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Nr. 424

Das Joch der Fremden

Der Aufstand gegen die Scuddamoren

von Horst Hoffmann

Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen.

Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu­kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird.

Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge­meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde.

Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei­ter. Während Atlan in Gefangenschaft weilt und die Scuddamoren von Cyrsic sich eingehend für Atlans Zellaktivator interessieren, ist Pthor längst von einer Flotte Chirmor Flogs besetzt worden.

Trotz der Übermacht der Scuddamoren kommt es auf dem fliegenden Kontinent aber immer wieder zu Aufständen. Eine Anzahl von Pthorern wehrt sich erbittert ge­gen DAS JOCH DER FREMDEN …

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3 Das Joch der Fremden

Die Hautpersonen des Romans:Koy, Kolphyr, Axton und Fenrir - Die vier ungleichen Wesen schlagen sich zur Barriere von Othdurch.Sator Synk - Der Orxeyaner führt einen Privatkrieg gegen die Scuddamoren.Diglfonk - Sator Synks Robotdiener.Atzbäll - Neuer Kommandant von Pthor.Zambor Hirto - Ein Pirat.

1. Stationen des Niedergangs – Orxeya

Sator Synk sah, wie die Scuddamoren, aus einer Gasse kommend, auf den Marktplatz marschierten. Es waren fünf. Die Nachricht vom Eintreffen der dreißig Fremden, die wie Ausgeburten der Hölle wirkten, hatte sich wie ein Lauffeuer in ganz Orxeya ausgebrei­tet. Synk wußte auch, daß sie gekommen waren, um die Stadt nach Aufständischen und Personen, die noch mit Atlan sympathi­sierten, zu durchkämmen. Drei Frauen und ein Mann, die ihnen beim Durchsuchen ihrer Häuser Widerstand geleistet hatten, waren bereits festgenommen und ausgerechnet ins »Goldene Yassel«, Synks Stammkneipe, verfrachtet worden. Jetzt trennten sich die Invasoren und gingen in verschiedene Rich­tungen. Einer kam genau auf Synks Haus zu. Synk stand hinter einem der kleinen Fenster und überlegte, wie er sich verhalten sollte. Auf keinen Fall wollte er klein beigeben und sein Haus durchsuchen lassen. Aber wenn er sich wehrte, war er automatisch verdächtig. Synk brauchte nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wer bei einer Auseinanderset­zung mit den schattenhaften Wesen den kür­zeren zog. Er mußte eine Möglichkeit fin­den, ungesehen zu entkommen. Das Haus hatte keinen zweiten Ausgang. Also mußten die Scuddamoren abgelenkt werden. Aber wie? Derjenige, der sich Synks Haus näher­te, hatte ihn bereits erblickt. Sator Synk kam ein genialer Gedanke.

Jawohl! dachte er, so werde ich's machen und gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Er würde Diglfonk loswerden und dem

Zugriff der Besatzer entkommen können. Was danach war, interessierte Synk jetzt we­nig. Wichtig war nur, daß er nicht in ihre Hände fiel. Den Gedanken, Loyalität zu heu­cheln, hatte er längst aufgegeben. Dazu kannte er sich selbst zu gut. Er würde bei der erstbesten Gelegenheit explodieren. Nein, für Sator Synk, den Helden der Schlacht um Pthor, gab es nur den Widerstand. Er war vom Verhalten der Odinssöhne, die die Be­völkerung von Orxeya von der bevorstehen­den Ankunft der Scuddamoren informiert und zur Passivität aufgerufen hatten, ange­widert. In seinen Augen waren sie Verräter, erbärmliche Feiglinge, die ihre Köpfe aus der Schlinge zu ziehen versuchten, indem sie alle Schuld auf Atlan schoben.

Wenn er erst einmal aus Orxeya heraus war, sollte es ihm nicht schwerfallen, eine Partisanentruppe auf die Beine zu stellen.

Synk trat vom Fenster weg und drehte sich langsam um, bis er den Robotdiener vor sich sah. Die kleinen hellblauen Augen, die neben Nase und Mund das einzige waren, was unter der Haarpracht und dem bis auf die Brust reichenden roten Bart des kleinen stämmigen Mannes hervorragte, blitzten li­stig auf.

Diglfonk stand nichtsahnend an seinem Lieblingsplatz hinter dem unförmigen Ses­sel, in dem Synk immer dann saß, wenn er über weltbewegende Dinge nachdachte. Diglfonk war ein Geschenk des Robotbür­gers Soltzamen an Synk. Aus einer Kugel von einem halben Meter Durchmesser rag­ten mehrere Schläuche, Greifarme und An­tennen heraus. Der »Kopf« des Roboters be­stand aus einer ständig rotierenden Scheibe.

»Ich habe einen Auftrag für dich«, sagte Synk.

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»Ich werde ihn erfüllen. Verfüge über mich, Herr.«

Der Orxeyaner unterdrückte einen Fluch. Wie er dieses stereotype »Verfüge über mich, Herr!« haßte! Er haßte es so sehr wie alle Roboter.

»Komm ans Fenster.« Diglfonk gehorchte. »Dort«, sagte Synk und zeigte auf den

einzigen Obstkarren, der noch auf dem Marktplatz stand. Alle anderen waren von ihren Besitzern schnell in Sicherheit ge­bracht worden, als die Nachricht von der be­vorstehenden Ankunft der Scuddamoren kam. »Ich habe Appetit auf ein paar frische Früchte. Hole sie mir.«

»Aber die Früchte sind verfault, und au­ßerdem …«

»Dann habe ich eben Appetit auf verfaulte Früchte!«

»Aber gleich wirst du Besuch bekommen, und wäre es da nicht besser, wenn ich bei dir wäre und …?«

»Ich habe Hunger auf verfaulte Früchte!« brüllte Synk so laut, daß der Scuddamore, der den Rand des Marktplatzes erreicht hat­te, abrupt stehenblieb. Synk zeigte nun auf ihn. »Er will dich daran hindern, mir die Früchte zu holen. Geh jetzt hinaus und schaff ihn aus dem Weg. Dann holst du die Früchte.«

»Aber ich muß darauf aufmerksam ma­chen, daß dies gegen das neue Gesetz ver­stößt«, wagte der Roboter zu widersprechen.

Synk schloß die Augen. Eine Stange! dachte er wie schon so oft

zuvor, wenn ihn Diglfonks metallene Artge­nossen an den Rand des Nervenzusammen­bruchs getrieben hatten. Eine lange schwere Stange, mit der ich dieses Blechei zu Klump schlagen kann!

Doch er beherrschte sich. »Wer ist dein Herr?« fragte er, die Augen

immer noch geschlossen. »Du, Sator Synk.« »Wer gibt dir also deine Befehle?« »Du, Sator Synk!« Synk schielte zum Fenster. Der Scudda-

Horst Hoffmann

more bewegte sich wieder. Wenn Diglfonk nun nicht bald hinausstürmte …

»Welches Gesetz gilt dann für dich?« »Dein Gesetz, Sator Synk.« »Dann geh mir jetzt gefälligst die verfaul­

ten Früchte holen und hau dieses … dieses Ding da draußen kaputt, wenn es dich daran zu hindern versucht!«

Synk hatte den letzten Worten mit wilden Grimassen und geballten Fäusten Nachdruck verliehen. Diglfonk machte sich schweigend auf den Weg.

Synk hockte sich neben dem Fenster auf den Boden und spähte hinaus. Der Scudda­more war noch etwa fünf Meter entfernt und hielt so zielstrebig auf Synks Haus zu, daß dieser sich zu fragen begann, ob jemand dem Fremden einen Hinweis auf ihn gege­ben hatte.

Jetzt erschien Diglfonk. Er ging in gera­der Linie auf den Obstkarren zu und ver­suchte den Scuddamoren zu ignorieren. Synk fluchte leise, als der Fremde zunächst nicht auf den Robotdiener reagierte. Dann aber blieb er stehen und rief Diglfonk an. Beim Klang der harten Stimme fuhr Synk ein Schauer über den Rücken. Sie paßte vollkommen zu der unheimlichen Erschei­nung.

Diglfonk ging weiter. Der Scuddamore rief ihn ein zweitesmal an, wieder ohne Er­folg. Synk sah seinen schönen Plan schon gescheitert, als der Fremde sich plötzlich mit einer Schnelligkeit auf den Robotdiener stürzte, die der Orxeyaner ihm nie zugetraut hätte. Mit wenigen Sätzen war er bei Digl­fonk. Der fuhr herum. Synk hatte Mühe zu verfolgen, was jetzt geschah. Diglfonk schleuderte dem Scuddamoren zwei schnell ausgefahrene Tentakel entgegen. Dort, wo sie auf den Schattenschild trafen, blitzte es dunkelrot auf. Der Scuddamore schien in ei­ne schwarze Wolke gehüllt zu sein, und die­se Wolke nahm Diglfonk in sich auf.

Synk zitterte plötzlich. Erst jetzt wurde ihm bewußt, was er angerichtet hatte. Wenn Diglfonk zerstört wurde, war er ihn zwar los, aber ein weiterer unschuldiger Roboter

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würde seinen Weg säumen und ihn in seinen allnächtlichen Alpträumen erscheinen.

Aus der Wolke schälte sich wieder die verschwommene Gestalt des Scuddamoren – und Diglfonk lag reglos vor ihm am Boden. Die Scheibe auf der Kugel hatte zu rotieren aufgehört.

»Nein!« entfuhr es dem Orxeyaner. Synk hatte sich aufgerichtet. Der Scuddamore fuhr herum. Doch Synk war egal, was mit ihm geschehen würde. Er kletterte aus dem Fen­ster, um sich auf den Fremden zu stürzen, der seinen Diener getötet hatte.

»Mörder!« brüllte der kleine wilde Mann. Seine Fäuste wirbelten durch die Luft. Der Scuddamore wich geistesgegenwärtig zur Seite, und Synk rannte ins Leere. Er stürzte und wollte sich wieder aufrappeln, als ihn der Lähmstrahl traf. Es war, als ob jemand Synk mit einem Vorschlaghammer vor den Kopf geschlagen hätte. Er spürte, wie seine Beine nachgaben und die Arme schwer wie Blei wurden.

Synk kippte seitwärts zu Boden und konn­te kein Glied mehr rühren. Aus den Augen­winkeln heraus konnte er Diglfonk sehen, hinter dem nun zwei weitere Scuddamoren auftauchten. Sie kümmerten sich nicht um den Roboter, sondern packten Synk an Ar­men und Beinen. Er wurde hochgehoben und weggebracht.

Synk hatte nur einen Gedanken: Irgend-wann würde die Lähmung abklingen, und dann sollte es mit dem Herrn der Finsternis zugehen, wenn er sich nicht befreien und seinen treuen Diener rächen könnte. Von nun an hatten die Scuddamoren einen Geg­ner, der entschlossen war, bis zum letzten Blutstropfen gegen sie zu kämpfen. Synk überlegt schon, wie er auch die anderen in­zwischen gefangenen Orxeyaner befreien und aus ihnen eine schlagkräftige Truppe zusammenstellen konnte.

Diglfonk war nicht umsonst gestorben. Erst jetzt wurde Synk bewußt, wie sehr er doch an Diglfonk gehangen hatte. Und wie schlecht hatte er ihn behandelt! Was sollten nun die Robotbürger in Wolterhaven von

ihm denken? Vor dem Hauptquartier der Scuddamoren,

einer ausgeräumten ehemaligen Kühlhalle, legten die beiden Invasoren den Orxeyaner ab. Synk lag so, daß er den Eingang der Hal­le sehen konnte.

Drei der Schattenwesen traten daraus her­vor. Sie sprachen mit den beiden, die Synk gebracht hatten. Zwar verstand dieser ihre Sprache nicht, aber er hörte mehrere Male den Namen Tarvin. Tarvin war, wie Synk gehört hatte, der Kommandant des Scudda­morenTrupps. Synk konnte die fünf an ih­rem Äußeren nicht auseinanderhalten, aber irgend etwas sagte ihm, daß derjenige, der sich jetzt über ihn beugte, Tarvin war.

Wenn ich ihm nur ins Gesicht spucken könnte! durchfuhr es den Helden der Schlacht um Pthor. Er konnte es nicht. Statt dessen wälzte er wieder verwegene Gedan­ken. Man war mit den Krolocs fertig gewor­den, und diesen Burschen würde man es auch noch zeigen!

Als er zu den anderen Gefangenen ge­schafft wurde, verging Sator Synk der Opti­mismus. Mittlerweile hatten die Scuddamo­ren mehr als zwanzig Orxeyaner verhaftet. Sie lagen, teilweise übereinander geschich­tet, auf der Plattform eines großen Lastglei­ters.

Synk wunderte sich darüber, daß sie nicht wegzulaufen versuchten. Fast alle waren be­wegungsfähig, und auch seine eigene Läh­mung ließ allmählich nach.

Die Scuddamoren gingen ohne ein Wort davon. Synk konnte keine Wachen erken­nen. Der Gleiter stand in der Nähe der Stadt­mauer.

»Warum unternehmt ihr nichts?« fragte Synk die anderen Händler zornig, als er end­lich wieder sprechen konnte. »Wir brechen aus und versuchen …«

»Dazu wird keiner von uns mehr kom­men, Sator. Noch heute abend werden wir zur WAPSIET gebracht.«

»WAPSIET? Was ist das? Ein Schiff?« »Ein riesiger Organtransporter, der in der

Ebene von Kalmlech steht. Aus allen Teilen

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Pthors werden Gefangene dorthin gebracht und in ihn verfrachtet. Ich weiß es von die­sem Tarvin. Schon in wenigen Tagen startet das Schiff – mit uns.«

* DIE LAGE

Pthor war in der Hand der Scuddamoren. Siebzig der insgesamt achtzig Einheiten

der von Atzbäll kommandierten Organschiff-Flotte aus der Schwarzen Galaxis waren auf Pthor gelandet 9000 der 10.000 Scuddamo­ren befanden sich auf dem Dimensionsfahr­stuhl und kontrollierten die wichtigsten Punkte – mit Ausnahme der Großen Barrie­re von Oth. Das Bodenkommando, das Atz­bäll zu den Magiern ausgeschickt hatte, war unverrichteter Dinge zurückgekehrt. Um das gesamte Gebirge im Süden Pthors schien ei­ne Energieglocke zu liegen, die sich bisher als unzerstörbar erwiesen hatte. Die Magier hatten sich abgekapselt.

Für Atzbäll war dies eine Herausforde­rung. Er hatte seinen Strategen und Wissen­schaftlern den Befehl gegeben, eine Mög­lichkeit zu suchen, wie man schnellstmöglich an die Magier herankommen konnte. In ih­nen sah er mittlerweile die schlimmsten Bundesgenossen jenes Mannes, der sich zum »König von Atlantis« aufgeschwungen und sich dem Zugriff der Scuddamoren entzogen hatte. Wollte man den Aussagen der Odins­söhne Glauben schenken, war ja Atlan allein für alle umstürzlerischen Dinge auf Pthor, vor allem aber für den Tod der Herren der FESTUNG verantwortlich. Zwar hatte er Helfer gehabt, aber er war die treibende Kraft gewesen.

Doch nicht allein die Magier bereiteten Atzbäll Probleme, auch die Helfer Atlans waren nicht zu vergessen. Einige von ihnen befanden sich nach wie vor in Freiheit und waren zumindest zum Teil für den Wider­stand verantwortlich, der Atzbälls Truppen entgegengesetzt wurde. Sie galt es zu fan­gen. Die Odinssöhne stellten keine Gefahr für Atzbäll dar. Sie saßen als Gefangene in

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der FESTUNG ein und winselten um Gnade. Atzbäll glaubte ihnen ihre Geschichte nicht, daß sie nichts mit dem Umsturz zu tun hätten und immer nur im Sinn der Mächte der Schwarzen Galaxis gehandelt hätten. Ein Gericht des Neffen Chirmor Flog sollte spä­ter herausfinden, was wirklich geschehen war und das Urteil über sie fällen.

Trotz dieser Schwierigkeiten hatte Atz­bäll aber auch große Erfolge zu verbuchen. Die geforderten Ergebenheitsadressen tra­fen nach und nach aus allen Teilen Pthors ein. Momentan kam es nirgendwo zu Zwi­schenfällen. Die überall verteilten Scudda­moren-Kommandotrupps beherrschten die Szene. Wer sich nicht fügte, wurde sofort ge­fangengenommen und zur WAPSIET ge­bracht, die in der Ebene von Kalmlech ge­landet war.

Ein zweiter großer Transporter stand in der Senke der verlorenen Seelen, wo man damit begonnen hatte, Tausende der ehema­ligen Schläfer zusammenzutreiben und an Bord zu verfrachten. Die RIESING würde sie in die Schwarze Galaxis bringen und ih­rer Bestimmung als lebende Galionsfiguren zuführen.

Atzbäll konnte also zufrieden sein. Und er war mehr als zuversichtlich, was die noch in Freiheit befindlichen Rebellen betraf. Ir­gendwann würden sie erneut zuschlagen – irgendwo auf Pthor. Die überall verteilten Kommandotrupps hatten für diesen Fall ge­naue Anweisungen.

Atzbäll brauchte nur zu warten.

2. Stationen des Niedergangs – Kalmlech

Lebo Axton blickte ungeduldig zum Wölbmantel hinauf. Noch war es zu hell zum Aufbruch. Axton, Koy, Kolphyr und der Fenriswolf konnten es sich wegen der überall patrouillierenden Zugors, in denen jetzt Scuddamoren saßen, nicht erlauben, tagsüber zu marschieren. So kamen sie nur langsam vor an. Es war so gut wie unmög­lich, einen Zugor zu bekommen oder gar zu

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benutzen. Alle Flugmaschinen waren von Atzbälls Truppen beschlagnahmt worden. Der Luftverkehr wurde streng überwacht. Die vier warteten auf die Nacht. Mittlerwei­le hatten sie den größten Teil der Ebene von Kalmlech hinter sich gebracht und waren nur noch einige Meilen von der Straße der Mächtigen zwischen Orxeya und Zbahn ent­fernt. Ihr Ziel war das gleiche wie das der von Atzbäll ausgeschickten und inzwischen ergebnislos zurückgekehrten Scuddamoren: die Große Barriere von Oth. Nur dort konn­ten sie sich – wenn überhaupt – jetzt noch Hilfe erhoffen. Der kosmische Kundschafter AlgonkinYatta war mit seiner Gefährtin An­lytha in den Weltraum entkommen und auf der Suche nach Atlan. Mit ihm konnten sie nicht mehr rechnen. Vielleicht gab es andere auf Pthor, die den Invasoren aus der Schwar­zen Galaxis Widerstand entgegensetzten, aber zu ihnen bestand keine Verbindung. Die vier – Lebo Axton im Körper des Griz­zard und die drei wiederaufgetauchten Weg­gefährten Atlans und Razamons beim Kampf gegen die Herren der FESTUNG – waren auf sich allein gestellt.

»Setz dich wieder hin«, sagte Koy, der Trommler. Die kleine Gruppe lagerte am Stamm eines uralten Baumes, dessen dichtes Blätterdach Schutz vor einer Entdeckung aus der Luft bieten sollte. Fenrir, Koy und Kolphyr lagen im hohen Gras der Steppe. Der riesige Wolf hob ab und zu witternd den Kopf. Nur Axton stand immer wieder auf und wanderte voller Unrast umher.

»Das Warten macht mich noch wahnsin­nig«, schimpfte der Terraner. »Wer weiß, was die Magier inzwischen aushecken? Vielleicht haben sie längst schon eigene Plä­ne.«

»Dann nützt es auch nichts, wenn wir einen Tag früher bei ihnen sind, falls wir überhaupt in die Große Barriere von Oth eindringen können«, sagte Koy. »Du solltest deine Kräfte für den Nachtmarsch sparen. Je schneller wir laufen, desto eher sind wir da.«

»Tatsächlich?« fragte Axton sarkastisch. Die Untätigkeit, zu der er verurteilt war,

zehrte an seinen Nerven, und je ungeduldi­ger er sich gab, desto eher bestand die Ge­fahr, daß es zwischen den vier Flüchtigen zu Spannungen kam.

Schweigend setzte Axton sich wieder zu den anderen.

Mit großem Unbehagen dachte er an Griz­zard, der nun alles daran setzen würde, sei­nen Körper zurückzubekommen. Der Ge­danke daran, wieder in seinen Gnomenkör­per schlüpfen zu müssen, ließ Lebo Axton erschauern.

Noch etwa zwei Stunden bis zur völligen Dunkelheit, schätzte er. Er fragte sich, ob Atzbäll gezielt nach ihnen suchen ließ. Bei logischem Nachdenken mußte er zu dem Schluß kommen, daß die vier Flüchtigen zur Großen Barriere von Oth unterwegs waren. Würden die Scuddamoren sie vor dem Ge­birge erwarten?

Axton saß zurückgelehnt am Stamm und hatte nun die Augen geschlossen. Er ver­suchte, sich die Zeit mit Gedankenspielen zu vertreiben.

Dann hörte er das Geräusch. Er schlug die Augen auf. Auch Koy

lauschte. Die Broins bewegten sich leicht. Fenrir sprang auf und knurrte. Nur Kolphyr schien weiterhin zu schlafen.

»Was ist das?« fragte der Terraner. »Jemand nähert sich von Südosten her«,

murmelte Koy. Axton stand auf und blickte am Baum­

stamm hinauf. Es gab genügend verstüm­melte Astansätze, an denen er hinaufklettern konnte, bis er die Krone erreicht hatte. Er verständigte sich mit Koy durch Blicke. Der Trommler hielt Fenrir bei sich, als Axton zu klettern begann. Ein Schrei war zu hören. Jemand schrie vor Schmerzen. Dazwischen gab es nun knallende Laute. Eine dumpfe Stimme schrie etwas, das sich wie ein Be­fehl anhörte.

Nun geriet auch Kolphyr in Bewegung. Der Bera richtete sich zur vollen Größe von 2,40 Metern auf und packte Axton an den Beinen. Ohne Mühe schob er ihn in die Baumkrone, was ihm ein paar Flüche des

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Terraners einbrachte. »Seid leise!« flüsterte Koy. Er beobachte­

te, wie Axton sich in eine Astgabel zwängte und einige Blätter abriß, so daß er bessere Sicht hatte. »Siehst du etwas?«

»Verdammt!« »Was, Lebo? Kannst du erkennen, wer

auf uns zukommt?« »Pthorer und Scuddamoren. Ihr müßt sie

gleich auch sehen. Sie scheinen von der Straße der Mächtigen zu kommen. Die Scuddamoren treiben die Pthorer vor sich her. Es sind mindestens zweihundert und verschiedenartige Wesen. Das sieht ganz so aus wie ein Gefangenentransport, wenn ihr mich fragt.«

»Aber welchen Sinn sollte das haben?« fragte Koy. »Wenn die Scuddamoren Gefan­gene machen, werden sie sie zu ihren Schif­fen oder zur FESTUNG bringen. Was wol­len sie hier? Wenn sie es nicht auf uns abge­sehen haben, marschieren sie genau in die Ebene von Kalmlech hinein.«

»Du vergißt etwas«, rief Axton leise. »Das große Schiff, das gestern über uns hin­wegflog.«

»Du meinst, es ist in der Ebene gelandet? Hinter uns?«

»Möglich. Jetzt schlagen die Scuddamo­ren auf die Pthorer ein! Sie haben lange Peit­schen!«

Fast gleichzeitig war das Knallen wieder zu hören. Dann folgten Schmerzensschreie.

»Diese Teufel!« entfuhr es Axton. »Wir sollten ihnen eine Lektion erteilen.«

»Die Gefangenen befreien? Welchen Sinn hat das?« fragte Koy. »Ähnliche Transporte wird es jetzt überall auf Pthor geben. Wir verzetteln uns nur in etwas, das letztendlich nichts einbringt. Lieber sollten wir zusehen, daß wir ohne Zwischenfälle zu den Magiern gelangen.«

»Und die armen Kerle ihrem Schicksal überlassen?« Axton machte sich an den Ab­stieg. Als er mit einem Sprung zwischen Koy und Kolphyr landete, schüttelte er ener­gisch den Kopf.

»Vielleicht gewinnen wir Verbündete. Ich

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konnte acht Scuddamoren erkennen. Die Pthorer sind in der Übermacht. Wenn wir die Scuddamoren überfallen, werden sie sich auf ihre Peiniger stürzen. Wir können es schaffen, sie zu befreien.«

»Und Atzbäll auf unsere Spur lenken«, widersprach Koy. Kolphyr stand schwei­gend da, als ginge ihn die Unterhaltung gar nichts an. »Was hältst du davon?« fragte Koy den Bera.

»Es ist zu gefährlich. Wir müssen zu den Magiern.«

Axton stöhnte laut. Er kniete sich ins Gras. Die beiden anderen folgten seinem Beispiel. Kolphyr packte Fenrir im Nacken und drückte ihn hinunter.

»Natürlich müssen wir zu den Magiern! Aber vorher können wir diesen Banditen ih­re Beute abjagen. Habt ihr denn eine Ah­nung, was den Gefangenen bevorsteht? Wollt ihr an ihrem Schicksal schuld sein?«

»Nein«, sagte Kolphyr gedehnt. Er ver­mied es, Koy direkt anzusehen. Der Tromm­ler hatte die Lippen unter dem mächtigen Schnurrbart zusammengepreßt und schien mit sich selbst im Kampf zu liegen.

