der einfluß des krieges und der nachkriegszeit auf die verbreitung der hauttuberkulose

9
(Aus der Universit£tshautklinik Breslau.) Der Ein[lul~ des ILrieges und der Nae~kliegszeit alff die ¥erbreitung der Hauttuberkulose. Von Dr. K. G. Ledermann. )~ 1 Textabbildung. (Eingegangen am 1. September 1932.) Die Sterblichkeit an Tuberkulose in Preu~en hatte vor dem Kriege dauernd abgenommen. 1876 hatte sie noch 30,95 auf 10 000 Lebende betragen, 1914 nur 14,58. Der Krieg bzw. die Hungerjahre der Nach. kriegszeit bedeuteten bekanntlich einen Riickschritt in dieser Entwick- lung. Interessant erscheint es festzustellen, ob auch die Hauttuberkulose durch dieselben Einwirkungen h~ufiger geworden ist. Als Unterlage benutzten wir hierfiir die Zahl der Neuau]nohmen in der Uni. versit~tshautklinik Breslau und flit die Tuberkulosemortalit~¢ die Angaben die s~a~istisehen Reiehsamts sowie T~belten aus Gottsteins ,,Allgemeine Epidemiologie dot Tuberkulose". Tabelle 1. In Preuflen starben yon ]e 100 000 Lebenden 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920 fiber- Tl~er- haupt kuloso I490 f 137 1816 139 2136 146 1866 158 2000 205 2394 230 1580 215 1537 158 fiber- an haupt Tuber- kulose 1921 1361 135 1922 1407 142 1923 1355 153 1924 1278 122 1925 1185 109 1926 1159 100 1927 1193 96,2 1928 1153 89fi In der Tuberkulosester]> liehkeit zeigt sieh 1915 be. ginnend ein geringes An. steigen, das auch 1916 an- dauerL 1917 ~ritt pl6tzlieh eine wesentliche Vermehnmg der Tu berkulosetodesfiille auf, um im n/~chsten Jahr den ttShepunkt zu erreichen. 1920/21 setzt ein Abfatl in ungefiihr demseIben Umfang ein, wie die Vermehrung stattgefunden hatte. In den Jahren 1922/24 erfolg~ noeh einmalein m/~fligerAnstieg; dann abergehen die Zahlen unter die der Vorkriegs- zahlen herunter. Auch im Bresl~uer Regienmgsbezirke war schon in Friedenszeitcn die Tuber. kulose-Mortalitiit sehr hoch. So betrug sm in den Stadtbezirken des Regierungs- bezirks im J~hre 1913 24 auf l0 000 Lebende (der preu~isehe Durehsehnitt 14,35). In den Jahren 1918/19 war der Mortali~tsdurchschnitt 35. Er steht damit an 2. Stelle in ganz Preul]en und wird nur noeh vom I~egierungsbezirk Oppeln fiber. troffen. ~ei der allgemeinen Besserung 1920 ging die M0rtalit~t (Breslau) unter die

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Page 1: Der Einfluß des Krieges und der Nachkriegszeit auf die Verbreitung der Hauttuberkulose

(Aus der Universit£tshautklinik Breslau.)

Der Ein[lul~ des ILrieges und der Nae~kliegszeit alff die ¥erbreitung der Hauttuberkulose.

Von

Dr. K. G. Ledermann.

) ~ 1 Textabbildung.

(Eingegangen am 1. September 1932.)

Die Sterbl ichkei t an Tuberkulose in Preu~en ha t te vor dem Kriege dauernd abgenommen. 1876 ha t t e sie noch 30,95 auf 10 000 Lebende betragen, 1914 n u r 14,58. Der Kr ieg bzw. die Hunger jahre der Nach. kriegszeit bedeu te ten bekannt l ich e inen Ri ickschr i t t in dieser Entwick- lung. In te ressan t erscheint es festzustellen, ob auch die Hauttuberkulose durch dieselben E inwi rkungen h~ufiger geworden ist.

Als Unterlage benutzten wir hierfiir die Zahl der Neuau]nohmen in der Uni. versit~tshautklinik Breslau und flit die Tuberkulosemortalit~¢ die Angaben die s~a~istisehen Reiehsamts sowie T~belten aus Gottsteins ,,Allgemeine Epidemiologie dot Tuberkulose".

