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„Am Sonntag ist er Organist, am Montag fährt er seinen Mist – und wohnt in einem Häuslein klein – das arme Dorfschulmei- sterlein.“ Ach ja, die Schulmeister in alter Zeit, sie hatten es wahrlich nicht leicht: enge, überfüllte Schulstuben (mit oft über 70 Kindern!), miserable Arbeitsbedin- gungen, schlechte Wohnverhältnisse, dazu Küster- und Organistendienst („Eselsarbeit“ für „Zeisigfutter“!). Noch im Revolutionsjahr 1848 predigte der berühmte Professor Jakob Grimm den Volksschullehrern vor allem „Genügsamkeit und Demut“. Was sie vor allem brauchten, sei „Milch und Brot des Glaubens und Vaterlandsliebe“. Doch davon allein konnte ein Landschul- lehrer seine große Familie nicht ernähren. Fest steht: Die segensreiche Arbeit tüchtiger Schulmeister, die besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das kulturelle Leben in den kleinen Dörfern maßgeblich mitgestalteten, ist bisher in der Literatur nur wenig gewürdigt worden. Zu diesen herausragenden Lehrerpersön- lichkeiten „alten Schlages“ gehörte auch der Schreufaer Lehrer Conrad Liese. Er machte sich vor allem als Wetterfachmann und Heimatschriftsteller weit über die Grenzen des Frankenberger Landes hinaus einen Namen. Vieles spricht für die Annahme, dass dieser Landschullehrer tatsächlich der erste Pädagoge war, der in Deutschland schon 1902 praktische Wetterkunde im Unterricht betrieb. Seine gesammelten Erfahrungen ver- öffentlichte er 1912 in einer Schrift mit dem Der „Wettermacher“ aus Schreufa Lehrer Conrad Liese (1881 – 1951), eine unvergessene Persönlichkeit Von Karl-Heinz Hartmann Conrad Liese (1881 – 1951), ein Land- lehrer von echtem Schrot und Korn. Vorn auf dem Lehrerpult liegt griffbereit das Schlehendornstöck- chen, „...um auf dem Hosenboden der Jun- gen herumzutanzen und sie zu tüchtigen Menschen zu erzie- hen“, wie Liese ein- mal in sein Tagebuch schrieb. Eine Auf- nahme aus dem Jahr 1939. (Foto: pr)

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Page 1: Der „Wettermacher“ aus Schreufa€¦ · 1902 praktische Wetterkunde im Unterricht betrieb. Seine gesammelten Erfahrungen ver-öffentlichte er 1912 in einer Schrift mit dem Der

„Am Sonntag ist er Organist, am Montag fährt er seinen Mist – und wohnt in einem Häuslein klein – das arme Dorfschulmei-sterlein.“ Ach ja, die Schulmeister in alter Zeit, sie hatten es wahrlich nicht leicht: enge, überfüllte Schulstuben (mit oft über 70 Kindern!), miserable Arbeitsbedin-gungen, schlechte Wohnverhältnisse, dazu Küster- und Organistendienst („Eselsarbeit“ für „Zeisigfutter“!).

Noch im Revolutionsjahr 1848 predigte der berühmte Professor Jakob Grimm den Volksschullehrern vor allem „Genügsamkeit und Demut“. Was sie vor allem brauchten, sei „Milch und Brot des Glaubens und Vaterlandsliebe“.

Doch davon allein konnte ein Landschul-lehrer seine große Familie nicht ernähren.

Fest steht: Die segensreiche Arbeit tüchtiger Schulmeister, die besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das kulturelle Leben in den kleinen Dörfern maßgeblich mitgestalteten, ist bisher in der Literatur nur wenig gewürdigt worden.

