die charité im sommer 1961 · gerichtsmedizin. seine obduktionen tragen zur klärung von...

24
Grenzerfahrungen Die Charité im Sommer 1961 Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Upload: others

Post on 21-Feb-2021

0 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

GrenzerfahrungenDie Charité im Sommer 1961

Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Page 2: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

2 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Nach dem großen Erfolg der ersten beiden Staffeln starten im Januar 2021 sechs

neue Folgen über die Charité in historischen Umbruchsphasen. Reale und fiktive

Figuren nehmen uns dieses Mal mit auf eine Reise in den August 1961.

Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

„CHARITÉ“

Ab 5. Januar online first in der ARD-Mediathek

Ab Dienstag, den 12. Januar in Doppelfolgen um 20:15 Uhr in der ARD

Am Dienstag, den 12. Januar um 21:50 Uhr in der ARD die Begleitdokumentation

„Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg“ zur 3. Staffel der Serie „Charité”

2 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Page 3: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

3Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Berlin als Vier-Sektoren-StadtNach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird

Berlin von den Alliierten – Sowjetunion, USA,

Frankreich und Großbritannien – besetzt und in

vier Sektoren aufgeteilt. Die Charité befindet

sich direkt an der Grenze der sowjetischen zur

britischen Besatzungszone.

Im Jahr 1949 führen die divergenten

politischen Interessen letztlich dazu, dass die

„Westmächte“ in der Tri-Zone die BRD und

die Sowjetunion auf ihrem Gebiet die DDR

gründen. Damit wird die Sektorengrenze zur

Staatsgrenze und auch Berlin ist endgültig

geteilt.

In den fünfziger Jahren verbessern sich

die wirtschaftlichen Lebensbedingungen

in der Bundesrepublik und in West-Berlin

deutlich. Gleichzeitig führen der Aufbau des

Sozialismus, die zentralistische Lenkung

vieler Lebensbereiche und Mangelwirtschaft

in der DDR zu einer Massenflucht in den

„goldenen“ Westen. Bis 1961 verliert die

DDR rund ein Sechstel ihrer Bevölkerung.

Um die Abwanderung zu stoppen, erwägt

die DDR-Regierung eine Schließung der

Grenze. Dies hatte Walter Ulbricht im Juni

1961 noch öffentlich verneint und berät dann

Anfang August in einem Geheimgespräch mit

dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow doch über eine Abriegelung

Ost-Berlins.

In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 beginnen schließlich NVA, Grenzpolizei

und Volkspolizei im Auftrag der DDR-Führung mit der Sperrung von Straßen und

Gleiswegen nach West-Berlin. Sowjetische Soldaten kontrollieren und unterstützen

diese Aktion. Um den nordwestlichen Teil des Charité-Geländes, zwischen

Invalidenstraße, Humboldthafen und S-Bahn-Trasse, werden Grenzanlagen errichtet

und die Charité zum „Grenzobjekt“ erklärt.

Haupteingang zum Charité-Gelände an der Schumannstraße, 1958

3Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Page 4: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

4 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961 Undatierte Luftaufnahme mit Sperrgebiet und Grenzanlagen an

Psychiatrie und Pathologie mit S-Bahn-Trasse am Humboldt-Hafen

4 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Page 5: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

5Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Sechs neue Folgen „CHARITÉ“Wurde die Charité 1710 noch vor den Toren der Stadt erbaut, liegt sie 1961 nun mitten

in der Stadt und damit unmittelbar im Grenzgebiet des sowjetischen zum britischen

Sektor. Überall und besonders deutlich sichtbar am Zustand der Gebäude zeigen sich

die Nachwehen des Zweiten Weltkrieges. Zugleich ist der Anspruch der Mediziner

an der Charité und an die Charité weiterhin hoch. Im Alltag zeigt sich eine deutliche

Mangelsituation, die teilweise durch die Improvisationsfähigkeit der medizinischen

Akteure wettgemacht wird. Ab dem 13. August bestimmt dann die Mauer die Abläufe

und den Arbeitsalltag im gesamten Klinikbereich.

Die sechs neuen Folgen werden als Doppelfolgen ausgestrahlt und nehmen die

Zuschauerinnen und Zuschauer mit in die Tage des August 1961. Erzählt wird

abermals von einer Zeit, in der die Menschen nicht nur medizinisch gefordert sind,

sondern auch politisch, moralisch und persönlich Haltung zeigen müssen. Vor

diesem Hintergrund verknüpft die dritte Staffel erneut historische mit fiktionalen

Charakteren. Fiktive Hauptfigur ist die junge Ärztin Ella Wendt, die sich nach

dem frühen Tod der Mutter dem Kampf gegen den Krebs verschrieben hat. Sie

versucht, den fordernden Klinikalltag und ihre eigene ambitionierte Forschung

zur Krebsfrüherkennung sowie die zwischenmenschlichen Herausforderungen

unter einen Hut zu bringen. Mit ihr erleben wir politisch wie persönlich schwierige

Zeiten, aber auch den großen Zusammenhalt und die Leidenschaft, mit der sich

das medizinische Personal für das Wohl ihrer Patientinnen und Patienten einsetzt.

Zugleich wird erneut Emanzipationsgeschichte erzählt: Engagierte Medizinerinnen in

der jungen DDR, die in Forschung und Heilung neue Wege gehen. Schließlich gelangt

Dr. Ella Wendt zu Forschungsergebnissen, die sie nach dem Mauerbau auf einem

Kongress in West-Berlin vorstellen darf. So wird auch für sie die Frage relevant, ob sie

anschließend wieder an die Charité zurückkehrt oder wie so viele ihrer Kolleginnen

und Kollegen lieber im „Westen“ bleibt.

Am Mikrokosmos Charité thematisiert die neue Staffel eine weitere historische

Umbruchphase. Wir begegnen drei bekannten Medizinern: der herausragenden

Kinderärztin Dr. Ingeborg Rapoport, dem ausgezeichneten Frauenarzt Prof. Helmut

Kraatz und dem berühmten Gerichtsmediziner und Serologen Prof. Otto Prokop.

