das dialogische prinzip p kuenkel

Upload: vaniala

Post on 13-Oct-2015

12 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

  • 64 OrganisationsEntwicklung 1_04

    ie wichtigste Aufgabe vonFhrungskrften heutescheint es zu sein, im po-sitiven Sinne Vernderungzu bewirken, kontinuierli-

    ches organisationales Lernen zu sichernund Kommunikation so zu ermglichen,dass eine Organisation als Ganzes erfolg-reich agiert. Die Anzahl der Bcher, Vor-schlge, Tips und Modelle, wie das ambesten bewerkstelligt werden kann, nimmtstndig zu. Die eigene Weiterentwicklungder Fhrungskraft rckt dabei mehr undmehr in den Vordergrund und vor allem,ihre Fhigkeit, in Beziehung zu sein undBeziehung zu gestalten. Dies ist auf demHintergrund der neuen Wissenschaften,

    die zunehmend unser Weltbild und da-mit auch unsere Managementkonzeptebeeinflussen, verstndlich. Es rcken Fh-rungskonzepte ins Licht, die Selbstwahr-nehmung, Aufmerksamkeit in Beziehung,die Wahrnehmung von Interdependen-zen und Verbundenheit von scheinbar Un-verbundenem betonen und damit von ei-ner Fhrungskraft nicht nur die Anwen-dung von Managementinstrumenten er-warten, sondern auch eine innere Lernf-higkeit voraussetzen, um erfolgreich fh-ren zu knnen( Coleman, 2002).

    Ein interessantes Beispiel fr denEinfluss neuerer Wissenschaften auf Ma-nagementtheorien ist die Quantenphysik.Eine ihrer zentralen Aussagen (wenngleich

    Petra KnkelDas dialogische Prinzip als Fhrungsmodell in der Praxis

    D

    Fhrung in komplexen und dynamischen Unternehmen heisst,Beziehung zu gestalten, nicht nur formell, sondern ganz persnlich.Martin Buber nennt dies die Kultivierung des Zwischenmenschlichenals dem Ort, an dem Vernderung in Organisationen stattfindet. Der vorliegende Artikel greift die Rolle des echten Gesprches imSinne von Martin Buber als wichtiges Element im Fhrungsprozess aufund erlutert in kurzen Vignetten aus Fallbeispielen, was geschieht,wenn ber das wirklich Wichtige gesprochen wird und aus dialogischerHaltung heraus ein gemeinsames Denken entsteht. Aus Respekt und Akzeptanz von Vielfalt in Meinungen und Seinsweisen entstehtEffizienz. Mit dialogischer Kommunikation knnen Fhrungskrftenicht nur zu einer dynamischen Stabilitt im Unternehmen beitragen,sondern auch Potentiale freisetzen, die sonst ungenutzt bleiben.

  • etwas banal gefasst hier), ist ja, dass allesmit allem zusammenhngt, selbst wennwir, Opfer unserer Wahrnehmungsweise,es nicht wirklich erleben knnen (Zohar,1994) Aber es sagt uns, dass Beziehungenmglicherweise alles sind, was Wirklich-keit ausmacht (Wheatley, 1999) auch odergerade ber die Differenz von Ansichten,Meinungen, Positionen und Weltbildernhinweg. In einer Quantenwelt existierenWellen oder subatomare Teilchen nichtals unabhngige Einheiten. Aus einer sol-chen Sicht wre die Welt ein komplizier-tes Netz von ineinanderverwobenen undzu einander in Beziehung stehenden dy-namischen Ereignissen, wo alles immerin Bewegung ist, in der jeder Moment undjede Aktion, egal wo sie stattfindet, allesandere auch mitbestimmt und es nichtsgibt, das nicht eine Auswirkung hat, die,sprbar oder nicht, einen ganz anderenTeil dieses Netzes sichtbar oder unsicht-bar beeinflusst. Die Art und Weise desIn-Beziehung-Seins im Netz ergbe ei-ne Struktur, die sich kontinuierlich vern-dert. Wenn es etwas gbe, das den Verlaufoder die Richtung von Vernderung be-einflussen kann, dann wre es der Einflussauf die Struktur der Beziehungen, auf dieArt des in-Beziehung-seins. Menschenin Organisationen stnden also, wie allesandere in der Welt, auf eine Weise in einerinneren Verbundenheit, die uns im erstenund gewohnten Hinsehen, verborgenbleibt. Folgt man dieser eher radikalenAnnahme, dann ist das besondere anFhrungskrften, dass sie aus privilegier-ter Position, mit mehr Intensitt oder mitgrsserer Verantwortung in diesem Netzagieren, bewirken und verndern. Bewusstoder unbewusst sind sie Teil einer Be-ziehungsstruktur, die sie immer wiederherstellen.

    Auch die Weltsicht der neuen Kogni-tionstheorie (Varela, 1999) gibt interessan-te Hinweise fr das Management von Or-ganisationen. Hier rckt der Prozess desDenkens, allein und mit anderen, in denVordergrund. In dieser Theorie wird vor-geschlagen (auch dies etwas simplifiziert),das, was wir sehen, nicht etwa eine inne-rer Reprsentation der Welt draussen ist

    (Bateson, 1972) sondern eigentlich einProdukt unseres Denkens, des kollektivenDenkens. Daraus ergbe sich hnlich wieaus dem Beispiel der Quantenphysik eineviel grssere Verantwortung fr unsererHandlungen und unser Denken. Denndurch beides bringen wir die Welt her-vor, wie sie ist. Es mag also sein, dass(wir alle, aber aufgrund ihrer besonderenFunktion) Fhrungskrfte mehr Einflusshaben, als sie in der Lage sind, sich zu ver-gegenwrtigen. Ihr Denken und ihre demDenken zugrundeliegende Haltung beein-flusst mglicherweise die Organisation,in der sie fhren, ebenso wie das, was sietun. Vielleicht knnten sie viel mehr be-wusst verndern, als sie zu glauben wagen.

    Fr Margaret Wheatley sind dieseErkenntnisse aus den neuen Wissenschaf-ten von einschneidender Bedeutung frdas Fhren in Organisationen: wenn Den-ken, Struktur und Beziehung ber das indie Welt kommen entscheiden, dann er-geben sich neue Fragen:

    Warum wrden wir uns festfahrenin dem Glauben, dass es nur eine richtigeArt und Weise gibt, etwas zu tun oder einekorrekte Interpretation einer Situation,wenn das Universum doch Vielfltigkeitverlangt und am besten in der Vielfalt vonSinn (meaning) gedeiht? Warum wrdenwir Beteiligung vermeiden und uns nurSorgen um das Risiko machen, wenn wirdoch zunehmend mehr Augen, die sehen,brauchen, um weise Entscheidungen zutreffen? Warum wrden wir die kraftvol-len Zukunftsideen zurckweisen, die ent-stehen, wenn wir zusammenkommenund die Welt gemeinsam erschaffen? Wa-rum wrden wir Rigiditt und Vorherseh-barkeit whlen, wenn wir doch eingela-den sind an einem kreativen und kreie-renden Tanz des Lebens teilzunehmen ?(Wheatley, S 73).

    Dieser kreative Tanz, das ist sicher,ist immer ein kollektiver: nichts in derWelt wird wirklich alleine erschaffen we-der Ideen, noch Lsungen, noch Substan-tielles. Und genau in dieser Einsicht war-tet eine Vermutung: dass es fr eine Fh-rungskraft hilfreich wre, sich intensiv mitdem zu beschftigen, was zwischen Men-

    OrganisationsEntwicklung 1_04 65

    PETRA KNKEL ist freiberuflicheUnternehmensberaterin im Bereichinternationaler Fhrungskrfte-entwicklung und der Beratung vondialogischenVernderungsprozessen.Ihr besonderer Fokus sind interkul-turelle Settings, in denen Kontakt und Begegnung den Durchbruch frgegenseitiges Verstndnis undgemeinsames Denken und Arbeitenermglichen.