Zu diesen herausragenden Lehrerpersön-lichkeiten „alten Schlages“ gehörte auch der Schreufaer Lehrer Conrad Liese. Er machte sich vor allem als Wetterfachmann und Heimatschriftsteller weit über die Grenzen des Frankenberger Landes hinaus einen Namen. Vieles spricht für die Annahme, dass dieser Landschullehrer tatsächlich der erste Pädagoge war, der in Deutschland schon 1902 praktische Wetterkunde im Unterricht betrieb. Seine gesammelten Erfahrungen ver-öffentlichte er 1912 in einer Schrift mit dem

Der „Wettermacher“ aus SchreufaLehrer Conrad Liese (1881 – 1951), eine unvergessene Persönlichkeit

Von Karl-Heinz Hartmann

Conrad Liese (1881 – 1951), ein Land-lehrer von echtem Schrot und Korn. Vorn auf dem Lehrerpult liegt griffbereit das Schlehendornstöck-chen, „...um auf dem Hosenboden der Jun-gen herumzutanzen und sie zu tüchtigen Menschen zu erzie-hen“, wie Liese ein-mal in sein Tagebuch schrieb. Eine Auf-nahme aus dem Jahr 1939. (Foto: pr)

Page 2: Der „Wettermacher“ aus Schreufa€¦ · 1902 praktische Wetterkunde im Unterricht betrieb. Seine gesammelten Erfahrungen ver-öffentlichte er 1912 in einer Schrift mit dem Der

Titel: „Die Wetterkunde in der Volksschule und die seither gemachten Erfahrungen“.

„Gemeingut des Volkes“

Für diesen Lehrer stand fest: „Die Wet-terkunde muss Gemeingut des Volkes wer-den, und das kann sie nur werden durch die Volksschule.“ Für die täglichen Wetterbe-obachtungen schlug er vor, an Schulhöfen ein Maximum-Minimum-Thermometer und „Lambrecht’s Wettertelegraphen“ anzu-bringen, „weil dieser lehrreich ist und das Interesse der Schüler für die Wetterkunde im höchsten Grade zu fördert“.

Um sich in der Meteorologie ständig fort-zubilden, stand er in Verbindung mit füh-renden deutschen Wetterwarten, hielt sich

Fachzeitschriften und publizierte selbst eine Vielzahl von Artikeln in der von Professor Dr. Richard Assmann geleiteten Monats-schrift „Das Wetter“. Assmann war Direktor des Königlich-Preußischen Aeronautischen Observatoriums in Lindenberg bei Berlin, an dem auch der berühmte Polarforscher und Meteorologe Alfred Wegener (1880 – 1931) einst Assistent war. Mit diesem berühmten Entdecker der Kontinentalver-schiebungstheorie stand auch der Schreu-faer Schulmeis ter 1916/17 in wissenschaft-lichem Austausch.

Mit Fug und Recht kann man behaup-ten: Lehrer Liese, der „Wettermacher von Schreufa“ (so wurde er damals genannt), war in den 20er und 30er Jahren des vori-gen Jahrhunderts für die Frankenberger Region das, was heute der populäre „TV-Wetterfrosch“ und Chefmeteorologe Jörg Kachelmann für Deutschland und die Schweiz ist.

Sohn eines Landwirts

Als Sohn eines Landwirts wurde Conrad Liese am 1. Mai 1881 in Großroppershau-sen bei Ziegenhain geboren und wuchs auf dem elterlichen Hof auf. Schon in seinen ersten Schuljahren faszinierten ihn wetter-kundliche Erscheinungen. Mit zehn Jahren wusste er bereits, wann der Himmel seine Schleusen öffnen werde und ob man sich beim Heueinfahren beeilen müsse. In einem Interview mit der „Kasseler Post“ (5./6. 8. 1950) erinnert er sich:

„Bei uns zu Hause war es üblich, dass zur Erntezeit Waffeln gebacken wurden. Ich aber hatte die Aufgabe, das Waffeleisen zu wenden, sobald die eine Seite gar war. Und dabei machte ich folgende Beobachtung: Bildeten sich auf der nach oben zum Kamin gekehrten rußigen Seite Fünkchen – meine Mutter sagte immer: Guck’, die Gendarmen marschieren … – dann stand es für mich hundertprozentig fest, dass ein Unwetter bevorstand. Mehr als einmal haben in der Tat die ,Gendarmen’ ihre Bewährungsprobe

Alfred Wegener (1880–1930), Polarforscher, von 1917–1919 Professor für Astronomie und Mete-orologie in Marburg/Lahn. Dieser bedeutende Geophysiker (Entdecker der Verschiebungstheo-rie der Kontinente), stützte sich in seiner um 1917 erschienenen Schrift „Das detonierende Meteor“ u. a. auf die Beobachtungen des Schreufaer Leh-rers Conrad Liese, der schon 1916 in der Fachzeit-schrift „Das Wetter“ ausführlich darüber berichtet hatte. (Foto: pr)

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bestanden. Es ist sogar vorgekommen, dass dem Vater das Heu vom Wagen gerissen wurde.“

Die Beschäftigung mit Sonne und Sturm, Wind und Wolken, Blitz und Donner wur-den für den jungen Hobbymeteorologen zu einer Leidenschaft, die ihn zeitlebens nicht mehr losließ.

