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das Grabmal der
roten Armee Fraktion
ein deutsches Wintergedicht
Privatdruck ohne Copyright
April 2006
Inge Viett in Bewunderung zugeeignet.
und für alle anderen die es überlebt und
sich nicht verleugnet haben, insbesondere
für Brigitte, Eva, Birgit und Christian.
der Toten eingedenk.
“Denk ich an Deutschland in der Nacht…”
Heinrich Heine
“Vias tuas, Domine, demonstra mihi; et semitas tuas
edoce me.”
Psalm 24, 4
“Das Ziel lag in großer Ferne”
Bertolt Brecht
5
so wie es ein Alpha gibt
und kein Ende
magische Möglichkeiten:
aller Anfang Anfang
und die Geburt aller Wege
und Weiten und Horizonte,
und die Geburt des Dranges
nach Neuem und Ungebahntem
nach unerhörten Perspektiven.
Wege würde es geben
die zur Sonne führen,
andere ins Dunkel hinab,
welche die man kaum zu spüren
kriegt, geschweige denn benutzen kann.
und zuletzt wurde auch Deutschland geschaffen:
aus Eisen, zu Waffen !
6
Petra Schelm
über Dich,
die Du aus dem Leichenschauhaus heraus
in den übelsten Stern der Welt
geworfen wurdest,
damit uns Angst und Furcht und Elend
eingehämmert werde,
damit wir den unsicheren Weg
für den sicheren einwechseln werden,
habe ich anderswo berichtet.
Du hättest mir im Spiel
schelmisch die Haare schneiden können,
mit den sachten und sehnlichen Fingern
der Freundschaft;
die wenige Kraft die ich zum schreiben brauche
wäre mir damit nicht abhanden gekommen.
7
Georg von Rauch
von Rauch sind die Menschen:
kaum geboren
verschwinden sie mit einem Hauch.
an eine Mauer gestellt
drehst Du den Kopf
und schon verschwindet
mit einem Schuss
das Licht, das Dich leben ließ.
es lebt weiter jedoch
auch heute noch
dort am selben Ort
wo Du Beute wurdest
und ledig allen Wegs.
nicht nur der Tod, Pablo,
nicht nur der Tod.
8
November, März
ein Herbst
als ob es immer Frühling wär
wo die Piepen regieren
wird Geschichte mit Blut geschrieben.
schwarz wie Kohle steht die Schmiere da
und spielt ihre zu Schmutz verputzten Rollen.
in einem kalten November war’s:
alle ahnten die Richtung,
kannten jedoch die Wege nicht;
mühsam ging es voran
aber toll erschaffte man
die Räte der Revolution:
ein einziger Frühlingsreigen
durch Deutschlands Städte.
ein roter November jedoch
9
wurde es nicht:
nur Kapp als Vorausschau
und ein Doppelmord
der tief in die Geschichte Deutschlands
fraß:
kein Irrweg und kein Holzweg,
nur der Abstieg
in eine millionenfach tödliche grausame Sackgasse.
so starb der hoelzene Frühling schon in März.
der Kaiser mag schon lange gegangen sein,
die Bluthunde sind bis jetzt geblieben:
sie bellen und beißen wie eh und je,
und harzen überdies ihr Volk ein
in Armut, wie Insekten.
10
Thomas Weissbäcker
Dein Name hat ein Haus gebaut:
eine starke Stütze für die Hilflosen,
für jene die ausradiert sind von der guten Gesellschaft,
ein Haus darin Nützliches geschieht,
wie es einst der arme BB gefordert.
wie man zur Welt kommt verlässt man die Welt auch.
zu Augsburg in der Stadt kam der Dichter zur Welt
der sich lange flüchten musste
vor denen
die auch Dich gejagt haben;
ihn haben sie nie erwischt,
Dich jedoch haben sie daselbst
hinterrücks erschossen,
rechtsstaatlich entschlossen.
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Ingeborg Barz
dem Schwein ist alles Schwein:
aber bei uns gibt es keine Femen
oder Notstandsgesetze,
bei uns verschwindet man nicht
in Nacht und Nebel.
nur der Staat hat für jede(n) eine Kugel,
und meucheln, kaltblütig morden
und alles leugnen, vertuschen und heucheln
sind von je des Staates Monopol.
wo bist Du, Ingeborg,
wo bist Du? doch für ewig in den Untergrund?
verschwunden?
