design studieren - newbooks services · apparat am schluss wurde von pina dietsche sehr kompe-tent...
TRANSCRIPT
Wilhelm Fink
Design studieren
Herausgegeben von
Michael Erlhoff
Uta BrandesMichael ErlhoffNadine Schemmann
Designtheorie und Designforschung
Bibliografische Informationen der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier
Copyright 2009 Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG(Jühenplatz 1, 33098 Paderborn)ISBN 978-3-7705-4664-0.www.fink.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany
Herstellung: Ferdinand Schöningh, PaderbornEinbandgestaltung: Nadine Schemmann, Berlin, nach einem Entwurf von Ulrike FelsingGestaltung: Boris Brumnjak, Berlin
UTB-Bestellnummer: ISBN: 978-3-8252-3152-1
4 IMPRESSUM
2.2 Tugenden
2.3 Schwierigkeiten
3. Theoretische Forschung
Zur Entstehung der empirischen Forschung
1. Soziologie und Positivismus2. „Soziale Frage“ und Ethnologieboom2.1 „Balinese Character“
Methoden in der Design-Forschung
1. Bereiche der Forschung2. Zur Systematik der Methodendarstellung3. Die einzelnen Methoden – alphabetisch3.1 Aktionsforschung
3.2 Befragung
3.3 Beobachtung
3.4 Bionik
3.5 Brainstorming und Brainwriting
3.6 Critical Design
3.7 Cultural Probes
3.8 Customer Journey
3.9 Ethnographie
3.10 Fallstudien
3.11 Forschungsprozess
3.12 Gebrauchsforschung
3.13 Grounded Theory
3.14 Gruppendiskussion
3.15 Heuristik
3.16 Konzepttests
3.17 Marktforschung
3.18 Mind Maps
3.19 Mystery Shopping
3.20 Non Intentional Design (NID)
3.21 Personas
3.22 Pretest
3.23 Semantisches Differential
3.24 Semiotik und Semantik
3.25 Shadowing
3.26 Szenario-Technik
3.27 Story Telling
3.28 Trendforschung
3.29 Usability Testing
3.30 Wicked Problems
4. Designvorzüge
Design-Theorie und Design-Forschung studieren
Anhang
Literaturverzeichnis Institutionen für Design-Forschung Hochschulen
Vorwort
Design als Theorie und als Forschung – Eine Einführung
Design und Theorie
1. Bausteine einer Design-Theorie1.1 Kreationistische Theoreme
1.2 Ästhetik
1.3 Urteilskraft
1.4 Die gute Form
1.5 Harmonie-Lehren
1.6 Romantische Konzepte
1.7 Thesen angewandter Kunst
1.8 Wahrnehmung
1.9 Der „Werkbund“, das „Bauhaus“
und die Theorie
1.10 Neues durch Futurismus,
Konstruktivismus und Dada
1.11 Die Metamorphose des Objekts
1.12 Vereinfachung und Funktionalität
2. Ecksteine einer Design-Theorie2.1 Behaviourismus
2.2 Chaos-Theorie
2.3 Hermeneutik
2.4 Informationstheorien
2.5 Radikaler Konstruktivismus
2.6 Kritische Theorie
2.7 Psychoanalyse
2.8 Rhetorik
2.9 Semiotik und Semantik
2.10 Systemtheorie
2.11 Noch mehr
3. Design-Theorie oder eine Theorie des Design
Design und Forschung
Erörterungen und Verortungen
1. Forschung über Design1.1 Historische Forschung
1.2 Marktforschung
1.3 Kritische Forschung
1.4 Strukturalismus
1.5 Ergonomie
2. Forschung im Design2.1 Material-Forschung
2.2 Machbarkeits-Studien
2.3 Ökologie
2.4 Detail-Analysen
2.5 Markt-Analysen
2.6 Marken-Analysen
2.7 Unübersichtliche Vielfalt
3. Forschung mit und durch Design3.1 Das Dazwischen als Qualität
3.2 Die Sozialität von Design
3.3 Design und Empathie
3.4 Darstellung als Forschung
3.5 Assoziation und Offenheit als Forschung
3.6 Komplexität als Prinzip von Forschung
Quantitative und Qualitative Forschung
1. Quantitative Verfahren1.1 Von Statistik bis Trendforschung
1.2 Standardisierung und Repräsentativität
1.3 Leitlinien zur Fragebogenentwicklung
1.4 Charakteristika
2. Qualitative Forschung2.1 Offenheit, Detaillierung, Elastizität
6 INHALTSVERZEICHNIS 7
EIN LEHRBUCH – VoRwoRT
danken wir Susanne Dickel und Sybille Petrausch für viel praktische Hilfe und Geduld – und den (inzwischen teilweise ehemaligen) Studentinnen und Studenten der „Köln International School of Design“, deren Arbeiten wir beispielhaft zitieren durften.Ganz am Schluss dieses Anfangs: Sollten Leserinnen und Leser des Buches gravierende Einwände oder Fragen haben, sind wir gern bereit, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Uta Brandes
Michael Erlhoff
Nadine Schemmann
EIN LEHRBUCH – VoRwoRT
Ein Lehrbuch – Vorwort In der englischen Sprache heißen Lehrbücher „textbooks“. Was etwas entspannter klingt als die so belehrend einherschreitende deutsche Benennung – und was passender ist für dieses Buch.Denn die Autorinnen und der Autor schmähen (übrigens auch in der Gestaltung) darin jede Doktrin und festgefahrene Lehrmeinung und versuchen, mit diesem Buch eher zu berichten und dazu anzuregen, sich intensiver mit DesignForschung und mit DesignTheorie auseinanderzusetzen.Also bietet dieses Buch Anregungen, wichtige grundlegende Intentionen und Gedanken und auch Einblicke in theoretische Streitigkeiten an, sich selber vorzubereiten auf ein Studium im Kontext von DesignForschung und DesignTheorie und dieses Studium kritisch wahrzunehmen.Aber: Ein Buch realisiert sich erst in dessen Lektüre, wird wirklich in den Köpfen und Handlungen der Leserinnen und Leser. Also appelliert es an Ihre produktive Rezeption.Unsererseits folgt nun noch der sehr ernsthafte Dank, denn ein Buch braucht immer viele Menschen, damit es erscheinen kann. Also: Wir danken unserem vorzüglichen Lektor, nämlich Diethard Sawicki, der stets beratend geholfen hat; sodann dem Designer Boris Brumnjak, der die Gestaltung so präzise und mitdenkend umgesetzt hat. Der „Apparat“ am Schluss wurde von Pina Dietsche sehr kompetent erarbeitet und dann mit uns diskutiert. Schließlich
8 9
�0 ��
Design als Theorie und als
Forschung –eine
einführung
Selbstverständlich gibt es Design-Theorie und Design-Forschung.
Deshalb braucht man ja dieses Buch und wird hier erläutert, was das ist
oder sein kann und wie und wo man das studieren kann und vielleicht auch
sollte.
Allerdings hat es ziemlich viel Zeit gebraucht, bis Designerinnen und
Designer selber die Existenz von Design-Theorie und von Design-Forschung
erkannten und akzeptierten, und noch mehr, bis die allgemeine Öffentlich-
keit, die Wirtschaft und auch die Politik davon überzeugt werden konnten,
dass Design-Theorie und Design-Forschung wichtig sind und womöglich
besondere Perspektiven und Gesichtspunkte von Denken und Forschen
anbieten können. Allzu lange nämlich wurde das Design vor allem als hand-
greifliche Tätigkeit angesehen, als etwas wesentlich Praktisches. – Länger
übrigens als beispielsweise in der Kunst und in der Architektur, obwohl
diese beiden Arbeits- und Denkformen sich aus denselben Aktionsfeldern,
eben aus dem Handwerk heraus entwickelten. Noch in der lateinischen
Sprache wurden alle in dem Wort „ars“ zusammengefasst (woraus sich unter
anderem ebenfalls das Wort „Artefakt“ ergab, was gut als „das Gestaltete“
übersetzbar ist und alles künstlich Gemachte beschreibt).