Als angehender Lehrer erwarb er sich auf dem Königlichen Schullehrerseminar in Homberg/Efze und durch intensive Privat-studien gediegene Grundlagen für eine wis-senschaftlich fundierte Wettervorhersage. Von seinem karg bemessenen Lohn kaufte er sich moderne Messinstrumente (Barograph, Thermograph, Hygrometer, Regenmesser usw.) und richtete sich eine private Wetter-station ein. Jeder für das Wetter relevante Messwert wurde täglich exakt protokolliert.

Wetterbücher bis zum Tod

Bis zu seinem Lebensende (1951) führte Liese Wetterbücher, die zum Teil erhalten sind. Sie sind nicht nur eine unerschöpfliche Fundgrube für das Wettergeschehen ver-gangener Zeiten, sondern enthalten darüber hinaus eine Vielzahl naturkundlicher Beo-bachtungen und Besonderheiten aller Art. So erfährt man auch Kuriosa aller Art wie z. B., dass in Frankenberg und Umgebung am 13., 14. und 15. Dezember 1916 und am 15. Januar 1917 der Kanonendonner von dem 330 Kilometer entfernten Verdun (ver-heerende Materialschlacht!) deutlich hörbar war („allgemeines Rollen, verstärkt durch schwere Schläge“), was von den aus dem Felde in den Urlaub zurückgekehrten Solda-ten bestätigt wurde.

Das dickleibige Schreufaer Wetterbuch (1919 bis 1933), eine wahre Fundgrube für Meteorologen, ist kürzlich wieder aufge-taucht und lässt keine Antworten offen: Wie hoch war die Niederschlagsmenge am 24. Juli 1920? Wir lesen: 40,9 Liter innerhalb von 24 Stunden auf einen Quadratmeter. Auf wie viel Grad Celsius kletterte das Ther-mometer an den heißesten Sommertagen?

Antwort: Am 24. Mai 1922 waren es 34 Grad im Schatten; das Temperaturmittel für diesen Monat lag bei 13,6 Grad. Und wie sah es im Kältewinter 1923 in Schreufa aus? Ende Dezember sanken die Temperaturen innerhalb weniger Tage plötzlich auf minus 30 Grad ab (Silvester!). Nun wird einem klar, warum man von „Hessisch-Sibirien“ spricht.

Neben der Eintragung gewöhnlicher und außergewöhnlicher Wetterereignisse enthält dieses meteorologische Journal viele Noti-zen zum jahreszeitlichen Wandel in der Natur. Hier nur einige Beispiele: Veilchen blühen (13. 3. 1926), Stare haben Junge (13. 3. 1919), Schlehdorn blüht (26. 3. 1925), Schwalben angekommen (10. 4. 1933), Apfelbäume blühen (1. 5. 1920), Flachs gesät (4. 5. 1922), erste Kuckucksrufe (8. 5. 1919), Kirschbäume blühen (10. 5. 1919), Heuernte beendet (3. 7. 1926), Heidelbee-ren und Johannisbeeren reif (14. 7. 1919), letztes Korn ab (11. 8. 1924), Grummet gemacht (4. 9. 1923), Kartoffelernte beginnt

Eine stark verkleinerte Seite aus dem Schreufaer Wetterbuch (1919–1933). Januar 1925: Höchste und niedrigs te Temperatur, Niederschlag, Luft-druck, Wind und Bewölkung, Mondphasen, Pla-netenstand. (Repro: Hartmann)

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(20. 9. 1919), Schneegänse durch (18. 10. 1933), Schwein geschlachtet (6. 11. 1923), Jauche gefahren (11. 12. 1929), Glatteis (31. 1. 1933).

