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Hektik im Büro: Im antiken Rom rannten nur die Sklaven, heute rennen wir alle
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Das hier war mal ein Statussymbol: keine Zeit
zu haben, weithin sichtbar ausgelastet zu
sein von Bürde und Bedeutung des eigenen
Berufs. Dies hat sich etwas gedreht: Heute checkt
schon die untere Führungsebene im Urlaub ihre
E-Mails, und als Statussymbol empfi ndet das nie-
mand mehr. Im antiken Rom rannten nur die Skla-
ven. Inzwischen, so scheint es, rennen alle. Die Gren-
zen zwischen Arbeit und Freizeit sind in unserer
24/7-Welt gefallen, und das heißt: E-Mail ist immer.
„Die Zeit, einst etwas Passives, ist in zwischen
aggressiv“, schreibt der Wissen schaftsjournalist
Simon Garfi eld in seinem Buch „Zeitfi eber“.
Keine Zeit zu haben, gehetzt zu sein, ist ein
Zustand, der alle Lebensbereiche durchdringt.
Und dabei müssen wir noch fl exibler und effi zien-
ter werden, uns ständig neuen Anforderungen
stellen, und das am besten gestern. „Das ist ein
Riesen thema im Management“, beobachtet der
Stuttgarter Medienprofessor Jürgen Seitz, „der Lei-
densdruck ist immens.“ Das smarte Kürzel „asap“
fi ndet sich immer häufi ger in E-Mails; „es scheint,
als ginge uns langsam die Luft aus“, sagt Seitz, der
sich als Wissenschaftler mit den Herausforderun-
gen der digitalen Welt auseinandersetzt.
Wir sind gestresst, haben keine Zeit, und das ist
eigentlich ein wenig paradox. Nie war der Mensch
so produktiv, nie hat er so lang gelebt, nie hatte
er mehr Freizeit. „Wir haben mehr Möglichkeiten,
unsere Zeit zu verbringen, als jede Generation vor
uns“, sagt der Zeitforscher und Coach Jonas Geiß-
ler (siehe auch Literatur, Seite 15). Das Statistische
Bundesamt hat für jeden Deutschen eine
Machen neue Technologien unsere Multitasking-Welt noch hektischer? Oder eher besser? Wir befragten prominente Zeitexperten, ob und wie Führungskräfteder Zeitfalle entkommen können
Voll auf Speed
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verschwinden viele monotone, belastende und un-
geliebte Arbeiten. So sieht Precht in den Folgen der
Digitalisierung für unsere Arbeitswelt eher ein Ver-
sprechen, ein „Update der gesamten Gesellschaft“.
Doch damit aus dem Update kein Systemcrash
wird, und das weiß auch Precht, müsse die Politik
reagieren – „und zwar jetzt“. Nur: „Die hat das nicht
ansatzweise begriffen.“ Und auch den deutschen
Mittelstand sieht Precht vor gigantischen Heraus-
forderungen durch die Digitalisierung, Beispiel
Autozulieferer: Die Abkehr vom Individualverkehr
und das Aufkommen des selbstfahrenden Autos
führe zu völlig neuen und smarten Verkehrslösun-
gen, so seine Prognose. Microcar statt E-Klasse.
„Wir werden in 20 Jahren nicht mehr mit einem
Mercedes in die City fahren.“
Und was macht das alles mit uns als Individu-
um? Verändert die ganze neue Technik und Kommu-
nikation auch die Menschen an sich? „Der Mensch
wird sich anpassen, so wie immer in der Evolution“,
prophezeit Safranski. Einige glauben, der E-Mail-
Kommunikator verliere die Fähigkeit zum Verständ-
nis komplexer Sachverhalte. Und könne bald nur
noch einfache Sachverhalte schreiben und verste-
hen. „Erst formen wir unsere Werkzeuge, danach
durchschnittliche Freizeit von sechs Stunden
täglich errechnet, und das heißt: Wir haben mehr
freie Zeit, als wir gemeinhin glauben. „Es gibt kein
anderes Gut, das so gerecht verteilt ist wie Zeit“,
sagt Zeitberater Geißler. Denn jeden Tag kommt
für jeden gleich viel neue Zeit dazu.
„Andrang von Gleichzeitigkeit“
Nur, warum fühlen wir uns dann so gehetzt?
„Die Zeit selber beschleunigt sich nicht, kann sie
gar nicht“, sagt der Philosoph und Autor Rüdiger
Safranski. „Wir packen sie nur mit Ereignissen
voll bis obenhin“, so Safranski, und deshalb lei-
de der moderne Mensch an einem „Andrang von
Gleichzeitigkeit“.
