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1 Falldiskussion Schwermetalle und chronischer Schmerz Schwebendes Gerichtsgutachten Klaus A. Lehmann, Anästhesie Uni Köln Schwermetalle und chronischer Schmerz Kapitel 1 Der Patient Schwermetalle und chronischer Schmerz „Sickness Behavior“ in Fibromyalgia Goldenberg DL, Psychiatric and psychologic aspects of fibromyalgia syndrome. Rheum Dis Clin North Am 15:105-14 (1989) Diagnostic uncertainty Patient frustration „Doctor shopping“ Multiple costly, invasive tests Guilt, anger Increased symptom reporting and help seeking Schwermetalle und chronischer Schmerz 45-jähriger Patient (Pharmareferent im Außendienst) seit Jahren in ärztlicher Behandlung wegen zahlreicher Krankheitsbilder (Osteoporose, Coxarthrose, lumbaler Bandscheibenvorfall, systemischer Lupus erythematodes, Fibromyalgiesyndrom, Depression): Hausarzt, Neurologe Quensyl (Hydrochloroquin) gegen chronische Polyarthritis und LE) Fosamax (Alendronsäure) zur Therapie der Osteoporose Imipramin 25 mg/Tag als Antidepressivum Oxygesic (Oxycodon) 30 mg/ Tag als Analgetikum Schwermetalle und chronischer Schmerz Anamnese beim Schmerztherapeuten: seit Jahren bestehende Ganzkörperschmerzen mit Müdigkeit, psychovegetative Erschöpfungs- zustände, Konzentrationsstörungen, Abgeschlagenheit, Schlafstörungen; seit Anfang des Jahres Verschlechterung der Gesamtsymptomatik. Schwermetalle und chronischer Schmerz Wegen der starken bzw. unerträglichen Schmerzen ist der Patient zur Zeit eingestellt auf: Oxygesic 10-10-10 Quensyl 1-0-1 Vioxx 25 mg 1*1 Katadolon 1-1-1 Imipramin 25 1-0-0

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1

Falldiskussion

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Schwebendes Gerichtsgutachten

Klaus A. Lehmann, Anästhesie Uni Köln

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Kapitel 1

Der Patient

Schwermetalle und chronischer Schmerz

„Sickness Behavior“ in FibromyalgiaGoldenberg DL, Psychiatric and psychologic aspects of fibromyalgia syndrome. Rheum Dis Clin North Am 15:105-14 (1989)

Diagnostic uncertainty↓

Patient frustration↓

„Doctor shopping“↓

Multiple costly, invasive tests↓

Guilt, anger↓

Increased symptom reporting and help seeking

Schwermetalle und chronischer Schmerz

45-jähriger Patient (Pharmareferent im Außendienst)

seit Jahren in ärztlicher Behandlung wegen zahlreicher Krankheitsbilder (Osteoporose, Coxarthrose, lumbaler Bandscheibenvorfall, systemischer Lupus erythematodes, Fibromyalgiesyndrom, Depression): Hausarzt, Neurologe

Quensyl (Hydrochloroquin) gegen chronische Polyarthritis und LE)

Fosamax (Alendronsäure) zur Therapie der Osteoporose

Imipramin 25 mg/Tagals Antidepressivum

Oxygesic (Oxycodon) 30 mg/ Tag als Analgetikum

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Anamnese beim Schmerztherapeuten:

seit Jahren bestehende Ganzkörperschmerzen mit Müdigkeit, psychovegetative Erschöpfungs-zustände, Konzentrationsstörungen, Abgeschlagenheit, Schlafstörungen;

seit Anfang des Jahres Verschlechterung der Gesamtsymptomatik.