Tabelle 1. I n Preuflen starben yon ]e 100 000 Lebenden

1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920

fiber- Tl~er- haupt kuloso

I490 f 137 1816 139 2136 146 1866 158 2000 205 2394 230 1580 215 1537 158

fiber- an haupt Tuber-

kulose

1921 1361 135 1922 1407 142 1923 1355 153 1924 1278 122 1925 1185 109 1926 1159 100 1927 1193 96,2 1928 1153 89fi

In der Tuberkulosester]> liehkeit zeigt sieh 1915 be. ginnend ein geringes An. steigen, das auch 1916 an- dauerL 1917 ~ritt pl6tzlieh eine wesentliche Vermehnmg

der Tu berkulosetodesfiille auf, um im n/~chsten Jahr den ttShepunkt zu erreichen. 1920/21 setzt ein Abfatl in ungefiihr demseIben Umfang ein, wie die Vermehrung stattgefunden hatte. In den Jahren 1922/24 erfolg~ noeh

einmalein m/~fligerAnstieg; dann abergehen die Zahlen unter die der Vorkriegs- zahlen herunter.

Auch im Bresl~uer Regienmgsbezirke war schon in Friedenszeitcn die Tuber. kulose-Mortalitiit sehr hoch. So betrug sm in den Stadtbezirken des Regierungs- bezirks im J~hre 1913 24 auf l0 000 Lebende (der preu~isehe Durehsehnitt 14,35). In den Jahren 1918/19 war der Mortali~tsdurchschnitt 35. Er steht damit an 2. Stelle in ganz Preul]en und wird nur noeh vom I~egierungsbezirk Oppeln fiber. troffen. ~ei der allgemeinen Besserung 1920 ging die M0rtalit~t (Breslau) unter die

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Der Einflull des Krieges und der Naehkriegszeit usw. 155

Friedensquote. In den folgenden Jahren - - Inflationszeit - - trat wieder eine geringe Verschlechterung ein, im Jahre 1924 ging die Zahl wieder unter die der Vorkriegszeit herunter.

Tabelle 2. Verglelch der Zug~nge an Hauttuberkulose der Breslauer Universitats- hautklinil¢ mit den Tuberkulosesterbezl//ern im Regierung~bezirk Breslou.

Zugf inge t ie r t~ l in ik a n A n T u b e r k u l o s e s t t~rben i m } t cg i e rungs - b c z i r k B r e s l a u

In dell LUpl ls vu lg t l r i s , Jahren Tuberculosis verruoosa C11~5~8~ iylll])holllo.¢tt ])it, VOlt (¢llf

T u b e r c u l o s i s eol l i d c m L m l d e eo l l iqm~t iv t t

1913 1917 1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924

Tabelle

93 122 150 246 217 129 131 139 ]23

2 72

240 286 61 31 20 48

8

]);~VOII tIl Gesamt StSdtcn

3318 2025 4408 2243 4806 3062 4402 2905 2920 1840 2608 1613 2850 t772 3043 1925 2235 1341

1293 1644 1744 1497 1080 995

1078 1118 894

3. An Tuberkuloae starbeu in Preuflen yon 10000 Lebendeu der~'elben Altersklasse :

Alter

Ill tlon Jahren

1913 1917

m. [ w. m. I w. !

0--1 20,39 16,33121,16 18,56 1-2 13,66 12,19 19,24 17,72 2 - 3 7,61 7,04 14,73 15,54 3 - 5 5,72 5,58 8,87 9,42 5--10 3,82 4,64 5,94 7,70

10--15 3 ,71 6,22 5,99 10,28 t5-20 11,46 14,16 23,35 23,73 20--25 17,74 17,66 29,48 26,91 25--30 18,02 20,73 26,26 29,95 30--40 17,40 17,81 23,07 26,31 40--50 20,72 14,53 27,63 23,16 50--60 25,18 13,74 i34.24 20,6t 60--70 25,85 17,5634177 22,10 70--89 17,85 13,78 '22,98 18,74 80 und dariiber 7,46 6,45 9,911 9,74

!14,2 t13,1012o,9o }2o:1

1918 1919 1920

In, I w . in . [ ~*V. n , , I 1w.