Lokalkolorit verleihen die „kleinen Leute“, personifiziert in der anfangs schroff

wirkenden Oberschwester Gerda und dem allgegenwärtigen und immer hilfsbereiten

Hausmeister Fritz „Pflaster“ Krug. Nicht fehlen darf zudem der Parteisekretär, der

ein Bekenntnis der Ärzteschaft zum Mauerbau verlangt und einem DDR-kritischen

Arzt eine Beförderung in Aussicht stellt, wenn er Loyalität zeigt und in die SED

eintritt. Klammer und Hauptfigur ist die junge Ärztin und Forscherin Dr. Ella Wendt.

5Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Page 6: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

6 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Die Charité-Serie verweist auf historische Ereignisse – im Hintergrund der das

Rauschen des Kalten Krieges und seiner Rhetorik. Dokumentiert ist beispielsweise

eine Erklärung des Fakultätsrates, in der dessen Mitglieder den Mauerbau begrüßen.

Ebenso authentisch sind die Kriminalfälle, die Prof. Otto Prokop „auf dem Tisch“ hat

sowie die Sektion des ersten „Mauertoten“ durch den Gerichtsmediziner und seine

Gedächtnisprotokolle, nachdem die eigentlichen Sektionsprotokolle samt Durchschlag

einkassiert worden waren. Die Themen der Zeit werden anhand medizinischer Fälle

illustriert: Ein Westberliner Kind mit Polio, das auf das unentschlossene Vorgehen

gegen die Epedemie in Westdeutschland und West-Berlin verweist. In der DDR

hingegen wird ab 1960 ein in der Sowjetunion hergestellter Impfstoff eingesetzt,

der zur rasanten Senkung der Polio-Fälle führt. Dem Wilmersdorfer Jungen rettet

schließlich die externe Beatmung mit der „Eisernen Lunge“ das Leben. Ebenso

thematisiert werden Intersexualität und Hermaphroditismus, die Mangelernährung

der Landwirte und der als Reparationsleistung an die UdSSR betriebene Uranerz-

Abbau sowie die damit verbundenen Risiken für die Bergleute.

Dargestellt wird auch, wie Dr. Ingeborg Rapoport versucht, neben dem traditionellen

Fachbereich der Frauenheilkunde die Neonatologie als neue Disziplin zu etablieren,

um die Behandlung von Neugeborenen zu verbessern und die Säuglingssterblichkeit

zu verringern. Denn häufig sind schon der Transport von der Frauen- zur Kinderklinik

über 1,5 km Entfernung und die Zeitverzögerung lebensbedrohlich für Frühgeborene

oder kranke Neugeborene.

Page 7: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

7Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Im Sommer kommt die junge Ärztin und fiktive Hauptfigur Dr. Ella Wendt (Nina

Gummich) an die Charité. Sie wurde aufgrund des Weggangs von Ärzten und

Pflegepersonal aus der Provinz nach Ost-Berlin beordert, um die Gesundheitsver-

sorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Das Krankenhaus steht in diesen Tagen

vor großen Problemen, und die Charité droht personell auszubluten. Dr. Ella Wendt

hofft, an der Charité ihre Forschung zur Krebsfrüherkennung voranzubringen und

sucht den Kontakt zu Prof. Otto Prokop (Philipp Hochmair), der einen herausragenden

Ruf als Serologe genießt. Prokops eigentliches Steckenpferd ist jedoch die

Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und

auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch.

Ella kann nur nach Feierabend forschen, denn die Arbeit auf der Inneren Station fordert

sie. Sie stemmt den Klinikalltag gemeinsam mit ihrem ehemaligen Kommilitonen Dr.

Alexander Nowack (Max Wagner). Doch die politischen Ereignisse erschüttern das

gegenseitige Vertrauen. Besonders als Ella sich zunehmend auf den Chirurgen Dr.

Curt Bruncken (Franz Hartwig) einlässt, der sie mit seinem Freiheitsdrang und seiner

rebellischen Art fasziniert.

Innerhalb weniger Wochen an der Charité

sehen wir, vor welche Hindernisse Ella gestellt

wird – sie wird abgewiesen, nicht ernst

genommen, fühlt sich einsam. Wir sehen ihr

dabei zu, wie sie kämpft, wie sie scheitert,

wie sie ihren Mut nicht verliert. Wir sehen,

wie sie sich verliebt und wie sie sich zwischen

der Liebe und ihrer inneren Berufung

entscheiden muss. Wie sie Menschen rettet

und verabschieden muss. Wir sehen einer

Frau dabei zu, wie sie erwachsen wird und

Verantwortung übernimmt, in einer Zeit,

in der über Nacht eine Mauer nicht nur das

ganze Land teilt, sondern auch die Identität

eines jeden Einzelnen. Nicht zuletzt sehen wir auch zu, wie sich Ella Wendt emanzipiert und einen

modernen Weg beschreitet, ohne sich von vorgegebenen Rollenbildern und Strukturen einschränken zu

lassen.

Dr. Ella Wendt

Nina Gummich über ihre Rolle Dr. Ella Wendt

Videoclip

Page 8: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

8 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

* 2. September 1912, in Kribi, Kamerun

† 23. März 2017 in Berlin

Ingeborg Rapoport ist Kinderärztin, Neonatologin und überzeugte

Sozialistin. In den sechziger Jahren kämpft sie für eine engere

Verknüpfung von Geburtshilfe und Kinderklinik, um Neugeborene

besser versorgen zu können.