Aber auch andere Vorkommnisse aus der nahen und fernen Welt sind für Lehrer Liese buchenswert: Radio gekauft (22. 9. 1924), Zeppelin-Probefahrt (24. 9. 1924), Erdbe-ben im Balkan (14. 2. 1927), Ätna speit aus (12. 11. 1928), Nuhnehochwasser (22. 12. 1925).

Jeder Sternschnuppenfall wird sorgfältig registriert, so auch der in der Nacht zum 10. Oktober 1933. Diesmal kam er aus dem Sternbild des Drachen. In der Ober-hessischen Zeitung (Marburg, 17. 10. 1933) vermutete man einen Kometen als Ursache, und man fragt sich bang: „Was wird nun die Zukunft bringen?“ Es war das Jahr der Macht ergreifung Adolf Hitlers.

Ab 1913 Lehrer in Schreufa

Ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg (1913) kam der damals 32-jährige Lehrer nach Schreufa und übernahm die einklassige Schule mit etwa 50 bis 60 Kindern. Vorher

war er an den Landschulen in Heßlar und Unterrieden tätig. In dem Nuhnedörfchen errichtete er auf dem Schulgelände seine „Private Wetterwarte“ und gründete den ersten Wetterdienst im heutigen Landkreis Waldeck-Frankenberg.

Über 40 Jahre stand der Hobbymeteoro-loge in engem Erfahrungsaustausch mit füh-renden deutschen Wissenschaftlern. Sogar Alfred Wegener, der Vater der modernen Geologie, berief sich in seinem 1917 in Marburg erschienenen Buch „Das deto-nierende Meteor vom 3. April 1916, 31/2 Uhr nachmittags in Kurhessen“ auf einen von Lehrer Liese in Berlin veröffentlichten Artikel „Ein Meteorfall am 3. April 1916 in Hessen“: „Am 3. April, nachmittags 1/24 Uhr, wurde in der hiesigen Gegend nach-stehende interessante Erscheinung beo-bachtet. Bei gänzlich wolkenlosem Himmel vernahm man plötzlich einen Donner wie bei einem Nahgewitter. Der Donner war aber doch insofern anders, als er dem Sur-ren eines herannahenden Fliegers ähnelte, also langsam an Stärke zunahm und dann wieder allmählich abnahm. Natürlich dachte jeder sofort an einen bombenwer-

Abbildung des am 3. April 1916 niedergegangenen und bei Treysa gefundenen 63 Kilo schweren Eisen-Nickel-Meteoriten. Im Mineralogischen Mu seum der Universität Marburg kann man ihn heute noch bestaunen. Die Oberfläche wurde beim Durchgang durch die Erdatmosphäre unregelmä-ßig geformt und schwarz oxydiert. Die Eindringtiefe in den Buntsandsteinbo-den betrug 1,60 Meter. Als leuchtende Feuerkugel war dieser „Bote aus einer fernen Welt“ nachmittags plötzlich am blauen Himmel weithin sichtbar. Leh-rer Liese war Augen- und Ohrenzeuge dieses spektakulären Himmelsereig-nisses. (Repro: Hartmann)

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fenden Flieger. Zufällig befand ich mich auf offenem Felde und konnte also die ganze Erscheinung besonders schön beobachten. Nach erfolgtem Donner beobachtete ich in 450° Abfall vom Scheitelpunkt am östlichen Himmel in der Höhe der Zirrus-Region eine Dampfwolke, welche an einem bestimmten Punkte des Himmels ihren Anfang und auch ihr Ende hatte und zickzackförmig war. Die Farbe war weiß, und nach zehn Minuten ungefähr verging sie. Die Windrichtung

war SE, Barometer fallend, in der Baro-graphenkurve [Luftdruck] ist keine Störung zu erkennen, Temperatur 190°. Es kann sich meiner Ansicht nur um ein Meteor [Leuch-terscheinung beim Eintritt eines Meteoriten in die Erdatmosphäre] handeln.“

Liese berichtet in diesem umfangreichen Artikel auch über die Beobachtungen in anderen Orten der Region:

„In Bad Wildungen vernahm man ein donnerähnliches Geräusch, aus der Luft

Lehrer Conrad Liese mit seinen 56 Schülerinnen und Schülern. Aufnahme Ostern 1936. Viele ältere Schülerinnen tragen eine weiße Bluse mit schwarzem Schlips (zusammengerolltes Dreiecktuch), der durch einen Lederknoten zusammengehalten wurde, ferner eine hellbraune Velveton-Jacke („Kletterwe-ste“) und einen dunklen Rock. Die Schüler der oberen Jahrgänge waren mit Braunhemd (Brusttaschen mit Lederknöpfen), schwarzem Halstuch im braunen Lederknoten, Schulterriemen, Koppel mit Kop-pelschloss (Hoheitsadler und Hakenkreuz) paramilitärisch ausstaffiert. Marianne Scholz (Naumann), Maria Groß (Taeger), Katharina Ante (Fritsch), Emma Bemfert (Czeczatka), Karl Fleck, Wilhelm Ochse, Heinz Bring, Karl Groß. Willi Müller, Fritz Giebel, Maria Müller, Maria Möller (Ruhland), Katharina Vesper (Küchemann), Wilhelm Bring, Maria Fenroth (Rülke), Auguste Müller (Schäfer), Anna Ochse (Jost), Heinrich Greese, Fritz Greese, Karoline Schmidt (Emde), Wilhelm Giebel, Maria Muth (Eckel), Lehrer Conrad Liese, Minna Seibel (Poberschin), Hans Vesper, Katharina Giebel (Schilke), Heinrich Fleck, Hans Bring, Ernst Möller, Heinrich Fleck, Heinz Müller, Katharina Muth (Schmidt), Elisabeth Giebel (Ludwig), Luise Seibel (Lessing), Else Greese (Münter), Maria Fleck (Kratzert), Helene Fenroth (Eckert), Elisabeth Müller (Noll), Heinz Bemfert, Wilhelm Schmidt, Adam Greese, Hilde Vesper (Isgen), Hans Knatz, Maria Vesper (Schmidt), Wilhelm Werner, Wilhelm Lessing, Lissy Bring (Beil), Lieselotte Reuter (Geisser), Käthe Müller (Greese), Erika Fleck (Müller), Maria Schmidt (Seip), Heinrich Giebel, Fritz Isgen, Adam Müller, Kurt Ante, Fritz Schmidt. (Repro: Hartmann)

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kommend, das Beunruhigung unter der Bevölkerung hervorrief; in Gemünden hatte man einen donnerähnlichen Schlag wie von einer starken Explosion gehört. Auf den Schlag folgte ein erschütterndes anhaltendes Rollen, wie wenn ein schweres Auto oder ein Flugzeug in nächster Nähe vorüberzieht. Von Corbach wird berichtet: Gestern ging über unsere Gegend um 3.25 Uhr nach-mittags ein großes Meteor mit blendend sonnenhaftem Lichte hin, einen langen Dampfstreifen hinter sich lassend, der sich allmählich in einer geschlängelten Wolke auflöste, deren Spur noch eine gute Stun-de lang am Himmel scheinbar unbeweglich sichtbar blieb. Etwa zwei Minuten nach dem Auftauchen des Meteors erfolgte ein lang andauernder ferner Donner.“

Nun begann eine fieberhafte Suche nach diesem niedergegangenen Himmelskörper, der später als „Deutschlands größter Mete-orit, dessen Sturz beobachtet wurde“ sogar in das Guinness-Buch der Rekorde eingehen sollte. Über das Auffinden dieses Meteoriten berichtet Conrad Liese in der Monatszeit-schrift „Das Wetter“ (August/September 1917).

„Dieser Meteorit wurde im Wald bei Rom-mershausen, nicht weit vom Eisenbahnkno-tenpunkt Treysa, gefunden. Er lag 11/2 m tief in der Erde und wog 125 Pfd. Seine Gestalt war unregelmäßig und kantig. Wissenschaft-lich bearbeitet diesen Meteorfall Herr Pro-fessor Alfred Wegener, z. Zt. Hauptmann auf einer Feldwetterstation, durch dessen Bahn-berechnungen der Einschlagsort ermittelt und dessen Auffindung ermöglicht worden ist.“

Mit diesem berühmten Wissenschaftler stand der Schreufaer Lehrer in Verbindung, und auch seine in Zwesten vorgenommenen Beobachtungen und Recherchen finden sich in dem 1917 erschienenen Wegener-Buch. Darin heißt es:

„Dort war der Donnerschlag furchtbar nahe [11 km nördlich von der Fundstelle bei Treysa entfernt], und es war kurz darauf über all gelber Staubrauch im ganzen Ort

und seiner Umgebung zu beobachten. Das war mir ganz neu, und es ist nicht ausge-schlossen, dass irgendein Stück des Meteors in die dortige Gegend abgeflogen ist. Oder sollte sich die vom Meteor hinterlassene Rauchwolke dort niedergelassen haben?“

Dieser Bote aus einer fernen Welt faszi-niert auch heute noch die Menschen und kann im „Mineralogischen Museum der Phi-lipps-Universität Marburg“ (Firmaneiplatz, neben der Elisabethkirche) bestaunt werden.