Dabei ist Effi zienzdruck ja ein ganz normaler
Teil unseres Wirtschaftssystems. Doch durch Digi-
talisierung, Internet, E-Mail und Smartphones ist
unser Arbeitsleben zur Multitasking-Welt mutiert.
Und das ist erst der Anfang: Die vierte industrielle
Revolution werde alle früheren Umbrüche in den
Schatten stellen, warnt der Bestsellerautor und
Philosoph Richard David Precht. Eine Folge: „Wir
verlieren die Hälfte unserer heutigen Jobs.“ Klingt
schlimm, muss es aber nicht sein. Denn zugleich
„Nicht die Technik macht uns zu Zeitsklaven, sondern unser Unvermögen, mit der neuen Weltrichtig umzugehen“
Medienprofessor Jürgen Seitz hält Sperrzeiten für die Smartphone-Nutzung, wie sie in manchen Unternehmen diskutiert werden, für „betriebs- und lebensfremd“
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formen unsere Werkzeuge uns“, wusste schon der
legendäre Kommunikationswissenschaftler Mar-
shall McLuhan („The Medium is the Message“). Das
war in den Sechziger- und Siebzigerjahren, weit vor
Internet und Smartphone.
Eine ganze Wissenschaft, die „Ingenieurpsycho-
logie“, untersucht, wie dieser Formungsprozess
funktioniert, ob und wie also Mensch und Ma-
schine effi zient zusammenarbeiten. Ergebnis: Der
moderne Mensch kann (immerhin) bis zu sieben
Reize gleichzeitig verarbeiten. Doch Multitasking
hat Grenzen: So dauert es im Schnitt mindestens
sechs Minuten, bis eine einmal unterbrochene Auf-
gabe fortgeführt wird. Zusätzlich vergehen noch
bis zu sechs Minuten, um sich wieder völlig in das
Thema hineinzudenken. „Spätestens dann“, berich-
tet Berater Seitz aus seinen Seminaren, „wachen
die Controller auf.“
Zufriedener mit Handy?
Auch das Essener Institut für Personal- & Organisa-
tionsforschung (IPO) hat sich mit den Folgen der Di-
gitalisierung auf die Beschäftigten in seiner Studie
„New Work(ing Time)“ befasst. Eines der Ergebnis-
se war, dass jene Befragten, die mobile Endgeräte
sehr intensiv nutzen, von einem „technologiege-
triebenem Arbeitsdruck, einem Gefühl ständiger
Erreichbarkeit und Zusatzarbeit außerhalb des
Büros“ berichteten. In der gleichen Studie kamen
aber auch noch wesentlich positivere Ergebnisse
zutage. Denn mit zunehmender Nutzungsintensi-
tät mobiler Endgeräte geht auch eine größere Fle-
xibilität der Beschäftigten einher. Und das heißt:
mehr Mitarbeiterbindung, höhere Arbeitszufrie-
denheit und bessere Work-Life-Balance.
Um die Vor- und Nachteile unserer Immer-und-
überall-Welt weiß auch Jürgen Seitz, der Stutt-
garter Medienprofessor und Experte für digitale
Wirtschaft. Doch für Seitz ist die Diskussion über
die Folgen moderner Technologien im Büroalltag
„eindeutig zu negativ“. Die Deutschen müssten
endlich „das gesamte düstere Framing überwin-
den“, das sie neuen Medien grundsätzlich gäben.
Philosoph Richard David Precht sieht die vierte industrielle Revolution als möglichen „Systemcrash“ – und fordert die Politik zum Handeln auf
„Die Digitalisierung wird zu einem
Update der gesamten Gesellschaft führen“
Anders als etwa die US-Amerikaner seien die
Deutschen fast schon „technophob“. Der einsei-
tige Blick auf negative Folgen neuer Technologien
berge die Gefahr, dass wir letztlich „abgehängt
werden“, so Seitz. Seine Überzeugung: Wir kön-
nen Innovationen nicht aufhalten, wir müssen
sie vielmehr annehmen. „Nicht die Technik macht
uns zu Zeitsklaven, sondern unser Unvermögen,
mit der neuen Welt richtig umzugehen.“ Deshalb
hält er etwa Sperrzeiten für die Smartphone-
Nutzung, wie sie in manchen Unternehmen dis-
kutiert werden, für „betriebs- und lebensfremd“.