»Na, komm schon«, drängte Axton. »Bevor die Scuddamoren Verstärkung be­kommen können, sind wir längst über alle Berge. Und wenn wir sie überraschen, bleibt ihnen gar keine Zeit, Atzbäll zu alarmieren. Wir müssen nur schnell genug sein.«

Koy sah den Terraner prüfend an. »Du bist sehr geschickt, wenn es darum

geht, jemandem ein schlechtes Gewissen zu verursachen«, sagte er.

»Unsinn. Und nun paßt auf.« Axton zog Koy an sich heran und winkte

Kolphyr. Die drei lagen nun flach nebenein­ander im Gras. Zwischen den Halmen waren die ersten Pthorer und Scuddamoren zu er­kennen. Der Zug war noch etwa 150 Meter entfernt, als Axton den beiden anderen sei­nen Plan auseinandergelegt hatte. Er ging davon aus, daß die Scuddamoren ihre Ge­fangenen auf geradem Weg in der bisherigen Richtung weitertreiben würden. Dann muß­ten sie wenige Meter am Baum vorbeikom­

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men. Der Terraner versteckte sich hinter dem

Stamm, während Koy und Kolphyr nach beiden Seiten davonkrochen. Noch schützte sie das Gras vor einer Entdeckung. Fenrir blieb bei Axton, der das Gefühl hatte, der riesige Wolf hätte jedes einzelne Wort, das zwischen den ungleichen Gefährten gespro­chen wurde, verstanden. Als Koy und Kol­phyr ihre Positionen erreicht hatten, gaben sie das verabredete Zeichen. Niemand, der nicht genau darauf geachtet hätte, konnte die kurze Bewegung im hohen Gras bemerken.

Der Zug war noch knapp hundert Meter entfernt. Es war Axtons Glück, daß er nur langsam vorwärtskam, weil einige der Ptho­rer immer wieder stehenblieben und erst durch Peitschenhiebe zum Weitergehen ge­bracht werden konnten. Warten. Es war nicht das erstemal, daß Lebo Axton Scudda­moren sah. Dennoch jagte ihm der Anblick der Schattenwesen einen Schauer über den Rücken. »Nun paß auf, Fenrir«, flüsterte der Terraner, als die beiden den Zug anführen­den Scuddamoren nur noch zwanzig Meter entfernt waren. Er hatte den Wolf im Nackenfell gepackt. Das Tier verhielt sich ruhig, bis der Zug sich genau in dem von Koy, Kolphyr und Axton mit Fenrir gebilde­ten Dreieck befand.

Eine Unbekannte war die Reaktion der Pthorer auf den Angriff. Vielleicht hing alles davon ab, daß sie schnell genug begriffen und sich ebenfalls auf die Scuddamoren stürzten.

Axton atmete noch einmal tief durch. Dann brüllte er das Kommando.

*

Die Scuddamoren wurden völlig über­rascht. Koy und Kolphyr sprangen gleichzei­tig auf. Die Broins des Trommlers begannen gegeneinanderzuschlagen. Kolphyr stürmte auf die ihm am nächsten stehenden Invaso­ren zu und riß sie nieder, wobei er mit dem Velst-Schleier hart gegen die Schattenschil­de prallte. Vor den Augen der gefangenen

Pthorer explodierten die Peiniger. Zwei wei­tere, die sich auf Koy stürzen wollten, ver­gingen ebenfalls, als der Trommler die Bro­ins auf sie richtete. Sie platzten förmlich auseinander.

Die vier anderen erholten sich schneller von der Überraschung, als Axton geglaubt hatte, aber doch nicht schnell genug. Alles kam darauf an, daß sie keine Gelegenheit hatten, einen Funkspruch abzusetzen. Kol­phyr walzte einen weiteren nieder. Die drei Überlebenden reagierten, indem sie sich zwischen die Pthorer mischten und ihre Strahler zogen. Koy und Kolphyr warfen sich schnell zu Boden. Neben und über ih­nen fuhren die todbringenden Strahlen in das Gras und setzten es in Brand.

Das war Axtons Augenblick. »Los, Fenrir!« rief er und ließ den Wolf

los. Das riesige Tier schnellte wie von einem Katapult abgeschossen davon und landete nach wenigen kräftigen Sätzen mitten unter den Scuddamoren. Einen Augenblick lang konnte Axton in dem Durcheinander von Leibern nichts erkennen. Die Pthorer stan­den wie erstarrt herum oder flohen in heller Panik in die Steppe.

»Bleibt hier!« rief Axton laut. »Kämpft mit uns! Kämpft um eure Freiheit!«

Einige begriffen. Als die Menge sich teil­te, waren noch zwei Scuddamoren am Le­ben. Sie erblickten Axton genau in dem Mo­ment, in dem Koy neben ihm auftauchte. Von den wenigen Pthorern hart bedrängt, die endlich den Mut gefunden hatten, sich auf sie zu stürzen, zielten sie auf die beiden Gegner. Koy richtete die Broins auf sie, doch auch er hätte nicht schnell genug zu­schlagen können, um sie am Schießen zu hindern. Axton zog ihn mit sich zu Boden. Er sah gerade noch, wie Kolphyrs große Ge­stalt hinter den Scuddamoren auftauchte. Dann fuhr ein Energiestrahl in den Baum­stamm. Axton rollte sich instinktiv zur Seite, als das Gras zu brennen begann und der mächtige Baum, sich langsam genau auf ihn und Koy zu neigte. Er hörte das Krachen von zwei Explosionen und sah die Baumkro­

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ne herunterkommen. Einer der starken Äste schlug nur einen Meter neben ihm ins bren­nende Gras. Dem Terraner war die Sicht versperrt. Er sprang auf und sah zu, daß er ein genügend großes Stück zwischen sich und das Feuer brachte, und warf sich wieder hin.

Stille. Axton hob den Kopf. Er hustete. Immer

noch konnte er vor Flammen, Rauch und aufgewirbeltem Staub nichts erkennen. Dazu versperrte ihm der umgestürzte Baum die Sicht auf die Pthorer.

Dann brach Jubel los, in den sich Kol­phyrs helle Stimme mischte. Der Bera rief nach Koy und Axton. Der Terraner richtete sich vorsichtig auf und begann zu laufen. Als er um die Baumkrone herum war, sah er Kolphyr und Fenrir von den Gefangenen umringt. Beide wurden laut gefeiert. Von den Scuddamoren war nichts mehr zu sehen.

Axton hatte alle Mühe, Kolphyr zu errei­chen. Die Pthorer – Axton schätzte, daß es sich um Bewohner des Küstenstreifens zwi­schen der Großen Barriere von Oth und den Zwillingsstädten Zbahn und Zbohr handelte – scharten sich um ihn und versuchten, ihn auf ihre Schultern zu heben.

»Laßt den Unsinn!« schrie der Terraner. »Dazu ist jetzt keine Zeit. Kolphyr, wo steckt Koy?«

»Weiß ich nicht«, piepste der Hüne. »War bei dir.«

Axton wunderte sich nur kurz über die seltsame Redeweise des Beras. Er hatte den »alten« Kolphyr nicht gekannt und konnte nicht wissen, daß dieser immer noch spaßes­halber sein Kauderwelsch daherredete, wenn er sich über etwas freute. Er hatte auch keine große Lust, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen.

Zwar konnte Axton mit ziemlicher Si­cherheit ausschließen, daß die Scuddamoren Hilferufe gefunkt hatten, doch das Feuer mußte ihre Artgenossen zwangsläufig auf den Plan rufen. Es wurde jetzt schnell dun­kel, und die Flammen mußten meilenweit zu sehen sein.

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»Wir müssen hier weg!« rief Axton. »Wir können uns nicht länger um die Pthorer kümmern. Sie müssen selbst sehen, wie sie zurechtkommen, Kolphyr! Nimm Fenrir mit und seht zu, daß ihr von hier verschwindet. Ich suche Koy!«

»Aber …« »Kein. Aber! Wartet hinter der Straße der

Mächtigen auf uns, etwa eine Stunde. Wenn wir dann nicht bei euch sind, marschiert ihr allein weiter!«

Axton ließ den Bera gar nicht erst wieder zu Wort kommen. Er machte auf dem Stie­felabsatz kehrt und rannte zum umgestürzten Baum zurück. Einige Pthorer folgten ihm und wollten ihn feiern. Anscheinend begrif­fen sie ihre Lage nicht.

»Haut ab!« schrie Axton sie an. »Geht nach Hause! Die Fremden kommen wieder, wenn ihr euch nicht beeilt!«

Einige folgten der Aufforderung. Andere waren blind vor Aufregung.

»Na schön«, knurrte Axton. Er lief auf das Feuer zu, das sich weiter nach allen Sei­ten ausbreitete. Dann machte er einen ge­waltigen Satz genau in die Flammen hinein. Er landete in noch heißer Asche. Rings um den an einigen Teilen verkohlten Baum­stumpf war alles Gras abgebrannt. Es war heiß. Die Augen schmerzten, aber die Ptho­rer folgten Axton wenigstens nicht. Das Feuer vertrieb sie.

Axton sah sich um. Die Luft flimmerte vor ihm. Von Koy war nichts zu sehen. Ax­ton rief nach ihm. Er erhielt keine Antwort.

Der Terraner überlegt fieberhaft. Wohin konnte sich der Trommler gewandt haben, wenn er nicht vom Baum erschlagen worden war?

Die Wurzeln! Sie waren aus dem feuchten Erdreich gerissen worden. Der Stamm war nur zum Teil abgeknickt. Die schwere Kro­ne hatte einen Teil der Wurzeln regelrecht aus der Erde gehebelt, bevor der Stamm ganz brechen konnte.

Axton fand Koy bewußtlos in der so ent­standenen Mulde. Wahrscheinlich hatte der Trommler hier Schutz vor dem Feuer ge­

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sucht und sich eine Rauchvergiftung einge­handelt.

Axton zerrte ihn aus der Mulde und be­gann mit künstlicher Beatmung.

Tatsächlich schlug der Trommler nach wenigen Minuten die Augen auf. Axton wischte sich den Schweiß von der Stirn und brachte ein Lächeln zustande.

»Willkommen unter den Lebenden«, sag­te er. »Wie fühlst du dich?«

»Furchtbar«, preßte Koy hervor. Das Re­den verursachte ihm noch Schmerzen. Axton blickte zum dunklen Himmel empor. Jeden Augenblick konnten die vom Lichtschein der Feuer angelockten Scuddamoren er­scheinen.

»Hilf mir auf«, sagte Koy. Axton stützte ihn, doch die Beine des Trommlers gaben sofort wieder nach, als er ihn losließ. Kurz entschlossen packte der Terraner ihn an den Hüften und lud ihn sich über die Schulter.

»Du mußt allein gehen«, hörte er Koy flü­stern. »Laß mich hier. Ich halte die Scudda­moren zurück. Bringt euch in Sicherheit.«

»Unsinn! Heb dir die Sentimentalitäten für später auf!«

Axton sah sich noch einmal um. Nur das Feuer erhellte noch die Nacht. Kein Mensch war zu sehen.

»Jetzt halte dich an mir fest«, sagte der Terraner. Dann rannte er los, wieder auf die Flammen zu.

*

»Etwa eine Stunde«, hatte Lebo Axton gesagt. Kolphyr hatte wenig Lust, »etwa ei­ne Stunde« zu warten, zumal er mit diesem Zeitbegriff herzlich wenig anfangen konnte.

»Du wartest hier«, sagte er zu Fenrir. »Kolphyr sucht die Freunde.«

Der Bera und der Fenriswolf hatten die Pthorer abschütteln können und die Straße der Mächtigen ohne Zwischenfälle erreicht. Dann hatten sie mehr Glück als Verstand ge­habt. Nur wenige hundert Meter jenseits des fünf Meter breiten altsilbern schimmernden Bandes befand sich ein Krater von gut zehn

Meter Durchmesser. Trümmerreste zeigten, daß hier vor nicht allzu langer Zeit, vermut­lich während des Abwehrkampfes gegen die Krolocs, ein Zugor abgestürzt war. Ein Teil des Fahrzeugs ragte in spitzem Winkel aus dem Boden. Unter ihm war Platz genug für die beiden Flüchtenden gewesen.

Fenrir winselte und machte Anstalten, Kolphyr zu folgen.

»Nein!« sagte der Bera energisch. Dabei fuchtelte er mit dem Zeigefinger in der Luft herum wie ein Lehrer, der seinen unartigen Schülern Respekt beibringen wollte – eine Geste, die er Razamon abgeschaut hatte, wenn er mit diesem schmusen wollte. »Du bleibst hier und wartest!«

Nur widerwillig streckte Fenrir sich wie­der unter dem Metall aus. Seine Augen fun­kelten in der Dunkelheit. Jeder Muskel war angespannt. Doch er gehorchte.

Kolphyr hatte kaum wieder die Straße er­reicht, als er die ersten Lichter am Himmel sah. Die Scuddamoren kamen pünktlich. Aber wo waren Axton und Koy?

Kolphyr lief schneller, überquerte die Straße und warf sich ins Gras. Das Feuer hatte die Straße nun fast erreicht. Von den beiden Gefährten war nichts zu sehen. Dabei mußten sie Kolphyr entgegenkommen. Die Spur, die er und Fenrir ins Gras gewalzt hat­ten, war im Schein des Feuers nicht zu über­sehen.

Die Lichter am Himmel wurden heller, und nun drang Motorengeräusch an die Oh­ren des Beras. Wieder blieb er stehen und blickte auf. Kolphyr erschrak. Der erste Zu-gor war nur noch hundert Meter über ihm und sank herab – genau dort, wo jetzt Lebo Axton mit Koy über der Schulter aus den Flammen taumelte.

Kolphyr zögerte keinen Augenblick. Er rannte auf die beiden zu und riß Axton den Trommler von der Schulter. Axton sah mit­genommen aus, aber aus seinen Augen sprach wilde Entschlossenheit. Kolphyr und er brauchten keine Worte, um ihr Handeln aufeinander abzustimmen.

Das waren die beiden Zugors, die hinter

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und vor den Flüchtlingen landeten. Zwei weitere kamen seitlich herunter. Momentan erschienen keine neuen Lichtpunkte am Himmel.

»Wir beide gegen vier Zugors, vollge­packt mit Scuddamoren«, sagte der Terra­ner, als der befürchtete Feuerschlag aus­blieb. »Sie wollen uns lebend haben, Kol­phyr. Aber wir verkaufen uns so teuer wie möglich.«

»Laß mich herunter«, kam es von Koy, den der Bera wie eine Puppe auf den Armen trug. »Ich kann stehen.«

Zögernd setzte Kolphyr den Trommler ab. Die drei Eingekreisten bewegten sich nicht. Axton sah sich immer wieder um. Jetzt stie­gen die Scuddamoren aus und bildeten einen Kreis um sie. Die meisten hatten Strahler in den Händen. Und das Feuer kam immer nä­her.

Lebo Axton sah, wie Koy verzweifelt ver­suchte, die Broins zum Schwingen zu brin­gen. Er war noch viel zu schwach, um seine körpereigene Waffe einzusetzen.

Aus! dachte Axton, als einer der Scudda­moren sie zur Kapitulation aufrief. Kolphyr würde einige der Gegner umrennen und ver­nichten können, mehr war gegen sie nicht auszurichten. Atzbäll mochte noch so sehr daran interessiert sein, die drei in die Hände zu bekommen, die ihn so sehr provoziert hatten – wenn seine eigenen Leute in Gefahr gerieten, würde der Befehl, die Rebellen le­bend zu ihm zu bringen nicht mehr gelten.

Schon überlegte Axton, ob sie sich nicht zum Schein ergeben sollten, um entweder auf dem Weg zur FESTUNG fliehen oder in Atzbälls unmittelbarer Nähe losschlagen zu können. Koy sollte dann wieder erholt und der wertvolle Verbündete sein. Doch Kol­phyr schien von diesem Gedanken absolut nichts zu halten.

»Was machst du?« fragte Axton leise, als der Bera sich an die Schultern griff, während der Ring der Scuddamoren sich immer enger um sie zog.

»Sei still und paß auf«, antwortete der Be­ra ebenso leise. »Wenn ich werfe, müssen

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wir laufen.« »Wenn du … was tust?« Axton rätselte noch über Kolphyrs. Worte

nach, als dieser etwas tat, das der Terraner nie in seinem Leben vergessen würde. Kol­phyr riß sich zwei kleine Brocken aus dem Velst-Schleier. Die Scuddamoren rissen die Strahler hoch, doch sie kamen nicht mehr dazu, sie zu benutzen. Dort, wo Kolphyr den Velst-Schleier, der seinen Antimaterie-Kör­per von der Welt um ihn herum trennte, auf­gerissen hatte, strahlte es so hell, daß Axton sich die Hände vor die Augen schlagen mußte, um nicht geblendet zu werden. Er konnte gerade noch sehen, wie der Bera die beiden Brocken auf zwei Zugors schleuder­te. Im nächsten Augenblick schien die Welt unterzugehen. Zwei fürchterliche Explosio­nen erfolgten fast zur gleichen Zeit. Die Druckwellen fegten die Scuddamoren zu Boden. Vereinzelte Strahlschüsse fuhren ins Gras oder in die Luft.

Lebo Axton fühlte sich am Armgelenk ge­packt und mit vehementer Gewalt fortgeris­sen. Er wurde über den Boden geschleift. Um ihn herum schrien Scuddamoren. Es war heiß. Axton versuchte etwas zu sehen, doch vor seinen Augen tanzten glühende Spiralen. Er bäumte sich auf und schrie vor Schmer­zen. Dann hatte er das Gefühl, in einem Meer aus Schwärze zu versinken.

*

Ein furchterregender Rachen. Zu dem Ra­chen gehörte ein Kopf, zu dem Schädel ein Name: Fenrir.

Ein rundes, runzliges Gesicht mit einem riesigen Schnurrbart und zwei Auswüchsen auf der Stirn, die leicht zitterten: Koy.

Ein grüner, riesiger Arm, der um Axtons Hüfte lag. Gras, das ihm ins Gesicht schlug. Axton kam endgültig zu sich und erinnerte sich. »Laß mich los!« rief er. »Kolphyr, du brichst mir alle Rippen!«

Augenblicklich lockerte sich der Griff des Beras, und Axton fiel ins Gras. Wieder tanz­ten grelle Spiralen vor seinen Augen, und er

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hatte das Gefühl, jeder Knochen sei gebro­chen. Er zwang sich, tief durchzuatmen. Nach wenigen Sekunden ging es ihm besser.

Stöhnend kam er auf die Beine und sah sich um. Keine Spur von Scuddamoren. In der Ferne war ein Lichtschein zu sehen. Es war finstere Nacht, der Himmel dunkel und ohne Zugors.

»Junge, Junge«, brummte der Terraner und rieb sich die Schläfen. »Kolphyr, wo sind wir?«

»Unterwegs zur Großen Barriere von Oth und in Sicherheit – vorerst«, antwortete Koy für den Bera. »Es wurde Zeit, daß du auf­wachst.«

»Da hört sich doch …« Axton schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf, ob­wohl ihm nicht nach Scherzen zumute war. »Was war los, Kolphyr? Du hast dir den Velst-Schleier aufgerissen und …«

Das schwache Licht des fernen Feuers reichte gerade aus, um Axton erkennen zu lassen, daß der Schleier um den Bera völlig unversehrt war.

»Ist nachgewachsen«, tönte Kolphyr. »Versuche nicht zu verstehen, ist einfach so.«

»Nachgewachsen, aha.« Axton hatte das Bild immer noch vor Augen. Kolphyr hatte sich zwei Stücke aus dem Schleier gerissen. Eigentlich hätte es in diesem Augenblick zu einer Katastrophe kommen müssen, als der Antimaterie-Körper schutzlos war.

Lebo Axton versuchte nicht mehr, zu ver­stehen, was er wahrscheinlich wirklich nie begreifen würde. Dafür drang er weiter in den Bera und erfuhr, daß die beiden auf die Zugors geschleuderten Brocken des Schlei­ers diese zur Explosion gebracht hatten und Kolphyr den Schrecken und die Verwirrung der Scuddamoren ausgenutzt hatte, um mit ihm und Koy zu entkommen. Koy rieb sich an dieser Stelle von Kolphyrs Schilderung bezeichnend das Handgelenk. Auch ihn hat­te der Hüne bis an die Straße der Mächtigen geschleift. Allerdings konnte der Trommler von da an wieder selbst laufen, während der bewußtlose Terraner getragen werden muß­

te. »Und nun?« fragte Axton. »Nun können wir zusehen, daß wir bis zur

Morgendämmerung so weit wie möglich von der Straße weg sind und ein sicheres Versteck gefunden haben.«

Koy, der sonst so ruhige Mann, stieß eine Verwünschung aus.

»Hätten wir nur nicht auf dich gehört! Die entflohenen Pthorer irren jetzt irgendwo in der Ebene von Kalmlech oder entlang der Straße der Mächtigen herum. Wahrschein­lich sind die meisten von ihnen schon wie­der in Gefangenschaft. Die Scuddamoren werden sie bestrafen und verstärkt nach uns suchen.«

Axton gab keine Antwort. Er hatte längst selbst eingesehen, daß es ein Fehler war, an­zunehmen, daß sie zu viert etwas gegen die gewaltige Übermacht der Scuddamoren aus­richten konnten. Ohne mächtige Verbündete war jeder Widerstand sinnlos.

Diese bittere Lehre nahm Lebo Axton mit auf den Weg, als sich die Gruppe wieder in Bewegung setzte. Fenrir lief voraus und durchstreifte die Umgebung. Kolphyr be­stimmte das Tempo. Er marschierte so schnell, daß Koy und Axton laufen mußten. Beiden ging es den Umständen entsprechend gut. Axton hatte nach wie vor große Schmerzen, aber er biß die Zähne zusam­men.

Weiter ging es durch die Nacht. Zweimal waren in der Ferne Zugors am Himmel zu sehen. Sie kreisten über dem südlich der Straße der Mächtigen hügeliger werdenden Land, ohne zu nahe zu kommen. Kolphyr nahm eine südwestliche Richtung, nachdem man sich bei einer kurzen Rast darauf geei­nigt hatte, zum Crallion zu marschieren, dem Sitz des Weltenmagiers Copasallior. Es war noch ein weiter und gefährlicher Weg. Und die Ungewißheit über die Reaktion der Magier auf das Auftauchen der Flüchtigen blieb. Mit jeder Stunde wuchs Axtons Unbe­hagen. Er hatte das, was man gemeinhin ein »schlechtes Gefühl« oder »schlimme Vorah­nungen« nennt.

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3. Stationen des Niedergangs – Orxeya

Diglfonk lag am Rand des Marktplatzes. Die Scuddamoren hatten inzwischen die Durchsuchung der umliegenden Häuser be­endet und weitere Orxeyaner festgenommen. Niemand hatte auf den scheinbar zerstörten Roboter vor Sator Synks Haus geachtet.

Die Scheibe am oberen Teil der Kugel be­gann sich langsam zu drehen. Nachdem Diglfonk sich davon überzeugt hatte, daß keine Scuddamoren in der Nähe waren, stellte er eine Analyse seiner Schäden an. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt, und er konnte es wagen, die zur Reparatur erfor­derlichen Gliedmaßen auszufahren. Drei lange, nur wenige Zentimeter dicke Tentakel schoben sich aus dem Kugelkörper. Ihre Spitzen berührten die immer schneller rotie­rende Scheibe und die Ansätze von Anten­nen und weiteren Auswüchsen, deren Funk­tion nur der Robotdiener selbst und sein Herr kannten. Dann öffneten sie eine Klappe in Diglfonks »Rücken« und entnahmen eini­ge kleine Teile, die sie gegen defekt gewor­dene auswechselten. Das ging mit einer Prä­zision vor sich, die jeden Feinmechaniker vor Neid hätte erblassen lassen. Nach weni­gen Minuten war Diglfonk völlig wiederher­gestellt – mehr noch: seine Sensoren waren jetzt in der Lage, die Aura, die jeden Scud­damoren umgab, wahrzunehmen. So konnte er die Invasoren orten. Der größte Teil von ihnen befand sich in ihrem Hauptquartier, der umfunktionierten Kühlhalle zwischen den großen Getreidesilos, während die ande­ren, höchstens fünf, sich in der Nähe der Stadtmauer aufhielten.

Da es dort nichts gab, was die Scuddamo­ren interessieren konnte, zog der Robotdie­ner den richtigen Schluß, daß dort die Ge­fangenen zusammengetrieben worden waren und auf ihren Abtransport warteten. Letzte­res konnte Diglfonk nur vermuten. Es hieß ja, daß die Scuddamoren überall auf Pthor nach Aufständischen und Sympathisanten

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Atlans suchten. Diese an Ort und Stelle fest­zusetzen, erschien wenig sinnvoll. Man wür­de sie alle an einen zentralen Ort schaffen. Und der Eifer, mit dem die Scuddamoren vorgingen, ließ darauf schließen, daß der Abtransport nicht lange auf sich warten las­sen würde.

Diglfonk mußte sich also schnell etwas einfallen lassen, wenn er Sator Synk befrei­en wollte.