    Dialogic Change AssociatesMehlbekweg 8D-23560 LbeckFon +49-451 7063497E-Mail: [email protected]

  • schen liegt, mit dem, was Martin Buber inseinem dialogischen Prinzip das Zwi-schenmenschliche nennt.

    Fallbeispiel 1 , erster Akt: In einemProvinzministerium in Sdafrika gibt esmassiven Mittelabflussdruck. Trotz klarerVorgaben, wie die Verfahren zur Unterstt-zung der lokalen Verwaltungen und derHausbauprojekte in den Town-ships ab-laufen sollen, funktioniert es nicht so wiees soll. Trotz vergleichsweise guter Gehl-ter im Staatsdienst ist die Fluktuation desPersonals enorm, die Motivation der Mit-arbeiter gering, obwohl viele von ihnen erstvor wenigen Jahren und nach den Wahlenin Sdafrika mit grosser Hoffnung im f-fentlichen Dienst angefangen haben, ihrepolitischen Ideen in die Tat umzusetzen.Das Fhrungsteam (als obere zwei Manage-mentebenen) des Ministeriums ist zer-splittert, Kommunikation folgt im Prinzipden vereinbarten Regeln, aber ist ineffizi-ent, Besprechungstermine werden nichtimmer eingehalten und jeder kmpft inseiner Einheit separat darum, den einmalmit grossem partizipativen Aufwand erar-beiteten strategischen Plan zu erfllen. Aberdas tgliche Management ist vom stndi-gen Wechsel der Prioritten gekennzeich-net und hufig mit Aufgaben beschftigt,die eigentlich darunterliegende Manage-mentebenen erledigen sollten. Das mittle-

    re Management fhlt sich frustriert, unge-hrt und klagt nicht nur ber die da oben,sondern auch ber einen Mangel an ber-tragenen Verantwortung. Das obere Ma-nagement ist inzwischen fast ausschliess-lich mit Schwarzafrikanern besetzt, wh-rend im mittleren und unteren Manage-ment fast die Hlfte der MitarbeiterInnenzum weissen Anteil der Bevlkerung ge-hren.

    Fallbeispiel 2, erster Akt: Ein inter-nationaler (britischer) Konzern hat einegrssere deutsche Firma gekauft und da-mit seinen Marktanteil in einem Produktin Europa massiv erhht. Die Integrationverluft nach Plan, dennoch hakt es hierund da. Die Kollegen der internationalenFirma, viele von Ihnen jetzt in Schlssel-positionen Fhrungskrfte von Mitarbei-tern der ehemals rein deutschen Firma ha-ben Schwierigkeiten mit der deutschenSicherheitsmentalitt, sie knnen nichtverstehen, dass deutsche Mitarbeiter im-mer erst Erlaubnis einholen und sich um-stndlich der Untersttzung versichern,bevor sie etwas unternehmen. Fhrungs-krfte der ehemals deutschen Firma fhlensich oft bergangen und haben das Gefhl,dass ihre Erfahrung im Geschft nicht ge-nutzt wird. Sie halten sich mit Kritik zu-rck, weil sie die Erfahrung gemacht haben,dass dies von der bernehmenden Firmaoft als destruktiv angesehen wird. Sie bekla-gen sich ber eine gewisse Orientierungs-losigkeit, da aus ihrer Sicht strategische Zie-le oft unklar bleiben oder stndig wechseln.

    Fallbeispiel 3, erster Akt: Internatio-naler Multi-Stakeholder-Prozess: Nacheinem langen Prozess der Vorbereitung tref-fen sich zum ersten Mal Vertreter der In-dustrie (aus Industrielndern), der Produ-zenten (zumeist aus Entwicklungslndern)und der Zivilgesellschaft zu einer gemein-samen Anstossveranstaltung. Es geht da-rum, gemeinsam Standards fr eine Pro-duktionslinie mit Rohstoffen aus der Drit-ten Welt zu erarbeiten, die umweltscho-nend, sozial gerecht und zugleich kono-misch sinnvoll sind. Innerhalb der Vertre-tergruppen gibt es nicht nur massive Markt-

    konkurrenz, sondern auch sehr unter-schiedliche Positionen zum Thema, selbstdie Vertreter der Zivilgesellschaft haben sehrdifferente Ansichten darber, was zum The-ma relevant ist. Zwischen den Vertreter-gruppen gibt es, wenn nicht offene Feind-seligkeiten, so doch zumindest ein grossesMisstrauen. Man hat nicht nur gute Erfah-rungen miteinander gemacht, was vor al-lem fr die Vertreter der Industrie und derZivilgesellschaft gilt. Letztere haben wenigVertrauen in der Ernsthaftigkeit der Indus-trie an dem Vorhaben.

    Das Zwischenmenschliche als der Raum, in demVernderung geschieht

    Menschen kommen in Organisatio-nen und Netzwerken zusammen, um et-was gemeinsam zu vollbringen, was alleinenur schlecht bewerkstelligt werden kann.Dieser kollektive Zusammenhalt erzeugtzwar einen gewissen Grad von Zusam-mengehrigkeit und manchmal Identitt,aber nicht unbedingt ein bewusstes Mit-einander-in-Beziehung-treten. Menschenbefinden sich in Organisationen nicht inerster Linie wegen anderer Menschen, son-dern weil sie entweder ein gemeinsamesZiel verfolgen, an einer Sache interessiertsind, sich selbst weiterentwickeln wollen,oder Geld verdienen mssen. Ihre ersteBeziehung ist oft nicht zueinander, son-dern zu der Sache;

    Martin Buber hat dies vor langer Zeitso ausgedrckt: der Mensch ... fhlt sich.....von der Kollektivitt getragen, die ihnder Einsamkeit, der Weltangst, der Verlo-renheit enthebt, und in dieser fr den mo-dernen Menschen wesentlichen Funk-tion scheint das Zwischenmenschliche,das Leben zwischen Person und Person,mehr und mehr gegen das Kollektive zu-rckzutreten. (Buber, 962, S. 272). Bubervermutet, dass Menschen in Organisatio-nen die Tendenz haben, die persnlicheBegegnung zugunsten des rein kollekti-ven Elements zu verdrngen. Da liegt frihn aber auch die Schwche der Organi-sation (und der Fhrungskraft), wo sieMenschen auf ein Ziel ausrichtet ohne

    Petra Knkel

    66 OrganisationsEntwicklung 1_04

    Erst durch Annehmendes Anderen entstehtwirklich verndernd wir-kende Kommunikation.

  • wirkliche Begegnung untereinander zuermglichen. Er sieht das grsste Poten-tial des Zwischenmenschlichem in der un-mittelbaren Begegnung. Erst dann nimmtder zwischenmenschliche Raum Gestaltan und dies wirkt nachhaltig verndernd.Begegnung verndert Beziehungsstruk-tur, nicht unbedingt die formale, aber die,die Grundlage fr das ist, was geschieht.Es gibt Menschen in Organisationen, diebehaupten, dass nur da, wo Begegnungstattfindet und Beziehung entsteht, Inno-vationen geschehen, Vernderungspro-zesse erfolgreich verlaufen und Menschenmit Begeisterung Zukunft gestalten. Inte-ressante praktische Beispiele gibt es hier-zu aus dem Feld der Zukunftskonferen-zen, des Open Space, und der Whole ScaleChange Prozesse. Durch ihre Prozessstruk-tur frdern sie Begegnungen zwischenMenschen, die im normalen Alltag nichtmglich zu sein scheinen. Aber wirklicheBegegnung ist fr Martin Buber erst damglich, wo die andere Person als Part-ner in einem Lebensvorgang (s 274), alsdie/der Andere, in seiner Ganzheit undmit Respekt Wahrgenommene gesehenwird, als eine Person gegenber, an der ichteilnehme. Dort und nur dort entfaltetsich fr ihn das Dialogische. Dabei gehtes ganz und gar nicht darum, mit der an-deren Person bereinzustimmen oder einerMeinung zu sein: es geht um eine innereHaltung, die auch einen Andersdenken-den als mein Gegenber in einem grsse-ren Ganzen erfhrt, es geht um die Best-tigung der Person als Person, unabhngigvon dem Unterschied, der sich in Ansich-ten ussern wrde. Erst durch dieses An-nehmen des Anderen entsteht wirklichverndernd wirkende Kommunikation.