19,51 16,81 !20,54 ]19,44 18,63 ]14,02 19,56 18,49 93,82 21,03 17,03,15,05 13,99 13,41 91,18 20,52 1,14 9,63 9,85 11,04 13,93 14,97 8,20 8,46 6,22 8,49 6,94 9,40 4,73 6,67 6,37 11,12 6,47 11,68 4,42 7,80

27,74 28,60 27,61 26,87 16,95 18,15 35,43 32,88 33,18 28,38 24,93 21,72 29,9I 34,08 25,65 29,52 28,81 26,86 36,22 23,95 34,99 25,40 22,73 I19,35

11,33 12,41

28,08 27,91 19,72 22,36 24,62 26,60 16,31 19,54 24,20 23,24 16,42 17,24 30,23 22,92 21,21 17,57 30,58 26,56 23,76 19,57 20,00 18,53 17,53 16,23

10,151 9,67 6,04i 7,09 2,,8, I21,91 J5,38 I16,15

1926

m . J w .

14,38 11,3(J 10,48 8,85 5,39 6,3(] 4,411 4,15 2,89 2,76 2,13 3,76 7,36 10,51

14,I2 15,26 14,82 t4,89 11,47 1],20 11,69 8,81 13,73 9,39 15,72 12,30 12,55 11,94

5,58 I 7,73 10,21 I 9,85

In der Vorkriegszcit war die Tuberkulosemort~lit/~t bei Khldcrn his zu 2 Jahrcn relativ gro], bis zum 15. Lcbcnsjahre gering, um d~nn bis ins hohe Alter verschicden anzusteigen. Das Alter fiber 80 Jahre ist wieder sehr wenig betciligt. Bei Mannern war die Altersstufe mit h6ehster Tu berkulosemorta[it/it (20--25 auf 10 000 Lebendc) dic Zeit vom 40.--70. Jahr, bei Frauen die Zeit yore 25.--30. Jahr mi~ 20 Tuber- kulosetodesf/~llen auf 10 000 Lebende.

W/~hrend der Krisenzeiten cffolgte cine Umkehr des Gesch|echtervcrh/iltnisses in der Tuberkulosemortalitgt. Frauen sind st/~rker yon der Steigerung der Tuber- kulosetodesfMlo befallen als Mgimer.

Page 3: Der Einfluß des Krieges und der Nachkriegszeit auf die Verbreitung der Hauttuberkulose

156 K, G. Ledermann: Der Einflug des Krieges und

Bei der Steigerung in den einzelnen Lebensaltern sind S~uglinge bis zu 1 Jahr am wenigsten betroffen. Relativ die grSllte Steigerung weisen Kinder yon 3 bis t0 Jahren auf. / n absolaten Zahlen hat ten aber die hSehste Mortali~./it an Tuber. kulose die Frauen yon 25--50 Jahren. Dureh diese Steigerung ~-arde aueh das Geschteehterverh/~l~nis fiir die ~'rauen ungfinstig; in der Pubert~szeib forderte die Tuberkulose bei den M/~dchen sehon im Frieden hShere OFfer als bei den gleich- altrigen Knaben. In den Krisenzeiten hat sich dies Verh~ltnis niehg ge/~ndert.

Das Kontingent der Todesfglle an ,,extrapulmonaler Tuberkutose" se~zt sidl vor allem zusammen aus den tuberkulbsen Erkrankungen der I-Iil~i~ute, der Knochen und Gelenke, des Darms, der Drfisen und des Urogenitalapparats. h der H£ufigkeit der Diagnose ,,extraFulmonale Tuberkulose" bestehen zwischen den einzelnen L~ndern Differenzen. 1901 lauten die entsprechenden Zahlen

PreuBen 2,0 TodesfMle auf I0 000 Lebende England . . . 5,5 Belgien . . . . 8,2 Sehweiz . . . 7,3 Italien . . . . 5,1

Diese Unterschiede werden zum Teil dadurch erkl~rt, dal] in anderen L~nder~ h/~ufiger Erkrankungen des Darmkanals bei kleinen Kh~dern aui Tuberkuf~ zuriickgefiihrt werden als bei uns. Bis auf diese Erkrankung ist die Diagnos~ auf extrapulmonale Tuberkulose retativ |eicht zu ste|len.