Von außen betrachtet erwartete man also vom Design schöne Dinge, die
gelegentlich auch noch funktionieren sollten, lesbare Schriften oder
ähnliches. Dass Design viel mehr und ganz anderes bieten könnte und
dass im Design sogar nachgedacht und gestritten würde, stand nicht zur
Rede und wurde über Jahrzehnte schlicht ignoriert. Ja, man könnte sogar
den Eindruck haben, als hätte die allgemeine Öffentlichkeit in ihrer Wahr-
nehmung von Design ebenso wie die meisten Designerinnen und Designer
gar kein Interesse daran gehabt, sich Design als theoretisierend und
forschend vorzustellen: Man wollte hübsches Zeug und nichts anderes. Da
hätte Denken bloß gestört
Dies hat sich nun wirklich geändert: Seit den sechziger Jahren des 20.
Jahrhunderts erschienen endlich aus dem Design heraus kluge Texte,
und in den beiden letzten Jahrzehnten nahm die Zahl der theoretischen
Publikationen über Design und im Design rasant zu. Außerdem entstanden
in etlichen Ländern Gesellschaften oder andere Verbände zur ausdrück-
lichen Reflexion und Promotion von Design-Theorie und Design-Forschung
(s. Anhang). Die Zahl von internationalen und nationalen Konferenzen
zu Design-Forschung ist inzwischen schier unübersehbar, und selbst
DesIgN uND THeorIe ALs ForsCHuNg – eINe eINFüHruNg
�� ��
viele Menschen, auch Politik und Unternehmen, auf die
Suche nach integrativen und interdisziplinären Fähigkeiten
gegangen – und fanden konsequent das Design. Denn die vor
allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten
Spezialisierungen entpuppten sich zunehmend als unfähig,
die vernetzten Realitäten unserer Zeit zu verstehen und darin
zu handeln („Spezialisten sind Sklaven“, schrieb schon vor
etwa fünfzig Jahren der amerikanische Theoretiker, Ingenieur,
Architekt und Designer Buckminster Fuller); und die damit
zusammenhängenden wissenschaftlichen Disziplinierungen
gerieten häufig ziemlich absurd, da sie sich kaum noch unter-
einander, geschweige denn im Rahmen allgemeiner Öffentlichkeit
verstehen konnten und auch jetzt bloß noch in den eigenen
Kreisen herumhüpfen. Design als zukunftsweisende und
integrative Alternative dagegen entdeckt zu haben und ernst
zu nehmen, ist völlig berechtigt, weil Design (nicht zuletzt als
noch ziemlich junger, also mit unserer Zeit verbundener Arbeits-
bereich) zwischen und inmitten von vielen Disziplinen sehr gut
vermitteln und koordinieren kann, integrative Kraft entfaltet
und in seiner Meta-Disziplinarität neue Verständnisse von
Problemen und neue Lösungen anbietet.
Zu diesen Gründen für eine neue Akzeptanz von und Hoffnung auf Design ge-
sellt sich ein weiterer sehr interessanter Grund: Gerade in den so genannten
„Schwellenländern“ – in Indien, China, Korea, Vietnam, Malaysia, Thailand und
auch in Lateinamerika oder in Süd-Afrika – ist ein beträchtliches Interesse
daran erwacht, über ein Verständnis von Design und dessen vielfältige Im-
plikationen zu versuchen, das Funktionieren und den (gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen) Erfolg der Industrieländer zu begreifen und für sich
umzusetzen zu lernen. Es ist tatsächlich sehr spannend zu beobachten,
wie gerade in diesen Ländern inzwischen Design-Forschung staatlich und
auch von Unternehmen gefördert und kommuniziert wird. Das hat wie-
derum mitgeholfen, nun in einigen Ländern Europas, in den USA und in
Japan das Bewusstsein davon zu befördern, Design-Forschung auch in
diesen Ländern verstärkt in den Fokus öffentlicher Betrachtung und
Unterstützung zu rücken.
in etlichen Unternehmen und in der staatlichen Forschungs-Förderung
werden mittlerweile die besondere Kompetenz und die Qualitäten von
Design-Forschung (zumindest halbwegs) verstanden.
Damit ist auch eine beträchtliche Erweiterung insgesamt des Verständ-
nisses von Design und dessen Komplexität einhergegangen wie eine
Ausweitung des Berufsbilds Design; denn nun wird von Design fast
selbstverständlich auch in dessen praktischer gestalterischer Aktivität
eine vielfältige Forschungskompetenz vorausgesetzt.
Was diesen Wandel von einem einfältigen zu einem sinnvollen und realis-
tischen Verständnis von Design bewirkt hat, ist nicht leicht auszumachen.
Doch einige Gründe dafür lassen sich getrost benennen:
—— Zweifellos ist wenigstens in den entwickelten Industrie-
Gesellschaften die Einsicht darüber beträchtlich angewachsen,
dass alles um uns herum gestaltet, also Ausdruck von Design ist –
jedes Produkt, alle Zeichen, Wegweiser und dergleichen, Bilder-
welten jeglicher Art, Kleidung und Gesten, auch Töne, Gerüche und
Geschmack, sogar die uns umgebende, doch nur noch gestaltete
Natur und alles andere. Selbstverständlich hat diese Einsicht in
die allumfassende Gestaltung unseres Lebens oder wenigstens
die Ahnung davon die Diskussion über Design intensiv beflügelt
und radikalisiert.
—— Dies hat bewirkt, dass Theoretikerinnen und Theoretiker,
Forscherinnen und Forscher aus anderen wissenschaftlichen
Bereichen sich verstärkt in die Diskussion um Design einmischen
und diese gelegentlich bereichern. Diese Debattenbeiträge kommen
vor allem aus Soziologie und Psychologie, aus den Kultur- und
Kunstwissenschaften oder sogar aus den Natur- und Ingenieur-
wissenschaften.
—— Zudem kann man feststellen, dass international und mit
zunehmender Tendenz Unternehmen und deren Fachleute die
Schwächen von, zum Beispiel, Marktforschung und anderen
ebenso abstrakten und eindimensionalen Forschungsmethoden
erfahren haben, nun nach neuen Forschungsansätzen Ausschau
halten und dabei ganz plausibel auf das Design als Forschungs-
kompetenz und neue Qualität von Forschung stoßen.
Außerdem sind nach einer langen Periode des Glaubens an
Spezialisierungen und wissenschaftliche Disziplinierungen
DesIgN uND THeorIe ALs ForsCHuNg – eINe eINFüHruNg
�4 �5
ebenso wie die griechische Gesellschaft keinem monotheistischen Glau-
ben huldigte, sondern sehr viele und sich untereinander heftig streitende
Göttinnen und Götter kannte. Folglich beanspruchte „Theorie“ zwar gött-
liche Höhe und womöglich auch wirklichen Einfluss auf das Denken und auf
gesellschaftliche Realität. Aber es trat nicht als dogmatische Alleinstellung
in Bezug auf die eine göttliche Wahrheit auf, vielmehr als argumentative,
interpretatorische und vielleicht auch als antizipatorische Kompetenz.
Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass sich dieses Verständnis von
Theorie in jenen Sprachen und Kulturen erhalten hat, die diese Kategorie
„Theorie“ aus der griechischen Sprache und Kultur übernahmen. Denn
anders als so fundamentalistische Begriffe wie „Glauben“, „Religion“ oder
auch „Erkennen“ oder „Vernunft“, die mit sich stets eine Art von Offen-
barung oder Entdeckung irgendeiner an und für sich unumstößlichen
Wahrheit führen, fordert die Theorie die Reflexion, also das Nachdenken
oder auch Vorausdenken über die Gründlichkeit etwa von Erkenntnis,
Religion und von zusammenhängenden Aktions- und Erkenntnisvorgängen.
Theorie verkündet wesentlich nicht Wahrheiten, sondern bietet argumen-
tativ einsichtige Möglichkeiten an, gesellschaftliche Vorgänge, technische
Prozesse, Aktivitäten in der Natur wie auch in Kunst, Architektur und Design
zu verstehen. Demgemäß umfasst Theorie den ständigen Prozess, das Ver-
ständnis solcher Zusammenhänge immer wieder neu zu erklären und diese
Erklärungen zu äußern. Wobei zwangsläufig jede Theorie versucht, eine
oder mehrere vorangegangene zu widerlegen. Das schafft Aufklärung und
lebendigen Diskurs. Denn Theorie ist streitbar und braucht unabdingbar
die Diskussion, um Theorie als Prozess zu verstehen und zu gestalten.