    Wo aber das Gesprch sich in sei-nem Wesen erfllt zwischen Partnern, diesich in Wahrheit zugewandt haben, ...voll-zieht sich eine denkwrdige, nirgendwosonst sich einstellende Fruchtbarkeit... DasZwischenmenschliche erschliesst das sonstUnerschlossene. (Buber, 1962, S. 295)

    Fallbeispiel 1, zweiter Akt: Im TopManagement des Provinzministeriums inSdafrika setzt sich die Erkenntnis durch,

    dass etwas Entscheidendes geschehenmuss, um die Moral in der Institution wie-der herzustellen. Bisherige Versuche, durchTeambuilding im Management etwas zuverndern, waren nicht erfolgreich. Die Fh-rung beschliesst ein umfassendes Pro-gramm fr die ersten 3 Managementebe-nen. Die Ntzlichkeit wird von den meis-ten bezweifelt, sie nehmen nur widerwilligteil. Am zweiten Abend des ersten Modulswird deutlich wie sehr die Situation imTop Management die Situation des gesam-ten Ministeriums widerspiegelt. In einemsehr offenen Gesprch wird den Beteilig-ten klar, wie wenig das obere Fhrungs-team Beziehung gestaltet und wie starkdas Ministerium im Denken und Handelnfragmentiert ist. Zum ersten Mal wird indiesem Kreis das heisseste Eisen ange-packt: dass der Minister und der Leiter derVerwaltung so gut wie nicht miteinanderkommunizieren, sich ernsthaft misstrauenund nach und nach eine interne Strukturder Gefolgschaft aufgebaut haben, der sichkaum ein Mitarbeiter entziehen konnte.Die Folgen davon werden offen besprochen(in Anwesenheit und mit beiden Personen).Die Atmosphre ist gespannt und betrof-fen, aber voller Respekt. Es wird klar, ohnedass es jemand direkt sagt, dass als ein An-satz der Vernderung sich die Beziehungzwischen den beiden Leitungspersonenndern muss. Zwei Wochen spter sindvernachlssigte bilaterale Besprechungenwieder eingerichtet, die Kalender von Ver-waltungsleiter und Minister transparentfr alle im Management abgestimmt undeine Kommunikation zwischen den bei-den Bros verbindlich vereinbart.

    Das Gesprch als Ort, an demgemeinsames Denken stattfindet

    Das echte Gesprch, wie Martin Bu-ber es kennt, und die Entstehung des Dia-logischen als Aufmerksamkeit fr dasZwischenmenschliche hat die Mensch-heit immer als handlungsleitendes Ereig-nis begleitet. In einem echten Dialog, ver-ndert sich das Denken und es findet et-was statt im Zwischenmenschlichen, esentsteht ein Gesprch mit einem Zen-

    trum, nicht eines mit Seiten wie es BillIsaacs ausdrckt (Isaacs, 1999). Es gehtnicht mehr darum, die andere Person zuberzeugen oder zum Schweigen zu brin-gen, sondern teilzunehmen an einem Flussder Gedanken. Eine Idee formt sich zuranderen oder eine Meinung ordnet sich zueiner anderen, in Akzeptanz und oft ohnebereinstimmung. Da, wo das Gesprchbegleitet ist von einer dialogischen Hal-tung (den Anderen meinen, auch wenn er/sie anderer Meinung ist) ergibt sich fastimmer etwas zuvor nicht Gedachtes, et-was Kreatives, eine neue Richtung, einenoch unerschlossene Idee, eine pltzlicheLsung, auf die vorher niemand kam. Ei-ne schwedische Fhrungskraft aus einerGewerkschaft drckte dies so aus: Wennwir nur wssten, wieviel Zeit wir sparenwrden, wie schnell wir zum Sinnvollenvordringen wrden, wenn wir immer ineiner dialogischen Haltung miteinandersprechen wrden.

    Genau hier wird ein entscheiden-der Aspekt ausgedrckt, den Martin Bu-ber immer wieder betont: Der Dialog istkeine neue Form der Kommunikation,er ist keine Methode der Gesprchsfh-rung, es gibt keine Regeln des Dialogs,auch wenn es hilfreiche Herangehenswei-sen gibt. Die entscheidende Vernderungder Beziehung ergibt sich aus einer ande-ren inneren Haltung, die das Gegenber

    Das dialogische Prinzip als Fhrungsmodell in der Praxis

    OrganisationsEntwicklung 1_04 67

    Es geht nicht darum,andere zu berzeugen,sondern teilzunehmenan einem Fluss derGedanken.

  • in seiner Ganzheit und Besonderheit an-erkennt, die von einem Raum aus zuhrt,der die eigenen Meinungen in der Schwe-be halten kann. Es ist eine Haltung ausdem Herzen heraus, bei der man von ei-nem tieferen Ort aus spricht, und nichtweil man beeindrucken oder Recht behal-ten will. Wir alle kennen den Unterschied.Damit ist eine dialogische Haltung eineKunst, in Beziehung zu sein; zu sichselbst, zu der anderen Person, den ande-ren Personen, zur Welt, und zur Sache.Zugleich ist es eine dynamische Haltung,die eine Festlegung auf Wahrheit, (im Sin-ne von Bestehen auf dem das Richtigen)verunmglicht. Gerade damit wird erleich-tert, dass Wahrheit im Sinne von Sinnoder dem Sinnvollen sich durchsetzt.Dialog liebt Unterschiedlichkeit, er lebtvon der Vielfalt (genau wie das Leben).

    Wenn man es einmal selbst erfah-ren hat, was es in einem bewirkt, wenneine andere Person einen selbst in dieserGanzheit wahrnimmt und besttigt (ohnegleicher Ansicht zu sein), wenn man dasPotential der Begegnung darin gesprt hat,dann hat das verndernd gewirkt, etwas istlebendiger geworden. Und hier liegt diebesondere Relevanz fr Fhrung: ob mandiese Haltung entwickelt oder nicht, hatWirkung und oft ganz pragmatische Re-sultate. Eine Managerin, verantwortlichfr Cultural Change in einem multina-

    tionalen Unternehmen der lindustriedrckte dies so aus: Wir haben festge-stellt, dass Fhrungskrfte, die eben nichtdenken, dass es vor allem auf sie selbst an-kommt, sondern die Fragen stellen kn-nen und einen Raum schaffen, in der je-der das Gefhl hat, besonders und wich-tig zu sein, viel erfolgreicher sind.

    Fallbeispiel 2, zweiter Akt: In einerDialogveranstaltung, an der Fhrungskrf-te aus unterschiedlichen Bereichen derehemals deutschen und der britischen Fir-ma teilnehmen, sitzen an einem Abend al-le Fhrungskrfte der britischen Firma ineinem inneren Kreis, um sie herum die Fh-rungskrfte der ehemals deutschen Firma.Der ussere Kreis wird gebeten, wirklichnur zuzuhren, nicht einzugreifen, nichtszu sagen, aber sich um eine Haltung derinteressierten Neugier zu bemhen. Im In-nenkreis beginnen die Manager sich berdie Rckmeldung zu unterhalten, die sieam Tag zuvor von den deutschen Fhrungs-krften erhalten haben. Ihnen war nichtbewusst gewesen, dass sie so gesehen wer-den: dynamisch, aber anscheinend vor al-lem an der eigenen Karriere interessiert, einUnternehmen widerspiegelnd, das kauftund verkauft, wie es der Markt es verlangt,kaum an Nachhaltigkeit interessiert undnicht an langfristiger Qualitt. Sie selbsthtten von sich gesagt, dass in ihrem Unter-nehmen Human Resource Developmentganz oben steht. Die Fhrungskrfte im Aus-senkreis hren gebannt zu: einige von ihnensind betroffen und bewegt von dem Massan offener Selbstreflexion, das sie unter deut-schen Kollegen so persnlich bisher nichterlebt hatten. In der zweiten Runde sitzendie deutschen Fhrungskrfte in der Mitte,ihr Gesprchsthema ist entscheidend durchdas Zuhren und Nichteingreifen der ers-ten Runde verndert worden, die Atmo-sphre ist sehr persnlich und von Respektgeprgt, die Frage taucht auf: was knnenwir eigentlich dafr tun, diese Atmosphreder reflektiven und offenen Wahrneh-mung voneinander zu frdern? Wie kn-nen wir unsere Unterschiede begrssenund genau daraus das Potential unseresgemeinsamen Geschfts entwickeln?

