daisetz t. suzuki - zen und die kultur japans

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DAISETZ TEITARO SUZUKI

Zen und die KulturJapans

ROWOHLT HAMBURG

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Herausgeber: Ernesto GrassiRedaktion: Ursula Schwerin

Eginhard Hora / Ragni M. GschwendMünchen

Titel der englischen Originalausgabe ‹Zen-Buddhism and its Influenceon Japanese Culture› / Übertragen von Otto Fischer

Umschlagentwurf Karl Gröning jr. / Gisela Pferdmengesunter Verwendung eines Bildes ‹Kuchenkorb mit Zweig der Nandina

domestica› China 14. Jahrhundert, aus Fischer, Die Kunst Indiens,Chinas und Japans, Propyläen-Kunstgeschichte,

mit freundlicher Genehmigung der Ostasiatischen Kunstabteilung derehemaligen Staatlichen Museen Berlin

Schriftgestaltung des Umschlages Werner RebhuhnSatz aus der Aldus-Linotype und der Palatino (D. Stempel AG)

Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck

1.-30. Tausend April 195831.-33. Tausend August 196734.-38. Tausend Januar 1970

Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,Hamburg, April 1958

Leickt gekürzt herausgegebenin der Reihe ‹rowohlts deutsche enzyklopädie›

mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Verlags-Anstalt StuttgartAlle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucksund der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten

Printed in GermanyISBN 3 499 55066 0

Digitalisiert von Xela

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INHALTSVERZEICHNIS

ENZYKLOPÄDISCHES STICHWORT

GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DES ZEN 234(Zur vorherigen Lektüre empfohlene Einführung in denProblemkreis, dem das Thema entstammt)

I. DER ZEN-BUDDHISMUS UND SEIN EINFLUSSAUF DIE KULTUR JAPANS

1. EINFÜHRENDES ÜBER ZEN-BUDDHISMUS 72. ALLGEMEINES ÜBER DIE KÜNSTLERISCHE KULTUR JAPANS 173. ZEN UND DER SAMURAI 384. ZEN UND DIE SCHWERTMEISTERSCHAFT 675. ZEN UND DER TEEKULT 1026. RIKYU UND ANDERE TEEMEISTER 133

II. DER ZEN-BUDDHISMUS UND DIEJAPANISCHE NATURLIEBE

1. KUNST UND KOSMISCHES BEWUSSTSEIN 1472. STEIGERUNG DES JAPANISCHEN NATURGEFÜHLS DURCH ZEN 1623. JAPANISCHE KIRSCHBLÜTEN-DICHTUNG ALS AUSDRUCK

JAPANISCHER NATURLIEBE 194

ANHANG I: FRAGEN DER RELIGIONUND PHILOSOPHIE 208ANHANG II: DAS NO-SPIEL 224ÜBER DEN VERFASSER 243LITERATURHINWEISE 245

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WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT

Franz Altheim, Münster / Henri Bedarida †, Paris (Sorbonne) / Ernst Benz, Marburg /Carl J. Burckhardt, Basel / Enrico Castelli, Rom / Francisco Javier Conde Garcia,Madrid / Alois Dempf, München / Mircea Eliade, Bukarest-Chicago / Vicente Ferreirada Silva, Sao Paulo / Hugo Friedrich, Freiburg / Hans-Georg Gadamer, Heidelberg /Eugenio Garin, Florenz / Juan Gomez Millas, Santiago de Chile / Henri Gouhier,Paris (Sorbonne) / Rudolf Großmann, Hamburg / Romano Guardini †, München /Hermann Heimpel, Göttingen / Georg Henneberg, Berlin / M. P. Hornik, Oxford /Ernst Howald †, Zürich / G. Kaschnitz Frhr. v. Weinberg †, Frankfurt-Main / WernerKemper, Rio de Janeiro / Karl Kerényi, Zürich / Lawrence S. Kubie, Baltimore / PedroLain Entralgo, Madrid / Karl Löwith, Heidelberg / Arthur March †, Innsbruck / HansMarquardt, Freiburg / Adolf Meyer-Abich, Hamburg / Alexander Mitscherlich,Heidelberg / J. Robert Oppenheimer †, Princeton / Walter F. Otto †, Tübingen / EnzoPaci, Pavia / Massimo Pallottino, Rom / Adolf Portmann, Basel / Emil Preetorius,München / Hans Rheinfelder, München / Salvatore Riccobono †, Rom / DavidRiesman, Harvard / Jan Romein †, Amsterdam / Fritz Schalk, Köln / HelmutSchelsky, Münster / Günter Schmölders, Köln / Percy Ernst Schramm, Göttingen /Hans Sedlmayr, Salzburg / Wilhelm Szilasi †, Freiburg / Giuseppe Tucci, Rom /Thure von Uexküll, Ulm / Giorgio del Vecchio, Rom / Centre International desÉtudes Humanistes, Rom / Centro Italiano di Studi Umanistici e Filosofici, München /Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel / Lincombe Lodge ResearchLibrary, Boars Hill – Oxford

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I. DER ZEN-BUDDHISMUS UND SEIN EINFLUSSAUF DIE KULTUR JAPANS

1. EINFÜHRENDES ÜBER ZEN-BUDDHISMUS

Zen eine besondere Form des Buddhismus

Es ist bekannt, daß die meisten Sachverständigen, Japaner wie Aus-länder, die überhaupt unparteiisch und verständnisvoll über das sitt-liche, kulturelle oder geistige Leben des japanischen Volkes schrie-ben, von der Bedeutung des Zen-Buddhismus für den Aufbau desjapanischen Wesens in gleicher Weise überzeugt sind. An andererStelle habe ich Äußerungen über dieses Thema von dem verstorbe-nen SIR CHARLES ELIOT und von SIR GEORGE SANSOM angeführt, alsvon zwei der jüngsten und kenntnisreichsten ausländischen Schrift-steller: die eine über japanischen Buddhismus, die andere über japa-nische Kultur. Es scheint mir überflüssig, mich auch noch auf ältereoder neuere japanische Autoren zu berufen, die über das Tatsächlichedes Zen-Einflusses auf das Volk Japans alle gründlich unterrichtetsind. Näherliegend und notwendiger ist es, hier ein paar Worte überZen selber zu sagen, denn ich denke, meine Leser wissen darüber nursehr wenig. Das ist aber keine ganz leichte Aufgabe. Zen ist nämlichfür jeden, der noch gar nichts darüber gehört oder gelesen hat,schwer zu begreifen, denn es erhebt den Anspruch, jenseits allerAuslegung durch Worte und Begriffe zu stehen, und es ist auch nochniemals in allgemein verständlicher Weise dargestellt worden. Die-jenigen, die sich speziell mit Zen beschäftigen, möchte ich bitten,

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meine früheren Arbeiten über dieses Thema zu Rate zu ziehen1. Imfolgenden aber können nur die nacktesten Grundlinien aufgerissenwerden, die vielleicht hinreichen mögen, ein leidliches Verständnisfür seine Einwirkung auf den Charakter und die Kultur Japans zueröffnen.

Zen ist eine besondere Form des Buddhismus, die sich in China inder frühen T’ang-Zeit, das heißt im 8. Jahrhundert, entwickelt hat.Seine Ursprünge sind weit älter, es nahm mit der Ankunft BODHI-DHARMAS aus Südindien in China in der ersten Hälfte des 6. Jahr-hunderts seinen Anfang. Seine Lehre unterscheidet sich nicht von derallgemeinen Lehre des Mahayana2-Buddhismus, ihr Inhalt ist keinanderer als die Predigt BUDDHAS. Allein Zen macht den Versuch, denwesentlichen Sinn der BUDDHA-Lehre den Menschen zu öffnen, in-dem es alles Oberflächenhafte, das sich um die Lehre des Meisterswährend ihrer Fortentwicklung in Indien, Zentralasien und Chinaselber angehäuft hat, beiseiteschiebt. Dieses ‹Oberflächenhafte› magim Ritus, in der Doktrin oder auch im Wesen der verschiedenen Ras-sen begründet sein. Zen aber verlangt, daß wir unmittelbar denGeist BUDDHAS erfassen.

1 Essays in Zen Buddhism I, II und III. 1927, 1933, 1934. Introduction

to Zen-Buddhism. 1934 (deutsch unter dem Titel: Die große Befreiung.Leipzig 1939). A Manual of Zen-Buddhism. 1935.

2 Mahayana (= großes Fahrzeug), der nördliche, in China, Japan, Ko-rea, Vietnam, Nepal usw. verbreitete Buddhismus, Hinayana (= kleinesFahrzeug) seine südliche Form, in Ceylon, Burma, Siam, Kambodscha usw.herrschend. (Anm. d. Red.)

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Der Geist des Buddhismus

Was ist nun dieser Geist? Was ist es, das die wesentliche Lehre desBuddhismus ausmacht? Es ist Prajna und Karuna. Prajna und Ka-runa sind Begriffe des Sanskrit, Prajna kann man als transzenden-tales Wissen, Karuna mit ‹Liebe› oder ‹Mitleid› übersetzen. Prajnaschenkt uns die Einsicht in die Wirklichkeit der Dinge jenseits ihrerErscheinungsformen, darum haben wir, sobald Prajna erlangt wird,eine Erkenntnis von der grundlegenden Bedeutung des Lebens undder Welt, und wir brauchen uns nicht mehr um die Anliegen undLeiden des Einzelmenschen zu bekümmern. Karuna aber ist dadurchfrei geworden, ihr eigenes Wesen zu entfalten, das will sagen, daßLiebe ungehemmt von ihren selbstischen Verhüllungen sich über alleDinge ausbreiten kann. Im Buddhismus erstreckt sie sich sogar biszu den unbeseelten Wesen, denn der Buddhismus glaubt, alle We-sen, was immer die Form ihres gegenwärtigen Zustandes und Da-seins ist, seien letzten Endes dazu bestimmt, die Buddhaschaft zu er-reichen, sobald die Liebe sie durchdringt.

Zen unternimmt es, Prajna zu erwecken, die gewöhnlich unter ei-nem dicken Gewölk von Unwissenheit und Karma in uns schläft.Unwissenheit und Karma kommen daher, daß wir uns bedingungs-los der Herrschaft des Verstandes ergeben haben, Zen aber revol-tiert gegen diesen Zustand der Dinge. Und da das Verstandeswe-sen sich in Begriffen und ihrer Logik ausspricht, so verschmäht Zendie Logik und bleibt sprachlos, wenn man verlangt, daß es sich er-kläre. Die Würde des Verstandes gilt erst, wenn zuvor das Wesender Dinge erfaßt ist. Das bedeutet, daß Zen den gewohnten Lauf desWissens umkehren will und seinen eigenen, besonderen Weg findenmuß, unser Inneres zu bilden zur Erweckung der transzendentalenWeisheit (prajna).

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Methode und Geist von Zen

Die folgende Geschichte, die FA-YEN (gestorben 1104), ein Priesterder Sung-Dynastie, berichtet, wird uns eine gute Hilfe sein, die Me-thode und den Geist von Zen zu begreifen, die gegen jede auf Ver-stand, Logik und Worte gegründete Lehre sich wenden.

‹Wenn die Leute mich fragen, was die Art von Zen sei, so möchteich sagen, es gleiche der Art, wie die Kunst des Einbrechers erlerntwird. Einst sah der Sohn eines Einbrechers, wie sein Vater älter wur-de, und dachte bei sich: Wenn er bald nicht mehr imstande ist, sei-nem Beruf nachzugehen, wer soll dann der Familie das Brot schaffenaußer mir selber? Ich muß also sein Handwerk erlernen. Er sprachmit seinem Vater darüber, und der war einverstanden. Eines Nachtsnahm der Vater den Sohn mit zu einem reichen Hause, brach durchdie Mauer, drang in das Haus ein, öffnete eine der großen Truhenund hieß den Sohn hineinsteigen und die Kleider herausholen. So-wie er drinnen war, schlug der Deckel zu, und die Schlösser wurdenbefestigt. Der Vater ging jetzt in den Hof hinaus, pochte laut an dieTür und weckte das ganze Hauswesen auf, worauf er stillschweigenddurch das Loch in der Mauer sich davonmachte. Die Hausbewohnergerieten in große Aufregung und suchten mit Kerzen nach dem Dieb,fanden aber, daß der Einbrecher schon entwischt war. Der Sohnsteckte die ganze Zeit in der verschlossenen Truhe und dachte, wiegrausam sein Vater an ihm gehandelt habe. Er war ganz verzweifelt,bis ihm plötzlich ein trefflicher Einfall kam. Er machte ein Geräuschwie das Nagen einer Ratte. Die Leute im Hause hießen die Magd ei-ne Kerze nehmen und die Truhe untersuchen. Wie sie den Deckelauf schloß, stürzte der Gefangene heraus, blies das Licht aus, stieß dieMagd beiseite und entfloh. Die Leute rannten ihm nach. Am Wegsah er einen Brunnen, hob einen schweren Stein auf und warf ihn

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ins Wasser. Die Verfolger sammelten sich alle um den Brunnen undsuchten den Einbrecher herauszuholen, der, wie sie meinten, im Dun-keln sich selbst ertränkt hätte. Inzwischen aber kehrte er heil in sei-nes Vaters Haus zurück. Er machte dem Vater schwere Vorwürfe,daß er so mit knapper Not davongekommen war. Sprach der Vater:Nichts für ungut, mein Sohn, erzähl mir, wie du es angestellt hast!Als der Sohn ihm nun sein ganzes Abenteuer berichtet hatte, be-merkte der Vater: Du bist so weit, du hast meine Kunst gelernt.›

Diese Radikalmethode, die Kunst des Einbrechers zu lehren, istein gutes Beispiel für die Methodenlehre von Zen. Wenn ein Schü-ler den Meister bittet, ihm Zen zu erklären, so schlägt dieser ihmvielleicht ins Gesicht und schreit ihn an: ‹Was für ein nichtsnutzigerBursche bist du!› Wenn einer zum Meister kommt und sagt: ‹Ichhabe einen Zweifel über die Wahrheit, die uns von den Fesseln derLeidenschaften befreien soll›, oder ähnliche Fragen stellt, so führtihn der Meister vielleicht vor die versammelte Mönchsgemeinde underklärt: ‹Schaut her, ihr Mönche, hier ist einer, der einen Zweifelhegt!› Er verbannt vielleicht den armen Mönch aus seiner Gegenwartund zieht sich gleichgültig in seine Behausung zurück. So scheint es,als wäre Zweifeln ein Verbrechen oder mindestens etwas, womitman sich ja nicht abgeben dürfe, während doch ein jeder frei und un-gehindert alles selber zu prüfen hat. Und wenn der Meister gefragtwird, ob er die Buddhalehre verstehe, wird er sagen: ‹Nein, ich ver-stehe sie nicht.› Und weiter befragt, wer denn die Buddhalehre ver-stehe, deutet er bloß auf den Holzpfeiler vor seiner Hütte.

Wenn der Zen-Meister seine Logik veranschaulichen will, wider-spricht er grundsätzlich der gewohnten Weise, zu denken und zu be-werten. Da heißt es nicht nur: ‹Schön ist häßlich, und häßlich istschön›, sondern ‹du bist ich, und ich bin du›. Tatsachen gibt es nicht,

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und Worte werden auf den Kopf gestellt. Um zu zeigen, wie entge-gengesetzt die Zen-Methode der Erörterung unserer gewohnten Wei-se der Überlegung ist, gebe ich im ersten Anhang ein oder zwei Bei-spiele aus einem Zen-Text.

Zentrale Bedeutung persönlicher Erfahrung

Der japanische Fechtmeister bedient sich zuweilen der Zen-Methodeim Unterricht. Als einst ein Schüler zu einem Meister kam, um dieFechtkunst zu erlernen, erklärte sich der Meister, der sich in eineHütte in den Bergen zurückgezogen hatte, bereit, ihn zu lehren. Erhielt den Schüler dazu an, Reisig zu sammeln, Wasser aus der Quellezu holen, Holz zu spalten, Feuer zu machen, Reis zu kochen, die Stu-be und den Garten zu kehren und überhaupt für den ganzen Haus-halt zu sorgen. In der Fechtkunst gab er ihm keinerlei rechte Unter-weisung. Nach einiger Zeit wurde der junge Mensch unzufrieden,denn er war nicht gekommen, um dem alten Herrn als Knecht zu die-nen, sondern um die Kunst des Schwerts zu erlernen. So trat er einesTages zu seinem Meister und bat ihn um Unterricht. Dem war esrecht. In der Folge aber konnte der junge Mann gar keine Arbeit inRuhe mehr verrichten. Denn wenn er früh am Morgen den Reis zukochen anfing, erschien der Meister und schlug ihn von hinten mitdem Stock. Wenn er mitten im Kehren war, spürte er plötzlich wie-der einen Hieb von irgendwoher, aus unbekannter Richtung. Er hat-te keinen Frieden mehr, hatte fortwährend sich in acht zu nehmen.Ein paar Jahre vergingen, bis er mit Erfolg einem Hieb ausweichenkonnte, von wo immer er kommen mochte. Aber der Meister warnoch immer nicht recht mit ihm zufrieden. Eines Tages war derMeister dabei, sein eigenes Gemüse am Feuer zu kochen. Der Schü-

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ler dachte, nun wolle er auch einmal die Gelegenheit nutzen. Er griffnach seinem großen Stock und schlug ihn dem Meister, der sich gera-de über den Kochtopf beugte, um den Inhalt umzurühren, über denKopf. Doch der Meister parierte den Stock mit dem Topfdeckel. Nunging dem Schüler das Geheimnis der Kunst auf, das ihm bisher ver-borgen und fremd geblieben war. Jetzt zum erstenmal erkannte er,wie klug und freundlich der Meister sich gegen ihn bezeigte.

Hierin liegt etwas von der Schulungsweise, die Zen eigentümlichist und darin besteht, jede Wahrheit, welcher Art sie auch sei, per-sönlich zu erfahren, ohne irgendeine verstandesmäßige, systemati-sche oder theoretische Lehre. Diese befaßt sich nur mit technischenEinzelheiten, bleibt daher an der Oberfläche und führt nie in denMittelpunkt ihres Gegenstandes. Die theoretische Bemühung magausgezeichnet sein, um Baseball zu spielen, Fabriken zu bauen, Fe-stungen zu errichten, Industriewaren oder Mordinstrumente der ver-schiedensten Art zu erzeugen, sie genügt aber nicht, um Kunstwerkezu schaffen oder etwas hervorzubringen, das ein unmittelbarer Aus-druck der Menschenseele ist oder ein Leben zu führen, das seine ein-geborene, innerste Bestimmung erfüllt. In der Tat ist alles, was mitdem Schöpferischen im wahren Sinne zu tun hat, ‹unübertragbar›,das heißt jenseits des unterscheidenden Verstandes. Daher der Zen-Wahrspruch: ‹Kein Verlaß auf Worte!›

Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Zen

In dieser Hinsicht ist Zen allem, was Wissenschaft oder wissen-schaftlich heißt, entgegengesetzt. Zen ist persönlich, Wissenschaftunpersönlich. Das Unpersönliche ist abstrakt und hat mit der Erfah-rung des Einzelmenschen nichts zu schaffen. Das Persönliche ist ganz

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dem einzelnen zu eigen und bedeutet gar nichts ohne das eigene Er-lebnis. Wissenschaft bedeutet Systematik, und Zen ist genau das Ge-genteil. Worte sind notwendig für Wissenschaft und Philosophie,aber sie sind ein Hindernis für Zen. Warum? Weil Worte Vorstel-lungen und nicht Wirklichkeiten sind, aber Wirklichkeiten das, wasZen am höchsten bewertet. Wenn Zen sich der Worte bedient, so ha-ben sie ihm keinen höheren Wert als Geldmünzen für den Handel.Wir können kein Geld anziehen, um uns vor der Kälte zu schützen,wir können kein Geld essen, um Hunger oder Durst zu stillen. Geldmuß in wirkliche Speisen, wirkliche Wolle und wirkliches Wasserumgesetzt werden, um einen wirklichen Wert für das Leben zu ge-winnen. Wir vergessen fortwährend diese einfache Wahrheit undsammeln immer wieder das Geld zu Haufen. Ganz ebenso lernen wirWorte auswendig, spielen mit Vorstellungen und halten uns deshalbfür weise. Weise sind wir vielleicht, aber diese Art Weisheit ist wert-los gegenüber den Wirklichkeiten des Lebens. Hätte sie einen Wert,müßte dann nicht das Tausendjährige Reich schon gekommen sein?

Überlegenheit intuitiven Wissens

Im großen ganzen genommen gibt es drei Arten von Wissen. Dieerste gewinnt man durch Lesen oder Hören, sammelt sie im Gedächt-nis und hält sie gewöhnlich für einen wertvollen Besitz; die Massedes sogenannten Wissens ist von dieser Art. Wir können nicht überdie weite Erde wandern und alles selber prüfen, darum sind wir fürdas Wissen von der Erde auf eine Karte angewiesen, die andere füruns ausgearbeitet haben. Die zweite Art Wissen ist das, was manunter Wissenschaft zu verstehen pflegt. Dies ist das Ergebnis vonBeobachtungen und Versuchen, Analyse und Spekulation. Sie besitzt

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eine festere Grundlage als die erste Art, denn hier ist in einem ge-wissen Umfang etwas Persönliches und Selbsterlebtes. Die dritte ArtWissen wird durch ein intuitives Begreifen erlangt. Für alle, die ander zweiten Art Wissen hängen, hat die intuitive Wissensform keinefeste Grundlage in Tatsachen und ist daher nicht unbedingt verläß-lich. Aber in Wirklichkeit ist das sogenannte wissenschaftliche Be-greifen keineswegs erschöpfend und bedarf immer neuer Berichti-gung, denn es ist auf den Umkreis seiner eigenen Grenzen einge-schränkt. Wenn ein Notfall eintritt, namentlich ein persönlicher Not-fall, so haben Wissenschaft und Logik keine Zeit mehr, auf ihrenVorrat von Wissen und Berechnung zurückzugreifen, auch das Ge-dächtniswissen ist nicht zur Hand, denn dem Verstand kann es miß-lingen, alles das früher im Gedächtnis Aufgespeicherte heraufzuru-fen. Das intuitive Wissen aber bildet die Grundlage einer jeden Artvon Glauben, vor allem des religiösen Glaubens, und mit sichererWirkung, mit gewissem Erfolg steht es auf und meistert die Not.

Was Zen erreichen will, ist diese dritte Art Wissen, die tief in dieWurzeln des eigenen Daseins hinabreicht, oder besser: die aus denTiefen unseres eigenen Wesens emporwächst.

Ich bin ein wenig vom Thema abgeschweift. Allein diese grund-sätzliche Einstellung von Zen gegenüber dem Verstandesmäßigen,soweit es sich darum handelt, den Geist des Buddhismus wirklich zumachen, erklärt uns, wie in der geistigen Zen-Atmosphäre bestimm-te bezeichnende Gedanken- und Gefühlsrichtungen den Dingen derWelt gegenüber entstanden sind, nämlich:

1. Seine Konzentration auf den Sinn führt zur Vernachlässigungder Form.

2. Oder besser: in den Formen jeglicher Bezeichnungsweise ent-deckt es die Gegenwart des Sinnes.

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3. Die mangelhafte oder unvollkommene Form scheint ihm bessergeeignet, den Sinn auszusprechen, denn die Vollkommenheit derForm lenkt die Aufmerksamkeit auf die Form selber und nicht aufihre innere Wahrheit.

4. Die Verachtung der Form aber, des Konventionellen und Ri-tuellen führt den Sinn dahin, daß er in seiner Nacktheit oder Ein-samkeit ganz in sich selber steht.

5. Diese transzendentale Erhabenheit oder Einsamkeit des Unbe-dingten ist der Geist der Askese, der die Ausschaltung jeder mögli-chen Spur des Unwesenhaften bezweckt.

6. Einsamkeit, in die Sprache des Weltlebens übertragen, bedeutetNichthaften und Freiheit.

7. Wenn Einsamkeit im buddhistischen Sinn des Worts unbedingtgeworden ist, versetzt sie sich selber in alle Dinge, vom geringstenGras auf dem Felde bis zu den höchsten und herrlichsten Erscheinun-gen der Welt.

Nach dieser Einführung möchte ich auf den folgenden Seiten dieRolle behandeln, die der Zen-Buddhismus in der Formung der japa-nischen Kultur und des japanischen Wesens gespielt hat. Diese zeigtsich besonders in den Künsten ganz allgemein, in der Entwicklungdes Bushido (‹des Weges der Krieger›), im Studium und der Ausbrei-tung der konfuzianischen Lehre wie überhaupt der Erziehung, undim Aufkommen des Teekults. Auch auf einige andere Punkte wirdbei Gelegenheit hinzuweisen sein.

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2. ALLGEMEINES ÜBER DIE KÜNSTLERISCHE KULTUR JAPANS

Zens Beitrag zum Aufbau der japanischen Kultur

Nach den oben gegebenen Erläuterungen der geistigen Atmosphäre,die von Zen ausgeht, wollen wir versuchen, den Beitrag zu begrei-fen, den Zen zum Aufbau der japanischen Kultur geleistet hat. Es isteine bezeichnende Tatsache, daß alle anderen Schulen des Buddhis-mus ihren Einfluß fast ganz auf das geistliche Leben unseres Volkesbeschränkt haben. Zen ist darüber hinausgegangen. Zen ist innerlicheingedrungen in jede Phase des kulturellen Lebens in Japan.

In China war dies nicht notwendig der Fall. Zen hat sich hier ingroßem Umfang mit dem Glauben und der Praxis des Taoismusverbunden, auch mit den sittlichen Lehren des Konfuzianertums,aber es hat die Kultur Chinas nicht so tief berührt, wie dies in Japangeschehen ist. – Liegt es vielleicht an der rassischen Eigenart des ja-panischen Volkes, daß Zen so intensiv und gründlich von ihm auf-genommen wurde, daß es so innerlich auf sein Leben eingewirkthat? – Immerhin ist auch in China die bemerkenswerte Tatsache nichtzu übersehen, daß Zen der Entwicklung der chinesischen Philosophieunter der Sung-Dynastie und auch der Entfaltung einer bestimmtenSchule der Malerei einen starken Antrieb gegeben hat. Eine großeZahl von Werken dieser letzteren wurde seit der Kamakura-Zeit1

im 13. Jahrhundert nach Japan gebracht, als ein beständiges Hin-und Herreisen der Zen-Priester zwischen den beiden Ländern vorsich ging. Die Bilder der Südlichen Sung fanden so ihre glühendstenBewunderer auf dieser Seite des Meeres und gehören heute zu den

1 Ende des 12. bis Mitte des 14. Jahrhunderts. (Anm. d. Red.)

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japanischen Nationalschätzen, während man in China keine Beispieledieser Art Malerei mehr findet.

Bevor wir weitergehen, mögen einige allgemeine Bemerkungenüber eine besondere Eigentümlichkeit der japanischen Kunst amPlatze sein, die mit der Weltanschauung von Zen eng verknüpft, ja,letzten Endes aus ihr abzuleiten ist.