Man muss allerdings leider eingestehen, dass Theorie in ihrer erklärenden
und verortenden Absicht allzu häufig dazu tendiert oder verführt, jenseits
offener Diskussion bloß legitimatorisch und absichernd zu werden und die
Offenheit irgendwelchen Wahrheiten und Ideologie-Gebäuden zu opfern.
Unter anderem liegt das daran, dass jede Theorie aus einer Präzisionswut
heraus sich bemüht eine für ihr jeweiliges Metier eigene und verbindliche
Sprache zu etablieren. Dies aber führt bloß zur Disziplinierung.
Dass solch Glaube an eine unmittelbare Verbindlichkeit von Sprache ohne-
hin sinnlos ist, wissen wir heute im Rahmen kluger Informationstheorien, die
sehr berechtigt erklären, dass ein gegenseitiges Verständnis (von Sprache,
von Gesten und insgesamt von Zeichen) gar nicht von Präzision geprägt
ist, vielmehr darauf basiert, dass wir sprechend und Zeichen produzierend
Angesichts aller solcher Gedanken, Vorstellungen und Tatsachen macht
es gewiss Sinn, sich immer mehr und nachdenklicher mit Design-Theorie
und Design-Forschung zu befassen, beide Dimensionen kritisch und dem-
gemäß intensiv wahrzunehmen und zu studieren. Ebenso braucht es die
lebendige Diskussion darüber.
Genau dies bietet das vorliegende Buch gründlich an. Allerdings ohne die
sonst in der Wissenschaft so häufig anzutreffende Versuchung, lediglich
eine Doktrin zu verkünden und fertige Definitionen zu liefern. Vielmehr ist
dieses Buch ein Angebot, sich nachdenklich und entsprechend vergnüglich,
in der Lektüre des Buchs zu vernetzen, gelegentlich den darin gefassten
Gedankengängen zu folgen und manchmal einfach das herauszunehmen,
was man jeweils für den Diskurs oder auch nur für das Gespräch über
Design, Design-Theorie und Design-Forschung gebrauchen kann.
So bietet dieses Buch Möglichkeiten an, noch einmal gründlich über
Theorie, über Forschung und über Design nachzudenken; sodann werden
Perspektiven vorgestellt, die Eigenheiten und Besonderheiten von Design-
Theorie und von Design-Forschung zu verstehen und auch in praktische
Arbeit umzusetzen. Schließlich werden in kritischer Reflexion die wich-
tigsten design-relevanten Forschungsmethoden vorgestellt. Ergänzt wird
dies durch etliche gedankliche Pfade, das Verständnis von Design und
dessen gesellschaftliche und damit auch wirtschaftliche Relevanz zu
verlebendigen. – Und abgeschlossen wird alles durch viele praktische
Hinweise auf Literatur, Studienplätze, Institutionen und andere für Design-
Theorie und Design-Forschung wichtige Einrichtungen.
Bevor wir nun versuchen werden, detaillierter zu beschreiben und zu
erläutern, was Design-Theorie und was Design-Forschung sind oder sein
könnten, lohnt es womöglich, einmal die drei in diesen Wörtern verwobenen
Kategorien zu betrachten: Theorie, Forschung und Design. Allerdings nicht
hoffnungslos definitorisch, sondern einfach zur Anregung der Gedanken
und zum besseren Verständnis darüber, wovon hier die Rede ist.
Die „Theorie“ hat wortgeschichtlich offenkundig viel mit dem Göttlichen zu
tun. Denn es stammt aus dem griechischen Wort „theo“ für „Gott“ – und
formuliert somit einen durchaus vehementen Anspruch auf („göttliche“)
Wahrhaftigkeit.
Gut, bei solcher Ableitung des Wortes ist gewiss zu bedenken, dass zu
jener Zeit, da „Theorie“ als Kategorie entstand, die griechische Sprache
DesIgN uND THeorIe ALs ForsCHuNg – eINe eINFüHruNg
�� ��
Interessant ist aber auch, dass in denjenigen Sprachen, die das Wort
für Forschung in dessen lateinischer Formulierung übernommen haben,
Forschung als „erneutes Suchen“ bezeichnen. Denn nichts anderes
meinen doch jene dort gültigen Wörter wie „research“, „recherche“ oder
„ricerca“. Eigenartig dabei ist einerseits das hier so in den Vordergrund
gerückte Suchen, da es im Gegensatz zur eher der Theorie und somit
auch der Sprache verpflichteten „Forschung“ (als fragend ergründen)
eindringlicher empirische Aspekte oder die Beobachtung betont. Anderer-
seits findet sich in diesen Wörtern der denkwürdige Hinweis, man habe
dieses Suchen immer wieder und erneut zu unternehmen; denn jene
Vorsilbe „re“ umschreibt ja einige Perspektiven jener Suche, nämlich
„wieder“ oder „erneut“ oder auch „zurück“ oder das Wort „wider“ im Sinn
von Widerspruch.
Womit wir für den Moment immerhin festhalten können, dass auch For-
schung ein ständiger Prozess ist und als solcher in allen Aspekten und
Perspektiven beschrieben werden muss. Design als Forschungs-Dimension
könnte dabei die Vorstellungen und die Realität von Forschung neu
verlebendigen.
Das führt uns nun zu der dritten Kategorie, um die sich in diesem Buch
letztlich alle Gedanken und Sätze ranken: Design.
Gewiss ist darüber schon viel geschrieben worden (s. das Literaturver-
zeichnis im Anhang), deshalb an dieser Stelle nur einige wenige Über-
legungen: Design genauer zu beschreiben ist wirklich sehr kompliziert.
Beispielsweise kann oder konnte man sich bisher noch nicht einmal darauf
einigen, ab wann historisch von Design überhaupt gesprochen werden kann.
Klar, Gestaltung gab es irgendwie schon immer, und bis zur Renaissance
waren Handwerk, Kunst, Architektur und Design überhaupt noch nicht
voneinander getrennt. Wenn zum Beispiel Leonardo Da Vinci beizeiten
eine Akademie für „Disegno“ gründete, dann bot dort das Studium die
Möglichkeit an, Zeichnen ebenso wie Erfinden und die Verwirklichung des
Erfundenen zu erlernen. Mit der heutigen Vorstellung von Design hatte
dies offenkundig wenig zu tun.
Einige Geschichtsschreiber schwärmen nun davon, den Anfang von Design
mit dem Beginn der entfalteten „Industriellen Revolution“ zu verbinden,
und begründen dies damit, dass mit der daraus resultierenden Entwicklung
von Arbeitsteilung und des Marktes die Gestaltung ein notwendig neuer
immer nur (und dies sowieso stets kontextabhängig) versuchen, so etwas
wie Wolken von Zeichen und Bedeutungen herzustellen und zu verstehen.
Bloß geben wir das dann gern als eindeutig aus, da wir uns augenschein-
lich, obwohl wir mit dem diffusen Verstehen ziemlich gut und erfinderisch
leben, nach einer an sich unerreichbaren Verbindlichkeit sehnen.
Insofern ist ebenfalls im Rahmen von Theorie die Intention durchaus
verständlich, möglichst sprachliche Verbindlichkeit zu schaffen und ein-
zufordern; da sie sonst als gedacht spezifische Theorie kaum in Anspruch
nehmen kann, etwas möglichst eindeutig zu erklären und in einen verbind-
lichen Diskurs zu überführen.
Das irgendwie unauflösliche Dilemma eben ist, dass Theorie Sprache und
darin Verbindlichkeit zu brauchen scheint, dies aber schnell zum Zwang
und zur Ideologie führt. Symptomatisch dafür ist, dass Theorien als Theorie-
Gebäude sich gern als Wissenschaft ausgeben – gerade im Design ist
ausgerechnet dies derzeit große Mode. Denn inmitten des allgemein
heute herrschenden Wahns der Suche nach Sicherheit, Klarheit und Ver-
bindlichkeit offenbart sich Vielen Wissenschaft als genau dieses Angebot
auf dem Markt von Theorie. Denn Wissenschaft meint ja nicht das, was
„Wissen schafft“, sondern (wie bei „Landschaft“ und englisch „landscape“)
das, was Wissen zurichtet, abgrenzt und dekoriert. Das Problem, das sich
damit in Bezug auf Wissenschaft auftut, ist offensichtlich.