    Die innere dialogische Haltung istmehr als eine Einstellung, sie ist, im Deut-schen ist das naheliegend, auch ein Hal-ten der anderen Person. Das Zwischen-menschliche und das, was daraus erwach-sen kann, ergibt sich nicht etwa durcheine ethische oder politische Einstellung,es wirkt nur da, wo es praktisch, in der Be-ziehung zu der Person, der ich begegne,gelebt und erlebt wird.

    Der Container alsZusammenhalt, der das echteGesprch ermglicht

    Wenn Leben entstehen soll, brauchtes ein Gefss (Container), um zu gedeihen;Evolution geschieht nur in Beziehung,Begegnung und Dialog.

    Dialogische Vernderung ergibt sichnur im Konkreten, nicht in der Theorie.

    Peter Garrett und Bill Isaacs, die inden USA und Europa mit dem dialogi-schen Ansatz arbeiten, haben hierfr denBegriff des Containers geschaffen (ImEnglischen wird hier der Begriff contai-ner verwendet: to contain etwas um-schliessen, etwas aufnehmen, Raum habenfr. Im Deutschen ist der Begriff Contai-ner leider zu einseitig belegt. Aus Mangelan einer besseren Alternative behalte ichden englischen Begriff hier bei), bildlichgesehen ein Gefss, das Beziehung hal-ten kann, und mehr noch, das Beziehungauch aushalten kann: da, wo es konfliktivwird, different ber die Grenzen des Er-tragbaren, schwierig, traurig, bengsti-gend, uneinschtzbar oder voller Stress.Eine dialogische Haltung baut dieses Ge-fss und ermglicht damit das echte Ge-sprch. Jenes wiederum, wenn es einmalstattgefunden hat, baut weiter an demGefss, eine reziproke, sich verstrkendeDynamik. Entwicklung, Weiterentwick-lung, das Schaffen von etwas Neuem, dasFinden von Lsungen, die Gestaltung vonZukunft, braucht immer dieses Gefss, denContainer. Und dieser ist immer nur kol-lektiv, in gemeinsamer Haltung, im Ge-sprch und durch gemeinsames Denkenzu erreichen und zu erhalten. Ohne diesessinnbildliche Gefss kommen die Dinge

    Petra Knkel

    68 OrganisationsEntwicklung 1_04

    Fhrungskrfte dieFragen stellen knnenund einen Raum schaf-fen, in der jeder dasGefhl hat, besondersund wichtig zu sein,sind erfolgreicher.

  • nicht in die Welt oder sie sind nur kurzfris-tig lebensfhig oder nicht lebensfrdernd.

    Fallbeispiel 3, zweiter Akt: In derVorbereitung des internationalen Treffensvon Industrie, Produzenten und Vertreternder Zivilgesellschaft ist langsam und mitviel Geduld an einem Container gearbei-tet worden. Wahrscheinlich kam das Tref-fen nur deswegen so zustand, weil in derVorbereitung Gesprche gefhrt wurden,die nicht alltglich stattfinden. Nicht im-mer sind alle begeistert gewesen von derIdee, Standards zu entwickeln, jede Inte-ressengruppe, auch die Nichtregierungs-organisationen und Gewerkschaften, warentweder skeptisch oder kritisch und sahdie Initiative z.T. auch als Bedrohung dereigenen Interessen an. Ein kleines Team inder Zusammenarbeit zwischen einem In-dustrieverband und einer Organisation ausder Entwicklungszusammenarbeit hattees erreicht, dass mehr und mehr der in dieProduktlinie Involvierten zumindest be-reit waren, sich mit der Idee von Produk-tionsstandards auseinanderzusetzen. DieAuftaktveranstaltung ist so gestaltet, dassdie TeilnehmerInnen am Beginn als Per-son ber ein ihnen gemeinsames Themaund ber ihre ideologischen und geogra-phischen Grenzen hinweg wahrnehmenund kennenlernen knnen. Die Vorstellungdes Prozessplans fr die Entwicklung derStandards erfolgt durch das Koordinations-team so, dass es keine endgltigen Festle-gungen gibt und das klar ist, das jeder imRaum zhlt in der Weiterentwicklung.Nach eineinhalb Tagen ist klar, dass alleAnwesenden bereit sind einzusteigen undmitzuarbeiten. Der Container ist nochfragil, aber immerhin gibt es eine gemein-same Pressekonferenz von Vertretern derunterschiedlichen Interessengruppen.

    Ein guter Container ist schwierigzu beschreiben: auch hier gibt es keine Re-geln, es gibt Strukturen von Zusammen-knften, Grsse der Gruppe, Art der Ge-sprche und Verhalten der Personen, dieden Aufbau und die Soliditt eines Con-tainers beeinflussen, aber nicht einergleicht einem andern. Nicht jede Task Force

    fr einen Vernderungsprozess ist auchein guter Container, und nicht jedesFhrungsteam, auch wenn es Teambuil-ding durchlaufen hat, ist in der Lage, sichgegenseitig zu halten und gemeinsamdie Entwicklung des Unternehmens zuhalten. Aber genau darum geht es: Einguter Container, die Fhigkeit zum ech-ten Gesprch im Fhrungsteam und mitden MitarbeiterInnen ist wie eine kleineVersicherung fr Fhrungskrfte im Ver-nderungsprozess. Da, wo der Containernicht stimmt, kommen die Dinge nichtvoran, oder die Frustration der Mitarbei-terInnen ist hoch; da, wo der Containerstark ist, wird aus Hindernissen gelerntund jeder fhlt sich verantwortlich, weiler sich beteiligt fhlt. Widerstand, in sovielen Organisationsentwicklungspro-zessen etwas-zu-berwindendes, ist inder dialogischen Haltung eine Einladungzum Gesprch, eine Aufforderung zum Zu-hren und im Grundprinzip anerkanntals eine Intention der Korrektur: also Wertzu bedenken, Wert, im gemeinsamenNachdenken, im echten Gesprch weiter-zuentwickeln.

    Vom Denkenalleine zumgemeinsamenDenken

    r den dialogischen Ansatzgibt es kein Rezeptbuch, keinLernkatalog und keine Schritt-folge, die, richtig eingehalten,zum Fhrungserfolg fhrt.

    Aber es gibt Modelle, die eine Hilfestel-lung sein knnen auf dem Weg, eine dia-logische Haltung im Fhrungsprozessweiterzuentwickeln. Sie helfen dabei, dieeigene Haltung und das eigene Verhaltenzu beobachten. Fr Peter Garrett steht imZentrum des Dialogs das, was er dialogi-sche Handlungsweisen nennt. Sie bringeneine innere Haltung hervor und sie erzeu-gen etwas zwischen mir und den anderenPersonen im Raum. Hieraus entsteht einanderes Gesprch und gemeinsames Den-ken, um mit David Bohm zu sprechen,oder die Fruchtbarkeit des echten Ge-sprchs, wenn man auf Martin Buber zu-rckgreift. Ganz im Sinne des dialogischenAnsatz, sind diese vier Handlungsweisenkeine voneinander separaten Elemente,die eine Fhrungskraft entwickeln kann,fr die es eine Skala des Erreichten gbe,sondern ein zweidimensionales Modelleiner inneren und zwischenmenschli-chen Dynamik, mehr eine Erinnerung frdie Reflexion oder ein Wegbegleiter, deran entscheidender Stelle Fragen aufwirft._____Wie wird mir eigentlich zugehrt,

    wenn ich etwas sage ? Oder wie sageich etwas, wenn ich merke, dass mirzugehrt wird? Verleihe ich andereneine Stimme? Wird hier gesagt, waswirklich gesagt werden muss?