Tabelle 4. I n Deutschland starben 1926 au/ 10 000 Lebende

i m A l t e r yon

0 ~ 1 1 ~ 5 5---15

15--30 30--60 60---70

70 u. mehr Jahre

insgesamt

a l l T l l b e r - k u l o s e

11,6 5,7 2,7

12,1 10,9 13,6

10,8 9,8

a n T u b e r - k u l o s e d c r

L u n g e n

5,2 1,6 1,4

10,9 9,9

l 11,6

8,8 8,9

a n T u b e r - k u l o s e a n d c r e r

O r g a n e

5,7 3,8 1,2 1,0 0,9 1,9

2,0 1,4

a n ~ k u t c r A l l g c l l m i n - t u b e r k u l o s e

0,7 0,7 0,I 0,2 0,1 0,1

0,1 0,2

In ]?reugen ist die Tuberkutosesterbliehkeit an extrapulmonaler Tuberkulc~e besonders grog bei Kindern bis zu 2 Jahren, n immt his 5, noch weiter bis zu 15 Jahre~ ab und bleib~ dann his zu 60 Jahren auf einem fast gleiehen Niveau, um dan~ wiederanzusgeigen. ]3eiden Kleinkindcrn sind die Knabenrelativh/~ufiger betroffen, in den Pubert/~tsjahren dagegen mehr die Madchen. Die Beteiligung des Land~ is~ analog der allgemeinen Tuberkuloseverbreitung geringer als in der Stadt.

Tabelle 5. I n Preufleu starben yon 1(1 000 Lebenden an Tuberkuloae

der L n n g c n der andcren Org~Ite

in d e n J a h r e n St~rdt L a n d S t a d t Lt|,[ll[

In , w, In . W. n l , %v. w.

1913 1914 1915 1916 1917 1918 1919 1920

14,91 15.22 15191 16,51 22,95 25,17 23,68 15,76

12,12 12,34 13,31 15,11 20,39 24,06 22,44 15,47

10.25 10147 10.84 11140 14,30 15,80 14,41 10,41

10,76 10,95 11,35 t2.62 15.39 17,17 15,80 12,19

2,26 2,14 2,22 2:5,~ 3,09 3,41 3,99 3,03

2,00 1,98 2,05 2,39 294 3,37 3,64 2,79

Ill.

1,09 1,08 1.03 1118 1,57 1,57 1,63 1,35

1,09 1,13 029 I~21 1,50 1,52 1,64 1,49

Page 4: Der Einfluß des Krieges und der Nachkriegszeit auf die Verbreitung der Hauttuberkulose

der Nachkriegszeit auf die Verbreitung der Haut~uberkulose. 157

Dureh den Krieg ]st aueh bier eine Vermehruug der Todesfalle eingetreten. Die Kurve dieser Aufw~rtsbewegung crfolgte abet anders als be] der Lungentuber- kulose, allm/~hlicher, erreiehte nicht eine entsprechende H6he, fiel aber auch 1920 nicht ~o rap]de. :Ira GesehtechterverhMtnis, das im Frieden ziemlich gleieh war, trat auch dutch den Krieg kcine wesentliche Versebiebung ein.

Die Sterblichkeit an Tuberkulose der Lungen sowie der anderen Organe war auf dem Lande schon im Fricden geringer als in der Stadt. In den Krisenzeiten hatte sie zwar zugenommen, aber nicht in dem Ma0e wie be] der sthdtisehen Be- vSlkerung; daftir blieb die Vermehrung aber etwas lhnger bcstehen.

Die Sterblichkeit an extrapulmona]er Tuberkulose ]st auf dem L~nde geringer a|s in den St/~dten. Durch den Krieg erfuhr sie eine Steigerung bis um 50%. Ihre hSchste Zahl erreichte sie ebenfalls 1 Jahr nach dem ItShepunkt der Lungen- tuberkulosesterbliehkeit, analog der extrapulmonalen Tuberkulosesterbliehkeit der s t~ischen BevSlkerung.

Die Griinde fiir die erhShte Tuberkulosesterblichkeit sind sehon oft besproehen worden. Ich will sie nur kurz restimieren: Der Kriegsdienst an sich scheint keine besonders hohen Tuberkuloseopfer ge- fordert zu haben. Die ersten Anzeicben Tabelle 6. Von HeeresangehSrigen starben einer Verschlechterung in der Tuber-

