der galvanische strom in seinen beziehungen zur hyperÄmie und wundheilung

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Loretto-Krankenhaus Freiburg i. B. Der galvanische Strom in seinen Beziehungen zur llyper mie and Wundheilung. Von Dr. Theo Diemer. Eingegangen: 13. 3. 27. Den neuerlichen Kenntnissen fiber die Beziehungen physi- kalisch-chemischer Vorgi~nge bei dem Ablauf biologischer Prozesse ist es zu verdanken, dal~ wit wenigstens nach gewissen Seiten hin einen Einblick in das Geschehen der Zellfunktionen ira menseh- lichen Organismus haben. Naturgem~i5 wird aus der Kenntnis dieser Vorgi~nge das Bestreben erwachsen, die Beobachtungsergeb- nisse klinischer ~berlegung und Therapie zug~nglich zu machen. DaB gerade in der Chirurgie derartige Ergebnisse besonders wich- rig sind, dfirfte ohne Zweifel sein, da ja bier oft in dan Ablauf biologischen Geschehens gewaltsam eingegriiien werden muB, oder au~ Grun4 i~uBerer Ursachen Veri~nderungen vorliegen, die nicht nur 5rtliche oder Organ-Behandlung notwendig machen, sondern erfordern, den Organismus als Ganzes bzw. ein Organsystem zum HeilungsprozeB heranzuziehen. KSnnen erst diese Ergebnisse systematisch ausgewertet und in Beziehung zum Lebenden ge- bracht werden, so diirfte sicher manches sogenannte ,,crux medi- corum", das jeder Behandlung trotzt, zum mindesten beeinfluB- bar sein. Soweit ich die Lit. fiberblicke, sind as vorzugsweise Arbeiter~ un4 Versuche aus dermatologischen Kliniken, die fiber die Anwendung kolloid-chemischer Versuchsergebnisse berichten, was eigentlich nicht zu verwundern ist, da ja hier das Beobaehtungs- feld, ni~mlich die KSrperbedeekung, jederzeit und allerorts zugi~ng- lich ist. DaB aber die physikalisehe Chemie dazu berufen ist, aueh in die anderen medizinisehen Son4ergebiete einzudringen und neue Bahnen zu weisen, geht aus vielen ~uBerungen ffihrender Kliniker hervor, die auch von pathologischen Ansichten unterstfitzt werden.

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Page 1: Der galvanische Strom in seinen Beziehungen zur HyperÄmie und Wundheilung

Loretto-Krankenhaus Freiburg i. B.

Der galvanische Strom in seinen Beziehungen zur llyper mie and Wundheilung.

Von

Dr. Theo Diemer.

Eingegangen: 13. 3. 27.

Den neuerlichen Kenntnissen fiber die Beziehungen physi- kalisch-chemischer Vorgi~nge bei dem Ablauf biologischer Prozesse ist es zu verdanken, dal~ wit wenigstens nach gewissen Seiten hin einen Einblick in das Geschehen der Zellfunktionen ira menseh- lichen Organismus haben. Naturgem~i5 wird aus der Kenntnis dieser Vorgi~nge das Bestreben erwachsen, die Beobachtungsergeb- nisse klinischer ~berlegung und Therapie zug~nglich zu machen. DaB gerade in der Chirurgie derartige Ergebnisse besonders wich- rig sind, dfirfte ohne Zweifel sein, da ja bier oft in dan Ablauf biologischen Geschehens gewaltsam eingegriiien werden muB, oder au~ Grun4 i~uBerer Ursachen Veri~nderungen vorliegen, die nicht nur 5rtliche oder Organ-Behandlung notwendig machen, sondern erfordern, den Organismus als Ganzes bzw. ein Organsystem zum HeilungsprozeB heranzuziehen. KSnnen erst diese Ergebnisse systematisch ausgewertet und in Beziehung zum Lebenden ge- bracht werden, so diirfte sicher manches sogenannte ,,crux medi- corum", das jeder Behandlung trotzt, zum mindesten beeinfluB- bar sein.

Soweit ich die Lit. fiberblicke, sind as vorzugsweise Arbeiter~ un4 Versuche aus dermatologischen Kliniken, die fiber die Anwendung kolloid-chemischer Versuchsergebnisse berichten, was eigentlich nicht zu verwundern ist, da ja hier das Beobaehtungs- feld, ni~mlich die KSrperbedeekung, jederzeit und allerorts zugi~ng- lich ist. DaB aber die physikalisehe Chemie dazu berufen ist, aueh in die anderen medizinisehen Son4ergebiete einzudringen und neue Bahnen zu weisen, geht aus vielen ~uBerungen ffihrender Kliniker hervor, die auch von pathologischen Ansichten unterstfitzt werden.

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576 Theo Diemer:

Nach R6ssle miissen wir uns immer wieder vor Augen halt~n, dal~ wir mit den heutigen Methoden der histoiogischen Technik eigentlich eine kiinstliche Solidarpathologie treiben; yon den nicht zur irreversiblen Koagulat ioa zu bringenden Inhal ten der Zellen und Gewebslichtungen wissen wir sehr wenig; vor allem entgeh~ unserer Feststel lung zur Zeit der ganze interzellul~re chemische und physikalische Betrieb.

Welche MSglichkeiten die Entwicklung der physikalischen Chemie in der Medizin nehmen kann und wohl auch muir, ergibt sieh aus dem i. J. 1922 ersehienenen Bueh yon Schade, ,,Die physikalische Chemie in der innercn Medizin".