12
den Unbekannten
unbekannte Soldaten derer einmal im Jahr
von den eigenen Mördern gedacht wird
kennen wir nicht.
doch zwischen den Genannten
gibt es auch andere
aus dem Gedächtnis gebannte
Verbannte ohne Namen:
verfemte Freunde,
auch meine unbekannten Verwandten.
gedenken wir auch ihrer
hier in diesem Gedicht:
ein ganz wenig Licht
lass über sie scheinen.
auch sie sind für alle
an irgendeinem Kreuz gestorben
und haben sich so einen sicheren Platz
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in unseren Herzen erworben.
an welchen Straßen, Gassen
oder Flüssen auch immer
sie verstreut sein mögen.
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Holger Meins
so wie Fleisch weiteres Fleisch heischt
und allmählich verschwindet
so tollwütig kann der Hunger
durch die Körper toben
stark wie ein Speer
nährt dieses Bild die Wut:
immer noch sehe ich
Deine geknackten abgemagerten Knochen,
wie Nadeln
tief in meine blutenden Augen gestochen.
ich hätte Dich an mich drücken wollen,
Holger,
ich hätte Dich kuscheln können;
denn auch Männer dürfen zärtlich sein.
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Katharina Hammerschmidt
auch wenn man sich stellt
gibt’s dafür kein Entgelt:
verrecke, Katharina, sagt der Staat,
verrecke, und sät somit die Saat
woraus gerechter Hass entkeimt.
anfangs ist es nur ein Gespür,
ein kriechendes Kratzen in der Kehle,
eine Stimme die immer heißerer wird;
der Geschwulst bahnt sich den Weg
durch Speiseröhre und Brustkorb
und Kehlkopf und Luftröhre,
schließlich hört man vor Weh
die eigenen Schreie nicht mehr
(Ärzte kennt man nicht in deutschen Knästen).
ein Kehlkopfverschlusslaut
ist der letzte Laut.
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Schmierer Zeiten
Eisenbahnen ins Nichts
quer durch Deutscheuropa:
Lösch- und Wischwege,
Schmierer Geschichte
die endet als Ruinenkunst
wo Menschen zwischen Trümmerhaufen hausen
und Wege betreten müssen
die sie erst noch auszuhauen haben.
Max Hoelz war tot,
was übrig blieb waren weiße Rosen
und Edelweiß Piraten,
die vergebens ihr bestes taten
gegen die Lumpen von oben.
***
17
auf der anderen Seite
bei den aufgeklärten Dunkelmännern
wurde zwar in die richtige Richtung geschritten
aber unterwegs alles falsch gemacht
und viele guten Genossen
der Geschichte preisgegeben.
(auch jetzt erleben wir wieder Zeiten
wo schmieren und regieren Synonyme sind,
das waren Zeiten blieb dabei bis jetzt
ihr Lieblingslied)
bei alledem vergessen wir jedoch zu schnell
dass auch Schweine nur Menschen sind:
sie zeigen uns unser eigenes Bild,
verzerrt zwar, und verschwommen
und blind.
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Ulrich Wessel
kann ein name ein messer sein
ins eigene fleisch?
und so sogar grossbuchstaben
zu kapitalverbrechen machen?
du, der du deinem namen zufolge
eher hättest aufmerksam sein müssen
im heer, die genossen zu schützen,
musst bis zur Atemlosigkeit
herumgeschrien haben
vor anstrengung:
und der inneren folgte nur
die äußere explosion.
19
Siegfried Hausner
auch in Auschwitz
wurden Häftlinge manchmal verprügelt,
zum Spaß,
damit die Henker ihre miese Männlichkeit
schneller hochkriegen:
Manneszucht !
so sind auch in deutschen Knästen
Ärzte nur zum Scherzen da.
die Stadt wie ein Haus im Walde
wurde kein Heim:
abtransportiert wurdest Du
in den Staat wo von jeher
ein anderer Friede herrscht:
der Friede des Todes.