a n L u n g e n - a n T u b e r k u l o s c kulosesterblichkeit machten sieh 1915 tubcrkulose anderer Organc bemerkbar. Das war die Zeit, als beson- ders in den St~dten ein Fe~tmangel ein- 1914 97 l l trat. Der Winter ]916/17 zeiehnete sich 1915 1337 119 dutch besondere K/~|te aus. Zuse~mmen 1916 1827 t79 mit der inzwisehen sehr groB gewor- 1917 2752 259 denen Knappheit aller Lebensmittel 1918 3537 327 stellte er an die :BevSlkerung sehr groBe gesundheitliche Anforderungen, besonders die Frauen, die, zum Teil dtifftig gekleidet, sich stundenlang auf Lebensmittel anstellen mul]ten, waren in ihrem gesehw/~ehten Kr~ftezustand besonders anf~llig. Hinzu kam die Verwendung vieler Frauen in der Kriegsindustrie. Der Mangel an J~rzten und Pflegepersonai, Schlleflung der Heilanstalten ]iel]en, besonders in den St/~dten, die Tuberkulose reiche Ernte halten. Auf dem Lande war die Lebensmittelnot, besonders in dem Kohlriibenwln~r 1916/17, nieht so groI] wie in den S~dten. Andercrseits waren die allein gebliebeuen Frauen, die in Abwesenheit der M/anner alle landwirtsehaftliche Arbeit verriehten mul]ten, kSrperlieh ganz bes~)nders iiberanstrengt. So wird es ganz gut erkli~rlich, dub eine groBe Anzahl yon mittelsebweren und wohl alle sei~weren Tuberkuloseerkrankungen in diesen Jahren geh/~uft zum Tode fiihrten. Ein Tell der Lungentuberkul6sen ist in der Statistik nicht erfaBt, well sie der Grippe zum 0pfer fielen, die 1918 besonders wfitete. 1919, starker noch 1920, tra~ eine wesent- liche Besserung der Tuberkulosesterblichkeit ein. Auf dem Lande ging dieser Pro- zel] langsamer vor sieh. Die Kranken, die an extrapulmonaler Tuberkutose litten, sehienen den sch~dliehen Einfliissen des Krieges gegeniiber resistenter zu sein. Jedenfalls war der h6chste Punkt der ext.rapulmonalen Tuberkulosesterbliehkeit erst 1919 erreieht. In relativen Zahlen hat zwar die extrapulmonale Tuberkulose ebenf~lls eine sehr erhebliehe Verschlechterung dutch den Krieg gezeigt, in absoluten gahlen ]st dagegen die Steigerung nicht sehr erhcblich.

Das Anste igen der Tuberkulosesterbeziffer in der Inflat ionszeit , das auch einherging mi t einer Zunahme der Haut tuberku lSsen in der Kiln]k-

statist]k, erkli~rt sieh aus den sehlechten Lebensbedingungen dieser Per]ode. In fo lge ~[angel an Geldmi t te ln waren die Verpflegung wie auch die hygienischen Verhal tnisse in einem sehr schlechten Zustand.

Page 5: Der Einfluß des Krieges und der Nachkriegszeit auf die Verbreitung der Hauttuberkulose

158 K.G. Ledermnnn: J)er Einflufl des Krieges und

Obin den Krisenzeiten eine erhShte Infektionsgefahr bestand, m6ehte ich nicht entseheiden.

Tabelle 7. Zugd~ge an Lymphomata colli.

yon Patienten im / m. Alter yon 0--13 ~ w.

14--18 [ m. I w .

19 und darfiber ~ m. t W.

nile Altersklassen { w.m"

insgesamt

i913 ii917 {191S i

0 5 18 26 0 10 33 47

1 5 17 32 0 7 23 26 1 14 42 49 0 3l 107 106 2 I 24 77 107 0 I 48 i63 179 2 72 240 1286

in den Jahrel]