Auf chirurgischem Oebiet sind schon seit J a h r e n die Ergeb- nisse chemisch-physikalischer Arbei t spez. yon russischen For- schern verwertet.

So berichtet Grusdew tiber eine Elektroionenmethode, die er seit 1907 und w~ihrend des Krieges anwandte, und die durch ihn Eingang bei den russischen s land. Der Gedanke ist der, medikamentSse Stoffe, die elektrolytische Eigenschaften besitzen, in den Organismus einzuffihren, um dort eine pharmakodynamische Wirkung auszulSsen; als Transportmittel wird konstanter galvanischer Strom verwandt.

Grusdew behandelte ehronische Erkrankungen der Gelenke, Narbenkon- trakturen, sehleeht verheilende Knochendefekte, Verwachsungen im Ab- domen, Strikturen und chronische Uleera mit gutem Erfolg. Die Dosie- rung des einzuffihrenden medikament6sen Ions berechnet er nach einer elektrochemischen Formel, in der das spezifische Gewicht des einzuftih- renden Medikamentes, die Intensit~t des Stromes und die GrSl~e des Wider- standes zueinander in Beziehung gesetzt sind.

Grusdews Behandlung unterscheidet sich yon der unsrigen dutch Anwendung der K a t a p h o r e s e , w~hrend wir uns aus- schliel~lich auf die A u s l S s u n g e l e k t r o e n d o s m o t i s c h e r P r o z e s s e beschr~nkt haben.

Eine auf ~ihnlichen ~berlegungen ful~ende Versuchsreihe wie die yon Grusdew hat Rein angestellt, wobei er eine An~sthesie der Haut erzielte durch Transportierung verschiedener An~isthetikas mittels des elektrischen Stromes sowohl in die tIaut Wie in da.s Unterhautzellgewebe. Aul]erdem gelang es ihm, Farbstoffe mittels eines konstanten Stromes dureh die Epi- dermis nach den tiefer liegenden Gewebsschichten durehzuftihren.

Bei Anordnung derartiger Versuehe und ihrer Anwendung auf den menschlichen Organismus muir yon der Tatsaehe ausgegangen werden, dal~ der KSrper als ein Gef~l~ roll w~sseriger LSsung auf- zufassen ist, in dem bestimrate Stoffe in bestimmter L~sung im Gleichgewicht gehalten werden.

,,Das Gewebe stellt dann eine vielkammerige Wanne dar mit zahllosen organischen Membranen" (Grusdew).

Zwischen den Kammern geht ein besti~ndiger Wechsel dutch Osmose und Diffusion yon SalzlSsung vor sieh, deren elektxo-

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lytisehe Eigenschaften von der Anwesenheit der Ionen abh~ngig sind. Ohne letztere gibt es keinen Stromverlauf in der LSsung. Tritt nun durch irgendeine Ursache eine StSrung des Gleiehgewichtes auf, so wird der Organismus bestrebt sein, das Gleichgewieht wieder herzustellen, was eben nur auf dem Wege chemiseh-physi- kaliseher Reaktionen erfolgen kann. Es wird nun ein Leichtes sein, durch Anwendung eines elektrisehen Gleichstroms den Ruhezustand der LSsnng aufzuheben, da dann die Ionen in zwei entgegengesetz- ten Richtungen sich naeh den Elektroden zu bewegen mfissen, die negativ geladenen zur Anode, die positiven dagegen zur Kathode. Dabei werden alle Zellvorg~,nge bzw. ~u6eren Einwirkungen, welehe die bestehenden Konzentrationsdifferenzen der Ionen beeinflussen, auch die vorhandenen elektrisehen Potentiale und damit auch die aus dem Untersehied der einzelnen Potentiale sieh ergebenden elektromotorischen Kr~fte ver~ndern. Da es durehaus wahrschein- lich ist, da6 samtliche Zellfunktionen mit Konzentrationsverschie- bungen yon Ionen verbunden sind, so wird es in einfaeher Weise verst~ndlich, dab alle diese Prozesse mit ~nderungen des elek- trischen Verhaltens einhergehen. Inner- und au6erhalb des mensehlichen KSrpers sind immer nur die Ionen die Tr~ger der Elektrizit~t; die Kolloide liefern die trennenden Scheide- w~nde, an denen die Ausbildung und Aufreehberhaltung der Kon- zentrationsdifferenzen und damit der elektrisehen Po~entiale mSg- lieh ist.

Naeh dem Aussprueh yon Arrhenius ist keine ehemisehe Reak- tion ohne ein Ion mSglieh; dabei geht der chemische und kata- lytische Proze6 nebeneinander her. In einem :Fall wird das elek- trisch geladene Ion seine Ladung abgeben und dann in statu nas- cendi chemisehe Arbeit dem Gewebe gegenfiber leisten, im anderen :Falle jedoeh seine Ladung behalten und dann als Katalysator wirken. Es wird also in erster Linie darauf ankommen, das in Er- fahrung zu bringen, was einmal zur Ionisierung des in :Frage kommenden Gewebes nStig ist, anderseits, welehe :Funktion dann das einzelne Ion ausiibt. Als absolut dominierendes Gesetz wird das fiber die Konstanz der Erhaltung von Isotonie, Isothermie und Isoionie zu beaehten sein.