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Wege
Wege allerwegen nur Wege
einfache Wege und schwierige Wege
Feldwege und Landstraßen
individuelle Wege und kollektive Wege
einsame Wege und Heimwege
Abwege und Irrwege
Holzwege (tief im schwärzesten Walde)
Hauptwege und Fußwege
Seitenwege und Einbahnstraßen
Querwege und Parallelwege und Kreuzwege
Pfade und Bahnen und Schneisen
Bergwege und Wasserwege und Luftwege
Steige und Stege und Zeilen
endlose Wege
totlaufende Wege
Wege die nirgends hinführen
Wege die überall hinführen
Sommer- und Winterwege
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Schleich- und Schleierwege
Wege zur Wahrheit und zur Lüge
(oder umgekehrt)
Schicksalswege und Todeswege
Rückwege
nur Wege allerwegen Wege
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Philipp Werner Sauber
den Weg hinab bist Du gestiegen:
aus dem Reichtum der Unterdrücker
zur Armut der Unterdrückten,
als legal illegaler Arbeiter unter Arbeitern
in ihren Wohn- und Arbeitskasernen
ein einsamer Wanderer.
bis an dem Abend wo Du,
mit zwei Kumpeln unterwegs
erst versucht hast zu fliehen,
Dich dann gewehrt hast,
und schließlich liegen bliebst
mit drei Kugeln im Rücken:
auf der Flucht erschossen.
war keine Kamera zugegen?
von wegen !
und danach abgeführt
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in den zinkenen Sarg,
ganz sauber.
24
Brigitte Kuhlmann
Wilfried Böse
als Zora rot vor Zorn sprang
und rann und sang durch das Land
und Brand legte an Adlers Filiale
blühte ein bisschen Hoffnung
bis hin im fernen asiatischen Land.
Cool, Mann !
ihr aber, teure Freunde,
ruhtet schon in irgendeiner Grube,
ermordet von denen,
die einst Ungeziefer waren im deutschen Land
und die jetzt, täglich,
ihre eigene endlose Endlösung
fortführen
an die um ihr Land Bestohlenen,
total Entrechteten.
denen zu helfen
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heißt Gutes zu schaffen,
selbst wenn man
Schuldige/Unschuldige sichtet.
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Über mich selbst
Hier stehe ich:
ich kann nicht anders.
Luther
ein Aar war ich zwar nie,
aber auch als Spatz unter Spatzen
habe ich immer mein eigenes Lied gesungen,
bin ich immer meinen eigenen einsamen Weg gegangen,
unbeirrt aber unbelehrt und unbelehrbar,
mit Augen
die brennen und brechen und bersten
vor Schuld
habe ich die Welt und die Menschen
– meinesgleichen – angeschaut.
reich an Gelesenem nur
stehe ich abseits der Welt,
und gedenke derer
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die im Tode meine Freunde geworden sind
und in deren stumme Stimme
ich den Widerhall höre
dieses Jahrhunderte alten
unendlichen Rufes und Aufschreis
nach
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Ulrike Meinhof
viel Bambule hat es in Deinem ersten Leben
wohl nicht gegeben?
was häufte sich so hoffnungslos an,
dass Du unbedingt alle Wege
zwischen die Beine nehmen musstest?
und dann, nach einem Intervall
nur noch kurz eine kleine Zelle.
wie klingt eine menschliche Stimme?
wie prallt ein Schrei an die Wand?
und trillert weiter im schweigsam kreischenden Körper?
kein Laut
nur Licht auf nur weiße weiße weiße Wände
man erschreckt vor dem eigenen Atem
soll man lachen um den eigenen Furz?
Menschen?
Menschen!
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keine Sprache kein Laut
jeder Buchstabe bleibt stecken
in der Kehle
und erstickt.
ein Trakt ist ein Strang
wenn alle Stränge reißen.
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bleierner Herbst
ein Herbst
als ob es immer Winter wär
nachdem einer ohne Sorgen hinterlassen
auf dem Pflaster liegengeblieben war
stieg die Weißglut bis zum Tode,
an der Kreuzung an dem Berg
schieden sich letztendlich und endgültig die Wege.
welche fingen einen langen Marsch an
durch Institutionen:
die längste und erniedrigendste aller Auswege,
der Weg des müden Todes,
an unendliche Reihen von Türen vorbei
durch Häuser die nie eine Bleibe sind
durch endlose Gänge die an ein einziges Ziel führen:
einen Sessel zuletzt
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wo man mit den wichtigsten Räubern und Mördern der
[Welt
endlich sichselbst sein kann: ein Fischer,
im Trüben.
und obwohl alle Staatsanwälte
nur Kälte und Unmenschlichkeit
als Geleit haben in diesem Land
und sie alle noch immer Freisler heißen,
wählten andere die anderen
die schwierigeren unverzierten Wege.
war es ein kalter Weg den sie gingen?
auch anderswo hat es Opfer gegeben,
aber darüber berichte ich nicht:
wer aufsteht gegen die Herrschenden
hat Recht,
auch wenn er Unrecht hat.
was schleifen wir nicht mit uns an Schwerem!
wie viel Leichtes lassen wir nicht hinter uns!