Unter den für das japanische Kunstschaffen besonders charakteri-stischen Zügen ist der sogenannte ‹Eineckstil› zu erwähnen, der vonMA YUAN, einem der größten Meister der Südlichen Sung, ausgegan-gen ist. Dieser ‹Eineckstil› ist psychologisch verknüpft mit der japa-nischen Malertradition des sparsamen Pinsels, die darauf ausgeht,mit der kleinstmöglichen Anzahl von Linien oder Strichen sicht-bare Formen auf der Seide oder dem Papier festzuhalten. Beides istganz in Harmonie mit dem Zen-Geist. Ein einfaches Fischerbootmitten im leichtgewellten Wasser ist genug, um im Sinn des Betrach-ters ein Gefühl der Weite des Meeres und zugleich des Friedens undder inneren Stille aufzuwecken – das Zen-Gefühl der tiefen Ein-samkeit. Scheinbar schwebt das Boot hilflos in der Weite. Es ist einhöchst primitives Fahrzeug ohne mechanische Einrichtung, die esstabil und kühn über die wilden Wogen zu steuern erlaubt, ohne wis-senschaftliches Gerät, um allen Unbilden des Wetters zu trotzen –ganz im Gegensatz zum modernen Dampfer von soundsoviel Tonnen.Aber gerade in dieser Hilflosigkeit liegt die Stärke des Fischer-boots, und im Gegensatz zu ihr empfinden wir die Unbegreiflichkeitdes Unbedingten, das über das Boot und alle Dinge regiert. Oder:ein einsamer Vogel auf dem dürren Zweig, an dem kein Strich, keineSchattierung, kein Fleckchen zuviel ist, genügt vollkommen, uns dieVerlorenheit eines Herbsttages fühlen zu lassen, wenn das Lichtkarger wird und die Natur die Prachtgewänder ihres üppigen Som-

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merwachstums abzulegen beginnt2. Vor einem solchen Bild wirdman nachdenklich und empfindet die Veranlassung, den Blick aufdas innere Leben zu lenken. Und wenn man diesem sich zuwendet,breitet es all seine reichen Schätze willig vor unsere Augen.

Der Hang zum ‹einfachen Leben›

Hier sehen wir ein Erkennen des transzendental Erhabenen inmittendes tausendfach Mannigfaltigen – das, was das Wörterbuch der ja-panischen Kulturbegriffe ‹Wabi› nennt. ‹Wabi› heißt eigentlich ‹Ar-mut› oder, negativ ausgedrückt, ‹der feinen Gesellschaft fremd sein›.Arm sein, das heißt unabhängig sein von den Dingen der Welt,Reichtum, Macht und Ansehen, und doch im Innersten die Gegen-wart eines Etwas empfinden, das hoch über Zeit und Rang den Wertdes Unbedingten besitzt – das ist die wesentliche Bedeutung vonWabi. Will man es in Worten des täglichen Lebens ausdrücken, soheißt Wabi, mit einer kleinen Hütte zufrieden sein, mit einem Raumvon zwei oder drei Tatami (Matten) gleich der Hütte THOREAUS3,und mit einem Pflanzengericht, das man auf dem nächsten Feld auf-gelesen hat, und vielleicht dem Tropfenfall eines zarten Frühlings-regens lauschen. Später will ich noch etwas mehr über Wabi sagen,hier aber nur feststellen, daß die Liebe zu Wabi tief in die Kulturdes japanischen Volkes eingedrungen ist. Es ist in Wahrheit die Ver-

2 Über Bilder ähnlicher Art vgl. meine Zen-Essays II und III. Hier ist

das ‹Fischerboot› als eines der bezeichnendsten Beispiele abgebildet.3 HENRY DAVID THOREAU (1817–1862), amerikanischer Philosoph und

Schriftsteller, verbrachte 2 Jahre in völliger Einsamkeit in einer Blockhütteam Walden-See und berichtete darüber in seinem berühmten Tagebuch:‹Walden or the Life in the Woods›. (Anm. d. Red.)

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ehrung der Armut – vermutlich ein höchst angebrachter Kultus ineinem armen Lande wie dem unseren. Bei allem modernen Luxusund allen Annehmlichkeiten des Westens, die über uns gekommensind, haben wir immer noch eine unausrottbare Sehnsucht nach derLiebe zu Wabi. Sogar im geistigen Leben streben wir nicht nachReichtum der Gedanken, nicht nach Glanz oder Strenge in der Füh-rung von Ideengängen und im Aufbau philosophischer Systeme.Still zufrieden zu sein in der mystischen Anschauung der Natur undmit dem weiten All sich eins zu fühlen, scheint uns ein tiefer be-glückendes Geschäft, zum wenigsten manchen von uns.

So ‹zivilisiert› wir sein mögen und aufgewachsen in einer künst-lichen Umwelt, haben wir doch wohl alle eine angeborene Sehnsuchtnach schlichter Einfachheit, die dem natürlichen Lebenszustand nahebleibt. Darum schlagen die Stadtmenschen im Sommer ihr Zelt inden Wäldern auf oder wandern in die Einöden oder suchen die un-betretenen Pfade. Wir möchten ab und zu heimkehren an den Busender Natur und ihren Herzschlag unmittelbar vernehmen. Die Zen-Geistesrichtung, die alle künstlichen Formen der Menschheit durch-bricht und festhalten möchte, was hinter ihnen liegt, hat den Ja-panern geholfen, daß sie den Mutterboden nicht verloren, sondernmit der Natur immer auf freundschaftlichem Fuße blieben und ihreungekünstelte Einfalt zu schätzen wissen. Zen hat keinen Geschmackan Kompliziertheiten, die an der Oberfläche des Lebens liegen. DasLeben selber ist einfach genug, nur wenn es vom Verstand aus be-trachtet wird, bietet es dem analysierenden Geist einen Anblickvon unglaublicher Verworrenheit. Mit dem ganzen Kontrollappa-rat der Wissenschaft haben wir die Geheimnisse des Lebens nochnicht ergründet. Schwimmen wir aber selber in seinem Strom, so glau-ben wir es in all seiner scheinbaren Unendlichkeit der Vielfalt

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und Verwicklungen doch zu begreifen. Sehr wahrscheinlich ist es dereigentümlichste Zug an der Menschheit des Ostens, daß sie das Le-ben von innen statt von außen erfassen möchte. Und Zen hat geradein diese Kerbe geschlagen.

Eine Mißachtung der Form ergibt sich, wenn die Allbedeutungdes Geistes zu sehr beachtet oder betont wird. Auch der ‹Eineckstil›und die Sparsamkeit mit dem Pinselstrich tragen dazu bei, das Sich-erhabenfühlen über konventionelle Regeln zu fördern. Wo man er-warten möchte, einen Linienzug, eine Masse, ein Gegengewicht zufinden, da fehlt es, und doch verursacht gerade dies ein unverhofftesGefühl der Befriedigung. Trotz aller Mängel und Unebenheiten, diegewiß nicht fehlen, empfindet man sie doch nicht als solche, und ge-rade dieses Unvollendete wird zu einer Form des Vollendeten. Offen-bar bedeutet Schönheit nicht notwendig Vollendung der Form. Diesist ein beliebter Kunstgriff der japanischen Meister gewesen: Schön-heit in der Gestalt des Unvollendeten oder sogar des Häßlichen zuverkörpern.

Wo diese Schönheit des Unvollendeten mit dem Altertümlichenoder Ungehobelt-Ursprünglichen verbunden ist, findet man den Hauchdes Sabi, das die japanischen Kenner so hoch schätzen. Altertüm-liches und Ursprüngliches brauchen nicht zeitgemäß zu sein. Wennein Kunstwerk auch nur oberflächlich das Gefühl des Vergangenenaufweckt, liegt Sabi in ihm. Sabi besteht in ländlicher Anspruchs-losigkeit oder archaischer Unvollkommenheit, anscheinender Schlicht-heit oder Mühelosigkeit der Ausführung und Reichtum an histori-schen Erinnerungen – die aber nicht immer vorhanden sein müs-sen –, und letzten Endes hat es etwas Unerklärbares in sich, dasdem betreffenden Werk den Rang einer künstlerischen Schöpfungverleiht. Man pflegt eben dieses aus dem Zen-Charakter abzuleiten.

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Die Geräte, die man im Teeraum verwendet, sind zumeist von dieserArt.

Das künstlerisch Wesenhafte, das Sabi ausmacht – wörtlich be-deutet dies Alleinsein oder Einsamkeit – hat ein Teemeister mit fol-genden Versen angedeutet:

‹Wenn ich herauskommeIn dies FischerdorfSpät am herbstlichen Tag,Da finde ich keine BlumenUnd kein leuchtendes Ahornlaub.4›

Einsamkeit lenkt in der Tat zur Beschaulichkeit und eignet sichnicht zu irgendeiner Schaustellung. Sie mag höchst armselig, unbe-deutend und erbarmungswürdig aussehen, besonders wenn man siegegen eine moderne oder abendländische Umgebung stellt. Alleinsein ohne wehende Fahnen und krachendes Feuerwerk, allein unterunendlich wechselnden Formen und Farben – das ergibt eigentlichüberhaupt nichts Sehenswertes. Man nehme irgendeine japanischeSumi-ye-(Tusche-) Skizze, vielleicht mit HAN-SHAN und SHI-TE5, undhänge sie in eine europäische oder amerikanische Gemäldegalerie,so wird man sehen, ob sie irgendeine Wirkung auf den Sinn derBesucher ausübt. Das Ideal der Einsamkeit ist dem Osten eigentüm-lich und ist nur da heimisch, wo es entstanden ist.

Nicht allein das Fischerdorf am herbstlichen Abend entspringtdiesem Gefühl der Einsamkeit, auch ein Flecken Grün im beginnen-den Frühling – und vielleicht drückt dieses noch besser als jenes das

4 Von FUJIWARA SADAIYE (1162 – 1241).5 Zen-Dichter und Einsiedler der T’ang-Dynastie.

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Ideal des Sabi oder Wabi aus. Denn in dem grünen Fleckchen liegtdie Andeutung des Lebenstriebs mitten in der winterlichen Öde, wieman im folgenden Einunddreißigsilbengedicht liest:

‹Wer allein nach der Kirschenblüte sich sehnt,Dem möchte ich den Frühling zeigen,Wie er aus einem Fleckchen Grün aufglänztInmitten des schneebedeckten Dorfs in den Bergen.6›

Dies stammt von einem der alten Teemeister und spricht vollkom-men das Sabi aus, als den leitenden Grundsatz des Teekults, des Cha-no-yu. Ein ganz schwaches Beginnen der Lebenskraft äußert sichin der Form eines winzigen Fleckens Grün, aber wer ein Auge hat, zusehen, kann darin sogleich den Frühling spüren, der unter der dich-ten Schneedecke sich schon emporhebt. Es ist vielleicht nur eine Ah-nung, die hier sein Herz berührt, aber dennoch ist es das Leben sel-ber und nicht bloß ein schwaches Zeichen seiner Macht. Für denKünstler liegt darin das Leben in seiner vollen Kraft und nicht we-niger, als wenn das ganze Feld mit Grün und Blüten bedeckt wäre.Man kann dies als die mystische Einstellung des Künstlers ansehen.

6 Von FUJIWARA IYETAKA (1158 – 1237).

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Vorliebe für das Asymmetrische

Asymmetrie ist ein anderer Zug, der die japanische Kunst kenn-zeichnet. Dieser Grundsatz ist ohne Zweifel aus dem ‹Eineckstil› desMA YUAN abgeleitet. Die klarsten und ausdrucksvollsten Beispielefindet man in den Grundrissen der buddhistischen Tempel. Hier lie-gen vielleicht die Hauptgebäude wie das hochgetürmte Tor, die Dhar-ma-Halle, die Buddha-Halle und andere in einer geraden Flucht,allein die ergänzenden oder minder wichtigen Baulichkeiten, oftsogar die wichtigsten, sind nicht symmetrisch wie Flügel zu beidenSeiten der Achse angeordnet. Sie liegen meist unregelmäßig überden Klosterbezirk verstreut, je nach den Besonderheiten des Gelän-des. Man kann sich leicht davon überzeugen, wenn man einige buddhi-stische Tempel in den Bergen besucht, zum Beispiel den Schrein desJyeyasu in Nikko. Es darf gesagt werden, daß Asymmetrie charakte-ristisch für diesen Teil der japanischen Baukunst ist.

Ein Zeugnis dafür ist auch der Aufbau des Teeraums. Blickenwir nur zur Decke empor, so ist sie auf mindestens drei verschiedeneArten ausgeführt, oder auf die Gerätschaften, die zur Bereitung undzum Genuß des Tees dienen, oder auch auf die Anordnung der Weg-steine und Steinpforten im Garten. Da finden wir ebenso viele Bei-spiele von Asymmetrie oder sozusagen von Unvollkommenheit odervom ‹Eineckstil›.

Manche japanische Psychologen versuchen diese Vorliebe unse-rer Künstler für das unsymmetrisch Geformte, dieses Widerstre-ben gegen die regelhaften oder besser geometrischen Kunstgesetzedurch die Theorie zu erklären, die Menschen seien dazu erzogenworden, sich nirgends aufzudrängen, sondern eher im Hintergrundzu bleiben, gleichsam sich selber zu verwischen, und die so entstan-dene Gesinnung der Selbstauslöschung zeige sich nun in der Kunst

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darin, daß der Künstler die wesentliche Mitte einfach leer lasse. Mei-ner Ansicht nach ist diese Theorie nicht ganz zutreffend. Ist die Er-klärung nicht viel einleuchtender, daß der künstlerische Genius desjapanischen Volkes durch die Zen-Anschauung geformt worden ist,nach der jedes Einzelding in sich selber vollkommen ist und zugleichdas Wesen der Ganzheit in sich verkörpert, das dem All-Einen zu-gehört?

Das Prinzip einer asketischen Ästhetik ist nicht so grundlegendwie das der Zen-Ästhetik. Die künstlerischen Impulse sind ursprüng-licher oder tiefer eingeboren als die moralischen Antriebe. Die Kunstspricht unmittelbarer zum Wesen des Menschen. Die Sittenlehresetzt Regeln, aber die Kunst ist schöpferisch. Das eine ist ein An-spruch von außen her, das andere ein ununterdrückbares Sichäußerndes Inneren. Zen ist unlösbar verbunden mit der Kunst, nichtaber mit einer Sittenlehre, Zen kann ohne Moral bleiben, abernicht ohne Kunst. Wenn der japanische Künstler Dinge schafft, dievom Standpunkt der Form unvollkommen sind, und wenn er sogargeneigt ist, den künstlerischen Antrieb dazu dem beliebten Begriffeines moralischen Asketentums zuzuschreiben, so brauchen wir sei-ner eigenen Auslegung so wenig wie der der Kenner allzuviel Ge-wicht beizulegen. Unser bewußtes Verhalten ist im allgemeinen keinsehr verläßlicher Maßstab der Beurteilung.

Mag es damit wie immer bestellt sein, so bleibt die Asymmetriegewiß ein bezeichnendes Merkmal japanischer Kunst. Das ist aucheiner der Gründe, daß eine gewisse Leichtigkeit und Anmut denjapanischen Werken eigentümlich ist. Symmetrie erzeugt ein Gefühlvon Schönheit, Würde und Eindrücklichkeit ebenso wie die formaleLogik oder der Aufbau abstrakter Gedankensysteme. Die Japanergelten vielfach nicht für verstandesmäßig und philosophisch einge-

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stellt, weil ihre Kultur im ganzen nicht so vom Verstande aus ge-staltet und durchdrungen ist. Diese Beobachtung hängt, glaube ich,mit der japanischen Vorliebe für das Asymmetrische zusammen.Der Verstand strebt seinem Wesen nach zum Gleichgewicht, und derJapaner ist imstande, darauf gar nicht zu achten, ja, dem Unausge-glichenen mit Vorliebe sich zuzuneigen.

Unausgeglichenheit, Asymmetrie, ‹Eineckstil›, Armut, Vereinfa-chung, Sabi oder Wabi, Einsamkeit und andere verwandte Ideale alsdie offenbaren und bezeichnendsten Wesenszüge japanischer Kunstund Kultur – sie alle sind Ausstrahlungen des einen zentralen Ge-dankens der Zen-Wahrheit: des Einen in Allem und des Alls in demEinen.

Die Klöster als Zentren geistiger und künstlerischer Bildung

Eine der Ursachen, daß Zen die künstlerischen Impulse des japa-nischen Volks angeregt und gesteigert, daß es ihre Schöpfungen mitseinen Idealen durchdrungen hat, liegt in folgenden Tatsachen. DieZen-Klöster waren die Mittelpunkte der Bildung und der Kunst zummindesten während der Kamakura- und der Ashikaga-Zeit7. DieZen-Priester hatten dauernd Gelegenheit, mit fremden Kulturwel-ten in Berührung zu stehen. Das Volk im allgemeinen und besondersdie herrschende Klasse suchte bei den Zen-Priestern Vorbild undAntrieb ihrer schöpferischen Betätigung. Diese selber waren Ge-lehrte, Künstler und Mystiker. Sie wurden sogar von den staatlichenMachthabern darin unterstützt, daß sie Reisen unternahmen unddie ausländischen Erzeugnisse von Kunst und Handwerk nach Ja-

7 15. Jh. bis Mitte des 16. Jhs. (Anm. d. Red.)

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pan brachten. Die Aristokratie und die politisch einflußreichenKlassen Japans waren die Förderer ihrer Einrichtungen und unter-warfen sich selber gern den Zen-Übungen. So übte Zen nicht bloßunmittelbar auf das religiöse Leben Japans, sondern auch in stärk-ster Weise auf die Kultur überhaupt seinen Einfluß aus.

Die Tendai-, die Shingon- und die Jodo-Schule8 haben vor allemdazu beigetragen, die Japaner von Grund aus mit dem Geist desBuddhismus zu durchtränken. Durch ihr Bilderwesen haben sie dasGefühl für Plastik, farbenprächtige Malerei, Baukunst, edle Gewebeund die Metallarbeit stark entwickelt. Allein die Tendai-Philosophieist zu abstrakt und verworren, um von der Menge begriffen zu wer-den, das Shingon-Ritual zu reich ausgestaltet, zu verwickelt und da-her auch zu kostspielig, um volkstümlich zu sein. Shingon und Ten-dai haben herrliche Bildwerke, Gemälde und kunstvolle Gerätschaf-ten für ihren täglichen Gottesdienst geschaffen. Die berühmtesten‹Kunstschätze der Nation› stammen aus der Tempyo-, der Nara- undder Heian-Periode9, während deren diese beiden buddhistischenSchulen im Aufblühen waren und mit den gebildeten Volkskreisenin enger Verbindung standen. Die Jodo-Schule verkündigt die Lehrevom Reinen Lande, mit all seinem Glanz des Buddhas des unend-lichen Lichtes und seines Gefolges von Bodhisattvas, und sie be-geisterte so die Künstler zu den wundervollen Amida-Bildern, dieverschiedene buddhistische Tempel Japans bewahren. Nichiren- undShin-Schule sind Schöpfungen rein japanischer Religiosität. Nichi-ren hat unserer Kunst und Kultur keinen besonderen Antrieb gege-ben; die Shin-Schule ist eher bilderfeindlich gewesen und hat an

8 Diese sind mit der Shin- und Nichiren-Schule die bedeutendsten Schu-

len des japanischen Buddhismus.9 Anfang des 8. bis Ende des 12. Jhs. (Anm. d. Red.)

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Kunst und Literatur nichts Nennenswertes hervorgebracht mit Aus-nahme der Wasan-Gesänge und der Sendschreiben, besonders desRennyo (1415 – 1499).

Zen ist nach Shingon und Tendai nach Japan gekommen und so-gleich von der Kriegerklasse begeistert aufgenommen worden. Eswar mehr oder weniger ein geschichtlicher Zufall, daß Zen der vor-nehmen Priesterschaft entgegentrat. Der hohe Adel wollte anfangsauch von der neuen Lehre nichts wissen, benutzte seinen politischenEinfluß und setzte sich Zen entgegen. Im Anfang der japanischenZen-Geschichte hielt sich Zen darum fern von der Hauptstadt Kyotound begründete seinen Hauptsitz unter dem Schutze des Hojo-Hau-ses in Kamakura. Dieses als der damalige Mittelpunkt der Feudal-regierung wurde auch zum Hauptquartier der Zen-Schulung. VieleZen-Priester aus China ließen sich in Kamakura nieder und fandendie mächtigste Förderung durch HOJO TOKIYORI, HOJO TOKIMUNE,ihre Nachfolger und Gefolgsleute.

Die chinesischen Meister brachten viele Kunstwerke und Künst-ler mit sich in das Land, und die Japaner, die aus China zurückkehr-ten, trugen ebenfalls Werke der Kunst und Literatur nach Hause.Bilder von MU-CH’I, LIANG K’AI, MA YUAN und anderen fanden soihren Weg nach Japan, Handschriften der berühmten chinesischenZen-Meister gelangten ebenso in unsere Klöster. Die Schrift ist inOstasien eine Kunst so gut wie die Sumi-ye-(Tusche-)Malerei, siewurde unter den gebildeten Klassen in der alten Zeit ganz allge-mein geübt und geehrt. Der Geist, der aus den Zen-Bildern undZen-Schriften sprach, machte den stärksten Eindruck auf sie, er fandbereitwillige Aufnahme und Nachfolge. In ihm ist etwas Mann-haftes und Unerschütterliches. Die milde, verfeinerte und anmut-volle – man möchte fast sagen weibliche – Manier, die in den Zeiten

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vor der Kamakura-Periode vorgeherrscht hatte, weicht jetzt demmännlichen Ideal, das vor allem in der Plastik und der Schrift dieserZeit seinen Ausdruck findet. Die rauhe Mannhaftigkeit, die den Krie-gern der Kwanto-Gegenden eigen ist, ist sprichwörtlich gewordenund steht in schroffem Gegensatz zu der Anmut und Verfeinerungder Hofleute von Kyoto. Dieses ritterliche Wesen, das seine mystischeGeistesrichtung, seine Erhabenheit über weltliche Geschäfte betont,legt den höchsten Wert auf die Willenskraft. In dieser besonderenHinsicht geht Zen Hand in Hand mit dem Geiste des Bushido.

Dazu kommt ein anderer Zug der Zen-Schulung oder besser desklösterlichen Lebens, in dem Zen sein Lehrsystem durchführt. Dadas Kloster zumeist in den Bergen liegt, so stehen seine Insassen inder innigsten Verbindung mit der umgebenden Natur, sie sind ihrenahen, mitfühlenden Schüler und Erforscher. Sie beobachten die Ge-wächse, die Vögel, das Wild, die Felsen, die Bäche und alle die Na-turerscheinungen, die dem Menschen in der Stadt fremd und un-beachtet bleiben. Und das Eigentümliche ihrer Beobachtung ist es,daß diese ihre Weltanschauung oder besser ihre Intuition tiefsinnigwiderspiegelt. Es ist nicht die eines bloßen Naturforschers. Sie dringtin das Leben der Dinge selber ein, mit denen der Mönch sich be-schäftigt. Was für ein Stück Natur er malend wiedergeben mag, esmuß unweigerlich seine Intuition aussprechen. Den Geist der Bergespürt man leise atmend in seinen Werken.

Die grundlegende Anschauung, welche die Zen-Meister durch ihreSchulung gewinnen, regt offenbar ihre künstlerische Begabung an,wenn sie überhaupt Sinn für die Kunst besitzen. Das intuitive Schau-en scheint eng mit dem Gefühl für Kunst verbunden zu sein, dasdie Meister veranlaßt, Schönheit zu erschaffen, das heißt den Sinnfür Vollkommenheit selbst durch das Häßliche und Unvollkommene

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auszusprechen. Die Zen-Meister geben vielleicht keine guten Philo-sophen ab, jedoch sehr häufig edle und große Meister der Kunst,sogar ihr technisches Können ist sehr oft vom höchsten Range. Dazuaber verstehen sie, uns gerade das Einzigartige und Ursprünglichezu vermitteln. Ein Beispiel dafür ist MUSÔ, der ‹Lehrer der Nation›(1275 – 1351), zur Zeit des ‹nördlichen› und ‹südlichen Hofes› im14. Jahrhundert. Er war ein feiner Schriftkünstler und ein großerLandschaftsgärtner. Wo immer er sich niederließ, an einer Reihe vonOrten in Japan, entwarf er herrliche Gärten, von denen einzelne nochvorhanden und durch den Wechsel der Zeiten wohlerhalten geblie-ben sind. Unter den bekannten Zen-Malern des 14. und 15. Jahrhun-derts sind CHO DENSU (gestorben 1431), REISAI (wirkte um 1435),JŌSETSU (1410), SHUBUN (wirkte 1414 – 1465), SESSHU (1421 bis1506) und andere anzuführen.

Nach GEORGES DUTHUIT, dem Verfasser von ‹Chinesische Mystikund moderne Malerei›, der den Geist der Zen-Mystik begriffen zu ha-ben scheint, liegt die Sache so: ‹Wenn der chinesische Künstler malt,so ist ihm das Wesentliche die Konzentration des Gedankens und dieunmittelbare, kraftvolle Reaktion der Hand auf den leitenden Wil-len. Seine Überlieferung heißt ihn das Werk, das er schaffen will,zuerst als ein Ganzes sehen oder besser empfinden, bevor er mitder Ausführung beginnt. ,Sind die Gedanken eines Menschen ver-worren, so wird er der Knecht äußerer Bedingungen.’ Und weiter:,Wer überlegt und den Pinsel bewegt mit der Absicht, ein Bild zuschaffen, wird die wahre Kunst der Malerei gewißlich verfehlen.’Diese erscheint wie eine Art selbsttätiges Schreiben. Zeichne zehnJahre lang Bambus, werde selber zum Bambus. Dann vergiß alles, wasBambus heißt, wenn du malst! Im Besitz eines unfehlbaren Kön-nens unterwirft sich der Mensch unter die Gnade der Eingebung.›

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Zum Bambus zu werden und dann zu vergessen, daß man eins mitihm ist, während man malt – das ist das Zen des Bambus, dasheißt im ‹Lebensrhythmus des Sinnes› sich bewegen, der im Bambusebenso wie im Künstler selber atmet. Was hier gefordert wird, be-deutet ein sicheres Erfassen des Sinnes und doch sich dessen bewußtsein. Dies ist eine unendlich schwere geistige Aufgabe, die nur nachlanger geistiger Übung zu bewältigen ist10. Die Menschen des Ostenssind seit der frühen Geschichte ihrer Kultur dazu angehalten worden,dieser Art Schulung sich zu unterwerfen, wenn sie auf dem Gebietder Kunst und des Glaubens etwas erreichen wollten. Zen hat diesmit dem Wahrspruch angedeutet: ‹Das Eine in Allem und das Allim Einen.› Wo dies vollkommen begriffen wird, da ist schöpferi-sches Genie.