    _____Wie hre ich zu? Habe ich die Ant-wort oder das Gegenargument fertig,bevor die andere Person zuende ge-sprochen hat? Regt mich das, was ichhre, zu neuen Ideen an? Nehme ichteil an dem, was ein anderer sagt?

    Das dialogische Prinzip als Fhrungsmodell in der Praxis

    OrganisationsEntwicklung 1_04 69

    F

  • _____Wieviel Legitimitt, von innen her-aus, gebe ich der anderen Personund ihrer Meinung? Verstehe ich, wa-rum sie sagt, was sie sagt ? Wie passtalles, was hier gesagt wird zusam-men? Warum verluft das Gesprchso wie es verluft?

    _____Wie bedrohlich ist Dissenz fr mich?Wie sehr hnge ich an meiner Sichtder Dinge? Wie viele Mglichkeitenkann ich ertragen ?

    Wenn ich einer anderen Person rck-haltlosen Respekt entgegenbringe, wirddiese anders sprechen, aber es wird auchmein Zuhren verndern und die Schnel-ligkeit, mit der ich bewerte und verwerfe.Wenn ich meine Meinung oder mein Vor-haben prgnant zum Ausdruck bringe, aberals Mglichkeit in den Raum stelle undnicht als Gewissheit, werden andere die-se Mglichkeit verfeinern oder eine an-dere dagegen stellen. Wenn ich in etwas,was ich als unsinnig empfinde, die Koh-renz suche und daher meinem Gegen-ber anders zuhre, mgen sich Aspekteauftuen, die ich nicht bedacht hatte. Keineder dialogischen Handlungsweisen lebtohne die andere, wenn ich irgendwo be-ginne, mehr darauf zu achten, verndernsich alle anderen Aspekte auch. Im ech-ten Gesprch geschieht die Hinwendungzum Partner in aller Wahrheit, als Hin-wendung des Wesens also..... Der Spre-cher nimmt den ihm so Gegenwrtigen ...zu seinem Partner an, und das heisst: erbesttigt... dieses andere Sein... Selbstver-stndlich bedeutet so eine Besttigungkeineswegs eine Billigung; aber worin im-mer ich wider den anderen bin, ich habedamit, dass ich ihn als Partner echtenGesprchs annehme, zu ihm als Person Jagesagt (Buber, 1962, S.293).

    Von der Kunst, gemeinsam zu denken

    Wenn ein Team von Fhrungskrf-ten, eine Gruppe von Projektleitern, einProjektteam, eine Anzahl von Menschen,die eine gemeinsame Aufgabe bewltigenwollen, sich diese dialogischen Handlungs-

    weisen als Ausdruck einer dialogischenHaltung zu eigen macht (jede Person aufihre andere und spezifische Weise), vern-dert sich das Gesprch. Mit Martin Bubergesprochen, wird das Zwischenmensch-liche lebendig, fr David Bohm ist es derProzess des gemeinsamen Denkens,der hierdurch entsteht: das, was sich ent-wickelt, gehrt nicht mehr einer Person,es gehrt dem Dazwischen, etwas ent-steht, was als das kollektiv Sinnvolle be-zeichnet werden kann.

    Oft glauben Fhrungskrfte, die dia-logische Haltung und der Dialog gehrenda hin, wo Zeit ist und wo es nicht daraufankommt. Im kritischen Falle kann dasGegenteil der Fall sein: je weniger die ein-zelne Person ihre Interessen und je mehrsie die gemeinsamen Interessen in den

    Vordergrund stellt, desto schneller kannein Gesprch zu einer Lsung fhren. Man-che Unternehmensberater versuchendeutlich zu machen, dass ein Dialog be-stimmte Anwendungsgebiete hat undnicht immer sinnvoll ist: ein Instrument,sozusagen unter anderen, oder sie unter-scheiden zwischen strategischem und re-flektiven Dialog. Damit wird die dialogi-sche Haltung zu einem Instrument, dasman in bestimmten Situationen verwen-den kann und in anderen nicht. Das aberwidersprche dem Ansatz: man kannzwar aus der dialogischen Haltung ausstei-gen, bewusst oder unbewusst Begegnungverhindern und gemeinsames Denkenverunmglichen, aber wenn man einmalFuss gefasst hat im Dialogischen, wennman erfahren hat, wieviel Kreativitt im

    Petra Knkel

    70 OrganisationsEntwicklung 1_04

    ABBILDUNG 1

    Entstehung des kollektiv Sinnvollen

    Der eigenen Stimme Ausdruck verleihenRckhaltlos, von Herzen sprechen, fhlen, was gesagtwerden muss/will, mich fretwas ernsthaft einsetzen

    Gelassen meine Ansichtin der Schwebe haltenDas, was ich als richtig ansehevertreten, aber nicht verteidi-gen; was ich hre, hren, abernicht verurteilen, wissen, dassmeine Identitt nicht an meinerMeinung hngt.

    Zuhrenvon innen heraus zuhren, als ob ich selbst beteiligt wre,an dem, was ich hre, eineranderen Person inne werden.

    Respekt zeugenAufmerksamkeit fr dieGanzheit und Integritt deranderen Person, auch wenn sieein Gegner ist, versuchen zuverstehen, was fr die anderePerson Sinn macht, verstehen,wie alles zusammenhngt.

    Entstehung des kollektiv Sinnvollen

  • gemeinsamen Denken liegt, dann beginntman, alle Gesprche anders zu sehen undviel genauer zu beobachten, wo das Den-ken gemeinsam stattfindet, oder wo diebeteiligten Personen eigentlich alleine den-ken. Eine Fhrungskraft aus einem mul-tinationalen Unternehmen drckte dasso aus: Mit dem Hintergrund der.....auf-gezeigten Gesprchsstrukturen, den Mo-dellen der Kommunikation und den da-mit verbundenen Einflssen des Denkens,die den Verlauf und das Ergebnis einerKommunikation wesentlich beeinflus-sen, verfolge ich den Ablauf von Bespre-chungen viel intensiver als frher. Auf-grund der neuen Erkenntnisse stelle ichimmer wieder fest, das gemeinsames Den-ken nur teilweise oder gar nicht stattfin-det, weil die Besprechungsteilnehmer ge-wohnt sind, alleine zu denken. Sie hrenden anderen Teilnehmern nicht wirklichzu, sondern warten vielmehr auf denMoment, ihre eigene Position zu vertre-ten und mit ihrer Meinung auf die ande-ren einzuwirken. Was folgt ist eine Anein-anderreihung von Aussagen, wobei jederden Anderen berzeugen will. Ein Kon-flikt ist fast immer programmiert, da keinBezug aufeinander stattfindet. Aussa-gen/Standpunkte werden wiederholt undzum Schluss bleibt als wirksamer Schrittnur ein Abbruch, ein Themenwechseloder eine Entscheidung durch die Fh-rungskraft.

    Was kann eine Fhrungskraft tun,wenn sie eine dialogische Haltung einneh-men will und beginnt, mit dialogischerKommunikation zu experimentieren?

    Die dialogische Handlungsweisenin der Jackettasche, Handtasche oder Ho-sentasche knnten sinnvoll sein, nicht alsVorgabe oder als Rezept, aber als stndi-ges Fragezeichen: Wie setze ich mich inBeziehung, zu mir selbst, zu anderen, zuder Sache? Welche Auswirkungen hat das?Wenn ein Gesprch nicht so abluft, wieich es mir vorstelle, was ist wirklich pas-siert? Was geschieht im Raum dazwi-schen? Wie kann ich mich und anderehalten, damit es anders werden kann?Wie trage ich dazu bei, dass das Sinnvollezum Vorschein kommt?