Im Schutz der Dunkelheit gelangte Digl­fonk bis zum westlichen Stadttor und von dort aus zu einem kleinen freien Platz, auf dem zuweilen Feste gefeiert wurden. Jetzt stand ein schwerer Lastengleiter dort, voll­gepackt mit Orxeyanern. Diglfonk schwebte hinter einen Stapel alter Holzkisten. Er konnte im Licht einiger rund um den Platz aufgestellter Scheinwerfer zwei Scuddamo­ren erkennen. Seine Sensoren zeigten aller­dings an, daß noch mindestens zwei weitere in der Nähe waren. Ebenso registrierten sie die über dem Gleiter liegende Ener­gieglocke. Diglfonk wartete eine halbe Stun­de. Als dann keine weiteren Orxeyaner ge­bracht worden waren, war der Robotdiener sicher, daß der Abtransport unmittelbar be­vorstand. Vielleicht warteten die Scuddamo­ren nur noch auf Tarvins Befehl.

Es bestand kein Zweifel daran, daß sich Sator Synk unter den Gefangenen befand. Zweimal war es zu Tumulten unter ihnen gekommen, und Synk hatte jeweils am lau­testen gebrüllt und geflucht.

Diglfonk überlegte, was er tun konnte. Er hatte außer seinen Tentakeln keine Waffen. Die Energieglocke konnte er nicht durch­dringen, und es war mehr als fraglich, ob er einen zweiten direkten Zusammenstoß mit einem Scuddamoren überstehen würde.

Er mußte sie ablenken, soviel Verwirrung unter ihnen stiften, daß er unbemerkt zu Synk gelangen konnte. Natürlich mußte vor­her der Energieschirm fallen.

Hier konnte er kaum etwas ausrichten. Diglfonk sah keinen Punkt, an dem er anset­zen konnte. Die Scuddamoren waren alle be­waffnet und hielten die Strahler schußbereit.

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Einer von ihnen konnte jener sein, mit dem er »zusammengestoßen« war, und ihn erken­nen.

Und Tarvins Hauptquartier? Diglfonk hatte eine Idee. Er legte sich

schnell einen Plan zurecht. Sein erstes Ziel zu erreichen, Verwirrung unter den Invaso­ren zu stiften, war nicht allzu schwierig, falls er ungesehen zur Kühlhalle gelangen konnte. Wie er erreichen sollte, daß der Energieschirm fiel, war etwas anderes. Nur die Scuddamoren selbst konnten ihn ab­schalten. Wie aber sollte er sie dazu brin­gen?

Natürlich konnte er hier warten, bis der Abtransport erfolgte, aber dann mußte er da­mit rechnen, daß die Invasoren voll darauf konzentriert waren, den Start des Gleiters zu sichern. Er aber hatte nur eine Chance, wenn sie verunsichert und unaufmerksam waren.

Und wenn sie so durcheinandergebracht wurden, daß sie ihre Gefangenen überstürzt in Sicherheit bringen mußten – heraus aus der Stadt, in der es plötzlich zu spuken be­gonnen hatte?

Das war es! Diglfonk mußte sich ein paar weitere Überraschungen einfallen lassen. Von Sator Synk wußte er, daß einer seiner Nachbarn von der Idee besessen war, primi­tive Bomben zu basteln, mit denen die Mau­erwache in der Lage sein sollte, die gele­gentlichen Angriffe der Eingeborenen aus dem Blutdschungel besser abzuwehren. Die­ser Nachbar befand sich ebenfalls unter den Gefangenen. Er war fast ebenso streitbar wie Synk und hatte ein ebenso lautes und unver­wechselbares Organ.

Diglfonk wußte, daß er das Risiko ein­ging, daß der Gleiter vor seiner Rückkehr startete, und er beeilte sich, den Marktplatz zu erreichen. Tatsächlich fand er das Haus neben dem seines »Herrn« leer. Die Frau und Kinder des Bombenbastlers waren wohl zu Verwandten oder Freunden gezogen. In einem Keller fand der Robotdiener nach kur­zer Suche alles, was er brauchte.

Durch dunkle Gassen, geschickt jede Deckung ausnutzend, schwebte Diglfonk

mit drei Zeitzünderbomben zur Kühlhalle. Seine Sensoren verrieten ihm schnell, wo sich die Energiekammer des Gebäudes be­fand. Natürlich hatten die Scuddamoren alle Kühlsysteme abgeschaltet und dafür Warm­luft in die Halle geblasen, bevor sie sich in ihr einrichteten. Diglfonk wollte dafür sor­gen, daß es ihnen nicht zu warm wurde.

Zu seinem Glück fand er die in einem kleinen Anbau außerhalb der eigentlichen Halle liegenden Systeme zur Energieversor­gung und die Schaltungen unbewacht. Nur vor dem großen Tor der Halle standen Scud­damoren mit Waffen. Alle anderen schienen bei Tarvin zu sein.

Diglfonk gelangte ohne Schwierigkeiten in die Energiekammer. Nach wenigen Se­kunden wußte er, wo er anzusetzen hatte. Er nahm eine der Bomben, deren primitive Konstruktion für ihn schnell zu durchschau­en war, und entfernte den Zeitzünder. Die­sen montierte er so an die Schaltung des zentralen Kühlsystems, daß es in genau fünfzehn Minuten in der Halle zum plötzli­chen Wintereinbruch kommen würde. Die Bombe placierte und verband er so mit der Schaltung, daß sie erstens von den Scudda­moren, die in die Kammer eilen würden, um die Halle erneut aufzuheizen, nicht gesehen werden konnte und zum zweiten genau in dem Augenblick explodieren würde, in dem jemand die Schalter betätigte. Dann stellte der Robotdiener die Zeitzünder der beiden anderen Bomben so ein, daß diese genau in dem Augenblick in die Luft gingen, in dem das Kühlsystem wieder zu arbeiten begann. Diglfonk verließ die Kammer ebenso unbe­merkt, wie er gekommen war. Er hatte noch dreizehn Minuten Zeit – elf Minuten, als er den Festplatz bei der Stadtmauer erreichte.

Wenn ein Roboter aufatmen konnte, dann tat Diglfonk dies jetzt, als er sah, daß der Gleiter an Ort und Stelle stand und noch kein Scuddamore in der Steuerkanzel saß.

Die Energieglocke stand nach wie vor um das Feuerzeug. Die ScuddamorenWachen hatten ihre Plätze nicht verlassen.

Drei große, auf meterhohen Masten mon­

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tierte Scheinwerfer erhellten den Platz. Digl­fonk befestigte die Bomben an zweien von ihnen, dann schwebte er zum dritten und wartete.

Noch zwei Minuten. Noch immer war er unentdeckt. Zwei Greifarme mit starken Scheren am Ende waren nach dem Kabel ausgestreckt, das am Mast hinauslief.

Eine Minute … Die Scuddamoren setzten sich plötzlich in

Bewegung. Sie gingen auf die Pilotenkanzel des Gleiters zu. Die Sekunden verrannen, und Diglfonk triumphierte. Die Ener­gieglocke fiel!

Der Befehl zum Abtransport war zu spät gekommen. In wenigen Sekunden würde es ein Feuerwerk geben. Diglfonks Scheren be­gannen sich zu bewegen.

*

Von einem Augenblick zum anderen schi­en die Erde Feuer zu spucken. Zwei Stich­flammen fuhren in die Höhe, und zwei Scheinwerfermasten kippten unter lautem Knirschen zur Seite. Sie prallten auf gesta­pelte Kisten und zertrümmerten sie. Es gab einen Blitz. Einen Augenblick war Synk ge­blendet. Dann war es stockdunkel. Die Or­xeyaner sprangen auf und schrien. Die Scud­damoren vor der Pilotenkanzel fuhren her­um. Als sie ihre Überraschung überwunden hatten, zogen sie Peitschen hervor und schlugen auf die Gefangenen ein, die in Pa­nik von der Plattform springen wollten.

Synk wußte nicht, was das alles zu bedeu­ten hatte. Er stand wie versteinert da und sah, wie nun kleine Flammen an den Holzki­sten emporzüngelten.

Plötzlich war Diglfonk über ihm. Ungläu­big starrte Synk auf die Kugel, die sich auf ihn herabsenkte und ihre Tentakel um seine Brust schlang. Bevor er begriff, was mit ihm geschah, schwebte er über den anderen Or­xeyanern. Synk zappelte mit den Beinen und begann zu schreien. Ein Scuddamore wurde aufmerksam und zielte mit dem Strahler auf ihn.

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Diglfonk stieg schneller auf, doch auch er hätte dem todbringenden Strahl nicht entge­hen können, wenn nicht plötzlich ein Or­xeyaner aus dem Gewühl auf der Plattform auf den Invasor gestürzt wäre und ihn zu Fall gebracht hätte. Der Strahl fuhr Meter von Diglfonk und Synk entfernt in die Stadt­mauer und löste einen kleinen Steinschlag aus. Im gleichen Augenblick erfolgte die Explosion bei der Kühlhalle. Die Verwir­rung der Scuddamoren war vollkommen, zu­mal die Holzstapel um den Gleiter herum nun lichterloh brannten.

Synk, der im Gegensatz zum mit Infrarot­optiken ausgerüsteten Robotdiener bisher kaum etwas hatte sehen können, hörte zu schreien auf. Als Diglfonk mit ihm über die Mauer aus der Stadt heraus flog, war der wilde Mann ohnmächtig.

Diglfonks Plan war aufgegangen. Nie­mand verfolgte sie. Die Scuddamoren hatten viel zu sehr mit sich selbst zu tun. Vermut­lich hatte Tarvin im Glauben, eine bisher un­entdeckte Gruppe von zu allem entschlosse­nen Rebellen holte zum großen Schlag aus, all seine Leute zu sich beordert.

Orxeya blieb hinter Diglfonk und Sator Synk zurück. Als die Lichter von Zugors am Nachthimmel auftauchten, landete der Ro­botdiener zwischen einigen großen Büschen im Süden der Stadt. Synk war immer noch bewußtlos. Diglfonk desaktivierte sich selbst, um vor einer Ortung sicher zu sein. Bei Tagesanbruch würde das Licht von eini­gen Zellen aufgefangen werden und ihn »wecken«.

*

Sator Synk schlug die Augen auf. Es war fast hell. Synk atmete tief durch, streckte sich aus und wollte sich den Schlaf aus den Augen wischen, als er zusammenfuhr. Er lag im Freien. Synk war so schnell auf den Bei­nen wie kaum einmal in seinem Leben.

Er sah sich um und verstand die Welt nicht mehr. Wo die mit Parolen beschmier­ten Wände seines Schlafzimmers sein soll­

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ten, standen Büsche. Anstelle der uralten Decken, auf denen er sonst schlief, hatte er auf Gras gelegen – schlimmer noch: direkt neben einem Insektenhügel.

Doch das war alles nichts gegen die Me­tallkugel, die halb unter einem Busch her­vorragte. Synk kannte sie nur zu gut, auch wenn die Antennen und Tentakel nun schlaff zu Boden hingen.

Der Held von Orxeya stöhnte und schlug sich die Hand vor die Augen. Als er sie wie­der wegnahm, wußte er, daß er nicht träum­te.

Er erinnerte sich. Da waren die Scudda­moren, die ihn und andere Händler gefan­gengenommen hatten und auf dem La­stengleiter abtransportieren wollten. Da wa­ren das Feuerwerk und die Panik. Und dann …

Die Scuddamoren und der Gleiter waren vergessen. Ohnmächtige Wut machte sich in Synk breit, als er erkennen mußte, wie schändlich Diglfonk ihn getäuscht hatte. Aber das paßte zu den Robotern! Sie waren gemein, berechnend und hinterhältig. Digl­fonk hatte seine Gefühle, seine Schuldkom­plexe skrupellos ausgenutzt. Was Synk schon immer vermutet hatte, wurde nun für ihn zur Gewißheit: Die Robotbürger hatten ihn nur geschickt, um Rache zu nehmen. Diglfonk sollte ihn bis zu seinem Lebensen­de quälen. Warum sonst hätte er ihn vor den Scuddamoren retten sollen?

»Doch nur, damit du dich an meinen Qua­len weiterhin ergötzen kannst!« brüllte der Orxeyaner und stieß mit dem Stiefel gegen den Roboter. »Aber daß du dich nicht täuschst! Glaubst du im Ernst, ich hätte dir auch nur eine Träne nachgeweint, als ich glaubte, du wärest tot? Ich habe dich sofort durchschaut, du … Roboter, du! Ich will dir sagen, warum ich mich mit dem Scuddamo­ren auf dem Marktplatz anlegte. Nur um dir zu zeigen, daß blinder Eifer zu nichts führt, jawohl! Natürlich wußte ich, daß man mich gefangennehmen und später zu dem in Kalmlech gelandeten Organtransporter brin­gen würde!«

Keine Reaktion. War das eine neue Teu­felei des Robotdieners? Synk redete sich die Seele aus dem Leib, ohne daß Diglfonk es für nötig hielt, ihm zu antworten.

»He, ich meine dich!« Synk holte wieder aus und trat mit solcher Wucht gegen die Kugel, daß er sich ein paar Zehen verstauch­te und laut aufschrie. »Das war Absicht von dir!« brüllte er, den Tränen nahe. »Du bist ein Verräter, daß du's nur weißt! Ich wollte zur WAPSIET gebracht werden, um in ihr zur Schwarzen Galaxis zu gelangen und dort gegen die wahren Schurken zu kämpfen. Ich … Diglfonk, hörst du mir jetzt endlich zu?«

Noch immer rührte der Robotdiener sich nicht. Synk rang nach Atem. Allmählich ging ihm die Puste für weitere Phantasterei­en aus. Erst jetzt wurde er sich des Unsinns bewußt, den er da zum besten gegeben hatte.

Und er sah, daß die Tentakel sich immer noch nicht bewegt hatten – um keinen Zenti­meter. Jetzt war er plötzlich nicht mehr so sicher, daß Diglfonk ihm nur etwas vorspiel­te.

Aber wenn es doch wieder eine Hinterlist war?

Synk kniete sich vor Diglfonk nieder und zerrte ihn unter dem Busch heraus. Die Ten­takel schleiften schlaff nach.

»Diglfonk!« Synks Stimme war leiser. Seine Hände wurden feucht. »Diglfonk, hörst du mich? So sage doch etwas.«

Und wenn er nun wirklich tot war? Wenn er sich bei dem Transport Synks aus der Stadt übernommen hatte?

»Diglfonk, es war ja alles nicht so ge­meint. Du kannst alles von mir haben, was du willst. Ich gehe sogar mit dir nach Wol­terhaven, wenn du möchtest. Alles, nur stirb nicht. Nicht schon wieder einer von euch!«

In diesem Augenblick, während der Or­xeyaner noch auf den Robotdiener einredete, erreichte die Helligkeit jenen Grad, bei dem die Lichtzellen des Roboters ansprachen. Diglfonk erwachte zu neuem Leben. Einige kleine Lämpchen leuchteten auf und die Scheibe an seinem Oberteil begann zu rotie­ren. Die Antennen richteten sich auf, und die

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Tentakel wickelten sich um den Kugelkör­per. Mit einem Schrei der Entrüstung sprang Synk auf.

»Das habe ich mir gedacht, du Lump! Du warst die ganze Zeit wach und hast nur ge­wartet, bis ich dir das sagte, was du hören wolltest! Aber daraus wird nichts! Ich habe alles, was ich dir versprach, unter psychi­schem Druck gesagt. Du wirst …«

»Wovon redest du, Sator Synk? Was hast du versprochen?«

»Ich …« Der Orxeyaner kniff die Augen zusammen. Was war das nun wieder? Woll­te der Roboter sein Spiel mit ihm noch wei­ter treiben, oder wußte er tatsächlich nichts von dem, was er gesagt hatte? War er tat­sächlich »ohnmächtig« gewesen?

»Du weißt es wirklich nicht? Du hast dich nicht verstellt?«

Diglfonk erklärte nun, wie er Synk aus der Gewalt der Scuddamoren befreit und aus der Stadt hierhergebracht hatte. Als er von seiner vorübergehenden Selbstdesaktivie­rung sprach, hatte Synk das Gefühl, sich ge­hörig blamiert zu haben.

Einerseits wußte er, daß er Diglfonk zu großem Dank verpflichtet war, andererseits jedoch wollte er nicht wahrhaben, daß er sei­ne Freiheit nur einem Roboter zu verdanken hatte. So beeilte er sich, das Thema zu wechseln.

»Und nun?« fragte er. »Es sieht so aus, als ob wir beide allein auf uns gestellt wären. Orxeya ist in der Hand der Scuddamoren. Dorthin können wir nicht zurück.«

»Ganz Pthor ist in der Hand der Scudda­moren«, ergänzte Diglfonk. »Mit Ausnahme der Großen Barriere von Oth.«

Synk sah auf. »Aha!« sagte er. »Woher willst du das so

genau wissen?« Synk hatte einen bestimmten Verdacht.

Solange Diglfonk nun bei ihm war, hatte er ihn keinen Augenblick aus den Augen gelas­sen – abgesehen von jenen Stunden, in de­nen er in der Gefangenschaft der Scuddamo­ren war. Diglfonk hatte bestimmt nicht mit Tarvin geredet. Wenn er also sagte, daß die

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Magier noch frei waren, konnte er das nur von seinen Artgenossen in Wolterhaven wis­sen. Das aber bedeutete, daß er zeitweise oder gar ständig in Kontakt mit Wolterhaven stand, was wiederum Synks Verschwörungs­theorie entgegenkam.

»Die Große Barriere von Oth ist gegen den Willen der Magier nicht einnehmbar«, erklärte Diglfonk. »So war es, als noch die Herren der FESTUNG über Pthor herrsch­ten, und so wird es nun sein. Es ist unwahr­scheinlich, daß sie nun Partei für die Besat­zer ergreifen.«

»Also gut!« sagte der Orxeyaner schließ­lich. »Ich habe mich dafür entschieden, zur Großen Barriere von Oth zu marschieren.«

Blickte Diglfonk ihn hämisch an? Grimmig machte Sator Synk sich auf den

Weg. Immer wieder suchte er den Himmel nach Zugors mit Scuddamoren ab, doch die­ser Teil Pthors zwischen Orxeya und dem Gebirge schien für die Invasoren nicht inter­essant zu sein. Hier gab es keine Siedlungen und keine Eingeborenenstämme wie im We­sten. Das Land war hügelig, die Flora und Fauna abwechslungsreicher als im Norden der Straße der Mächtigen.

Diglfonk folgte Synk treu und warnte hin und wieder vor Tieren, die sich auf der Su­che nach Beute in diesem Gebiet herumtrei­ben konnten. Synk schlug alle Warnungen in den Wind.

So marschierten die beiden zwei Tage und zwei Nächte. In der dritten Nacht blieb Synk immer häufiger stehen. Er hatte ein ungutes Gefühl. Mehr noch, er war sicher, daß sie beobachtet und verfolgt wurden. Nicht von Scuddamoren, denn der Himmel war auch weiterhin von Zugors frei. Nein, es war et­was anderes, das Synk und Diglfonk auf lei­sen Sohlen folgte.

»Kannst du etwas sehen?« fragte der Held von Orxeya seinen robotischen Begleiter.

Diglfonk verneinte knapp. »Du bist beleidigt, oder?« fragte Synk,

ohne mit den Gedanken dabei zu sein. Er war immer noch waffenlos. Selbst sein Mes­ser hatten die Scuddamoren ihm abgenom­

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men. Langsam, sich immer wieder umsehend,

ging er weiter, bis er hinter sich ein leises Knacken hörte, als ob jemand oder etwas auf einen trockenen Ast getreten wäre.

Synk fuhr herum und erstarrte. Diglfonk, die Verschwörung der Roboter,

die Scuddamoren und die Magier waren auf einen Schlag vergessen.

Dem Träumer Sator Synk wurde klar, daß er vor lauter hochgesteckten Zielen und Hirngespinsten die Realität um ihn herum vergessen hatte und Diglfonks Warnungen allzu leichtfertig in den Wind geschlagen hatte.

Hier und jetzt mußte er um sein Leben kämpfen.

»Zurück, Diglfonk«, flüsterte er, langsam rückwärts gehend. Es gab keine Deckung, nichts, wohin er sich in Sicherheit bringen konnte.

Die beiden in der Dunkelheit glühenden Augen folgten ihm. Das riesige dunkle Et­was begann zu knurren. Synk sah die ge­fletschten Zähne des Tieres.

Synks Fuß stieß gegen etwas Hartes. Ein Stein, durchfuhr es den Orxeyaner. Den Blick nicht von den beiden glühenden Au­gen nehmend, bückte er sich langsam.

Er hatte den Stein nicht einmal berührt, als das Tier sprang. Synk stieß einen erstick­ten Schrei aus. Dann landete das Monstrum auf ihm und riß ihn zu Boden. Das letzte, was der Orxeyaner spürte, war der stechende Schmerz in der Schulter.

Dann war nur noch Schwärze um ihn her­um.

4. Stationen des Niedergangs – die FESTUNG

Atzbäll zeigte keinerlei Gefühlsregung, als er die Nachrichten aus Orxeya und von der Gefangenenbefreiung nahe der Straße der Mächtigen hörte. Lange stand er schwei­gend vor den Scuddamoren, die ihm berich­tet hatten. Dann sagte er:

»Ich will die Odinssöhne sehen. Bringt sie

zu mir.« Die beiden Scuddamoren verschwanden

und ließen Atzbäll allein in dem großen Raum, in dem er sich provisorisch einge­richtet hatte. Von hier aus konnte er mit al­len Trupps, die er ausgeschickt hatte, Ver­bindung aufnehmen und über das Wache Auge einen Großteil Pthors und den Welt­raum kontrollieren. Atzbäll wartete auf wei­tere Großtransporter aus der Schwarzen Ga­laxis. Die WAPSIET und die RIESING wür­den bald starten. Vor allem in der Senke der verlorenen Seelen erwartete Atzbäll noch Unruhen. Die RIESING konnte nur 50.000 ehemalige Schläfer aufnehmen. Bis zum Eingreifen weiterer Transporter würden die zur Senke abkommandierten Scuddamoren-Trupps alle Hände voll zu tun haben, um einen Aufstand der Gekidnappten zu verhin­dern. Zwar hatten die über Pthor hereinge­brochenen Katastrophen die Zahl der Schlä­fer stark dezimiert, doch Atzbäll brauchte mindestens noch zwei Transporter vom Fas­sungsvermögen der RIESING, um alle weg­zuschaffen, die in der Senke festgesetzt wor­den waren und noch aus der Umgebung zu­rückgetrieben wurden, wo einige sich häus­lich niedergelassen hatten.

Auch der Verlust der umgekommenen Schläfer ging auf Atlans Konto. Atzbäll war überzeugt davon, daß sie dem Dunklen Oheim noch zur Verfügung stehen würden, wenn man sie nicht aus den Glaspalästen be­freit hätte. Auch hierfür würde Atlan bestraft werden, wenn er erst einmal in der Gewalt von Chirmor Flog war. Atzbäll zweifelte keinen Augenblick daran, daß dies früher oder später der Fall sein würde.

Die Odinssöhne erschienen, eskortiert von vier Scuddamoren. Atzbäll gab ein Zeichen, und die Wachen zogen sich zum Eingang zurück.

Die Odinssöhne boten ein Bild des Jam­mers. Es war schwer, sich diese drei Herr­scher über den Dimensionsfahrstuhl vorzu­stellen. In ihren Blicken lagen die Furcht vor Strafe und Hoffnung eng beieinander.

Sigurd wirkte noch am gefestigtsten.

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Heimdall blickte finster und trotzig wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenom­men hatte, vor sich hin. Balduur schließlich schien sich in seine Phantasiewelt flüchten zu wollen – in jene Welt, in der er neben sei­nem Göttervater Odin und mit Fenrir an sei­ner Seite Angst und Schrecken verbreitete.

»Wir stoßen immer noch auf Wider­stand«, begann Atzbäll in Pthora. »Eine Gruppe von Rebellen hat einen Gefangenen­transport überfallen und ist entkommen. Es ist möglich, daß sie zur Großen Barriere von Oth wollen, wo sie sich Hilfe von den Magi­ern erhoffen. In diesem Fall wird ihr Weg spätestens bei der Energiebarriere zu Ende sein, wo meine Truppen sie erwarten. Orxe­ya wurde verwüstet. Was zunächst nach ei­nem Anschlag einer weiteren Wiederstands­gruppe aussah, hat sich inzwischen als das Werk eines einzelnen herausgestellt. Auch dieser, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um einen Roboter handelt, ist noch auf frei­em Fuß.« Der Scuddamore schwieg. Die Odinssöhne sahen einander mit ziemlich be­tretenen Mienen an. Schließlich war es Si­gurd, der fragte:

»Und deshalb hast du uns rufen lassen? Was sollen wir tun, wenn deine Truppen nicht mit den Aufsässigen fertig werden?«

»Ihr werdet dafür sorgen, daß die Rebel­len gefaßt werden«, sagte Atzbäll. »Was nützen mir Ergebenheitsadressen aus allen Teilen des Dimensionsfahrstuhls? Ihr werdet noch einmal zu den Pthorern sprechen und sie auffordern, sofort Meldung zu machen, wenn sie diesen Orxeyaner und den Roboter oder die anderen Aufständischen sehen. Wenn sie die Möglichkeit dazu haben, sol­len sie sie gefangennehmen. Ich will sie le­bend haben. Wenn sie nicht bald gefaßt wer­den, werden alle Pthorer die Folgen zu tra­gen haben – und ihr im besonderen. Geht jetzt. Ich lasse euch wieder holen, wenn ihr die Botschaft sprechen sollt.«

Wortlos verließen die Odinssöhne den Raum.