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so hat das Land, das aus Ruinen auferstand
auch Richtiges getan
Genossen aufzunehmen
die des Kampfes müde gewesen.
noch andere
treten einen mahlerischen Rückweg an
und enden im sumpfigen Klumpatsch
der Volksgemeinschaft.
mir aber wird bange
so lang ist die Liste
die nicht nur mit Petra anfängt
die nicht nur mit Horst aufhört:
noch immer morden die Freisler
frei herum.
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Jan-Carl Raspe
was alles am Wegrand liegen blieb:
eine langweilige Jugend
und ein dummes Studium,
Soziologie die man nur in Büchern findet;
aber mitten im Gehirn ein ganz helles Auge,
dessen strahlendes Licht eines Tages
ausbrechen und ausströmen musste.
reiben jedoch, Jan,
ist eine langsame
kleine tagtägliche Arbeit,
und niemand kann sich sicher sein
dass er zu Lebzeiten Feuer sehen wird.
im Richtergrau der Auen aus Beton
krallen Deine Schreie hoch
an die hohen Mauern
und hallen und hallen und widerhallen
bis in meine schreibende Hand.
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wie ein Gelände in Nürnberg
und Lagergeländen all über Europa
stumme Zeugen sind einer Vergangenheit
die nie noch vorbei war,
so auch Dein Todesbunker
mit dem unheimlichen Namen.
wir verbleiben hier noch eine Weile
uns weiter in Leben zu üben;
Du bleibst endgültig drüben
35
Gudrun Ensslin
wie von Gottes Gnaden
tief ins Herze gebeizt:
die wunden Buchstaben
Gerechtigkeit.
auch das hat wohl
zu dieser seltsamsten aller Reisen geführt:
denn von Triangel über ein Kaufhaus
nach Stammheim
ist nicht gerade ein gerader Weg.
kanntest Du wirklich die Geheimnisse des Kampfes,
oder war die Empörung so groß
dass alles nur noch schneller
und schneller und schneller gehen konnte?
ein ganzes langes
glückliches/unglückliches Leben
bleibt Dir gutgeschrieben –
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im Sohne
37
Andreas Baader
wie viel Einsamkeit kann ein Kind ertragen?
wie lange leben in einem Haus ohne Halt oder Hüter?
wo nie ein wunderbarer Clown zugegen?
als man schon als Kind
irgendwie umgebracht wurde
kommt es später nur noch darauf an
zu sterben, ein Leichtes;
eine Badewanne oder eine Hautkrankheit
braucht man da nicht:
Klonen der Corday gibt es tausendfach,
z.B. ein Staat wie ein schwülstiger Vater.
gibt es ein Haus wo ich zuhause war?
***
drei hat der Schmiereschmied umgebracht
aber diese schlimmste Nebelnacht
38
hat auch eine Zeugin vorgebracht:
die Alleswissende im Garten.
39
im postmodernen Deutschland
in diesem postmodernen Deutschland
- plattgefickt von einem kleinen Krokodil –
gibt es keine o so militante
fröhlich frohlockende Panthertanten
oder rote zornige Zohras mehr.
ohne Gewähr lebt der Mensch
ohne Richtung ohne Ziel,
und welches Gewehr zu richten gegen wen
fragt er sich nicht einmal mehr.
alle Straßen sind Staustraßen
und scheinen wieder einmal zu münden
in blitzende Dunkelheit
in Abgründe ohnegleichen;
man sitzt inzwischen vor der Glotze
mit leeren Köpfen und toten Augen
und sieht zu
wie Nichts aus Nichts entsteht
und wiederum verweht.