Dämmerschoppen und Rundgang

Woran erinnern sich heute noch die nun mittlerweile hochbetagten Schüler und Schülerinnen dieses Dorfschullehrers? Eine Gesprächsrunde im Schreufaer Gasthaus „Zur Mühle“, in dem Lehrer Liese früher sei-nen Dämmerschoppen zu sich zu nehmen pflegte, bevor er seinen obligatorischen Dorfrundgang machte ergab folgendes Bild: Alle seine ehemaligen Zöglinge bestätigten, dieser Lehrer habe durch seine vielseitigen Interessen das kulturelle Leben ganz ent-scheidend mitgeprägt und der ländlichen Bevölkerung durch seine verlässlichen Wet-tervoraussagen gute Dienste geleistet.

Von seiner umfangreichen publizistischen Tätigkeit als Wetterfachmann und Hei-matschriftsteller („Das Wetter“, „Franken-berger Zeitung“, „Kasseler Post“ und „Kas-seler Sonntagsblatt“) war niemandem etwas bekannt. Alle bestätigten, dessen Hauptin-teresse habe vor allem der Natur und dem Himmel mit „Wolken, Luft und Winden“ gegolten. Er habe seine Schüler angeleitet, die vielfältigsten Naturerscheinungen zu entdecken und immer genau hinzusehen.

Zuverlässige „Messjungen“

Erziehung zur Gewissenhaftigkeit und zu selbständigem Handeln war ihm wichtig, wobei das eigene Erleben stets im Vorder-grund stand. So hatten zum Beispiel die älteren Schüler ihr eigenes Beet im einge-zäunten (und verschlossenen!) Schulgarten

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unter der Aufsicht des Lehrers zu bestellen. Für den täglichen „Wetterdienst“ wählte er zwei zuverlässige Jungen (nie Mädchen!) aus. Es waren seine „Messjungen“ (nicht zu verwechseln mit den „Messdienern“ in der katholischen Kirche!). Sie hatten die Auf-gabe, die abgelesenen meteorologischen Mess daten zu protokollieren.

In den dreißiger Jahren stand ein Rund-funkgerät im Schulsaal. Um die Mittagszeit wurde es zu den Wetternachrichten ein-geschaltet. Die bekannt gegebenen Tem-peraturen mussten anschließend auf einer Deutschlandkarte (Tafel) eingetragen wer-den, zum Beispiel Kehl 190°, Wesel 170°. Jeder ältere Schüler hatte die Karte vom Ver-lauf des Rheines (und seinen Nebenflüssen) im Kopf und konnte mühelos eine Skizze mit den wichtigsten Städten anfertigen. Manch-mal gab Lehrer Liese den Schülern mündlich eine Anweisung mit auf den Heimweg: „Sagt euren Eltern, es gäbe heute Nachmittag noch Regen. Sie sollen ja das Heu einfahren.“

Vater von sechs Kindern

Dieser Lehrer, so bestätigten es einhellig seine ehemaligen Schüler, war sehr fleißig und rastlos tätig. Er hatte selbst sechs Kin-der (ein Sohn starb zehnjährig), die in dem kleinen Schulhaus aufwuchsen. Nie habe er ihres Wissens in den Ferien Reisen unter-nommen, nie Urlaub im heutigen Sinne gemacht.