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Wegen der starken bzw. unerträglichen Schmerzen ist der Patient zur Zeit eingestellt auf:

Oxygesic 10-10-10Quensyl 1-0-1Vioxx 25 mg 1*1Katadolon 1-1-1Imipramin 25 1-0-0

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Schwermetalle und chronischer Schmerz

Zahnstatus beim Schmerztherapeuten:4 Amalgamfüllungen

Empfehlung für einen Urintest (Quecksilberbelastung):gehört neben vielfältigen schmerztherapeutischen Methoden und Psychotherapie zur Praxisspezialität

→ Untersuchung einer Probe spontanen Morgen-Urins

→ Stimulation der Schwermetallausscheidung mit einem Chelatbildner (DMSA)

→ Urinprobe nach DMSA

Schwermetalle und chronischer Schmerz

HgU vor DMSA: 1,03 µg/g KHgU nach DMSA: 3,64 µg/g K

Aufgrund der nicht eindeutig zuzuordnenden Symptomatik und bei seit Jahren bestehender Amalgambelastung haben wir den Patienten auf Schmerzmetallbelastung untersucht. Es wurde eine sehr hohe Quecksilberbelastung festgestellt.

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Zahnstatus beim Schmerztherapeuten:4 Amalgamfüllungen

Empfehlung für einen Urintest (Quecksilberbelastung):gehört neben vielfältigen schmerztherapeutischen Methoden und Psychotherapie zur Praxisspezialität

→ Untersuchung einer Probe spontanen Morgen-Urins

→ Stimulation der Schwermetallausscheidung mit einem Chelatbildner (DMSA)

→ Urinprobe nach DMSA

Therapieempfehlung durch den Schmerztherapeuten:

Entgiftung mit DMSA(DMSA ist in Deutschland nicht zugelassen, sei aber das einzige Medikament, das Quecksilber aus den Nervenzellen und insbesondere auch aus dem Gehirn entfernen könne.)

→ DMSA peroral einmal wöchentlich→ zusätzlich Infusionsbehandlung mit Procain und Natriumbicarbonat,

Vitamin B + C, Selen- und Zink-Substitution

Schwermetalle und chronischer Schmerz

C C C

H H

SH SH

H

H

H

OH 2,3-Dimercapto-1-propanol (Dimercaprol, BAL)

CH3 C CH NH2

SH

CH3

COOH

Penicillamin CH3 C CH

SH

CH3

COOH

NH C CH3

O

N-Acetyl-Penicillamin

C C C

H H

SH SH

H

H

H

SO3H 2,3-Dimercapto-1-propanesulfonic acid (DMPS, Dimaval)

HO C C C C OH

O OH H

SH SH

meso-2,3-Dimercaptosuccinic acid (DMSA, Succimer, Chemet)

Schwermetalle und chronischer Schmerz Schwermetalle und chronischer Schmerz

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Schwermetalle und chronischer Schmerz

Verlauf

Bereits nach der ersten „Ausleitung“ mit DMSA traten starke Schmerzen auf, der Patient musste sich hinlegen, konnte keine Büroarbeiten mehr erledigen, nicht mehr spazieren gehen oder im Wohnzimmer fernsehen. Erst nach 2 Tagen stellte sich eine „einigermaßen“ Erholung ein.

Zunahme dieser Beschwerden bei weiterer DMSA-Einnahme, zusätzlich wurde das Gehen beschwerlicher, eine Gangataxie stellte sich ein. Patient stürzte infolge von Gleichgewichtsstörungen.

Bildgebende Verfahren des Gehirns ohne wesentlichen Befund; Überweisung in eine neurologische Universitätsklinik.Dort wurden normale Quecksilberkonzentrationen im Blut festgestellt. Die Symptome besserten sich kaum, der Patient war auf eine Gehhilfe angewiesen und längere Zeit arbeitsunfähig.

Verdachtsdiagnose der Neurologen:Unter DMSA sei Quecksilber mobilisiert worden und habe dabei temporär das Kleinhirn vergiftet.

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Kapitel 2

Quecksilber

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Hg0

Hg0 Hg0 Hg2+

Hg0 Hg2+ Hg-S-R

Niere

Lunge

Blut

Gehirn

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Hg0

Hg0 Hg0 Hg2+

Hg0 Hg2+ Hg-S-R

Niere

Lunge

Blut

Gehirn

Hg2+R-Hg-RUmweltAlgen

Anreicherung von quecksilberorganischen

Verbindungen in der Nahrungskette (Fisch)

Neuro-Toxizität

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Amalgam1:1-Mischung

Legierungspulver:

Silber (70%)Zinn (25%)

Kupfer (1-6%)Zink (0-2%)