Geboren wird die spätere Professorin für Neonatologie 1912

als Ingeborg Syllm in der deutschen Kolonie Kamerun. Sie

wächst in Hamburg auf, wo sie Medizin studiert und 1937 ihr

Staatsexamen ablegt. Dort schreibt sie auch ihre Dissertation –

eine experimentelle Arbeit über Diphtherie. Allerdings wird ihr

der Dr. med. verweigert, weil ihre Mutter Jüdin war. Im September

1938 emigriert sie kurz vor der Progromnacht in die Vereinigten

Staaten. Dort wird ihr Staatsexamen nicht anerkannt, so dass sie

zwei weitere Jahre am Women’s Medical College of Pennsylvania

in Philadelphia studiert. Sie arbeitet dort in verschiedenen

Krankenhäusern, erwirbt den Medical Doctor (MD) und spezialisiert sich auf die

Pädiatrie. 1946 heiratet sie den österreichischen Biochemiker und Kinderarzt Samuel

Mitja Rapoport, mit dem sie vier Kinder bekommt. Als Mitglieder der Communist

Party USA engagieren sie sich für die Bürgerrechte der Afroamerikaner und geraten

beide 1950 ins Visier des McCarthy-Untersuchungsausschusses. Die Familie wird

rechtzeitig gewarnt und kehrt aufgrund der politischen Verfolgung in den USA nach

Europa zurück.

1952 wird Mitja Rapoport die Leitung des Instituts für

Physiologische und Biologische Chemie der Humboldt-

Universität angeboten und die Familie findet in der

Hauptstadt der DDR eine neue Heimat. Ingeborg

Rapoport arbeitet zunächst als Ärztin, später

wissenschaftlich als Aspirantin und kann sich 1959 auf

der Grundlage ihrer Forschungen habilitieren. Ab 1958

ist sie an der Kinderklinik der Charité tätig und leitet

die Säuglings- und Frühgeborenenstation, aus der sie

allmählich eine Abteilung für Neugeborenenheilkunde

entwickelt. Ab 1964 erhält sie zunächst die Professur

für Pädiatrie und 1969 dann den europaweit ersten

Lehrstuhl für Neonatologie.

Prof. Dr. Ingeborg Rapoport

Prof. Dr. Ingeborg Rapoport

Page 9: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

9Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Mit der Umstrukturierung der Charité-Frauenklinik 1970 zu einer Art Perinatalzentrum

werden der Lehrstuhl und die neugegründete Abteilung Neonatologie integriert. Bis

zu ihrer Emeritierung 1973 entwickelt Prof. Rapoport ihre Abteilung inhaltlich und

strukturell mit dem Neuaufbau einer Station für Neugeborenen-Intensivtherapie

und einer Forschungsabteilung (Schwerpunkte Hypoxie, Bilirubin, Surfactant) weiter.

Damit gehören auch die Forschungen in der Neonatologie und der Pädiatrie zu ihren

Verdiensten. Nach der Emeritierung ist Prof. Rapoport weiterhin wissenschaftlich

tätig und engagiert sich in der Nachwuchsförderung. Im Mai 2015 verteidigt sie vor

drei Professoren der Universität Hamburg erfolgreich ihre Doktorarbeit von 1938 und

bekommt 77 Jahre nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten in einer feierlichen

Zeremonie ihre Promotionsurkunde überreicht. Mit ihren damals 102 Jahren ist sie

der bislang älteste Mensch, der jemals ein Promotionsverfahren abgeschlossen hat.

Mich hat an Ingeborg Rapoport am meisten ihre

liebevolle Hartnäckigkeit begeistert. Sie war eine

herausragende, leidenschaftliche Kinderärztin.

Ihr gesamtes Berufsleben über hat sie sich

dafür eingesetzt, dass die Gynäkologie und die

Kinderheilkunde Hand in Hand miteinander arbeiten.

Die Auseinandersetzung mit alten, patriarchalen,

verkrusteten Strukturen hat sie nicht gescheut, im

Gegenteil. Das imponiert mir zutiefst.

Nina Kunzendorf über ihre Rolle Dr. Ingeborg Rapoport

Videoclip

Page 10: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

10 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

* 29. September 1921 in St. Pölten

† 20. Januar 2009 in Ottendorf (bei Kiel)

Otto Prokop wird 1921 in St. Pölten/Österreich geboren und

studiert nach der Maturaprüfung in Salzburg Medizin in Wien und

Bonn. Dort folgen 1948 die Promotion und 1953 die Habilitation für

Gerichtliche Medizin. Während zahlreiche Mediziner zu Beginn der

1950er Jahre die junge DDR gen Westen verlassen, folgt Prokop

als Österreicher 1956 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Gerichtliche

Medizin der Humboldt-Universität zu Berlin und ist zugleich bis

1987 Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin der Charité.

Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem der gewaltsame

Tod, die Forensische Serologie, Spurenkunde und Genetik. Bei der

Erforschung der Blutgruppenmerkmale ist er deutschlandweit

ein führender Wissenschaftler. Für seine Blutgruppengutachten

in Vaterschaftsprozessen gibt er eine Wahrscheinlichkeit von 98

Prozent an.

Prokops Arbeit genießt national wie international

großes Renommee. Zudem bildet er Studenten

unterschiedlicher Fachgruppen aus und hat als

Hochschullehrer viele tausend Studierende begeistert.

Während seiner dreißigjährigen Amtszeit seziert er mit

seinem Team mehr als 30.000 Leichname, analysiert

Todesursachen mit naturwissenschaftlichem Blick und

protokolliert sie. Politisch brisante Obduktionsberichte

werden vom Ministerium für Staatssicherheit geheim

gehalten. Als Wissenschaftler hat er mit mehr als

1.000 Publikationen zur Blutgruppenserologie, zur

forensischen Pathologie und zur Traumatologie eine

herausragende Produktivität bewiesen. Sein “Atlas der

Gerichtlichen Medizin” wurde beispielsweise zu einem

Standardwerk. Prokop gehört zu den herausragenden

Gerichtsmedizinern des 20. Jahrhunderts, und unter

seiner Leitung haben sich 25 Mediziner habilitiert.