Nun, wir werden auf den folgenden Seiten mal sehen, ob nicht Design
sogar die Möglichkeit birgt, jenes oben benannte Dilemma aufzubrechen
und Theorie als offenen Prozess zu retten.
Kommen wir zur Forschung. Was ja ein sehr merkwürdiges Wort ist. Ver-
weist es doch darauf, man müsse forsch forschen. Also steckt („forsch“)
etwas Forderndes in diesem Wort und in dieser Aufgabe, etwas Intensives
und etwas Radikales.
Ganz klar ist die Herkunft des Wortes „forschen“ tatsächlich nicht. Offen-
kundig kommt es nicht von dem Wort „Forsch“, vielmehr bieten etymo-
logische Wörterbücher meist lediglich an, forschen hätte sich aus dem
Wort „fragen“ heraus ergeben. Das ist plausibel, denn die Umstellung von
Konsonanten und Vokalen ist wortgeschichtlich ebenso geläufig wie die
Auflösung des „g“ in das weichere „sch“. Und: Fragen zu stellen und zuvor
kluge Fragen zu formulieren (was offenkundig doch die Theorie braucht),
könnte immerhin als Substanz von Forschung benannt werden.
DesIgN uND THeorIe ALs ForsCHuNg – eINe eINFüHruNg
�8 �9
wieder zu finden, und überlagerte dies eher im anarchistischen Sinn mit
sozialistischen Ideen (der Philosoph Ernst Bloch nannte diejenigen, die
sich in dieser Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts versammelten, später
„Kleinbürger-Sozialisten“).
Richtig aber ist, dass offenbar „arts & crafts“ damals in England nicht
nur eine Diskussion über die Notwendigkeit qualifizierter Gestaltung
auch in industrieller Produktion anregte und in manchen Unternehmen
ein Verständnis davon schuf, dass lediglich attraktive Produkte auf dem
Weltmarkt besser oder teurer verkauft werden könnten. Außerdem wurde
jene englische Bewegung dadurch historisch, dass sich auf der Basis
solcher Argumentationen in Deutschland 1907 der „Deutsche Werkbund“
und nicht fern davon 1918 das berühmte „Bauhaus“ gründeten. Beide
propagierten die Notwendigkeit von Gestaltung innerhalb industrieller
Produktion, die gestalterische Akzeptanz neuer Materialien und Produk-
tionsweisen. Aber auch diese waren noch lange nicht in der Lage, wirklich
Design zu verstehen, und verstrickten sich im Kunsthandwerk und in dem
Konzept, dass man das Studium von Gestaltung sehr am Modell des Hand-
werks mit Meister und Geselle und Lehrling ausrichten müsste. Gewiss
entstanden in diesem Zusammenhang interessante und auch heute noch
berühmte Produkte (etwa jene Möbel aus Stahlrohr). Für das Design aber
ist das wenig ergiebig.
Immerhin jedoch war es ein Mitglied des „Deutschen Werkbund“, nämlich
Peter Behrens, der in engem Zusammenhang mit dem Unternehmen AEG
(„Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft“) Ansätze der Komplexität von
Design verstand und umsetzte. Er entwickelte für dieses Unternehmen
Produkte (Ventilatoren, Wasserkessel, Leuchten …) ebenso wie alle
Drucksachen, das Logo und sogar Gebäude. Insofern wurde hier mit
seiner Arbeit erstmals praktisch vorgestellt, dass Design mehr schafft als
lediglich besser verkäufliche Gegenstände und Bücher.
Zwar waren all das Bausteine auf dem Weg zu einem Verständnis und zur
Realität von Design. Wirkliches Design aber, so könnte man gut begründet
diskutieren, entstand erst, als die Idee und das Konzept aufgegeben
wurden, man müsse stets neue Objekte und Zeichen gestalten (denn
diese Idee hängt doch noch sehr an der Kunst) und sich selber in der
schöpferischen Geste als besonders darstellen. Erst Ende der 1920er
Jahre und dann vor allem in den USA (Raymond Loewy war dafür sicherlich
Berufszweig geworden sei. Das ist insofern völlig einsichtig, da sich mit der
komplexen Industrialisierung spätestens im ersten Quartal des 19. Jahr-
hunderts die für das traditionelle Handwerk so substantielle Verbindung
von Auftraggeber und Handwerker auflöste. Sprachen einst Handwerker
und Auftraggeber gemeinsam über das, was hergestellt werden sollte
(„Ich brauche einen Tisch und weiß, was ich will – Sie sollen den herstel-
len und erklären mir, welche meiner Wünsche machbar sind oder was Sie
als Verbesserung vorschlagen“), so entstand nun mit der Serienfertigung
ein anonymer Markt, der keinerlei Rücksicht mehr nahm auf individuelle
Wünsche. Außerdem ergab sich mit der Industrialisierung innerhalb der
Unternehmen eine rabiate Arbeitsteilung, die zwar recht genau die Form
der Arbeit und das regelte, was in welcher Stückzahl produziert werden
sollte, außerdem Einkauf und Vertrieb organisierte – die Gestaltung aber
irgendwie dabei vergessen hatte. Sie kam nicht vor, galt offensichtlich
nicht als profitabel oder auch nur notwendig. Dementsprechend entsetz-
lich waren die Produkte: disfunktional, Material verschwendend, hässlich,
verkäuflich vor allem über den Preis, eben billig.
War auf diesem Weg also die einst im Handwerk noch vorhandene Fähigkeit
zu gestalten verloren gegangen und nahezu vergessen worden, musste
sich kurz über lang demgemäß im Rahmen industrieller Produktion ein
neuer Berufsstand herausbilden, die Gestaltung wahrzunehmen und weiter-
zuentwickeln.
So berechtigt diese Argumentation auch ist: Dagegen spricht, dass so auf
einen Schlag und in einer Zeit, in der man überhaupt erst ein Verständnis
dieser veränderten Situation zu entwickeln begann, sich plötzlich Design
als eigene Façon hätte mausern können. Einleuchtender ist, dass gegebe-
nenfalls das Handwerk darauf behutsam reagierte oder sich – etwa in der
Behauptung von „Kunsthandwerk“ – daneben eine Nische für Gestaltung
aufbaute. Außerdem: Das Design schon in jener Zeit anzusiedeln, igno-
riert all jene Kompetenzen und Komplexität, die Design erst zum Design
machen.
Sodann verweisen einige in der Geschichtsschreibung über Design auf
die englische Kunst- und Handwerks-Bewegung des „arts &crafts“ (was
als „Kunsthandwerk“ halbwegs übersetzt werden kann). Diese Bewegung
mit ihren Protagonisten John Ruskin und William Morris propagierte Ende
des 19. Jahrhunderts eine Rückkehr zum Ursprünglichen und suchte
in mittelalterlichen Gesellschaftsstrukturen die Qualität von Handwerk
DesIgN uND THeorIe ALs ForsCHuNg – eINe eINFüHruNg
�0 ��
die wichtigste Person) begann man nämlich, Gestaltung als wesentliches
Element der Verbesserung von Produkten und Zeichen (Drucksachen,
Werbung, Logos, Verpackungen und dergleichen) zu verstehen. Womit
zweifellos auch das Verständnis einherging, dass die Verbesserung von
Gestaltung sicherlich den Menschen helfen und Freude bereiten soll, ein
besseres und angenehmeres Leben führen zu können, aber zugleich un-
ausweichlich mit industrieller Produktion und mit dem Markt und dessen
Konsequenzen verbunden ist.
Es dauerte dann aber noch etliche Jahrzehnte, bis die heute diskutierte
und zumindest zu einem großen Teil auch schon allgemein akzeptierte
Komplexität und vielfältige Kompetenz von Design kenntlich und zur
Kenntnis genommen wurde. Tatsächlich sprechen wir heute davon, dass
nicht nur Produkte und Zeichensysteme im Design gestaltet werden, son-
dern ebenso Dienstleistungen, Arbeitsprozesse, die Logistik, technische
Innovationen, Kommunikation und Information, Lesbarkeit und Verständ-
lichkeit von Drucksachen und von Websites, die emotionale Bindung an
Gegenstände, das Setting von Filmen, Fotos und Videos, die Erfolge von
Ereignissen („Events“) und Ritualen, von Festen und Kongressen und so
vielem anderen. Mittlerweile nämlich beginnt man zu verstehen, wie wichtig
Gestaltung ist und dass wir von Design längst umstellt sind.