Unternehmen und Mitarbeiter müssten vielmehr
lernen, damit umzugehen. Nur ist das bislang nicht
passiert. Also: „Sagen Sie Meetings ab, oder
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Führungskräfte oder Betriebe, die unter Zeitstress
leiden, versuchen aber genau das, wollen noch ef-
fi zienter werden, „noch mehr reinpressen“, wie
Unternehmenscoach Jonas Geißler sagt. Das geht
oft krachend schief. Denn tatsächlich hat Zeitnot
meist ganz andere Ursachen. Und die sucht Geißler
in innerbetrieblichen Themenfeldern wie Abgren-
zung, Organisation, Planung, Mut, Widerständen
oder Gewohnheiten. Zeitstress ist davon nur die
Konsequenz. Eine seiner Empfehlungen lautet da-
her: „Ziehen Sie Grenzen der zeitlichen und räum-
lichen Erreichbarkeit.“
Diese Grenzen aber wollen erst mal defi niert
sein. Google hat schon vor Jahren ein Programm
mit dem schön passenden Namen „Search Inside
Yourself“ aufgelegt. Seitdem wird bei dem Such-
maschinenbetreiber meditiert. Denn Innovation,
das weiß gerade dieses Unternehmen nur zu ge-
nau, entsteht nicht durch immer weitere Verdich-
tung. Sondern dadurch, dass man auch mal die
Füße auf den Schreibtisch legt.
Einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Män-
ner der Gegenwart hat das Thema fast vorbildhaft
gelöst. Im Kalender des Großinvestors Warren Buf-
fett bleiben ab und an die Seiten leer. An diesen
Tagen hat er, ganz einfach, keine Termine.
S T EPH A N S C H L O T E
WEITERE INFORMATIONEN
Mehr zum Thema auch beim Institut für
Zeitberatung: timesandmore.com
treffen Sie sich im Stehen.“ Auch die Mög-
lichkeit zu „Deep Work“, zu ungestörter und hoch
konzen trierter Arbeit, müsse in den Betrieben neu
erworben werden. Aber Zeit, man liest es immer
wieder, lässt sich doch „managen“, eine ganze
Branche von Beratern und Keynote-Speakern ist
da erfolgreich unterwegs. Und kann nicht jeder
noch ein wenig besser werden? Denn immerhin,
und das hat schon Mitte der Fünfzigerjahre der bri-
tische Historiker Cyril Northkote Parkinson leicht
ironisch festgestellt: Arbeit dehnt sich aus in die
verfügbare Zeit. Diese Erkenntnis, dass wir umso
langsamer werden, je mehr Zeit uns zu Verfügung
steht, sollte als „Parkinsonsches Gesetz“ bekannt
werden – und gilt bis zu gewissen Grenzen auch
umgekehrt. Und so reagieren wir auf Zeitdruck
damit, dass wir noch effi zienter werden.
Grenzen ziehen – oder lieber nicht?
Dass so etwas nicht immer funktioniert, darü-
ber hat die Kommunikationswissenschaftlerin
Miriam Meckel sehr authentisch berichtet; eine
Frau, die bis zum totalen Burn-out durch alle
Phasen der Selbstoptimierung ging: „Ich glaubte,
die Zeit wie ein Gummiseil behandeln zu können:
Wenn man fest genug zieht, wird sie irgendwie
länger.“ Hat nicht funktioniert. Ihre Erfahrung:
„Man wird nur immer müder.“
Neue Technik macht uns produktiver, keine
Frage. Die Grundsatzfrage aber löst sie nicht für
uns: Scheinbar ist die Zeit immer zu knapp. Viele
Die Zukunftder ZeitExperten zu Gast bei der Deutschen Bank
Wie wird aus Zeitmangel
Zeitreichtum? Macht uns eine
digitalisierte Welt zu
Sklaven der Zeit und Technologie? Oder
eröffnet sie uns einen Zugewinn an
Zeit, den wir nur klug nutzen müssen?
Diese Fragen und mehr sind Thema von
zwei Veranstaltungsreihen der
Deutschen Bank. Auf dem Deutsche
Bank UnternehmerForum 2017
diskutieren Philosoph Richard David
Precht und Medienprofessor Jürgen
Seitz ihre Standpunkte, beim Deutsche
Bank UnternehmerTalk 2017 spricht
der Zeitforscher Jonas Geißler.
Termine UnternehmerForum:
18. Oktober in Berlin, 7. November
in Köln, 28. November in Hamburg
Termine UnternehmerTalk:
28. September in Nürnberg,
9. November in München
Anmeldung für beide Veranstaltungen
unter www.deutsche-bank.de/
unternehmerforum
„Zeitliche und räumliche Erreichbarkeit begrenzen“
Der Unternehmenscoach Jonas Geißler sieht Grenzen beim persönlichen Zeitmanagement: Oft liegen die Ursachen in innerbetrieblichen Themenfeldern und informellen Strukturen
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