Die fundamentale Bedeutung des Satzes vom‹Einen in Allem und Allem im Einen›

Es ist hier von höchster Wichtigkeit, diesen Satz in seinem wahrenSinn zu erläutern. Die Leute pflegen sich einzubilden, es bedeutenichts anderes als Pantheismus, und einzelne Gelehrte, die über Zenschreiben, scheinen damit einverstanden. Das ist bedauerlich, dennPantheismus ist weit entfernt von Zen und auch von der wirklichenEinstellung des Künstlers zu seinem Werk. Wenn die Zen-Meistererklären, das Eine sei in Allem und das All im Einen, so meinen sienicht, es gebe ein Ding, das man das Eine oder das All heißt, undes liege das eine im andern oder umgekehrt. Da das Eine in Allemist, so bildet man sich ein, Zen sei eine pantheistische Lehre. Weit

10 Vgl. TAKUAN, Vom Unbewegten Begreifen. S. 75 ff.

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entfernt! Zen anerkennt weder das Eine noch das All als etwas von-einander Unterschiedenes. Der Satz ‹Eines in Allem, Alles in Einem›ist als die vollständige Feststellung einer unbedingten Tatsache zuverstehen und nicht in seine Einzelbegriffe zu zerlegen. Wenn wirden Mond erblicken, so wissen wir, es ist der Mond, und das ge-nügt. Wer die Erfahrung zergliedern und eine Erkenntnistheorie auf-bauen will, der ist kein Zen-Jünger. Er hört auf, es zu sein, wenn eres je gewesen ist, und zwar in dem Augenblick, wo er zergliedernwill. Zen steht fest zu seiner Erfahrung, zu seinem Erlebnis, undlehnt es ab, sich irgendeinem philosophischen System zu unterwer-fen.

Selbst da, wo Zen sich auf eine verstandesmäßige Erörterungeinläßt, hat es niemals einer pantheistischen Weltdeutung zuge-stimmt. Denn zum ersten gibt es kein Eines für Zen. Wenn Zenüberhaupt von dem Einen spricht, als ob es dies anerkenne, so bedeu-tet dies nur ein Sichherablassen zum gewöhnlichen Sprachgebrauch.Für den Zen-Jünger ist das Eine das All und das All das Eine. Einesist immer dasselbe wie das andere, und beide sind niemals zu tren-nen. Die Dinge sind in und durch Sunyata (Leere) mit all ihrer So-beschaffenheit (tathata). Diese Sobeschaffenheit ist die Leere selbst.Tathata ist Sunyata und Sunyata ist Tathata.

Das folgende Mondo11 mag deutlicher erklären, was ich über dieZen-Einstellung zu der sogenannten pantheistischen Deutung derNatur betonen möchte.

Ein Mönch fragte T’OU-TZE, einen Zen-Meister der T’ANG-Zeit:Wenn ich recht verstehe, sind alle Laute die Stimme des BUDDHA. Istdies richtig?› Der Meister sprach: ‹Es stimmt.› Und der Mönch fuhrfort: ‹Könnte der Meister nicht aufhören, ein Geräusch hervorzu-

11 Lehrgespräch.

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bringen, das den Laut einer gärenden Masse Kot widertönt?› Daraufschlug der Meister den Mönch.

Der Mönch fragte weiter den T’OU-TZE: ‹Habe ich recht, wenn ichdie Lehre des BUDDHA dahin verstehe, daß alles Reden, so gewöhn-lich oder schädlich es auch sei, ein Teil der höchsten Wahrheit ist?›Der Meister sprach: ‹Ja, du hast recht.› Der Mönch fuhr fort: ‹Darfich Euch dann einen Esel heißen?› Darauf schlug ihn der Meister.

Es wird nötig sein, dieses Mondo in verständlichen Worten zuerklären. Jeden Laut, jeden Lärm, jedes mögliche Gerede als demBrunnquell der einen Wirklichkeit, das heißt des göttlich Einen ent-springend zu erklären, ist Pantheismus, stelle ich mir vor. Denn ‹ergab allem Leben, Odem und alle Dinge› (Apostelgeschichte 17, 25)und wiederum: ‹In ihm leben, weben und sind wir› (Apostelge-schichte 17, 28). Wenn dies der Fall ist, so tönt auch aus eines Zen-Meisters rauher Kehle der melodische Widerhall der Stimme, die demgoldenen Mund des BUDDHA entströmt, und sogar wenn einem gro-ßen Lehrer nachgesagt wird, er erinnere einen an einen Esel, mußauch diese Beschimpfung als Widerhall irgendeiner höchsten Wahr-heit gelten. Alle Formen des Bösen müssen irgendwie das Wahre,Gute und Schöne verkörpern und ein Beitrag zur Vollkommenheitder wahren Wirklichkeit sein. Um es noch genauer zu sagen: schlechtist gut, häßlich ist schön, unvollkommen ist vollkommen und eben-so umgekehrt. Das ist in der Tat der Gedankengang jener, die mei-nen, das göttliche Wesen sei allen Dingen immanent. Und man hatZen oft den Vorwurf gemacht, in seinen Darlegungen stecke dieselbeTendenz.

Allein T’OU-TZE trat mit dem Fuß auf eben solche verstandes-mäßigen Auslegungen und schlug den Mönch. Dieser hatte höchst-wahrscheinlich erwartet, er habe den Meister mit seinen Folgerun-

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gen, die aus seiner vorherigen Zustimmung logisch sich ergeben, aus-gestochen. Der Meister wußte, wie alle Zen-Meister, es wäre nutzlos,den Mönch mit Worten zu widerlegen. Denn das Wortespalten führtvon einer Verwicklung in die andere, und da wäre kein Ende. Viel-leicht der einzig wirksame Weg, jemandem wie dem betreffendenMönch die Verkehrtheit seines gedankenmäßigen Begreifens ver-ständlich zu machen, ist, ihn zu schlagen und ihn so an sich selberdie Wahrheit des ‹Eins in Allem und Alles in Einem› fühlen zu las-sen. So wird er zum Erwachen aus seinem logischen Schlafzustandaufgerufen. Daher T’OU-TZES Radikalmittel.

HSÜEH-TOU gibt einen Kommentar dazu in folgenden Versen:

‹Schade, daß Menschen ohne Zahl ihr Spiel mit der rollenden Flut-woge treiben,

Denn alle verschlingt sie zuletzt und läßt sie untergehn.Machet sie plötzlich erwachen (aus der Sackgasse),Schauen, wie alle die Flüsse, schwellend und steigend, nach rück-

wärts strömen!›

Hier ist eine plötzliche Umkehr, ein plötzliches Erwachen not-wendig, durch welches die Zen-Wahrheit dem Menschen aufgeht.Diese ist weder Transzendenz noch Immanenz, noch eine Verquik-kung von beiden. Die Wahrheit ist so, wie sie T’OU-TZE im folgendenGespräch erklärt:

Ein Mönch fragt: ‹Was ist der BUDDHA?›T’OU-TZE antwortet: ‹Der BUDDHA.›Der Mönch: ‹Was ist Tao?›T’OU-TZE: ‹Tao.›Der Mönch: ‹Was ist Zen?›

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T’OU-TZE: ‹Zen.12›Der Meister antwortet wie ein Papagei, er ist das Echo selber. In

der Tat aber gibt es keinen anderen Weg, den Sinn des Mönchs zu er-leuchten, als die Bestätigung: was ist, ist – und dies ist die endgülti-ge Erfahrungstatsache.

Nun noch ein anderes Beispiel zur Erläuterung. Ein Mönch fragteden CHAO-CHOU; einen Meister der T’ang-Zeit: ‹Es steht geschrie-ben, der vollkommene Pfad kenne keine Schwierigkeiten, doch ver-achte er jegliche Unterscheidung. Was ist unter Nichtunterscheidungzu verstehen?›

CHAO-CHOU sprach: ‹Über den Himmeln und unter den Himmelnbin ich allein der Eine Hochverehrte.›

Der Mönch bemerkte: ‹Noch immer eine Unterscheidung!›Des Meisters Antwort war: ‹O dieser unnütze Bursche! Wo ist die

Unterscheidung?›Der Mönch blieb sprachlos.Mit Unterscheidung meinen die Zen-Meister nicht die Wahrneh-

mung und Anerkennung von Tatsachen, so wie sie sind, sondern dasverstandesmäßige Fortschreiten des Nachdenkens über sie, des Zer-gliederns in Begriffe und endlich des Wiederkauens derselben ineinem unfruchtbaren Kreislauf der Überlegung. CHAO-CHOUS Beja-hung ist endgültig, sie läßt keine Zweideutigkeit und keine Beweis-führung zu. Wir haben sie in ihrem sichtbaren Sinne anzunehmenund damit zufrieden zu sein. Falls wir sie aus irgendeinem Grundenicht annehmen können, so lassen wir sie einfach stehen und gehen

12 Diese Mondo von T’OU-TZE, HSÜEH-TOUS dichterische Kommentare und

CHAO-CHOUS ‹Nicht-Unterscheidung› stammen aus dem Pi-yen-chi, einerSammlung von Zen-Texten. Das Pi-yen-chi ist für ungeschulte Leser einBuch mit sieben Siegeln.

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an einen anderen Ort, um unsere eigene Erleuchtung zu suchen. DerMönch vermochte den Standort CHAO-CHOUS nicht zu fassen, gingweiter und bemerkte: ‹Das ist noch immer eine Unterscheidung!›Die Unterscheidung war aber in Wirklichkeit auf der Seite des Mönchs,und nicht CHAO-CHOUS. Daher verwandelte sich der ‹Eine Hochver-ehrte› in einen ‹unnützen Burschen›.

Wie ich schon zuvor bemerkte, darf der Satz ‹Alles in Einem undEines in Allem› nicht zuerst in die Begriffe ‹Eines› und ‹Alles› zer-legt und dann das Bindewort dazwischen gesetzt werden. Hier istkeine Unterscheidung vorzunehmen, sondern das Ganze zu ergrei-fen und in ihm Ruhe zu finden. Das ist alles, was hier gefordertwird. Der Meister schlägt zu oder scheint zu verhöhnen, nicht weil erempört oder jähzornig ist, sondern weil er damit seine Schüler ausdem Brunnenloch herausreißen will, in das sie gefallen sind. Hierhilft keine noch so lange Beweisführung und keinerlei Überzeugenmit Worten. Der Meister allein weiß, wie er sie aus der logischenSackgasse herausführen und ihnen einen neuen Weg öffnen kann:sie sollen ihm ganz einfach folgen. Wenn sie ihm folgen, kehrensie alle heim in ihre ursprüngliche Heimat.

Das, was man ein intuitives oder erfahrendes Begreifen der Tat-sache ‹Alles in Einem und Eines in Allem› heißen kann, ist die grund-legende Wahrheit des Buddhismus, die von allen seinen verschiede-nen Schulen gelehrt wird. In der Bezeichnungsweise der Prajna-Schule des Buddhismus ist Sunyata gleich Tathata, und Tathata istSunyata: Sunyata oder Leere ist die Welt des Absoluten, und Tatha-ta oder die Sobeschaffenheit ist die Welt des Gesonderten. Einerder gebräuchlichsten Zen-Sprüche lautet: Weiden sind grün, undBlumen sind rot. Die Welt des Gesonderten wird hier bejaht, in der,wiederum, Bambus gerade und Kiefern knorrig verwachsen sind.

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Erfahrungstatsachen werden anerkannt, wie sie sind, Zen ist keinNihilismus. Allein zu gleicher Zeit gehören sie alle der Leere an,freilich nicht in ihrem relativen, sondern im absoluten Sinn. Leereim absoluten Sinn ist nicht ein Begriff, den man auf dem Wege zer-gliedernder Überlegung erreicht, sondern ebensosehr eine Erfah-rungstatsache wie der gerade Wuchs des Bambus und das Rotseineiner Blume. Denn es ist die Feststellung einer intuitiven oder wahr-nehmenden Anschauung. Wenn der Sinn des Menschen, anstatt nachaußen in die Richtung des Verstandes zu gehen, seine Aufmerksam-keit nach innen lenkt, so erfaßt er, daß alle Dinge aus der Leere kom-men und zu ihr heimkehren und daß dieses Hinausgehen und wie-der Heimkehren nur eine einzige Bewegung ist, obgleich wir es sobeschreiben müssen, als wären es zwei. Diese dynamische Gleichset-zung als solche ist die Grundlage all unserer Erfahrung, und auf ihrberuht das ganze Spiel unseres tätigen Lebens. Zen lehrt uns, biszu dieser Grundlage hinabzugraben. Aus diesem Gesichtspunkt ant-wortet der Meister, wenn er gefragt wird: ‹Was ist Zen› zuweilen‹Zen› und zuweilen ‹Nicht-Zen›.

Jetzt vermögen wir einzusehen, wie der Grundsatz der Sumi-ye-(Tusche-) Malerei aus der Zen-Erfahrung abgeleitet ist und wie Un-mittelbarkeit, Einfalt, Bewegung, Geistigkeit, Vollendung und ähn-liche Eigenschaften, die wir im Sumi-ye-Stil der ostasiatischenMalerei beobachten, organisch mit Zen verbunden sind. Es gibt kei-nen Pantheismus im Sumi-ye, wie es keinen in Zen gibt.

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3. ZEN UND DER SAMURAI

Zen und kämpferische Gesinnung

Es kann merkwürdig erscheinen, daß Zen auf irgendeine Weisemit dem Geist der Kriegerklasse Japans in Verbindung stehen soll.Der Buddhismus, welche Form immer er in den verschiedenen Län-dern seiner Ausbreitung angenommen hat, ist eine Religion des Mit-leidens, und in seiner ganzen reichen Geschichte ist er nie in kriegeri-sches Handeln hineingezogen worden. Wie kommt es also, daß Zenden kämpferischen Geist des japanischen Rittertums gekräftigt hat?In Japan ist Zen vom Anbeginn seiner Geschichte mit dem Lebendes Samurai aufs innigste verknüpft gewesen. Wenn es auch diesenniemals aktiv dazu aufgefordert hat, sein blutiges Handwerk fort-zuführen, hat es ihn doch passiv darin bestärkt, wenn er aus irgend-einem Grunde diese Laufbahn einmal betreten hatte. Zen hat ihn inzweierlei Weise, sittlich und weltanschaulich, gestärkt. Sittlich, dennZen ist ein Glaube, der lehrt, nicht rückwärts zu blicken, wenn dieRichtung des Weges einmal entschieden ist. Weltanschaulich, dennLeben und Tod sind für Zen nicht zweierlei Dinge. Jenes Nichtrück-wärtsblicken entspringt letzten Endes auch seiner weltanschaulichenÜberzeugung, aber da Zen eine Religion des Willens ist, so wendetes sich mehr als sittliche Forderung denn als weltanschauliche Lehrean den Geist des Samurai. Vom philosophischen Standpunkt aus trittZen für die Intuition und gegen den Verstand ein, denn Intuitionist der geradere Weg zur Wahrheit. Sittlich und weltanschaulich alsohat Zen eine große Anziehungskraft für die Kriegerklasse beses-sen, deren Sinn verhältnismäßig schlicht und keineswegs dem Philo-sophieren zugeneigt ist – gerade dies ist ja eine der wesentlichen

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Eigenschaften des Kämpfers –, daher auch in Zen eine wesensver-wandte Einstellung erblicken mußte. Dies ist wahrscheinlich eine derHauptursachen für die enge Verbindung zwischen Zen und demSamurai.

Zweitens ist die Zen-Schulung einfach, unmittelbar, selbstbewußt,selbstüberwindend, und diese asketische Richtung steht der kämp-ferischen Gesinnung nahe. Der Kämpfer kann nur einen Gedanken,nur einen Gegenstand vor Augen haben, nämlich zu kämpfen undnicht nach rückwärts oder seitwärts zu blicken. Geradeaus marschie-ren, um den Feind zu vernichten, ist alles, was von ihm verlangtwird. Darum muß er unbelastet bleiben, sei es körperlich, gefühls-mäßig oder geistig. Verstandesmäßige Bedenken sind, wenn sieüberhaupt im Sinne des Kämpfers Eingang finden, starke Hinder-nisse für seine Vorwärtsbewegung. Gefühlsmäßige und körperlicheBeschwerungen aber sind die schwersten Hemmungen, denen er aus-gesetzt sein kann, wenn er mit Erfolg in seinem Beruf sich betätigenwill. Tüchtige Kämpfer sind zumeist Asketen oder Stoiker, das heißt:sie besitzen eine eiserne Willenskraft. Wenn es not tut, kann Zenihnen diese Tugenden schenken.

Drittens besteht eine historische Verbindung zwischen Zen undder japanischen Kriegerklasse. EISAI13 (1141 – 1215) gilt allgemeinals der erste buddhistische Priester, der Zen nach Japan gebracht hat.Allein sein Wirken war mehr oder weniger auf Kyoto beschränkt,und Kyoto war zu jener Zeit der Mittelpunkt der älteren buddhi-stischen Schulen. Die Einführung eines neuen Glaubens war bei demstarken Widerstand derselben hier nahezu unmöglich. EISAI sah sichin gewissem Umfang zu Kompromissen und zu einer versöhnlichenHaltung gegenüber Tendai und Shingon genötigt. In Kamakura aber,

13 YOSAI soll, wie ich höre, die richtige Aussprache des Namens sein.

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dem Sitz der Hojo-Regierung, bestanden keine derartigen Schwierig-keiten. Die Gesinnung der Hojo-Leute war kriegerisch, da sie dieNachfolger des Minamoto-Geschlechts waren, das selber sich gegendie Sippe der Taira und den Hofadel empört hatte. Dieser letzterehatte seinen Einfluß als regierende Macht durch übermäßige Verfei-nerung, weibisches Wesen und Entartung verloren. Die Hojo-Regie-rung ist bekannt für ihre strenge Einfachheit, ihre sittliche Selbst-zucht wie für ihren machtvollen Verwaltungs- und Kriegsapparat.Die führenden Köpfe dieser kräftigen Regierungsmacht erkoren sichZen zum geistigen Leitstern, da sie von der Tradition auch im Reli-giösen nichts wissen wollten. So mußte denn Zen mit Notwendig-keit einen mannigfachen Einfluß auf die Kultur Japans gewinnen.Es hat ihn seit dem 13. Jahrhundert, während der ganzen Ashikaga-Zeit und auch noch unter den Tokugawa ausgeübt.

Zen besitzt kein eigentliches Lehrgebäude oder philosophischesSystem aus starren Begriffen und logischen Lehrsätzen, es machtlediglich den Versuch, den Menschen aus den Fesseln von Geburtund Tod zu erlösen, und zwar durch eine bestimmte intuitive Artdes Begreifens, die ihm allein eigentümlich ist. Darum vermag essich mit großer Schmiegsamkeit fast jeder weltanschaulichen odersittlichen Lehre anzupassen, solange seine intuitive Unterweisungdurch sie nicht gestört wird. Es kann sich mit anarchistischen oderfaschistischen, kommunistischen oder demokratischen Idealen, mitAtheismus oder Idealismus, mit jedem politischen oder wirtschaft-lichen Dogma befreunden. Immerhin ist Zen im allgemeinen voneinem gewissen revolutionären Kampfgeist beseelt, und wenn dieEntwicklung in eine Sackgasse führt, sowie es häufig bei einem herr-schenden Konventionalismus, Formalismus und verwandten Ismender Fall ist, so offenbart sich Zen wohl einmal als eine zerstörende

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Kraft. Der Geist der Kamakura-Zeit stand in dieser Hinsicht im Ein-klang mit dem mannhaften Geiste von Zen.

Wir haben in Japan das Sprichwort: ‹Tendai ist für das Kaiser-haus, Shingon für den Adel, Zen für die Kriegerklasse und Jodo fürdie Menge.› Dies Sprichwort ist recht bezeichnend für die buddhisti-schen Schulen Japans. Tendai und Shingon besitzen ein reiches Ri-tual, ihre gottesdienstlichen Gebräuche werden in einem höchstzeremoniellen und prunkhaften Stil begangen, der dem Geschmackder feingebildeten Stände entspricht. Jodo wendet sich seinem We-sen nach mehr an die Bedürfnisse des niederen Volkes, denn seinGlaube und seine Lehre sind sehr einfach. Neben seinem unmittel-baren Verfahren, an das Ziel des Glaubens zu gelangen, ist Zen eineReligion der Willenskraft, und Willenskraft ist das höchste Erforder-nis des Kriegers, auch wenn sie der Erleuchtung durch Intuitionbedarf.

Hojo-Regenten und Zen

Der erste Zen-Anhänger aus dem Hojo-Geschlecht war TOKIYORI

(1227 – 1263), der seinem Vater YASUTOKI in der Regierung nach-folgte. Er lud die japanischen Zen-Meister in Kyoto und auch einigechinesische Meister aus dem Reich der Südlichen Sung ein, nachKamakura zu kommen, und ergab sich unter ihrer Leitung ernst-lich dem Zen-Studium. Es gelang ihm schließlich, das Ziel zu errei-chen, und dieser Erfolg muß allen seinen Gefolgsleuten ein starkerAnsporn gewesen sein, dem Vorbild ihres Herren zu folgen.

GOTTAN, der chinesische Zen-Meister, unter dessen AnleitungTOKIYORI nach einundzwanzigjährigem Bemühen die endgültige Er-

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leuchtung erfuhr, verfaßte aus diesem Anlaß folgende Verse für sei-nen erlauchten Schüler:

‹Keine Buddhalehre habe ich mehr, von der ich jetzt noch zu dirsprechen könnte,

Keinen Sinn hast du jetzt mehr, mir in der Hoffnung auf Erlö-sung zu lauschen:

Wo nicht Predigt, nicht Erlösung noch harrende Seele ist,Da treffen sich Shakyamum und Dipankara Buddha zum tiefstenGespräch.›

Nach einer höchst erfolgreichen Regentschaft starb TOKIYORI imJahre 1263 nur siebenunddreißig Jahre alt. Als er fühlte, daß dieStunde des Scheidens gekommen war, legte er sein Priesterkleid an,setzte sich auf eine Strohmatte, wie sie den Meditationsübungendient, schrieb sein Abschiedsgedicht und erlosch in Frieden. Das Ge-dicht lautet:

‹Der Karma-Spiegel, der so hochOb siebenunddreißig Jahren stand,Zerbrach mit einem Hammerschlag.Der wahre Weg glänzt ewig rein.›

HOJO TOKIMUNE (1251 – 1284) war sein einziger Sohn. Als er 1268das Erbe des Vaters antrat, war er noch nicht achtzehn Jahre alt. Ererwies sich als einer der größten Männer, die Japan hervorgebrachthat. Ohne ihn wäre die Geschichte unseres Landes nicht, was sieheute ist. Ihm gelang es, mit vollkommener Wirkung den Einfallder Mongolen niederzuwerfen, der jahrelang oder eigentlich wäh-

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rend seiner ganzen Regentschaft, von 1268 bis 1284, das Fortbe-stehen des Reiches bedrohte. Es sieht so aus, als wäre TOKIMUNE einSendbote des Himmels gewesen, um das schlimmste Verhängnis,das die Nation befallen konnte, abzuwehren, denn mit der Vollen-dung dieser größten Tat der japanischen Geschichte schied er dahin.Sein ganzes kurzes Leben war schlicht und völlig dieser Aufgabegeweiht. Er war damals Leib und Seele der Nation. Sein unbezwing-barer Geist übersah in jedem Augenblick die Lage, und sein Leibin Gestalt eines vollkommen in sich gefestigten Heeres stand wieein Fels gegen die wilde Wogenbrandung des Westmeers.

Noch wunderbarer an dieser fast übermenschlichen Gestalt willes aber scheinen, daß TOKIMUNE die Zeit, die Kraft und den Willenfand, sich unter der Anleitung chinesischer Meister der Zen-Unter-weisung zu widmen. Er ließ Tempel für sie erbauen, darunter be-sonders einen für BUKKO KOKUSHI14, der zugleich bestimmt war, dieSeelen der während des Mongoleneinfalls gefallenen Japaner undChinesen zu versöhnen. TOKIMUNES Grab ist heute noch in diesemTempel, dem Engakuji, erhalten. Auch einige Briefe sind hier auf-bewahrt, die seine verschiedenen geistlichen Lehrer ihm geschriebenhaben und aus denen hervorgeht, mit welchem Fleiß und welcherKraft er sich Zen ergeben hat. Die folgende Geschichte ist vielleichtnicht sicher überliefert, aber sie kann uns doch eine Vorstellung von

14 Über sein Zen-Erlebnis vgl. meine Zen-Essays I, p. 239 ff. Als er, noch

in Südchina weilend, von den Mongolenkriegern bedroht wurde, tat er fol-genden Ausspruch:

‹Im Himmel und auf Erden ist keine Ritze, in die man auch nur einenStab hineinstecken könnte.

Froh bin ich, daß alle Dinge leer sind, die Welt und ich.Gelobt sei das Schwert, das drei Fuß lange, das der große Kriegsmann der

Yüan erhebt! Denn es ist wie ein Blitz, der die Frühlingswinde durchzuckt.›

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seiner Einstellung zu Zen vermitteln.TOKIMUNE soll einst BUKKO, den Lehrer der Nation (KOKUSHI),

befragt haben: ‹Der ärgste Feind in unserem Leben ist Feigheit. Wievermag man ihr zu entrinnen?›

BUKKO erwiderte: ‹Schneide den Ursprung der Feigheit ab!›TOKIMUNE: ‹Und was ist ihr Ursprung?›BUKKO: ‹Es ist TOKIMUNE selbst.›TOKIMUNE: ‹Von allen Dingen ist mir Feigheit am tiefsten ver-

haßt. Wie kann sie denn aus mir selber kommen?›BUKKO: ‹Versuche, wie es dir ergeht, wenn du dein geliebtes Ich,

das TOKIMUNE heißt, von dir wirfst! Ich will dich wiedersehen, wenndu das vollbracht hast.›

TOKIMUNE: ‹Und wie kann dies vollbracht werden?›BUKKO: ‹Schließ allen Gedanken das Tor!›TOKIMUNE: ‹Wie kann ich die Gedanken aus meinem Bewußtsein

ausschließen?›BUKKO: ‹Setze dich mit gekreuzten Beinen in Versenkung und

schaue den Ursprung all deiner Gedanken an, von denen du meinst,sie seien TOKIMUNES Gedanken.›

TOKIMUNE: ‹Ich habe für so viele Dinge der Welt zu sorgen, undes fällt mir schwer, einen Augenblick der Muße für die Versenkungzu finden.›

BUKKO: ‹Was immer für Dinge der Welt dich beschäftigen, nimmsie als Anlaß zu innerlicher Betrachtung, und eines Tages wirst duerkennen, wer dieses Ich, dieser geliebte TOKIMUNE ist.›

Ein Gespräch dieser Art muß einmal zwischen TOKIMUNE undBUKKO stattgefunden haben. Denn als jener die bestimmte Meldungerhielt, daß die Mongolen mit Heeresmacht über das Meer von Tsu-kushi sich nahten, begab er sich zu BUKKO, dem Lehrer der Nation,

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und sprach:‹Das größte Ereignis meines Lebens ist nun gekommen.›BUKKO fragte: ‹Wie willst du ihm entgegentreten?›TOKIMUNE rief: ‹Kwatsu!›, als wollte er in diesem Augenblick alle

seine Feinde hinwegbrüllen.BUKKO war zufrieden und sprach: ‹Wahrlich, eines Löwen Junges

brüllt wie ein Löwe.›So war TOKIMUNES Tapferkeit beschaffen, mit der er den über-

mächtigen Feinden entgegentrat, die vom Festland herüberkamen,und sie erfolgreich zurückwarf.

Historisch gesehen, war es jedoch nicht seine Tapferkeit allein,die diese größte Heldentat der japanischen Geschichte vollbracht hat.Vielmehr entwarf er die Pläne zu allem, was die Aufgabe erforderte,und seine Gedanken wurden von den in den verschiedenen Landes-teilen stehenden Heeren ausgeführt, so daß die Übermacht der Ein-dringlinge zusammenbrach. Er selbst verließ Kamakura nicht, aberseine Heere fern an den westlichen Küsten Japans befolgten seineBefehle genau und wirksam. Das war wirklich ein Wunder in jenenfrühen Zeiten, als es keine schnelleren Verbindungen gab als Kurier-posten. Hätte er nicht das unbedingte Vertrauen aller seiner Unter-gebenen besessen, so wäre es ihm unmöglich gewesen, solch einWerk zu vollbringen.

BUKKOS Lobrede auf TOKIMUNE bei seinem Leichenbegängnis ziehtdie Summe seiner Persönlichkeit. ‹Zehn Wunder gab es in seinemLeben, das in Wahrheit die Erfüllung des großen Pranidhi-Gelüb-des eines Bodhisattva gewesen ist: Er war seiner Mutter ein liebenderSohn, er war seinem Kaiser ein treuer Untertan, er strebte ehrlichnach der Wohlfahrt des Volkes, als Zen-Jünger erfaßte er die tiefsteWahrheit, in zwanzigjähriger Lenkung der Staatsgeschäfte des Rei-

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ches bezeigte er weder Freude noch Zorn, als er mit der Gewalt einesSturmes die drohenden Wolken der Barbaren hinweggefegt hatte,empfand er keinerlei Stolz, als er das Kloster Engakuji gründete,gedachte er des geistlichen Trostes für die Gefallenen (Japaner undMongolen!)15, und indem er den Lehrern und Vätern (des Glaubens)Ehrfurcht erwies, strebte er nach der Erleuchtung – all dies beweist,daß er nur um des Dharma willen unter uns erschienen ist. Und als erdann im Begriff war zu scheiden, brachte er es noch fertig, von sei-nem Lager aufzustehen, nahm aus meinen Händen das Priesterkleid,zog es über seinen schwachen Körper und schrieb in voller Geistes-klarheit sein Abschiedsgedicht. Ein solcher Mann ist wahrhaftig ein

15 Der Gedanke, Freunde und Feinde seien nach dem Tode mit gleicherAchtung zu behandeln, stammt aus dem Buddhismus. Denn dieser lehrt,wir seien alle desselben Buddha-Wesens teilhaftig. Während wir in dieserWelt der Sonderungen leben, mögen wir den verschiedensten Parteien undGrundsätzen anhängen, doch diese Zwistigkeiten verschwinden, sobald wiraus dem Einzeldasein zum andern Ufer jenseitigen Wissens gelangen. VomStandpunkt des Samurai aus wird auf das Ideal der Treue und Aufrichtig-keit der allerhöchste Wert gelegt: nun sind die Feinde ihrer Sache ebensotreu wie wir der unsern ergeben, und dieses Gefühl ist hoch zu achten, wound wie immer es in echter Art sich bewährt. Daher das gleiche Gedächtnis-mal für Freund und Feind. Das Geschlecht der Shimadzu ließ auf dem BergKoyasan ein großes steinernes Denkmal für alle Gefallenen im Krieg ge-gen Korea von 1591 bis 1598 errichten. Das ist ohne Zweifel auf den gei-stigen Einfluß SHIMADZU NISSHINSAIS (1492 – 1568) zurückzuführen, einesder größten Gelehrten und Adligen der Feudalzeit. Interessant ist es, daßSHIMADZU YOSHIHIRO, ein Enkel NISSHINSAIS, für seine Untertanen, die sichschlecht aufführten, eine neue Art Strafe einführte, die Tera-iri oder ‹Ein-tritt ins Kloster› heißt. Die Übeltäter mußten während ihres Klosteraufent-halts unter persönlicher Aufsicht des Leiters der Mönche die konfuzianischenTexte studieren. Wenn sie im Verständnis der Klassiker bemerkenswerteFortschritte machten, durften sie in ihr bürgerliches Leben wieder zurück-kehren.

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erleuchtetes Wesen oder ein Fleisch gewordener Bodhisattva zunennen.›

TOKIMUNE war zur Größe geboren, gewiß, aber sein Zen-Studiummuß ihm auch eine große Stütze gewesen sein in seiner Behandlungder Staatsgeschäfte wie im persönlichen Leben. Auch seine Frauwar eine fromme Zen-Jüngerin und stiftete nach seinem Tod einNonnenkloster in den Bergen, gegenüber dem Engakuji.

Wenn wir sagen, Zen sei für die Krieger, so hat diese Feststellungeine besondere Bedeutung für die Kamakura-Zeit. TOKIMUNE warnicht bloß ein kämpfender Feldherr, sondern ein großer Staatsmann,dessen Ziel der Friede war. Sein Gebet zum BUDDHA, bei Gelegenheiteiner großen religiösen Feier, die unter Leitung des Abts im Kenchojiveranstaltet wurde, als die Kriegsdrohung des ersten Mongolenein-falls eben eingetroffen war, lautet folgendermaßen: ‹TOKIMUNE,ein Jünger des BUDDHA, hat nur den einen Wunsch und das eine Ge-bet: Möge er in der kommenden Zeit der Wächter der Buddhalehresein! Möchten die vier Meere unaufgerührt bleiben und kein Pfeilverschossen werden! Möchten alle bösen Geister in Unterwerfungverharren, ohne daß eine Lanzenspitze enthüllt werden muß. Möch-te das Volk die Wohltaten einer wohlmeinenden Verwaltung emp-fangen, so daß es ein langes glückliches Leben für immer genießendarf! Möchte die Finsternis des menschlichen Herzens durch die Be-rührung der überirdischen Weisheit, der hoch zu erhebenden, erleuch-tet werden! Möchten die Armen fürsorglich unterstützt und die vonGefahren Bedrängten gerettet werden durch ein weit geöffnetes Herzdes Erbarmens! Möchten alle Götter kommen und uns beschirmen,alle Weisen ihre stillschweigende Hilfe verbreiten und jede Stundedes Tages eine Ansammlung heilbringender Vorzeichen verkünden!›

TOKIMUNE ist ein großer Geist im Sinne des BUDDHA und ein auf-

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richtiger Jünger von Zen gewesen. Seiner Hilfe und seinem Vorbild istes zu verdanken, daß Zen in Kamakura, dann in Kyoto eine festeHeimstätte fand und einen sittlichen und geistigen Einfluß unter derKriegerklasse auszubreiten begann. Der ununterbrochene Strom desAustauschs, der zwischen den japanischen und den chinesischen Zen-Priestern eröffnet wurde, ging sogar über die Grenzen der gemeinsa-men Glaubensinteressen hinaus: Bücher, Bilder, Porzellan, Gewebeund viele andere Kunstwerke wurden aus China herübergebracht,selbst Zimmerleute, Maurer, Baumeister und Köche kamen mit ih-ren Priestern nach Japan. So nahm der Handelsverkehr mit China,der später in der Ashikaga-Zeit sich so üppig entfaltet hat, in derKamakura-Periode seinen Anfang.

Unter der Führung so starker Charaktere wie TOKIYORI und TO-KIMUNE ist Zen mit günstiger Verheißung in das japanische Lebenund besonders in das Leben des Samurai eingepflanzt worden. AlsZen in Kamakura mehr und mehr Einfluß gewann, verbreitete essich auch in Kyoto, wo japanische Zen-Meister ihm eine mächtigeStütze wurden. Diese fanden bald ernsthafte Jünger unter den Mit-gliedern des Kaiserhauses, an ihrer Spitze die Kaiser GODAIGO, HA-NAZONO und andere. Gewaltige Klöster wurden in Kyoto errichtet,und Meister, die um ihrer Tugend, Weisheit und Gelehrsamkeit willenberühmt waren, wurden als Gründer und spätere Äbte dieserMönchsverbände gewonnen. Manche Shogune aus dem Geschlechtder Ashikaga waren ebenfalls große Förderer des Zen-Buddhismus,und die meisten ihrer Heerführer folgten ihnen nach. In diesen Zeiten,darf man sagen, wandte sich der japanische Genius entweder demPriestertum oder dem Kriegertum zu. Aus dem geistigen Zusammen-wirken beider entstand mit innerer Notwendigkeit jenes Ideal, dasheute als Bushido, als ‹der Weg des Kriegers›, bekannt ist.

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An dieser Stelle möchte ich auf eine der inneren Beziehungen hin-weisen, die zwischen der Gefühlsrichtung des Samurai und Zen beste-hen. Was Bushido, so wie wir es heute verstehen, letzten Endes be-stimmt hat, ist, daß es ein unanfechtbarer, göttlicher Wächter über dieEhre des Samurai zu werden bestimmt war. Diese Ehre beruht in derTreue, der Sohnesliebe und wohlmeinender Gesinnung. Allein zurrechten Erfüllung dieser Pflichten bedarf es zweier Dinge: das eine istSelbstzucht durch sittliche Askese, nicht allein in praktischer Übung,sondern auch in der weltanschaulichen Vorbereitung; das andere isteine stete Bereitschaft zu sterben, das heißt sich ohne Zögern selberzu opfern, sobald dies gefordert wird. Um dies zu erfüllen, bedarf eseiner langen seelischen und geistigen Schulung.

Es gibt ein Dokument, das neuerdings viel besprochen worden istim Zusammenhang mit den Kriegsereignissen in China. Es ist unterdem Namen Hagakure16 bekannt, das bedeutet wörtlich: ‹UntermLaube verborgen›, denn es ist eine der Tugenden des Samurai, sichselber nicht in Szene zu setzen noch ins eigene Horn zu blasen, son-dern sich vor den Augen der Menge fernzuhalten und im stillen sei-nen Mitmenschen Gutes zu tun. Zur Zusammenstellung dieses Buchs,das aus verschiedenen Aufzeichnungen, Anekdoten, Sittensprüchenusw. besteht, hatte auch ein Zen-Priester beizutragen. Das Werk ent-stand um die Mitte des 17. Jahrhunderts unter NABESHIMA NAO-SHIGE, dem Lehensherren von Saga auf der Insel Kyushu. Das Buchlegt den größten Wert auf die Bereitschaft des Samurai, jeden Au-genblick sein Leben hinzugeben, und es stellt fest, daß keine großeTat je ohne Wahnsinn vollbracht worden ist, das heißt in heutigerAusdrucksweise: ohne daß die gewohnte Bewußtseinsebene durch-

16 Der vollständige Text ist 1937 in zwei Bänden im Kyozaisha-Verlag,

Tokyo, veröffentlidit worden.

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brochen und die verborgenen tieferen Kräfte entfesselt worden wä-ren. Diese Kräfte mögen manchmal dämonischer Natur sein, aber oh-ne Zweifel sind sie übermenschlich und vollbringen Wunder. Wenndas Unbewußte berührt wird, so steigt es über die Begrenzung des In-dividuellen empor. Damit verliert auch der Tod seinen Stachel, undan diesem Punkte berührt sich die Schulung des Samurai mit Zen.

Um eine der Geschichten aus dem Hagakure anzuführen: YAGYU-TAJIMA-NO-KAMI war ein großer Meister im Schwertkampf und un-terwies den damaligen Shogun TOKUGAWA JYEMITSU in dieser Kunst.Einer der Leibwächter des Shogun kam eines Tages zu TAJIMA-NO-KAMI und bat ihn um Unterricht im Fechten. Der Meister sprach:‹Soviel ich sehe, scheint Ihr selber ein Meisterfechter zu sein. Bitte,teilt mir mit, welcher Schule Ihr angehört, bevor wir in das Verhältnisvon Lehrer und Schüler treten.

Der Leibwächter sprach: ‹Zu meiner Beschämung muß ich beken-nen, daß ich die Kunst nie erlernt habe.›

‹Wollt Ihr mich verspotten? Ich bin der Lehrer des ehrwürdigenShogun selber und weiß, mein Auge kann nicht trügen.›

‹Es tut mir leid, wenn ich Eurer Ehre zu nahe trete, aber ich besitzewirklich keine Kenntnisse.›

Dieses entschiedene Bestreiten machte den Schwertmeister nachdenk-lich, und schließlich sagte er: ‹Wenn Ihr es sagt, muß es so sein. Aberganz sicher seid Ihr in irgendeinem Fache Meister, wenn ich auchnicht genau sehe, worin.›

‹Ja, wenn Ihr darauf besteht, will ich Euch folgendes berichten.Es gibt ein Ding, in dem ich mich als vollkommenen Meister ausgebendarf. Als ich noch ein Knabe war, kam mir der Gedanke, als Samuraidürfe ich unter gar keinen Umständen mich vor dem Tode fürchten,und seither habe ich – es sind jetzt einige Jahre – mich fortwährend

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mit der Frage des Todes herumgeschlagen, und zuletzt hat diese Frageaufgehört mich zu bekümmern. Ist es vielleicht dies, worauf Ihr hin-auswollt?›

‹Genau dies!› rief TAJIMA-NO-KAMI, ‹das ist’s, was ich meine. Esfreut mich, daß mein Urteil mich nicht betrog. Denn das letzte Ge-heimnis der Schwertkunst liegt auch darin, vom Gedanken an denTod erlöst zu sein. Ich habe viele Hunderte meiner Schüler im Hin-blick auf dieses Ziel unterwiesen, aber bis jetzt hat keiner von ihnenden höchsten Grad der Schwertkunst erreicht. Ihr selber bedürft kei-ner technischen Übung mehr, Ihr seid bereits Meister.›

Der Samurai und der Tod

Die Frage des Todes ist eine große Frage für einen jeden von uns, nochdringlicher aber ist sie für den Samurai, für den Soldaten, dessen Da-sein ausschließlich dem Kampf geweiht ist, und Kampf bedeutet Todfür einen der Kämpfer. Im Mittelalter konnte niemand vorhersagen,wann diese tödliche Begegnung stattfinden werde, und der Samurai,der dieses Namens würdig war, hatte immer bereit zu sein. Ein Krie-ger und Schriftsteller des 17. Jahrhunderts, DAIDOJI YUZAN, führt da-her am Anfang seines Buches ‹Lehrbuch des Bushido› aus: ‹Der not-wendigste und unentbehrlichste Gedanke des Samurai ist der an denTod. Ihn muß er Tag und Nacht, Nacht und Tag, vom Morgendäm-mern des ersten bis zur letzten Minute des letzten Tages im Jahre sichvor die Seele stellen. Wenn du in dieser Anschauung lebst, dann bistdu fähig, deine Pflicht im vollsten Umfang zu erfüllen: du bist treudeinem Herrn, ein gehorsamer Sohn deinen Eltern und kannst jedeArt von Unheil vermeiden. Damit wird nicht nur dieses Leben selberverlängert, sondern auch deine menschliche Würde erhöht. Bedenke,

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was für ein gebrechliches Ding das Leben ist, besonders das eines Sa-murai. Tust du das, so wirst du dazu kommen, daß du jeden Tag dei-nes Lebens als den letzten ansiehst und ihn zur Erfüllung deinerPflichten nutzest. Laß die Vorstellung eines langen Lebens nie Gewaltüber dich gewinnen, denn sonst wärest du fähig, in Zerstreuungenaller Art dich selbst zu verlieren und deine Tage mit Schande zu be-schließen. Aus diesem Grunde hat MASASHIGE, wie es heißt, seinemSohne MASATSURA empfohlen, den Gedanken an den Tod allezeit imHerzen zu tragen.›

Der Verfasser dieses Lehrbuchs hat ganz richtig ausgesprochen, wasunbewußt im Sinne des Samurai vor sich zu gehen pflegt. Die Gewiß-heit des Todes lenkt auf der einen Seite die Gedanken über die Schran-ken dieses beschränkten Daseins hinaus und macht sie auf der ande-ren Seite schärfer, so daß das tägliche Leben ernster genommen wird.So lag es für jeden nüchtern denkenden Samurai nahe, sich mit derIdee der Überwindung des Todes Zen zuzuwenden. Zens Verheißungeiner Lösung dieses Problems ohne Ansprüche an Gelehrsamkeit odersittliche Schulung oder ein besonderes Ritual muß für das verhält-nismäßig unkomplizierte Gemüt des Samurai eine starke Anziehungbedeutet haben. Es bestand eine Art logische Verwandtschaft zwi-schen seiner psychologischen Einstellung und der unmittelbar prak-tischen Schulung durch Zen.

Weiter lesen wir folgendes im Hagakure: ‹Bushido bedeutet denentschlossenen Willen zu sterben. Wenn du am Scheideweg stehst,zögere nicht, den Weg des Todes zu wählen. Aus keinem anderenGrund, als weil dein Sinn so erzogen und zu diesem Geschäft berufenist. Es mögen manche sagen, wenn du ohne dein Ziel zu erreichensterbest, so sei das ein nutzloser Tod, wie ein Hund zu sterben. Alleinwenn du am Scheideweg stehst, so brauchst du keinen Plan mehr, dein

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Ziel zu erreichen. Wir alle ziehen das Leben dem Tode vor, unserPlanen und Sinnen ist naturgemäß auf das Leben gerichtet. Wenn dudann dein Ziel verfehlst und am Leben bleibst, so bist du in Wahrheitein Feigling. Das ist sehr zu bedenken. Falls du stirbst, ohne das Zielzu erreichen, so mag das ein Hundetod sein, der Tod des Wahnsinns,aber deine Ehre ist unbefleckt. Für Bushido kommt die Ehre zuerst.Darum halte dir jeden Morgen und jeden Abend den Tod recht lebhaftvor Augen! Ist deine Entschlossenheit, in jedem Augenblick zu ster-ben, fest und unerschütterlich, so gelangst du zur Meisterschaft desBushido, dein Leben ist ohne Tadel, und deine Pflicht ist erfüllt.›

Ein Kommentator fügt eine Strophe von TSUKEHARA BOKUDEN17

bei:

‹Das letzte Ziel der Zucht des SamuraiUnd jeder Zucht, von welcher Art sie sei,Ist eins und eins allein:Im Angesicht des Tods bereit zu sein.›

NAGAHAMA INOSUKE sagt nach dem Hagakure: ‹Das Wesen derSchwertkunst besteht darin, daß man sich selber ganz und gar an dieAufgabe hingibt, den Gegner zu treffen. (Solange man an die eigeneSicherheit denkt, kann man den Kampf niemals gewinnen.) Ist derFeind ebenso bereit, sein Leben dafür hinzugeben, so stehen zweiEbenbürtige einander gegenüber. Die Entscheidung ist Glaube undSchicksal.› Die Worte des Kommentars lauten: ‹ARAKI MATAYEMON

(ein großer Schwertmeister der frühen Tokugawa-Zeit) erteilte sei-nem Neffen WATANABE KAZUMA folgende Belehrung, als sie im Begriff

17 Einer der größten Schwertmeister, 1490 – 1572. Über ihn weiter unten

Näheres.

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standen, den Entscheidungskampf mit ihren Feinden zu beginnen:‹Wenn der Gegner deine Haut ritzt, so schneid in sein Fleisch; schnei-det er dir ins Fleisch, so hau ihm in die Knochen; trifft er deine Kno-chen, so nimm ihm das Leben!› An einer andern Stelle erteilt ARAKI

den Rat: ‹Wenn du dabei bist, das Schwert mit deinem Feinde zu mes-sen, so sei bereit, dein eigenes Leben vor ihm zu vergessen. Solangedu im geringsten daran denkst, wie du heil davonkommen könntest,bist du schon verloren.›

Weiterhin stellt das Hagakure fest: ‹Der Samurai taugt nichts, biser nicht über Leben und Tod hinausgehen kann. Wenn es heißt, in al-len Dingen sei ein und dasselbe Bewußtsein, magst du glauben, esgebe so etwas, das man Bewußtsein heißt. Aber in Wahrheit muß dasBewußtsein, das an Leben und Tod hängt, aufgegeben werden, umgroße Taten zu vollbringen.› Das bedeutet, daß alles vollendet ist, so-bald dies Bewußtsein den Zustand der Nichtbewußtheit erreicht, sowie es der große Zen-Meister TAKUAN oben ausspricht. Das ist einZustand, für den die Frage Tod oder Unsterblichkeit nicht mehr vor-handen ist.

Da gerade von TSUKEHARA BOKUDEN die Rede war, einem jenerSchwertmeister, die wirklich den Sinn des Schwerts begriffen haben,nicht als einer Mordwaffe, sondern als eines Werkzeugs der geistigenSelbstzucht, so möchte ich hier die beiden bekanntesten Vorfälle sei-nes Lebens anführen:

Als BOKUDEN einmal mit einer Anzahl Mitreisender in einem Ru-derboot über den Biwa-See fuhr, befand sich unter diesen ein wilddareinschauender Samurai, grimmig und hochmütig in jeder Weise.Der prahlte mit seiner Gewandtheit in der Schwertkunst und erklärtesich für den besten Meister in ihr. Die Mitreisenden lauschten begie-rig seinen ruhmredigen Worten, aber BOKUDEN träumte vor sich hin,

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als hörte er nichts um sich her. Das reizte den Bramarbas gar sehr. Ertrat auf BOKUDEN zu, stieß ihn an und sagte: ‹Ihr tragt ja auch zweiSchwerter, warum sagt Ihr kein Wort?› BOKUDEN antwortete ganzruhig: ‹Meine Kunst ist nicht die Eure, sie besteht darin, andere nichtzu besiegen, aber auch selber nicht besiegt zu werden.› Das war fürjenen erst recht eine Herausforderung.

‹Zu welcher Schule gehört Ihr denn?›‹Die meine heißt Mutekatsu-Schule› (das bedeutet ‹Ohne-Hand-

Schule›, womit gemeint ist, daß man den Gegner, ohne das Schwertzu berühren, besiegt).

‹Wozu tragt Ihr dann selber ein Schwert?›‹Das Schwert bedeutet Selbstlosigkeit, nicht andere töten.› Der Sa-

murai geriet in eine grenzenlose Wut und rief mit brüllender Stimme:‹Vermeßt Ihr Euch wirklich, ohne Schwert gegen mich zu kämpfen?›

‹Warum nicht?› erwiderte BOKUDEN.Der Bramarbas schrie nun dem Bootsmann zu, er solle ans nächste

Ufer fahren. Allein BOKUDEN riet, man steure besser zu einer etwasentfernteren Insel, denn am Ufer könnten Leute zusammenlaufenund in Mitleidenschaft gezogen werden. Der Samurai war es zufrie-den. Das Schiff hielt also auf eine öde Insel zu, die nicht gar zu weitablag. Sowie es sich dem Strande näherte, sprang der Samurai anLand und zückte sein Schwert zum Kampf. BOKUDEN legte behaglichsein Schwert ab und übergab es dem Bootsmann. Es sah so aus, alswollte er dem Samurai auf die Insel folgen, da nahm er plötzlich demBootsmann das Ruder fort, stemmte es gegen das Ufer und stieß dasBoot ab. Dieses entfernte sich ganz überraschend von der Insel undtrieb sicher im tieferen Wasser dem Samurai davon. BOKUDEN abermeinte lächelnd: ‹Das ist meine Ohne-Schwert-Schule.›

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Eine andere merkwürdige und lehrreiche Anekdote wird von BO-KUDEN erzählt, dessen Meisterschaft tatsächlich weit über bloßes Ge-schick im Spiel der Schwerter hinausging. Er hatte drei Söhne, diealle in der Schwertkunst geübt waren. Er wollte ihr Können prüfen.So steckte er ein kleines Kissen über den Vorhang am Eingang seinesZimmers, und zwar so, daß eine leichte Berührung des Vorhangs, denman beim Eintreten aufheben mußte, das Kissen dem Eintretendengerade auf den Kopf fallen ließ.

BOKUDEN rief zuerst den ältesten Sohn herein. Als er kam, bemerkteer das Kissen über dem Vorhang, nahm es herab und setzte es wiederan seine Stelle, als er das Zimmer betreten hatte. Nun wurde derzweite Sohn gerufen. Er berührte den Vorhang, um ihn aufzuheben,und sowie er sah, daß das Kissen herabfiel, faßte er es mit der Handund brachte es sorgfältig wieder an seinen Platz. Nun war der dritteSohn an der Reihe, den Vorhang anzufassen. Er trat rasch herein,und das Kissen fiel ihm auf die Schultern. Aber er hieb es mit demSchwert in zwei Stücke, noch bevor es den Boden erreichte.

BOKUDEN traf folgende Entscheidung: ‹Mein ältester Sohn, du bisttüchtig zur Schwertkunst.› Mit diesen Worten übergab er ihm einSchwert. Zum zweiten sprach er: ‹Du hast noch fleißig zu üben›;aber der jüngste wurde aufs strengste getadelt, da er ein Unglück fürdie Familie sei.

TAKEDA SHINGEN (1521 – 1573) und UESUGI KENSHIN (1530 bis1578) waren zwei große Feldherren des 16. Jahrhunderts, als Japandurch innere Kriege zerrissen war. Die beiden werden gewöhnlich zu-sammen genannt, denn ihre Provinzen – die eine im nördlichen, dieandere im mittleren Japan – lagen nahe beieinander, und sie hattenmehrere Male um die Vorherrschaft zu kämpfen. Sie waren als tüch-tige Kriegsleute und gute Verwalter einander würdig, beide waren

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auch Zen-Anhänger. Als KENSHIN einst hörte, SHINGEN leide sehr un-ter Salzmangel für seine Untertanen, war er großmütig genug, sei-nem Feind den nötigen Vorrat aus seiner eigenen Provinz zur Verfü-gung zu stellen. Denn Echigo an der Japan-See brachte Salz genughervor18. In einer der erbitterten Schlachten von Kawanaka-jimawurde KENSHIN, so heißt es, ungeduldig über das langsame Vorrük-ken seines Heeres, er wollte mit einem Schlag das Los des Tages ent-scheiden und ritt deshalb selber in das Lager des Gegners. Als er des-sen Feldherrn friedlich auf seinem Lagerstuhl mit wenigen Wachenum sich sitzen sah, zückte KENSHIN sein Schwert und ließ es quer überSHINGEN Haupt niederfallen mit den Worten: ‹Was wirst du in die-sem Augenblick sagen?› – eine richtige Zen-Frage. SHINGEN blieb völ-lig unbewegt, und mit der Antwort: ‹Eine Schneeflocke auf dem bren-nenden Ofen› parierte er die drohende Waffe mit einem eisernen Fä-cher, den er gerade zur Hand hatte. Dieses Mondo ist wahrscheinlichnicht historisch, aber die Geschichte zeigt treffend, was die beidenfurchtlosen Krieger mit ihren geschorenen Köpfen für Zen-Jüngerwaren.

KENSHIN war auf folgende Weise dazu gekommen, Zen allen Ern-stes unter YEKIWOS Leitung zu studieren. Als YEKIWO eines Tages

18 Die Salznot in der Provinz Kai war auf folgende Weise entstanden.Kai ist von Bergen umschlossen, und die Bevölkerung mußte ihren Salzvor-rat aus dem südlich gelegenen Bezirk am Stillen Ozean beziehen. AlleinSHINGEN war mit den Lehensherren dieses Bezirks verfeindet, und diese hat-ten vereinbart, die Salzlieferung nach Kai einzustellen. UESUGI KENSHIN,der selbst mit SHINGEN im Krieg lag, hörte davon und war über das feigeVerhalten dieser Kriegsherren von der Küste empört. Er war der Ansicht,jeder Kampf müsse auf ehrlicher Grundlage, nämlich auf dem Schlachtfeldentschieden werden. Er schrieb daher an SHINGEN und fragte, ob er den be-nötigten Vorrat aus Echigo annehmen würde. SHINGEN wußte den Edelmutseines großherzigen Gegners im Norden entsprechend zu schätzen.

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über BODHIDHARMAS ‹Ich weiß es nicht!› predigte, befand sich KEN-SHIN unter seinen Hörern. Er wußte einiges über Zen und beschloß,den Mönch auf die Probe zu stellen. Er trug die Kleidung eines ge-wöhnlichen Samurai wie alle anderen und wartete auf seine Gelegen-heit. Da wandte sich der Mönch plötzlich ihm zu und fragte: ‹HerrOberbefehlshaber, was meinte Dharma mit seinem ,Ich weiß es nicht?’›KENSHIN war verblüfft und wußte nicht, was er sagen sollte. Darauffuhr YEKIWO fort: ‹Herr Oberbefehlshaber, warum gebt Ihr mir heutkeine Antwort, wenn Ihr doch sonst so geläufig über Zen zu redenwißt?19› KENSHINS Stolz schwand dahin. Er begann jetzt, unter derAnleitung dieses Mönchs mit großem Eifer sich Zen zu widmen, undYEKIWO pflegte ihm zu sagen: ‹Wenn du wirklich Zen erfassen willst,so mußt du sogleich dein Leben wegwerfen und stracks in den Brun-nen des Todes springen.›

KENSHIN hinterließ seinen Gefolgsmännern später folgende Ermah-nung: ‹Die am Leben haften, werden sterben, und die den Tod ver-achten, werden leben. Auf das Innere kommt es an. Schaut hinein indas Innere, haltet es fest, und ihr werdet erfahren, daß in euch etwaslebt, das jenseits von Geburt und Tod besteht und weder im Wasserertrinken noch im Feuer verbrennen kann. Ich selbst habe die Er-kenntnis dieses Samadhi gewonnen und weiß, was ich euch sage.Wer sein Leben nicht hingeben und den Tod nicht erwählen mag, istkein wahrer Krieger.›

Auch SHINGEN spielte in seiner ‹Grundlegung› auf Zen und denTod an. ‹Zollt Verehrung den Göttern und dem BUDDHA! Sind eureGedanken im Einklang mit BUDDHAS Gedanken, so werdet ihr mäch-tiger. Wenn eure Herrschaft über andere aus euren bösen Gedankenentspringt, so werdet ihr in Gefahren geraten und darin umkommen.

19 Zen-Essays I, p. 175.

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Sodann: Gebt euch dem Zen-Studium hin! Zen hat kein anderes Ge-heimnis als das ernstliche Nachdenken über Geburt und Tod.›

Diesen Zeugnissen ist unmißverständlich zu entnehmen, daß einenotwendige innere Verbundenheit zwischen dem Kriegerwesen undZen besteht. Das ergibt sich ebenso klar aus dem Verhalten der Zen-Meister selber, die zuweilen ein richtiges Spiel mit dem Tode trieben.SHINGENS Zen-Lehrer war KWAISEN, der Abt des Yerin-ji in der Pro-vinz Kai. Nach SHINGENS Tod wurde sein Kloster am 3. April 1582von ODA NOBUNAGAS Truppen belagert, weil der Abt sich weigerte,NOBUNAGAS Gegner auszuliefern, die bei ihm Zuflucht gesucht hat-ten. Die Soldaten zwangen sämtliche Mönche und Kwaisen selbst,in das obere Stockwerk des Tempeltors zu steigen. Es war ihre Ab-sicht, die Widerspenstigen lebendig zu verbrennen, indem sie das Ge-bäude in Brand setzten. Die Mönche mit dem Abt an der Spitze ver-sammelten sich schweigend und nahmen dem BUDDHA-Bild gegen-über ihre vorgeschriebenen Plätze ein. Wie immer hielt der Abt seineAnsprache und sagte: ‹Wir sind jetzt von Flammen umgeben. Wiewollt ihr nun im entscheidenden Augenblick das Rad des Dharmadrehen? Ein jeder von euch gebe mir seine Antwort!› Darauf sprachein jeder sich aus, wie es dem Licht seines Verständnisses entsprach.Als alle geendet hatten, gab der Abt seine Auffassung kund, undalle gingen ein in das Flammen-Samadhi. Des Abts Worte warendiese:

‹Zum Frieden der Versenkung braucht es nicht Berg und Strom.Ist das Denken gestillt, wird auch das Feuer erquickend und kühl.›

Gerade im 16. Jahrhundert hat Japan, von einem bestimmten Ge-sichtspunkt aus, manche Beispiele edler Menschlichkeit hervorge-bracht. Das Reich war politisch und sozial in Stücke zerschlagen. Überdas ganze Land standen die Lehensherren im Krieg gegeneinander.

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Das Volk selber muß schwere Leiden durchgemacht haben, aber dieseEntscheidungskämpfe um die militärische und politische Vorherr-schaft, die von der Kriegerklasse ausgefochten wurden, trugen dazubei, die geistigen und sittlichen Kräfte auf jede denkbare Weise undbis zum Äußersten zu stählen. Mannhaftigkeit bewährte sich in allenLebenskreisen als das Höchste. Man darf sagen: die meisten Tugen-den, die das Ideal des Bushido ausmachen, haben sich in dieser Zeitdurchgebildet, und SHINGEN und KENSHIN sind typische Vertreter derSamurai-Oberherren gewesen. Beide waren persönlich tapfer undzitterten im Angesicht des Todes nicht; sie waren weise, vorsorgendund einfallsreich nicht im Krieg allein, sondern auch in der Regierungüber ihre Untertanen. Sie sind nicht einfach Kämpfer gewesen, un-wissend und verschlagen, sie besaßen eine vollendete literarische Bil-dung und eine tiefe Religiosität.

Es ist bedeutsam, daß beide, SHINGEN und KENSHIN, fromme Bud-dhisten waren. SHINGENS weltlicher Name war HARUNOBU und KEN-SHINS Name TERUTORA, aber beide sind unter ihren buddhistischenBenennungen besser bekannt. Beide waren schon in der Jugend inbuddhistischen Klöstern erzogen worden und ließen sich im Mannes-alter als ‹Nyudo› – wörtlich: die den Pfad betreten – das Haupthaarscheren. KENSHIN lebte ehelos und fleischlos wie ein buddhistischerMönch.

Gleich den meisten gebildeten Japanern liebten sie die Natur undmachten japanische und chinesische Gedichte. Eines der GedichteKENSHINS, das er verfaßte, als er gegen eine Nachbarprovinz im Feldelag, hat etwa folgenden Inhalt:

‹Die stärkende kalte Herbstluft weht über die Krieger im Lager.Die Nacht rückt vor, der Wildgänse geregelten Flug sieht man imMondlicht. Wie Schattenrisse stehen die Berge von Ecchu über den

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träumenden Wellen der Noto-Bucht – (Wie schön dieses Bild, undwie entzückt es mich!) wären wir nicht fern den Heimischen, die jetztvielleicht unseres Feldzuges gedenken (da sie zum gleichen Mondemporschauen).›

SHINGENS Naturgefühl war nicht geringer als das seines Gegnersin Echigo. Als er einst einen Buddhatempel in einem abgelegenenWinkel seiner Provinz besuchte, in dem Achala (Fudo Myowo) Ver-ehrung genoß, bat ihn der Abt des nahen Klosters, auf dem Heim-weg auch dieses aufzusuchen. SHINGEN lehnte zuerst die Einladungab; da ihn die Vorbereitung eines in wenigen Tagen zu eröffnendenFeldzugs zu sehr in Anspruch nehme, habe er für diesmal keine Zeit,den Abt zu sehen. Er fügte hinzu, sobald er von diesem Unterneh-men zurückkehre, wolle er gern das Kloster besuchen. Aber der Abt,nebenbei derselbe, der sich später von den Soldaten ODA NOBUNAGAS

lebendig verbrennen ließ, drängte: ‹Die Kirschbäume beginnen ebenjetzt zu blühen, und ich habe schon einen Ruheplatz für Euch her-richten lassen, von dem aus Ihr die ganze Pracht des Frühlings ge-nießen könnt. Ich hoffe, Ihr verschmäht es nicht, die Kirschblüte zubewundern.›

SHINGEN war einverstanden: ‹Gegen die Kirschen kann ich mei-nen Kopf nicht durchsetzen, und auf die dringende Bitte des Abtsmuß ich Rücksicht nehmen.›

Zum Preise der schönen Gelegenheit, sich an den Blüten und demrein geistigen Gespräch mit dem Abt zu erfreuen, verfaßte SHINGEN

folgende japanische Verse:‹Hätte mein Freund mich nicht eingeladen, wie sehr hätte ich den

herrlichen Anblick der Kirschblüte entbehrt! Vielleicht wäre das Klo-ster im nächsten Frühling, wenn ich es aufgesucht hätte, ganz im

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Schnee begraben gewesen.20›Diese wunschlose Freude an der Natur, wie sie SHINGEN und KEN-

SHIN mitten in ihren Kriegszügen empfanden, bezeichnet man alsFuryu, und Menschen ohne dies Gefühl für Furyu gelten als die un-gebildetsten in Japan. Es ist nicht ein bloß ästhetisches Gefühl, son-dem hat auch eine religiöse Bedeutung. Vielleicht entspringt es der-selben Gesinnung, wenn gebildete Japaner verschiedenster Berufe imletzten Augenblick ihres Lebens noch ein japanisches oder chinesi-sches Gedicht niederzuschreiben pflegen.

Diese Verse sind bekannt als ‹Abschiedsverse vom Leben›. Die Ja-paner sind darin erzogen und geübt worden, selbst in der äußerstenErregung, in der sie sich befinden mögen, einen Augenblick der Mu-ße und Abkehr zu finden. Der Tod ist die ernsthafteste Angelegen-heit, die den ganzen Menschen beschäftigt, aber gebildete Japanersind der Meinung, sie müßten fähig sein, weiter zu blicken und ihnsachlich anzusehen. Die Gewohnheit, ein Abschiedsgedicht zu hin-terlassen, ist zwar auch in der Feudalzeit nicht von allen Gebildetenunbedingt eingehalten worden, aber sie entstand höchst wahrschein-lich in der Kamakura-Periode unter den Zen-Priestern und ihrenAnhängern. Als der BUDDHA in Nirwana einging, versammelteer seine Jünger um sich und richtete eine letzte Ermahnung an sie.

20 Die Liebe zur Kirschblüte scheint das andere Ich der Japaner zu sein.Einst zur Tokugawa-Zeit lag im Kerker von Koishikawa eine Gefangene,die zum Tode verurteilt war und vor dem Frühling hingerichtet werdensollte. Wenn sie zu ihrem Fenster hinausblickle, sah sie da einen Kirsch-baum stehen und hegte Sehnsucht, ihn blühen zu sehen. Als das Urteil ge-sprochen wurde, sprach sie den dringenden Wunsch aus, seine Blüte nocherleben zu dürfen, bevor sie scheide. Der Kerkermeister war ein freundlicherMann, er wußte was Furyu ist, und erfüllte ihren letzten Wunsch. Es heißt,sie habe dann voller Glück und Frieden den Tod erwartet. Der Kirschbaumwurde unter dem Namen Asatsuma berühmt.

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Das ist wohl von den chinesischen Buddhisten nachgeahmt worden,besonders von den Zen-Buddhisten, die statt einer Abschiedsunter-weisung für ihre Anhänger die Summe ihrer Lebensweisheit aus-sprachen.

TAKEDA SHINGENS Abschiedsworte waren ein Zitat aus der Zen-Literatur: ‹Sie baut vor allem auf ihre angeborene Leibesschönheitund hat es nicht nötig, zu Puder und Farben zu greifen, um schön zuerscheinen.› Das bezieht sich auf die unbedingte Vollkommenheitder Wirklichkeit, aus der wir alle kommen, zu der alle heimkehrenund in der wir alle leben und sind. Eine Welt von Wandlungenschwindet dahin und kehrt wieder, aber was hinter ihr steht, bleibtimmer unwandelbar in vollendeter Schönheit.

UESUGI KENSHIN hinterließ die folgenden Gedichte, eines auf chine-sisch, das andere japanisch:

‹Selbst ein lebenslanges Glück ist nur eine Schale Sake.Neunundvierzig Jahre sind vorbei wie ein Traum.Ich weiß nicht, was ist Leben, noch, was ist Tod?Jahrein und jahraus – es ist all nur ein Traum.›

‹Himmel und Hölle liegt fern zurück.Ich stehe im dämmernden Mond,Vom Gewölk der Gebundenheit frei.›

Aus den folgenden Berichten über den Tod der Kamakura-Krieger,wie sie im Taiheiki im späten 14. Jahrhundert zusammengestelltworden sind, wird ebenso wie aus dem Ende der Yerin-ji-Mönche sichklar ergeben, welchen Einfluß Zen auf Bushido, vor allem im Hin-blick auf die Einstellung zum Tode, ausgeübt hat.

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Unter den Gefolgsmännern HOJO TAKATOKIS, des Letzten aus demHojo-Geschlecht, war einer namens SHIAKU SHINSAKON NYUDO, dereinen mittleren Rang in der Samurai-Hierarchie von Kamakura be-kleidete. Als er im Begriff war, Selbstmord zu begehen, um seinemHerrn, dessen Ende gewiß war, nachzufolgen, rief er seinen ältestenSohn SABUROZAEMON zu sich und sprach zu ihm: ‹Kamakura ist ver-loren, da es auf allen Seiten vom Feinde umzingelt ist, und ich geheals getreuer Gefolgsmann, das Los meines Herrn zu teilen. Du aberbist noch jung, du warst noch nicht zum Dienst verpflichtet und stan-dest in keiner so nahen Verbindung mit dem Herrn wie ich selber.Sieh zu, wie du dem kommenden Verhängnis entrinnst, und wenn dudein Leben rettest, so werde ein Mönch, diene dem BUDDHA und betefür das Heil all unserer Seelen. Keiner wird dich deswegen schelten.›

SABUROZAEMON jedoch zeigte kein Verlangen, seines Vaters ver-nünftigem Rat zu folgen, denn er sagte: ‹Wenn ich auch noch keineDienstverpflichtung und keine persönliche Verbindung unserem Herrngegenüber habe, so bin ich doch als dein Sohn unter dem gütigenSchutz seiner Huld aufgewachsen. Lebte ich jetzt schon im Stand desMönchs, so wäre es etwas anderes. Da ich im Haus eines Samurai ge-boren bin, wie kann ich dich und unsern Herrn im Stich lassen undmich selber retten, um ein Mönch zu werden? Es gäbe keine ärgereSchande. Wenn du das Los unseres Herren teilen sollst, so laß michdein Führer ins künftige Leben sein.› Noch bevor er die letzten Wor-te beendet hatte, schnitt er sich den Leib auf und verschied.

Sein Bruder SHIRO, der dazukam, machte sich eilends bereit, sei-nem Beispiel zu folgen. Aber sein Vater NYUDO tat ihm Einhalt undsagte: ‹Sei nicht so eilig! Du mußt die Reihenfolge einhalten und aufmich warten.› SHIRO steckte sein Kurzschwert in die Scheide und ließsich gehorsam vor seinem Vater nieder, seiner weiteren Befehle ge-

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wärtig. Der Vater hieß ihn jetzt einen Stuhl bringen. Auf diesen setz-te er sich mit gekreuzten Beinen in der Haltung eines Zen-Priesters,rieb in aller Ruhe Tusche an, netzte seinen Pinsel und schrieb aufeinen Streifen Papier sein Abschiedsgedicht:

‹Dies mein Schwert streck ich aus,Schneide den Wahn entzwei.Mitten im FeuerbrandStrömt ein erquickender Wind.›

Als er zu Ende geschrieben, beging er als tapferer Samurai denSelbstmord, und SHIRO vollendete die Tat, indem er nach dem Ehren-kodex des Samurai seines Vaters Haupt abschnitt. Er selber bohrtesich dasselbe Schwert bis zum Griff in den Leib und sank tot nach vorwärts zu Boden

Zur Zeit des Sturzes der Hojo lebte auch ein anderer Zen-Kriegernamens NAGASAKI JIRO TAKASHIGE. Er ließ einen Zen-Lehrer kom-men, der zufällig auch der Lehrer HOJO TAKATOKIS war, und fragteihn: ‹Wie soll sich ein tapferer Krieger in einem Augenblick wie die-sem verhalten?› Der Zen-Meister erwiderte sofort: ‹Geh geradeausund führe dein Schwert!› Der Krieger verstand sogleich, was er mein-te. Er kämpfte aufs tapferste und fiel vor den Augen seines HerrnTAKATOKI.

Dies war der Geist, den Zen unter seinen Krieger-Anhängernpflegte. Zen trug ihnen keine Argumente vor über die Unsterblich-keit der Seele oder über die Weisheit der Wege Gottes oder über ei-nen sittlichen Wandel, sondern es verlangte einfach von ihnen, jedenSchluß, zu dem der Mensch gekommen ist, ob vernünftig oder unver-nünftig, geradeaus durchzuführen. Das Philosophieren kann man

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ruhig den verstandesmäßig Eingestellten überlassen, Zen fordert,daß gehandelt wird, und das wirksamste Handeln ist, vorwärts zugehen und nicht zurückzublicken, sobald der Weg klar ist. In dieserHinsicht ist Zen wahrhaftig die Religion des Samurai.

Ein ‹Isagi-yoku-Sterben› ist einer der liebsten Gedanken des japa-nischen Herzens. Bei manchem Tode, wo dies vorhanden ist, werdenselbst Unrecht und Verbrechen des Schuldigen milde beurteilt. Isagi-yoku bedeutet ‹kein Bedauern hinterlassen›, ‹mit reinem Bewußtsein›,‹wie ein tapferer Held›, ‹ohne Bedauern›, ‹bei voller Seelenstärke›und so weiter. Der Japaner haßt es, wenn man dem Tod mit Unent-schlossenheit und Zaudern entgegensieht, er möchte fortgeweht wer-den wie die Kirschblüten im Wind. Offenbar geht diese japanischeEinstellung zum Tode trefflich mit der Zen-Lehre zusammen. DerJapaner besitzt vielleicht keine ihm eigentümliche Lebensanschauung,aber ganz gewiß hat er eine Todesanschauung, die zuweilen höchstradikal erscheinen mag. Der Geist des Samurai, der Zen tief in sicheingeatmet hatte, hat diese Gesinnung sogar dem gewöhnlichen Vol-ke eingeflößt. Auch wo dieses nicht besonders geschult ist für denWeg des Kriegers, hat es seinen Geist mit dieser Gesinnung erfülltund ist bereit, sein Leben zu opfern für jede Sache, die ihm eine gutescheint. Das hat sich oft erwiesen in allen Kriegen, die Japan bis heutezu bestehen gehabt hat. Ein Ausländer, der über den japanischenBuddhismus geschrieben hat, bemerkt treffend, Zen sei der Charak-ter des Japaners.

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4. ZEN UND DIE SCHWERTMEISTERSCHAFT

Das doppelte Amt des Schwertes

‹Das Schwert ist die Seele des Samurai.› Wenn also vom Samurai ir-gendwie die Rede ist, so muß auch vom Schwert gesprochen werden.Vom Samurai wird, wenn er seiner Berufung treu sein will, verlangt,daß er sich über die Frage von Geburt und Tod, von Entstehen undVergehen erhebt und jeden Augenblick bereit ist, sein Leben hinzu-geben, das heißt sich dem Schwerthieb des Gegners auszusetzen oderseine Waffe gegen sich selber zu kehren. Das Schwert gewinnt so eineganz innerliche Verbindung mit dem Leben des Samurai; es ist dasSinnbild seiner Treue und Selbstaufopferung geworden. Die Vereh-rung, die ihm ganz allgemein und in verschiedener Weise zuteil wird,beweist dies.

Das Schwert hat somit ein doppeltes Amt zu erfüllen: das eine be-deutet die Vernichtung alles dessen, was dem Willen seines Trägerssich widersetzt, das andere den Verzicht auf jeden Antrieb, der ausdem Selbsterhaltungstrieb entspringt. Das erstere verbindet sich mitdem Geist der Vaterlandsliebe und des Kriegertums, das letztere hatim Hinblick auf Treue und Hingabe des Selbst eine religiöse Färbung.Im ersteren Fall kann das Schwert häufig nichts anderes als Zerstö-rung bezwecken, dann ist es einfach das Sinnbild der Kraft, zuweileneiner dämonischen Kraft. Daher muß es von seiner anderen Bestim-mung überwacht und geweiht werden. Sein gewissenhafter Trägerist sich dieser Wahrheit immer bewußt geblieben. Denn so wendetsich die Zerstörung gegen den Geist des Bösen. Das Schwert wird auf

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diese Weise gleichgesetzt mit der Vernichtung der Mächte, die sichdem Frieden, dem Recht, dem Fortschritt und der Menschlichkeit ent-gegenstellen. Und es vertritt jegliche Kraft, die für das geistige Wohlauf Erden wirkt. So wird es zur Verkörperung des Lebens und nichtdes Todes.

Zen spricht von dem Schwert des Lebens und von dem Schwert desTodes, und es ist die Aufgabe eines großen Zen-Meisters, zu wissen,wann und wie das eine oder das andere zu führen ist. Der Bodhisatt-va Manjusri trägt ein Schwert in der Rechten und Sutra in derLinken. Das mag an den Propheten MOHAMMED erinnern, alleindas heilige Schwert Manjusris ist nicht dazu da, irgendein lebendesGeschöpf zu töten, sondern unsere eigene Gier, Zorn und Torheit.Es ist gegen uns selbst gerichtet, denn wenn es diese Bestimmung er-füllt, wird die äußere Welt, die nur das Spiegelbild unseres Innerenist, gleichfalls befreit von Gier, Zorn und Torheit. Achala (FudoMyowo) trägt ebenso das Schwert und will damit alle feindlichenKräfte, die der Herrschaft der buddhistischen Tugenden sich widerset-zen, zunichte machen. Manjusri ist positiv und Achala negativ einge-stellt. Achalas Zorn ist lodernd wie das Feuer und läßt nicht nach,bis der letzte Schlupfwinkel des Feindes ausgebrannt ist. Dann erstwird er seine ursprüngliche Gestalt wieder annehmen und Vairocha-na Buddha sein, dessen dienende Offenbarung er ist. Vairochana hältnicht das Schwert, denn er selber ist das Schwert und thront einsam,alle Welten in seinem Inneren bergend. In dem folgenden Mondo hat‹das eine Schwert› diese Bedeutung. KUSUNOKI MASASHIGE (1294 bis1336) kam eines Tages in ein Zen-Kloster zu Hyogo, als er im Be-griff stand, auf das übermächtige Heer ASHIKAGA TAKAUJIS zu sto-ßen, und fragte den Meister: ‹Wenn ein Mann am Scheideweg zwi-schen Leben und Tod steht, wie soll er sich da verhalten?› Der Mei-

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ster antwortete: ‹Zerschneide die Zweiheit21 und richte das eineSchwert still in sich selber gegen den Himmel auf!› Dieses absolute‹eine Schwert› ist weder das Schwert des Lebens noch das Schwert desTodes, sondern das Schwert, aus dem diese Welt der Zweiheit ent-springt und in dem aller Zwiespalt seine Einheit besitzt, es ist Vairo-chana Buddha selber. Erfasset ihn, und ihr werdet wissen, wie ihreuch am Scheidewege verhalten sollt.

Das Schwert bedeutet nunmehr die Kraft und Unmittelbarkeitder religiösen Intuition, die im Gegensatz zum Verstande sich nichtzergliedert und so den eigenen Durchgang versperrt. Es geht gerade-aus, ohne nach rückwärts und seitwärts zu blicken. Es gleicht demMetzgermesser CHUANG-TSES, das die Gelenke zertrennt, als ob sienur auf es warteten, um sich zu lösen. CHUANG-TSE möchte sagen:Die Gelenke trennen sich von selber, und das Messer bleibt so auchnach langen Jahren des Gebrauchs ebenso scharf wie damals, da eszum erstenmal geschliffen war. Das eine Schwert der Wirklichkeitwird niemals stumpf, wenn es noch so viele Opfer des Selbstwahnsdurchschnitten hat.

Das Schwert ist auch mit dem Shinto-Glauben verbunden, dochglaube ich nicht, daß es hier eine so hochentwickelte geistige Bedeu-tung wie im Buddhismus gewonnen hat. Es trägt hier noch die Spurseines wörtlichen Ursprungs. Es ist nicht ein Sinnbild, sondern einGegenstand, der magische Kräfte besitzt. In der Feudalzeit Japanshat die Samurai-Kaste auf diesen Gedanken Wert gelegt, doch ist esschwer, genau zu bezeichnen, was sie sich darunter vorstellte. Sicherhegte sie eine hohe Verehrung für das Schwert: beim Tode des Sa-murai wurde es an seinem Lager aufgebahrt, und bei der Geburt eines

21 Wörtlich: ‹Schneide die zwei Häupter ab, und Ein kaltes Schwert steht

gegen den Himmel!›

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Kindes hatte es seinen Platz im Zimmer. Es war wohl die Absicht,damit die bösen Geister aus dem Raume abzuwehren, die Sicherheitund Glück der abgeschiedenen oder der ankommenden Seele bedro-hen konnten. Hier steckt noch ein Rest animistischer Vorstellungen.Auch die Idee des ‹heiligen Schwerts› ist wohl auf diese Weise zu er-klären.

Die Legende vom Schwertschmied Masamune

Es ist zu beachten, daß der Schwertschmied, wenn er ein Schwert zufertigen hatte, die Hilfe eines schirmenden Gottes anrief. Um ihn indie Werkstatt einzuladen, umschließt der Schmied diese mit geweih-ten Seilen und verhindert damit das Eindringen böser Geister. Dannvollzieht der Schmied an sich selber die Reinigungsgebräuche undlegt die Zeremonialkleidung an, in der er seine Arbeit verrichtet.Während der Eisenbarren gehämmert und mit Feuer und Wasser ge-läutert wird, befinden sich der Schmied und seine Gehilfen in derhöchsten inneren Spannung. Im Vertrauen auf den Beistand desGottes, der ihrem Werk zuteil werden soll, strengen sie sich bis zuräußersten Grenze ihrer Seelen-, Körper- und Geisteskräfte an. DasSchwert, das so geschaffen wird, ist in Wahrheit ein Kunstwerk undmuß etwas vom Geist seines Schöpfers widerspiegeln. Das ist wohlder Grund, daß im japanischen Schwert etwas steckt, das tief zur See-le unseres Volkes spricht. In der Tat betrachtet es das Schwert nichtals ein Werkzeug der Zerstörung, sondern als einen Gegenstand derBegeisterung. Daher die Legende von dem Schwertschmied MASA-MUNE und wie man seine Werke bewertet.

MASAMUNE wirkte in der späten Kamakura-Zeit, und seine Wer-ke werden von allen Schwertkennern wegen ihrer hervorragenden

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Eigenschaften einhellig gepriesen. Was die Schärfe der Klinge be-trifft, ist MASAMUNE22 vielleicht MURAMASA, einem seiner besten Schü-ler, nicht überlegen, aber es heißt von ihm, seine Arbeiten hätten et-was das Herz Befeuerndes, das seiner sittlichen Persönlichkeit ent-

22 DATE MASAMUNES Zusammentreffen mit diesem Zen-Priester geschahauf folgende Weise. MASAMUNE, dessen Gedichte auf den Fuji-Berg an an-derer Stelle angeführt sind, war ein eifriger Zen-Jünger. Als er einst nacheinem tüchtigen Abt für den Zen-Tempel, in dem die Seelentafeln seinerAhnen bewahrt standen, sich umsah, hörte er von einem Mönch, der ineinem unbedeutenden Landkloster lebte und der ihm empfohlen wurde. Umseine Eignung zu prüfen, lud er ihn auf seine Burg in Sendai. Der Mönch,sein Name war RIN-AN, folgte der Einladung und traf am vereinbarten Tagein der Stadt ein. Er wurde sofort in MASAMUNES Residenz geleitet. Nach-dem er einen langen Gang durchschritten hatte, ward ihm gesagt, der Herrerwarte ihn in einem der folgenden Räume. Er öffnete die Schiebetür undbetrat den Raum, doch war niemand darin. So durchschritt er ihn und tratin den nächsten, doch auch hier begrüßte ihn niemand. Das erschien ihmseltsam, doch schritt er weiter, und als er die nächste Tür öffnete, empfingihn Herr MASAMUNE plötzlich mit gezücktem Schwert, als wolle er ihn er-schlagen, und sagte: ‹Was hast du in diesem Augenblick zwischen Lebenund Tod zu sagen?› Der Mönch zeigte keinerlei Schreck über diese unge-wöhnliche Begrüßung durch seinen Oberherrn. Denn RIN-AN trat unter demgezückten Schwert flugs einen Schritt vor, packte MASAMUNE um die Hüftenund schüttelte ihn kräftig. Der große Kriegsgott und Herr über den ganzenNordosten Japans rief aus: ‹Du spielst ein gefährliches Spiel!› Der Mönchaber stieß ihn zurück und erwiderte: ‹Was für ein anspruchsvoller Mensch!›

In alten Zeiten gab es manche solche Begegnungen zwischen Zen-Mön-dien und mächtigen Lehensherren, die persönlich und handgreiflich dieDhyana-Schulung zur Zen-Erkenntnis jener auf die Probe stellen wollten.Da sie Krieger waren, die dem Tod jeden Augenblick auch in ihrem an-scheinend friedlichen Leben zu Hause ins Gesicht sehen mußten, so suchtensie darin auf eine durchaus sachliche und keineswegs scholastische Weisesich zu üben. Sie brauchten keine sogenannte Philosophie oder Religion,sondern eine praktische und unmittelbare Anleitung für ihr Berufsleben.Zen war der rechte Führer, dessen sie bedurften.

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springe. Die Legende berichtet: Wenn einer die Schärfe eines MURA-MASA-Schwerts erproben wollte, so hielt er es in fließendes Wasserund beobachtete, wie es sich gegen die abgefallenen Blätter verhielt,die auf der Strömung herabschwammen. Und er sah, wie die Klingejedes Blatt, das auf sie traf, entzweischnitt. Hielt er dann ein MA-SAMUNE-Schwert hinein, so fand er zu seiner Überraschung, daß dieBlätter der Klinge auswichen. Das MASAMUNE-Schwert war nichtdarauf aus, zu töten, es war mehr als ein Schneidegerät, aber dasMURAMASA-Schwert besaß nur diese Eigenschaft in der Vollkom-menheit, es lag keine göttlich begeisternde Kraft in ihm. Das MURA-MASA-Schwert ist Furcht erregend, aber das MASAMUNE-Schwertist menschlich. Das erstere strebt nach Herrschaft und Gewalt, dasletztere hat etwas Übermenschliches, wenn man diesen Ausdruck ge-brauchen darf. MASAMUNE grub seinen Namen fast nie in den Griff,obgleich dies unter den Schwertschmieden der Brauch war.

Sittliche und geistige Bedeutung des Schwertes

Das No-Spiel Kokaiji gibt uns eine Vorstellung von der sittlichenund geistigen Bedeutung des Schwerts für den Japaner. Das Stück istwahrscheinlich in der Ashikaga-Zeit entstanden. KAISER ICHIJO (re-gierte 986 – 1011) bestellte einst ein Schwert bei KOKAIJI MUNE-CHIKA, einem der größten Schwertschmiede seiner Tage. MUNECHIKA

fühlte sich hochgeehrt, doch konnte er den Auftrag nicht ausführenohne einen Gehilfen, der ihm an Können ebenbürtig war. Er betetezum Gott von Inari, seinem Schutzgott, er möge ihm jemand senden,der dem Werke gewachsen sei. Inzwischen bereitete er die geweihtePlattform genau nach den hergebrachten Vorschriften. Als die Rei-nigungsgebräuche vollbracht waren, sprach er folgendes Gebet: ‹Das

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Werk, an das ich gehe, dient nicht meinem eigenen Ruhm, es ge-schieht nach dem erhabenen Befehl des Kaisers, der die Erde be-herrscht. Ich bete zu allen Göttern, deren Menge unzählbar wie derSand des Ganges ist, sie mögen herbeikommen und dem geringenMUNECHIKA ihre Hilfe gewähren, der jetzt die höchste Anstrengungunternimmt, ein Schwert, der Tugend seines erhabenen Gönners wür-dig, hervorzubringen. Indem er zum Himmel emporschaut und sichzu Boden wirft, bringt er den Göttern dieses Nusa dar als Zeichenseines ernstlichen Verlangens, daß er das Werk mit Erfolg vollbrin-gen möge. Möge die Gottheit seiner aufrichtigen Gesinnung sich er-barmen!› Jetzt vernimmt man eine unbekannte Stimme: ‹Bete, bete,MUNECHIKA, mit aller Hingebung und allem Ernst! Die Zeit ist ge-kommen, das Eisen zu hämmern. Vertraue auf die Götter, und dasWerk wird getan.› Eine geheimnisvolle Gestalt erschien ihm und halfihm, das Schwert zu schmieden, dieses kam zur rechten Zeit aus derEsse hervor und wies alle Zeichen der Vollkommenheit und glück-haften Vorbedeutung auf. Der Kaiser war mit dem Schwert zufrie-den und hielt es für würdig, als heilig und Verdienst befördernd inseinem Schatz bewahrt zu werden.

Da eine göttliche Kraft bei der Herstellung des Schwerts beteiligtist, so muß auch sein Eigentümer und Träger dieser Berufung ent-sprechen. Er soll ein geistiger Mann, nicht ein brutaler Mensch sein.Seine Gesinnung soll im Einklang stehen mit der Seele, die die kalteFläche des Stahls belebt. Die großen Schwertmeister sind nicht müdegeworden, dieses Gefühl in die Herzen ihrer Jünger zu pflanzen.Wenn der Japaner sagt, das Schwert sei die Seele des Samurai, somuß man an all die Tugenden sich erinnern, von denen oben die Re-de war: Treue, Selbstopferung, Ehrfurcht, Wohlwollen und Hingabean den Glauben. Darin liegt das Wesen des Samurai.

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Zen-Lehre und Schwertkunst

Der Samurai trug zwei Schwerter, das eine längere zum Angriff undzur Verteidigung, das andere kurze zur Selbstvernichtung, wenn siegeboten war. Und naturgemäß hatte er sich mit dem größten Eiferin der Kunst der Schwertführung zu üben. Er war unzertrennlich vonder Waffe, die in der Tat mehr als irgend etwas anderes das Sinnbildseiner Würde und Ehre war. Die Übung in ihrem Gebrauch war, ab-gesehen von ihrem praktischen Zweck, zugleich das Mittel, ihn gei-stig und sittlich tüchtig zu machen. Hier berührte sich die Gesinnungdes Schwertträgers mit Zen. Wenn diese Tatsache auch in gewissemUmfang schon dargelegt wurde, so möchte ich noch einige weitereStellen anführen, die jene innere Verbundenheit zwischen Zen unddem Schwert noch besser erläutern.

Hier steht zunächst TAKUANS Brief an YAGYU TAJIMA-NO-KAMI

über die Verbindung von Zen und der Schwertmeisterschaft. Er trägtdie Überschrift: ‹Vom Unbewegten Begreifen.› Einen ganz kurzenAbschnitt daraus habe ich schon in einem meiner Bücher über Zenmitgeteilt. Da er zu lang für eine genaue und vollständige Überset-zung ist, habe ich ihn hier knapper zusammengefaßt, aber alle seineGrundgedanken bewahrt. Er ist in mehr als einer Hinsicht ein ge-wichtiges Zeugnis, da er ebensosehr das Wesen der Zen-Lehre wiedie Geheimnisse der Schwertkunst berührt. In Japan gilt, wie viel-leicht auch in anderen Ländern, die rein technische Beherrschung ei-ner Kunst als nicht hinreichend, um einen Mann wirklich zu ihremMeister zu machen, sondern er muß zugleich tief in ihren Geist einge-drungen sein. Dieser Geist aber ist erst dann erfaßt, wenn sein Herzin vollkommenem Einklang mit dem Prinzip des Lebens selber steht,das heißt, wenn er den geheimnisvollen Seelenzustand erreicht, derals ‹Mushin› oder ‹Nicht-Bewußtsein› bezeichnet wird. In der bud-

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dhistischen Ausdrucksweise heißt dies die Überwindung der Zweiheitvon Leben und Tod. An diesem Punkt mündet eine jede Kunst in Zen.TAKUAN betont in seinem Brief an den großen Meister der Schwert-kunst notwendig die Bedeutung von Mushin, das in gewisser Hin-sicht dem Begriff des Unbewußten entspricht. Psychologisch gespro-chen ist es ein Gemütszustand absoluter Passivität, in dem die Seelesich uneingeschränkt einer fremden ‹Kraft› überläßt. Hier wird derMensch sozusagen zum Automaten, was seine Bewußtheit betrifft.Aber wie TAKUAN auseinandersetzt, ist dies nicht zu verwechseln mitder Fühllosigkeit und hilflosen Passivität einer unorganischen Mas-se, wie etwa eines Felsens oder eines Holzblocks. ‹Unbewußt und den-noch bewußt› – dies verblüffende Paradox beschreibt allein diesenSeelenzustand.

Eine zentrale Lehre:Takuans Brief über das Unbewegte Begreifen

Die Buddhalehre unterscheidet zweiundfünfzig Stufen der geistigenEntwicklung. Eine von diesen heißt ‹Einhalten›, wo der Mensch aneiner Stelle sich festgerannt hat und nicht mehr weiterkommt. Duhast in deinem Schwertspiel etwas Dementsprechendes: wenn deinGegner zum Streich gegen dich ausholt und dein Sinn ganz auf seinSchwert gesammelt ist, so bist du nicht mehr freier Herr deiner eige-nen Bewegung, sondern stehst unter seinem Bann. Dies nenne ich‹Einhalten›, denn du bleibst an einer Stelle eingehalten. Wenn duaber bemerkst, wie deines Gegners Schwert auf dich zufährt, aberdeine Aufmerksamkeit nicht an dasselbe gefesselt stockt, so hast dudeinerseits keinen gebundenen Plan, wie du ihm begegnen willst,sondern du folgst dem Schwert einfach bis zur Person deines Geg-

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ners selbst, und das heißt: ihn mit seiner eigenen Waffe schlagen.In der Zen-Lehre gibt es einen Satz, der dasselbe meint: ‹Ergreif desFeindes eigenes Schwert, kehr es um, und du schlägst ihn damit.›Wenn deine Aufmerksamkeit auch nur einen Augenblick durch dasSchwert in des Feindes Hand gefesselt ist, oder durch dein eigenesSchwert, daß du überlegst, wie du es führen sollst, oder durch Per-sönlichkeit, Waffe, Ziel oder Bewegung, so gibst du gewiß demFeind eine Blöße, dich zu treffen. Du darfst dich auch nicht um denGegensatz zwischen dir und deinem Gegner kümmern, sonst gewinntdieser einen Vorteil über dich. Daher darfst du auch an dich selbernicht denken. Möglichst auf seiner Hut sein, die Aufmerksamkeit biszum äußersten Grad anspannen – das ist ganz recht für Anfänger,aber es führt dahin, daß dein Herz durch das Schwert hinweggerafftwird. Sobald deine Aufmerksamkeit auf diese oder jene Weise ge-bunden ist, verlierst du die Meisterschaft. Dieses ‹Einhalten› muß imGlauben so gut wie in deiner Fechtkunst überwunden werden.

In jedem von uns steckt etwas, das Unbewegtes Begreifen heißt.Dies gilt es zu üben. Unbewegt soll nicht bedeuten, daß man wie einFelsblock oder ein Baumstamm ohne Begreifen verharrt. UnbewegtesBegreifen ist das beweglichste Ding der Welt: es ist bereit, in jededenkbare Richtung zu gehen, und hat doch keinen Einhaltepunkt.Fudo, der Gott des unbewegten Begreifens, trägt ein Schwert in sei-ner Rechten und eine Fangschnur in seiner Linken, und seine Zähnesind grimmig, seine Augen brennend vor Zorn, er bedräut die bösenGeister, die der Lehre Schaden tun möchten. Er ist das Sinnbild derUnbewegten Erkenntnis, er ist nicht wirklich vorhanden und haustirgendwo auf Erden, sondern er nimmt diese Erscheinungsform an,um der Schirmherr der Lehre gegen alle ihre Feinde zu sein. Gewöhn-liche Menschen können die Bedeutung dieser Gestalt nicht begreifen,

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aber die nach Erleuchtung streben, erfassen sie und bemühen sich,ihre Unwissenheit und Verworrenheit zu bekämpfen, um seine Ge-genwart in ihrem eigenen Wesen zu spüren. Fudo vertritt das Unbe-wegte Begreifen, das heißt unser eigenes Herz, das für immer gestilltund doch allezeit beweglich verharrt. ‹Unbewegt› bedeutet ohne Auf-regung sein, die Aufmerksamkeit nicht auf eine Stelle heften und siedort ‹einhalten› lassen, sonst könnte sie nicht sich anderen Stellen zu-wenden, die ohne Unterlaß aufeinander folgen. Sowie ein Gegen-stand vor dir erscheint, wirst du ihn ganz von selber wahrnehmen,aber du darfst nicht bei ihm ‹einhalten›. Tust du aber dies, so häuftsich die Menge der Unterscheidungen in deinem Herzen, und jedewill die Herrschaft gewinnen. Wenn du sie aber beruhigen und nie-derschlagen willst, so bleibt dein Herz erst recht in Verwirrung.

Bist du von Gegnern umringt, und jeder von ihnen zückt seinSchwert gegen dich, so parierst du und bewegst dich von einemSchwert zum ändern. Du tust nicht ‹Einhalt› bei einem einzelnen,das auf dich zufährt. So kannst du mit allen gleich fertig werden.Wenn deine Aufmerksamkeit auf eines allein sich heftet und nichtsogleich zu den ändern weitergeht, so bist du deinen Feinden aufGnade und Ungnade ausgeliefert. Ebenso mußt du dein Herz freimachen, daß nicht ein einzelner Gegenstand es gefangen nimmt, undes seine angeborene Regsamkeit bewahrt.

Wenn du Kwannon Bosatsu (den Bodhisattva Avalokitesvara) mitseinen tausend Armen erblickst, so magst du dich fragen, wie er siedenn alle gebrauchen kann. Das würde stimmen, wenn sein Herz‹einhielte›, zum Beispiel bei dem Bogen, den er in einer Hand trägt,denn dann wäre er unfähig, mit den übrigen neunhundertneunund-neunzig etwas auszurichten. Aber weil er es nicht ‹einhalten› läßt beiirgendeinem der Gegenstände, die er in Händen hält, kann er mit je-

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dem von ihnen wirken. Wenn das Unbewegte Begreifen in dir er-weckt ist, kannst du ebensolche Wunder tun. In Wahrheit brauchtKwannon so viele Arme nicht; die Absicht ist nur, zu zeigen, daßwir, wenn Unbewegtes Begreifen in uns erwacht ist, jegliche Zahlvon Armen, einen jeden zum Besten, gebrauchen können23.

Da steht ein Baum mit so vielen Ästen, Zweigen und Blättern.Wenn dein Sinn bei einem der Blätter einhält, so kannst du alle übri-gen nicht mehr sehen. Statt dessen wollen wir uns ohne vorgefaßteMeinung oder gefesselte Aufmerksamkeit dem Baume gegenüberstel-len, so werden wir jedes einzelne seiner Blätter wahrnehmen kön-nen. Darum kein ‹Einhalten› an irgendeiner Stelle, die aus der ge-samten Folge des Daseins herausgegriffen wird. Wer diese Wahrheitnicht erfaßt, verneigt sich vor Kwannon und bildet sich ein, dies seieine wundertätige Gottheit mit tausend Armen und tausend Augen.Wer mit seinem bißchen Verstand sich brüstet, erklärt, es gebe keinesolche Wesen wie Kwannon, das alles sei nur Einbildung. Aber inWahrheit begreifen es die Weisen viel besser als die blinden Gläubi-gen und die Bilderfeinde. Die ersteren sind in mancher Hinsicht bes-ser als die letzteren – es kommt nur darauf an, daß wir die verbor-gene Wahrheit in diesen Bildern erfassen. Geht man auf die letztenGründe zurück, so entspringt alles aus einer grundlegenden Erfah-rung.

23 Das erinnert an die Geschichte vom Tausendfuß. Als man ihn fragte,

wie er es fertigbringe, so viele Beine zu gleicher Zeit und in Übereinstim-mung miteinander zu bewegen, machte die Frage ihn ‹einhalten› und nach-denken. Dieses Einhalten und Nachdenken brachte unter seinen Beinen gro-ße Verwirrung hervor, und jedes versuchte auf seine eigene Weise sich zubewegen. So verlor der Tausendfuß sein Leben. Auch CHUANG-TSES Geschich-te vom Chaos (Hun-lun) ist in diesem Zusammenhang beachtenswert.

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Wenn deine Unbewegte Erkenntnis erwacht ist, so kehrst du ge-wissermaßen zu der Stelle zurück, von der du ausgegangen warst.Erleuchtung ist letzten Endes ganz ähnlich der Unwissenheit selberIn ihr gewinnst du deine ursprüngliche Unbefangenheit wieder. Beideiner Schwertkunst weiß der Anfänger auch nicht, wie er das Schwerthalten, wie er sich decken soll und so weiter. Darum ist er ganz freivon der Einstellung des ‹Hinhaltens›: wenn der Gegner zuschlägt, sopariert er einfach. Sobald er aber die Kunst zu erlernen anfängt undvielerlei über sie erfährt, so verliert er sogleich sein früheres Selbst-vertrauen, sein Sinn wird veranlaßt, an der und jener Stelle ‹einzuhal-ten›, und er fühlt sich nicht mehr sicher. Er ist jetzt schlechter daranals vorher. Wenn er jedoch Jahre hindurch seine Übung fortsetzt, someistert er endlich die Kunst, er kümmert sich nicht mehr um daseinzelne, alles wird ihm selbstverständlich, und er ist wieder derselbe,der er früher gewesen ist. Es ist wie mit dem Zählen: wenn du bis zuzehn gelangt bist, so fängst du wieder mit eins an; eins und zehnsind Nachbarn geworden.

Genauso steht es mit dem Lehrgang des BUDDHA-Jüngers. Wenndu seinen höchsten Grad erreicht hast, so kann man dich einem ein-fältigen Kinde vergleichen, das nichts vom BUDDHA und nichts vomDharma weiß. Du bist frei von Ichwahn und frei von Heuchelei. Dannkannst du sagen, die Unbewegte Erkenntnis sei gleich dem Nichtwis-sen – sie sind beide nicht zweierlei, sondern eins, denn in ihr ist keinunterscheidender Verstand mehr, der den Menschen schwanken läßt,ob er eine Seite oder die andere wählen soll, und also nirgendwo ein‹Einhalten›, das den Seelenzustand des ‹Nicht-Denkens› (mushin odermunen) so sehr zu gewinnen hindert. Die Unwissenden haben ihreErkenntnis noch nicht erweckt und darum ihre Ursprünglichkeit be-wahrt. Die Weisen sind bis an das Ende des Erkennens gelangt, dar-

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um brauchen sie nicht mehr zu ihm zurückzukehren. Die beiden sindgleichsam gute Nachbarn geworden. Nur die mit der ‹halben Erkennt-nis› haben ihr Hirn vollgestopft mit Unterscheidungen.

Es gibt zwei Arten von Schulung, die eine im letzten Begreifen,die andere in der Methode. Die erste ist, wie gesagt, darauf gerichtet,den letzten Sinn der Dinge zu begreifen, für den keine vorgeschrie-benen Regeln das Handeln beschränken: da gibt es nur den einenSinn, der seinen eingeborenen Weg geht. Allein die Meisterschaft derEinzelmethoden ist ebenfalls notwendig. Hast du keine Kenntnis vonihnen, so weißt du nicht, wie du deine Aufgabe anfassen sollst. Indeinem Fall also mußt du wissen, wie das Schwert zu führen, wie einAusfall zu machen ist, welche Stellungen während des Kampfes maneinzunehmen hat und so weiter. Beide Formen der Schulung sind not-wendig, sie sind wie zwei Räder an einem Wagen.

Es gibt ein Wort, das wir oft anwenden: ‹Es darf kein Haar breitdazwischen sein.› Damit ist die Unmittelbarkeit der Antwort gemeint.Klatscht man in die Hände, so entsteht im selben Augenblick einSchall, da ist keines Haares Breite zwischen den beiden Ereignissen.Der Schall kennt kein Überlegen, ob er herauskommen will oder nicht,sobald die Hände zusammenschlagen, er folgt unmittelbar auf denSchlag. Wenn des Gegners Schwert auf dich niederfährt und dein Sinnhält dabei ein, so entsteht ein Zwischenraum, der sogleich deinemGegner zum Vorteil wird. Wenn aber kein Zwischenraum, nicht voneines Haares Breite, zwischen deines Feindes Hieb und deinem Gegen-schlag belassen bleibt, so wird sein Schwert das deine sein. In Zen istdieser Zwischenraum des ‹Hinhaltens› besonders verpönt, man heißtihn Bonno (klesa), eine zerstörende Leidenschaft. Es gilt, das Gemütallezeit schwimmend zu halten, wie einen Ball auf dem strömendenFluß.

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Dies Keinen-Zwischenraum-Lassen, bis die Antwort folgt, wirdauch mit dem Springen der Funken verglichen, wenn man auf Feuer-stein schlägt. Es gibt keinen leeren Augenblick zwischen dem einenund dem andern Geschehen – Schlag und Funke entsprechen sich bei-nahe zu gleicher Zeit. Es kommt hier auch nicht mehr so sehr auf dieSchnelligkeit des Aufeinanderfolgens an, sondern das ‹Nie-Einhalten›des Gemüts in seiner Tätigkeit ist gemeint. Wenn du schnell seinwillst, nur um der Schnelligkeit willen, so hält dein Sinn bei dieserVorstellung ein, und du bist nicht länger Meister deiner selbst. AlsSAIGYO eine Buhlerin von Eguchi bat, bei ihr übernachten zu dürfen,antwortete sie ihm mit folgenden Versen:

‹Da du ein Mann bist, der aus der Welt entflieht,So bet’ ich, du mögest nicht Einhalt tunBeim Gedanken an eine weltliche Wohnung.›

Der wesentliche Punkt dieser Strophe ist das Nichteinhalten des Her-zens, das hier als weltliche Wohnung gedeutet wird.

Wenn ein Mönch fragt: ‹Was ist der BUDDHA?› so erhebt vielleichtder Meister nur seine Faust. Wenn er gefragt wird: ‹Was ist der letzteSinn der Lehre?› so ruft er vielleicht, noch ehe der Frager seinen Satzbeendet hat: ‹Ein blühender Pflaumenzweig› oder ‹Eine Zypresse imKlosterhof›. Das Entscheidende ist, daß das antwortende Gemüt nichtirgendwo einhält, sondern stracks antwortet, ohne nur daran zu den-ken, ob die Antwort glücklich oder unglücklich trifft. Dies ‹Nichtein-haltende Gemüt› bleibt unbewegt, da keine Relativität es ablenkenkann. Es ist die ‹Substanz› der Dinge, ist Gott, ist der BUDDHA, das‹Wesen› von Zen, das ‹Tiefste Geheimnis› usw. Wenn deine Antwortnach einer Überlegung erfolgt, so gehört sie zur Kategorie der ‹stö-

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renden Leidenschaft›, mag sie als Wort und Gedanke noch so geist-reich sein. Die Antwort muß unmittelbar wie ein Blitz erfolgen.Wenn man zu dir spricht, und du sagst sogleich ‹Ja› – dies heißt Un-bewegte Erkenntnis. Spricht man zu dir, und du überlegst, und duwunderst dich, was gemeint oder beabsichtigt sein mag, so heißt dasdem Herzen Einhalt tun – das bedeutet Verwirrung und Unwissen-heit, daraus geht hervor, daß du noch ein Mensch von gewöhnlicherErkenntnis bist. Das, was auf einen Anruf sofort erwidern läßt, istBUDDHA-Weisheit, an der alle Wesen teilhaben, auch Götter und Men-schen, Weise und Unwissende. Tust du, was solche Weisheit dir ein-gibt, so bist du ein BUDDHA oder ein Gott. So verschieden die Lehrendes Shinto, der Dichtkunst, des K’UNG-FU-TZE sein mögen, sie zielenletzten Endes alle auf die Erfassung des ‹Einen Herzens›: (Ein Herz,BUDDHA-Weisheit und Unbewegte Erkenntnis sind Namen für einund dasselbe). Worte sind unzulänglich, das Herz zu erklären. Ver-suchen wir es, so wird das Herz gespalten, und es erscheint Ich undNicht-Ich, und wir überlassen uns (zufolge dieser Zweiheit) aller Artvon gutem und bösem Tun und werden zum Spielzeug des Karma.Das Karma entspringt wahrhaftig aus dem Herzen, und was uns ammeisten nottut, ist die Einsicht in das Wesen des Herzens. Wenige ha-ben diese Einsicht erlangt, die meisten von uns begreifen von seinemWirken nichts.

Aber mit der Einsicht allein ist es nicht getan, wir müssen dieseEinsicht im täglichen Leben verwirklichen. Was hilft es uns, die ganzeZeit von Wasser zu reden, wenn wir in Wirklichkeit durstig sind.Und soviel wir uns über das Feuer unterhalten mögen, so werden wirnicht warm davon. BUDDHAS und K’UNG-TZES Lehre haben das Wesendes Herzens erhellt, aber solange wir es nicht in unserem täglichenLeben leuchten lassen, haben wir noch keine wirkliche Einsicht in sei-

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ne Wahrheit. Die Hauptsache ist, immer daran zu denken und es imeigenen Ich wirklich zu machen.

Wohin soll das Herz sich wenden (beim Schwertkampf)? Wendetes sich den Bewegungen des Gegners zu, so hält es dabei ein. Wendetes sich auf das Schwert des Gegners, so hält es hier ein. Wendet essich auf den Gedanken, ihn niederzuschlagen, so hält es bei diesemGedanken ein. Wendet es sich auf den Gedanken, vom Gegner nichterschlagen zu werden, so hält es bei diesem Gedanken ein. Wendetes sich auf die Stellungen des Gegners, so hält es bei diesen ein. Wo-hin soll das Herz sich wenden, wenn man will, daß es frei und un-gehemmt wirke?

Man hat schon gefragt: Wenn das Herz sich auf alle diese Einzel-punkte wendet, so hält es ein, und der Gegner gewinnt sicher dieOberhand – ist es nicht besser, man hält es einfach im Leib zurück?Dadurch kann man den Bewegungen des Gegners folgen und ent-sprechend handeln. Ich denke, das ist ein ausgezeichneter Rat. Alleinvon der höchsten Stufe der BUDDHA-Schulung aus gesehen, ist diesVerfahren recht unvollkommen, es ist noch die Stufe des Anfängersund entspricht der ehrfurchtsvollen Haltung des K’UNG-TZE oder auchder Belehrung des MENG-TZE, man solle das davoneilende Herz zuhalten suchen. Das ist noch nicht der Gipfelpunkt. Denn wenn dudarauf bedacht bist, dein Herz sicher in deinem Leib zu bewahren,so hemmt eben dieser Gedanke, es dort zu bewahren, das Wirken desHerzens, und du wirst in deinem Handeln gar sehr behindert.

Frage: Wohin soll das Herz sich also wenden, wenn es nicht imLeibe zurückgehalten wird?

Antwort: Wenn es deiner rechten Hand sich zuwendet, so hält esin der Rechten ein und stört die freie Bewegung des übrigen Körpers.Wenn es den Augen sich zuwendet, so hält es dort ein und hemmt

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das Wirken des ganzen Körpers. Ebenso an jedem andern Teil desKörpers. Du darfst dein Herz nicht an irgendeine einzelne Stellebinden, denn das würde für alle andern eine Hemmung sein. Wohinsoll also das Herz sich wenden, damit die höchste Schlagkraft desGeistes und des Leibes erreicht wird? Meine Antwort lautet: Denkegar nicht daran, wohin das Herz sich wenden soll, dann wird dasHerz den ganzen Leib bis zu den Finger- und Zehenspitzen erfüllen.Wenn die Hände bewegt werden sollen, so gehorchen sie dem Herzensogleich; sollen die Augen umherschauen, so folgen sie dem Befehldes Herzens im Augenblick. Das gilt von jedem Teil des Körpers, undso wird er mit vollkommener Wirkung arbeiten. Das Herz also darfnicht an irgendeinen Körperteil überlassen werden, es muß mit vollerKraft in allen Körperteilen sich auswirken. Der Gedanke an ein be-stimmtes Tun lenkt das Herz auf eine Seite, und alle andern Seitenkommen zu kurz. Mache dir keinen Gedanken, keine Überlegung,keine Unterscheidung, so wird das Herz überall gegenwärtig und inseiner vollsten Fähigkeit die jeweilige Aufgabe erfüllen. In allen Din-gen müssen wir uns vor Einseitigkeit hüten. Ist das Herz einmal ineinem Teil des Körpers festgehalten, so muß es von dieser Stelle fort-genommen und da zur Wirkung gebracht werden, wo es gebrauchtwird. Dieses Übertragen ist in der Tat keine leichte Aufgabe, denndas Herz haftet genau da, wo es einmal ‹eingehalten› hat. Es kostetZeit, auch wenn die Übertragung sofort geschieht. Du darfst deinHerz nicht an einen Pfahl binden wie eine Katze, damit sie bei dirbleibe. Damit es an allen zehn Stellen wirkt, laß es an keiner von ih-nen verharren! Verharrt es irgendwo, so läßt es zuletzt die übrigenneun im Stich. Dazu gehört aber große und lange Übung.

Man muß zwischen dem ‹ursprünglichen› Herzen (honshin) unddem ‹oberflächlichen› Herzen (moshin) unterscheiden. Das ursprüng-

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liche Herz erfüllt den ganzen Körper. Wenn man es an einer Stelle‹einhalten› und an ihr haften läßt, so verliert es seine Beweglichkeitund wird zum oberflächlichen Herzen. Da kein ursprüngliches Herzmehr vorhanden ist, so ist der Körper behindert. Das ursprünglicheHerz gleicht dem Wasser, es ist allezeit flüssig, aber das oberfläch-liche ist wie Eis, man kann sich nicht einmal damit waschen. Um eszu gebrauchen, muß man es schmelzen, so daß es wieder durch denKörper in allen seinen Teilen strömen kann.

Wir unterscheiden auch zwischen Ushin ‹gegenwärtiges Herz› undMushin ‹Nicht-Herz›. Unter gegenwärtigem Herzen versteht manein Herz, das einseitig verhaftet ist ähnlich wie das oberflächlicheHerz. Dieses ‹hält ein›, überlegt und unterscheidet. Es bleibt gegen-wärtig, und damit ist das Strömen des ursprünglichen Herzens ge-hemmt. Das Mushin-Herz ist das ursprüngliche Herz, das keine Fest-legung, kein ‹Einhalten›, kein Überlegen und kein Unterscheidenkennt. Dafür durchdringt es das ganze Wesen und ist im höchstenGrade lebendig. Es ist nicht wie ein Steinblock oder ein Holzklotz.Es hält an keiner Stelle ein, denn Einhalten würde die Gegenwarteines Etwas, das heißt ein Hemmnis bedeuten (und wo etwas Hem-mendes ist, da ist Mushin nicht). Mushin bedeutet, nicht irgendeinHerz haben, und eben durch dieses Nicht-Herz-Haben bewegt sichdas Herz von einem zum andern. Das klingt seltsam, aber in Wahrheitist dieses ‹Nicht-Herz› gleich dem Wasser, das einen Teich füllt, aberjederzeit bereit ist, abzufließen, wohin es gebraucht wird. Wiederumgleicht es dem Rad, das um eine Achse sich dreht, die nicht zu straffnoch zu locker ist. Wenn das Rad zu straff an der Achse sitzt, so drehtes sich nicht mehr und kann seine Aufgabe nicht erfüllen. Wenn dasHerz auf einen Gegenstand geheftet ist, so nimmt es andere Gegen-stände nicht mehr wahr. Wenn du von bestimmten Gedanken beses-

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sen bist, so ist dein Herz in demselben Maß andern Gedanken ver-schlossen. Bist du in Anspruch genommen, so kannst du nichts hörennoch sehen, hältst du aber dein Herz leer, das heißt offen, so kannstdu alles aufnehmen, was an dich herantritt – das heißt Mushin.Denkst du aber nur daran, dein Herz leer zu halten, so wird geradedieser Herzenszustand dich daran hindern, Mushin oder das ur-sprüngliche Herz zu verwirklichen. Hier liegt die Schwierigkeit inder Erlangung des Nicht-Herz-Zustandes. Wenn dein Üben aber zurReife gelangt, so kommt er von selber. Du kannst diesen Mushin-Zustand nicht beschleunigen24. So heißt es in einem alten Gedicht:

‹Auf Nichtdenken bedacht sein, ist immer noch Denken.O war ich erst jenseits von Denken und von Nichtdenken!›

Drückt man einen leeren Flaschenkürbis auf das Wasser, so tanzter bei jeder Berührung auf und nieder, und man kann ihn nie an einerStelle festhalten. Wenn das Herz durch kein Ding angehalten wird,so ist es genauso lebendig wie der Flaschenkürbis. ‹Halte dein Herzwach, damit es nirgends hafte!› – Das steht im Prajnaparamita Sutrageschrieben und bedeutet, daß man das Herz ohne Hemmung durchirgendeinen Gegenstand bewahren soll. Wenn es zu einer Tätigkeitsich bewegt, so hält es bei ihr ein und kann nicht weitergehen. AlleHaftung und Verstrickung entsteht aus diesem ‹Einhalten›, und auchdas Wiedergeborenwerden nimmt hier seinen Ursprung. Das Herz,das auf diese Weise ‹einhält› oder eingehalten wird, ist die Ursachevon Geburt und Tod. Die Weisen, die das Geheimnis irgendeinerKunst erfaßt haben, verhalten sich anders: sie gehen umher und han-deln wie andere Menschen, aber ihr Herz hält nie ein und bewahrt

24 Vgl. die Geschichte von Satori, S. 89 ff.

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seine ursprüngliche Beweglichkeit. Sie betrachten die Blumen und be-wundern ihre Schönheit, aber sie halten dabei nicht ein. Die Blumenblühen, weil dies ihr Wesen ist, sie sind im Zustand des Mushin, desNicht-Herz-Seins. Aber die Betrachter haften an ihnen, und um die-ses Haftens willen sagt man, ihre Herzen seien befleckt. Die Lehredes K’UNG-TZE von der Haltung der Ehrfurcht ist für die Anfängerim Tao bestimmt, dessen Erfüllung wird erst in der BUDDHA-Lehrevom Nicht-Herzen erreicht. Die Haltung der Ehrfurcht geht daraufaus, das Herz zu bändigen, daß es nicht in die Irre schweift. Ist diesnach langen Jahren der Übung gelungen, so fällt jede Hemmung desHerzens von selbst von ihm ab und wird nicht mehr beachtet. Dannist das Erwachtsein des Herzens erreicht, und es gibt nirgends ein‹Einhalten› mehr. Solange es aber noch jede Minute in der Stundebewacht werden muß, gleicht es einem eben erst angenommenenKätzchen, das noch am Strick festgebunden ist25. Es hat noch keineFreiheit, und ohne Freiheit kann es in seiner vollen Kraft noch nichtwirken. Das Endziel ist aber, daß das Kätzchen im Haus und außerdem Haus frei umherstreifen darf und daß es sogar einem Vöglein,das mit ihm gehalten wird, kein Leid antut.

Wendet man dies auf die Meisterschaft in der Schwertkunst an, soist der höchste Grad der Vollendung erreicht, sobald dein Herz sichnicht mehr darum bekümmert, wie der Gegner zu treffen ist, unddoch das Schwert in der wirksamsten Weise zu führen weiß, wenndu ihm gegenüberstehst. Du streckst ihn einfach zu Boden und denkstnicht daran, daß du ein Schwert in der Hand hältst und daß einer vordir steht. Da ist kein Gedanke an Ich und Du mehr – alles ist Leere,

25 Abendländischen Lesern mag dies seltsam klingen, aber in Japan pflegt

man ein junges Kätzchen oft eine Zeitlang anzubinden, bis es sich an dieneue Umgebung gewöhnt hat.

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der Gegner, du selbst, das gezückte Schwert und die schwertführendenArme, ja sogar der Gedanke der Leere ist nicht mehr da. Aus solcherabsoluten Leere entspringt die wunderbarste Entfaltung des Tuns.

Als BUKKO KOKUSHI, der Gründer des Engakuji, noch in Chinaweilend, von einer Mongolenhorde mit dem Tode bedroht war, dasprach er von ‹dem Blitz, der den Frühlingswind entzweischneidet›.Das Schwert, das der Yuan-Krieger über ihm gezückt hielt, erschienihm nicht anders als ein Blitzstrahl. Daß ihn einer ermorden wollte,das berührte ihn selber nicht mehr als der sanfte Frühlingswind, derihn umwehte. Das Schwert, das sein Leben bedrohte, galt ihm fürnichts, der Mensch, der ihn erschlagen wollte, galt ihm für nichts,das sogenannte Ich, das im Begriff war, ausgelöscht zu werden, galtihm ebenso für nichts. In diesem Spiel der Leere gab es kein Herz, dasangehalten, keine Stelle, an der es eingehalten wurde. Der Blitz zuckt,der Wind weht, das Schwert fährt nieder, der Mensch stürzt, unddie Leere bleibt, was sie von Ewigkeit war.

Dasselbe kann man auch von der Tanzkunst sagen. Du nimmsteinfach den Fächer in die Hand und stampfst mit den Füßen auf, in-dem du dich umherbewegst. Sowie du aber von dem Gedanken be-sessen bist, wie du deine Arme und Beine richtig und wirksam bewe-gen sollst, so ist dein Herz festgehalten, und dein Tanz ist verdorben.Vollkommene Hingabe bedeutet ein vollkommenes Vergessen des Ichund aller Dinge, die mit ihm zusammenhängen.26 –

26 TAKUANS Brief geht noch weiter, verliert sich aber mehr oder weniger

in Einzelheiten. Er ist daher an dieser Stelle gekürzt und abgeschlossen.

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Das Wesen von Mushin

Zur Ergänzung von TAKUANS Ausführungen sei noch die folgendeGeschichte mitgeteilt, da sie den Zustand des ‹Nicht-Herz-Seins› deut-lich macht.

Ein Holzfäller war einst eifrig damit beschäftigt, in den abgelege-nen Bergen Bäume zu fällen. Da erschien ein Tier namens Satori. Eswar ein Geschöpf von fremdartigem Aussehen, das in den Dörfernselten gefunden wurde. Der Holzfäller hätte es gerne lebend einge-fangen. Das Tier las in seinem Herzen: ‹Nicht wahr, du möchtestmich lebend einfangen?› Der Mann erschrak sehr und wußte nicht,was er sagen sollte, worauf das Tier sprach: ‹Du wunderst dich offen-bar, daß ich Gedanken lesen kann.› Noch mehr verblüfft, dachte erdaran, das Tier mit einem Axthieb niederzustrecken, worauf Satoriausrief: ‹Jetzt möchtest du mich gar umbringen.› Der Baumfäller fühl-te sich nun ganz verwirrt, und da er einsah, daß er gegen das geheim-nisvolle Tier überhaupt nichts ausrichten konnte, wollte er wieder anseine Arbeit gehen. Satori ließ ihn aber nicht in Ruhe, sondern folgteihm und meinte: ‹Jetzt hast du mich also ganz aufgegeben.›

Der Baumfäller wußte nicht mehr, was mit dem Tier noch was mitsich selber anfangen. Er nahm also die Sache einfach, wie sie war,ergriff seine Axt und begann mit aller Kraft wieder auf die Bäumeeinzuschlagen und an nichts anderes zu denken. Das Tier aber be-achtete er gar nicht mehr. Wie er so arbeitete, löste sich das Eisen derAxt vom Griff, flog dem Tier an den Kopf und erschlug es. Denn mitall seiner klugen Gedankenleserei hatte es nicht verstanden, im Her-zen des ‹Nicht-Herzens› zu lesen.

Auf der höchsten Stufe der Schwertmeisterschaft gibt es eine Ge-heimlehre, die nur den vollkommenen Meistern eröffnet wird. Dierein technische Übung ist nicht genug, dieses Können geht über das

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Lehrlingsstadium nicht hinaus. Die Geheimlehre ist unter denMeistern bekannt als ‹Der Mond im Wasser›. Einem Schriftstellerzufolge wird dies auf folgende Art erklärt, die in Wahrheit nichtsanderes bedeutet als die Zen-Lehre, die Lehre von Mushin:

‹Was versteht man unter dem Mond im Wasser?›Das wird von den verschiedenen Schulen der Schwertkunst ver-

schieden erklärt, aber der Grundgedanke ist, daß man die Weise er-faßt, auf die der Mond sich überall spiegelt, wo eine Wasserflächeist, und das geschieht durch den Zustand von Mushin. Eines der kai-serlichen Gedichte, die am Teiche von Hirosawa verfaßt wurden, lau-tet:

‹Der Mond hat nicht die Absicht, sein Bild irgendwohinzu werfen,

Noch hegt der Teich den Wunsch, den Mond zu Gast zuhaben.

Wie heiter-still ruhn Hirosawas Wasser!›

Aus diesen Versen kann man einen Einblick in das Wesen von Mu-shin gewinnen, in dem es keine Spur von künstlichem Bestreben gibtund die Natur selber ganz unberührt sich auswirkt.

‹Wiederum ist es gleich dem einen Mond, der in Hunderten vonStrömen sich spiegelt: das Mondlicht teilt sich nicht in viele Abbil-der, sondern das Wasser spiegelt es zurück. Das Mondlicht bleibt im-mer dasselbe, auch wo kein Wasser ist, es abzuspiegeln. Wiederumist es dem Mond gleichgültig, ob so viele Wasserflächen oder auchnur eine kleine Pfütze da ist. Durch dieses Gleichnis kann man dasGeheimnis des Herzens besser begreifen. Mond und Wasser aber sindgreifbare Dinge, das Herz jedoch hat keine Gestalt, und sein Wirken

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ist schwer zu erspüren. Die Sinnbilder enthalten nicht die ganze Wahr-heit, sie können nur andeuten.›

‹Unbewegte Erkenntnis› am Erlebnis eines Stierkämpfers erläutert

‹The Atlantic Monthly› vom Februar 1937 enthält den Bericht einesspanischen Stierkämpfers namens JUAN BELMONTE über seine Erfah-rungen in dieser Kunst. Der Stierkampf besitzt offenbar viel Ähn-lichkeit mit der japanischen Fechtkunst. Dieser Bericht ist voll vonhöchst beachtenswerten Andeutungen, ich führe daher hier einen Teilder Anmerkung des Übersetzers und JUAN BELMONTES eigene Erzäh-lung über den Stierkampf an, der ihm den Ruhm des besten Kämp-fers seiner Tage verschafft hat. Bei diesem Kampf erlebte er jenenGemütszustand, von dem in TAKUANS Brief an YAGYU TAJIMA-NO-KAMI die Rede war. Hätte der spanische Held eine buddhistische Schu-lung genossen, so hätte er sicher einen Einblick in die Unbewegte Er-kenntnis gewonnen.

Die Anmerkung des Übersetzers lautet zu einem Teil folgender-maßen: ‹Der Stierkampf ist nicht ein Sport, und man kann ihn nichtmit einem solchen vergleichen. Der Stierkampf, mag man ihn liebenoder nicht, mag man ihn billigen oder nicht, ist eine Kunst wie Ma-lerei oder Musik und läßt sich nur als Kunst beurteilen. Seine Erre-gung ist geistiger Art und rührt an Tiefen, die man nur mit den Tie-fen vergleichen kann, wie sie ein Symphoniekonzert unter einem gro-ßen Kapellmeister in einem Menschen aufwühlt, der die Musik kennt,versteht und liebt.›

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JUAN BELMONTE beschreibt seinen Gemütszustand im entschei-dendsten Augenblick seines Kampfs mit folgenden Worten:

‹Sowie mein Stier die Arena betrat, ging ich ihm entgegen, undbeim dritten Schritt hörte ich schon das Geschrei der Menge, die vonden Plätzen aufgesprungen war. Was hatte ich denn getan? Auf ein-mal vergaß ich die Zuschauer, die andern Stierkämpfer, mich selberund sogar den Stier. Ich begann zu kämpfen, wie ich sooft schon desNachts in den Hürden und auf der Weide für mich allein gekämpfthatte, und mit solcher Genauigkeit, als hätte ich eine Zeichnung aufeiner Wandtafel zu entwerfen.

Man sagte mir später, meine Schritte mit dem Umhang und meineArbeit mit der Muleta an diesem Nachmittag seien eine Offenbarungder Kunst des Stierkampfs gewesen. Ich weiß es nicht und kann nichtdarüber urteilen. Ich kämpfte einfach so, wie ich glaubte, man müssekämpfen, und hatte keinen Gedanken außer meinem eigenen Glau-ben an mein Tun. Bei dem letzten Stier gelang es mir zum erstenmalin meinem Leben, mit Leib und Seele mich der reinen Freude desKampfs hinzugeben, ohne daß die Zuschauer in meinem Bewußtseinüberhaupt noch vorhanden waren. Wenn ich früher allein auf demLande mit den Stieren spielte, so pflegte ich mit ihnen zu sprechen,und an diesem Nachmittag hatte ich wieder eine lange Unterhaltungmit dem Stier, die ganze Zeit über, während der meine Muleta dieArabesken der Faena beschrieb. Als ich nicht wußte, was ich sonstmit dem Stier anfangen sollte, kniete ich unter seinen Hörnern nie-der und brachte mein Gesicht seiner Schnauze ganz nahe.

Komm her, Stierchen! flüsterte ich ihm zu. Pack mich! Dann standich wieder auf, breitete ihm die Muleta unter die Nase und setzte meinSelbstgespräch fort, um ihn wieder zum Angriff aufzumuntern.

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Hierher, Stierchen! Greif mich nur hübsch an! Es geschieht dir!nichts. – Da bist du ja. – Da bist du wieder. – Siehst du mich, Stier-chen? – Was? Du bist müde? – Komm her! Pack mich! Sei kein Feig-ling! – Pack mich!

So führte ich die ideale Faena aus, die Faena, die ich so oft und mitso vielen Einzelheiten in meinen Träumen gesehen hatte, daß jederZug mit mathematischer Schärfe in mein Gehirn eingezeichnet war.In meinen Träumen hatte die Faena immer mit einem Unglück geen-det, denn wenn ich vorging, um den Stier zu töten, traf mich dieserjedesmal am Bein. Es muß eine Art unbewußtes Wissen um ein ge-wisses Ungeschick zum letzten Streich gewesen sein, das mir immerdiesen tragischen Schluß suggeriert hat. Trotzdem fuhr ich jetzt fort,meine ideale Faena auszuführen, ich stellte mich genau zwischen dieHörner des Stiers und hörte nur wie ein fernes Murmeln den Beifalls-jubel der Menge. Da im letzten Augenblick traf mich, genau wie ichgeträumt hatte, der Stier noch und verwundete mich am Schenkel.Ich war so berauscht, so außer mir selber, daß ich es kaum bemerkte.Ich stach zu, und der Stier brach vor meinen Füßen zusammen.›

Es muß noch hinzugefügt werden, daß BELMONTES Gemüt vor sei-nem letzten Kampf mit dem Stier in einem höchst aufgeregten undverworrenen Zustand gewesen war: Gedanken an die Nebenbuhler,Verlangen nach Erfolg, ein Gefühl der Minderwertigkeit und dieFurcht, die Zuschauer seien bereit, sich über ihn lustig zu machen –das alles erfüllte ihn. Er bekennt: ‹Ich war ganz verzweifelt. Wie warich nur auf den Gedanken gekommen, ich sei zum Stierkämpfer ge-schaffen? Du hast dich selber zum Narren gehalten, dachte ich. Weildu ein paarmal bei Novilladas (Anfängerkämpfen) ohne PicadoresGlück gehabt hast, könnest du etwas ausrichten.› Aus diesem Gefühlder Verzweiflung heraus aber entdeckte BELMONTE etwas anderes,

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das bis dahin ganz ungeahnt in ihm geschlummert hatte, als er denStier herauskommen und ihm entgegentreten sah. Dieses Etwas warzuweilen schon in seinen Träumen dagewesen, das heißt, es hattetief in seinem Unbewußten geschlafen, aber es war nie ans helle Ta-geslicht durchgebrochen. Das Gefühl der Verzweiflung trieb ihn anden Rand des seelischen Abgrunds, aus dem er mit einem letztenSprung sich rettete. Und das Ergebnis war: ‹Ich war so berauscht, soaußer mir selber, daß ich es kaum bemerkte› – nicht nur es (nämlichseine Verwundung), sondern in Wahrheit alles und jedes. Die Unbe-wegte Erkenntnis war sein Führer, und er überließ sich gänzlich die-ser Führung. Ein bekannter Zen-Meister der Kamakura-Zeit singt:

‹Der Bogen zerbrach,Kein Pfeil ist mehr da –Jetzt aber gilt’s:Nimm dein Herz in die Hand!Schieß mit Macht und Gewalt!›

Ein Pfeil ohne Schaft, vom Bogen ohne Sehne geschnellt, muß jaden Felsen spalten, wie es einst in einer Geschichte der ostasiatischenMenschheit geschehen ist.

In allen Kunstzweigen so gut wie im Zen-Buddhismus gilt diesesHindurchbrechen durch die Krisis als entscheidend, um an den Le-bensquell aller wahren Schöpferwerke zu gelangen. Dies möchte ichvom Standpunkt der Religionspsychologie noch in einem besonderenWerk über Zen näher untersuchen.

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Die Geheimlehren der Fechtschulen

Shinkage-ryu hieß eine der beliebtesten Fechterschulen im mittel-alterlichen Japan. Sie war in der Ashikaga-Zeit aufgekommen undKAMI-IDZUMI ISE-NO-KAMI ihr Gründer, der in der zweiten Hälftedes 16. Jahrhunderts gewirkt hat, während ihr ursprünglicherSchöpfer behauptete, er habe das Geheimnis seiner Kunst unmittel-bar von dem Gotte von Kashima empfangen. Ohne Zweifel hat dieSchule seither noch weitere Entwicklungsstufen durchgemacht, undihre sogenannten Geheimlehren müssen einen beträchtlichen Um-fang gewonnen haben, denn gegenwärtig gibt es eine Reihe ver-schiedener Vermächtnisse, die der Meister seinen besten und wür-digsten Schülern hinterlassen haben soll. Unter diesen Zeugnissengibt es Sätze und Kurzgedichte, die sehr nach Zen schmecken und,oberflächlich betrachtet, mit der Schwertführung gar nichts zu tunhaben.

Das endgültige Dokument zum Beispiel, das den Adepten alsMeister dieser Schule beglaubigt, enthält nichts als einen Kreis.Man nimmt an, dieser solle einen glänzenden Spiegel bedeu-ten, rein von allem Staub und Schmutz, und hierin liegt ohne Zwei-fel eine Anspielung auf die buddhistische Lehre der ‹großen voll-kommenen Spiegel-Weisheit›, das heißt der ‹Unbewegten Erkennt-nis› TAKUANS, von der oben die Rede war. Des Fechters Herz sollsich vollkommen frei bewahren von selbstsüchtiger Leidenschaftund verstandesmäßiger Berechnung, damit die ‹ursprüngliche In-tuition› sich völlig auswirken kann – das ist der Zustand des ‹Nicht-Herzens›. Rein technisches Können in der Schwertführung genügtzur vollen Eignung als Schwertmeister nicht. Dieser muß die letzteStufe geistiger Übung erreicht haben, nämlich den Zustand des Nicht-Herzens, dessen Sinnbild ein leerer Kreis ist.

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Es gibt unter manchen rein technischen Vorschriften in den gehei-men Lehrzeugnissen der Shinkage-ryu-Schule einen Ausdruck, deranscheinend keine Beziehung zur Kunst in ihrem wörtlichen Sinnehat. Da alle diese Geheimlehren mündlich überliefert werden sol-len und da ich ihnen durchaus fern stehe, so bin ich nicht in der La-ge, zu ermitteln, was dieser besondere Ausdruck für eine organischeVerbindung mit der tatsächlichen Schwertführung hat. Allein sovielich beurteilen kann, muß er aus der Zen-Literatur abgeleitet seinund ist außer diesem Zusammenhang überhaupt nicht zu verstehen.Er lautet: ‹Die Wasser im Westfluß›. Ein Kommentator, der offen-bar den wirklichen Sinn nicht entdeckt hat, meint, dies bezeichneeinen abenteuerlich-gewalttätigen Gemütszustand, der nicht da-vor zurückschrecke, den ganzen Fluß zu verschlingen. Das wäre zummindesten lächerlich. In Wahrheit wird auf ein Zen-Mondo ange-spielt, das zwischen MA-TSU (gestorben 788) und seinem Laienschü-ler P’ANG CHÜ-CHIH in der T’ang-Zeit stattgefunden hat. P’ANG

fragte:‹Welcher Art ist der Mensch, der keine Gemeinschaft mit irgend

etwas (oder irgend jemandem) hat?›‹Ich sage dir’s›, erwiderte MA-TSU, ‹wenn du mit einem Schluck

alles Wasser im Westfluß verschlungen hast.›Diese Worte sollen P’ANGS Herz geöffnet und ihm eine Erleuch-

tung geschenkt haben.Denken wir an diesen Vorfall, so können wir verstehen, warum

der Ausdruck ‹Die Wasser im Westfluß› Eingang in die Geheim-lehren der Fechtschule gefunden hat. P’ANGS Frage hat ihre großeBedeutung und ebenso MA-TSUS Antwort. In der Zen-Schulung wirddieses Mondo häufig verwendet, und ohne Zweifel befanden sichunter den Fechtern der Feudalzeit manche Schwertmänner, die sich

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dem Zen-Studium ergeben hatten, um den Zustand des absoluten‹Nicht-Herzens› im Zusammenhang mit ihrer Kunst zu erreichen.Wie schon früher erwähnt, ist der Gedanke an den Tod der größteHemmschuh für den Sieg in einem Kampf, wo es um Leben undSterben geht.