Da dieses wohl auch Gemeingut der klinischen $berlegungen ist, mag ffir dessen eingehende Darlegung der Hinweis auf Schades ,,Physikalische Chemie in der inneren Medizin" genfigen. Au6erdem sei in dem Zusammen- hang auf die Arbeit Edens verwiesen, der in Anlehnung an Schade in ge- dr~ngter Form zusammengestellt hat, was speziell ffir ehirurgische ~ber- legungen aus den bisherigen Ergebnissen chemiseh-physikalischer Forschun- gen zu verwenden ist.

Deutsche Zeitschrift ffir Chirurgie. 203. u. 204. Bd. 37

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578 Theo Diemer.

F i i r unsere Bet rach tungen gil t es in ers ter Linie festzustellen, dab eine StSrung des Gleichgewichts durch die direk~e Einwir- kung eines galvanischen konstan~en Stromes zu erreichen ist. Es bedeutet dies dann die Anwendung des oben Gesagten, insofern eben eine ~u~ere Einwirkung, in unserem Fal le der fliel3ende S t rom bzw. die Potent ia ld i f fe renz zwisehen den beiden Elektroden, Ur- saehe ist, da~ eine Ver~nderung der Konzent ra t ion auf G r u n d der Spannungsdi f ferenz einsetzt und mi th in eine Versehiebung der Ionen bewirkt. Ob die Versehiebung in gewiinschtem oder nieht gewoll- tern Sinne vor sich geht, miissen experimentel le Versuehe er- geben.

~hnHehe ~ber legungen fi ihrten u.us schon zur Beeinf lussung des B l u ~ s hinsichtl ieh seiner ZugehSr~gkeit zu bes t immten Blut- gruppen.

Damals konnten wir nachweisen, da~ durch StSrung des elektrolytischen Gleichgewichts innerhalb tier Blutbahn ein Abwandern der Kranken aus der ihnen zugehSrenden Blutgruppe erfolgte. Wenn nun die Blutbahn in ihrer elektrischen Dissoziation zu verandern war, so bestand wahrscheinlich aueh die M~glichkeit, diese Ver~nderungen in einem Sinne zu bewirken, die u. U. einen therapeutischen Nutzeffekt zur Folge hatte.

Gelegentlich anderer vorgenommener Versuehe lie~ ich einen galvani- schen Strom yon 1 M• fiber eine grebe Wundfl~ehe laufen, wobei als auf- fallendste Erseheinung, neben der Entwieklung yon Gasblasen an den Elek- troden, das Auftreten yon stecknadelspitzgro~en makroskopisch sichtbaren Blutpfinktchen zu beobachten war. Daraus konnte geschlossen werden, dab ein Blutaustritt aus dem Kapillarkreislauf erfolgen mu~te oder eine solche Verdichtung im KapiUarnetz eintrat, dab sie durch die Granulationsbildung hindureh schien. Rein theoretiseh ist ein solehes Auftreten der Blutpfinkt- chert damit zu erklaren - - in Anlehnung an die chemotaktisehe Wanderung der Leukocyten und ihrer mit Oberflaehenerscheinungen ha Zusammenhang stehenden amSboiden Bewegung -- , dal3 die BlutkSrperchen dahin zu wan- dern bestrebt sind, wo sie vermSge ihrer elektrisehen Ladung wandern miissen (die positiv gelagerten zur Kathode, die negativen zur Anode).

Welter wurde beobachtet, da~ einige Minuten nach Einsehalten des Stromes eine glasige, fast gallertartige Ausscheidung die ganze Granula- tionsfl~ehe fiberzog. Aul~erdem gab das Me,instrument nach etwa 3 bis 5 Min. eine hShere Mflliamp~rezahl an, als zu Beginn der 8tromeinschal- tung. Beide Ergebnisse sind sp~ter zu erklaren.

Exper imente l le Unter lagen fiir die Erscheinung des Blutaus- t r i t tes kann die Beobaehtung an den G e f ~ e n der Ne tzhau t eines Ochsenauges liefern.

Da der intraokulare Druek im Ochsenauge postmortal noch einige Stunden erhalten bleibt, so kann an der Gef~flbahn nachgeprfift werden, wie sich das Blur in der Blutbahn beim Durchschicken eines konstanten galvanischen Stromes verhalt. Die Beobachtungen sind daher an den Augen frischgeschlachteter Tiere vorzunehmen. Ffir den Versuch selbst wird die Linse entfernt und der GlaskSrper teilweise abgetragen, etwa ein Drittel

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bis die H~lfte seiner Tiefe, urn an die Gef~i~e der Netzhaut heranzukommen. Dadurch wird allerdings der Gesamtdru~k etwas ver~indert, was jedoch in be- zug auf die Kapillaren des Hintergrundes nicht besonders zu beriicksichtigen ist, da es in erster Linie auf die in der Blutbahn erhaltenen unbesehiidigten BlutkSrperchen ankommt.