Atzbäll rief seine Berater zu sich und be­schloß, die Suchkommandos zu verstärken

Horst Hoffmann

und den Magiern ein neues Verhandlungsan­gebot zu machen. Er war bereit, sie in Frei­heit gewähren zu lassen, falls sie sich auf die Seite der Mächte der Schwarzen Galaxis stellten.

Sollten sie auch diesmal nicht reagieren, war Atzbäll entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen. Er würde die Große Barriere von Oth dem Erdboden gleichmachen lassen.

Er setzte ihnen für die Antwort auf seinen Vorschlag eine Frist von zwei Tagen.

Atzbäll kannte die Strafe für Versagen. Und er war entschlossen, erfolgreich in die Schwarze Galaxis zurückzukehren – koste es, was es wolle. Er hatte die Macht – und er würde sie zu gebrauchen wissen.

5. Stationen des Niedergangs – Kalmlech

Zarink sehnte den Augenblick des Ab­flugs herbei. Der Kommandant der WAP­SIET hatte es schwer, die Übersicht zu be­halten. Aus allen Regionen von Pthor wur­den neue Gefangene hergeschafft, die an Bord untergebracht werden mußten. Daß es bisher noch nicht zu ernsthaften Zwischen­fällen gekommen war, grenzte für Zarink schon fast an ein Wunder. Die Gefangenen waren verunsichert, und der kleinste Funke konnte genügen, trotz aller Furcht vor den Scuddamoren ein Chaos losbrechen zu las­sen. Zarink ließ sich durch die Apathie der Pthorer, die in langen Kolonnen durch die streng bewachten Schleusen ins Schiff ge­bracht wurden, nicht täuschen. Es gab mit Sicherheit einige unter ihnen, die nur auf ei­ne Gelegenheit zum Losschlagen warteten. Zarink stand in ständiger Verbindung zur FESTUNG und wußte von Atzbälls Proble­men mit den Aufsässigen.

Der Kommandant der WAPSIET täuschte sich nicht.

Die drittletzte Gruppe von Gefangenen, die von dem riesigen Organschiff aufgenom­men werden sollte, bestand wie alle anderen aus 500 Pthorern. Die Scuddamoren hatten die einzelnen Gruppen so zusammengestellt,

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daß sie nach Möglichkeit aus Pthorern gebil­det wurden, die aus der gleichen Region des Dimensionsfahrstuhls stammten.

Diejenigen, die als nächste ins Schiff ge­trieben werden sollten, stammten aus der Gegend um den Regenfluß und aus dem Blutdschungel. Es waren Dalazaaren unter ihnen, Nomaden und die eigentlichen »Bewohner« des Regenflusses – Piraten.

Zambor Hirto und seine Männer paßten sich nach außen hin vollkommen an. Sie blickten stumpf vor sich hin und gehorchten den Kommandos der Scuddamoren. Hirto, ein Hüne von Gestalt, mit langem zerzau­stem Haar und einem bärtigen Narbenge­sicht, achtete auf jedes Zeichen von Unmut bei den kriegerischen Eingeborenen aus dem Blutdschungel. Er baute auf sie. Er und sei­ne Piraten waren zu wenig, um im geeigne­ten Augenblick die Wachen zu überfallen und zu entwaffnen. Hirto wußte, daß er nur eine echte Chance hatte, wenn es ihm ge­lang, einen Teil des Organschiffs zu erobern und eine Position zu gewinnen, aus der her­aus er den Kommandanten unter Druck set­zen konnte. Die Scuddamoren hatten ihm sein Schiff genommen. Der anfänglichen Angst vor diesen unheimlichen Wesen war der Zorn gefolgt. Hirto wollte sich für den Verlust entschädigen. Sein Leben war Kampf gewesen, und er dachte nicht daran zu kapitulieren. Hirtos Pläne waren nicht von besonderem Weitblick geprägt. Für ihn gab es nur die Scuddamoren in der WAP­SIET und die Wachen vor dem Schiff und bei den Gefangenen. Natürlich spielte auch die Angst vor dem ungewissen Schicksal ei­ne Rolle, dem alle ausgesetzt waren, die mit dem Schiff weggebracht wurden. Für Hirto war diese Gefahr gebannt, wenn das Schiff in der Hand seiner Männer war. Er konnte nicht wissen, wie groß die Macht der Scud­damoren tatsächlich war. Die ersten Gefan­genen setzten sich in Bewegung und mar­schierten auf die Rampe zu, die zu einer der offenstehenden Schleusen hinaufführte. Die Scuddamoren trieben sie in Dreierreihen hinauf. Wer stehenblieb, bekam ihre Peit­

schen zu spüren. Hirto, der ziemlich in der Spitze der Kolonne ging, sah sich vorsichtig um. Seine Männer waren unter die Eingebo­renen verteilt. Sie warteten nur auf sein Zei­chen. Weiter. Hirto erreichte die Rampe. Rechts und links neben ihm gingen Dalazaa­ren. Dem Piraten war das Aufblitzen in ihren Augen nicht entgangen, als direkt vor ihnen ein alter Nomade vor Schwäche stehenblieb und einen Schlag mit solcher Wucht in den Rücken bekam, daß er vornüber fiel und reg­los liegenblieb. Die Scuddamoren zerrten ihn einfach zur Seite und warfen ihn die Rampe herab. »Weiter!« war die harte Stim­me eines der Schattenhaften zu hören. Seine Peitsche knallte in der Luft.

»Nicht stehenbleiben!« Noch wenige Schritte, dann war Hirto auf

gleicher Höhe mit ihm. Die Schleuse befand sich noch zehn Meter entfernt. Der Zeit­punkt konnte nicht günstiger sein. Hirto wußte nicht, wie viele Scuddamoren sie im Schiff erwarteten, aber gegen den Ansturm einer entfesselten Menge würden sie nichts ausrichten können.

Hirto stieß die neben ihm gehenden Ein­geborenen mit beiden Armen von sich weg, so daß sie gegen die Scuddamoren prallten. Gleichzeitig schrie er das Kommando zum Angriff. Hinter ihm schlugen seine Männer los, und die Dalazaaren reagierten, wie er es erhofft hatte.

Die überraschten Wachen schlugen mit den Peitschen auf die für einen Moment to­tal überraschten Eingeborenen ein, die Hirto gegen sie gestoßen hatte. Das genügte. Es war der Funke, der das Chaos entfesselte. Die Dalazaaren, die vor und hinter Hirto gingen und sahen, wie ihre Stammesgenos­sen mißhandelt wurden, waren über den Wa­chen, bevor diese zurückspringen konnten. Sie stießen sie über den Rand der Rampe in die Tiefe. Lautes Gejohle erscholl. Hirto brüllte, um den Lärm zu übertönen, und peitschte die Eingeborenen an.

»Auf sie! Ihr seht, daß wir stärker sind! Nehmt ihre Waffen!«

Hirtos Piraten arbeiteten sich zu ihm vor.

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Durch die nicht mehr zu bremsenden Dala­zaaren hindurch bahnten sie sich ihren Weg zur Schleuse. Sie feuerten die Eingeborenen ununterbrochen an und griffen die ersten Scuddamoren an, die jetzt aus der Schleuse stürmten. Waffen polterten zu Boden und wurden schnell aufgesammelt. Die Piraten machten sofort von ihnen Gebrauch. Eine weitere Welle von aus dem Schiff stürmen­den Scuddamoren verging im konzentrierten Strahlfeuer.

Vor der Schleuse drehte Hirto sich um und richtete sich hoch auf. Er streckte den Arm mit dem Strahler in die Luft und gab ein paar Schüsse ab.

»Wir erobern das Schiff!« schrie er. »Habt keine Angst mehr! Die Fremden sind verwundbar! Folgt mir!«

Wieder erscholl Geschrei aus Tausenden von Kehlen. Inzwischen tobte der Kampf auch unten vor der Rampe, wo die Gefange­nen in den letzten beiden Gruppen über ihre Bewacher herfielen.

Sie hatten keine Chance. Die Scuddamo­ren schossen und töteten Dutzende von Pthorern.

Hirto erkannte schnell, daß er und seine kleine Streitmacht von der Rampe weg muß­ten.

»Ins Schiff!« brüllte er. Zusammen mit seinen Piraten und einigen

Dalazaaren stürmte er die Schleuse. Natür­lich wußte er nicht, wie es im Innern eines Organschiffs aussah. Alles, was sich den Eindringlingen in den Weg stellte, wurde niedergewalzt. Einige Pthorer trampelten sich gegenseitig zu Tode. Die Angst der Ein­geborenen vor den Scuddamoren, die bei ih­rem Auftauchen wie finstere Dämonen auf sie gewirkt haben mußten, war endgültig verflogen. Dann kamen keine Scuddamoren mehr. Hirto triumphierte. Immer noch strömten Pthorer, von seinen Piraten diri­giert, in die riesige Schleusenkammer und von dort aus in alle Korridore, die sie fan­den.

Hirto winkte einige seiner Männer heran. »Sie sorgen hier unten für genug Unru-

Horst Hoffmann

he«, sagte er. »Wir nehmen uns den Kom­mandanten vor!«

Der Flußpirat war, selbst von seinem Er­folg überrascht, in seinem blinden Eifer nicht mehr zu bremsen. Für ihn war der Rest nur noch ein Kinderspiel. Die WAPSIET war irgendein Schiff, das es zu erobern galt, der Scuddamoren-Kommandant irgendein Kapitän, seine Besatzung irgendeine Mann­schaft, die über Bord geworfen werden muß­te, bevor das Schiff endgültig den Piraten gehörte.

In seinem Fanatismus vergaß Zambor Hirto die Wirklichkeit. Er erhielt den unaus­bleiblichen Dämpfer, als einer seiner Män­ner mitten auf einem scheinbar leeren Korri­dor gegen ein unsichtbares Hindernis prallte und in einem grellen Blitz verging.

Als die Piraten noch wie erstarrt dastan­den und auf die Asche blickten, die sich auf dem Boden des Korridors befand, ertönte aus verborgenen Lautsprechern die harte Stimme eines Scuddamoren.

*

Zarink hatte mit Schwierigkeiten gerech­net und war doch von der Entwicklung über­rascht worden. Ein solches Aufbäumen, wie er es über die Schirme der Zentrale verfolgt hatte, hatte er doch nicht für möglich gehal­ten.

Ein Teil der WAPSIET war von den Ge­fangenen besetzt. Mehrere Scuddamoren hatten im Kampf den Tod gefunden. Zarink hatte das einzig Richtige getan, als er alle Wachen aus dem unteren Teil des Schiffes zurückzog und diesen Teil durch Energieb­arrieren abriegelte. Die Pthorer saßen fest. Sie hatten keine Möglichkeit, zu den ande­ren an Bord befindlichen Gefangenen in den höheren Decks zu gelangen und auch diese zum Aufstand anzustacheln.

Ein Blick auf die Bildschirme der Außen­übertragung zeigte Zarink, daß die noch vor der WAPSIET befindlichen Pthorer im Au­genblick keine Gefahr darstellten. Diejeni­gen, die sich den Rebellen hatten anschlie­

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ßen wollen, waren tot und gaben allen ande­ren ein abschreckendes Beispiel.

Dennoch war Zarinks Lage prekär. In den unteren Decks befanden sich wichtige Ele­mente des Antriebs. Wenn die Aufständi­schen sich weiter so wild gebärdeten wie jetzt und auf alles schossen, was ihnen im Weg stand, konnten sie das ganze Schiff in die Luft jagen. Und wenn sie dies selbst be­griffen, würden sie Zarink erpressen können.

Er mußte ihnen zuvorkommen. Zarink ließ sich eine Verbindung zu Atz­

bäll schalten und informierte diesen über die Lage. Atzbäll ließ keinen Zweifel daran, daß er Zarink für die Besetzung der unteren Decks verantwortlich machte und von ihm erwartete, daß er die Rebellen unschädlich machte.

Zarink sah im Augenblick nur eine Mög­lichkeit. Er mußte den Pthorern zum Schein Verhandlungen anbieten, um im geeigneten Augenblick zuzuschlagen.

Der Kommandant der WAPSIET beauf­tragte seinen Stellvertreter Honnak damit, schwerbewaffnete Scuddamoren in allen Korridoren, die zum besetzten Teil des Schiffes führten, zu postieren. Sie sollten in unmittelbarer Nähe der Energiebarriere auf sein Zeichen zum Angriff warten, ohne je­doch von den Gefangenen vorzeitig gesehen zu werden.

Dann sprach er zu den Pthorern. »Ihr wißt, daß ihr eingeschlossen seid«,

hallte es aus vielen Lautsprechern überall in den unteren Schiffdecks. »Ihr habt keine Chance gegen uns. Ein Kommando von mir genügt, und meine Männer werden euch un­ter Feuer nehmen. Dennoch bin ich bereit, mit euch zu verhandeln. Werft die Waffen weg. Laßt sie einsammeln und legt sie in ei­nem der Korridore wenige Meter vor der Energiebarriere auf einen Haufen. Ich weiß, wie viele Strahler ihr erbeutet habt. Versucht also erst gar nicht, uns zu täuschen. Gebt al­len Widerstand auf und beendet euer wahn­sinniges Vernichtungswerk. Ich verspreche euch dafür, daß ihr an einen sicheren Ort auf Pthor gebracht werdet und dort eure Freiheit

erhaltet. Ergebt euch!« Hirtos Antwort war ein hämisches La­

chen. Der Pirat zielte mit dem erbeuteten Strahler in den Korridor vor ihm und schoß. Wo der Strahl auf die Energiewand traf, flossen purpurrote Lichtadern nach allen Seiten davon und schmolzen Furchen in die Wände des Korridors. Flüssiges Metall tropfte auf den Boden herab. Hirto stellte den sinnlosen Beschluß schnell ein, als sich beißender Rauch zu bilden begann und es unerträglich heiß wurde.

»Du lügst!« brüllte der Pirat und suchte vergeblich nach den Lautsprechern. »Du willst uns eine Falle stellen. Wieso wollt ihr uns von hier wegschaffen? Warum gebt ihr uns nicht hier die Freiheit, wenn es euch ernst ist?«

»Damit ihr die anderen Gefangenen vor dem Schiff weiter aufwiegeln könnt? Für wie dumm hältst du mich, Pthorer?«

»Wenn ihr so mächtig seid, brauchst du nicht zu verhandeln!« schrie einer von Hir­tos Männern.

»Ich sagte schon, daß ein Befehl von mir genügt, um euch alle umbringen zu lassen. Das würde allerdings Opfer in unseren eige­nen Reihen kosten. Ich biete euch die Frei­heit an, um das zu verhindern.«

»Und er lügt, Hirto«, knurrte einer der Pi-raten.

Im Hintergrund war noch immer das Ge­johle der Eingeborenen und das Krachen von Schüssen zu hören.

»Ich verhandle nicht mit dir«, schrie Hir­to. »Nicht auf diese Weise. Ich stelle die Be­dingungen. Ihr werdet von Bord gehen und uns das Schiff überlassen!«

Schweigen. Hirto wurde immer siegessi­cherer.

»Wenn ihr nicht aufgebt, lasse ich die an­deren an Bord befindlichen Gefangenen einen nach dem anderen erschießen«, lautete dann die Antwort des Scuddamoren.

Schon hatte Hirto eine Antwort auf der Zunge, doch dann zögerte er.

Er war zwar ein Pirat, der bisher wenig Rücksicht auf Leib und Leben anderer ge­

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nommen hatte, aber nun kamen ihm Skrupel. Hirto begann zu begreifen, daß dies kein

Raubzug war, daß er dem unheimlichen Gegner nicht allein gegenüberstand.

»Ich traue dir nicht, Scuddamore!« rief er. »Welche Garantie habe ich, daß du dein Wort halten wirst?«

»Bist du verrückt geworden?« fragte einer der Männer neben ihm.

»Halt den Mund!« Hirto wußte, daß er sich auf ein gefährli­

ches Spiel einließ, wenn er weiter mit Zarink sprach. Sein Eingehen auf dessen Vorschlä­ge konnte als Schwäche ausgelegt werden, und es gab einige unter seinen Männern, die gern an seine Stelle treten wollten.

»Seid ihr bereit, den Odinssöhnen zuzu­hören?« kam es aus den Lautsprechern.

Hirto sah sich um – in die Gesichter sei­ner Anhänger. Er sah seine Chance, einer­seits das drohende Gemetzel unter den ge­fangenen Pthorern in den anderen Teilen des Schiffes zu verhindern und andererseits sein Gesicht zu wahren. Der Kommandant des Schiffes, so glaubte er, hatte ihm, ohne es zu ahnen, eine goldene Brücke gebaut. Hirto konnte die Initiative wieder an sich reißen.

»Ich akzeptiere sie unter folgenden Be­dingungen«, rief er. »Erstens will ich für den Verlust meines Schiffes und die erlittenen Demütigungen entschädigt werden. Ich ver­lange Waffen für mich und meine Leute. Zweitens sollen die Odinssöhne persönlich zu uns kommen. Ihr werdet nicht wagen, auf uns zu schießen, wenn sie bei uns sind. Was sagst du dazu, Scuddamore?«

Wieder dauerte es eine Weile, bis die Ant­wort kam:

»Ich akzeptiere die Bedingungen. Die Od-inssöhne sind bereits hierher unterwegs.«

Hirto atmete tief durch. Er blickte sich tri­umphierend um. In einigen Gesichtern sah er helle Begeisterung, andere verrieten nach wie vor Skepsis.

»Bringt die Eingeborenen zur Ruhe und sagt unseren Männern, daß sie sich in der Schleuse sammeln sollen«, befahl er. »Wir gehen dorthin zurück. Wenn wir die Waffen

Horst Hoffmann

bekommen, werden wir uns schnell für un­sere Verluste entschädigt haben – und dazu eine halbe Armee von Sklaven …«

*

Zarink empfing die drei Odinssöhne in der Zentrale der WAPSIET. Der Zugor, der sie gebracht hatte, stand in einem Hangar im oberen Teil des Organtransporters.

Selbst Sigurd war nun nur noch ein Schat­ten seiner selbst. Die Art und Weise, wie er und seine Brüder nun nicht nur von Atzbäll, sondern auch von »einfachen« Scuddamoren behandelt wurden, machte deutlich, wie we­nig Achtung die Söhne Odins bei den Inva­soren genossen. Sigurd, der bis zuletzt daran geglaubt hatte, daß es doch noch zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den In­vasoren kommen würde – was für ihn soviel hieß wie der angedrohten Bestrafung zu ent­gehen, ohne dafür ganz seine Würde aufge­ben zu müssen –, sah sich getäuscht.

Wenn Atzbäll nicht daran gelegen wäre, die drei Brüder lebend zu seinen Hintermän­nern zu bringen, hätte er sie vermutlich jetzt gnadenlos in den Tod geschickt. Doch sie sollten in der Schwarzen Galaxis vor ein Ge­richt gestellt werden. Nur diesem Umstand verdankten sie, daß sie die nächsten Stunden überleben würden – falls die Piraten nicht Amok liefen.

Nachdem Zarink erklärt hatte, worum es ging, und die Odinssöhne genaue Verhal­tensanweisungen bekommen hatten, wurden sie von Scuddamoren in den unteren Teil der WAPSIET gebracht. Jeweils zwei Invasoren nahmen einen Odinssohn in ihre Mitte und passierten mit ihm die Energiebarriere, als wäre sie überhaupt nicht vorhanden. Sigurd, Balduur und Heimdall erfuhren erst, daß sie sich im abgeriegelten Teil des Schiffes be­fanden, als sie eine entsprechende Erklärung bekamen.

Die Scuddamoren zogen sich zurück und warteten jenseits der Barriere in Verstecken.

Sigurd nickte grimmig und winkte den Brüdern. Sie marschierten weiter in den

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Korridor hinein, in die Richtung, in der sie die Rebellen wußten. Sigurd spielte kurz mit dem Gedanken, sich mit ihnen zusammenzu­tun und gemeinsam gegen Zarink zu kämp­fen. Die Piraten hatten wenig oder gar keine Ahnung von Raumschiffen. Die Odinssöhne hingegen konnten wichtige Anlagen erken­nen und damit drohen, diese zu manipulie­ren oder zu vernichten.

Das brachte nichts ein, sagte sich Sigurd. Selbst falls er und seine Brüder sich und die vielen Gefangenen opferten, würden anstelle der WAPSIET andere Großtransporter die unbequemen Pthorer abholen.

Sigurd ertappte sich dabei, Atlan zurück­zusehnen. Wie in diesen Stunden andere Versprengte auf Pthor, wurde Sigurd sich der Ohnmacht eines Einzelnen bewußt. Ge­gen die Scuddamoren konnte nur etwas er­reicht werden, wenn es jemanden gab, der die Aktionen koordinierte.

Über die Lautsprecher wurde den Rebel­len die Ankunft der Odinssöhne mitgeteilt. Als Sigurd, Balduur und Heimdall die riesi­ge Schleusenkammer erreichten, bahnten die Eingeborenen aus dem Blutdschungel, für deren Hiersein Sigurd keinerlei einleuchten-de Erklärung fand, denn die Dalazaaren wa­ren zwar rauhe und kriegerische Gesellen, aber mit Politik hatten sie nicht das gering­ste im Sinn, ihnen den Weg, bis sie vor etwa zwanzig verwegen aussehenden Flußpiraten standen.

»Ich bin Hirto«, stellte derjenige, der an ihrer Spitze stand, sich vor. »Ihr redet nur mit mir, verstanden?« Hirto verschränkte die Arme vor der Brust, den erbeuteten Strahler fest in der Hand. Plötzlich grinste er über das ganze Gesicht. »Das sind also die stol­zen Odinssöhne!« höhnte er. »Und vor die­sen Jammerfiguren haben sich die Pthorer einmal gefürchtet!«

Heimdall wollte sich auf den Piraten stür­zen. Hirto reagierte blitzschnell. Der Strahl seiner Waffe brannte ein brodelndes Loch unmittelbar vor Heimdalls Füßen in den Bo­den. Sigurd riß den Bruder zurück.

»Wir sind hier«, sagte er so ruhig wie

eben möglich. Auch er wäre Hirto am liebsten an die

Kehle gesprungen. Balduur sah aus, als spielte er mit Selbstmordgedanken. Viel län­ger würde er die andauernden Demütigun­gen nicht mehr ertragen können.

»Laß jetzt die Waffen einsammeln und in den Korridor werfen, den ich dir zeigen wer­de. Die Scuddamoren werden sie an sich nehmen und euch zurückgeben, wenn sie euch abgesetzt haben. Draußen stehen Transportgleiter für euch bereit.«

»Wo wird das sein?« wollte Hirto wissen. Er grinste immer noch und hatte die Augen zusammengekniffen. »Wohin sollen wir ge­bracht werden?«

»An einen Ort, wo ihr leben könnt, ohne gleich wieder Unheil anzurichten.«

»Wohin genau?« Hirtos Grinsen erstarb. Sigurd sah sich in der Klemme. Darüber

hatte Zarink nicht mit ihm gesprochen. Doch da die Piraten diesen Ort ohnehin niemals erreichen sollten, sagte er einfach:

»Zum Fluß Xamyhr, in die Nähe der Dunklen Region.«

»Zur Dunklen Region!« entfuhr es einem der anderen Piraten. »Das könnte euch ge­fallen! Hirto, niemals werden wir uns darauf einlassen!«

»Ihr werdet Waffen haben«, sagte Sigurd kühl.

Hirto blickte dem Odinssohn lange for­schend in die Augen. Sigurd spürte die Spannung dieses Moments. Er hätte etwas darum gegeben, nun die Gedanken des Fluß­piraten lesen zu können.

Dann trat wieder das Grinsen auf Hirtos Gesicht. Er drehte sich zu seinen Männern um und sagte:

»Und ob wir uns darauf einlassen werden! Mit diesen Strahlern können wir uns das ganze Flußgebiet untertan machen. Los, Kebbak, Jorgan und Sistello, ihr sammelt die Waffen ein. Der Blondschopf wird euch sa­gen, wohin ihr sie zu bringen habt!« Zu Si­gurd gewandt, fügte Hirto hinzu: »Nicht wahr, Sohn Odins? Ihr wollt uns doch nicht verlassen, bevor wir wissen, daß deine neu­

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en Freunde ihr Wort auch halten?« Etwas anderes hatte Sigurd nicht erwartet.

Er nickte nur. Zarinks Scuddamoren waren darauf vorbereitet. In dem Augenblick, in dem sie die Schleusenkammer und die um­liegenden Korridore stürmten, würden die Odinssöhne längst auf der Rampe sein. Un­auffällig blickte Sigurd zum offenen Schott. Mit den wenigen Piraten, die den Weg ins Freie versperrten, sollten sie fertig werden können.

Doch da war etwas in Hirtos Blick, das Sigurd beunruhigte. Der Pirat wirkte zu selbstsicher, ganz im Gegensatz zu seinen Männern, die nur widerwillig die Waffen hergaben. Einige der Eingeborenen wehrten sich sogar und mußten mit Gewalt entwaff­net werden. Es war ein Wunder, daß kein Schuß fiel.