Neben seiner Tätigkeit als Lehrer, Organist (Orgelsachverständiger im Ersten Weltkrieg), Lektor und Dirigent des Gesangvereins baute er gern mit den Schülern Drachen und Flugzeugmodelle (Es gab Drachenfes te!). Besonders in der Weihnachtszeit veranstal-tete er große Feste im „Schultze’schen Saal“ (die Lehrersfrau schneiderte die Kostüme für Theateraufführungen), gab vereinzelt Musikunterricht (Klavier, Geige), betrieb eine kleine Landwirtschaft (zwei Kühe, zwei Schweine, Federvieh), hatte zahme Tiere, einen Raben Jakob, der gern (auf dem Schul-hof) in weibliche Waden pickte, eine Elster,

ein Eichhörnchen, das sich in einer Trom-mel Bewegung verschaffte, usw. Zeitweilig betätigte er sich auch als Imker oder setzte in Schreufa Weinbergschnecken aus (die

„Frankenberger Tabak“. Lehrer Liese war lei-denschaftlicher Zigarren- und Pfeifenraucher. Als nach 1914 die Einfuhr ausländischer Tabake fast eingestellt wurde, züchtete er von ameri-kanischem Havanna-Tabak den so genannten „Frankenberger Tabak“ und verfeinerte diesen mit getrocknetem Waldmeister und Rosenblättern. Den Samen zu den nächstjährigen Pflanzen zog er selbst heran. Über den „Tabakbau im Kreise Frankenberg“ erschien von ihm am 20. Novem-ber 1917 ein langer Artikel in der „Frankenberger Zeitung“. Auch in Zwesten hatte er seine eigene „Tabak-Plantage“ im Garten. Im Hintergrund die „Havanna“-Tabakpflanzen mit ziemlich dicken und kräftigen Blättern. Das Bild entstand in Zwes-ten nach dem Zweiten Weltkrieg. (Foto: pr)

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es vorher dort nicht gab und die sich dann munter vermehrten) und betrieb eine Maul-beerbaumzucht (für die Seidenproduktion im Zweiten Weltkrieg, Fallschirme!).

Tabakanbau in der Heimat

Doch damit nicht genug. Als nach 1914 die Einfuhr ausländischer Tabake fast ein-gestellt wurde, züchtete er von amerika-nischem Havanna-Tabak den so genann-ten „Frankenberger Tabak“ und verfeinerte diesen mit getrocknetem Waldmeister und Rosenblättern. Den Samen für die nächstjäh-rigen Pflanzen zog er selbst heran. Über den „Tabakbau im Kreise Frankenberg“ erschien am 20. November ein langer Artikel von ihm in der „Frankenberger Zeitung“. Kurz: Wie und wo und was es sei, Lehrer Liese war dabei.

War er ein strenger Lehrer? Oh ja! Man hatte Respekt vor ihm, und das kleine Schleh-dornstöckchen lag immer griffbereit auf dem Pult, um – wie der Pädagoge selbst einmal schrieb – „auf dem Hosenboden unserer hessischen Jungen herumzutanzen und sie zu tüchtigen Menschen zu erziehen“.

Er hatte aber auch Sinn für Humor und Poesie und dichtete einmal in Anlehnung an Goethe: „Kennst du das Land, wo weiß die Schlehen blühen?“ – Dorthin, o Vater, lass mich ziehn“. Erklärung: Sein Schwiegervater Möller hat es ihm nie verziehen, dass er des-sen Tochter Ernestine in diese raue „Schlenn-gegend“ (Schreufa!) „entführt“ habe.

An der Viermünder Straße baute er sich für seinen Ruhestand ein schönes Haus (heute Bangert). Und dann traf ihn ein Schicksals-schlag, der alle seine Zukunftspläne zunich-te machte. Seine im Dorf überaus beliebte

Erinnerungen an die Schulzeit in Schreufa. Im Gasthaus „Zur Mühle“, der Stammkneipe des Lehrers Conrad Liese, trafen sich seine ehemaligen Schülerinnen und Schüler, um Erinnerungen an ihre Schul-zeit auszutauschen. Von links: Fritz Baumann, Wilhelm Lessing, Werner Schmidt, Maria Schmidt (geb. Vesper), Elisabeth Böhle (geb. Fuhr). (Foto: K.-H. Hartmann)

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Frau Ernstine starb nach längerer Krankheit im Alter von 54 Jahren.