Umso bedeutsamer sind deshalb das Verständnis gesellschaftlicher, wirt-
schaftlicher, technischer, ökologischer und kultureller Bedingungen und
Möglichkeiten von Gestaltung und die radikale Reflexion weitergehender
Kompetenzen von Design. Das heißt: Heute brauchen wir Design-Theorie
und Design-Forschung, um zu verstehen, was da geschieht, und um neue
Wege zu entdecken und einschlagen zu können.
In den folgenden Kapiteln werden wir darum versuchen, so langsam zu
verorten, was geschieht, wenn Design und Forschung und Theorie auf-
einander prallen und sich miteinander verbünden – und: wie man damit
umgehen, sich darin zurechtfinden und dies produktiv gestalten kann.
DesIgN uND THeorIe ALs ForsCHuNg – eINe eINFüHruNg
�� ��
Die Frage in diesem Kapitel ist selbstverständlich nicht, ob Design mit
Theorie und Theorie mit Design zu tun haben. Denn das sollte inzwischen
und nicht zuletzt durch die Lektüre der voranstehenden Texte als selbst-
verständlich vorausgesetzt werden. Man könnte lediglich anmerken,
dass das Bewusstsein von diesen Zusammenhängen beider heutzutage
präsenter und öffentlicher ist als noch vor einigen Jahren. Zumal mittler-
weile doch viele Theoretikerinnen und Theoretiker aus allen möglichen
Bereichen begriffen haben, dass sie, um diese Welt auch nur halbwegs
beschreiben zu können, viel mehr von Gestaltung verstehen und Design
als das diskutieren müssen, was diese Welt in allen Details und Kontexten
konturiert und durchweht. Nichts geht mehr ohne das Verständnis von
Gestaltung.
Spannender und höchst umstritten ist jedoch die Frage, ob es denn einer
besonderen Design-Theorie bedarf. Man könnte beispielsweise argumen-
tieren, dass es nur eine allgemeine Theorie gibt und braucht und nicht
noch etliche Unter-Theorien und Unter-Unter-Theorien. Als Begründung
könnte dafür die Behauptung dienen, es gäbe zwar sehr viele denkbare
Möglichkeiten von redlichen und plausiblen Versuchen, die Vorgänge und
Manifestationen dieser Welt zu erörtern und zu beschreiben, aber alle be-
fänden sich auf derselben Ebene, eben auf der von Theorie. Was ja auch
deshalb ganz schön wäre, weil man sich auf solch einer Ebene herrlich
treffen und trefflich streiten könnte.
Aber irgendwie klappte das nicht, war das zu viel für das Denken, zer-
fetzte der zu Theorie gehörende Dissens alle Gemeinsamkeiten, forderte
beizeiten der allgemeine Ruf nach Arbeitsteilung disziplinierte Theorien
und setzten sich differente Blickrichtungen und Standorte als für die
Entwicklung jeweiliger Theorie substantiell durch. Was insofern einsichtig
ist, als metaphysische Perspektiven andere Gedanken und gedankliche
Zusammenhänge verlangen als physische, der Fokus Erkenntnis sich von
dem der Urteilskraft wesentlich unterscheidet und anderes erkennt oder
ein zentrierter Blick auf gesellschaftliche Vorgänge strukturell anders
schaut als der, der Vorgänge in der Natur betrachtet. So entstanden
Aufteilungen in Erkenntnistheorie, ästhetische Theorie, Gesellschafts-
Theorie, Theorie von der Natur und dergleichen mehr.
Das klingt einleuchtend – und doch steckt da der Wurm drin. Denn man
kann gegen solche Aufteilung einwenden, dass zum Beispiel Erkenntnis
ohne Wahrnehmung (Ästhetik) gar nicht möglich ist und Wahrnehmung
Designund
Theorie
DesIgN uND THeorIe
�4 �5
und Denkfeldern spricht, dass man auf diesem Weg besser sortieren und
in den jeweiligen Bereichen gewichten kann, dass man vielleicht sogar
genauere oder abgesichertere Fragestellungen begründet und sich unter-
einander gut unterhalten kann. – Irgendwie jedoch kann man sich des
Verdachts nicht erwehren, dass solche Konzepte spezialisierter Theorien
lediglich den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Blüte auf-
gestiegenen Vorstellungen von Philologie zwanghaft folgen, eben jener
faszinierten Liebe von Benennung und Bezeichnung alles Gesichteten
und Gefundenen. Was man durchaus als Vorläufer von Rasterfahndung
erklären darf: Alles wird aufgeteilt, sortiert und säuberlich in Schubkästen
ordentlich verteilt.
Es sei denn, man würde Design-Theorie – ähnlich den Thesen zur Design-
Forschung – als Theorie des Zusammenhangs begreifen. Als eine Theorie,
die sich gerade darin als eigen und zugleich als beispielhaft gesellig
darstellt, weil sie an allen existierenden Theorien klug partizipiert, deren
wichtigste Einsichten zusammenfasst und daraus eine Theorie der
Komplexität entwickelt und gesellschaftlich propagiert. Was zweifellos
die erstaunliche Perspektive aufweist, dass Design-Theorie sich als
intelligente Herausforderung für alle anderen Theorien versteht und sich
dann mittel- oder langfristig als eigenständig auflösen wird. Nur so macht
das dann Sinn.
Na gut. Sicher ist dies nun der richtige Zeitpunkt, sich wieder einmal
in der Geschichte umzutun und zu betrachten, was denn so Theorien
der Gestaltung (von Design kann anfänglich ja nicht die Rede sein) einst
formuliert haben und ob man dort etwas findet, was eine Theorie des
Designs begründen könnte.
�. Bausteine einer Design-Theorie
In den folgenden Absätzen wird erst einmal nur von Theorien der Gestal-
tung die Rede sein und auch lediglich ein Ausschnitt aus deren Vielfalt
geboten.
�.� Kreationistische Theoreme Nun stehen diese nicht deshalb am Anfang dieser Erwägungen, weil
Design häufig mit dem diffusen Wort Kreativität verwechselt wird, sondern
BAusTeINe eINer DesIgN-THeorIe
nicht ohne Erkenntnis, Urteilskraft sich ständig mit beiden verbündet oder
inzwischen verstanden wird, wie sehr Natur längst durch Gesellschaft
überlagert und zugleich in sozialen Prozessen sich auch natürliche regen.
Mithin müsste doch Theorie als solche gedacht und aufrechterhalten
werden. – Warum dies nicht geschehen ist und erst in unseren Tagen
sich wieder in das Bewusstsein drängt, könnte spekulativ zwei mögliche
Antworten finden, die sich eigentlich sogar ähnlich begründen: Zum einen
könnte die pragmatische Einsicht dafür verantwortlich sein, stets auf die
Zusammenhänge zu pochen verunmögliche, irgend etwas und dann noch in
geforderter Klarheit und Präzision zu erkennen, da alles in Komplexität nur
versinke und unübersichtlich sei. Was unter pragmatischen Aspekten vor
dergründig stimmt, und aus Erfahrung wissen wir, dass der völlig richtige
Satz, alles hänge mit allem zusammen, bloß verwirrt und Diskussionen total
verunsichert. – Zum anderen kann man in diesem Kontext nur wieder fest
stellen, dass wir denkend zwar um den Zusammenhang von allem mit allen
wissen, diesen jedoch nicht wirklich denken oder uns vorstellen können.
Aber da liegt offenkundig noch ein weiter Weg vor uns. Derzeit nämlich
konfrontiert uns die Wirklichkeit mit noch einem viel ausufernderen
Provinzialismus oder (sanfter formuliert) Territorialismus: Seit der Renais
sance, vor allem aber im 19. Jahrhundert und parallel zu allgemeiner,
effizienzbasierter Teilung von Arbeit disziplinierten sich ja auch die
Wissenschaften, und das konnte ihnen nur gelingen, wenn sie sich jeweils
mit den Insignien von Wissenschaft ausstatteten. Dazu gehören unter
anderem für jede Wissenschaft spezifische Sprachregelungen, Zeichen
setzungen, Forschung und Forschungsmethoden sowie eine Theorie.