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oder?
wie Enten Wasser abschütteln
so schütteln die da droben
Leichen ab – immer mehr und allerwegen
so ist auch Deutschland
wieder einmal erwacht
und fachte einen Krieg an
tief im Balkan.
so wollen sie uns
den Glauben rauben
an selbst die Möglichkeit
eines anderen Weges.
oder?
41
Ingrid Schubert
Bücher bestellt
Briefe geschrieben
als ob ein anderes Leben erst anfing.
oder hast Du sie doch zuvorkommen wollen,
die Schleichmörder des deutschen Staates
die knapp zwei Wochen vorher
drei Deiner Genossen umgebracht?
gedacht hast Du wohl täglich des Todes seitdem,
aber haben sie’s Dir leicht gemacht?
harte sanfte unvollendete Vollendete.
42
Willi-Peter Stoll
Mehlspeisen zu Weihnachten
werden’s wohl nicht gewesen sein,
aber hat’s Dir wenigstens noch geschmeckt,
Namensbruder,
das Essen, wovon Du nicht wissen konntest,
dass es Dein letztes war,
Deinen eigenen Leichenschmaus sozusagen,
bevor die Kugel, die bleierne, deutsche, Dich fand,
und es für Dich sogar
keinen unterirdischen Gang mehr gab,
vor denen Dich zu verkriechen?
43
Michael Knoll
im Wald zu wandern
ist nicht nur des Müllers Lust.
nur hört man manchmal Schüsse,
von Jägern, auf Menschen,
Knallen fallen die widerhallen
zwischen den Bäumen
bis hier auf dem Papier.
wieder einmal triumphieren die Jäger
und kassieren ihre Gelder;
und ewig schweigen die Wälder.
44
Eene meene muh
aber vier sind noch drin!
harmlose Sturmvögel,
stellvertretend für alle
eingekäfigt.
als zu Münster im westfälischen Land
widergetauft worden war,
kerkerten die Herrscher
in die Käfige nur Leichen ein
während die Herren
vom selbsterwählten Olympos
sich weiter kümmern
um ihre Rendite und Kredite und Profite
und aus den Parlamenten
wie immer
nur das bleiche Seichen
lebendiger Leichen quillt
45
sind vier noch immer drin
lebensunwertes Leben
Volksschädlinge
Ballastexistenzen
gesundes Volksempfinden
wie viel Mohn braucht man
den Schmerz all dieser Jahre
zu lindern?
und auch wenn man ein hohes Gebiet studiert
oder ein Stück Sonnenlicht stiehlt
(ebenfalls fast Richtergrau
Schauen uns die Frauen an,
verletzt aber stolz
als ob sie Menschen sind)
vom Leben selber;
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endlich Klartext schaffen,
meine Herrschaften !
Friede den Zellen!
inzwischen zieht und zuckelt
die Geschichte zäh dahin
auf endlosem Wege.
vier sind noch drin,
stellvertretend
in ihren einsamen Grüften.
mir friert
vor der kalten Knechtschaft der Knästen.
47
Elisabeth van Dyck
beim Öffnen der Tür
hättest Du erstarren müssen
wie Schauspieler in Marienbad.
Kugeleinschläge
ins weiche Fleisch eines Menschen
schmerzen nur wenn man am Leben bleibt.
umstellt von Männern,
die Waffe in der Hand
eine kleine feine Frau einzufangen,
zu erschießen, tödlich, im Rücken,
und nicht einmal auf der Flucht,
führte die letzte Tür ins Nichts.
Wanderer,
der Du an diesem Orte vorbeitrittst,
gedenke der tapferen Frau
die für Gerechtigkeit kämpfte
und deshalb hier sterben musste.
48
Juliane Plambeck
Wolfgang Beer
wie Gott
ist er immer- und allgegenwärtig.
unbemerkt
schleicht er auf eine(n) zu
wie der brutalste der Bullen.
letzte Auswege gibt es da nicht.
seit langem nicht mehr auf der Walz
wandert man doch noch immer
wie richtige umsichtige Burschen
entlang Städten und Straßen
bis er das Auto stoppt
und zu einem ehernen Harnisch macht.
total verplamt ineinander fortan,
nicht so sehr wie der Bär in Honig,
49
eher wie zwei Spiegel
die sich ewig gegenüberstehen.