11919 11920 11921

16 6 8 8

5 1 3 2

10 s 6 19

31 13 30 18

I 61 ! 3 1

11922 J1923 1921

] 5 11 ! 2 8

1 4 2

6 l l 6 14

12 29 8 19

20 I 48

Die Todesf/ille an extrapulmonaler Tuberkulose habe ieh deswegen ausfiihrlicher gebracht, weil es sich ja bei der tIauttuberkulose ebenfalls um eine extrapulmonale Tuberkulose handelt. Wir miissen bei ihr die reine Hauttuberkulose yon den nut mittelbar zur I taut gehSrenden Organtuberkulosen trennen. Ffir diese Unterscheidung kommt vor allem die tuberkul6se Lymphdriisensehwellung in Betraeht. Patienten mit dieser Erkralrkung wiesen in den bier herangezogenen Jahren eine ungeheuer groge Frequenz auf. Fast ausschliel31ich handelt es sieh um Lymphomata colli. Sie k6nnen hervorgerufen werden dureh alimenti~re Infektion mit oder ohne Ver/inderungen der SehMmh/iute des Mundes und des Rachens, ferner dutch aerogene Infektion, wobei ebenf~lls die Sehleimhi~ute von Mund und Raehen das Durehgangsgebiet oder den Ursprungsherd darstellen, ferner durch retrograde Infektion yon den Lungen her, und schlieBlieh kSnnen gemisehte Ursprungsformen vor. kommen. Bei dem Ansehwellen der Lymphomerkrai~kungen ira Kriege mug man daran denken, ob nicht irgendwelche ungfinstigcn Einfliisse entweder irgendeine dieser Entstehungsarten begiinstigt oder frtihere latente Infektionen zum Manifestwerden gebracht haben. Die Statistik gibt uns nur einen bedingten Hinweis. hn Frieden kamen die Lymph0- mata colli wohl in jedem Lebensalter vor. Bevorzugt war aber un. bedingt das jugendliehe Alger. Im Gegensatz dazu finden sich in den Krisenjahren 1918/19 in dem Lymphommaterial nut etwa 20--30% Jugendhehe bis zu 13 Jahren, w/~hrend das Hauptkontingent die Er- wachsenen stellen. Bei diesen ist erfahrungsgem~g die Wahrseheinlich. keit geringer, dal~ ihre Drtisenherde durch aliment~re oder aerogen¢ Infektion entstehen. Man wird daher annehmen kSnnen, dab es sich bei den Kriegslymphomen mehr um ein Aufflackern alter Drfisenherde handelt, sei es dag die Halsdrtisen allein befallen waren, oder dal~ es sich

Page 6: Der Einfluß des Krieges und der Nachkriegszeit auf die Verbreitung der Hauttuberkulose

der l~-achkriegszeit auf die Verbreitung der Hauttuberkuloso. 159

um eine yon den Hilusdriisen ausgehende Tuberkulose handelt. Auf- fallend ist die stiirkere Beteiligung des weibliehen Gesehlechts.

Die auBerordentlich groBe Zahl yon Lymphomen, welche in der Klinik zur Beobachtung und zur Behandlung kamen, h~ugt zu einem nattirlich nieht genauer abzuschi~tzenden Tell damit zusammen, dab damals die RSntgenbehandhmg der Lymphome in weiterert Kreisen bekannt wurde, und daher das Strahleninstitut der Hautldinik damals ffir die sog. ,,skroful6sen" Krankhei ten besonders viel aufgesucht wurde; denn R6ntgenbehandlungsstellen waren ja zu jencr Zci$ noch viel spar- licher ats jetzt und auch andere Kliniken und Hospiti~ler schiekten viele solche Patienten in die Hautklinik. 1-)oeh wird dadurch natiirlieh gerade die Differenz, die sich in" der HKufigkeit der Lymphome bei Jugendliehen und bei Erwachsenen einstellte, nicht erkl~rt.

Tabelle 8. Zugange an Tuberculosi~ coUiquativa.

yon Patienten im j m. Alter yon 0--13 ~ w.

14--18 { m.w.

19 und daraber J m.

alle Altersklassen I w.m"

insgesamt

1913 { 1917

0 o 0

in dcn Jah r~n

1918 1919 1920 1921 1922

6 7 2 2 2 4

10

9 16

18 28

11 14

1 13 3i 25 49 74

30 50 80

7 13

20

10 19 29

1923 I 1924

2 1 4

6 5

.13 10 l0 8 23 18

Eng verbunden mit den Lymphomen ist in vielen Fgllen die Tuber- cuIosis colliquativa (Skrofuloderm). Wenn die Lymphome, wie es wohl oft geschieht, eingeschmolzen oder durchgebrochen sind, so sind diese Fhlle unter der Diagnose Tuberculosis eolliquativa geffihrt worden. Au/~erdem gibt es natfirlieh noch andere Formen yon colliquierender Hauttuberkulose.