So entstanden eine Theorie der Physik und eine der Biologie oder Chemie,
eine für Ethnologie, eine andere für Psychologie oder für Linguistik und
KunstTheorie und ArchitekturTheorie. Und nun ist auch im Design der
dringende Wunsch entstanden, wissenschaftlicher Geltung zuliebe eine
DesignTheorie zu entwickeln und zu etablieren oder sogar als schon
etabliert nachzuweisen und zu behaupten. Irgendwie ist offenbar erst
dies der Ausweis dafür, dass man jemand ist, ernst genommen und als
wissenschaftlich anerkannt wird (unterwürfig äußert sich das bei einigen
Designern in der kleinlauten Forderung, man müsse versuchen, „auf
Augenhöhe“ zu den anderen Wissenschaften zu geraten).
Wiederum: Für dieses Ansinnen und insgesamt für solche Zuordnungen von
einzelnen Vorstellungen von Theorie zu den entsprechenden Handlungs
DesIgN uND THeorIe
�� ��
sorgt. Heimlich, heimtückisch, bloß im Ergebnis sichtbar, eben in der Gestal-
tung und in den Gestalten. So mystisch dies auch scheint: Wir werden
später noch sehen, dass diese Vorstellung von Gestaltung etwa den für
die Entwicklung von Design wichtigen Konstruktivismus und auch etliche
Designerinnen und Designer noch im vorigen Jahrhundert begeistert hat
�.� Ästhetik Klären wir vorab ein sehr häufiges Missverständnis auf: „ästhetisch“
mit „schön“ oder noch schamloser mit „hübsch“ gleichzusetzen, ist falsch.
Bei der Ästhetik nämlich geht es erst einmal überhaupt um die Wahr-
nehmung. Also um die Kompetenz von Wahrnehmung und um die Bezie-
hung zwischen den Wahrnehmenden und dem Wahrzunehmenden und
Wahrgenommenen. Simpel gefragt: Muss etwas besonders oder wie muss
etwas aussehen, schmecken, riechen, klingen oder sich anfühlen, damit es
und wie wahrgenommen wird? Oder ist das völlig oder halbwegs egal, weil
es vielmehr darauf ankommt, wie die Wahrnehmenden konditioniert sind,
oder weil wir ohnehin ständig wahrnehmen? Woran sich sofort weitere
Fragen anschließen – wie die, ob etwas so aussehen oder riechen und
so weiter könnte, dass alle Menschen oder wenigstens die meisten das
gleichermaßen schön oder hässlich, angenehm oder unangenehm fänden.
Sogar unbeschadet jeweils kultureller Zusammenhänge oder des Alters
oder des Geschlechts. Sollte man dies bejahen, dann müsste man danach
suchen, was das ausmacht und ob man Regeln finden könnte, dies immer
wieder genau so attraktiv zu konstruieren. Verneint man das, müsste man
forschen, woher die Differenzen kämen, ob Erziehung, Erfahrung, kulturelle
und historische Bindungen oder was sonst die Wahrnehmung konditionie-
ren. Oder existiert da irgendein Zwischenraum, in dem Wahrnehmung und
Wahrgenommenes sich merkwürdig treffen und Wahrnehmungs-Felder
aufbauen oder aufgebaut haben, in denen die eigentlichen Prozesse von
Wahrnehmung stattfinden?
Für die Diskussion um Gestaltung bedeuten solche Fragestellungen sehr
viel. Geht es doch darum, ob sie dafür überhaupt etwas tun kann, dass
etwas gefällt oder missfällt und stört oder sich affirmativ verhält. Und
wenn dies befürwortet wird, ob es dann Regeln gibt, denen sie einfach
nur folgen muss, um das zu erreichen, was sie jeweils will. Oder muss
sie eher als Gestaltung schon in die Erziehung der Menschen eingreifen
und allgemein aufklären, die Menschen für die diversen Qualitäten zu
sensibilisieren.
BAusTeINe eINer DesIgN-THeorIe
weil es Ideologien gibt, die Gestaltung als göttlich definieren, also in-
mitten des derzeit religiösen Dschungels als allein Gott zugestandene
Fähigkeit akzeptiert und propagiert wird. Man denke nur an jene vor gar
nicht so langer Zeit von dem US-Präsidenten George W. Bush verkündete
Formel des „intelligenten Designs“, das die Welt auszeichne und weiter-
hin gestalte. Wobei hinter dem „ID“ eine „intelligente Ursache“, also Gott
stehe, der eine die Welt durchdringende und beherrschende Gestaltung
ins Werk gesetzt habe. Beides zusammen ergibt, dass ein Konzept von
Anfang an, eben göttlich, existiere, das so stark und umfassend sei, alles
und immer wieder zu formen.
Sehen wir einmal davon ab, dass solche Sätze Intelligenz ebenso wie
Design beträchtlich diskriminieren und dass sie (in den USA bekanntlich
weit verbreitet bis in Schulbücher hinein) Charles Darwins Forschungen
zur Evolution vernichten sollen: Liest man zum Beispiel im Rahmen
christlicher Kirche und auch jüdischen Glaubens das Alte Testament und
überträgt dies unmittelbar in die Realität, dann hat der eine Gott die Welt
und auch die Erde und all deren Prozesse erschaffen, ist er demgemäß für
alles verantwortlich, was geschieht und was an Formen existiert.
Bekanntlich tut sich hier ein Problem etwa der christlichen Kirchen auf,
dass einerseits jener Gott als der ständig kreative Geist für alles was so
entsteht verantwortlich sei, und andererseits man doch den Menschen
eine gewisse Verantwortung für ihr Handeln und Gestalten zuweisen
möchte – sonst beispielsweise gäbe es weder Schuld noch Sühne.
Das wirkt obskur und ist innerhalb monotheistischer Religionen ein wirk-
liches Problem, mit dem sich dafür zuständige Interpreten und Prediger
auseinander setzen müssen. Doch ganz so einfach kann man dieses
Problem nicht allein jenen in die Schuhe schieben. Denn in der Reflexion
von Gestaltung tritt immer wieder dieses Problem auf, was denn eigent-
lich die Gestaltung animiert, begründet und regelt. Beispielsweise hat der
Philosoph Hegel Ende des 18. Jahrhunderts und sehr beeindruckt von der
Französischen Revolution in seiner berühmten Schrift „Phänomenologie
des Geistes“ nicht nur Dialektik, also den verwickelten Widerspruch als
das bewegende Prinzip konstatiert, an dessen Anfang irgendeine „Ver-
nunft“ (die er zum Glück nicht weiter definiert) gestanden habe: Gerade
bei der Frage der Gestaltung, der gesellschaftlich konstruktiven Entwürfe,
fällt ihm schier nichts Besseres ein als die Formulierung, dabei wirke eine
unsichtbare, gleichwohl alles durchdringende „List der Vernunft“.
Man sieht regelrecht vor sich, wie da so ein Kobold für die Gestaltung
DesIgN uND THeorIe
�8 �9
Gewiss, dabei drang auch er nach vielen geschriebenen Seiten zum
Schönen vor – allerdings muss man bedenken, dass dies bei ihm nur
begrenzt das meint, was wir heute allgemein so darunter verstehen. Für
ihn ist das Schöne eher das, was innerlich bewegt und anrührt, was
einen zutiefst beeindruckt und nicht loslässt. Zum Beispiel – und so
kitschig das schon zu seiner Zeit geklungen haben muss – ein Sonnen-
untergang. Dabei unterscheidet er durchaus zwischen einem richtigen
und einem gemalten Sonnenuntergang (heutzutage ist das noch etwas
schwieriger, da es Film und Foto und elektronische Bearbeitungen gibt
und wir von deren Sonnenuntergängen überhäuft werden). Denn er
unterscheidet zwischen dem „Naturschönen“ und dem „Kunstschönen“ –
und beschreibt, wie sehr doch jeder Mensch von der Naturschönheit
eines Sonnenuntergangs ergriffen werde. Als großer Aufklärer findet er
dafür auch eine generelle Erklärung, denn in solch einem Sonnenunter-
gang würden wir Menschen jeweils erneut erschüttert die Erfahrung der
gefährlichen Schönheit des Endes und dann beim Sonnenaufgang die
beglückende des Anfangs wiederholen. Ähnliches widerfahre uns etwa
angesichts des Meeres als Erfahrung von Unendlichkeit oder der Wellen
als Stetigkeit und gelegentlich von Gewalt; oder von Bergen und Tälern,
eigenartigen Steinen, Blumen, Tieren oder Sternen. Darauf könne man
sich einigen: Das ist schön.