Ab 1941 in Zwesten

Knapp zwei Jahre später heiratete er Mar-garete Süße aus Zwesten, hatte mit ihr eine Tochter (Margarete) und verließ das Dorf Schreufa, in dem er fast 30 Jahre segens-reich gewirkt und geschrieben hatte. Er zog 1941/42 nach Zwesten, der Heimat seiner zweiten Frau, wurde Lehrer in Römersberg und Zwesten. 1947 ging er in den wohlver-dienten Ruhestand, widmete sich ganz sei-nen Lieblingsbeschäftigungen, der Wetter-kunde und Heimatschriftstellerei.

Auch als Pensionär sagte er den Zwes-tenern (besonders zur Erntezeit) das Wetter voraus und mit welchen Launen Petrus’ zu rechnen sei. An der Schule hing eine große schwarze Tafel, auf der interessierte Bür-ger jeden Morgen die Wetterlage ablesen konnten. Selbstverständlich wurde auch das geliebte Wetterbuch gewissenhaft weiterge-führt. Nach Vollendung seines 70. Lebens-jahres sollte dem Ruheständler allerdings nur noch eine kurze Lebenszeit beschieden sein. Wenige Tage vor seinem plötzlichen Tod (Herzschlag am 26.8.1951) schrieb er für die „Kasseler Post“ eine Kurzgeschich-te, betitelt „Das missratene Pilzessen“. Ob er seinen Tod vorausgeahnt hat? Vielleicht. Jedenfalls steht auf dem letzten Manuskript neben seinem Namenszug in großen deut-lichen Buchstaben das Wort „Schluß“.

Eine große Trauergemeinde geleitetete den verdienstvollen Schulmann zu Grabe. Vierzehn Enkel verloren ihren Großvater. Pfarrer Rohde ließ in seiner Traueransprache noch einmal dessen Lebensweg vorüberzie-hen und dankte ihm für all sein treues Wir-ken in Schule, Gemeinde und Kirche.

In Schreufa lebendig geblieben

Wie hieß es doch eingangs in dem alten Spottlied über die Dorfschulmeister? „Er wohnt in einem Häuslein klein . . .; am Sonn-

tag ist er Organist, am Montag fährt er seinen Mist . . .“. Stimmt. Aber – da war doch wohl noch etwas mehr!

Übrigens: Seit nahezu 100 Jahren wird in Schreufa immer noch täglich das Wetter beobachtet. Die ermittelten Werte werden an die zuständigen Stel- len des Deutschen Wetteramtes weiterge- leitet.

Fortgesetzt wurde die von Lehrer Liese begonnene Tradition von seinem Schü-ler (und ehemaligen „Messjungen“) Fritz Werner (später Lehrer in Schreufa und Fran-kenberg) und seit 1997 von dessen Schüle-rin Elsbeth Ante, die nun die Messdaten an das Deutsche Wetteramt nach Offenbach/Main schickt. Wie heißt es doch so schön am Schluss eines bekannten und hier nur leicht abgewandelten Fontane-Gedichtes: So spendet Segen noch immer die Hand – des Lehrers Liese im „Schlehenland“.

Quellen:

Ungedruckte Quellen: 20 Jahre (1914 – 1933) Wetterbeobachtung in Schreufa. Von Conrad Liese, Lehrer in Schreufa. Hier: 1919 – 1933.

Gedruckte Quellen:

Das Wetter. Monatszeitschrift für Witterungskun-de. Mit Unterstützung des Königlich Preußischen Meteorologischen Instituts, herausgegeben von Professor Dr. med. et phil. Richard Assmann. Verlag Otto Salle in Berlin. Hefte 1914 – 1917. In dieser Schrift erschienen regelmäßig Conrad Lieses Artikel.

Die Wetterkunde in der Volksschule und die seit-her gemachten Erfahrungen. Zum Teil in Lekti-onsform von C. Liese, Lehrer. Druck und Verlag von Chr. Trautvetter, Witzenhausen (1912)

Conrad Liese: Des Landmanns kleiner Wetterbe-rater für das Jahr 1915. Buchdruckerei von WIL-HELM BING, Corbach.

„Kasseler Post“ (5./6. August 1950). Ausgabe für die Kreise Fritzlar, Homberg, Ziegenhain, Mel-sungen.

„Frankenberger Zeitung“ vom 20. 11. 1917.

Alfred Wegener: Das detonierende Meteor vom 3. April 1916, nachmittags, in Kurhessen. Mar-burg an der Lahn. N.G. Elwert’sche Verlagsbuch-handlung (G. Braun). 1917.