    Aber darber hinaus ist es hilfreich,sich ein Grundprinzip des Dialogischenzu vergegenwrtigen: es lebt von Fragen:Nicht von solchen, die eine schnelle Ant-wort mglich machen, sondern von sol-chen, die mit dem Herzen eher als mit demKopf beantwortet werden mssen unddaher Zeit brauchen.

    Fallbeispiel 1, dritter Akt: Am Be-ginn des Gesprchs, dass es erlaubte, berdas heisseste Eisen im Provinzministeriumzu sprechen, stand eine simple Frage. Eswar der Minister selbst, der sie an sich undseine Kollegen richtete: Wenn wir dennviel mehr, als wir uns klar zu machen be-reit waren, so wie wir miteinander sind,eine massive Auswirkung auf das Funk-tionieren unseres Ministeriums haben,mssten wir dann nicht eigentlich weni-ger ber die Sache, ber die Mitarbeiter,ber Lsungen sprechen, sondern beruns, wie wir hier sind, wie wir miteinan-der sind, wie wir mit uns selbst sind ?

    Die Kunst des ehrlichenErkundens

    Ein echtes Gesprch braucht zuge-wandte Neugier und eine Absicht desehrlichen Erkundens. Ein Erkunden findetdann statt, wenn wir wirklich noch nichtwissen, was die Antwort auf eine Frage istund vielleicht auch keine schnelle Ant-wort erwarten, weil der Prozess des Er-kundens selbst ein Vernderungsprozessist: er regt zu neuen Gedanken an, er mch-te wirklich erfahren, was andere denken,wie etwas von verschiedenen Seiten ausaussieht. Die Kunst des Erkundens ist wieein Mitgehen mit den Gedanken einesanderen, oder wie ein ffnen von unbe-tretenen Rumen in einem selbst. Anstel-le von Gegenargument, Korrektur, Her-ausforderung oder Angriff tritt Verstehenwollen, warum jemand so denkt, wie eroder sie denkt, warum es so wichtig istfr eine Person, was etwas fr eine an-dere Person bedeutet. Im Erkunden hal-ten wir Urteile zurck und hinterfragenunsere eigenen vorgefertigten Meinun-gen. Manchmal fhrt das Erkunden dazu,

    darber nachzudenken, was in einer be-stimmten Situation fehlt und danach zufragen.

    Die Fhigkeit, Fragen zustellen, dieneue Rume des Denkens erffnen undeinem Gesprch eine neue Richtung ver-leihen, kann man sich aneignen, nichtknstlich, aber durch bung und Aufmerk-samkeit. Die Frage: welche Frage wrdeuns hier weiterhelfen? ist ein pragmati-scher Ansatz. Dafr ist es auch hilfreich,nicht nur an einem Gesprch teilzuneh-men, sozusagen mitten drin zu sein,meist emotional heftig verstrickt, sondernauch beobachten zu knnen, wie das Ge-sprch abluft, welche Muster sich wie-derholen. Denn solche Muster kennenwir alle: was gesagt wird, was nicht gesagtwird, wer redet, wer nie redet, wer reagiert,wenn jemand Bestimmtes etwas sagt,wer immer gleich reagiert, wann endloseDebatten beginnen, was immer nichtentschieden wird... die Liste wre lang. Inder Regel gibt es in Fhrungskreisen vonOrganisationen und zwischen Fhrungs-krften und MitarbeiterInnen bestimmteMuster, wie Kommunikation in Bespre-chungen, Managementsitzungen oderWorkshops geschieht. Hufig gibt es un-ausgesprochene Regeln, an die sich jedePerson hlt. Diese Regeln konstituierenein Feld, innerhalb dessen auf eine be-stimmte Art und Weise gesprochen wird,

    Das dialogische Prinzip als Fhrungsmodell in der Praxis

    OrganisationsEntwicklung 1_04 71

    Ein echtes Gesprchbraucht zugewandteNeugier und eineAbsicht des ehrlichenErkundens.

  • oft mit sich wiederholenden Ergebnisses:nicht immer sind die TeilnehmerInnenan diesen Besprechungen zufrieden.

    Das Feld, in dem die oft unausge-sprochenen Regeln eingehalten und nichthinterfragt werden, nennt Otto Scharmertalking nice, es ist von einem gewissenMass an Hflichkeit gekennzeichnet: nie-mand wagt es, aus dem Muster auszubre-chen. Aber hufig bleibt ein Gefhl derLeere, es wird zu viel Zeit verbraucht, manhat das Gefhl, das Eigentliche kommtnicht zur Sprache oder Konflikte werdennicht angesprochen. Manchmal ist dieForm des Gesprchs ein serieller Mono-log, d.h. die TeilnehmerInnen sprechen,ohne sich aufeinander zu beziehen. DasGrundmuster ist: es wird alleine gedacht.Nicht selten finden dann die eigentlichenGesprche im Flur, im Fahrstuhl oder inder Kantine statt. Wenn man es als Fh-rungskraft erreichen will, dass ber dasWesentliche auch im Raum gesprochenwird, wenn man Gesprchen Tiefe verlei-hen mchte, kann man beginnen, genuinFragen zu stellen oder etwas zu unterneh-men, was das Muster verndert. Wenndas typische Muster im Gesprch das Aus-tauschen von Argumenten und Gegenar-gumenten ist, dann hilft es, nicht zu ver-teidigen, sondern mit ehrlicher und inte-ressierter Neugier zu erkunden, was inder Opposition steckt: Was meinen Sie

    mit X,Y,Z ...? Warum hat diese Angele-genheit so viel Bedeutung fr Sie? Waswren die Auswirkungen, wenn wir Ih-rem Vorschlag folgen wrden? Wie wr-den andere das sehen?

    Wenn das Muster in einseitiger Kom-munikation liegt, weil man gewohnt ist,der Fhrung zuzuhren und sie zu best-tigen, kann die Fhrungskraft ihre Positionrelativieren: so sehe ich das, und dies sinddie Grnde dafr, aber ich bin mir wirk-lich nicht sicher, ob das die einzige Art ist,die Sache anzugehen, ich wrde wirklichgerne wissen, was Sie dazu meinen?

    Wenn man als Fhrungskraft das Ge-fhl hat, Differenzen sind unausgespro-chen vorhanden, kann man anprechen,was man denkt: Ich glaube wir sprechenhier nicht ber das Eigentliche? Worumgeht es wirklich? Was ist im Raum, das wirnicht zur Sprache bringen (WIR)?

    Muster unterbrechen und die Ordnung verndern

    Eine Mustervernderung, das Zu-sammenbrechen eines Musters der Kom-munikation ist oft mit gemischten Gefh-len begleitet. Sich in das Uneinschtzba-re, z.B. einen mglichen Konflikt zu wa-gen, geht leichter, wenn der Containerstimmt, die gegenseitige tiefere Akzep-tanz, das sich gegenseitig Halten. Ande-rerseits strkt das Durchleben von Span-nung, das aus ihr Herauswachsen, denContainer. Wenn gesagt wird, was wirk-lich in den Kpfen ist und fr das ThemaRelevanz hat, bewegt sich das Gesprchin ein anderes Feld, das Otto Scharmerals talking tough bezeichnet: das be-kannte Muster bricht zusammen, die un-ausgesprochenen Regeln werden nichtmehr eingehalten, die Spannung steigt undEmotionen kommen in den Raum. Wenndie Bewegung vom ersten zum zweitenFeld unbewusst abluft und als unange-nehm empfunden wird, gibt es fast immereine inhrente Tendenz, das Gesprch inden Bereich der Hflichkeit, des Regel-einhaltens, zurckzubringen: durch Ord-nungsrufe, Autoritt, einen Scherz oderdas Erklren, dass etwas hier nicht rele-