Wenn also die Tuberculosis colliquativa yon den Lymphomen aus- geht, so ist es verst~ndlich, dab diese F£11e erst zu einem sp£teren Zeit- punkt die Klinik aufsuchten als die reinen Lymphomfi~lle. So zeigen die Jahre 1917 und 1918 noch keine wesentliche Steigerung, erst 1919 ver- vielfacht sich ihre Zahl. Dafiir h~tlt die erh6hte Frequenz auch l&ngere geit an als bei den Lymphomen. Die Tuberculosis colliquativa stellt eben einen schwerer zu beeinflussenden Krankheitsprozel~ dar, bei dem die Patienten oft nach vergeblichen Versuchen aul3erhalb schlieBlich doch, wenn auch mit Versp~tung, nach der Klinik gesehickt werden. Auf der anderen Seitc werden sie auch noeh in der Zeit , in welcher

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160 K. G. Ledermann: Der Einflu$ des Krieges und

die Lymphome schon vielfach auch an anderen Stellen behandelt wurden, als eigentliehe Hautkranke die Klinik aufgesueht haben.

Tabelle 9. Zug~nge an Lupus vulgaris + Tuberculosis verrucosa cutis.

yon Patienten im { Alter yon 0--13

14--18 {

19 und dartiber {

In.

,,, ,,,

alle Altersklassen { m.w.

insgesamt

in den Jahren

i 1918I 19191 19201 1921 I 1922t 19231 1921 ......

l 15 14 12 6 12 9 6 9 t 10 15 7 [ 11 14 4 7 9

24 I 28 23 46 t 51 38 43 48 43 59 68 62

102

1913 I 1917

10 5 11 15 10 9 9 I0 10 10

13 17 8 9 29 l 40 37 28 66 I 76 ~0 47 53 64 59 44 90 108 78 65

143 172 137 109

w. 12 16 m. 6 4 w. .q 13 m. 19 17 w. 36 64

35 26 I 57 931 92 119 116 105

Die Tuberculosis verrucosa cutis scheint durch den Krieg keine st/irkere Vermehrung erfahren zu haben. D~ sie zahlenmgi~ig keine sehr gr0Be Rolle spiclt, habe ieh sie mit dem Lupus zusammengezghlt. Sie entstehl racist ektogen (Auto- oder Heteroinfektion), viel seltener per eontigui. t a tem oder hiimatogen. Der Lupus kann auf allen 3 Wegen ents~ehen: fiber die HRufigkeit der einzelnen pathogenetischen Modi sind die kn- sichten noch sehr gctcilt. Es ist" sehr schwer zu beurteilen, ob fiir die eine oder die andcre Entwieklungsart der Krieg besonders ungOnstig gewirkt hat. Es bestitnde gewiB die MSglichkeit, dai3 dureh den Mangel an Seife usw. Schmierinfektionen aui~ergewShnlich hi~ufig vorgekommen seien; daffir gibt aber weder die Lokalisation der Erkrankungen noch das Infck- tionsalter einen best immten Anhalt. Gerade Kinder, die doeh am ehesten Sehmierinfektionen akquirieren, sind am wenigsten yon tier allgemeinen Steigerung der Hauttuberkulose betroffen. Die schlechten Ernghrungs- Bedingungen usw. kSnnen zur Vermehrung der Kont4guitgts- wie der hgmatogenen Fglle beigetragen haben.

Beim Lupus (einschlieiMich der Verrueosa) beginnt der erste Anstieg 1917. In den Jahren 1918 und 1919 erfolgt eine weitere Steigerung. Dabei ist zu beriieksichtigen, dal3 mehr als die HMfte unserer Lupuskranken (62%) yore Lande s tammt. Hier machten sich die ungiinstigen Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit nicht so raseh und sehwer geltend wie in der Stadt ; auch die allgemeine Tuberkulosesterblichkeit zeigt in den hier verwerteten Jahren im Breslauer Regierungsbezirk den gleichen Verlauf (s. o.). Ferner ist zu berficksiehtigen, dat] infolge der bei dieser KrarLkheit h~ufigen Indolenz die Patienten die Ktinik erst mehrere J~hre nach Beginn des Leidens aufsuchen. Es besteht also die )iSg. lichkeit, dal~ noch mehr Patienten als die St~tistik aufweist, infolge &r Kriegsfolgen eine Hauttubexkutose akquiriert haben.