Als alle Strahler beisammen waren, zeigte Sigurd den drei Piraten, die sie in den Ar­men trugen, den Korridor, in den sie sie zu werfen hatten. Hirto selbst rührte sich nicht von der Stelle.

»Leistet keinen Widerstand!« war nun wieder Zarinks Stimme zu hören. »Ihr wer­det nun zu den wartenden Gleitern geführt.«

Das war das Stichwort für die Odinssöh­ne. Sigurd schrie:

»Jetzt!« Im nächsten Augenblick stürmten er,

Heimdall und Balduur auf die Piraten los. Hirto wich geschickt zur Seite. Seine Män­ner wurden förmlich überrannt. Heimdall wütete wie ein Berserker. Bevor die über­raschten Piraten begriffen, was geschah, wa­ren die Odinssöhne auf der Rampe. Sie hör­ten, wie im Schiff der Tumult losbrach, als die Scuddamoren aus ihren Verstecken ka­men und die Pthorer einkreisten, dann das Knirschen des riesigen Schottes, das sich hinter ihnen schloß. Sigurd atmete auf, ob­wohl er sich als gemeiner Verräter fühlte, der »seine« Pthorer an die Invasoren ausge­liefert hatte.

Am Ende der Rampe stand der Zugor für die Odinssöhne bereit. Zwei Scuddamoren warteten bei ihm. Einer von ihnen stieß

Horst Hoffmann

einen Schrei aus und riß die Waffe hoch. Bevor er schießen konnte, vergingen er und sein Artgenosse im konzentrierten Feuer ei­ner scuddamorischen Strahlwaffe.

Erschüttert blieben die Odinssöhne ste­hen. Langsam, als ob er wußte, was ihn er­wartete, drehte Sigurd sich um.

Er blickte in die Mündung des Strahlers, der den beiden Scuddamoren den Tod ge­bracht hatte.

»Ich wußte es«, sagte Hirto triumphie­rend. Neben ihm standen zwei der Piraten, die die Waffen eingesammelt hatten – Keb­bak und Sistello.

»Hattet ihr wirklich geglaubt, ich würde auf die Versprechungen hereinfallen? Ich wußte, daß ihr euch aus dem Staub machen würdet, sobald wir unsere Waffen abgelie­fert hatten. Deshalb versteckte ich einen Strahler früh genug unter meinem Wams.«

Hirto hob ihn triumphierend in die Höhe, senkte ihn aber sofort wieder, als Heimdall Anstalten machte, sich auf ihn zu stürzen.

»Vorsicht! Macht keine Dummheiten. Wir wollen den Pthorern nicht zu früh ihre mutigen Herrscher nehmen. Runter von der Rampe!«

»Du bist verrückt!« schrie Sigurd. »Zarink wird euch mit den Bordgeschützen der WAPSIET vernichten!«

»Nicht, solange ihr bei uns seid. Los, geht schon. Ihr fliegt mit uns, bis wir außer Reichweite sind. Und ich warne euch. Bei dem geringsten Versuch, uns anzugreifen, schieße ich. Das gilt vor allem für den tapfe­ren Heimdall.«

Sigurd sah ein, daß er und seine Brüder keine Chance hatten. Der Pirat meinte, was er sagte. Sie waren ihm ausgeliefert. Und nun war es weniger die neue Demütigung, die Sigurd jeden Mut verlieren und ihn wün­schen ließ, daß er nie sein Lichthaus verlas­sen hätte, daß es niemals zum Umsturz auf Pthor und zur Vereinigung der bis dahin iso­liert und relativ sorglos lebenden Odinssöh­ne gekommen wäre, sondern die nackte Angst vor dem Tod.

Sie waren in Hirtos Hand. Solange sie

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ihm als Geiseln nützlich waren, würde er sich hüten, sie umzubringen.

Aber danach?

6. Stationen des Niedergangs – der Weg zu den

Magiern

Es schien Sator Synks Schicksal zu sein, aus einer Ohnmacht aufzuwachen und Digl­fonk neben sich zu sehen. Wieder war es fast hell. Diesmal schwebte der Robotdiener über seinem Herrn. Lämpchen glühten auf, als ob Diglfonk Synks Zustand analysieren wollte.

Oder war dies ein Zeichen von Schaden­freude?

»Was blinkst du mich so an?« fuhr der Orxeyaner auf, um sich sofort mit beiden Händen an den Kopf zu fassen.

Das Sprechen verursachte höllische Schmerzen. Synk wartete, bis die vor seinen Augen tanzenden Sternchen verschwunden waren. Dann nahm er die Hände herunter und richtete sich ganz langsam auf.

»Was ist nun schon wieder passiert, Digl­fonk? Halt, ich erinnere mich. Da waren die­se beiden glühenden Augen, und dann …« Synk fuhr auf. Wieder die Schmerzen in den Schläfen und die Sterne vor den Augen. Der Orxeyaner ignorierte sie. »Wo ist die Be­stie? Wir müssen weg von hier! Ich …«

»Du warst unvorsichtig«, sagte jemand in Synks Rücken. »Fenrir glaubte, daß du ihn angreifen wolltest, und kam dem zuvor.«

Sator Synk zuckte zusammen. Die Stim­me gehörte einem Menschen. Wer konnte ihn und Diglfonk hier in dieser Einöde auf­gespürt haben?

»Diglfonk!« flüsterte Synk. »Wer ist das hinter mir? Verdammt, warum sagst du nichts?«

Jemand legte seine Hand auf Synks Schulter. Der Orxeyaner ging in die Knie. Dann drehte er sich ganz langsam um.

Der Mann war groß und schlank. Seine Kleidung war an einigen Stellen zerrissen und angesengt oder rußgeschwärzt, aber an­

sonsten machte er auf den Orxeyaner einen verhältnismäßig guten Eindruck.

Also kein Plünderer, dachte Synk. Doch was für Freunde hatte er!

Der eine war gut zweieinhalb Meter groß und nackt. Seine »Haut« bestand aus Hun­derten von grünen Schuppen, die wie aus ge­brochenem Kristallgestein wirkten. Der an­dere war untersetzt und hatte einen kugel­runden Kopf, aus dem an der Stirn zwei Dinger herauswuchsen, die Synk unwillkür­lich an Trommelstöcke erinnerten.

Die Hand des seltsamen Mannes lag auf dem Rücken eines riesigen Tieres – ohne Zweifel war es die Bestie, die Synk angefal­len hatte. Und nun erkannte der Orxeyaner das Tier. Er hatte von ihm gehört. Jeder Or­xeyaner kannte Fenrir, den sagenhaften Rie­senwolf des Odinssohns Balduur.

»Der Fenriswolf«, entfuhr es Synk. Er machte zwei Schritte zurück und wäre gegen Diglfonk gestoßen, wenn dieser nicht ge­schickt zur Seite geschwebt wäre. Der schlanke Mann lächelte, aber es war ein ver­krampftes Lächeln. Immer wieder sah er zum Himmel des anbrechenden Tages hin­auf. Synk glaubte zu wissen, warum. Auch diese seltsame Gruppe war auf der Flucht vor den Scuddamoren. Das aber machte sie und Synk quasi zu Verbündeten. Synk sah dem Wolf in die Augen. Das Tier war ruhig.

»Ich sagte schon, daß du unvorsichtig warst«, sagte der Hochgewachsene. »Aber du hattest Glück. Fenrir wehrt sich. Hätte er dich töten wollen, ständen wir uns jetzt nicht gegenüber. Fenrir muß gespürt haben, daß er den tapferen Sator Synk aus Orxeya vor sich hatte.«

»W … was?« stammelte der Held der Schlacht um Pthor.

»Natürlich. Wer hätte nicht von deinen Taten gehört? Und deine Erscheinung ist un­verwechselbar. Mein Name ist Lebo Axton, dies«, der Terraner legte die andere Hand auf die Schulter des Rundlichen, »ist Koy, der Trommler, und der Dicke heißt Kolphyr. Keine Angst, er ist friedlicher, als er aus­sieht.«

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Sator Synk fand keine Worte. Einen Au­genblick vergaß er, in welcher Situation er sich befand, und genoß den Ruhm. Fast tri­umphierend sah er zu Diglfonk hinüber, als ob er sagen wollte: »Na bitte!«

Doch Synk faßte sich schnell wieder. »Ich bin auf der Flucht«, erklärte er. »Der

Blechklumpen, der mich begleitet, ist mein … mein Diener Diglfonk.«

»Ich dachte es mir«, sagte Lebo Axton. »Die Scuddamoren jagen euch? Warum?«

»Ich erteilte ihnen in Orxeya eine Lekti­on, als sie einige Dutzend von uns abtrans­portieren wollten«, beschönigte Synk die Wahrheit etwas. »Ich sprengte die halbe Stadt in die Luft und floh, als die Übermacht zu groß war.«

»Aha«, machte Axton. Vergeblich ver­suchte Synk in der Miene seines Gegenübers zu lesen. »Wir überfielen einen Gefangenen­transport und sind nun auf dem Weg zur großen Barriere von Oth, um die Magier um Hilfe zu bitten.«

Synk blickte Axtons Begleiter der Reihe nach an. Sie hatten also zu viert einen von Scuddamoren begleiteten Gefangenentrans­port überfallen? Wieder sah Synk im Geist eine kleine Streitmacht unter seiner Führung gegen die Invasoren ziehen.

»Sie sind wohl stark, deine Freunde?« fragte er.

»Das kann man sagen. Sie haben eine Menge in sich, aber schlag dir das aus dem Kopf, Sator.«

»Was?« fragte der Orxeyaner verblüfft. Konnte dieser Axton Gedanken lesen?

»Allein haben auch wir keine Chance. Wir haben es versucht, aber es bringt nichts ein, den Scuddamoren Nadelstiche zu ver­setzen. Wir brauchen mächtige Verbünde­te.«

Das sah Synk nach einigem Nachdenken ein.

»Habt ihr etwas dagegen, wenn ich mich euch anschließe?«

»Du und dein Roboter?« Synk biß die Zähne aufeinander. »Jawohl, er auch, wenn's sein muß.«

Horst Hoffmann

»Einverstanden«, sagte Lebo Axton. Wie­der suchte er den Himmel ab. »Ich schätze, daß wir morgen früh die Barriere erreicht haben.«

»Erst morgen?« wunderte sich Synk. »Wir könnten es bis heute abend schaffen, wenn wir uns beeilen.«

»Wir marschieren nur nachts«, erklärte Axton. »Am Tag ist es zu gefährlich. Außer­dem kommen wir nicht allzu schnell voran, und ich bin müde.«

»Müde?« Synk lachte. »Jetzt? Es ist Mor­gen!«

»Für dich, Sator. Wir sind die ganze Nacht marschiert.« Axton sah sich um. »Ein guter Platz zum Schlafen. Da du dich so frisch fühlst, kannst du Wache halten.«

Ohne den Orxeyaner zu Wort kommen zu lassen, legte sich der Terraner unter den nächsten Busch und drehte sich auf die Sei­te.

Synk stemmte die Arme in die Seiten und murmelte eine Verwünschung.

»Was sagst du dazu, Diglfonk? Diglfonk!«

Der Robotdiener lag hinter Synk auf dem Boden, die Tentakel um den Hauptkörper geschlungen. Alle Lichter waren erloschen.

»Du Verräter also auch!« entfuhr es Synk. »Was hätte ich von dir anderes erwarten können? Ich hätte gute Lust, dir …«

Synk sagte nicht laut, wozu er Lust hatte. Er behielt seine Mordabsichten für sich und fügte sich in sein Schicksal.

»Nicht böse sein«, sagte das grüne Mon­strum mit piepsiger Stimme. »Ich bleibe auch wach, brauche keinen Schlaf.« Synk sah Kolphyr auf sich zukommen. Es roch plötzlich stark nach Zimt. Der Riese breitete die Arme aus.

»Was … was willst du?« kreischte der Held von Orxeya und sprang schnell zurück. »Geh weg! Was willst du von mir?«

»Schmusen«, kam die Antwort. »Kolphyr will schmusen.«

*

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Sator Synk hätte Lebo Axton umarmen können, als dieser am späten Nachmittag zum Aufbruch rief. Die »Schmuserei« mit Kolphyr hatte ihm einige Schrammen einge­bracht und ihn ein paar Haarbüschel geko­stet, was zur Folge hatte, daß der Orxeyaner sich fortan vom Bera fernhielt.

Die nun aus sechs Mitgliedern bestehende Gruppe marschierte die Nacht durch, ohne daß sie von den dann und wann verdächtig nahekommenden Zugors, die nun in Staffeln von mindestens fünf Fahrzeugen flogen, ent­deckt wurde.

Am Morgen war der Crallion, der höchste Gipfel der Großen Barriere von Oth zu se­hen. Doch noch war das Gebirge zu weit entfernt, um den Marsch bei Tage zu riskie­ren, zumal die Zugors am Himmel an Zahl zunahmen, je näher die Rebellen der Barrie­re kamen.

So wartete man noch einen Tag ab, wobei nicht nur Axton sich bange fragte, was in­zwischen in den verschiedenen Regionen Pthors geschehen mochte.

Drei Stunden nach Einbruch der Dunkel­heit erreichte die Gruppe die Barriere.

Die erste Reaktion war Enttäuschung. Als Lebo Axton die schwach schimmernde Wand sah, die einige hundert Meter vor ihm und den Gefährten in den Himmel ragte und sich nach beiden Seiten unbegrenzt auszu­dehnen schien, wußte er, daß seine dunklen Ahnungen ihn nicht getäuscht hatten.

Es sah so aus, als hätten die Magier ihr Territorium durch einen die ganze Barriere von Oth umspannenden Energieschirm von der Außenwelt abgeriegelt.

Axton versuchte sich einzureden, daß die Magier eine Lücke schaffen würden, wenn sie erkannten, daß Freunde zu ihnen wollten. Glauben konnte er allerdings nicht so recht daran.

Er hatte weder Zeit für weitere Überle­gungen noch für eine vorsichtige Untersu­chung des Schirmes.

Diglfonk hatte die von beiden Seiten her­anschießenden Zugors schon geortet, bevor deren Positionslichter am Himmel zu sehen

waren. Axton schrie den anderen eine War­nung zu. Er warf sich zu Boden und landete in einer Mulde.

Im gleichen Augenblick flammten die Scheinwerfer der Zugors auf. Ein armdicker Energiestrahl fuhr wenige Meter neben dem Terraner in den Boden. Die Scuddamoren hatten nicht vorbeigeschossen, sie hatten im Gegenteil sehr gut gezielt.

Immer noch wollte man die Flüchtlinge lebend haben. Axton erkannte, daß diese Anordnung Atzbälls nur so lange galt, wie sie sich nicht wehrten und ohne Widerstand ergaben. Noch einmal würde der Komman­dant der Invasoren nicht das Risiko einge­hen, das ihn einige seiner Kämpfer gekostet hatte.

Die Stimme eines Scuddamoren war zu hören. Er forderte die Rebellen zur Kapitula­tion auf. Andernfalls, wenn sie sich nicht nach einer Minute ergeben hätten, würde man sie ohne weitere Warnung töten.

Das also ist das Ende! dachte Axton bit­ter. Wehmütig sah er zu den in der Dunkel­heit nur vage erkennbaren Gipfeln der Großen Barriere von Oth hinüber. So nahe waren sie am Ziel gewesen. Und hier war ihr Weg zu Ende.

Axton war plötzlich müde. Er sah keine Hoffnung mehr. So oft hatte er dem Tod ins Auge gesehen, und immer hatte er den ret­tenden Strohhalm gefunden, an dem er sich dem Zugriff des Todes entziehen konnte.

Diesmal, so schien es, gab es keinen sol­chen Strohhalm. Er würde sich nicht stellen, und das gleiche galt für die anderen. Axton zog den schneller Tod dem ungewissen Schicksal vor, von dem er nicht einmal ah­nen konnte, wie grausam es war.

Die Sekunden verrannen, und die dunkel­rot glühenden Punkte bei den Zugors waren keine Positionslichter, sondern die Projekto­ren schwerer Energiewaffen.

*

In der FESTUNG beobachtete Atzbäll nur mit halber Aufmerksamkeit, wie die Rebel­

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len von den Zugors gestellt und zur Aufgabe aufgefordert wurden. Er hatte sich also nicht getäuscht. Sie hatten gehofft, von den Magi­ern Hilfe zu bekommen.

Die Magier! Atzbälls Geduld war erschöpft. Die Frist,

die er den Bewohnern der Großen Barriere von Oth gesetzt hatte, war verstrichen, ohne daß sie auf sein Angebot eingegangen wa­ren.

Dies war es, was den Scuddamoren jetzt in erster Linie beschäftigte. Zuerst mußten die Magier aus dem Weg geräumt werden, dann konnte er sich anderen Dingen zuwen­den, wie zum Beispiel der Lage in der Senke der verlorenen Seelen, wo in den letzten Ta­gen eine dramatische Entwicklung einge­setzt hatte. All die verschiedenartigen We­sen, die nach ihrer Befreiung aus den Tief­schlafkammern nur durch die in die Senke entsandten Dellos und einige besonnene Technos zusammengehalten werden konnten und sich, wenn sie zusammentrafen, oftmals offen bekämpft hatten, entwickelten ange­sichts der Bedrohung durch die Scuddamo­ren eine Art Solidarität untereinander. Im­mer häufiger traten sie den Scuddamoren, die sie zusammentrieben, in Gruppen entge­gen. Es kam sogar vor, daß ehemalige Schläfer sich für Leidensgenossen opferten, wenn sie diesen dadurch einen Vorteil ge­genüber den Scuddamoren verschaffen konnten. Atzbäll konnte froh sein, daß die Exoten unbewaffnet waren, wenngleich es einige unter ihnen gab, die über Fähigkeiten verfügten, mit denen sie den Scuddamoren mehr zu schaffen machten, als es Atzbäll lieb sein konnte. Der Umstand, daß jeder der ehemaligen Schläfer in der Schwarzen Gala­xis gebraucht wurde – nach der Dezimierung der Wesen durch die Katastrophen und Kämpfe gegen die Krolocs nun mehr denn je –, band Atzbäll zusätzlich die Hände. Er konnte die Aufständischen nicht einfach er­schießen lassen.

Der Blick des Scuddamoren fiel wieder auf den Bildschirm, der die Rebellen am Rand des Gebirges zeigte. Sie lagen im hel-

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len Licht der Scheinwerfer am Boden und reagierten nicht auf die Aufforderung zur Kapitulation. Atzbäll war entschlossen, ih­rem Treiben ein Ende zu bereiten. Er wollte nicht an zwei Fronten kämpfen.

Jeden Augenblick mußte das Feuer aus den Zugors eröffnet werden. Die Rebellen würden sich wehren, wenn der erste Feuer­schlag sie nicht alle gleich vernichtete, und es war sicher, daß es dann weitere Opfer un­ter den Scuddamoren geben würde. Vor al­lem der grüne Riese stellte einen großen Un­sicherheitsfaktor dar.

Plötzlich wußte Atzbäll, wie er diese Op­fer vermeiden konnte. Das Todesurteil über die Rebellen war gesprochen. Sie selbst hat­ten den Tod gewählt. Atzbäll sah keinen Sinn mehr darin, sie unter eigenen Verlusten lebend zu fangen, um sie in der Schwarzen Galaxis vor Gericht stellen zu lassen.

Doch es gab verschiedene Arten, dieses Todesurteil zu vollstrecken.

Atzbäll nahm Verbindung zum Komman­danten der Zugor-Staffel auf. Es war Bruch­teile von Sekunden zu spät.

*

Axton erwachte aus seiner Apathie, als er sah, wie die Projektoren der scuddamori­schen Strahlwaffen greller zu leuchten be­gannen. Gleichzeitig nahm er aus den Au­genwinkeln heraus wahr, wie Koys Broins gegeneinanderschlugen.

Axton sprang auf und rannte davon. Dort, wo er gerade noch gelegen hatte, fuhr ein Energiestrahl in die Mulde. Die Nacht wur­de zum Tag. Axton warf sich flach auf den Boden. Er hörte eine Explosion, dann Schreie und das Krachen aufschlagender Trümmerstücke. Wie durch ein Wunder wurde er nicht getroffen. Er drehte sich auf den Rücken und war einen Augenblick ge­blendet. Als er wieder sehen konnte, erkann­te er Koy und Kolphyr, die eng beieinander standen. Die Broins des Trommlers schlugen ununterbrochen gegeneinander. Der zweite Zugor explodierte.

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»Bleib, wo du bist!« schrie Kolphyr, als er sah, wie der Terraner sich aufrichten wollte.

Jetzt sah Axton auch Synk und den Robo­ter, die hinter einem kleinen Felsvorsprung Schutz gesucht hatten. Von Fenrir war nichts zu sehen. Wieder regnete es Trüm­mer. Der nächste Zugor explodierte. Ener­giestrahlen fuhren wenige Meter von Koy und Kolphyr entfernt in den Boden. Im Au­genblick kümmerten sich die Scuddamoren nicht um Axton. Sie hatten erkannt, woher ihnen Gefahr drohte, und konzentrierten das Feuer ganz auf den Trommler. Und jetzt erst erkannte Axton wie unglaublich geschickt Koy vorging. Nicht nur, daß er die Scudda­moren auf sich und Kolphyr zog – er brachte immer gerade die Zugors zur Explosion, die sich von ihm aus gesehen vor den anderen Maschinen befanden. Die nachrückenden waren wertvolle Sekunden lang ohne Orien­tierung – Sekunden, in denen der Trommler neue Energien aufbauen und das nächste Ziel erfassen konnte. Koy hatte alles auf ei­ne Karte gesetzt, als Axton noch unent­schlossen und wie gelähmt in seiner Mulde gelegen hatte. Hätte der erste Schuß der Scuddamoren ihn getroffen, wären die Flüchtlinge tatsächlich ohne Chance gewe­sen.

Dennoch war es eine Frage der Zeit, bis Koy erschöpft war. Die Übermacht war zu groß.

Ein Trümmerstück schlug nur einen Me­ter neben Axton ein. Der Terraner sprang in­stinktiv fort, als er die glühende Hitze auf der Haut spürte. Mit wenigen Sätzen war er bei Synk und Diglfonk.

Jetzt wurde ihm auch klar, warum Kol­phyr wie eine lebende Zielscheibe neben dem Trommler stand. Sollte er getroffen werden, mußte es zu einer katastrophalen Explosion kommen, wenn der Velst-Schleier aufgerissen wurde und die Antimaterie des Bera-Körpers mit der Normalmaterie der Umgebung in Berührung kam. Mit den Flüchtlingen würden auch die Scuddamoren sterben.

Koy brachte den vierten Zugor zur Explo­sion. Noch einmal regnete es Trümmer. Dann geschah das, was Axton befürchtet hatte.

Zwei Maschinen waren gleichzeitig her­an. Nur eine konnte der Trommler unschäd­lich machen.

Axton schloß die Augen. Seine Fäuste waren geballt. Am liebsten wäre er zu Koy und Kolphyr hinübergerannt, aber was hätte das schon noch gebracht?

Doch der erwartete Feuersturm aus den Waffen der Scuddamoren blieb aus. Ungläu­big blickte Axton wieder auf und sah, wie die Zugors abdrehten.

Die Scuddamoren flohen! Synk hatte den Mund weit aufgerissen. Er

schien ebensowenig wie der Terraner fassen zu können, was geschehen war. In dem Au­genblick, in dem sie den entscheidenden Schlag hätten landen können, zogen die An­greifer sich zurück. Synk sprang auf und rannte jubelnd auf Koy zu, der Kolphyr total erschöpft in die Arme fiel.

Axton verstand gar nichts mehr. Was war geschehen, das die Scuddamoren zum Rück­zug veranlaßt hatte?

Er stellte sich die Frage anders, während er, ohne sich dessen richtig bewußt zu sein, ebenfalls die Deckung verließ und Synk folgte.

Was hatten die Scuddamoren nun vor? Denn daß sie wiederkommen würden, be­

zweifelte der Terraner keinen Augenblick. Sie hatten die Flüchtlinge noch einmal un­terschätzt. Ein weiteres Mal würde es nicht geben.

Es war ruhig. Niemand sprach ein Wort. Sogar Synk war nun still.

Axton sah in Koys von Anstrengung ge­zeichnetes runzliges Gesicht, dann in den nun wieder dunklen Himmel.

Es war die Ruhe vor dem Sturm. Keine Lichter waren zu sehen, nur der

matte Glanz des Energieschirms um die Ber­ge von Oth – dem einzigen Ort auf Pthor, der sicher vor den Invasoren war.

Und sie würden wiederkommen, sagte

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Axton sich immer wieder. Nicht in Zugors. Atzbäll hatte gelernt.

Nur wenige hundert Meter trennten die Gejagten vom Sitz der Magier. Doch der Weg in die Sicherheit war ihnen versperrt.

*

Atzbäll tobte. Er hatte zwanzig Kämpfer verloren. Es waren unnötige Opfer. Nur sein eigenes Zögern war schuld daran gewesen.

Die Zugors hatten sich nun auf seinen Be­fehl hin zurückgezogen. Er brauchte sie nicht mehr, um die Rebellen unschädlich zu machen. Sie würden mit den Magiern zu­sammen untergehen.