50
Sigurd Debus
ein langer Mensch
kriegt man schwierig auf die Liege
gefesselt und geschnürt.
mit Gänsen geht man wie mit Menschen vor:
ein schmaler Schlauch
durch die Speiseröhre in den Magen,
und dann die Brühe drein.
das leichte Lächeln
auf dem freundlichen Antlitz
verschwindet langsam
vor den ausgepichten Absichten
der behördlichen Blut- und Standgerichte.
Verwundungen, Blutungen,
Durchlöcherung der Speiseröhren der Gänse
müssen in Kauf genommen werden.
51
auch bei Infusionszwangsernährung
treten Krämpfe auf
erbrechen würgen
Schwindelanfälle
Schweiß- und Kälteausbrüche
Urin- und Blutverlust
Sickerungen:
schon tobt der Tod im Körper herum.
und endlich ein Celler Loch im Gehirn:
das zerblutet
zerblutet
so macht ein Staat
einem Menschen
den garstigsten Garaus.
52
Pressefreiheit
zu Hoelzens Zeiten schon
hieß es: Mörder, Bandenführer,
Dieb und Leichenschänder,
allen voran im ewig gestrigen
und ewig rückwärts gewandten
Vorwärts.
inzwischen und von jeher
pisst die Presse noch immer
ihr Lynchpulver
mit grotesk verzerrter
mit eigentümlich verzogener frecher Fresse
und nicht nur die Springerpresse
grinst uns so an:
der ewige Dünkel der Dunkelmänner
und ihrer gesamten Medienbullen
die uns langsam einzulullen versuchen.
53
noch
ruhet und rostet sogar
die Rasierklinge der Revolution.
54
Johannes Thimme
der Du im Herzen der Bestie gewohnt
wie ein Licht in der Finsternis,
noch war Deine Empörung nicht groß genug
als Du zurückkamst.
was hat den Schicksalsweg letztendlich ausgelöst?
der tägliche Frevel am Menschen?
die täglich sich steigernde Unmut?
die Wut die keine Schranken mehr kannte?
und hast Du Ulrike am Herzen getragen wie ich?
und sind sie allmählich ineinandergeschoben?
unbemerkt?
Selbstentzündung
war noch ein tödlicher Fehler
(aber wer hat Dir das Bombenbasteln beigebracht?)
man nennt die Gerechten düster
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und erkennt sie nicht,
weil sie oftmals im Dunkel nur wirken
und das Licht verbreiten können.
suche Deinen Sohn nicht mehr, Frau,
denn Du weißt weshalb er gestorben ist,
was hast Du denn gemeint!?
dass nie eine Mutter mehr
ihren Sohn beweint.
56
Jürgen Peemöller
aufgelistet zwischen den Übrigen.
kann man sterben
ohne existiert zu haben?
woher bist Du gekommen?
wer bist Du gewesen, Jürgen?
wie bist Du gestorben?
aufgelistet
gleich den anderen Toten,
ein namentlich bekannter Unbekannter.
unberechenbar
ist die Mathematik des Todes.
57
Ina Siepmann
and the wind whispers Ina
mir bangt
Dich Schwesterseele zu nennen,
denn Deine Stärke Deine Weisheit
und der Glanz Deiner inneren Schönheit
sind nie die meinigen gewesen.
zwischen Kunz und Hinz
gibt’s keine Sicherheit,
aber von Kunz sich zu trennen
wegen einer höheren Liebe
zeigt Zugkraft und Zügigkeit.
and the wind screams Ina
zersprengt, verstümmelt,
auseinandergerissen und verstreut
von Männern die das Zeichen
58
des Siegers über den Riesen
umwandelten
in ein neues blutrünstiges
eckiges Leben zerfressendes
Sonnenrad,
und die einst selber schwerste Opfer
oder Opferkinder waren.
seitdem
kann ich nur noch mit knirschenden Zähnen
Deinen Namen nennen,
ein Richtschnur ein Vorbild ein Wegweiser
ein Stern der Geborenen der uns vorleuchtet,
dort, hoch am Himmel dieses gefügigen Gedichts
im ewig nahen
im ewig fernen Osten.
and the wind cries Ina
59
Invokation
komm und besänftige mir, o Göttin,
Muse und Erzeugerin, Du,
erweise mir die Gunst,
dass dieses mein Gedicht,
das seinem Ende jetzt zugeht,
doch ein wenig gelungen sei.
weder Anmut noch Mühe wurden gespart,
auch Dissonanzen wurden aufbewahrt.