Kommentieren wir dies ganz kurz, dann fällt heute auf, dass wohl die
meisten Menschen von solchen Naturereignissen und natürlichen Phäno-
menen ergriffen werden und das häufig als „schön“ bezeichnen, obwohl
sie doch längst wissen müssten, dass all diese Natur ebenso wie unser
Blick darauf zugerichtet oder gestylt ist. Außerdem sehen (oder hören,
riechen, schmecken und fühlen) wir doch nichts mehr im Zustand von
Naivität und unbeeinflusst durch Medien und andere Präformationen jeg-
licher Art. Aber irgendein Sehnen treibt uns dazu, wider besseren Wissens
weiterhin gefesselt zu sein und das schön zu finden – ein Phänomen, das
uns bestimmt später noch beschäftigen wird.
Große Schwierigkeiten hatte Immanuel Kant mit der Erklärung dessen, was
uns eigentlich hier interessiert, nämlich mit dem „Kunstschönen“, also mit
dem Gestalteten. Diese Schwierigkeiten, Gründe dafür zu finden, warum
Menschen zumindest gelegentlich ebenfalls von Artefakten begeistert
sind und sich ergriffen fühlen, waren so groß, dass er einen seltsamen
Gedanken, fast schon einen Trick, erfand. Nämlich das Genie.
Jede Frage öffnet neue Fragen, jede Antwort schafft neue Probleme.
Weshalb ganz konsequent schon im klassischen Griechenland und dann
über die Jahrhunderte hinweg immer wieder neue Bestimmungen von
Ästhetik (gr. aisthesis – sinnliche Wahrnehmung) zu finden sind (als
kurze Lektüre darüber sei der Artikel von Thomas Wagner zum Stichwort
„Ästhetik“ empfohlen, den man im „Wörterbuch Design“ findet – s. Literatur-
verzeichnis). Allerdings kann man festhalten, dass die Erläuterungen von
Aristoteles – auf die sich auch die oben geschriebenen Sätze weitgehend
beziehen – am einflussreichsten für diese Debatten gewesen sind.
Übrigens kommt das Wort „schön“ doch im Kontext von Ästhetik vor. Denn
es hat damit ebenso wie mit Gestaltung sehr viel zu tun, jedoch anders,
als die Missverständnisse darüber meinten, nicht als die einzige Kategorie
des Ästhetischen, sondern als eine unter sehr vielen. Es gibt eben auch
eine Ästhetik des Hässlichen oder des Funktionalen oder der Irritation.
2.3 Urteilskraft Wie schon geschrieben: Es gibt sehr viele Thesen zur Ästhetik und
Theorien über Gestaltung. Deshalb sollte man sich beim Lesen dieser
Zeilen stets vergegenwärtigen, dass hier nur eine Auswahl vorgetragen
wird. Eben als Anregung, daran weiterzuarbeiten. – Zufällig allerdings ist
diese Auswahl nicht.
Überspringen wir deshalb ruhig viele Jahrhunderte und kommen zu
Immanuel Kant. Der nämlich schrieb und publizierte im 18. Jahrhundert
zuerst seine „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), danach die „Kritik der
praktischen Vernunft“ (1788). Ging es in der ersten vor allem darum, zu
verstehen und zu beschreiben, was Vernunft sei und wie sie sich begründe,
so erörterte die zweite Kritik insbesondere die Gründe und Bedingungen
des Handelns. – Beide Bücher sind eigentlich interessant und umfang-
reich genug, und Immanuel Kant hätte es dabei belassen können. Doch
offenkundig fehlte ihm schließlich noch die Auseinandersetzung mit der
Ästhetik, eben mit den Bedingungen und Möglichkeiten von Wahrnehmung.
Er nannte das „Urteilskraft“ („Kritik der Urteilskraft“, 1790), was schon
erklärt, dass es ihm wesentlich darauf ankam herauszufinden, warum die
Menschen das eine mögen und das andere nicht oder von dem einen
beeindruckt und innerlich bewegt sind und von dem andern keineswegs
oder nur ein bisschen.
BAusTeINe eINer DesIgN-THeorIeDesIgN uND THeorIe
�0 ��
Zugegeben, in der deutschen Sprache hat „Güte“ einen merkwürdigen
Doppelsinn und meint sowohl ethisch empathisches Verhalten als auch,
dass das Produkt einer Arbeit gelungen ist. Letzteres könnte ein Stuhl
ebenso sein wie ein Mobiltelefon, ein Text, dessen Gestaltung oder eine
Ampel. Aber: Was haben eine Ampel und ein Mobiltelefon mit Ethik zu tun?
Was bringt ein Produkt dazu, offenbar jene Güte in sich zu tragen und
anzubieten, die doch ansonsten lediglich sozial aufmerksamen Menschen
zugeeignet wird?
Dies halbwegs aufzulösen, heißt sich erneut mit gewissermaßen grund-
sätzlichen Fragen von Gestaltung auseinanderzusetzen. An dieser Stelle
wären zwei Denkrichtungen möglich, das zu klären. Die einen würden
behaupten, die Gestaltung eines gütigen Menschen guten Willens könnte
im Arbeitsprozess dessen ethischen Anspruch und ethisches Verhalten
in das dabei bearbeitete Produkt übertragen. Da sie oder er gut ist und
Gutes will, müsste sich das im Ergebnis von Gestaltung wiederfinden lassen.
Womit plötzlich auch das Objekt gut wäre - und dann dementsprechend
auf diejenigen wirke, die damit umgehen und es nutzen. Weitergedacht
bedeutete dies, dass dann durch die Nutzung eines solchen guten Dings
die Nutzer wiederum ebenso gut würden, um dann selber gute Dinge zu
gestalten oder sich gut zu verhalten.
Das klingt ein wenig obskur, doch auch logisch. Und: Da Künstlerinnen
und Künstler ebenso wie Designerinnen und Designer traditionell sehr
gern davon abstrahieren, dass sie oft Auftraggeber haben und in hart
umkämpften Märkten erfolgreich tätig sein wollen, und sich selber als
wesentlich sozial formulieren mögen, waren sie meist große Fans der
„Guten Form“. So in der Art: Ich bin gut, darum ist auch das Ergebnis
meiner Arbeit gut und tut es Gutes – egal, wie die Bedingungen sind.
Für die zweite Argumentationslinie, den Objekten selber Güte zuzuschrei-
ben, kann man sehr gut den Dichter und Theoretiker Johann Wolfgang von
Goethe zitieren. Denn dieser war es, der ausführlich den Zusammenhang
des Schönen mit dem Guten und auch noch dem Wahren beschrieb. Das
wirklich Schöne sei ebenso gut und wahr, das Gute allemal wahr und
schön und das Wahre immer gut und schön. Was dann auch den Rück-
schluss zulässt, dass nur schön ist, was auch wahr und gut ist – und
so weiter. Womit Gestaltung unausweichlich mit Ethik und mit Wahrheit
verknüpft wäre, also diese stets mitzugestalten hätte. Eine im Grunde
ungeheuerliche oder eine völlig selbstverständliche Forderung; denn
Inmitten eines allgemeinen Gewirrs von Künstlichkeiten rage etwas heraus,
was Ergriffenheit und Beeindruckung ausmache: das Genialische. – Das
hat übrigens durchaus mit den Genen zu tun, denn es behauptet so etwas
wie eine sehr spezifische Begabung, die nicht beschreibbar sei, wohl aber
sich bis in die Werke dieser Genies durchsetze. Gewissermaßen können
die gar nichts dafür, geschieht ihnen, dass sie so beeindruckende und
aufregende Gestaltung zustande brächten. Ihre Qualität sei deshalb weder
begründbar noch wirklich beschreibbar, man könne sie letztlich bloß empi-
risch bemerken und feststellen, indem ihre Werke fesseln und anrühren.