Atzbäll ließ sich eine Verbindung zur RU­FIET schalten, einem der zehn noch nicht auf Pthor gelandeten Organschiffe. Als er den Kommandanten auf einem der Bild­schirme vor sich sah, befahl er ihm, die Große Barriere von Oth anzufliegen und vom Weltraum aus zu beschießen und zu bombardieren. Die Vernichtung mußte total sein. Alle Waffensysteme mußten eingesetzt werden. Als der Kommandant schon bestä­tigt hatte, befahl Atzbäll, zwei weitere Or­ganschiffe einzusetzen. Diesmal wollte er vollkommen sichergehen. Dem konzentrier­ten Feuer aus den Geschützen dreier Organ­schiffe sollte auch der stärkste Schutzschirm nicht gewachsen sein.

Atzbäll zog alle in der Nähe der Großen Barriere von Oth befindlichen Zugors zu­rück, um sie vor der Vernichtung zu bewah­ren.

Auf den Bildschirmen sah er, wie sich drei Organschiffe von den übrigen sieben im Weltraum befindlichen lösten und Kurs auf den Sitz der Magier nahmen.

Atzbäll war so überzeugt von ihrem Er­folg, daß er die Zugors, die entlang der Energiebarriere patrouilliert hatten und nun Kilometer davon entfernt in Warteposition standen, in andere Regionen Pthors beorder­te. Die meisten flogen zur Senke der verlore­nen Seelen, um dort für Ordnung zu sorgen.

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*

Lebo Axton wartete. Noch immer waren weder die Zugors zu­

rück, noch war etwas anderes geschehen, das auf den nächsten Angriff der Scuddamo­ren schließen ließ. Axton mußte sich immer wieder klarmachen, daß er und seine Ge­fährten für Atzbäll eine latente Bedrohung darstellten, die beseitigt werden mußte, um nicht der falschen Annahme zu verfallen, man hätte sie »vergessen« oder die Jagd vor­erst eingestellt.

Immer wieder sah der Terraner zur Bar­riere hinüber. Der Energieschirm hatte sich nicht verändert. Es gab kein Anzeichen da­für, daß die Magier, durch den Kampf auf­merksam geworden, eine Strukturlücke schaffen wollten.

Koy hatte sich mittlerweile halbwegs er­holt. Plötzlich war auch Fenrir wieder da. Doch das alles war kein Lichtblick. Wohin sollten die Gejagten sich wenden?

Sator Synk dachte anders über ihre Situa­tion als Axton.

»Wir verschwenden unsere Zeit«, sagte er grimmig. »Die Magier hätten uns durch den Schirm gelassen, wenn sie uns helfen woll­ten. Wir sollten zusehen, daß wir wieder nach Norden gelangen.«

»Du solltest endlich begriffen haben, daß es keinen Sinn hat, allein gegen die Scudda­moren vorzugehen«, entgegnete Axton. »Sie werden uns überall jagen.«

»Aber dann ist es egal, wo sie uns erwi­schen. Hier besteht die größte Gefahr. Ich kann einfach nicht tatenlos herumstehen und auf ein Wunder warten. Ich muß etwas tun, und wenn es das letzte in meinem Leben ist. Wenn es nur Nadelstiche sind, die wir den Scuddamoren versetzen können, so werden sie sie früher oder später empfindlich spü­ren. Nein, Lebo, ich habe keine Angst und gehe nicht aus Feigheit von hier fort, aber ich bin entschlossen, gegen sie zu kämpfen, und wenn's sein muß, auf eigene Faust. Laßt uns zurückkehren. Wir könnten damit anfan­

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gen, Orxeya zu befreien.« »Nein«, sagte Axton nur. Synk blickte

Koy und Kolphyr an, aber auch bei ihnen stieß er nur auf Ablehnung.

Axton hatte Mitleid mit dem Mann. Er wußte, daß Synk alles andere als feige war, und vielleicht brachte er es wirklich fertig, auf seine Weise mehr zu erreichen als hier und vielleicht bei den Magiern.

Axton trat auf den Mann aus Orxeya zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Geh, Sator, und nimm Diglfonk mit. Vielleicht triffst du tatsächlich einige, die ebenfalls den Kampf aufnehmen wollen. Es genügt, wenn wir vier zu den Magiern ge­langen.«

»Das glaubst du doch selbst nicht!« ent­fuhr es dem Bärtigen. »Niemals kommt ihr durch den Energieschirm!«

»Wir warten«, sagte Axton. »Wir haben nur zu gewinnen. Du mußt deinen Weg ge­hen wie wir den unseren.«

Mit gequält wirkendem Lächeln fügte der Terraner hinzu:

»Außerdem würdest du bei den Magiern nur Unfug anrichten.«

»Unfug, ha!« Synk schnitt eine Grimasse. »Du gehst!« schrillte Kolphyrs Stimme so

laut, daß Axton, Koy und Synk sich die Oh­ren zuhalten mußten. »Wir können dich nicht gebrauchen, hörst? Geh und mach Or­xeya frei!«

»Ha!« brüllte Synk. »Ha! Von dir muß ich mir das sagen lassen! Komm, Diglfonk!«

Der Orxeyaner machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Nacht, ohne noch einmal zurückzublicken und ohne ein Wort des Abschieds. Es bedurfte keiner Worte. Axton mußte sich über Kolphyr wundern, der Synk die goldene Brücke ge­baut hatte. Soviel Einfühlungsvermögen in die Psyche eines Mannes vom Schlage Synks hätte er dem Bera nicht zugetraut.

Diglfonk folgte seinem Herrn. Axton, Koy und Kolphyr sahen sich an.

Sie würden warten. Die Magier mußten den Angriff der Zugors bemerkt haben.

Sie gingen weiter auf die Barriere zu, bis

sie nur wenige Meter vor dem Energie­schirm standen.

»Dort!« sagte Koy plötzlich. »Am Him­mel!«

Und Axton sah die drei hellen Punkte, die sich näherten und dabei schnell an Helligkeit gewannen, bis zu erkennen war, worum es sich handelte.

Das war es also, was Atzbäll ausgebrütet hatte.

Diesmal hatte er keine Zugors geschickt, sondern Raumschiffe. An der unterschiedli­chen Helligkeit und scheinbaren Größe war zu erkennen, daß sie Positionen über dem ganzen Gebirgszug bezogen hatten.

»Sie wollen die Große Barriere von Oth vernichten«, murmelte der Terraner. Im Ge­gensatz zu Atzbäll war er nicht davon über­zeugt, daß sie es schaffen würden, die Ener­giebarriere zu durchbrechen – im Gegenteil.

Die Magier würden sich zu schützen wis­sen. Sie waren sicher – die vier, die bis zu­letzt auf ihre Hilfe gehofft hatten, nicht.

*

Als die Organschiffe das Feuer eröffne­ten, war Sator Synk schon mehrere Kilome­ter vom Energieschirm entfernt. Er stieß einen heiseren Schrei aus, als der Himmel Feuer zu fangen schien und der Donner der Geschütze über das Land rollte. Instinktiv warf er sich zu Boden.

»Es besteht keine direkte Gefahr für uns«, hörte er Diglfonk sagen. »Drei Organschiffe greifen die Barriere an. Ich ortete sie schon, als wir noch bei den Freunden standen.«

Synk lag auf dem Bauch, die Hände im Nacken. Jetzt drehte er den Kopf so, daß er den Robotdiener sehen konnte. Der Wider­schein der über dem Energieschirm entfes­selten Gewalten tauchte die Kugel in ein helles Rot.

War Diglfonk endgültig verrückt gewor­den? Wie konnte er jetzt so daherreden, als würde überhaupt nichts geschehen, als wä­ren Axton und die drei anderen nicht in höchster Gefahr?

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»Du hast gewußt, daß sie kommen wür­den?« entfuhr es Synk. Er wollte sich nicht umdrehen, nicht sehen, was über dem Sitz der Magier geschah. »Warum hast du uns nicht gewarnt?«

»Weil es keinen Sinn gehabt hätte. Axton hätte sich nicht beeindrucken lassen. Seine Entscheidung stand fest.«

»Aber dann hast du sie auf dem Gewis­sen!« Synk machte vor Zorn einen Satz in die Höhe. Wütend starrte er den Robotdiener an. Seine Hand berührte einen Stein. Er schleuderte ihn auf Diglfonk, der geschickt auswich. »Sie überleben den Beschuß nicht! Du bist schuld an ihrem Tod!«

»Nein.« Synk glaubte, nicht richtig gehört zu ha­

ben. »Nein?« Immer mehr Blitze zuckten nun

über den Himmel und fuhren in den Schirm, wo es zu phantastisch anzuschauenden Lichterscheinungen kam. Der Donner wurde lauter. Das Organschiff, das über dem Cral­lion stand, spie ununterbrochen Feuer, das wie die Fontänen eines phantastischen Brun­nens vom Energieschirm der Magier zurück in die Höhe geschleudert wurde oder als strahlende Energiewolken über den Schirm glitt, um dort, wo er den Boden berührte, al­les Leben zu vernichten. Und Diglfonk hatte die Frechheit, zu behaupten, daß Axton, Koy, Kolphyr und der Fenriswolf das Chaos überleben konnten!

»Wir sollten uns weiter zurückziehen«, sagte der Robotdiener jetzt. »Gleich wird es hier sehr heiß werden. Mir macht die Hitze nichts aus, aber organisches Leben ist weni­ger widerstandsfähig als Konstruktionen meiner Art.«

Sator Synk sah die Feuerwand vor der Energiebarriere. Bäume, Sträucher und das Gras waren in Brand geraten. Die in Bewe­gung geratenen Luftmassen würden dafür sorgen, daß das Feuer sich schnell ausbreite­te. Einerseits mußte Synk einsehen, daß Diglfonk recht hatte, zum andern weigerte er sich, Axton und seine Freunde einfach ihrem Schicksal zu überlassen.

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»Ich muß wissen, was aus ihnen gewor­den ist!« fuhr er Diglfonk an. Es wurde tat­sächlich jetzt sehr schnell heißer. Synks Au­gen begannen bereits zu schmerzen.

»Dort, wo sie sich befanden, als wir sie verließen, gibt es nichts mehr außer glutflüs­sigem Gestein«, erklärte Diglfonk. »Du wür­dest nichts finden. Sie sind in Sicherheit. Die Scuddamoren können den Energie­schirm nicht zerstören.«

»Ich rede nicht vom Energieschirm, son­dern von Axtons Gruppe!« brüllte Synk.

»Ich ebenfalls«, gab Diglfonk ungerührt zurück. »Kurz bevor die Organschiffe mit dem Beschuß des Schirmes begannen, konn­te ich eine Veränderung an ihm feststellen. Für wenige Sekunden entstand eine Lücke in ihm, und zwar an der Stelle, wo die vier warteten. Es besteht eine Wahrscheinlichkeit von 0,9557 dafür, daß sie ihre Chance wahr­nahmen und den Schirm passierten.«

Synk starrte den Roboter ungläubig an. Seine Gedanken überschlugen sich.

»Warte!« schrie er, als der Robotdiener von ihm fort zu schweben begann, in Rich­tung Straße der Mächtigen. Diglfonk rea­gierte nicht. Laut fluchend rannte Synk hin­ter ihm her. Sekundenlang war es ihm schwarz vor den Augen. Erst jetzt bemerkte er, wie heiß es tatsächlich schon geworden war. Er schrie Diglfonk an, er solle endlich anhalten, doch dieser ließ sich nicht beein­drucken.

Synk hatte das Gefühl, hundert Kilometer ohne Pause gelaufen zu sein, als Diglfonk dann endlich zum Stillstand kam.

Synk ließ sich keuchend zu Boden fallen. Nach zwei Minuten war er wieder in der La­ge, aufzustehen.

Diglfonk sah ihn an – zumindest deutete Synk das Blinken der Lichter auf der ihm zugewandten Seite des Kugelkörpers so.

»Hier bist du in Sicherheit«, verkündete der Robotbürger.

»Ich schon!« kreischte der Orxeyaner. »Aber Axton nicht, und du schon gar nicht. Ich haue dich kaputt, du Fehlkonstruktion! Ich schlage dich in tausend Stücke!«

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»Unsere Freunde sind in Sicherheit«, ver­sicherte Diglfonk erneut. Die Drohungen seines Herrn schienen ihn nicht sonderlich zu beeindrucken.

Synk schlug sich die Hand vor die Augen und atmete tief durch.

»Was kannst du eigentlich alles?« fragte er schließlich kopfschüttelnd. »Du kannst fliegen und dabei einen Mann mitnehmen. Du kannst Raumschiffe orten, die noch viele Dutzend Kilometer weit weg sind. Du kannst Veränderungen in der Struktur ent­fernter Energieschirme wahrnehmen. Was noch, Diglfonk?«

»Die Robotherren waren darauf bedacht, dir einen würdigen Diener zu schenken, Sa­tor Synk«, lautete die vielsagende Antwort.

Synk gab es auf. Roboter an sich waren ihm schon ein Greuel. Roboter, die ihn un­unterbrochen umsorgten und haarspalteri­sche Auskünfte gaben, waren auf Dauer sein Untergang.

Synk zweifelte im stillen noch immer an Diglfonks Versicherung, daß Axton und sei­ne Freunde zu den Magiern und damit in Si­cherheit gelangt waren, bevor der Beschuß der Großen Barriere von Oth begann. Doch allein um des lieben Friedens willen war er bereit, ihm zu glauben.

Was hätte er auch sonst tun können? Die Ungewißheit und das Gefühl, seine

neuen Freunde womöglich doch im Stich ge­lassen zu haben, trieben Synk zu neuen Ta­ten an. Er mußte etwas finden, an dem er sich abreagieren konnte. »Nun gut«, knurrte er.

»Diglfonk, wir ziehen weiter, bis wir Gleichgesinnte finden, die mit uns gegen die Scuddamoren kämpfen wollen.«

»Das ist nicht nötig«, wurde er vom Ro­botdiener belehrt. »Es ist schon Hilfe unter­wegs.«

»Was soll das heißen?« Synk mußte brül­len, um den fernen Donner zu übertönen. Er sah sich um und vergaß Diglfonk für einen Moment. Immer noch schossen die Organ­schiffe, ohne den Energieschirm zum Zu­sammenbrechen bringen zu können. Er glüh­

te lediglich stärker. Das Anschwellen des Donners war darauf zurückzuführen, daß die Scuddamoren nun dazu übergingen, den Schirm zu bombardieren. Gewaltige Rauch­pilze stiegen in die Höhe. Wenn die Scudda­moren ihr wahnsinniges Treiben nicht bald beendeten, würden sie diesen Teil von Pthor tatsächlich in ein Trümmerfeld verwandeln.

Schaudernd wandte Synk sich ab. Im nächsten Augenblick wünschte er sich, ir­gendwohin laufen zu können, wo ihn nie­mand kannte, nur weit, weit weg von hier.

Diglfonk war nicht mehr allein. »Dies sind deine Kämpfer, Sator Synk«,

sagte der Robotdiener und streckte zwei Tentakel aus, mit denen er auf die Roboter zeigte, die in Reih und Glied neben ihm standen. Synk zählte genau zwölf. Es gab die verschiedensten Konstruktionen unter ih­nen. »Verfüge über sie, Herr!«

*

Atzbäll mußte einsehen, daß er keine Mit­tel hatte, um den Energieschirm zu durch­brechen und die Magier zur Zusammenar­beit zu zwingen oder zu vernichten. So blieb ihm nichts anderes übrig, als die drei Organ­schiffe zurückzurufen. Sie nahmen ihre alten Positionen im Weltraum wieder ein.

Atzbäll würde vorerst mit den Magiern zu leben haben. Immerhin, so glaubte der Scud­damore, hatte er einen Teilerfolg errungen. Die Rebellen am Rand des Gebirges konnten den Feuersturm nicht überstanden haben.

Auch in der Senke der verlorenen Seelen kehrte allmählich die Ordnung wieder ein. Atzbäll beschloß, die von der Großen Bar­riere von Oth und dem Gebiet zwischen ihr und der Straße der Mächtigen abgezogenen Zugors dort stationiert zu lassen, bis alle Schläfer abtransportiert waren. Bald konnte die RIESING mit 50.000 Exoten an Bord starten. Die WAPSIET hatte Pthor bereits verlassen. Die drei entkommenen Piraten würden früher oder später das gleiche Schicksal erleiden wie die Rebellen, die sich Atzbälls Zugriff im Reich der Magier entzie­

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hen wollten. Voller Verachtung dachte Atzbäll an die

Odinssöhne, die alle drei wieder in ihrem streng bewachten Quartier saßen. Der An­führer der Piraten hatte sie in der Nähe des Taambergs abgesetzt, wo sie nach wenigen Stunden von Zugors gefunden wurden.

Alles in allem gesehen, hatte Atzbäll die Lage auf Pthor fest im Griff. Er konnte zu­frieden sein. Und vielleicht war es besser, daß die Schiffe die Große Barriere von Oth nicht hatten vernichten können. Die Magier waren mächtig, und mächtige Verbündete waren den Herren der Schwarzen Galaxis willkommen.

Hierüber sollte an höherer Stelle entschie­den werden. Atzbälls Aufgabe bestand nun darin, Pthor wieder in das zu verwandeln, was es einmal war.

7.

Den Invasoren entgegen – ein Mann und dreizehn Roboter Auch bei Anbruch des neuen Tages hatte Sator Synk sich noch nicht beruhigt. Seine Launen schwankten zwischen Selbstmitleid, Weltschmerz und wilder Aggression.

Ein ganzes Dutzend Roboter – dreizehn Stück mit Diglfonk! Dreizehn Roboter, die er gegen die Scuddamoren führen sollte. Das war mehr, als Synk verkraften konnte.

Sie wollten ihn vernichten! Je länger Synk über Diglfonks Verhalten und das Auftau­chen der Roboter nachdachte, desto sicherer wurde er. Er hatte die ganze Zeit über recht gehabt: Die Robotdiener von Wolterhaven hatten ihm nur zum Schein verziehen, daß einige ihrer Diener an seiner Seite gestorben waren. Alles Gerede von Dankbarkeit war Lüge. Sie hatten sich gegen ihn verschwo­ren, um grausame Rache zu nehmen. Digl­fonk selbst hatte die Bestätigung geliefert, als er erklärte, daß die »RobotGuerillas«, wie er die Maschinen nannte, den Vorzug hätten, daß man im Notfall nicht unbedingt besondere Rücksicht auf sie zu nehmen brauchte – nicht die gleiche Rücksicht wie

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auf lebende Wesen. Das war es also, was sich die Robotherren ausgedacht hatten! Sie wollten ihm bis an sein Lebensende vor Au­gen führen, daß er den Tod ihrer Diener ver­schuldet hatte. Mit jedem Roboter, der im Kampf fiel, sollte ihm bewußt werden, was er getan hatte. Doch Synk wäre nicht er selbst gewesen, wenn nicht schließlich der Trotz die Oberhand behalten hätte. Er würde die Herausforderung annehmen. Die Robot­bürger sollten sehen, wie er auf ihre Provo­kation antwortete.

Sie würden sich die Zähne an ihm ausbei­ßen.

Die Organschiffe waren verschwunden. Es war still geworden. Der Energieschirm über dem Gebirge war unversehrt.

»Du da!« rief der Orxeyaner und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf eine der zwölf Maschinen neben Diglfonk, den er keines Blickes mehr würdigte. »Komm her!«

Der Roboter, eine nach oben hin leicht verdickte Säule mit zahlreichen, nach allen Seiten aus dem Stabkörper herausragenden Extremitäten, schwebte auf Synk zu.

»Wie heißt du?« »Gykogsbeeden«, schnarrte der Roboter. »Ab jetzt heißt du ›Eins‹. Du bist ab so­

fort der Kommandant dieses Haufens und sorgst dafür, daß meine Befehle ausgeführt werden. Verstanden?«

»Eins«, begann leicht zu vibrieren. Synk hörte es leise klicken. Dann schnarrte die Maschine:

»Daten unzureichend.« »Ich darf darauf hinweisen«, kam es von

Diglfonk, »daß Gykogsbeeden zu einer Bau­reihe gehört, bei der nicht allzuviel Wert auf Intelligenz gelegt wurde. Robotdiener seines Typs sind mehr für die Ausführung einfa­cher Arbeiten gedacht und …«

»Du hältst den Mund!« fuhr Synk Digl­fonk an. »Wir sind fertig miteinander! Mit Verrätern arbeite ich nicht zusammen. Wenn ich dich dennoch mitnehme, dann nur, weil ich deinen feinen Herren nicht den Gefallen tun will, dich hier allein zurückzulassen. Du unterstehst wie alle anderen meinem Kom­

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37 Das Joch der Fremden

mando und dem von Gyk … Gyk …«, Synk seufzte und stampfte mit einem Fuß auf den harten Boden, »… von Eins!«

»Ich muß darauf aufmerksam machen, daß …«

»Du sollst den Mund halten! Ich werde schon mit Eins klarkommen. Wenn ich eben Worte gebrauchte, die er nicht gleich ver­stand, dann nur, um seine Intelligenz zu te­sten. Also.« Synk wandte sich wieder an Eins. »Du heißt nicht mehr Gyk … Gyk …«

»Gykogsbeeden«, schnarrte der Roboter. »Meine Bezeichnung ist Gykogsbeeden.«

»Nein!« kreischte Synk mit hochrotem Gesicht. »Du heißt ›Eins‹! Gykogsbeeden wird ersetzt durch Eins! Hast du das endlich verstanden? Wie heißt du?«

»Gykogsbeeden wird ersetzt durch Eins.« Synk bekam einen Schreikrampf und

raufte sich die Haare. Mit Tränen in den Au­gen nahm er einen letzten Anlauf.

»Lassen wir vorerst deinen Namen beisei­te. Deine Aufgabe ist es ab sofort, die Be­fehle, die ich dir gebe, an die anderen Robo­ter weiterzuleiten und dafür zu sorgen, daß sie auch ausgeführt werden. Ist das klar? Ich meine, hast du das verstanden?«

Wieder das Klicken. Nach Sekunden ant­wortete Gykogsbeeden:

»Ich habe verstanden.« Synk atmete auf. Das war schon einmal

geschafft. Nun kam der zweite Teil der In­struktion. Synk brauchte einen Roboter, den er immer direkt ansprechen konnte. Und die­ser brauchte einen Namen, an dem er sich nicht die Zunge zerbrach.

»Wer von euch kann Gykogsbeet klarma­chen, daß er von nun an Eins heißt?« fragte er und sah die Roboter der Reihe, nach an. Als er Diglfonks Lämpchen aufleuchten sah, zuckte er zusammen.

»Ich habe es mir gedacht«, knurrte er. »Aber nicht mit mir, du gemeiner Verräter.« Wieder wandte er sich an Gykogsbeeden. »Du«, sagte er und zeigte wieder auf die Verdickung am oberen Ende des Säulenkör­pers, um den komplizierten Namen nicht noch einmal aussprechen zu müssen,

»befiehlst Diglfonk, daß er dir alles, was ich sage und du nicht verstehst, übersetzt. Er soll dies ohne meine Aufforderung tun.«

Mißtrauisch blickte der Orxeyaner die beiden Roboter an. Er war sicher, daß sie sich lautlos unterhielten, und ahnte nichts Gutes. Diglfonk traute er mittlerweile alles Mögliche zu. Um so überraschter war er, als Gykogsbeeden nach einer Weile antwortete:

»Diglfonk wird mir deine Anweisungen in verständlicher Form aufbereiten, Herr.«

Immer noch mißtrauisch, sagte Synk: »Gut. Dann soll er dir sagen, daß du von

nun an ›Eins‹ heißt.« »Ich heiße von nun an ›Eins‹«, schnarrte

der Robot. Zufrieden nickte Sator Synk. Einige weitere Tests zeigten ihm, daß

Eins trotz der geringen Intelligenz der geeig­nete Führer des Robot-Trupps war. Inner­halb weniger Minuten hatte er die anderen elf Maschinen mit Zahlen von zwei bis zwölf durchnumeriert. Nur Diglfonk behielt seinen Namen.

Synk betrachtete seine Truppe. Als er die Maschinen nun so dastehen sah, war er nahe daran, die Verschwörung gegen ihn zu ver­gessen. Fast empfand er Stolz auf seine Gue­rillas. Und er steckte sich ein großes Ziel: Er würde sie am Ende so zu benutzen wissen, daß die Robotherren in Wolterhaven, die ihn zweifellos beobachteten, in ihren Schalen rotierten.

Wohin? dachte er. Orxeya war vergessen. Später konnte er seine Heimatstadt befreien. Vorher aber wollte er etwas vollbringen, von dem man auf ganz Pthor reden würde. Dann erst würde er zuerst Orxeya von den Invaso­ren säubern und schließlich gen Wolterha­ven ziehen, um die Robotbürger zur Rede stellen.

»Die WAPSIET«, sagte der Held der Schlacht um Pthor. »Wir werden versuchen, sie am Start zu hindern. Und ich garantiere euch, daß keiner von euch dabei zu Bruch gehen wird. Jawohl, ich werde euren Herren beweisen, daß Sator Synk es nicht nötig hat, Roboter für sich sterben zu lassen!«

Kurz darauf marschierte die seltsame Ko­

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lonne gen Kalmlech. Synk ging an der Spit­ze, Eins folgte ihm.

Diglfonk bildete den Abschluß.