Quecksilber +

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Quelle elementar anorganisch organisch

Luft 0,03 0,002 0,008

Lebensmittel

- Fisch 0 0,6 2,4

- andere 0 3,6 0

Trinkwasser 0 0,05 0

Amalgamfüllungen 3,8 - 21 0 0

Gesamt 3,9 - 21 4,3 2,4

Geschätzte tägliche Hg-Aufnahme in der nicht beruflich belasteten Bevölkerung(Angaben in g Hg / Tag; WHO 1990)

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Schwermetalle und chronischer Schmerz

Mittlere Hg-Konzentrationen in der Mundhöhlen-Luft nach30 Minuten Kaugummikauen (35 Probanden mit Amalgam-Füllungen)

Vimy & Lorscheider, 1985

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Durchschnittliche Quecksilberkonzentrationen im Spontanurin

Kröncke et al., 1980

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Zusammenhang zwischen der Anzahl von Amalgam-Oberflächen und täglicher Urinausscheidung

Langworth et al., 1988

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Zusammenhang zwischen der Anzahl von Amalgam-Füllungen und täglicher Urinausscheidung (korrigiert für Urin-Kreatinin)

WHO, 1991

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Summenhäufigkeit der Quecksilberkonzentrationen im Urin (korrigiert für Urin-Kreatinin)

Zander et al., 1990

hieraus abgeleitete obere Normalwerte(95%-Perzentil):ohne Amalgam 1 µg/g Kreatinin,mit Amalgam 4 µg/g Kreatinin

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Referenz- und Human-Biomonitoring-Werte(Umweltbundesamt, 1996-2002)

Kollektiv Vollblut Urin

Referenzwerte Erwachsene (25-69 a) mit einem Fischkonsum bis zu dreimal im Monat

2,0 µg/l

Kinder (6-12 a) und Erwachsene (25-69 a) ohne Amalgamfüllungen

1,0 µg/g Kreatinin oder1,4 µg/l

HBM-I Kinder und Erwachsene 5 µg/l

(bei Unterschreitung kein Handlungsbedarf)

Kinder und Erwachsene 5 µ/g Kreatinin oder7 µg/l

HMB-II Kinder und Erwachsene 15 µg/l

(bei Überschreitung ist eine relevante gesundheitliche Beeinträchtigung möglich)

Kinder und Erwachsene 20 µ/g Kreatinin oder25 µg/l

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Schwermetalle und chronischer Schmerz

Kapitel 3

Amalgam-Illness

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Häufig berichtete Symptome bei Verdacht aufAmalgam-Unverträglichkeit oder -Nebenwirkungen

Fatigue 83%

Konzentrationsprobleme 76%

schlechtes Gedächtnis 65%

allgemeine Erregbarkeit 64%

muskuläre Erschöpfung 62%

metallischer Geschmack 61%

Blähungen 58%

Kopfschmerzen 58%

Gelenkschmerzen 57%

Halsschmerzen 57%

Allergie 55%

Appetitlosigkeit 51%Lichtenberg, 1996

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Zunahme der Patientenzahlen mit angeblicher Amalgam-Unverträglichkeit (ZMK-Klinik Universität Münster)

Müller-Fahlbusch et al., 1983

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Quecksilberkonzentration im Blut nach Amalgam-Entfernung (n=12)

Sandborgh-Englund et al., 1998

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Brief von der Krankenkasse

Sehr geehrter Herr,

Sie baten uns darum, die Kostenübernahme Ihrer Ausleitungstherapie zu prüfen. Gern sind wir Ihrer Bitte nachgekommen.

Bei der Ausleitungstherapie handelt es sich um eine unkonventionelle Heilmethode. Für diese Heilmethoden gibt es vom Gesetzgeber geschaffene Richtlinien über die Einführung neuer Behandlungsmethoden. Diese Richtlinien werden mit erfahrenen sowie anerkannten Wissenschaftlern und Ärzten ausgearbeitet. Der Ausschuss hat entschieden, die o.a. Therapie nicht in die vertragsärztliche Versorgung aufzunehmen, da ein wissenschaftlich geführter Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht wurde.

Die Entscheidung des Bundesausschusses ist für uns rechtsverbindlich.