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der Nachkriegszeit auf die Verbreitung der Itau~tuberkulose. 16]

Die Zugangszahlen an Hauttuberkulose werdeu auSerdem durch eine Anzahl Momente beeinfluSt, die man sehr schlecht zahlenm/~itig be- wcrten kann, die man aber doeh bertieksichtigen muB. Die wirtsehaft- lichc Lage in Deutschland war in der Inflationszeit so katastrophal, daI~ Lupusfalle einfach deswegen zu Hans bleiben mui~ten, well entweder die Patienten selbst oder die Kassen oder die damals noch nicht so ausgebauten Wohlfahrbs~mter nicht die geniigenden Mi~tel hatten, ihre Paticnten nach Breslau zu sehickeu. DatuMs war ja zeitweise sogar die Bahnfahrt eine komplizierte und umstiindtiche Angelegenheit. Erst mu/3te yon Amts wegen die Notwendigkeit der P~eise beseheinigt werden. Die Bahnverbindungen selbst waren unsieher. ~fan konnte unter Um- st/inden mehrere Tage fiir eine Strecke brauehen, fiir die man heute nut einige Stunden braueht.

Andererseits brachte das Kriegsende eine groSe Anzahl yon Xrzten wieder in ihr I-Ieimatsgebiet. Es ist nut zu natiirlich, da$ diese ~_rzte einen Tell der Lupuspatienten, die sonst nach Breslau gekommen w/iren, selbst in Behandlung nahmen.

Altersklasse~. Bei der Hauttuberkulose haben wir gezeigt, dal~ mit Ausnahme der

Tuberculosis verrucosa cutis am meisten die el~wachsenen ]~rauen yon der Steigerung betroffen warcn. Frauen sind j~ /iberhaupt mehr yon Hauttuberkulose befallen a]s JM/~nncr. Dies steht im Gegcnsatz zu der allgemeinen Tuberkulosesterblichkeit, fiir welche in Friedenszeiten das umgekehrte Verh~ltnis herrsch~e. In den schlechten Jatlren 1918--20 trat jedoch auch bier eine Umkehrung ein. Von den einzclneu Alters- klasscn ist die yon 20--30 J~hren absolut am meisten betroffen. Relati~ h~ben auch die anderen A]tersklassen erhebliche Zunahmen bis zu 100%. ]~ei der Hauttuberkulose war es uns nicht mSglich so dctailtierte Altersklassenunterschiede zu machen wie die Preui]isehe Statistik. Dafiir ist unser )fa~erial zu klein. Schd/er hat schon f,Eiher darauf hingewiesen, dai] dnrch die Kriegsverh~ltnisse keine erhebliche Steigerung der Kinder- hauttuberkulose eingetreten sei. Dasselbe konnten wir auch in den folgcnden Jahren beobachten.

Diese Erseheinung kann man vietleicht darauf zuriickfiihren, daf~ die geschw/~chten Kinder die tuberkulSse Infektion oder Reinfektion nicht iiberstehen, sondern an ihr zugrunde gehen; denn es tritt in der Gesamtstatist, ik eine erhShte Mortalit/it der Kinder yon 3--10 Jahren in Erscheinung.

Interessant ist as, die jetzige Zusammenstellung den Befunden Schae/ers (Strahlentherapie, Bd. 9) gegeniiberzustellen. Schae/er hat das Material nut bis zum Jahre 1918, also his Ende des Krieges gesammelt. Er berichtete fiber die enorme Steigcrung der gauttuberkulose. Aus der jetzigen Zusammenstelhmg ist zu ersehen, dab damals der HShepunkt

Archiv f. Dermatolo~ie u. Syphi l i s . Bd. 167. Ii

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noeh nicht erreicht war. Ich glaube sogar, dab wir auoh heute noch nioh~ i iber~hen kSnnen, wieviel F~lle yon Hauttuberkulose wir den Folgen des Krieges zuschreiben miissen. ~ b e r die Zunahme bls zum J~hre 1924 gib~ die Zeichnung ein anschauliches Bild.

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2~bb, I .

Aus diesen vergleichenden statis~ischen Untersuchungen geht hervor, wie schwer es ~uch ~uf diesem Gebiete ist, allgemeinere Schlfisse aus den ) 'requenzberechnungeu einer Klinik zu ziehen. Auf die Fehler. quellen gl~ube ich geniigend ~ufmerksam gemacht zu haben. Es ist abet unzweifelh~ft wichtig, trotz dieser Fehlerquellcn das Material, und zwar gerade im Zusammenh~ng mit der allgemeinen Tuberkulose-Verbreitung des der Untersuchung unterzogenen Bezirks immer wieder zusammen. zustellen. Auch aus dem Vergleich mit in gleicher WeJse bearbeiteten Statistiken ~nderer Kliniken wiirden sich vielleicht wichtige Schliisse ziehcn lassen.