Prof. Dr. Otto Prokop

Prof. Dr. Otto Prokop

Page 11: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

11Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Professor Prokop war und ist post mortem eine Koryphäe

auf dem Gebiet der Gerichtsmedizin. Er sagte über sich

selbst: ,Ich bin der Blutgruppen-Papst‘ und pflegte sogar fast

eine Art ,Popstar‘-Attitüde bei seinen Vorlesungen in den

übervollen Hörsälen. Diesen berühmten österreichischen

Pathologen in dieser politisch extrem bewegten Zeit in Berlin

zu verkörpern, war eine wirklich spannende Erfahrung!

Ihm wurde, unter anderem, auch die Obduktion der ersten

Mauertoten aufgetragen. Und sein Bestreben – gegen den

Willen des sozialistischen Systems – die wahre Sachlage der

Todesumstände der an der Grenze erschossenen Flüchtigen der

Nachwelt zu überliefern, macht ihn für mich zu einem Helden.

Die Energie und Widersprüchlichkeit der Figur, sein positiver

Narzissmus, sein Brennen für die Sache und sein unermüdlicher

Kampf um das Fortbestehen des Krankenhauses, haben mich

besonders an dieser Rolle gereizt. Dass er nie an seinem Genius

zweifelt, führt oft zu recht humorvollen Szenen.

Philipp Hochmair über seine Rolle Prof. Dr. Otto Prokop

Seinen „Wiener Charme“ und die österreichische

Staatsbürgerschaft gibt er nicht auf, er besitzt zwei Pässe und

kann also auch nach dem Mauerbau relativ unproblematisch

und spontan überall hinreisen. So hält er weiterhin enge

Kontakte mit den Kollegen im „kapitalistischen Ausland“.

Lang ist die Liste der nationalen und internationalen

Auszeichnungen und Ehrungen, wie beispielsweise die

Ehrendoktorate in Leipzig, Szeged und Tokio sowie die

Mitgliedschaft in der Leopoldina. Nach der deutschen

Wiedervereinigung sind Prokops fachliches Wissen weiterhin

gefragt, beispielsweise in Kommissionen und Ausschüssen

des Landes Berlin. In den Mauerschützenprozessen werden

seine damaligen Obduktionsberichte herangezogen. Auch

im Ruhestand arbeitet er noch viele Jahre im Institut in der

Hannoversche Straße 6 und geht täglich in sein “Emeritus-

Zimmer”.Sonntagsvorlesung im September 1985

Page 12: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

12 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

* 6. August 1902 in Wittenberg

† 13. Juni 1983 in Berlin

Helmut Kraatz wird 1902 in Lutherstadt Wittenberg geboren.

1928 legt er sein Staatsexamen in Medizin ab und promoviert

zum Dr. med. an der Universität Heidelberg. 1929 erhält

er die Approbation in Karlsruhe und ab 1930 arbeitet er

als Assistenzarzt an der Berliner Universitätsfrauenklinik

in der Tucholskystraße. Nach der Machtergreifung der

Nationalsozialisten tritt er 1933 der SA bei und ist 1937 als

Parteianwärter der NSDAP registriert. 1939 wird er Facharzt für

Frauenheilkunde, Oberarzt und stellvertretender Direktor der

Universitätsfrauenklinik unter Walter Stoeckel. Kraatz habilitiert

sich 1940 an der Berliner Universität. Nach Kriegsende gilt er als

belastet und es wird ein Entnazifizierungsverfahren eingeleitet.

Er erklärt, dass er im Zuge der Zeit der Aufforderung, der

SA beizutreten, nachgekommen und darüber in die NSDAP

aufgenommen worden sei. Im Entnazifizierungsverfahren belegen Kollegen aus der

Klinik, dass er sich nie aktiv im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie betätigt

habe. Auch sein Chef Prof. Stoeckel setzt sich intensiv für eine Beschleunigung des

Entnazifizierungsverfahrens ein.

So wird Kraatz 1948 zunächst wieder

Dozent, später Professor mit Lehrauftrag

an der heutigen Humboldt-Universität. 1949

wird er auf den Lehrstuhl für Gynäkologie

und Geburtshilfe an die Universität Halle

(Saale) berufen. 1951 kehrt er nach Berlin

zurück und übernimmt den Lehrstuhl für

Frauenheilkunde der Humboldt-Universität

sowie die Leitung der Universitätsfrauenklinik

der Charité. Damit wird er zum Chef der

aus seiner Sicht bedeutendsten deutschen

Universitätsfrauenklinik und Nachfolger

des großen bewunderten Vorgängers Prof.

Stoeckel.

Prof. Dr. Helmut Kraatz

Kreißsaal der Universitätsfrauenklinik

Prof. Dr. Helmut Kraatz

Page 13: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

13Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Historische Figuren sind immer schwierig darzustellen, da

man Vergleiche anstellen kann. Kraatz war ein herausragender

Gynäkologe und Geburtshelfer. Und das mit Leidenschaft, wie

alle genialen Geister. Solche Menschen haben es oft schwer,

damit klarzukommen, dass die meisten anderen Mitarbeiter

weit unter seinem Niveau agieren. Und das muss er auch ab

und zu den Betreffenden deutlich machen.

Uwe Ochsenknecht über seine Rolle Prof. Dr. Helmut Kraatz

Kraatz begreift sich in seinem Fach, der Gynäkologie und Geburtshilfe, als Bewahrer

der Stoeckelschen Schule. Er achtet auf das orthodoxe Einhalten der Stoeckelschen

Operationsmethoden und betreibt die Geburtshilfe eher konservativ. Von 1954 bis

1956 ist er zudem Dekan der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität. Im

Jahr 1953 wird er zum Mitglied der Leopoldina gewählt, seit 1956 gehört er der

Berliner Akademie der Wissenschaften an. 1961 wird er zusätzlich auf den Lehrstuhl

für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe der Akademie für Ärztliche Fortbildung der

DDR berufen. Prof. Kraatz ist in vielen Gremien des Gesundheitswesens der DDR und

des Auslandes aktiv und gilt als der bedeutendste Gynäkologe der DDR. Er prägt über

20 Jahre die Umgestaltung und Neuprofilierung der Klinik, aber auch maßgeblich die

Gynäkologie und Geburtshilfe in der gesamten DDR. 25 seiner Schüler habilitieren

sich, er veröffentlicht rund 700 Publikationen. Sein besonderes Interesse gilt der

Karzinomchirurgie, den Sterilitätsoperationen, der operativen Geburtshilfe, vor allem

aber der Uro-Gynäkologie. Hier beschreibt er zwei eigene Operationsmethoden.