Verteidiger,
höhere Richter
oder einfache Gerichtsbeamten
können ihr Urteil darüber
ruhig oder rüstig herumrufen:
letzter Maßstab für alle
bleibt die unsichtbare Sonne in uns,
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die Göttin die uns innewohnt,
derzufolge wir handeln und leben,
die uns wärmt mit ihrem Wirken.
61
Gerd Albartus
nur ein Steinmetz der Ruinen baut,
Wohnungen zerbricht,
von vornherein vernichtet und kaputtmacht,
kann kaltgestellt werden.
wer lieferte die (Des)informationen?
wer hat gerichtet?
wer hat hingerichtet?
hat es wenigstens eine Verteidigung gegeben?
wer hat wie viel Silberlinge kassiert?
überall und immer
wo gekämpft wird
gibt es den Urbach
darin Kain schon gebadet.
62
Wolfgang Grams
als die Wut zu Weißglut wird
und brennen bleibt
als man innerlich verblutet
an der Welt
gibt’s manchmal keine anderen Wege mehr.
auch später,
wenn man am Ende des Weges umkesselt
und müde ist,
hilft fliehen nicht mehr:
die die Grenzen des Unrechts
zu schützen haben
kennen kein Mitleid.
bis zum kohlenschwarzen ganz oben
haben sie geheimnisumwoben
den dreckigen Mord
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sofort am Tatort zuzudecken
begonnen.
denn Deine, Wolfgang, war nicht
die letzte staatstragende Kugel
in einen unschuldigen kessen Kopf.
64
Horst Ludwig Meyer
weil wir weder Oberbefehlshaber
noch kleinere Befehlshaber kennen
nenne ich Dich bei deinem
zweiten Namen: Erleuchteter.
wobei wir wissen:
auch das Licht
kann mal schwacher werden
mal stärker,
oder ganz verschwinden
für eine Weile
wie Du.
sieben Jahre später zurückgekehrt
in was kaum eine Heimat sein kann,
nur um zu sterben,
hingerichtet zu werden als letzter -
vorläufig.
65
Koda
es lebt noch, Fritz,
nur: es wurde schwer verletzt
als die versuchten
es wegzuglätten wegzuwetzen
aus dem Weg zu räumen.
es hat sich verkriechen müssen
in die letzten Ecken seltenster menschlichen Herzen.
es ruht und wartet dort
es erholt sich
es erneuert sich
es verbessert sich
es breitet sich aus
wird kräftiger, grösser, schöner
indem es lernt
aus allen Wegen seiner Vergangenheit.
Jahrzehnte kann es noch dauern
66
bevor es zurück ans Tagelicht kommt,
glänzender und funkelnder und strahlender
als je.
wir alle sind es, Fritz,
wir sind das Gespenst, und erkennen schier:
die letzte Schlacht gewinnen wir.
67
jedoch:
noch werden die Signale nicht gehört,
und die Tempeltür
wird lange noch offen bleiben.
weil der schauderhafte Schatten
des Verdrängens so schwer wog
und man sich hoch auf die Wogen
der Geschichte wähnte
verließ man die ausgetretenen Pfade.
aber weiter
wirklich weiter
geht es auch für uns
nur auf dem Schneckenweg.
vorerst jedoch schauen wir
grau vor Vergangenheit
und blau vor Kälte
der kommenden Apokalypse zu,
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ein Aufleuchten, ein letztes,
im erlöschenden Auge,
bevor der Schrei
der seit Jahrhunderten
gen Himmel fährt
endlich zurückkehrt gegen die
die sich schon ewig Meister dachten.
so gibt es ein Licht
in absehbarer/unabsehbarer Ferne
und immer noch kaum erreichbar.
so wie es Irrwege gibt
die keine Holzwege sind,
so wie es ein Omega gibt
aber kein Ende
KOLOPHON
Im Frühling 2006 wurden von diesem Gedicht 30
nummerierte Exemplare gedruckt, die im Handel
mitnichten verkauft werden dürfen.
Zwei Rechtschreibungsfehler sind beabsichtigt; mögliche
andere sind eben Fehler.
Kursiv gedruckt sind: buchstäbliche Zitate, und Titel von
Filmen, Schlagern usw.
Dieses Exemplar trägt die Nummer: