Ostindienkompanie - z.B. Thomas

Mun und Josuah Child. Daniel Defoe war Schriftsteller (A Plan of the English Commerce, 1728,

und Robinson Crusoe!).

Der aussergewöhnliche Lebensweg von William Petty (1623-87) verdient besondere Erwähnung.

Als Sohn eines armen Hampshire Webers geboren, wurde er nach Abschluss der Volksschule

mit dreizehn Jahren Matrose. Als solcher machte er sich mit der Kunst der Navigation vertraut.

Aufgrund seiner ausserordentlichen Begabung - er soll sein Aufnahmegesuch in gutem Latein

verfasst haben - wurde er mit fünfzehn in die Jesuitenschule von Caen (Frankreich)

aufgenommen (sein Schiff wurde bei einem Sturm an die nordfranzösische Küste getrieben).

Später studierte er in Amsterdam, Oxford und London vor allem Medizin. Neben seinem

Hauptberuf als Arzt war er aber auch Mathematiker, Musiker, Landvermesser, Schiffbauer und

anderes mehr. Für einige Zeit war er persönlicher Sekretär von Thomas Hobbes, des in Abschnitt

I.2 oben erwähnten Staatsphilosophen. Als Chefarzt der Armee Cromwells in Irland wurde er

mit den dortigen Verhältnissen bekannt. Er führte, zwecks Landverteilung an die Engländer, ein

umfangreiches Landvermessungsprojekt durch. Petty selber erwarb, wie viele andere Engländer,

in Irland gewaltige Ländereien und wurde vielfacher Millionär (in guten alten Pfund!). Er wurde

auch Vertrauter englischer Könige und Minister und wurde von König Karl II. geadelt.

2. Die grossen Handelskompanien

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Die Englische bzw. die Holländische Ostindienkompanie waren riesige Handelsunternehmungen

(Monopole), die den gesamten Handel Englands und Hollands mit Südostasien, insbesondere

Indien und Indonesien, organisierten. Gehandelt wurden vor allem Gewürze, Edelmetalle,

Edelsteine und später Sklaven, mit dem Ziel, schnelle Gewinne zu erzielen.

Die holländische Ostindienkompanie war eine Aktiengesellschaft. Die Aktionäre waren der

holländische Staat, die Stadt Amsterdam und eine Gruppe von Grossbürgern.

Diese beiden Handelskompanien waren so mächtig, dass sie in der Lage waren, auf eigene Faust

Kriege zu führen! So erklärte z.B. die Holländische Ostindienkompanie im 17. Jh. an Spanien

den Krieg, ein Land, das immer noch eine der stärksten Flotten der damaligen Zeit besass. Die

Englische Ostindienkompanie hat auf eigene Faust Indien teilweise erobert und fast ganz

kontrolliert.

VII. Übergang zum Liberalismus

1. Gründe für Veränderungen

a) Das Bürgertum strebt nach Selbständigkeit

Staatliche Vorschriften und Privilegien sollen aufgehoben werden. Handels- und

Gewerbefreiheit werden gefordert.

Im Jahre 1680 berief Colbert, der Wirtschafts- und Finanzminister von Ludwig XIV.,

französische Kaufleute zu einer Versammlung ein, um zu beraten. Colbert fragte, was angesichts

der unbefriedigenden wirtschaftlichen Lage Frankreichs zu tun sei, welches die besten Mittel der

Wirtschaftsförderung seien. Einer der Kaufleute, ein gewisser Legendre, gab Colbert die

berühmte Antwort: «Laissez-nous faire». Später wurde daraus «laissez-faire, laisser-passer (le

monde va de lui-même)» (Oncken, 1902, 148).

b) Ländliche Reaktion

Zudem gab es eine ländliche Reaktion auf die handels- und manufakturorientierte

Wirtschaftspolitik und die damit verbundene Vernachlässigung der Landwirtschaft (niedrige

Preise für landwirtschaftliche Produkte, damit niedrige Löhne bezahlt werden konnten, was die

Preise für Exportgüter senkte). Die Forderung nach höheren Preisen für landwirtschaftliche

Produkte und damit höheren landwirtschaftlichen Einkommen wurde laut.