In die N~he der G e f ~ e werden dann zwei dfinne unpolarisierbare Elektroden aus Platindraht gebracht, etwa 1--2 mm von der Gefii~bahn entfernt. Nach Einschaltung eines 1/a_l/~ MA starken Stromes entfernen sich zunachst mit einem Ruck und dana im geringen Grade naehziehend die roten BlutkSrperchen yon der Anode und wenden sieh in der Gefiii~bahn dicht zusammengedr~ngt naeh der Kathode him Bei Umkehr der Strom- richtung wiederholt sich der Vorgang in derselben Weise, nur natiirlich mit ver~nderten Polen. Nach verschiedenen vorgenommenen Priifungen ist dana allerdings die ruekweise Versehiebung und Umstellung nieht mehr so deut- lich, weft anscheinend die Stromdiehte, eine Folge der geringe Obeffl~ehe aufweisenden Elektroden, eine Gewebsseh~digung verursacht. - - Eine Scha- digung des Gewebes durch den Strom, was nebenbei angefiigt sei, tritt aueh dann auf, wenn die Fadenelektroden direkt im Granulationsgewebe einer Wundfl~ehe liegen; dort verschwindet n~mlich kurz nach Einschalten des 1 MA starken Stromes die Kathode- in aufquellenden Glasbl~schen und hinterla~t eine deutliche Furche, die wohl nur als Verbrennung d r i t t e n Grades der obersten Zellschiehten aufzufassen ist.

E i n w e i t e r e r S c h r i t t w a r der , das V e r h a l t e n de r B lu tk ( i r pe r - chen in de r B l u t b a h n a m L e b e n d e n nachzuwe i sen .

Dazu wurde die Schwimmhaut eines narkotisierten Frosches mikro- skopisch betraehtet und die Bewegung der roten BlutkSrperchen in der Sehwimmhaut verfolgt. FlieBt nun das Blut yon 1. nach r., und zwar distal, und liegt die Kathode auf der r. SeRe, so hSrt beim Einsehalten des 1/2 MA starken Stromes sofort die 8triimung auf, staut sieh an der Kathode und l~Bt yon der Anode her kein BlutkSrperchen mehr zuflie~en. Zwisehen den beiden Elektroden ist eine vSllig leere Streeke in der Kapfllare selbst. Die Elektroden liegen wiederum 1--2 mm v o n d e r Kapillare weg. Beim Wen- den des Stromes ist derselbe Vorgang nur in umgeanderter Richtung zu be- obaehten. Bringt man die Elektroden in die Nhhe eines grSBeren Gef~Bes, so ist dort allerdings ein Sistieren des FlieBens in der Blutbahn selbst nicht zu erzielen, wohl aber eine Verlangsamung der Geschwindigkeit (in der Blutbahn) und ein ZSgern der Bewegung in der N~he der Elektroden.

W e n d e n w i r uns n a n den b e h a n d e l t e n F ~ l l e n zu, an denen s ich d ie t h e o r e t i s e h e n ~Jber legungen e r p r o b e n mu~ te n . F a l l 1 - - 3 w u r - den a n de r ch i t . K l i n i k F r e i b u r g ( G e h . - R a t Lexer) i. d. J . 1 9 2 2 bis 1924 b e h a n d e l t , wi~hrend die r e s t l i c h e n B e o b a c h t u n g e n aus dem h i e s igen L o r e t t o - K r a n k e n h a u s s t a m m e n .

Zur Behandlung wurde ein yon der Firma W o h l m u t h A.-G., Furt- wangen hergesteUter, galvaniseher Schwachstromapparat benutzt, der genaue DosierungsmSgliehkeit der Stromdichte besitzt und vermSge seiner leiehten Transportfiihigkeit im Gegensatz zu dem Panto- oder Multostat an jedes Krankenbett zu bringen ist. Die Behandlungsweise geht aus den Kranken- berichten hervor.

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580 Theo Diemer:

F a l l 1. K. K., 32 J., Ausl~ufer. Krankengeschiehte ist auszugsweise wiedergegeben. Hagerer, ziemlich grol~er Mann. Poly- und Syndaktylie an beiden H~nden. Seit 1917 Untersehenkelgeschwiir r. im unteren Drittel. Wegen des Ulcus Rentenempf~nger. Wurde im Krieg nur als Arbeitssoldat verwendet. Von 1918--22 in der Klinik. Wahrend dieser Zeit zun~chst konservative Behandlung des Ulcus ohne Effolg. Transplantation naeh Thiersch ebenfalls erfolglos. Hautfettlappenplastik heilt nieht an, ebenso- wenig ein gestielter Lappen yore r. Oberschenkel. Letzter Versueh, das Uleus durch einen Krieehlappen naeh Lexer zu fiberdeeken, hat nur teil- weises Anheilen des im Laufe eines halben Jahres an die endgfiltige Stelle gelangten Lappens zur Folge. Es bleibt noeh ein Restbezirk yon 5 qcm un- gedeckter Wundfl~che iibrig. Beginn einer systematischen Hyper~misierung mittels des galvanisehen Schwachstroms, und zwar urspriinglieh alle 2 T., nach 14 T. tgl. einmal je 10 Min. Stromst~rke 1 MA vorfibergehend ge- steigert auf 11/2. Dis Zuleitung des Stromes erfolgt dureh die unterhalb des Knies liegende Anode, w~hrend die Kathode auf dem FuBrficken liegt oder der Fu6 bis KnSchelhShe im Wasserbad steht. Schon nach 14 T. gewinnt die Granulation gegenfiber der frfiheren blauroten Verf~rbung einen st~rke- ren Ton ins Hellrote. An einzelnen Stellen treten kleinstecknadelkopfgrol3e Pfinktchen auf. Vom Beginn der 6. W. an schiebt sieh yon den R~ndern her ein deutlieher Epithelsaum nach der Mitte vor. Nach weiteren 6 W. ist die Oberfl~ehe der Wunde mit Borken bzw. einer diinnen Epithelsehieht bedeekt, so da~ der Kranke in ambulante Behandlung entlassen werden kann. Seit der Entlassung aus der Klinik im Frfihjahr 1923 ist der Kranke wiederum als Ausl~ufer t~tig. Er bekam in der Zwischenzeit beim Holz- maehen ein Scheit Holz gegen die frtiher geschwtirige Stelle, ohne dal~ eine Sch~idigung zur~kblieb. Ein Aufbrueh des Ulcus ist bis zur Zeit nicht erfolgt.