Durch den Wiederaufbau der Frauenkliniken in Halle und Berlin sowie durch seine

Kompetenz in der Gynäkologie, erhält er verschiedene Auszeichnungen. Nach seiner

Emeritierung 1970 wirkt er ab 1972 als Mitglied des Präsidiums des Kulturbundes der

DDR und als Vorsitzender des Clubs der Kulturschaffenden „Johannes R. Becher“.

Videoclip

Page 14: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

14 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten KriegFilm von Dagmar Wittmers

Das berühmteste deutsche Krankenhaus – die Charité – ist auch im Kalten Krieg ein

Ort von Lehre, Forschung und Heilung mit enormer Strahlkraft. Zunächst bleibt die

Charité ein Ort der bürgerlichen Eliten, die in Anpassung und Opportunismus geübt

sind. Aus den Göttern in Weiß werden nicht über Nacht Götter in Rot. Medizinische

Koryphäen, die eine kurze Phase der Entnazifizierung überstanden haben, bleiben

in ihren Positionen oder zumindest in den alten Fachabteilungen. Diese Kontinuität

beherrscht das Klima im Vorzeigekrankenhaus der noch jungen DDR.

Der ererbte Ruhm des Hauses wirkt weiter. Der österreichische Forensiker Otto

Prokop wechselt von der Universität Bonn an die Charité – und übernimmt dort

die Gerichtsmedizin. Er bleibt aber ein Pendler zwischen den Welten und wird

international bekannt als „Blutgruppenpapst“. Andere, wie der

renommierte Biochemiker Mitja Rapoport und die Kinderärztin Ingeborg

Rapoport, entscheiden sich bewusst für das sozialistische Land. Für sie,

als zurückgekehrte jüdische Emigranten, ist die DDR die vermeintliche

Alternative zu dem Deutschland, das Faschismus und Rassenverfolgung

hervorgebracht hat.

Seit dem Kriegsende liegt die Charité in der Mitte Berlins direkt an

der Grenze zwischen sowjetischem und britischem Sektor; im August

1961 wird der Außenzaun der Charité mit Stacheldraht abgeriegelt und

von Grenztruppen bewacht. Ärzte und Wissenschaftler der Charité

entfalten Ehrgeiz und Ethos, den guten Ruf trotz Mangelwirtschaft und

schwieriger Finanzlage zu bewahren. Der Kardiologe Joachim Witte knüpft über

die Grenze hinweg Kontakte zur West-Berliner Firma Biotronik und entwickelt auf

eigene Faust den ersten eigenen Herzschrittmacher der DDR. Das bringt ihm anfangs

Misstrauen und Ärger ein, rettet aber vielen Patienten das Leben. Im Spannungsfeld

des Kalten Krieges ist die Charité das Prestigeobjekt der DDR, das renommierteste

Krankenhaus im ganzen Ostblock, ein Sehnsuchtsort für Kranke und Mediziner.

Mitarbeiterin der Universitäts-frauenklinik bei der Unter-suchung von Präparaten

„Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg“ ist die Begleitdokumentation

zur 3. Staffel der Serie „Charité” | am 12. Januar, um 21:50 Uhr in der ARD

14 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Page 15: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

15Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Wie wirken sich die politischen Verhältnisse nach 1945 auf die Mitarbeiter der

Charité aus?

Die neuen politischen Verhältnisse wirken sich 1945 natürlich direkt auf die

Mitarbeiter aus. Es beginnt eine Phase der Entnazifizierung. Einzelne Abteilungen

werden umstrukturiert und die Neuberufungen von Klinik- und Institutsleitern

gestartet. Mitarbeiter ideologiegeprägter

Fächer wie „Rassenhygiene“ werden

sofort entlassen. Beschäftigte in

klinischen Bereichen werden hingegen

als Einzelfälle geprüft. Prämisse ist

hier der Erhalt der Arbeitsfähigkeit des

Klinikums und die Bereitschaft, das

kommunistische System zu unterstützen.

Dabei werden durchaus Kompromisse

eingegangen und beispielsweise

Professoren, um deren Verstrickungen

im NS-System wir inzwischen wissen,

behalten ihre Positionen. Zu nennen

wären etwa Walter Stoeckel und

Hermann Stieve.

Eine weitere entscheidende Phase folgt im Spannungsfeld des zunehmenden

Ost-West-Konflikts. So gibt es zahlreiche „Republikfluchten“, zudem werden ab

1952 in West-Berlin lebende Medizinstudenten von der Humboldt-Universität

relegiert und ab 1961 im Westteil lebende Mitarbeiter entlassen. Die Aufnahmelager

in Westdeutschland und West-Berlin sind überfüllt. Da die DDR-Abschlüsse auf

medizinischem Gebiet anerkannt werden, sehen viele Ärzte und Schwestern im Falle

eines Weggangs einer durchaus positiven beruflichen Zukunft entgegen. Bis zum

Mauerbau verliert die DDR insgesamt etwa ein Sechstel ihrer Bevölkerung an den

Westen.

Die Charité in den 60er Jahren

Außenansicht der Kinderklinik mit Pavillons und GartenanlageAußenansicht der Hautklinik

Prof. Dr. Thomas Schnalke

Interview mit Prof. Dr. Thomas Schnalke, Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité

Page 16: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

16 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Hatte die besondere geographische Lage einen Einfluss auf die Charité?