So richtig aufschlussreich für das Verständnis dessen, was Begeisterung
über Gestaltung oder Abneigung dagegen ausmacht, ist das offenkundig
nicht. Aber es machte schon damals Schule, überall fühlten sich welche
zum Genie berufen – und noch heute beherrscht der Glaube an künstle-
rische oder gestalterische Begabung einiger sehr viele Menschen, die
wähnen, sie seien zur Gestaltung berufen und auserkoren. Was, so zeigen
viele leidvolle Erfahrungen an Kunst- wie an Design-Hochschulen, ein
fürchterlicher Irrtum ist. Dennoch geht der Streit darum weiter und pfle-
gen immer noch einige Leute die Vorstellung, die Fähigkeit zur Gestaltung
sei gegeben und müsse nicht studiert und durchdacht werden.
2.4 Die gute Form Nur zur Erinnerung: Im Moment bewegen wir uns deshalb in der Ge-
schichte von Theorien zur Gestaltung, um jene haltbaren Bausteine für
Design-Theorie aufzuspüren, die nachhaltig deren heutiges Verständnis
prägen, beflügeln oder manchmal auch beeinträchtigen.
Ein gutes Beispiel dafür ist die ebenso überraschende wie über Jahr-
zehnte das deutschsprachige Design leitende Formulierung der „Guten
Form“. Eklatant dingfest wurde diese dadurch, dass die „gesamtstaatliche
Repräsentanz des deutschen Design“, nämlich der „Rat für Formgebung“
(schon 1949 vom Deutschen Bundestag beschlossen, 1953 als Stiftung
des Bundesministeriums für Wirtschaft gegründet und mittlerweile in
Frankfurt ansässig) sehr lange jährlich als wichtigsten deutschen Design-
Preis den „Bundespreis Gute Form“ vergab. Eben nicht einen Preis für
schöne oder kluge oder erfolgreiche Form, sondern für das Gute in der
Form.
BAusTeINe eINer DesIgN-THeorIeDesIgN uND THeorIe
�� ��
wenn er am Anfang seiner Schrift über „Das Kapital“ bemerkt: Nur die Tat-
sache, dass der Tisch Ware ist, bewirke, dass man glaube, er tanze, und
nicht mehr daran denke, dass man ihn zum Tanzen bringe. Wirklich, wir
reden alltäglich davon, eine Vase sei vom Tisch gefallen (habe also Anlauf
genommen, sich hinunterzustürzen), ein Auto fahre, ein Flugzeug fliege,
Geld arbeite und dergleichen. Was alles Unsinn ist, doch verschwinden
in der Abstraktion des Marktes offensichtlich die Menschen und gerät
der Markt selber zum Agitator, alle seine Bestandteile – Geld, Produkte
und Bedeutungen – zu animieren und als Handelnde vorzustellen. Was
zudem bedeutet, dass die Artefakte die Menschen anziehen (attrahieren)
und nicht die Menschen darüber verfügen, was ihnen gefällt. Und die
Gestalter würden nicht gestalten, sondern nur vollführen und umsetzen,
was das Material ihnen abforderte und durch sie hindurchsetzte. – Wie
geschrieben: Karl Marx erklärte dies zur Illusion, die der Markt erzeuge.
Womit eine aktive Eigenheit der Dinge ins Wanken geriet.
�.5 Harmonie-Lehren Wir werden darauf wieder zurückkommen. Doch zuerst, auch wenn
das mit der Suche nach Prinzipien eng zusammenhängt, kurz einige Sätze
zum Glauben, ideale Gestaltung könne sich auf Regeln beziehen und so
eine jeweilige Harmonie herstellen, die alle zu begeistern habe.
Der Gedanke ist nicht neu, taucht aber immer wieder auf. So suchten schon
die alten Griechen solche harmonischen und damit jeder Gestaltung vorge-
lagerten Formen nicht nur in göttlichen Verbindlichkeiten, sondern ebenso
in Konstellationen der Sterne oder in der Geometrie oder in mysteriösen
Zahlensystemen wie im Pentagramm. Sehr viel später, als man ob dem
ausgehenden Mittelalter und dann in der Renaissance und nach den
Schriften von Descartes und im Barock an den einen Gott als den Stifter
von Harmonie nicht mehr so recht glauben mochte und dadurch den prin-
zipiellen Boden unter den Füßen verloren hatte, begann eine erstaunliche
und bis heute nicht beendete Suche nach der Weltformel, alles erklären
und gestalten zu können. Am berühmtesten ist wohl der „Goldene Schnitt“.
Nicht nur kann man diesen sowohl geometrisch als auch arithmetisch
(Verhältnisse von fünf zu drei oder acht zu fünf oder entsprechend klein-
teiliger – genau: 1:1,618) erklären, vor allem steht die Behauptung, diese
Verhältnisse fänden sich überall in der Natur. Der Ast zum Baum, kleine
Äste zu großen, Blätter zu Ästen und in den Blättern selber; oder das
sie verlangt entweder schier unmenschliche Anstrengungen, das alles
zusammenzuhalten und zusammenzuführen, oder es stellt sich einfach
von selbst ein, beispielsweise genial.
Zu dieser so grundsätzlichen Argumentation fand Goethe auf gar nicht
so krummen Wegen. Zum ersten nämlich entstammt er eben jener Ge-
neration von Dichtern, die sich in ihren jüngeren Jahren, ganz im Sinn
von Immanuel Kant und darin noch engagierter, als Genies verstanden
und fest daran glaubten, sie würden demgemäß allemal Ergreifendes und
Grundsätzliches hervorbringen. Später hat Goethe zwar diese Vorstellung
tiefsinniger Begabung um die wohl doch notwendige Bildung und Meister-
schaft erweitert, blieb aber bezaubert vom Genie.
Da er jedoch gelegentlich sehr gründlich arbeiten mochte, fand er nach
seinem Ermessen ein Einheitliches, aus dem alles entstanden sei. Ähnlich
der Theologie, die alles aus dem Urgründlichen, Gott, ableitet, und ähnlich
auch dem Philosophen Hegel, der einen Anfang, ein Prinzip, für alles Sein
gesucht hatte und dabei auf ein von ihm so genanntes Absolutes ge-
troffen war, dass dann in dialektischer Bewegung die Geschichte lenken
sollte: Ähnlich diesen meinte der allerdings etwas naturgläubige Goethe, er
habe das Prinzip in einer Urpflanze und in einem Urgestein entdeckt. Aus
diesen heraus hätte sich dann in einer großartigen Metamorphose alles
weitere Leben entwickelt. Womit jeder Gestaltung sinnlich anschaulich
Gegenstände vor den Augen stünden, deren Prinzipien man nur begreifen
und nachgestalten müsse. Auf dass alles schön und wahr und gut werde. –
In Bezug auf Ästhetik wird so den Objekten das Wesentliche angedichtet,
das jegliche Wahrnehmung steuert und begeistert.
So einfach kann man das kaum erschüttern, und es wäre ja ganz attraktiv,
Ethik, Logik und Ästhetik so ineinander zu verschränken und dabei sogar
noch der Ästhetik und der Gestaltung die Rolle einer Leitfigur zuzugeste-
hen. Und das Design hätte noch nicht einmal mehr ein Problem mit der Ka-
tegorie der Schönheit, um die es in den letzten Jahrzehnten immer etwas
herumgeredet hat, sich einfach so in das Gute und demgemäß Funktionale
zu flüchten. – Verwirrender könnte jedoch der Einwand sein, dass vorhin im
Text bei der Feststellung eines Doppelsinns des Wortes „gut“ eine dritte
Bedeutung vergessen wurde. Nämlich die, die schon in den „Guts-Höfen“,
den „Gütern“ zu finden war und darin eskaliert, dass noch heute Waren
als „Güter“ bezeichnet werden. Sind Waren deshalb immer auch wahr und
schön, nur weil sie Güter sind? Oder hätte vielmehr jener Karl Marx Recht,
BAusTeINe eINer DesIgN-THeorIeDesIgN uND THeorIe