F a l 1 2. 35 j. Landwirt. Beim Hantieren in der Scheune Verletzung am r. Untersehenkel im unteren Drittel durch einen Pflug, der mehrere Messer in 1 cm Entfernung parallel nebeneinander stehen hatte. Der in der Am- bulanz t~tige Arzt exzidierte die Sehnittwunde, welehe eine Ausdehnung yon etwa 6 qem hatte und bei tier die Haut in parallele Streifen gesehnitten war. Verheilung der Wunde erfolgt nur sehleeht. Freie und gestielte Hautfett- lappenplastik, wobei das 1. Bein, dem der gestielte Lappen entnommen ist, durch Gipsverband auf das r. fixiert wird, hat keinen Erfolg. Es bleibt nach versuehter Deckung immer noch ein Gebiet yon 3 qcm often. Deswegen Beginn der Hyper~mieerzeugung mittels des Schwachstroms tgl. 10 Min. i/2--2 MA. Die Stromzufuhr erfolgt wie bei Fall I ; nur liegen die Elek- troden nahe der Wunde. Aueh hier setzt sofort nach der 1. W. eine deut- fiche R6tung ein, die ein Einrfieken des Epithelsaumes w~hrend der n/~ehsten 3 W. zur Folge hat. Dis restliehe Wunde versehorft in weiteren 14 T., so dal~ nur noch ambulante Kontrolle und Behandlung mit den iibliehen Sal- benverb~nden notwendig ist. Der Kranke nimmt seinen Beruf als Landwirt wieder auf und ist roll erwerbsf~hig.

F a l l 3. 26j. M~dchen, mit beginnender Kniegelenktuberkulose, syn- oviale Form. T/~gliches Elektrisieren mit 2 MA Stromverlauf in der Richtung der arteriellen Blutversorgung. Die Behandlung hat keinen Erfolg, so da~ nach 1/4 J . zur Kniegelenksresektion gesehritten werden muG. W~hrend der

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Op. trit t eine parenchymatSse Blutung von solchem Umfang auf, dal~ das Bein abgebunden werden mul~, sowohl mit Rficksieht auf den allgemeinen Zustand der Kranken, der keinen groflen Blutverlust ertragt, sowie wegen der ?3bersiehtlichmachung des Operationsfeldes. Die Hyper~mie ist zweifel- los auf die elektrische Behandlung zurfiekzuffihren. Nach 3 Mon. Exitus wegen vielfacher Organtuberkulose.

F a l l 4. 38j Kaufmann. Dupuytrensche Fingerkontraktur, Exzision eines 5 qcm groBen Hautlappens aus der r. Hohlhand und Exstirpation der ganzen Palmarisfascie in Leitungsan~sthesie. Freie Transplantation eines der ex- zidierten Hautfl~che entsprechenden Hautfettgewebslappens aus demselben Unterarm. Nach dreit~gigem Verbandwechsel Lappen unverandert. 2 T. sp~iter beginnt eine bl~uliehe Ver~nderung der Nahtr~nder; Salbenverband. Weitere 2 T. : Der Lappen hat jetzt blauschwarze Verf~rbung angenommen, sowohl an den R~ndern, als auch in der Mitte. Sofortiges Einsetzen der Hyper~mieerzeugung durch den galvanischen Strom. Tgl. Behandlung mit 1 MA, Anode Handgelenk, Kathode Wasserbad der Fingerspitzen. Nach zehnt~ger Behandlung hat sieh die obeffl~chliche Epidermis pergament- artig eingetrocknet, zusammengerollt und kann mit tier Pinzette abgehoben werden. Darunter frisches Epithel bis auf eine pfenniggroBe Fl~che etwa in der Mitte, die frisch durchblutete Granulationen zeigt. 2--3 Min. nach Einschalten des Stromes tiberzieht sich die Granulationsfl~che mit einem glasigen, gallertartigen Schleim. Nach weiterer vierzehnt~giger Behandlung mit dem Strom ist auch diese Stelle fiberh~utet und der Kranke beginnt mit Bewegungsfibungen der Finger. Nach 14 T. geh. entl.

F a 11 5. 40 j. Mann, guter Ernahrungszustand. An beiden Beinen diffuse Krampfadern mit ungez~hlten kapillaren Ver~telungen. Starke Schwellung an beiden Beinen. Die Beschwerden wurden dureh die KreislaufstSrungen seit 1/2 J. so stark, da~ der Kranke unfahig war, seinem Beruf nachzu- kommen und deshalb um Amtsenthebung nachsuchen wollte.

Da eine Exstirpation bzw. Unterbindung der Saphena, der diffusen Ver- ~stelung wegen kaum Aussieht auf Erfolg hat, wird eine galvanische Hyper- ~misierung verursaeht, in der flberlegung, einen Kollateralkreislauf nach der Tiefe zu schaffen und sparer naeh diffuser Hautumstechung der Gefhi~e eine Umleitung der Blutversorgung naeh der Tiefe zustande zu bringen.