*

Hirto sah dem Zugor nach, der in geringer Höhe davonflog. Niemand befand sich in der Maschine, die nach einigen Dutzend Ki­lometern irgendwo in der Nähe der Straße der Mächtigen abstürzen und zerschellen würde. Die Steuerung war so programmiert, daß das Fahrzeug in konstanter Höhe fliegen würde, bis die Energie erschöpft war.

Vielleicht schossen es Scuddamoren, die es zufällig entdeckten, auch schon vorher ab. Auf jeden Fall konnte Atzbäll nun nach den Piraten suchen, bis er schwarz wurde.

Hirto, Kebbak und Sistello befanden sich südöstlich von Orxeya. Auch Kebbak und Sistello waren bewaffnet. Sie hatten die Strahler der beiden von Hirto getöteten Scuddamoren an sich genommen. Sie ver­fügten also über Waffen, mit denen sie eine gute Chance hatten, sich gegen jeden Geg­ner durchzusetzen und eine neue Existenz aufzubauen. Doch wo?

Das Piratentum steckte jedem von ihnen im Blut. Sie waren auf den Schiffen ihrer Väter zur Welt gekommen und hatten von Kindheit an zu kämpfen gelernt.

Der Regenfluß war nicht mehr sicher. Vielleicht hatte Sigurd Hirto, ohne es zu wollen, einen Gefallen getan, als er vom Xa­myhr sprach.

Aber der Fluß Xamyhr lag am entgegen­gesetzten Ende Pthors. Bis zu ihm waren es fast vierhundert Kilometer. Eine solche Ent­fernung war nur mit einem Zugor zu bewäl­tigen.

Und die Zugors befanden sich in Händen der Scuddamoren.

Hirtos Finger legten sich um den Griff der Strahlwaffe in seinem Gürtel. Wenn er das Überraschungsmoment auf seiner Seite hat­te, konnten er und seine Männer einen Scud­damorentrupp überwältigen.

Er dachte an die Odinssöhne. Kebbak und

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Sistello hatten gegen seine Entscheidung protestiert, sie ziehen zu lassen. Doch so wertvoll sie als Geiseln auch weiterhin ge­wesen wären, so sehr hätte man sie gejagt. Die Scuddamoren waren eher bereit, drei Pi-raten zu »vergessen« als die Odinssöhne. Auch nach dem Absturz des Zugors hätten sie Nachforschungen angestellt.

Natürlich hätte Hirto sie töten können. Vielleicht hätte er dies auch noch vor Tagen getan. Doch mit dem Flußpiraten war eine Wandlung vorgegangen. Einerseits war er darauf aus, so schnell wie möglich wieder ein Schiff zu bekommen und Beutezüge zu unternehmen. Zum anderen aber begriff er, daß er ebensowenig wie alle anderen Pthorer so leben konnte wie er wollte, solange Pthor von den Scuddamoren besetzt war. Hirto verscheuchte die Gedanken. Im Moment brachten sie nichts ein. Er mußte zusehen, daß er an einen Zugor kam. Die besten Aus­sichten dafür bestanden seiner Ansicht nach an der Straße der Mächtigen, wo die Scud­damoren patrouillierten. Er hatte sie auf der Flucht nur passieren können, weil er mit der Erschießung der Odinssöhne gedroht hatte, falls man ihn und seine Männer nicht ziehen ließ und von einer Verfolgung absah.

Die drei Piraten zogen also nach Norden und legten sich etwa hundert Kilometer öst­lich von Orxeya in einem alten, teilweise ge­sprengten Bunker auf die Lauer. Es vergin­gen drei Tage, ohne daß ein einzelner Zugor auftauchte. Kebbak und Sistello wurden un­ruhig. Hirto sah den Augenblick kommen, in dem sie seine Autorität als Führer nicht mehr anerkennen und eigene Wege gehen würden. Vielleicht war das besser so, aber noch konnte er nicht auf sie verzichten.

Dann, am Morgen des vierten Tages, kam Sistello, der auf einem Baum in der Nähe des Verstecks Wache geschoben hatte, auf­geregt in den Bunker und berichtete von ei­ner seltsamen Kolonne, die sich von Süden her näherte.

Minuten später sah Hirto selbst die Robo­ter – und den sich wild gebärdenden kleinen Mann, der an ihrer Spitze marschierte.

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»Die holen wir uns«, sagte Sistello. »Der Kleine sollte uns keine Schwierigkeiten be­reiten.«

Sistello zog den Strahler aus dem Gürtel und grinste.

»Die Blechkerle sind unser Köder. Wir locken durch sie die Scuddamoren an und erledigen sie aus dem Hinterhalt.«

»Runter mit dem Ding!« fuhr Hirto ihn an. »Wir holen sie uns, aber nicht auf diese Art.«

Als er das gefährliche Blitzen in Sistellos Augen sah, fügte er hinzu:

»Wir müssen erst wissen, was mit ihnen los ist. Dann kannst du mit dem Kerl ma­chen, was dir Spaß macht.«

Sistello sah Hirto prüfend an, dann nickte er zufrieden.

Hirto jedoch überlegte schon, wie er den Bärtigen retten konnte, ohne Kebbak und Si­stello endgültig gegen sich aufzubringen. Sie würden auch auf ihn keine Rücksicht neh­men.

Es mußte ihm schnell etwas einfallen.

*

Sator Synk war so damit beschäftigt, sei­nen Robot-Guerillas den nötigen Respekt beizubringen, daß er die drei Gestalten vor dem eingefallenen Bunker erst bemerkte, als der Hüne in der Mitte »Halt!« brüllte.

Synk blieb stehen. Nicht so die Roboter, denen er immer und immer wieder durch Eins hatte einimpfen lassen, daß sie nur auf sein Kommando hören durften.

Sie marschierten an ihm vorbei auf die drei Männer zu. Erst als Diglfonk ihn passie­ren wollte, rief der Orxeyaner den Befehl zum Halten. Diglfonk übersetzte, und Eins gab den Befehl an die hinter ihm marschie­renden Maschinen weiter.

Synk wischte sich über die Stirn und be­trachtete die Fremden. Es war hell genug, ihre Gesichter erkennen zu lassen. Sie waren bärtig und voller Narben. Orxeyaner konn­ten es nicht sein, Synk hätte sie gekannt.

Piraten?

Erst jetzt, als er an seiner Armee vorbei auf die Männer zugegangen war, sah er die Waffen. Er ahnte nichts Gutes. Die Kerle wollten Streit, dachte er bei sich. Vor allem die Überheblichkeit, die aus ihren Blicken sprach, ließ ersten Zorn in ihm aufsteigen. Synk hatte mittlerweile herausgefunden, daß die zwölf Roboter bewaffnet waren. Aller­dings brauchten sie Befehle, um diese Waf­fen einzusetzen, und diese Prozedur kostete Zeit.

Synk beschloß also, sich zuerst einmal ab­wartend zu verhalten.

»Ich grüße euch«, sagte er, den Blick der drei erwidernd. »Ich nehme an, ihr seid den Scuddamoren ebenfalls entkommen. Auf der Flucht, wie?«

»Unterwegs«, antwortete der Mann in der Mitte, offensichtlich der Anführer der drei.

»Piraten, wie?« fragte Synk weiter. Er än­derte seinen Entschluß und sagte sich, daß es besser war, von Anfang an forsch aufzutre­ten. »Damit ihr gleich Bescheid wißt: Bei mir gibt's nichts zu holen. Die Roboter ste­hen unter meinem Schutz. Aber ich schlage vor, daß wir uns zusammentun. Ein paar kräftige Kerle wie euch könnte ich gebrau­chen.«

»So«, machte der Hüne. »Und wobei?« Er brachte einen seiner Begleiter, der un­

ruhig wurde und Flüche ausstieß, mit einem Stoß in die Rippen zum Schweigen.

»Wer bist du überhaupt?« Synk nannte seinen Namen und war enttäuscht, als die Pi-raten sich schulterzuckend ansahen. Sie hat­ten also noch nichts von ihm gehört, und das war vielleicht besser so. Daß sie es auf die Roboter abgesehen hatten, konnte Synk nicht entgehen. Irgendwie mußte er aus die­ser Lage heraus.

Er ahnte nicht, daß er sich vor das gleiche Problem gestellt sah wie sein Gegenüber.

»Ich bin Hirto«, sagte der Flußpirat. »Dies hier sind Kebbak und Sistello. Sie glauben, daß du bluffst und wir die Roboter besser gebrauchen könnten als du. Es sei denn, du hast einen Vorschlag zu machen. Ich meine, wenn du etwas für uns wüßtest, das uns

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mehr einbringt …« Synk wurde aus diesem Hirto nicht

schlau. Täuschte er sich, oder versuchte der Pirat, ihm eine Brücke zu bauen?

»Mein Ziel ist der Scuddamoren-Transpor­ter, die WAPSIET«, verkündete Synk. »Wir könnten den Invasoren einige Schlappen beibringen, und für euch fiele bestimmt eine Menge ab.«

»Wir kommen von der WAPSIET. Hirto berichtete knapp über die Flucht.

Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Synk, schlag dir das aus dem

Kopf. Die WAPSIET ist längst gestartet. Schon als wir von ihrem Landeplatz ver­schwanden, war sie fast voll.«

Der Orxeyaner fluchte laut. Er sah, wie Hirtos Begleiter immer unruhiger wurden. Seine Heldentat konnte er in den Wind schreiben. Aber ihm kam ein anderer Ge­danke. Die Piraten wollten Beute machen. Er wußte, wo es genug für sie zu holen gab.

»Orxeya«, sagte er. »Meine Heimatstadt. Sie ist auch besetzt. Zusammen könnten wir es schaffen, die Scuddamoren zu vertreiben. Dort fändet ihr mehr als ein Dutzend Robo­ter, die ohnehin nur meinem Befehl gehor­chen.«

»Er lügt«, knurrte Kebbak. »Warum zö­gerst du, Hirto? Laß uns kurzen Prozeß mit dem Zwerg machen!«

»Der Zwerg wird dir Großmaul zeigen, wer hier mit wem kurzen Prozeß macht!« fuhr Synk den Piraten an. Kebbak riß die Waffe aus dem Gürtel. Bevor er schießen konnte, hatte Hirto sie ihm aus der Hand ge­schlagen.

»Wo Scuddamoren sind, gibt es Zugors, du Dummkopf!« herrschte er Kebbak an. Er wandte sich wieder an Synk. »Habe ich recht?«

»Natürlich«, beeilte der Orxeyaner sich zu versichern. »Zugors und Waffen. Ich kenne jeden Winkel in Orxeya und die Quartiere der Scuddamoren.«

Mehr sagte er nicht. Er brauchte es auch gar nicht auszusprechen. In der Stadt der Händler war für die Piraten fette Beute zu

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machen. Synk kam sich einen Augenblick als Verräter vor, doch dann sagte er sich, daß in seiner Situation der Zweck die Mittel heiligte. Die drei konnten nicht ganz Orxeya ausrauben, und wenn es ihnen tatsächlich gelang, die Scuddamoren zu vertreiben oder ihnen zumindest einen empfindlichen Schlag zu versetzen, war eine kleine Plünderung ge­rechtfertigt.

*

Synk war sich über Hirto und dessen Ab­sichten nicht im klaren, um so mehr aber über die der beiden anderen. Er stellte sich darauf ein. Ganz kurz dachte er daran, Digl­fonk damit zu beauftragen, die Piraten zu überwachen. Doch diese Anwandlung von Großherzigkeit schwand schnell dahin. Zu sehr hatte Diglfonk seinen Herrn enttäuscht.

Als der Abend hereinbrach, verließen die Piraten mit Synk an der Spitze seiner Robot-Guerillas den Bunker. Sie marschierten ein Stück nördlich der Straße der Mächtigen. Bis zum Morgengrauen legten sie knapp die Hälfte des Weges nach Orxeya zurück. Synk hatte die Piraten beobachtet und war mehr denn je der Überzeugung, daß Hirto unter Druck stand. Er war ein paarmal nahe daran gewesen, ihn anzusprechen, wenn Kebbak und Sistello ein Stück vorausgingen oder in Gespräche miteinander vertieft waren. Doch er beschloß, noch abzuwarten. Er war sich des Eindrucks, den er mit seinen Robotern abgab, sehr wohl bewußt und hielt es für das Beste, seine Rolle als komischer Kauz vor­erst weiterzuspielen. Es konnte nur von Vor­teil sein, wenn die Piraten ihn unterschätz­ten. Die Gruppe schlug ihr Quartier für den Tag in einem Wäldchen auf. Die Wipfel der Bäume waren so dicht, daß eine Entdeckung aus der Luft so gut wie unmöglich war. Als die Piraten schliefen, setzte sich Synk zu Eins, der neben Diglfonk der einzige seiner Kämpfer war, der sich nicht vorübergehend desaktiviert hatte. Diglfonk wurde benötigt, um Eins Synks Fragen und Anordnungen zu übersetzen, und Synk versuchte krampfhaft

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den Gedanken zu verdrängen, daß es Digl­fonk war, der letzten Endes sein Gesprächs­partner war, denn Eins war zu wenig intelli­gent, um die benötigten Auskünfte zu geben.

Und je länger er sich mit Eins »unterhielt«, desto klarer wurde dem Helden der Schlacht um Pthor, daß kein Weg an Diglfonk vorbeiführte, wenn der Angriff auf Orxeya Erfolg haben wollte. Synk mußte wissen, wie es jetzt in der Stadt aussah, und es mußten einige Vorbereitungen getroffen werden, damit seine Sicherheit auch dann garantiert war, wenn die Piraten ihn nicht mehr brauchten.

»Hör zu, Eins«, sagte er leise, um die Schlafenden nicht aufzuwecken. Er konnte nur hoffen, daß sich keiner von ihnen nur verstellte, um ihn in Sicherheit zu wiegen und mitzuhören, was er hinter ihrem Rücken ausbrütete. »Diglfonk soll dir übersetzen, daß ich einen Befehl für ihn habe.«

Diese Methode war zwar etwas kompli­ziert, aber so konnte Synk sein Gesicht wah­ren.

»Du hast einen Befehl für Diglfonk«, schnarrte der stabförmige Roboter.

»So ist es. Diglfonk soll jetzt sofort nach Orxeya aufbrechen und die Lage in der Stadt erkunden. Erst kurz vor unserem Eintreffen soll er wieder zu uns stoßen und vorgeben, er wäre hier in der Nähe unseres Verstecks von Scuddamoren entführt worden, die er in der Umgebung entdeckt hätte und fortlocken wollte. Er hätte ihnen dann entkommen und uns kurz vor den Stadtmauern wieder einho­len können. Verstanden?«

Die übliche Prozedur: Eins und Diglfonk kommunizierten lautlos miteinander, bis Eins zu klicken begann und schnarrte:

»Verstanden, Herr.« »Schön. Während er in Orxeya ist, soll er

außerdem einige Männer und Frauen aufsu­chen und ihnen sagen, daß die drei Männer, die mich begleiten, Piraten sind und mir ans Leder wollen, sobald sie Beute gemacht ha­ben. Die Orxeyaner sollen sie ruhig ein we­nig rauben lassen. Dann aber müssen sie überwältigt werden. Verstanden?«

Eins schwieg länger als üblich. »Diglfonk kann den Begriff ›ans Leder

wollen‹ nicht für mich verständlich machen, Herr. Er kennt ihn nicht.«

Synk stöhnte und schlug sich die Hand vor die Augen. Natürlich! Wie hatte er auch so etwas wie Phantasie bei diesen Maschi­nen voraussetzen können. Den Begriff hatte er einmal von Atlan gehört und sich zu eigen gemacht.

»Die Piraten werden mich umbringen oder verschleppen und euch mitnehmen wollen. Ist das verstanden?«

»Verstanden, Herr«, antwortete Eins nach zwei Sekunden.

»Von alledem dürfen die Scuddamoren nichts merken.«

Nun stellte Synk noch eine Reihe von Fragen, die Bewaffnung und Fähigkeiten seiner Guerillas betreffend, und gab Eins über Diglfonk einige Verhaltensanweisun­gen für den Marsch nach Orxeya, die er für unerläßlich hielt. Vor allem schärfte er ihm noch einmal ein, daß er und Zwei bis Zwölf nur ihm allein zu gehorchen und keine Be­fehle von den Piraten anzunehmen hatten – unter keinen Umständen. Schließlich war er während Diglfonks Abwesenheit ohne Über­setzer.

»Diglfonk soll jetzt aufbrechen!« befahl er abschließend.

Sator Synk sah dem Roboter mit gemisch­ten Gefühlen nach, als dieser über dem Bo­den schwebend zwischen den Baumstäm­men verschwand. Der Orxeyaner war sich des Risikos bewußt, das Diglfonk auf sich nahm. Jetzt, am hellichten Tag, war die Möglichkeit einer Entdeckung durch pa­trouillierende Zugors groß. Wenn er nun nie in Orxeya ankam? Wenn er sich opfern mußte, damit Synk nicht von den Scudda­moren gefunden und gefangengenommen wurde? Synk mußte sich dazu zwingen, hart zu bleiben. Aber immer wieder sah er in Ge­danken ausgeglühte Wrackteile vor sich, dann wieder einen Diglfonk, der mit schlaf­fen Tentakeln am Boden lag und ihn mit stummer Anklage im letzten Flackern seiner

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Lämpchen »anblickte«. Vielleicht hatte er es nur gut gemeint, als er die zwölf Roboter aus Wolterhaven anforderte? Welchen Be­weis hatte Synk denn dafür, daß die Robot­bürger zusammen mit Diglfonk ein Kom­plott gegen ihn geschmiedet hatten?

Roboter sind nun einmal Roboter! dachte Synk dann. Hinterhältig und gemein, vor al­lem aber überheblich!

Eins begann zu klicken und riß Sator Synk aus seinen trüben Gedanken.

»Diglfonk hat eine Botschaft für dich hin­terlassen, Herr«, schnarrte der stabförmige Roboter.

Synk blickte ihn mißtrauisch an. Was sollte das nun wieder?

»Und?« Als Eins nicht reagierte, formulierte Synk

die Frage anders: »Welche Botschaft hat er mir hinterlassen? Sprich!«

»Es tut ihm leid, daß er dir Verdruß berei­ten mußte, Herr. Sollte er nicht zu uns zu­rückkehren, mußt du wissen, daß er nur dein Wohl und das Wohl Pthors im Sinn hatte. Das gleiche gilt für die Robotbürger in Wol­terhaven. Sie schickten uns, damit du nicht allein gegen die Scuddamoren stehst. Nur das zählt im Augenblick. Diglfonk bittet dich, uns so gegen die Invasoren einzuset­zen, wie man es von dem Mann erwartet, der als Kommandant der Zugor-Flotte maßgebli­chen Anteil an der Abwehr der Krolocs hat­te.«

Synk schluckte. »Hat Diglfonk das wirklich gesagt?« »Ja, Herr.« Synk zog sich zurück. An einen Baum­

stamm gelehnt, saß er stundenlang mit offe­nen Augen und dachte darüber nach, wie sehr er Diglfonk Unrecht getan hatte.

»Wenn es nicht doch nur ein Trick von ihm ist, um mich weich zu kriegen«, mur­melte er dann.

Die Abenddämmerung erlöste ihn von seinen Seelenqualen.

Hirto befahl den Aufbruch. Synk gab den Befehl an Eins weiter, dieser an Zwei bis Zwölf, nachdem er sie wieder aktiviert hatte.

Horst Hoffmann

Von nun an kümmerte sich Synk wie ein Vater um seine Guerillas.

8.

Den Invasoren entgegen – der Kampf um die Händlerstadt Die gewaltigen Mauern um Orxeya kamen noch vor Morgengrauen in Sicht. Die Piraten und Synk mit seinen Ro­botern fanden genug Zeit, sich in einer vor der Stadt liegenden Obstplantagen der Or­xeyaner ein Versteck zu suchen.

Sator Synk war nicht ansprechbar. Digl­fonk war nicht zurückgekehrt. Alle schlim­men Ahnungen, die Synk während des an­strengenden Nachtmarsches gehabt hatte, schienen sich nun zu bewahrheiten. Er hatte seinen Diener in den Tod geschickt. Wie sollte es auch anders sein? Wo er, Sator Synk, mit Robotern zusammenarbeitete, mußten diese sterben. Synk war inzwischen fast davon überzeugt, daß ein Fluch auf ihm lastete.

Traurig musterte er Eins bis Zwölf der Reihe nach. Ob sie wußten, was ihnen be­vorstand? Hatten ihre Robotherren sie be­wußt auf ein Himmelfahrtskommando ge­schickt – schlimmer noch: in den sicheren Tod?

Hirto stand vor Synk, neben ihm Kebbak. »Da sind wir«, sagte Hirto überflüssiger­

weise. »Nun kommt dein Auftritt, Synk. Wie viele Quartiere der Scuddamoren gibt es in der Stadt, und wie können wir sie am leichtesten ausschalten?«

Wenn ich das wüßte! dachte der Orxeya­ner. Tarvin wird immer noch in der ehemali­gen Kühlhalle hocken, aber die anderen?

Hatte Atzbäll Verstärkung geschickt? »Ich glaube, der Kerl hat uns die ganze

Zeit über etwas vorgemacht«, knurrte Keb­bak. Er zog ein schmales Messer aus dem Gürtel. »Soll ich ihn zum Reden bringen?«

»Er wird auch so reden, nicht wahr, Synk?«

»Der Kommandant der Scuddamoren heißt Tarvin«, sagte Synk zögernd. »Er hat sein Hauptquartier in einer alten Kühlhalle

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aufgeschlagen. Ich weiß, wie wir unbemerkt dorthin kommen.«

»Was ist mit den Stadttoren? Sind sie be­wacht?«

Gerade das wußte Synk nicht. Er hatte sich ganz darauf verlassen, alle benötigten Informationen von Diglfonk zu erhalten. Kebbak war es gewesen, der das Fehlen des Robotdieners als erster der Piraten bemerkt hatte. Und wäre Hirto nicht gewesen …

»Sie sind bewacht«, hörte Synk es plötz­lich hinter sich schnarren. »Jeweils zwei Scuddamoren stehen in einem Tor. Sie sind alle bewaffnet.«

Synk fuhr herum, die Kinnladen nach un­ten geklappt. Ungläubig starrte er den Robo­ter an. Eins hatte etwas gesagt, ohne dazu aufgefordert zu sein. Mehr noch. Er hatte ei­ne präzise Auskunft gegeben.

»Kann der Zwerg nicht selber reden?« schnappte Kebbak.

»Ich rede dann, wenn's mir paßt, du unge­schlachter Klotz!« brüllte Synk den Piraten an. Er war nahe daran, vor Zorn zu explodie­ren. »Und im Moment paßt es mir nicht!«

Wieder hatte Hirto Mühe, den aufge­brachten Kebbak zu beruhigen. Lange würde er Synk nicht mehr schützen können, aus welchem Grund auch immer er dies tat.

Egal, was hinter Eins' plötzlicher Intelli­genz steckte, Synk mußte sich schnell etwas einfallen lassen. Einen ganz bestimmten Verdacht hatte er ja …

»Eins!« sagte er. »Es war gut, daß du nicht vergessen hast, daß ich dich darauf programmierte, ungefragt für mich zu spre­chen, wenn ich mit Nachdenken überlastet bin.«

Synk hoffte, daß der Roboter darauf nicht antworten oder Fragen stellen würde. Als Eins schwieg, fuhr er fort:

»Wie viele Scuddamoren befinden sich jetzt in der Stadt? Gewisse Muskelprotze, mit denen ich nicht rede, wollen das wis­sen.«

Ein kurzes Klicken, dann die Antwort: »Es sind genau fünfzig. Tarvin hat nach

deiner Flucht Verstärkung bekommen. Er

befindet sich noch in der Kühlhalle. Ein zweites Quartier der Invasoren befindet sich im Gasthof ›Zum goldenen Yassel‹. Zur Zeit sind die Straßen leer.«

Also doch! Jetzt wußte Synk genau, wer durch Eins redete. Diglfonk lebte und be­fand sich irgendwo in der Stadt. Unwillkür­lich mußte Synk grinsen. Diglfonk war doch ein Teufelskerl. In der Stadt nützte er ihm mehr als draußen.

»Worauf warten wir dann noch?« fragte Sistello. »Wir erledigen die Wachen am Tor und überfallen die Scuddamoren, solange sie nichts von uns wissen.«

»Dummkopf!« fuhr Hirto ihn an. »Sie sind uns zahlenmäßig weit überlegen. Synk, was schlägst du vor?«

Einen Moment lang überlegte der Orxeya­ner, ob er Diglfonks Anwesenheit in der Stadt preisgeben sollte. Es war ein Wunder, daß die Piraten noch nicht mißtrauisch ge­worden waren. Eins konnte ebensowenig wie er selbst wissen, wie es nun genau in Orxeya aussah, und wie viele Scuddamoren nach Synks Flucht als Verstärkung gekom­men waren.

Er beschloß, vorerst zu schweigen. Soll­ten sie fragen, konnte er immer noch sagen, daß er Diglfonk aus taktischen Gründen vor­ausgeschickt hatte.

»Wir teilen uns in zwei Gruppen«, schlug er vor. Er ging davon aus, daß die Scudda­moren eine Möglichkeit gefunden hatten, die Energieversorgungssysteme der ehemaligen Kühlhalle zu reparieren, so daß sie sich wie­der darin aufhalten konnten, ohne zu erfrie­ren.