Begründet durch ihren ausgezeichneten Ruf war die Charité trotz starker

Zerstörung und ihrer Lage in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) ein

attraktiver Arbeitsort für Ärzte und medizinisches Personal. Doch bereits zur Zeit

der Sowjetischen Militäradministration – verstärkt aber nach der Gründung der

DDR – ist eine nie versiegende Ärzteflucht zu verzeichnen. Diese erreicht Ende

der 50er Jahre einen ersten Höhepunkt und bricht selbst nach dem Mauerbau

nicht ab. Aufgrund der Lage des Geländes an der Grenze

werden Sperrzonen eingerichtet und zahlreiche bauliche

Veränderungen an Klinikgebäuden vorgenommen, um

„Republikfluchten“ zu verhindern. So werden die Gebäude

beispielsweise wasserseitig zugemauert und der erst kurz

zuvor wieder instandgesetzte Hörsaal der Alten Frauenklinik

gesperrt, weil er zu dicht an der innerdeutschen Grenze

liegt. Es wurde ein „Grenzsicherheitsaktiv“ eingerichtet und

„Freiwillige Grenzhelfer“ ausgebildet, die Fluchtverdächtige

melden. Festgenommene „Republikflüchtige“ werden in

der Charité-Nervenklinik auf ihre Zurechnungsfähigkeit

untersucht, getötete Flüchtige werden in der

Gerichtsmedizin obduziert.

Wie hat sich die Charité nach dem Mauerbau weiterentwickelt?

Lassen Sie mich etwas ausholen: Zu Beginn

der 1950er Jahre waren die wesentlichen

kriegsbedingten Rekonstruktionsmaßnahmen

an den schwer beschädigten Charité-Gebäuden

zum Abschluss gekommen. Forschung, Lehre und

Krankenversorgung hatten wieder, dem historisch

gegründeten hohen Anspruch folgend, Fahrt

aufgenommen. Ende der 50er Jahre wurden erste

Nachkriegsneubauten an der Charité in Betrieb

genommen. So zum Beispiel 1959 eine eigene

Geschwulstklinik (heutige Strahlentherapie),

1960, im Jahr des 250. Charité-Jubiläums, eine

Hautklinik. In den 1960er Jahren gewann die

Charité auf einigen Forschungsfeldern – sowohl in den Grundlagenfächern als auch

in anwendungsorientierten Bereichen – wieder internationalen Anschluss. Das

zeigte sich nicht zuletzt in der Einrichtung neuer medizinischer Abteilungen, wie

etwa einer eigenen Neugeborenenstation (Neonatologie), der Schaffung neuer

Institute sowie der Gründung nationaler Referenzzentren an der Charité.

Psychiatrische und Nervenklinik, Mauer mit Tor zum Innenhof

Arzt und Schwester bei der ärztlichen

Versorgung

Page 17: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

17Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Wie stand das medizinische Personal zum System?

Bis heute gibt es an der Charité ein historisch gewachsenes und durch

gemeinsam durchgestandene Stürme erprobtes Zusammengehörigkeitsgefühl. In

der Grundhaltung fand sich seinerzeit unter der zahlenmäßig starken Belegschaft

sicherlich die gesamte Spannbreite von Einstellungen hinsichtlich der damaligen

Gesellschaft und dem politischen System. Auffällig

ist jedoch nach meiner Beobachtung, dass sich viele

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch wenn Sie den

Verhältnissen loyal gegenüberstanden, einen kühlen Kopf

bewahrten und eine eigene Meinung behalten haben.

Zeitzeugen berichten bis heute von gewissen Freiheiten

an der Charité hinsichtlich der beruflichen Entwicklung,

Reisetätigkeit und Meinungsäußerung. Allerdings achteten

eine ausgebaute politisch dirigierte Kaderstruktur und

zunehmend auch das System der Staatssicherheit stets

auch höchst rigide auf die Einhaltung entsprechender

Konformitäten und Grenzen.

Welche Rolle spielte die Charité für den Staat DDR?

Für die DDR bot die Charité unter anderem

die Möglichkeit, auf einem zentralen Bereich des

gesellschaftlichen und kulturellen Lebens – der

Medizin – gegenüber der eigenen Bevölkerung,

aber auch über die Landesgrenzen hinaus, einen

wissenschaftlichen wie sozialen Anspruch sowie eine

entsprechende Leistungsfähigkeit sichtbar unter Beweis

zu stellen. Dabei diente die Charité nach innen, in das

DDR-Gesundheitswesen hinein, als Impulsgeber, Motor

und auch als Versuchsfeld für den gesellschaftlichen

Anspruch, eine bestmögliche Medizin für Alle zu

realisieren.

Universitäts-frauenklinik 1963 Weihnachtsfeier der Schwestern

Operationssaal der Chirurgischen Klinik, 1958

Charité-Gebäude in der Luisenstrasse Die 1960 eröffnete Hautklinik

Page 18: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

18 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Immer mit Fliege. Immer mit Anspruch. Immer wieder

lenkte er seinen Blick tief unter die Haut. 33.947 Sektionen

fanden unter seiner Leitung am renommierten Institut

für Gerichtliche Medizin der Charité statt. Was für Otto

Prokop zählte: gut dokumentierte Befunde vom Tatort,

nüchterne Beobachtungen am Leichnam und sorgfältig

ermittelte Befunde aus dem Labor. Als überzeugter

Naturwissenschaftler machte er sein Fach nach den

Verheerungen des Zweiten Weltkriegs in Berlin wieder groß.

Genauer: in Ost-Berlin – zwischen Mauerbau und Mauerfall. Im

Ost-West-Spannungsfeld sezierten er und seine Mitarbeiter

auch „Mauertote“. Dies erforderte eine berufliche Nähe zur

Staatsgewalt. Zwar hielt sich Prokop politisch auf Distanz,

die gesellschaftlichen Verhältnisse trug er jedoch loyal mit.