Die Physiokratie (François Quesnay) sollte die theoretischen Grundlagen für eine Reformpolitik

zur Verfügung stellen.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte c) Ruf nach mehr Steuergerechtigkeit: allgemeine Einkommenssteuer

Der Adel bezahlte bisher keine Steuern. Er hatte das Recht auf feudale Abgaben, dem aber auch

Pflichten gegenüberstanden (etwa Dienst an der staatlichen Gemeinschaft in Verteidigung und

Administration). Ein Teil des Adels kam sicher seinen Pflichten nach, daneben gab es auch den

aufgeklärten – fortschrittlichen – Adel; der parasitäre Adel in Versailles jedoch behielt seine

feudalen Privilegien und vernachlässigte weitgehend seine Pflichten – diese offensichtliche

Ungerechtigkeit stellte einen zentralen Grund für die bürgerliche französische Revolution dar.

Das Bürgertum musste nämlich sein Einkommen erarbeiten und musste Steuern bezahlen. So

wurde verständlicherweise der Ruf nach einer allgemeinen Einkommenssteuer laut. Diese sollte

mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Steuerlast bringen.

d) Neben ökonomischem auch politischer Liberalismus

Allmählich griff der ökonomische Liberalismus auch auf den politischen Bereich über. Dies

stand im Zusammenhang mit dem Aufkommen einer neuen, harmonischen Sicht des natürlichen

Zustandes von Mensch und Gesellschaft (Locke, Voltaire), die im Gegensatz stand zum

konfliktgeladenen Menschenbild von Hobbes und Bodin (jeder gegen jeden).

Die Forderung nach 'Menschenrechten' (Freiheit, Gleichheit), 'Demokratie' und

'Gewaltentrennung' wurde erhoben.

Dies war eine Reaktion gegen den Absolutismus. Hier ist der Mensch ein Werkzeug des Staates,

ein Rädchen in der gesellschaftlichen Maschine, das beliebig ersetzbar ist. Der Absolutismus

drückte sich auch in einer äusserst strengen Rechtssprechung aus. So wurden langjährige

Galeerenstrafen für geringfügige Vergehen ausgesprochen, etwa Gewinnen von Salz aus

Meerwasser (Verstoss gegen Salzmonopol des Staates).

Die strenge und menschenverachtende Rechtssprechung im absolutistischen Staat war ein

weiterer wichtiger Grund für die französische Revolution.

2. Merkantilismus und Liberalismus

Der Merkantilismus postuliert die "Handelsfreiheit" nur, um den Handel in den Dienst des

Staates zu stellen (Eli Heckscher). Der Kaufmann war im Prinzip der erste Diener seines Königs

(Thomas Mun). Aufgrund des Beschäftigungseffektes des internationalen Handels führt dies zu

Konflikten zwischen Ländern, weil keine Tendenz zur Vollbeschäftigung besteht. Die

Absatzmöglichkeiten sind beschränkt, und es wird um Marktanteile und damit um Arbeitsplätze

gerungen. Was das eine Land gewinnt, ist ein Verlust für ein anderes.

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Im Prinzip steht beim Liberalismus der Staat im Dienste der Wirtschaft (Heckscher). Er setzt die

Rahmenbedingungen. Handelsfreiheit führt über das Prinzip der komparativen Kosten zu

Harmonie und Wohlstandssteigerung bei Vollbeschäftigung, wenn genügend Konkurrenz

herrscht.

In der politökonomischen Wirklichkeit besteht allerdings eine wechselseitige Beziehung

zwischen Wirtschaft und Staat: Einerseits braucht der Staat eine starke Wirtschaft, um bei

mässigen Steuersätzen trotzdem genügend hohe Steuereinnahmen zu haben, damit die

grundlegenden Staatstätigkeiten wahrgenommen werden können (innere und äussere Sicherheit,

Justiz, Erziehung und Ausbildung, Infrastruktur). Anderseits hing die Wirtschaft vom Staat ab,

der mit einer Kriegsflotte die Handelswege, Rohstoffquellen und Absatzmärkte sicherte. Hier ist

natürlich England das Musterbeispiel.