    vant ist. Wer im Dialogischen zuhause ist,weiss, dass man die emotionale Anspan-nung, die eine konfliktive Stimmung be-deutet, nur als Fortschritt sehen kann:wenn man sich dessen bewusst ist unddas Gesprch weiterbringen will. Nichtimmer bedeutet das Zusammenbrechendes alten Musters etwas Konfliktives:manchmal ist es ein pltzliche Offenheit,die alle berhrt oder eine sehr persnli-che usserung, die das Gesprch auf eineandere Ebene hebt. Aber immer ist daszweite Feld, das Zusammenbrechen derRegeln, gekennzeichnet von Emotionali-tt. Wenn Konflikte im Spiel sind, ent-steht oft eine festgefahrene Situation, z.B.kann sich eine Debatte zwischen zweiFraktionen entwickeln mit sehr persnli-chen Anfeindungen. Als Fhrungskraft mitdialogischer Haltung weiss man, wenn dieEmotionen hochgehen und die Anspan-nung steigt, dass es wichtig ist, Unter-schiede zu erkunden und die Herkunftbestimmter Argumente zu verstehen. Esist wichtig, eine Situation zu schaffen, inder zugehrt wird. Eine Verlangsamungdes Gesprchs verndert das Feld. Dasgrsste Wagnis ist zugleich das, was dasGesprch am meisten weiterbringt, nm-lich darber zu reden, wie man ber et-was redet bzw. das zu benennen, was manim Gesprch erlebt: ich sehe, dass wir unsfestgefahren haben und ich habe den Ein-druck, es ist immer wieder am gleichenPunkt? Was steht dahinter?

    Das dritte Feld, das Otto Scharmerbeschreibt, ist bestimmt von Reflexion.Wenn ein Gesprch sich dorthin bewegt,setzt Nachdenklichkeit ein und Verlang-samung. Die Qualitt der Beziehungen un-tereinander verndert sich, die Beteiligtensagen, wie es ihnen mit etwas geht, Beob-achtungen und Selbstreflexionen findenRaum, Fragen bleiben unbeantwortet,Schweigen ist nachdenklich, nicht mehrunangenehm. Wenn dies gelingt, setzt einreflektiver Dialog ein: Personen beziehensich als Personen aufeinander, Respektwird sprbarer. Die Sache, ber die manspricht, ist nicht mehr getrennt von denBeziehungen zwischen den Personen. DasFeld der Reflexion braucht seine eigene

    Petra Knkel

    72 OrganisationsEntwicklung 1_04

    Immer ist dasZusammenbrechen derRegeln gekennzeichnetvon Emotionalitt.

  • Zeit, sein eigenes Muster. Es ist mglicher-weise das, was in Organisationen, als kol-lektive Reflexion, am meisten vernachls-sigt ist. Eine Fhrungskraft, die dialogischhandeln will, weiss um den Wert der Re-flexion. Sie bergeht sie nicht und brichtsie nicht vorschnell ab, aber sie weiss auch,dass es darum geht, die Dinge voranzu-bringen, und das es einen Punkt gibt, andem Reflexion in Produktion umschlagenmuss: und was machen wir jetzt mit un-seren Erkenntnissen? Wie knnen wir ei-gentlich das, was wir gerade berlegt ha-ben, in die Sache einbringen?

    Das vierte Feld, das Otto Scharmerbeschreibt, ist das des generativen Dia-logs: auf der Basis von Respekt und einesdem- anderen-Stimme-gebenden Zu-

    hrens baut sich hier Idee auf Idee. Das,was gemeinsam entwickelt, gemeinsamgedacht, ausgedacht wird, steht auf eineranderen Basis als im ersten Feld. Das Gan-ze ist wichtiger geworden als die Teile, dieeinzelnen fhlen sich nicht mehr als Zu-schauer in einem von ihnen nicht zu kon-trollierenden Drama, sondern als Teil, be-teiligt. Schlussfolgerungen ergeben sichleichter, Entscheidungen knnen getroffenwerden, Dissens wird klar, Konsens wirddeutlich. Man kann sich darber einigen,wie man an einer Sache weiter arbeitet,wie man kommuniziert, was als nchstesgeschehen muss.

    Keine noch so dialogische Gruppebleibt jedoch kontinuierlich im generati-ven Dialog: die Kunst ist, nicht an einem

    status quo, an einem Feld festzuhalten,sondern zu wissen, wie man Bewegungerzeugt. Jedes Gesprch wird wieder in daserste Feld rcken, mit anderen Regeln die-ses Mal, und wird den Prozess Mal um Maldurchlaufen.

    Menschen spren eine dialogischeHaltung. Wenn aber Fragen als Technikeingebt werden, reagieren die Beteilig-ten nicht auf die Fragen, sondern auf das,was ihnen ihre Intuition sagt, z.B. dass Dia-log hier nicht wirklich gefragt ist. Je mehrPersonen in einem Kreis, in einem Ge-sprch, in einer Oganisation dialogischhandeln, desto mehr entsteht eine Atmo-sphre der wertschtzenden Differenzund des produktiven Erkundens.

    Als Fhrungskraft im organisatio-nalen Kontext erscheint das Zulassen vonVielfalt, von unterschiedlichsten Meinun-gen nicht immer pragmatisch zu sein: dieAngst besteht, dass so etwas nur aufhlt.Das Zugeben von anderen als der eige-nen Art und Weise zu denken, kann be-unruhigend sein, nicht wirklich kontrol-lierbar und zu langsam fr die stndigerforderliche Schnelligkeit des Prozesses.Es scheint dem Prozess nicht zu ntzen,eine Sache auch von unterschiedlichenoder sogar gegnerischen Seiten zu sehen.Und dennoch kann es sein, dass es genaudas ist, was letztendlich Klarheit in Hand-lung schneller voranbringt. Die Fhrungs-kraft, die prinzipiell offen ist fr unter-schiedlichste Perspektiven und nicht aneiner, ihrer Lsung hngt, sondern dieVielfalt der Meinungen als Teil eines Gan-zen erkennen kann, nutzt das Potentialder Kollegen und Mitarbeiter in effektive-rer Weise.

    Die dialogische Haltung und ein ech-tes Gesprch sind gerade da relevant, woes ernst wird, wo es schnell gehen mussund etwas auf dem Spiel steht. Das, wassinnvoll ist zu tun, kommt in einer dialo-gischen Haltung schneller zum Vorschein,ohne dass widersprchliche, mglicher-weise korrigierende Aspekte unter denTisch fallen. Da, wo keine Klarheit ent-steht, wird zumindest klar, dass es sinn-voll ist, sich ber die darunterliegende Ko-hrenz einer unstimmigen Situation oder

    ABBILDUNG 2

    Felder des Dialogs

    Das dialogische Prinzip als Fhrungsmodell in der Praxis

    OrganisationsEntwicklung 1_04 73

    ___Teil des Ganzen werden, wirklichan der Gruppe teilnehmen

    ___Schlussfolgerungen und Entscheidungen generieren

    ___Kokreativ Ideen generieren

    GENERATIVER DIALOG

    ___Gesprchs- und Verhaltens-muster reflektieren

    ___ber den Prozess nachdenken___Zugrundeliegende Annahmen

    berdenken

    REFLEKTIVER DIALOG

    HFLICHKEIT

    ___Das Funktionieren des Musterserkunden

    ___Bezug zueinander herstellen___Beschreiben, was man sieht___Das Nichtgesagte ansprechen

    ZUSAMMENBRUCH

    ___Unterschiede mit Respekt erkunden

    ___Hintergrnde erkunden, verstehen, warum etwas gesagt wird

    ___Differenz der Perspektiven bewusst zulassen

    ___Nach der Meinung der fragen, die schweigen

    Das Ganze Die Teile

    selbstreflektiv

    Nichtselbstreflektiv

    IV.FLOWNeue Ordnungschaffen

    III.INQUIRYOrdnen desChaos

    I.TALKING NICEOrdnung einhalten

    II.TALKING TOUGHChaos aushalten

  • eines Konfliktes klar zu werden, oder dieUnterschiedlichkeit als solche zu respek-tieren. Entscheidung wird bewusster.Dies liegt daran, dass, wie es Martin Bu-ber ausdrckt, die beteiligten Personennicht an ihrem Schein interessiert sind.Das Beharren auf der eigenen Meinung,das Bestehen auf einer Gewissheit, derAnspruch, die richtige Lsung zu kennenund deshalb sich durchsetzen zu wollen,tritt in den Hintergrund. Aber genau dassind die Elemente des Gesprchs, mit de-nen zwischen Menschen Zeit verbrauchtwird. Im echten Gesprch sind Selbstund Identitt wichtig, weil sie Vielfalt undVerschiedenheit versprechen und diesebeitragen knnen, aber nicht um ihrerselbst willen.