Was hätte er getan, wäre er jetzt Diglfonk und in Orxeya? Synk sah nur eine Möglich­keit.

»Ihr drei schleicht euch ans Goldene Yas­sel an«, sagte er. »Ich beschreibe euch den Weg. Einer von meinen Robotern wird euch darüber hinaus begleiten und euch zeigen, wie ihr durch Hintereingänge ungesehen in die Gaststube kommt. Ich selbst werde mit den anderen Robotern die Kühlhalle über­nehmen.«

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»Wo stehen die Zugors?« wollte Kebbak wissen. »Wie viele haben die Kerle?«

»Eins?« fragte Synk und drehte sich zum Robot-Kommandanten um.

»Insgesamt gibt es sieben Zugors in Orxe­ya. Vier davon stehen auf dem Marktplatz vor der Wirtschaft, die drei anderen vor der Kühlhalle.«

Ungefragt fügte Eins hinzu: »Es sind keine Transportgleiter mehr in

der Stadt. Alle Gefangenen wurden bereits vor drei Tagen abtransportiert.«

»Sehr schlaue Roboter hast du«, sagte Si­stello mit zusammengekniffenen Augen. »Schlauer als du, eh?«

»Wir verlieren Zeit«, sagte Hirto schnell. »Synk hat recht. Wir machen es, wie er es vorschlägt. Allerdings müssen die Zugors vor dieser Kühlhalle vernichtet werden, um die anderen kümmern wir uns.«

Synk nickte. »Eins«, wandte er sich zum letztenmal an

den stabförmigen Roboter und damit an Diglfonk. »Programmiere Zwei und über­mittle ihm alles, was du von mir über das Goldene Yassel weißt.« Es dauerte fünf Se­kunden, bis Eins schnarrte:

»Zwei ist programmiert.« »Wir treffen uns im Goldenen Yassel«,

sagte Synk zu Hirto. »Diejenigen von uns, die überleben.«

*

Wo steckt Diglfonk? fragte Sator Synk sich immer und immer wieder, als er an der Spitze der ihm verbliebenen elf Roboter durch die Gassen seiner Heimatstadt ging. Sie völlig menschenleer zu sehen, schmerzte ihn. Nur dann und wann war ein Gesicht in einem der kleinen Fenster zu erblicken. Nor­malerweise wären die in Freiheit gebliebe­nen Männer und Frauen jetzt aus den Häu­sern geströmt und hätten sich ihm ange­schlossen. Daß sie es nicht taten, war ein Zeichen dafür, daß Diglfonk seine Aufgabe gut erfüllt hatte.

Als Synk mit seiner Streitmacht jenes

Horst Hoffmann

Viertel erreicht hatte, in dem die Kühlhalle lag, dachte er an Hirto, Kebbak und Sistello. Die Skrupellosigkeit, mit der sie die beiden Scuddamoren am Stadttor niedergeschossen hatten, ließ keine Zweifel daran, wie sie im Goldenen Yassel vorgehen würden.

Sator Synk wurde sich bewußt, wie gering seine und ihre Chancen doch waren.

»Ist Diglfonk bei der Energieanlage?« fragte er Eins flüsternd. Jetzt konnte er ja of­fen mit ihm, das hieß, mit Diglfonk reden.

»Nein, Herr«, gab Eins Auskunft. »Er be­findet sich bei den Scuddamoren. Er ist ge­fangen und liegt unter einem undurchdring­baren Energieschirm. Er kann nur über Funk mit uns kommunizieren, sonst nichts.«

Synk erschrak. »Weiter! Hat er nichts zu sagen?« »Bevor er gefangen wurde, konnte er wei­

tere Bomben holen. Er hat sie an verschiede­nen Stellen der Halle versteckt. Dabei wurde er entdeckt, aber die Scuddamoren wissen nichts von den Bomben. Sie können von ei­ner Stelle aus gezündet werden. Diglfonk will nicht, daß du auf ihn Rücksicht nimmst. Du sollst die Bomben zünden, bevor die Scuddamoren auf uns aufmerksam werden. Im Augenblick halten sie sich alle in der Halle auf – mit Ausnahme der in der Gast­wirtschaft stationierten und der Torwachen.«

Synk war einen Augenblick sprachlos, dann hatte er Mühe, nicht laut zu brüllen:

»So, Diglfonk will nicht, daß ich Rück­sicht auf ihn nehme! Er will sich opfern! Aber daraus wird nichts. Du weißt, wo sich der Zündmechanismus befindet?«

»Ja, Herr.« »Gut. Wir werden das Feuerwerk machen,

aber vorher hole ich Diglfonk heraus. Befeh­le Drei bis Fünf, die Zugors zu zerstören. Sechs bis Zwölf sollen sich in der Nähe der Halle eine Deckung suchen und auf die Scuddamoren feuern, sobald sie aus der Hal­le stürmen. Sie müssen alle herausgelockt werden, verstanden? Du kommst mit mir.«

»Aber der Energieschirm«, warf Eins/ Diglfonk ein.

Synk holte tief Atem. Er blickte an Eins

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vorbei, als er sagte: »Diglfonk, lassen wir doch das Versteck­

spiel. Ich weiß, daß du mich jetzt hörst. Und ich bin sicher, daß du weißt, wie man den Energieschirm abschaltet. Es wird keine to-ten Roboter geben!«

»Ich werde dir zeigen, wie der Schirm au­ßer Kraft gesetzt werden kann«, schnarrte Eins endlich.

»Dann los. Gib die Befehle.«

*

Die drei Zugors vor Tarvins Hauptquar­tier explodierten fast gleichzeitig. Zum er­stenmal sah Synk »seine« Roboter in Akti­on. Diglfonk hatte weit untertrieben. Sie wa­ren nicht nur Maschinen zur Ausführung simpler Tätigkeiten. Sie waren Kampfma­schinen. Aus kaum wahrnehmbaren Öffnun­gen fuhren violette Strahlen und brannten sich in die Zugors, bis sie die Energiespei­cher fanden. Trümmer flogen nach allen Sei­ten durch die Luft, und wie erwartet, ström­ten die ersten Scuddamoren aus der Halle. Ein halbes Dutzend verging im Feuer der Roboter. Synk hatte im stillen bis zuletzt daran gezweifelt, daß deren Bewaffnung ausreichte, um die fließenden Felder, die die Scuddamoren umgaben, zu durchbrechen.

Er zählte. Dreißig Scuddamoren hatte Tarvin befehligt, als er Orxeya besetzte. Ei­nige davon konnten während des von Digl­fonk entfachten Chaos umgekommen sein. Weitere befanden sich vielleicht bei den Stadttoren. Nachdem zwanzig Scuddamoren aus der Halle herausgekommen waren, wur­de Synk unsicher. Die Roboter schossen weiter aus ihren Deckungen, diesmal aber vorbei, um die Invasoren auf sich zu ziehen. Langsam wichen sie zurück.

Synk kniete zwischen zwei hier abgestell­ten, ausrangierten Obstkarren. Erst als er einen einzelnen Scuddamoren aus dem Ein­gang der Halle kommen sah, war er sicher, daß er Tarvin vor sich hatte – und damit den letzten Scuddamoren aus der Halle.

»Komm!« flüsterte er Eins zu. Auf allen

vieren kroch der Orxeyaner zwischen den Karren hervor und um die Halle herum. Eins schob sich regelrecht flach über den Boden, bis sie einen der Hintereingänge erreichten.

Kurz darauf befanden sie sich in der Hal­le. Diglfonk lag etwa in der Mitte. Die Ener­gieglocke über ihm war deutlich zu erken­nen.

Synk hatte tatsächlich Glück. Kein Scud­damore war mehr in Tarvins Hauptquartier, das sich als solches nur durch einige Tische mit Folien darauf und aus Fahrzeugen aus­gebaute Geräte auswies.

Von draußen drangen Kampfeslärm und gelegentlich das Krachen von Explosionen herein. Synk hatte keine Zeit zu verlieren. Jeden Augenblick konnten Atzbäll und seine Scuddamoren zurückkommen, um über Funk Hilfe herbeizurufen.

»Das Aggregat für den Energieschirm!« wandte Synk sich an Eins. »Wo ist es?«

Der Roboter schwebte auf ein kastenför­miges kleines Gerät auf einem der Tische zu.

»Zerstöre es, Eins!« Synk schloß die Augen, als der violette

Strahl aus der Verdickung am oberen Ende des Stabkörpers in den Kasten fuhr. Es blitz­te grell auf. Als er sie wieder öffnete, war von dem Aggregat und dem Energieschirm nichts mehr zu sehen.

Vom Eingang her hörte er Schreie. Die Scuddamoren kehrten zurück.

»Weg hier, Diglfonk!« schrie er seinem Diener zu. »Eins, du bleibst hier und be­schäftigst die Scuddamoren, bis Diglfonk dich zurückruft. Verstanden?«

»Verstanden, Herr.« Synk rannte auf den Hintereingang zu,

durch den er gekommen war. Diglfonk folg­te ihm. Er stellte jetzt keine Fragen, obwohl ihm klar sein mußte, was Synks Aufforde­rung an Eins bedeutete. Ein Energiestrahl fuhr knapp zwei Meter neben dem Orxeya­ner in eine der glatten Wände. Gleich darauf explodierte etwas hinter seinem Rücken. Die Druckwelle fegte ihn fast von den Beinen. Synk sah nur den Ausgang. Er drehte sich

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nicht um, als zwei weitere Explosionen er­folgten.

Endlich war er im Freien. Diglfonk schwebte an ihm vorbei.

»Der Zünder!« schrie Synk. »Ich bringe die Bomben zur Explosion«,

erwiderte der Robotdiener. »Wir treffen uns beim Goldenen Yassel.«

»Aber …!« Bevor Synk protestieren konnte, war

Diglfonk zwischen zwei Getreidesilos ver­schwunden. In der Kühlhalle wurde weiter geschossen. Synk fragte sich, wie Eins sich so lange halten konnte. Und er wurde sich bewußt, daß er völlig waffen und schutzlos war.

Er rannte in die nächste Gasse hinein. Rechts von ihm wurde gekämpft. Bei jeder Explosion dachte Synk an zerstörte Roboter. Er lief weiter, um ganze Hallen und Häuser­blocks herum, bis er den ersten Roboter sah. Die Maschine floh ganz offensichtlich, und zwar in Richtung Marktplatz. Synk schrie sie an. Sie reagierte nicht. Zwei weitere Ro­boter schwebten an ihm vorbei. Einer von ihnen hatte etwas in einer Greifhand und warf es Synk zu. Dieser fing es instinktiv auf. Ungläubig starrte er auf den scuddamo­rischen Strahler. Er hatte keine Flucht be­fohlen, nur das langsame Zurückweichen vor den Invasoren. Diglfonk! Fluchend rann­te Synk hinter den Maschinen her, als er er­kannte, was ihr wirkliches Ziel war. Wenn in alldem ein System lag, dann wurde beim Goldenen Yassel noch gekämpft. Deshalb der Strahler. Synk mußte erkennen, daß sich längst ein anderer zum Dirigenten aufge­schwungen hatte. Nur Diglfonk konnte die Roboter steuern.

Synk erreichte den Marktplatz genau in dem Augenblick, in dem die Kühlhalle in die Luft flog. Er warf sich zu Boden und holte sich einige Schrammen, doch er spürte den Schmerz nicht.

Dort, wo sich Tarvins Hauptquartier be­funden hatte, stieg eine riesige Rauchsäule in den Himmel. Staubwolken stiegen auf. Die Häuser in der Nähe der Kühlhalle muß-

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ten reihenweise in sich zusammengestürzt sein. Synk bezweifelte kaum, daß Diglfonk dafür gesorgt hatte, daß sie von ihren Be­wohnern verlassen worden waren.

Ein Blick auf den Marktplatz bestätigte seine Vermutung.

Aus dem Goldenen Yassel wurde ge­schossen. Synk sah überall hinter den umlie­genden Häusern Orxeyaner und zwischen ihnen Hirto und Sistello. Kebbaks Leiche lag im Eingang des Gasthauses. Hirto und Sistello schossen auf die Fenster, aus denen das Feuer erwidert wurde.

Als Synk sich noch fragte, wie viele Scuddamoren sich noch darin verschanzt hatten, erfolgte eine Explosion und riß die ganze Front des großen Gebäudes um. Synk wurde mit einem Schlag klar, wohin die »fliehenden« Roboter geflogen waren.

Er sprang auf, von plötzlicher Wut ge­packt. Zwei weitere Maschinen schwebten aus einer Gasse heraus und auf das Goldene Yassel zu. Synk schrie ihnen zu, daß sie um­kehren sollten, mit dem einzigen Erfolg, daß Hirto auf ihn aufmerksam wurde und ihn herbeiwinkte.

Sator Synk rannte los, den Blick nicht von den Robotern nehmend, die jetzt in der Staubwolke vor dem Gasthaus verschwan­den. Noch bevor er Hirto erreichen konnte, krachte etwas hart in seinen Rücken und riß ihn zu Boden. Im gleichen Augenblick gab es zwei weitere Explosionen, verheerender als die vorangegangene. Vom Goldenen Yassel blieb nichts übrig. Steine schossen durch die Luft und über Synk hinweg. Die Welt schien in einem Chaos aus Asche, Trümmern und grellen Stichflammen zu ver­gehen. Synk hörte nicht, wie er schrie. Er hatte beide Hände fest gegen die Ohren ge­preßt und hatte immer noch das Gefühl, sei­ne Trommelfelle müßten zerspringen. Er schloß die Augen und glaubte, den Weltun­tergang zu erleben.

Dann war plötzlich Stille.

*

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Niemand schoß mehr. Niemand stieß Tri­umphgeschrei aus.

Sator Synk richtete sich auf. Er bemerkte Diglfonk, der neben ihm schwebte. Unter anderen Umständen hätte der Orxeyaner ihn nun angeschrien, was er sich erlaubt hätte, einfach über seinen Kopf hinweg zu bestim­men und seine Roboter in den Tod zu schicken.

Synk tat nichts dergleichen. Er wischte sich den Staub von der Kleidung und aus dem Gesicht. Seine Hand war blutig. Synk nahm es gar nicht wahr. Langsam ging er auf die Trümmer des Goldenen Yassels zu. Die umliegenden Häuser waren zerstört. Jetzt drängten sich die Orxeyaner, die in den Gassen Schutz gesucht hatten, zum Rand des Marktplatzes. Hirto und Sistello standen mit den Waffen in den Händen bei ihnen und verhielten sich ebenso abwartend.

Sator Synk war allein. Er überquerte den Platz und wußte, daß aller Augen nur auf ihn gerichtet waren. Dann stand er vor der Rui­ne.

Er sah Teile von explodierten Robotern, dazwischen die Waffen der getöteten Scud­damoren. Nichts rührte sich hier mehr.

Orxeya war frei. Diglfonk schwebte an Synks Seite. Ein

Tentakel legte sich auf die Schulter des Bär­tigen.

»Es gibt keine Scuddamoren in deiner Stadt mehr«, sagte der Robotdiener.

Synk nickte stumm, den Blick nicht von den Wracks nehmend.

»Wie viele?« fragte er dann. »Wie viele Roboter haben sich geopfert?«

»Sechs«, antwortete Diglfonk. »Es ließ sich nicht vermeiden. Und die Scuddamoren werden wiederkommen. Es gelang Tarvin, einen Hilferuf zu funken, bevor ich die Halle sprengen konnte. Auch Gykogsbeeden konnte ihn nicht mehr daran hindern. Er war bereits zu schwer beschädigt.«

Und wie viele Orxeyaner waren umge­kommen? Wie groß waren die Schäden für Orxeya? Die Getreidesilos bei der Kühlhalle brannten lichterloh. Löschtrupps taten ihr

Möglichstes, um das Feuer einzudämmen, bevor es auf andere Teile der Stadt übergriff.

Hatte die Befreiung der Stadt die Opfer gelohnt, wenn schon jetzt feststand, daß die Scuddamoren bald wieder die Herren Or­xeyas sein würden? Diesmal würden sie kei­ne Gnade kennen. Die Händler würden für das bestraft werden, was Synk getan hatte.

Stärker als jemals zuvor wurde er sich sei­ner Ohnmacht bewußt, der Ohnmacht des einzelnen. Hätte er auf Axton hören und bei ihm bleiben sollen? Hätte er sich irgendwo ein sicheres Versteck suchen und abwarten sollen, bis die Zeit für einen wirklich erfolg­versprechenden Schlag gegen die Invasoren überall auf Pthor reif war?

Aber bedeutete das nicht Kapitulation? Wer sollte eine ganz Pthor umfassende Wi­derstandsbewegung auf die Beine stellen, wenn jeder, der zu kämpfen bereit war, sich zurückhielt? Wo sollte er ansetzen?

Hoffnungslosigkeit, Enttäuschung und Angst. Das waren die Gefühle des Sator Synk.

»Wann werden sie hier sein?« fragte er Diglfonk.

»Bald«, antwortete der Robotdiener. »In höchstens einer Stunde.«

Synk drehte sich um und sah die Orxeya­ner auf sich zukommen. Er hatte Angst da­vor, ihnen vor die Augen treten zu müssen. Anstelle der Freiheit hatte er ihnen Tod und Verwüstung gebracht – und die Aussicht auf noch finsterere Zeiten.

Doch er wurde überrascht. »Wenn wir nun gehen, wird es niemals

heißen können, wir hätten Orxeya dem Feind ohne Widerstand überlassen«, sagte der Mann, der nun direkt vor Sator Synk stand. Synk kannte ihn gut. Beide hatten nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie dem an­dern am liebsten den Hals umgedreht hätten. Nun sahen sie sich an, und Braker Hoyt, ei­ner der reichsten und einflußreichsten Händ­ler Orxeyas, hielt Synk die Hand entgegen.

Sator Synk ergriff sie zögernd. »Wir waren Feiglinge«, fuhr Hoyt fort.

»Alle, wie wir hier stehen. Und es war dein

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Roboter, der uns die Augen öffnete. Hätte er es uns nicht verboten, dann hätten wir uns selbst auf die Invasoren gestürzt.«

»Und wäret in den Tod gelaufen«, mur­melte Synk. »Kein Mensch hat eine Chance gegen sie, wenn er nicht bewaffnet ist.«

Kein Mensch! Diglfonk hatte sich selbständig gemacht,

weil er wußte, daß Synk niemals das zu bringende Opfer erlaubt hätte.

Synk blickte zuerst Hoyt, dann den Män­nern, Frauen und Kindern um ihn herum in die Augen. Die Zeit war knapp. Bald wür­den die Zugors der Scuddamoren wieder über der Stadt erscheinen. Vielleicht würde Atzbäll sogar ein Raumschiff schicken. Synk wußte es nicht. Er wußte nur, daß er schnellstens aus Orxeya verschwinden muß­te, irgendwohin, wo er Zeit zum Nachden­ken hatte.

»Was wird aus euch?« fragte er. »Einige von uns werden fliehen und einen

sicheren Unterschlupf suchen«, erklärte Bra­ker Hoyt. »Wir haben schon alles vorberei­tet. Die meisten bleiben aber hier. Es ist un­sere Heimat, Sator, so wie es deine Heimat ist.«

Synk nickte langsam. »Gehst du mit uns, Sator?« »Nein«, sagte Synk. Er drückte Hoyts

Hand fester. »Ich … ich passe nicht zu euch. Ich muß allein sein.« Er zuckte die Schul­tern. »Allein mit meinen Robotern.«

»Viel Glück, Sator«, sagte Hoyt. »Und danke.«

»Wofür?« brach es aus dem Helden der Schlacht um Pthor heraus. »Nun verschwin­det endlich und laßt mich allein!«

Synk packte Diglfonk an einem Tentakel und zerrte ihn hinter sich her. Die sechs »überlebenden« Roboter warteten am gegen­überliegenden Ende des Marktplatzes. Hirto stand bei ihnen. Synk erschrak. Die Piraten hatte er völlig vergessen. Kebbaks Leiche hatte er im Staub liegen gesehen, aber wo war Sistello?

»Er ist gut aufgehoben«, sagte Hirto lä­chelnd. »Die Orxeyaner haben sich seiner

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angenommen, als er zu plündern beginnen wollte. Er wird bei ihnen in der Stadt blei­ben. Von ihm selbst hängt es ab, was aus ihm wird.«

»Und du? Du hast die ganze Zeit über verhindert, daß er und Kebbak mich um­brachten. Warum?«

Der Pirat zuckte die Schultern. »Vielleicht weil wir alle Pthorer sind,

Synk. Mach dir um mich keine Sorgen. Ich habe meine Waffe noch und einen Zugor. Ich ließ nur zwei Maschinen zerstören. Für dich und deine Freunde steht auch eine be­reit. Du wunderst dich, warum ich die Gele­genheit nicht nutze und mir von euren Reichtümern nehme? Ich werde schon auf meine Kosten kommen, anderswo. Und ich glaube, ich habe einen Freund gefunden. Das ist mehr wert als euer Schmuck. Lebe wohl, Synk, und vielleicht sehen wir uns wieder.«

Hirto gab dem Bärtigen einen freund­schaftlichen Schlag auf die Schulter und ging davon. Synk sah ihm lange nach.

»Was steht ihr hier herum?« fuhr er dann die Roboter an. »Diglfonk, du übernimmst das Kommando über sie. Du weißt, wo der Zugor steht, von dem Hirto sprach?«

»Fünf weiß es. Komm mit.«

* ATZBÄLLS PTHOR

Wenige Tage nach dem Aufstand der Or­xeyaner, ausgelöst durch eine Handvoll ver­wegener Rebellen, hatte der Kommandant der Scuddamoren auf Atlantis die Lage fe­ster denn je im Griff. Die in ihrer Stadt ge­bliebenen Orxeyaner verhielten sich absolut loyal. Die Rebellen waren untergetaucht, ebenso die geflohenen Orxeyaner. Die er­warteten neuen Anschläge waren ausgeblie­ben.

Vorsichtshalber und als zusätzliche De­monstration seiner Macht hatte Atzbäll ein Organschiff nach Wolterhaven geschickt, wo es über der Stadt der Roboter drohend am Himmel hing. Über die Einstellung der Ro­

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botbürger war der Scuddamore sich nicht völlig im klaren. Sie bildeten einen Unsi­cherheitsfaktor, trotz der Ergebenheitserklä­rung. Immerhin waren es Roboter gewesen, die den Kampf in Orxeya für die Aufständi­schen entschieden hatten.

Die Magier schwiegen auch weiterhin. Sie reagierten nicht auf den Beschuß des Energieschirms. Solange sie sich abkapsel­ten und ruhig verhielten, störten sie Atzbäll nicht. Dennoch patrouillierten jetzt wieder Zugors vor der Großen Barriere von Oth, um zu verhindern, daß doch noch Rebellen zu den Magiern gelangen und sie aufwiegeln konnten.

Die RIESING und die WAPSIET waren unterwegs in die Schwarze Galaxis. Neue Transporter würden bald erscheinen.

Atzbäll konnte sich nun voll und ganz sei­ner Aufgabe widmen, Pthor in jenes Instru­ment der Mächtigen zurückzuverwandeln, das es bis vor kurzem gewesen war. Die Pthorer setzten dem keinen Widerstand ent­gegen und zeigten sich willig, mit den Inva­soren zusammenzuarbeiten, wenn es von ih­nen verlangt wurde. Sie hatten die Hoffnung auf eine Befreiung aufgegeben.

Irgendwo in der Nähe der Großen Bar­riere von Oth suchte Grizzard, der merkwür­dige Mann, den Atzbäll noch nie ohne seine Rüstung gesehen hatte, nach jenen Aufstän­dischen, die versucht hatten, zu den Magiern zu gelangen und dabei nach Atzbälls Über­zeugung den Tod gefunden hatten. Grizzard war so besessen von dem Gedanken, den An­

führer der Rebellen, Lebo Axton, zu finden, daß Atzbäll ihm einen Scuddamoren-Trupp unterstellt hatte. Im Augenblick hatte er oh­nehin keine Verwendung für Grizzard, doch später einmal würde er ihn gebrauchen kön­nen. Grizzard war loyal. Allerdings konnte Atzbäll die wirklichen Gründe für die Ko­operationswilligkeit des Mannes in der Rü­stung nicht kennen. Grizzard hatte die Hoff­nung nicht aufgegeben, seinen Originalkör­per, in dem das Bewußtsein Lebo Axtons steckte, zurückzuerlangen. Er wollte nicht an Axtons Tod glauben. Und so stellte er sich mehr als schon zuvor auf die Seite der Invasoren, obwohl sie in ihrer Mentalität nicht unbedingt seiner Vorstellung von Mo­ral entsprachen. Er benutzte sie und ließ sich von ihnen benutzen.

Atzbäll glaubte nicht daran, und für Griz­zard war es eine verzweifelte Hoffnung: Le­bo Axton war es tatsächlich mit Koy, Kol­phyr und Fenrir zusammen gelungen, im letzten Augenblick durch die unversehens entstandene Strukturlücke im Energieschirm der Magier zu schlüpfen.

Und es gab niemanden, der sagen konn­te, was die Flüchtlinge in der Großen Bar­riere von Oth erwartete.

Pthor gehörte den Scuddamoren. Hinter dem Energieschirm der Magier

lag eine andere Welt.

E N D E

Weiter geht es in Atlan Band 425 von König von Atlantis mit: Die Rache der Kerneeten von Hubert Haensel