In fünf Kapiteln folgt die Ausstellung dem ungewöhnlichen

Lebensweg einer ärztlichen Persönlichkeit, die wie kaum eine

zweite das Ansehen der Charité im geteilten Berlin prägte.

Vor den jeweiligen zeithistorischen Hintergründen blickt sie auf die medizinischen

Schwerpunkte seines Schaffens. Gleichzeitig leuchtet sie sein berufliches Umfeld

aus. Wichtige Fälle aus seiner gerichtsmedizinischen Praxis belegen einen klaren

Kopf. Als Forscher und Wissenschaftsorganisator, Gutachter und Autor ist er ein

international angesehener Wanderer zwischen den Welten. In seinen überfüllten

Sonntagsvorlesungen bezieht der charismatische Redner gegen medizinische

Paraphänomene und Okkultismus Position.

Die Prokop-Ausstellung knüpft an die dritte Staffel der historischen Charité-Serie in

der ARD an. Darin werden fiktive und historische Persönlichkeiten – unter anderem

Otto Prokop – rund um den Bau der Berliner Mauer Mitte August 1961 in den Blick

genommen. Zur breiteren Einordnung präsentiert die Ausstellung ein umfassenderes

Lebensbild Prokops mit etlichen Höhen und manchen Tiefen.

Otto Prokop und sein Institut für Rechtsmedizin im geteilten Berlin

Kommende Ausstellung: Sezierte Wahrheiten.

Prof. Dr. Otto Prokop

18 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Page 19: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

19Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Bis heute bleibt es erstaunlich, mit welcher Zielstrebigkeit und Entschlossenheit

der österreichische Staatsbürger 1957 den Standortwechsel von Bonn in die DDR

vollzogen hat. Das Ost-Berliner Gerichtsmedizinische Institut in der Hannoverschen

Straße wurde nicht nur beruflich, sondern auch privat sein Zuhause. Dort wohnte

und lebte er mit seiner Familie über weite Strecken seiner aktiven Laufbahn. In

umfassender Weise machte er es zu „seinem“ Institut.

Die Ausstellung zu Otto Prokop soll ab Frühjahr 2021 in einer digitalen Version

der Präsentation als virtueller Rundgang im Internet und zusätzlich im flexiblen

Tafelformat gezeigt werden. Sie wird gemeinsam von den Charité-Instituten für

Rechtsmedizin und für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin sowie vom

Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité konzipiert.

Videoclip: Prof. Dr. Thomas Schnalke, Direktor des Berliner

Medizinhistorischen Museums der Charité, über die Prokop-Ausstellung

Aquarell von W. Rohde

Institut für Gerichtliche Medizin der

Charité, Hannoversche

Straße

Page 20: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

20 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Lu

ise

ns

tr.

Invalidenstr .

Chausseestr.

F

ried

rich

str.

Reinhardtstr.

Auguststr.

Linienstr.

S

traßeHannoversche

Mo

nb

ijo

us

tr.Johannisstr.

Ziegelstr.

Schumannstr.

Universitäts-klinikumCharité

Tuch

olsk

yst

r. T

uch

olsk

ystr

.

Wilhelm-Pieck-Str.

Philippstr.

Oranienburger Str.

Spree

S

Humboldt-hafen

© Charité – Universitätsmedizin Berlin | Unternehmenskommunikation 12/20

1

3

© Charité – Universitätsmedizin Berlin | Unternehmenskommunikation 1/21

Page 21: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

21Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Lu

ise

ns

tr.

Invalidenstr .

Chausseestr.

F

ried

rich

str.

Reinhardtstr.

Auguststr.

Linienstr.

S

traßeHannoversche

Mo

nb

ijo

us

tr.Johannisstr.

Ziegelstr.

Schumannstr.

Universitäts-klinikumCharité

Tuch

olsk

yst

r. T

uch

olsk

ystr

.

Wilhelm-Pieck-Str.

Philippstr.

Oranienburger Str.

Spree

S

Humboldt-hafen

© Charité – Universitätsmedizin Berlin | Unternehmenskommunikation 12/20

3

2

Umgebungskarte 19611 Kinderklinik | Charité-Gelände, Nähe Eingang Schumannstraße

2 Universitätsfrauenklinik | Tucholskystraße / Ziegelstraße / Monbijoustraße

3 Institut für Gerichtsmedizin | Hannoversche Str. 6

Page 22: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

22Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

„CHARITÉ“: Besetzung & StabDr. Ella Wendt Nina Gummich | Dr. Ingeborg Rapoport Nina Kunzendorf | Prof. Dr. Otto

Prokop Philipp Hochmair | Prof. Dr. Helmut Kraatz Uwe Ochsenknecht | Dr. Alexander

Nowack Max Wagner | Dr. Curt Bruncken Franz Hartwig | Oberschwester Gerda Hildegard

Schroedter | Fritz „Pflaster“ Krug Uwe Preuss | Krankenschwester Arianna Patricia Meeden

| Parteisekretär Lehmann Nicholas Reinke | Prof. Dr. Mitja Rapoport Anatole Taubman |

Lernschwester Petra Amber Marie Bongard | Laborgehilfe Wittenberg Thimo Meitner | Frau

Dammrau Cristin König | Frau Jasinski Natalia Rudziewicz | Simone Weiser Johanna Link

| Hauptmann Hertweck Christian Beermann | Krankenschwester Paula Kamila Ondrušková

| Frau Simoneit Anne Kanis | Herr Simoneit Ulrich Friedrich Brandhoff | Christa Rösler

Muriel Bielenberg | Walter Neumann Hilmar Eichhorn | Gisela Neumann Johanna Klante |

Robert Richter Aurel Manthei | Sybille Richter Markéta Richterová | Sophie Melster Pia-

Micaela Barucki | Thomas Melster Leonard Hohm | Katharina Lilly von Klitzing | Soldat

Bernd Macke Tillmann Eckardt | Hebamme Witt Zdeňka Sajfertová | Oberarzt Senkbeil Kai

Ivo Baulitz | Prof. Dr. Klare Max Urlacher

StabDrehbuch Stefan Dähnert, Regine Bielefeldt, John-Hendrik Karsten, Christine Hartmann

| Drehbuch Mitarbeit & Konzeption Dr. Sabine Thor-Wiedemann, Dr. Christine Otto, Dr.