Es erfolgt dana auch naeh vierwSchentlicher Behandlung eine treppen- fSrmige perkutane Umsteehung der Hautgef~il~e in der ganzen Ausdehnung der beiden Beine. Die Umstechungen liegen in Abst~nden von etwa 5--8 cm. Nahte bleiben 20 T. liegen. Nach Entfernung der N~Lhte Heii~luft- und Weehselb~der w~ihrend 14 T.; dana Entlassung. Seit der Behandlung erfolgt die Berufst~tigkeit ohne Beschwerden; der Gedanke an Pensionierung ist vSllig aufgegeben.

F a I 1 6. 38 j. Kaufmann. Kr~ftiger Ernahrungszustand. Trombophle- bitis h und ausgedehnte Varizen. Letztere bestehen seit 1910 mit starker Verdickung des h Beines. Das ganze Bein ist geschwollen und ffihlt sich derb an, so dal3 man an eine Elephantiasis denken mSchte. Der Kranke ist RentenempfiLnger eben wegen seines h Beines. Nach Abklingen der ersten Entzfindungserscheinungen erfolgt Unterbindung der Saphena an ihrer Ein- miindungsstelle in die V. fern. Extraktion der Saphena bis in KnSchelhShe

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582 Theo Diemer:

mit der Kugelsonde. Heilung reizlos, l~ach 8 T. Beginn einer tgl. zwei- maligen Hyper~misierung mit dem galvanischen 8trom 15 Min., 1 MA; Stromrichtung distalw~rts. Anode liegt unter dem Leistenband, Kathode auf dem Fu6rficken. Schon nach 14 T. beginnt die Sehwellung des Ober- schenkels zurfickzugehen. Beugung des Knies, was vorher starke Schmerzen verursachte und kaum erfolgen konnte, kann bis zu einem Drittel gegenfiber der Norm vorgenommen werden. Jetzt tgl. Vollbad und zweimal Elektri- sieren wie bisher. Nach achtwSchentlicher Behandlung ist der Ober- schenkel vollkommen weieh. Nur der UnterschenkeI ist gegeniiber r. noeh etwas angeschwollen. Der Umfangsunterschied, der frfiher an der Wade 6 cm betragen hat, ist bis auf 2 em zurtiekgegangen. Besehwerden bei l~ngerem Gehen verspiirt der Kranke keine mehr; abends ist das Bein etwas dicker als r. Freiiibungen und Radfahren werden ausgiebig vorgenommen, was vor der Op. und elektrischen Behandlung unmSglich war.

Um die klinischen Resultate vorweg zu nehmen, ist aaf Grund der elektrischen Behandlung iiberall der gewiinsehte Heflerfolg, und zwar Dauererfolg, erzielt worden, mit Ausnahme der Knie- gelenktuberkulose, aui die noch gesondert einzugehen ist. Wie ist nun dieses Heilungsbestreben bei denkbar ungiinstigen iiu~eren Be- dingungen zu erkl~ren?

Auf Grund allgemeiner koIloidchemiseher ~berlegungen ist der Heilungsvorgang in zwei Etappen zu zerlegen. Zuerst erfolg~ nach Einschalten des Stromes wegen der vorhandenen Potential- differenz (s. oben) ein Wandern der Ionen nach den Elektroden zu. Dort geben sie ihre elektrische Ladung ab, nad die notwendige Folge ist dann eine Ausflockung der BlutkSrperchen selbst. So kommt es zu einer K o a g u 1 a t i o n, deren Menge als 5rtliche Blut- piinktchen in Erseheinung tritt. (Die Wanderung der BlutkSrper- chen naeh den Elektroden hin ist oben eingehend besehrieben.) Aber nicht nur diese werden ausflocken, sondern auch die Serum enthaltenen Eiwei~kolloide. Letztere werden dann, je ihrer An- hiiufung naeh, zu einer mehr oder minder durchsichtigen Masse zusammenfliel~en, oder, m. a. W., jenen ~berzug bilden, der bei GranulationsIl~chen als gallertartiger Schleim zu beobaehten ist. Dadurch wird rein kliniseh zun~ehst das erreieht, was bei jeder glatten Sehnittwunde durch Koagulation des Zellinhaltes erfolgt, ein Abschlul~ der tieferen Schiehten gegeniiber der ~u6eren Um- gebnag und mithin ein Fernhalten der yon au~en kommenden Seh~dignagen, die eine Wundheilung verhindern.

Damit ist aber noeh nieht vSllig erkliirt, wie die Heilung nun aueh tatsi~chlich einsetzt. Wohl einmal sieher durch Abhalten der ~u6eren Gefahren, dana aber weiter als zweite Stufe durch Aus- 15sung e l e k t r o e n d o s m o t i s c h e r V o r g i i n g e mittels Einwir- kung des konstanten Stromes. Wie eben auseinandergesetzt, sind die Ionen mit einer bestimmten elektrisehen Ladung versehen; das