    Vielfalt ist der Schlssel zur Entwicklung von dynamischer Stabilitt

    Immer mehr Unternehmen beschf-tigen sich mit Diversity, mit Vielfalt undUnterschiedlichkeit und sehen darin einPotential fr die Stabilitt und Weiterent-wicklung, vor allem aber fr die Innova-tionskraft eines Unternehmens. Die dia-logische Haltung als Fhrungsmodell isteine innere Vorbereitung fr das, was frFhrungskrfte immer wichtiger wird:Vielfalt, Diversitt nicht nur auszuhalten,

    sondern zu ermglichen und zu halten.Die dynamische Stabilitt eines Unterneh-mens ist eine Folge der Kultivierung vonUnterschiedlichkeit, und zwar in jeder Hin-sicht: der Unterschiedlichkeit der Meinun-gen ebenso wie der Unterschiedlichkeitdes Denkens. Je besser der Container ineinem Fhrungsteam oder zwischen Fh-rungskraft und MitarbeiterInnen gestal-tet ist, desto eher ist Vielfalt lebbar, be-sprechbar und letztendlich fruchtbar. Dasechte Gesprch, der Dialog, ist gehalteneVielfalt. Es lebt von Unterschiedlichkeitund ermglicht so, dass Unterschiedlich-keit bereichert und nicht bedroht.

    Fallbeispiel 1: Im Seminar des mitt-leren Management des SdafrikanischenMinisteriums kommt schliesslich zur Spra-che, was das Sprechen in der Organisationschwierig macht: es herrscht ein Atmo-sphre der Vorsicht, manchmal sogar Angst.Man wagt nicht, einer Fhrungskraft zu

    widersprechen, da man befrchtet, Kar-riereaussichten zu gefhrden. Ausserdemweiss jeder, dass Opposition nicht gefragtist. Das mittlere Management gibt dieseKultur nach unten weiter. Im Gesprch gehtes darum herauszufinden, wie die Fh-rungskrfte in beide Richtungen anderswirken knnen. Mit Hilfe der dialogischenHandlungsweisen beginnen sie zu erken-nen, dass Opposition, wie immer sie auchvorgebracht wird, eine zugrunde liegendeAbsicht der Korrektur in sich birgt, die esgilt wahrzunehmen und wertzuschtzen.Das Erkunden wird dafr hilfreich einge-setzt. Aber auch fr sich selbst in der Be-ziehung zu ihren Vorgesetzten sind Fragenneu zu stellen: wie kann ich meine abwei-chende Meinung mit Respekt anbringen?Was geschieht mit mir, wenn ich lange nichtsage, was ich denke? Wie wirkt sich das ne-gativ auf die Organisation aus? Wie ent-ziehe ich mich der Verantwortung, wennich meine Meinung zurckhalte?

    Petra Knkel

    74 OrganisationsEntwicklung 1_04

    Im echten Gesprch sind Selbst und Identittwichtig, weil sie Vielfaltund Verschiedenheit versprechen.

  • Fallbeispiel 3: In der Zusammen-kunft von Industrievertretern, Produzentenund VertreterInnen der Zivilgesellschaftwird die Unterschiedlichkeit schon imRaum deutlich: jede Gruppe trgt die us-seren Zeichen ihrer Herkunft Kleidung,Aussehen, Sprache und Art zu sprechen.Das zweite Treffen der unterschiedlichenInteressengruppen findet in einem Produ-zentenland statt. Der am Inhalt orientier-te Dialog erlaubt eine Annherung zwi-schen der Unterschiedlichkeit der Interes-sen, die hier massive wirtschaftliche undpolitische Dimensionen haben, und dergemeinsam erdachten Idee, die mglicheEinigung auf Produktionsstandards. DieArbeit am Inhalt findet mal in Interessen-gruppen statt, mal in gemischten Grup-pen. Die Anspannung steigt immer dann,wenn eine der Gruppen etwas ganz Be-stimmtes durchsetzen will. FestgefgteMeinungen bereinander werden wiederlebendig. Erst im Dialog in gemischtenGruppen wird das Vertrauen wieder ge-strkt: das Verstehen, warum etwas sowichtig ist fr eine Gruppe, ersetzt das Be-harren auf Positionen. Am Morgen desletzten Tages erklrt eine Vertreterin derIndustrie im Plenum, was ihr wirklichwichtig ist und welchen Gedankenprozesssie brauchte, um etwas, auf das die Zivil-gesellschaftsvertreter so beharrt hatten, zuverstehen. In der Abschlussrunde sagen et-liche TeilnehmerInnen, dass sie Angst hat-ten, die Konflikte wrden alles auseinan-dersprengen, aber dass sie jetzt sehen kn-nen, wie es mglich ist, durch Konflikteproduktiv durchzugehen. Keiner wird aus-steigen aus dem Prozess, und die Einscht-zung ist, dass diese grosse und sehr diverseGruppe (32 Personen) stark genug ist, umdie weiteren Interessenskonflikte mit demgemeinsamen Ziel vor Augen anzugehen.

    Da, wo Vielfalt und Unterschied-lichkeit kultiviert werden, entwickelt sichein strkeres Gefhl fr das Ganze, fr Zu-sammenhnge und Interdependenzen.Die eigene Meinung wird relativ, nicht imSinne eines faulen Kompromisses odereines Untergehens im bergreifenden all-gemeinen Interesse, sondern im Sinne

    einer, aber nur einer wichtigen Weise, dieDinge zu sehen.

    Das heisst jedoch nicht, dass ich alsFhrungskraft keine besondere Funktionmehr habe und nur teilnehme am Meerder Vielfalt, im Gegenteil, ich gestalte es.Mein Beirag zhlt, auch wenn ich nichtbelehren will. Die Ideen, die visionre Kraftdes einzelnen sind es, die Impulse fr Ver-nderung erzeugen. In einer dialogischenHaltung wird nur nicht versucht, andereAspekte zum Schweigen zu bringen. Mar-tin Buber vermutet, dass das, was wahr istim Sinne von sinnvoll, immer im Mikro-kosmos des Gegenbers Resonanz findetund wachgerufen wird durch eine Kom-munikation, die Begegnung ermglicht.

    Wenn Fhrung dialogisch ist, hat sieenorme Austrahlung auf diejenigen, dievon ihr berhrt werden, sei es Mitarbeiteroder Kollegen, sie spricht etwas an im an-deren, was belebend wirkt, nicht eingren-zend. Sie frdert Lebendigkeit und Krea-tivitt, weil sie dazu beitrgt, dass anderesie selbst sein knnen und sich respektiertfhlen. Damit ist sie nicht nur heilend fureine Organisation, sondern erweitertauch deren Mglichkeiten. ]

    Das dialogische Prinzip als Fhrungsmodell in der Praxis

    OrganisationsEntwicklung 1_04 75

    Buber, Martin (1962): Das Dialogische Prinzip,Heidelberg

    Coleman Daniel, et al. (2002): Primal Leadership,Boston

    Isaacs, Bill (1999): Dialogue and The Art of ThinkingTogether, New York

    David Bohm (1996): On dialogue, London andNew York

    Otto Scharmer (May 2000); Presencing, Presenta-tion, School of Economics, Helsinki

    Francesco Varela et al (Ed) (1999): The View fromWithin, Bowling Green

    Margaret Wheatley (1999): Leadership and theNew Science, San Francisco

    Dana Zohar, (1994): The Quantum Society,New York

    LITERATUR