3. Verschiebung des theoretischen Gesichtspunktes

a) Dies kann am besten anhand der Quantitätsgleichung erklärt werden:

PQ = M1V (M1 = Geldmenge)

P = Preisniveau, Q = reales Sozialprodukt, das über Q = AN immer in direktem Zusammenhang

mit der Beschäftigung steht – A = Arbeitsproduktivität Q/N, V = Umlaufsgeschwindigkeit des

Geldes.

b) Die im Merkantilismus implizierte Interpretation der Quantitätsgleichung

Für die meisten Merkantilisten war der tatsächlich existierende Output Q kleiner als der

Vollbeschäftigungsoutput QV, und es besteht keine Tendenz zur Vollbeschäftigung.

Arbeitsplätze müssen deshalb erkämpft werden. In diesem Kampf stehen der Exportüberschuss

X > πM und die damit verbundene Geldmengenerhöhung ∆M1 im Vordergrund. Beide sind

wichtig, weil sie über einen kumulativen Prozess den Output Q und die Beschäftigung N

beeinflussen (siehe Abschnitt III. 3 oben: Waren- und Geldaspekt des

Aussenhandelsüberschusses). Also für die Merkantilisten beeinflussen im Prinzip der

Exportüberschuss und die deshalb zunehmende Geldmenge den Output Q positiv, währenddem,

wiederum im Prinzip, das Preisniveau P unverändert bleiben kann.

c) Die liberale Doktrin und die Quantitätsgleichung

Prof. Heinrich Bortis, Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte Der Philosoph David Hume hat als erster die liberale Interpretation der Quantitätsgleichung

formuliert. Gemäss Hume bewirkt der Selbstregulierungsmechanismus, dass der tatsächliche

Output sich an den Vollbeschäftigungsoutput annähert: Q = QV. Die Handelsbilanz tendiert über

die damit verbundene Veränderung der Geldmenge zum Ausgleich. Nach Hume bewirkt die mit

einem Exportüberschuss verbundene Erhöhung der Geldmenge (∆M1) bei Q = QV eine

Erhöhung des Preisniveaus P. Die Exportgüterpreise steigen ebenfalls und die Exportmengen (X)

gehen überproportional zurück (liberaler Elastizitätsoptimismus); umgekehrt werden die

Importgüter relativ billiger und die importierten Mengen (M) steigen überproportional. Dieser

(langfristige) Prozess dauert so lange an, bis das Gleichgewicht der Handelsbilanz erreicht ist.

Die Humesche Doktrin hat einen sehr grossen Einfluss auf die liberale Wirtschaftstheorie

ausgeübt. Im Liberalismus tendiert demnach die Handelsbilanz bei Vollbeschäftigung zum

Ausgleich; die Geldmenge (M1) ist unwichtig und bestimmt in der obigen Quantitätsgleichung

nur die Höhe des Preisniveaus (P).

d) Die merkantilistische und die liberale Doktrin führen also zu radikal verschiedenen

Schlussfolgerungen. Hier sieht man, wie wichtig die Vision von Mensch und Gesellschaft ist!

Aus der Vision ergeben sich nämlich bestimmte Prinzipien, die das Wesentliche an bestimmten

Phänomenen festhalten, z.B. Geld, Preise und Beschäftigung. Die Prinzipien wiederum sind

verbunden mit Prämissen, auf denen Theorien aufbauen.

4. Zusammenfassung (theoretischer Gehalt des Merkantilismus)

a) Das zentrale Anliegen des Merkantilismus war die Steigerung des Reichtums eines Landes. Es

ging darum, das Volumen der Produktion und der Beschäftigung zu steigern. In diesem

Zusammenhang wurden Ansätze zu einer Theorie der effektiven Nachfrage entwickelt.

b) Der Merkantilismus entwickelte keine Verteilungstheorie. Die Verteilung war gesellschaftlich

und politisch geregelt.

c) Jedoch wurde eine beachtliche Geldtheorie entwickelt (z.B. von William Petty und John Law).

d) Die merkantilistische Aussenhandelstheorie beruht auf dem Beschäftigungseffekt des

internationalen Handels. Dieser kann zu Konflikten zwischen den Handelspartnern führen.

Jedenfalls ist eine Tendenz zu Harmonie (Handelsbilanz-Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung)

ausgeschlossen.