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hat nach den in der Elektrophysik geltenden Gesetzen zur Folge, dab das Ion irgendein Teilchen mit der ihm entgegengesetzten La- dung neben sich haben muB. Wird nun eines der beiden Teilchen festgehalten, so wird das andere sich fortbewegen miissen. Nehmen wir an, ein rotes BlutkSrperchen, das neben der Kapillarwand liegt, sei negativ geladen, so wird der ihm gegenitberliegende Ka- pfllarschnitt die korrespondierende positive Elektrizit~t aufweisen. Da nun abet die Kapillarwand bei der bestehenden Potential- differenz (immer vorausgesetzt, dab der konstante Strom flieBt) ihre Lage nicht ver~ndern kann, so wird das Blutk5rperchen be- strebt sein, sich fortzubewegen und u. U. aus der Blutbahn aus- treten, um die Spannungsdifferenzen auszugleiehen. Wie es einem solchen BlutkSrperehen geht, wird es einer Unmenge anderer er- gehen, ebenso den im Serum erhaltenen Kolloiden. Die notwendige Folge ist eine Anh~ufung der gesamten Kolloidteile, was gleieh- bedeutend ist mit einem Zusammenfiihren yon N/~hrstoffen in dem schlecht ern/~hrten Gewebe, das in dem elektrischen Feld liegt. Da wit nun d~s Blur als deu Tr~ger bzw. das Transportmittel tier N~hrsubstanz aufzufassen gewohnt sind, so ist bei dieser Anh~u- lung yon N~hrstoffen, der Umstand weggefallen, der das Krank- heitsbild verursacht, n~mlich das Fehlen derselben, so dab fiig- lich eine Heilung der betreffenden Abschnitte einsetzen muB. Man daft dann wohl yon einer Hyper/~mie reden, die dutch den kon- stanten Strom ausgelSst wird and die eben danu wirksam in Er- scheinung tritt.

Es sind bei dieser Erkl~rung naturgem~B nicht alle mit in Frage kommenden Einzelheiten des ganzen biologischen Ablaufes erschSpft; aber die Grundprinzipien sind als allgemein chemischen physikalischen Oberlegungen entspringend ausschlaggebend. Es wird sich dann von selbst eine Me.nge weiterer Fragen erheben: Auf welehem Wege dringt der Str0m in das Gewebe ein? Welehe Strom- st~rke ist notwendig? Wie verh~lt sieh der Widerstand des Ge- webes vornehmlieh an den in der Tiefe nicht den Beobaehtungen zug/~nglichen Teilen? KSnnen die ganzen Vorg/~nge gesetzm/~Big erfaBt, u. U. in exakte Formen gefaBt werden; welter: Sind in- dividuelle Untersehiede in der Leitf~higkeit, in der Disposition der betreffenden Behandelten? usf. Eine restlose Beantwortung dieser Fragen ist wolff zur Zeit nieht mSglich, da hier noeh biologisehe, ehemisch- physikalische Beobachtungen einzusetzeu haben. Aber selbst aueh bei der Beautwortung der einzelnen Fragen auf Grund der Versuehe im Reagenzglase oder der sonstigen Ver- suchsanordnung werden immer nur Teilprobleme zu 15sen sein,

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da man sieh die Bedingungea nach der zu 15senden Frage stellen kann. Bei der Betrachtung fiir den Organismus selbst haben wir aber die ganze Summe von Erseheinungen zusammen, deren Einzel- analyse vor der einsetzenden Behandlung in vivo wohl schwer zu 15sen sein doxfte.

Teilergebnisse liegen immerhin vor, und ieh mGchte speziell auf die yon Rein zuriie]Kgreifen, soweit sie fox unsere l~berlegungen in Frage kommen.

Auf Grund von Elektroosmoseversuchen am Lebenden hat er festgestellt, dab die Einwanderung des Farbstoffes auf pr~formiertem KapiUarwege, also durch Follikel und Kn~ueldrfisen vor sich geht. Sehon 1890 wurden yon Hermann ~hnliche Versuche vorgenommen mit demselben Resultat. Grusdew schliel3t sieh dieser Ansicht bei seinen kataphoretischen Behandlungen an. Der Farbstoff selbst nimmt, wie verschiedene LSsungsmittel ergaben, in seiner Konzentration 'nach der Tiefe zu nicht ab. Ob daraus Rfickschlfisse auf die Stromdichte in der Tiefe geschlossen werden kSnnen, mSehte ich often lassen. Unterschiede zwischen der Leitf~higkeit weist Rein f~r m~nnliche und weibliche Haut nach und betrachtet sie als funktionelle.

Fiir unsere Verh~ltnisse angewandt dox~en wit auch annehmen, da~ die Stromlinien sich auch an die pr~tformierten Wege halten. Mit welcher Schnelligkeit dann die ehemisehe Reaktion vor sich geht, h~ngt in hohem Mal3e ab vonder Wirkung der gegenelektro- motorisehen Kr~fte. Wie angefiihrt, nimmt die Stromdichte naeh etwa 5 Min. zu, worans za sehliel3en ist, dal3 der seheinbare Widerstand sieh verringert hat. Diese Ver~nderung hi~ng~ jedoch von einem anderen Vorgang ab, n~mlieh dem, mit weleher Ge- schwindigkeit ein Anstieg in der Ionenkonzentration eintritt. Im Falle des langsamen Ansteigens pflegt die Kolloidbeeinflussung wesentlich geringer zu sein (Freundlich). Es kann also auch hier yon einem ,,Einsehleiehen" des Stromes gesproehen werden.

lqach Rein ist die Durchwanderungs- und ebenso die FSrderungsge- sehwindigkeit abh~ingig yon der l~atur der LSsung. Alkalisierung steigert sie, Ansauerung setzt sie herab.