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Schwermetalle und chronischer Schmerz

Antwort des Patienten

Trotz umfangreicher Bemühungen meinerseits, meines Arztes, meines Betriebsarztes und befreundeter Chemiker ist es mir nicht gelungen, alternative, für Ihre Krankenkasse akzeptable Therapien ausfindig zumachen.

Dass DMSA Quecksilber bindet und ausleitet, ist nicht nur an meinen Laborergebnissen ersichtlich (siehe Werte vor und nach Gabe von DMSA), sondern auch in der Literatur hinreichend beschrieben. Allein im Internet habe ich in verschiedenen Suchmaschinen unter dem Begriff „Ausleitungstherapie" weit über 450 Seiten zur DMSA Therapie gefunden.

Bei Quecksilber, und da werden Sie mir nicht widersprechen können, handelt es sich um ein hochgiftiges Schwermetall, nachzulesen in jedem Lexikon. Für Nahrungsmittel, Trinkwasser, Luft and Boden gibt es sehr strenge and vor allem geringe Grenzwerte. Wie Sie aus meinem Ihnen vorliegenden Laborbericht ersehen können, sind meine Quecksilberwerte so hoch, dass wenn ich morgen sterben sollte, mein Leichnam sondermülltechnisch entsorgt werden müsste. Mein Quecksilbergehalt stellt also eine Umweltgefahr dar, in meinem Körper jedoch ist es in Ordnung?

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Quecksilber lagert sich nachweislich in allen Organen z.B. Leber, Niere und vor allem in Nervengeweben wie Rückenmark und Gehirn ab. Selbst durch eine Dialyse würde meinem Körper das Quecksilber nicht entzogen, da es in den Geweben fest gebunden ist, und DMSA dient dazu, es aus den Geweben frei zu setzen. Jedem normal denkenden Menschen leuchtet es ein, dass solche Mengen von Quecksilber wieder aus dem Körper raus müssen.

Meine in den letzten Jahren entwickelten Grunderkrankungen wie Osteoporose, Lupus erythematodes und Fibromyalgie sind nicht so schwerwiegend, dass sie meinen sich ständig verschlechternden Gesundheitszustand mit Arbeits-unfähigkeitstagen bis zu 120 Tagen im Jahr erklären werden. In allen bisherigen ambulanten und klinischen Untersuchungen wurden keine möglichen organischen oder genetischen Ursachen für meine vorliegenden Erkrankungen gefunden. Wenn ich allerdings in der Fachliteratur nachlese, steht Quecksilber im Verdacht, all diese Erkrankungen auslösen zu können.

Wir können jetzt meinen Zustand so belassen, wie er im Moment ist, and darauf warten, dass sich noch andere Autoimmunerkrankungen dazugesellen, so dass ich dann in einigen Jahren durch die chronische Quecksilberintoxikation zum Frührentner werde.

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Psychische Befindlichkeit bei AI unter DMSA oder Placebo (n=50)

Grandjean et al., 1997

Schwermetalle und chronischer Schmerz

„Rebound“ und Chelator-Therapie ? (DMSA, Untersuchungen mit Blei)

Mann et al., 1991

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Kapitel 4

Ihre Meinung ?

Schwermetalle und chronischer Schmerz

Ist der Patient fehlerhaft behandelt worden?

• Mit welchen typischen Risiken ist die DMSA-Therapie verbunden?• Wurde der Patient vollständig über die Risiken aufgeklärt?• Lag beim Patienten eine erhöhte behandlungsbedürftige

Quecksilberkonzentration vor?• Gab es zur DMSA-Therapie Alternativen, die zuverlässiger wirken?• Wurde die DMSA-Therapie fehlerhaft durchgeführt?

Wenn ein Behandlungsfehler vorliegt:

• Handelt es sich um einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse?

• War der Patient fehlerbedingt vom Januar bis zum Sommer arbeitsunfähig?

• Liegt beim Patienten fehlerbedingt eine Gangunsicherheit als Dauerschaden vor?

• Litt der Patient fehlerbedingt unter Schmerzen?• Leidet der Patient fehlerbedingt an Konzentrationsschwächen,

Gedächtnislücken und Schwindel?