Jakob Hein | Regie Christine Hartmann | Bildgestaltung Holly Fink (BVK) | Casting Nina

Haun | Musik Fabian Römer, Matthias Hillebrand-Gonzalez | Montage Andreas Althoff

(BFS), Cosima Schnell | Szenenbild Petra Albert | Kostümbild Heike Hütt | Maske Jeanette

Latzelsberger, Gregor Eckstein (SFX) | Medizinhistorische Fachberatung Prof. Dr. Thomas

Schnalke, Dr. Rainer Herrn, Dr. Sven Hartwig, Prof. Dr. Michael Tsokos, Dr. Mark Benecke

| Produktionsleitung Franziska Strutz-Zander, Petr Bílek | Herstellungsleitung Natalie

Clausen, André Naumann (MDR) | Dramaturgie Thomas Laue | Koproduzenten Michal

Pokorný, Zbynék Pippal | Produzenten Benjamin Benedict, Markus Brunnemann, Henriette

Lippold | Redaktion Jana Brandt (MDR), Johanna Kraus (MDR)

„CHARITÉ“ ist eine Produktion der UFA FICTION im Auftrag der ARD-

Gemeinschaftsredaktion Serien im Hauptabendprogramm und der ARD Degeto für Das Erste.

Koproduzent ist MIA Film. Mit freundlicher Unterstützung der Charité – Universitätsmedizin

Berlin. Gefördert vom Tschechischen Staatsfonds der Kinematographie.

Gedreht wurde von Mitte November 2019 bis Anfang März 2020 in Prag und Umgebung.

22 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Page 23: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

23Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Sendetermine ARD

Di., 12.01. | 20:15 Uhr Charité (1): Eiserne Lunge

Di., 12.01. | 21:00 Uhr Charité (2): Blutsauger

Di., 19.01. | 20:15 Uhr Charité (3): Grenzwerte

Di., 19.01. | 21:00 Uhr Charité (4): Atemstillstand

Di., 26.01. | 20:15 Uhr Charité (5): Sepsis

Di., 26.01. | 21:05 Uhr Charité (6): Herzflimmern

23Dritte Staffel der historischen ARD-Serie

Page 24: Die Charité im Sommer 1961 · Gerichtsmedizin. Seine Obduktionen tragen zur Klärung von Kriminalfällen bei und auch die ersten “Mauertoten” liegen auf seinem Tisch. Ella kann

24 Grenzerfahrungen – Die Charité im Sommer 1961

Bild- und TextnachweiseFotos • Bildarchiv des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin

(S. 3, 4, 8, 10, 11 o., 12, 14, 15 u., 16, 17, 18)

• ARD/Stanislav Honzik (S. 1, 2, 7, 9, 11 u., 13, 23)

• Anja Käumle (S. 6, 22)

• Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité (S. 15 o.)

• Institut für Rechtsmedizin der Charité (S. 19, Reproduktion 2003)

Titelbild• Nina Kunzendorf (Dr. Ingeborg Rapoport), Philipp Hochmair (Prof. Dr. Otto Prokop), Uwe Ochsenknecht

(Prof. Dr. Helmut Kraatz), Nina Gummich (Dr. Ella Wendt). Foto: ARD/Stanislav Honzik

Gruppenbild am Filmset, S. 22

• Das Film-Team mit Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité (2. v. l.), Prof. Dr. Thomas Schnalke, Direktor der Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité (l.) und Prof. Dr. Karl Max Einhäupl, der von 2008-19 Vorstandsvorsitzender der Charité war und in der 3. Staffel einen Gastauftritt hat (6. v. l.). Foto: Anja Käumle

Texte Übergreifend• Herrn, Rainer Herrn/Hottenrott, Laura (Hrsg.): Die Charité zwischen Ost und West 1945-1992. Zeitzeugen erinnern

sich. Berlin 2010.

• https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/denkmale/denkmale-der-alliierten/die-alliierten-in-berlin/berlin-unter-verwaltung-der-vier-maechte-1945-1948-646239.php

Prof. Dr. Ingeborg Rapoport• https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/charite_trauert_um_prof_dr_dr_ingeborg_rapoport/

• https://www.charite.de/forschung/meldungen/meldung/artikel/detail/symposium_zu_ehren_von_ingeborg_rapoport/

• https://www.aerzteblatt.de/archiv/187704/Ingeborg-Rapoport-Begruenderin-der-Neonatologie

• https://de.wikipedia.org/wiki/Ingeborg_Rapoport

• www.bpb.de/318155

Prof. Dr. Otto Prokop• https://rechtsmedizin.charite.de/ueber_das_institut/geschichte_des_instituts/

• https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Prokop

• https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=16&aid=63808&s=prokop

• https://www.tagesspiegel.de/berlin/portraet-otto-prokop-nie-ohne-meine-fliege/259950.html

Prof. Dr. Helmut Kraatz • http://www.ggg-b.de/index.php?lang=de&site=archiv_2011_kraatz_preis

• https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2003-44475

• https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/10260?show=full

• https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/13748

• https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Kraatz

Schauspieler-Zitate• ARD-Broschüre zur dritten Staffel „CHARITÉ”

• https://www.daserste.de/unterhaltung/serie/charite/index.html

Herausgegeben von: Charité – Universitätsmedizin Berlin | Geschäftsbereich Unternehmenskommunikation

Redaktion und Text: Verena Wolff

Grafik und Bildredaktion: Constanze Gutwasser

https://www.charite.de

Impressum