Schlie~lich ist noch die Frage der optimalen Stromsti~rke zu priifen. Nach den bisherigen Versuehsergebnissen (Rein, Grusdew u.a . ) bestehg kein Zweifel dariiber, da~ eine Stromdichte yon 1,5 MA pro qcm an der A.node und 0,4 MA pro qcm an der Kathode nicht iiberschritten werden daft, da sonst stiirkere, u. U. dauernde Gewebssehi~den auftreten. Subjektiv werden sti~rkere Stromdichten als leichtes Brennen verspoxt. Die Spannung kann hoch gewi~hlt werden, wenn nur die Dichte des Stromes nicht zu- nimmt. FOX die klinische Behandlung wird man hier kaum auf Schwierigkeiten sto~en, da ja die Applikationselektroden in ihrer bekannten Form eine grol~e Oberfliiche besitzen, so daI3 fOx den

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Der galvanische 8trom in seinen Beziehungen zur Hyper/~mie usw. 585

qem eine genfigende Verteilung der Stromdiehte erfolgen kann. Weiter ist die Dauer der elektrischen Behandlung yon wesentliehem Interesse. Aus den Versuchen geht hervor, da6 eine Sitzung nieht mehr als 10--15 Min. beansprueht. Ob bei lingerer Dauer eine solche Koagulationsanschoppung zustandekommt, dab wit es ge- wissermaBen mit einem groBen Wall zu tun haben, der den kran- ken Herd gegeniiber dem gesunden abschlieBt und dadureh u. U. StSrungen im gesamten Zellstoffwechsel hervorruft, ist kaum an- zunehmen, da wohl nieht ~berall die Diehte der Ausfloekung gleichmiBig ist. Oberdies wird alsbald bei einer etwaigen der- artigen Abgrenzung eine kollaterale Versorgung einsetzen. Mir scheint vielmehr dureh das immer wiederholte Spiel der Konzen- trationsversehiebung mittels des elektrisehen Stromes ein beson- derer Reiz auf die gewebsneubildenden Krif te ausgeiibt zu wer- den, ganz abgesehen yon den Beziehungen der Konzentrationen zur LSsung (s. oben).

Aus den bisherigen Beobaehtungen kann entnommen werden, dab bei den angef~ihrbn Fillen es sich nut um 6rtliehe St6- rungen handelt, und zwax in erster Linie um Hemmungen des Kreislaufes bzw. Zufuhr der Nahrungsstoffe, wihrend der Ge- samtorganismus in seiner Funktion nieht gesehidigt ist. Dem- zufolge muB der K6rper bei seiner sonstigen Unversehrtheit imstande sein, diese 5rtliehen Hemnisse zu iiberwinden, wenn man ihm den AnlaB dazu gibt, bisher bestehende Hindernisse, deren letzte Endursache wir nicht kennen, zu beseitigen. Da6 dies auf chemisch-physikalischem Wege mSglich ist, ergeben die bisher angestellten Versuche mit ihrem positiven Erfolg. Dan Gegen- beweis liefert das Verhalten der Kniegelenktuberkulose, da wires dort mit einer Schidigung des Gesamtorganismus zu tun haben, auf Grund der e~nsetzenden allgemeinen Organtuberkulose. Eine 5rtliche Beeinflussung des Leidens konnte daher keine Umstim- mtmg des Organismus zustandebringen.

Z u s a m m e n f a s s e n d kann nach den bisher vorliegenden Resultaten gesagt werden: Durch Anwendung eines konstanten galvanischen Stromes kann auf dem Wege der Elektrolyse und der AuslSsung endosmotischer Prozesse eine 5rtliehe Ansammlung yon Nihrstoffen ffir den gesazaten Zellstoffwechsel erzielt werden, der den HeilungsprozeB an den durch Kreislaufst~rungen ge- schidigten Organteilen sicherstellt.

Dadurch erSffnen sich speziell fiir den Erfolg jeder Trans- plantation neue Perspektiven, da der Bestand des iiberpflanzten Gewebes nur dann gesichert ist, wenn es den AnschhB an die neue

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Umgebung finder. Wei te r wird der Nutzen der elektr isehen Hyl)er i imisierung da in Erseheinung treten, wo durch T raumen schwere Gewebszer t r f immerungen mi t Narbenbi ldung zurfiekgeblie- ben sind, die auf Grund ihres histologisehen Aufbaues reduzier ten Stoffweehsel haben und in~olgedessen nur schlechtes Hei lungs- bestreben aufweisen. H ie r werden sozusagen dutch Erzwingung des biologisehen Zellgeschehens mit te ls der ausgeffihrten Methode die Regenerat ionskri i f te einsetzen, die zur W i e d e r h e r s t e l h n g nor- maler VerhMtnisse notwendig sind. Wenn yon der elektr ischen Hyper i imis ie rung auch nicht in jedem Fa l le Erfolg zu e rwar t en ist, so llegt das in e rs te r Linie daran, dal3 Einzels tufen der ganzen Zel l funkt ionen und der in F r a g e kommenden Lebensbedingungen der Zellen noeh zu wenig bekannt sind. Da~ abet ein wieht iger l~aktor ffir die ehirurgisehe Therap ie die Anwendung ehemiseh- phys ika l i scher Ergebnisse ist, geht aus diesen kurzen Ausff ihrun- gen hervor. Einzel f ragen eingehender zu beantworten bleibt wei- refer Beobaehtung vorbehal ten , fiber die zur gegebenen Zeit be- r ichter wird.

Ffir vielseitige Unterstfitzung bei Ausffihrung der Arbeit sei Herin Pr~- lat Dr. 8chofer ein herzliches Dankeswort gesagt.

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