Die Geheimlehren enthalten auch eine Anzahl Waka, das heißtKurzgedichte, im Hinblick auf die Meisterschaft in der Schwertkunst,von denen manche den Zen-Geist sehr deutlich spiegeln.

‹An einer Seele, die völlig frei von Gedanken und Erregung ist,Findet selbst der Tiger keine Stelle, seine Krallen einzuheften.›

‹Ein und derselbe Wind streiftÜber die Kiefern am Berg und die Eichen im Tal –Warum klingt ihr Rauschen denn so verschieden?›

‹Manche meinen, Zuschlagen sei einfach Zuschlagen.Aber Zuschlagen ist nicht ZuschlagenUnd Töten ist nicht Töten.›

‹Kein Denken, keine Spiegelung,Vollkommene Leere –Aber etwas regt sich in ihr,Strömt den eigenen Weg.›

‹Das Auge sieht ihn,Doch keine Hand kann ihn fassen –Den Mond im Wasser:Das ist meiner Schule Geheimnis.›

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‹Wolken und NebelSind doch nur Luftgestalten:Über ihnen strahlt ewig die Sonne, der Mond.›

‹Sieg gehört nur dem Einen,Vor des Kampfes Beginn schon,Der seines Ich nicht gedenkt,Der im Ursprung, im Nicht-Ich wohnt.›

Dies deckt sich offenbar mit dem Grundsatz der ‹Leere›, wie sieMIYAMOTO MUSASHI als das letzte Geheimnis der Schwertkunst ge-lehrt hat, das nur nach langer und harter Übung der Kunst zu er-langen ist. Der hohe Wert, der hier auf die geistige Zucht gelegtwird, verleiht der Kunst das Recht auf den Namen des Schöpferi-schen. MUSASHI ist nicht nur als Schwertmeister, sondern auch alsSumi-ye-Maler groß gewesen.

Der Zustand der Ichlosigkeit

Ein moderner Autor, der über den Weg des Schwerts und seine Ge-schichte geschrieben hat27, bemerkt folgendes über den Grundsatzder Kunst: Im Kendo (Weg des Schwerts) ist das wesentliche Zielüber die Technik hinaus das geistige Element, das die Kunst durchund durch beherrscht. Dies ist ein Zustand des Herzens, der Munenoder Muso, Nichtspiegelung oder Nichtdenken heißt. Das bedeutetnicht etwa, daß man geradezu ohne Gedanken, Absichten, Gefühleund so weiter sein soll, wenn man das Schwert in der Hand dem

27 HIROMASA TAKANO.

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Gegner gegenübersteht. Es bedeutet, man solle seine natürlichenAnlagen walten lassen in einem Bewußtseinszustand, der frei vonGedanken, Spiegelungen oder Gemütsbewegungen irgendwelcherArt ist. Dieser Zustand heißt auch ‹Ichlosigkeit› (muga), in derman keine ichbezogenen Gedanken, keine Bewußtheit des eigenenVollbringens hat. Das sogenannte Sabi-Shiwori-Ideal, das die KunstSAIGYOS oder BASHOS beherrscht, dürfte ebenfalls einem Geisteszu-stand der Ichlosigkeit entspringen. Man vergleicht es mit der Spie-gelung des Mondes im Wasser. Weder der Mond noch das Wasserhaben irgendeine vorgefaßte Absicht, die Wirkung hervorzubrin-gen, die wir den Mond im Wasser nennen. Das Wasser ist in einemZustand des Nichtbewußtseins so gut wie der Mond. Aber wo einStreifen Wasser ist, da erblickt man den Mond darin. Der Mond istnur einer, aber seine Spiegelbilder sieht man überall, wo es Wassergibt. Wer dies begreift, dessen Kunst ist vollkommen. Endlichsind Zen und der Weg des Schwerts darin eins, daß beide als letz-tes Ziel die Überwindung der Zweiheit von Geburt und Tod anstre-ben. Daher haben die Schwertmeister dies von altersher anerkannt,und die Großen unter ihnen haben ausnahmslos am Tore von Zenangeklopft, wie die Beispiele YAGYU TAJIMA-NO-KAMIS und TAKUANS,MIYAMOTO MUSASHIS und SHUNZANS beweisen.

Der Verfasser des genannten Buches teilt auch die interessanteNachricht mit, daß in der Feudalzeit Japans ein Schwert- oderSpeermeister häufig ‹Osho› (im Sanskrit Upadhyana) genannt wird,das heißt den Titel eines buddhistischen Mönchs oder Priesters führt.Der Ursprung dieser Sitte scheint darauf zurückzugehen, daß einstim Kofukuji-Tempel zu Nara ein berühmter Mönch gelebt hat.Er gehörte einem der Nebenklöster namens Jizo-in an, das unterder Gerichtsbarkeit des Kofukuji stand. Er war im Speerwerfen ge-

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übt, und alle Mönche des Jizo-in lernten die Speerkunst von ihm.So war er naturgemäß ein Osho für seine Schüler, und diese Be-zeichnung wurde in der Folge auf alle Meister des Speers und desSchwerts übertragen, unabhängig von ihrem Zusammenhang mitdem Buddhismus.

Die Halle, in der die Schwertkunst ausgeübt wird, heißt Dojo.Dojo ist eigentlich der Name eines Ortes für religiöse Übungen,seine ursprüngliche Bedeutung im Sanskrit ist Bodhimandala, dasheißt der Ort der Erleuchtung. Ohne Zweifel ist auch dieser Namedem Zen-Buddhismus entlehnt worden.

Noch etwas anderes haben die Schwertmänner vom Zen-Mönchübernommen. In alten Zeiten pflegten sie ganz Japan zu durchwan-dern, um sich in ihrer Kunst zu vervollkommnen, indem sie Ent-behrungen und Gefahren jeder Art auf sich nahmen und Übungenvon jeder Art unter aller Art Meistern durchmachten. Auch dies ge-schah nach dem Vorbild der Zen-Mönche, die dieselbe Wanderschaftzu unternehmen hatten, bevor sie an das Ziel der Erleuchtung ge-langten. Diese Praxis hieß Angya oder Fußwanderung unter denMönchen, während die Schwertmänner sie Musha-Shugyo oder‹Kriegerschaft betätigen› genannt haben.

Ich weiß nicht, wie früh diese Sitte unter den Schwertmännernaufgekommen ist, immerhin liest man über den Gründer von Shin-kage-ryu, daß er das ganze Land durchwandert habe. Ein Ereignisauf der Reise bringt ihn mit einem Zen-Mönch in Verbindung, derin derselben Art Übung begriffen war. Als KAMI-IDZUMI ISE-NO-KAMI

in einer abgelegenen Berggegend durch ein kleines Dorf kam, fander die Einwohner in großer Aufregung. Ein verzweifelter Geäch-teter hatte sich in ein leeres Haus geflüchtet und einen kleinen Dorf-knaben mit sich geschleppt. Er drohte nun, das Kind umzubrin-

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gen, wenn die Dorfleute versuchen wollten, ihn zu fangen oder ihmetwas zuleid zu tun. ISE-NO-KAMI begriff den Ernst der Lage. Da ereinen Mönch in der Nähe vorübergehen sah, ohne Zweifel einenwandernden Zen-Mönch, so bat ihn der Mann des Schwerts, ihmfür eine kurze Weile sein Mönchsgewand zu leihen. Darauf ließer sich den Kopf rasieren, so daß er wie ein richtiger Mönch aussah.Nun ging er mit zwei Frühstücksschachteln auf das Haus zu underzählte dem Geächteten, die Eltern des Kindes möchten nicht, daßes Hungers sterbe, und hätten ihn beauftragt, ihm etwas zu essenzu bringen. Mit diesen Worten zog er eine der beiden Schachtelnhervor und stellte sie vor den Mann. Dann fuhr ISE-NO-KAMI fort:‹Da du selber Hunger haben wirst, so habe ich eine zweite Schach-tel für dich mitgebracht.› Als der Verbrecher die Hand ausstreckte,um sie in Empfang zu nehmen, nutzte der vermeintliche Mönchden Augenblick, packte seinen Arm, warf ihn zu Boden und machteihn so zum Gefangenen. Das Mönchsgewand wurde seinem Eigen-tümer wieder zurückgegeben. Dieser lobte den andern hoch mit denWorten: ‹Du bist ein echter Mann des Schwerts› und übergab ihmdas Kara, ein Sinnbild des Mönchtums, das der Zen-Mönch um denNacken gehängt vor der Brust zu tragen pflegt – eine Art abge-kürztes Kesa (Kashaya im Sanskrit). Es heißt, ISE-NO-KAMI habees immer getragen. Der wandernde Zen-Mönch dürfte kein gewöhn-licher Novize gewesen sein, er muß schon eine gewisse Erkenntnisbesessen haben. ‹Ein Mann des Schwerts› ist nämlich ein Ausdruck,der in Zen häufig gebraucht wird, um einen gereiften Zen-Priesterzu bezeichnen, der wirklich die Grenzlinie von Leben und Tod über-schritten hat. ISE-NO-KAMI hat also guten Grund gehabt, das Karaals Geschenk des Mönchs ‹auf der Fußreise› in Ehren zu halten.

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5. ZEN UND DER TEEKULT

Teekult als Symbol des ‹einfachen Lebens›

Zen und dem Teekult ist das beständige Streben nach Einfachheitgemeinsam. Die Ausschaltung des Überflüssigen erreicht Zen inseinem intuitiven Erfassen der letzten Wirklichkeit und der Tee-kult in seiner Lebenskunst, deren typische Handlung das Darbietendes Tees im Teeraum ist. Der Teekult ist die Bejahung der ur-sprünglichen Einfachheit. Sein Ideal, der Natur nahezukommen,wird dadurch verwirklicht, daß man sich unter ein Strohdach zu-rückzieht und in einem Raum von kaum zehn Quadratfuß nieder-läßt, der aber mit künstlerischem Geschmack erbaut und eingerich-tet sein muß. Auch Zen hat das Ziel, alle künstlichen Verhüllungenabzustreifen, die die Menschheit ersonnen hat, vermutlich, um sichselber recht feierlich vorzukommen. Zen bekämpft vor allem denVerstand, denn so groß seine praktische Nützlichkeit sein mag, sowiderstreitet er dem Bemühen, in die Tiefen unseres Wesens ein-zudringen. Die Philosophie mag Fragen jeglicher Art aufwerfen, umsie zu einer verstandesmäßigen Lösung zu bringen, aber sie wird unsniemals eine geistige Befriedigung geben können, die einem jedenunter uns zugänglich ist, mag sein Verstand noch so wenig ent-wickelt sein. Die Philosophie eröffnet sich nur dem Menschen, dereine besondere Begabung für sie mitbringt, sie kann daher nie eineallgemeine Wertschätzung erlangen. Zen oder im weiteren Sinneder Glaube bedeutet, daß der Mensch alles von sich wirft, was ermeint zu besitzen, und zu dem tiefsten Zustand des Seins, der ur-sprünglichen Heimat oder gleichsam zu Vater und Mutter zurück-kehrt. Dazu ist jeder von uns imstande, denn nur durch jenes, durch

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ihn oder sie sind wir, was wir sind, und ohne dieses sind wir nichts.Dies ist die höchste Stufe des Einfachwerdens zu nennen, weil dieDinge nicht auf etwas noch Einfacheres zurückzuführen sind. DerTeekult stellt dafür mit einer einsamen Hütte unter einer Kiefer seinSinnbild auf. Ist die Urform auf diese Weise einmal zum Symbolgeworden, so erlaubt sie auch eine künstlerische Gestaltung. Selbst-verständlich muß das Prinzip der Gestaltung in vollkommener Har-monie mit dem Grundgedanken bleiben, der sich hier ausgesprochenhat, das heißt mit Ausschaltung alles Überflüssigen.

Die Begründer von Teekultur und Teekult

Der Tee ist in Japan schon vor der Kamakura-Zeit bekannt gewe-sen, allein der Anstoß zu einer weiteren Verbreitung soll auf EISAI

(1131 – 1215), den Zen-Meister, zurückgehen, der Setzlinge desTeestrauchs aus China mitgebracht und sie in seinem Klosterlandangepflanzt hat. Angeblich hat er sein Buch vom Tee zugleich mitdem Tee, den er aus seiner Pflanzung bereitet hatte, dem damaligenShogun MINAMOTO SANETOMO überreicht, als diesen eine Krankheitbefallen hatte. So ist EISAI als Vater der Teepflanzung und Teebe-reitung in Japan bekannt geworden. Er glaubte, der Tee besitzeheilkräftige Eigenschaften und sei ein Mittel gegen mancherleiKrankheiten. Anscheinend hat er für die Ausführung der Teezere-monie keine Vor Schriften, gegeben, obgleich er diese während seinesAufenthalts in den chinesischen Zen-Klöstern kennengelernt habenmuß. Die Teezeremonie ist eigentlich eine Art Unterhaltung für dieBesucher des Klosters oder auch für dessen eigene Insassen unter-einander. Der Zen-Priester, der sie in Japan einführte, war DAI-O,der Lehrer der Nation (1236 – 1308, er kehrte 1267 aus China zu-

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rück), etwa ein halbes Jahrhundert nach EISAI. Auf DAI-O folgtenverschiedene Priester, die Meister der Teezeremonie geworden sind,und zuletzt lehrte IKKYU (1394 – 1481), der bekannte Abt desDaitokuji, den Hergang einem seiner Schüler, SHUKO (1422 – 1502),dessen künstlerischer Genius ihn weiter ausgebildet und dem japa-nischen Geschmack angepaßt hat. So ist SHUKO der Begründer desTeekults geworden. Er unterwies darin den damaligen ShogunASHIKAGA YOSHIMASA (1435 – 1490), der ein großer Beschützer al-ler Künste war. Später haben ihn SHO-O (1503 – 1555) und na-mentlich RIKYU weiter verbessert und dem, was heute Cha-no-yuheißt – gewöhnlich Teezeremonie oder Teekult übersetzt –, die end-gültige Form gegeben. Die ursprüngliche Teezeremonie, so wie siein den Zen-Klöstern geübt wurde, lebt daneben unabhängig vondem im großen Publikum modischen Verfahren weiter.

Tee als Sinnbild des Buddhismus

Es ist mir oft der Gedanke gekommen, den Teekult mit dem Lebendes gläubigen Buddhisten zu vergleichen, da so viele gemeinsameZüge sie verbinden. Tee hält den Geist frisch und wach, hat abernichts Berauschendes. Er besitzt Eigenschaften, die von Gelehrtenund Mönchen ihrer Lebensweise entsprechend besonders geschätztwerden müssen. Es liegt im Wesen der Sache, daß man sich in denbuddhistischen Klöstern des Tees in großem Umfang bediente unddaß er zuerst durch die Mönche in Japan eingeführt worden ist.Wenn man den Tee als ein Sinnbild des Buddhismus betrachtet,könnte man dann nicht sagen, der Wein vertrete das Christentum?Wein wird von den Christen in großem Umfang getrunken. Er dientin der Kirche als Sinnbild für CHRISTI Blut, das nach den Kirchen-

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vätern für die Sünden der Menschheit vergossen wurde, und wahr-scheinlich aus diesem Grunde unterhielten die Mönche des Mittel-alters Weinkeller in ihren Klöstern. Vergnügt und selig sieht mansie um das Weinfaß versammelt und die Gläser erheben. Der Weinbegeistert zuerst, dann macht er trunken. Er bildet in vieler Hin-sicht einen Gegensatz zum Tee, und derselbe Gegensatz besteht zwi-schen Buddhismus und Christentum.

Es läßt sich nun beobachten, daß der Teekult nicht nur in seinertatsächlichen Entwicklung eine innerste Verbindung mit Zen be-sitzt, sondern vor allem, wenn man auf den Geist achtet, der inder Zeremonie selber sich durchwaltend ausspricht. Ihr Geist besteht,nach der Seite des Gefühls hin bezeichnet, aus Harmonie, Ehrfurcht,Reinheit und Stille. Diese vier Elemente sind unentbehrlich, um denKult mit Erfolg durchzuführen, sie sind auch die wesentlichen Eigen-schaften eines brüderlichen und geordneten Lebens, das heißt ebendes Lebens in den Zen-Klöstern. Daß die Mönche ein höchst geord-netes Betragen pflegten, kann man einer Bemerkung des CHENG

MING-TAO, eines konfuzianischen Gelehrten der Sung-Zeit, entneh-men: ‹Hier sehen wir in der Tat das Ritual des Benehmens in sei-ner klassischen Ausbildung, so wie es unter den ersten drei Dyna-stien ausgeübt wurde.› Die alten drei Dynastien sind das goldeneZeitalter, von dem jeder chinesische Philosoph und Staatsmannträumt, in dem alle Dinge in idealen Beziehungen standen und dasVolk alle Wohltaten einer vollkommenen Regierung genoß. Bis zumheutigen Tage werden die Zen-Mönche als einzelne und in ihremZusammenwirken zur Ausführung der religiösen Zeremonien sorg-fältig geschult. Die Ogasawara-Schule des formvollendeten Betra-gens ist, wie man glaubt, aus den ‹Klosterregeln› des PAI-CHANG28

28 Ein großer Zen-Meister der T’ang-Dynastie (720 – 814).

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(HYAKUJO SHINGI) erwachsen. Und während die Zen-Bildung daraufausgeht, über die Form hinauszuschreiten und den Geist zu erfas-sen, unterläßt sie es nie, daran zu erinnern, daß die Welt, in der wirleben, eine Welt der gesonderten Formen ist und der Geist nur durchdas Mittel der Form seinen Ausdruck finden kann. Darum ist Zenzugleich auf die Antinomien des inneren und auf die Zucht des äuße-ren Lebens bedacht.

Teezeremonie und ‹geistige Anmut›

Das Schriftzeichen für ‹Harmonie› bedeutet auch ‹Anmut des Gei-stes›, und für mein Gefühl bezeichnet diese ‹geistige Anmut› am be-sten die Haltung, die im ganzen Hergang der Teezeremonie sichausspricht. Harmonie bezieht sich mehr auf die Form, während An-mut eher eine Gefühlsweise andeutet. Die allgemeine Atmosphäredes Teeraums soll diese Art Anmut rings um sich her verbreiten –Anmut der Berührung, Anmut des Geruchs, Anmut der Behand-lung und Anmut des Klangs. Man nimmt eine Teeschale in dieHand: sie ist vom Töpfer in unregelmäßigen Formen wie zufälliggestaltet, die Glasur ist in der Regel nicht gleichmäßig über sie ge-flossen, aber trotz dieses primitiven Charakters hat dies kleine Ge-rät einen besonderen Zauber des Anmutigen, Stillen und Unauf-dringlichen. Der Weihrauch, der verbrannt wird, duftet nie strengund aufreizend, sondern mild und schmeichelnd. Die Fenster undSchiebewände sind wiederum eine Quelle des anmutvollen Zaubers,der hier waltet. Das Licht, das sie dem Räume zuführen, ist immergedämpft, ruhevoll und recht zum Nachdenken geschaffen. Und dersanfte Wind, der durch die Nadeln der alten Kiefer über dem Tee-haus streift, tönt harmonisch mit dem Sieden des Eisenkessels über

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dem Feuer zusammen. So spiegelt die ganze Umgebung die Gesin-nung des Menschen, der sie geschaffen hat.

‹Das Wertvollste ist Anmut des Geistes, das Wesentlichste, an-dern nicht zu widersprechen› – dies sind die ersten Worte, mit denendie sogenannte ‹Verfassung in siebzehn Hauptpunkten› beginnt.Diese Verfassung ist von PRINZ SHOTOKU im Jahre 604 verfaßt. Sieenthält eine Art sittlicher und geistlicher Ermahnung, die der Prinz-regent an seine Untertanen gerichtet hat. Es ist sehr bezeichnend,daß eine solche Ermahnung, was immer ihre politische Tragweitesein mochte, davon ausgeht, daß sie einen so ungewöhnlichen Nach-druck auf die Anmut des Geistes legt. In der Tat ist dies die frü-heste Äußerung der japanischen Gesinnung, zu der unser Volk nachJahrhunderten der Zivilisation erwacht ist. Wenn auch Japan in derjüngsten Zeit als eine kriegerische Nation – und dies zu Unrecht –bekannt geworden ist, so ist doch das Bewußtsein, das sie von ihremeigenen Wesen hat, im ganzen das einer liebenswürdigen Veran-lagung. Und die Japaner haben guten Grund, dies zu glauben, dennschon die physische Atmosphäre, die ihre Insel einhüllt, zeichnetsich durch eine große Milde der klimatischen und meteorologischenBedingungen aus. Das liegt vor allem an dem reichlich in der Luftvorhandenen Wasserdunst. Die so in Duft gehüllten Berge, Wälderund Dörfer bieten ein sanft verschwebendes Bild, die Blüten habenin der Regel nicht starke, sondern gedämpfte und zarte Farben, nurdas Frühlingslaub ist vom frischesten Grün. Empfindsame Gemü-ter, die in einer solchen Umgebung heranwachsen, nehmen notwen-dig etwas davon in sich auf, und dies ist Anmut des Geistes. Aller-dings sind wir imstande, von dieser grundlegenden Tugend des ja-panischen Wesens uns zu entfernen, sobald wir mit den Schwierig-keiten der sozialen, politischen, wirtschaftlichen und Rassefragen

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in Berührung kommen. Hier haben wir uns vor Ansteckungsge-fahren zu hüten, und Zen ist uns darin zu Hilfe gekommen.

Als DOGEN (1200 – 1253) nach einem Zen-Studium von einigenJahren aus China heimkehrte, wurde er gefragt, was er dort gelernthabe. Er meinte: ‹Nicht viel außer Sanftmütigkeit.› Sanftmütigkeitoder Zartgefühl bedeutet hier nichts anderes als Anmut des Geistes.Im allgemeinen sind wir zu ichsüchtig und voller Widerspruchs-geist. Wir sind zu sehr Individualisten und unfähig, die Dinge an-zunehmen, wie sie sind oder wie sie auf uns zukommen. Wider-streben bedeutet Reibung, und Reibung ist die Quelle aller Unruhe.Wo kein Ich ist, da ist die Seele sanft und setzt dem, was von außenin sie einströmt, keinen Widerstand entgegen. Das will keineswegsUnempfindlichkeit heißen. Aber vom geistlichen Standpunkt aus wis-sen Christen und Buddhisten, DOGEN nachzufolgen und die Be-deutung der Selbstlosigkeit oder Sanftmütigkeit richtig einzuschät-zen. Im Teekult ist von der Anmut des Geistes im gleichen Sinne dieRede, wie sie PRINZ SHOTOKU empfohlen hat. Es ist so: Anmut desGeistes oder Sanftmütigkeit ist die Grundlage unseres Daseins aufErden. Wenn der Teekult den Ehrgeiz hat, ein Buddhaland in seinerkleinen Gesellschaft zu schaffen, so muß Sanftmut des Geistes daserste sein. Um diesen Punkt noch deutlicher zu machen, sei der Zen-Meister TAKUAN hier angeführt.

Zen-Meister Takuan über den Teekult

‹Der Grundsatz des Cha-no-yu ist der Geist einer harmonischen Ver-einigung von Himmel und Erde, er schenkt uns die Mittel, um denallgemeinen Frieden zu schaffen. Gegenwärtig haben manche dasCha-no-yu in eine bloße Gelegenheit verwandelt, mit Freunden zu-

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sammenzukommen, über weltliche Angelegenheiten zu reden undschmackhaftes Essen und Trinken zu genießen. Daneben bilden siesich auf ihre elegant ausgestatteten Teeräume etwas ein, in denensie, umgeben von seltenen Kunstwerken, den Tee in der formvoll-endetsten Weise darreichen und derer spotten, die nicht so geschicktwie sie selber sind. Allein das ist weit entfernt vom ursprünglichenSinn des Cha-no-yu.

Lasset uns also einen kleinen Raum in einem Bambusgebüschoder unter Bäumen erbauen, rings umher aber Bäche und Felsenanlegen, Bäume und Gebüsche pflanzen. Drinnen wollen wir Holz-kohle schichten, einen Kessel aufs Feuer setzen, ein paar Blumen an-bringen und das notwendige Teegerät ordentlich bereitstellen. Unddas alles wollen wir im Einklang mit dem Gedanken tun, daß wir indiesem Raum uns der Bäche und Felsen erfreuen wollen, so wie wirin der Landschaft die Flüsse und Berge genießen und den verschie-denen Stimmungen und Gefühlen uns hingeben, die Schnee undMondschein, Bäume und Blumen in uns aufwecken, indem sie durchdie Verwandlung der Jahreszeiten, des Erscheinens und Dahin-Schwindens, des Aufblühens und Welkens hindurchgehen. Wenn dieGäste hier mit der gebührenden Ehrfurcht begrüßt sind, so lauschenwir in Ruhe dem Sieden des Wassers im Kessel, das gleich demWind klingt, wenn er durch die Kiefernadeln streift, und vergessenalle Qual und Sorgen der Welt. Dann gießen wir einen Schöpf-löffel voll Wasser aus dem Kessel und gedenken an die murmeln-den Wellen im Bergbach – so wird aller Staub von unserer Seele ab-gestreift. Hier ist dann wirklich eine Welt der Einsiedler und derHeiligen auf Erden.

Der Grundsatz der Schicklichkeit ist die Ehrfurcht, die im prak-tischen Leben als Harmonie der Beziehungen sich auswirkt. Das

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ist der Ausspruch des K’UNG-TZE, wo er die Anwendung der Schick-lichkeit erklärt, und ist auch die Geisteshaltung, die man beim Cha-no-yu pflegen soll. Wenn einer zum Beispiel mit Männern von ho-hem Rang zusammenkommt, so wird sein Betragen schlicht und na-türlich, nicht aber von kriechender Unterwürfigkeit sein. Wenn ermit Leuten zusammensitzt, die gesellschaftlich unter ihm stehen, sowird er ihnen mit großer Hochachtung begegnen und kein Gefühlseiner eigenen Bedeutung aufkommen lassen. Denn es ist im Tee-raum ein Etwas gegenwärtig, das ihn ganz durchweht und die har-monische Verbundenheit aller, die ihn betreten, bewirkt. Solange diesBeisammensein dauern mag, so bleibt es immer vom Geist der Ehr-furcht beherrscht. Man darf sagen, der Sinn des Kassyapa, der lä-chelt, und des Tseng-tze, der nickt, schwebe unsichtbar hier oder inanderen Worten das geheimnisvolle Wesen der Soheit, das überalles Begreifen geht.

Darum muß der Grundsatz, der den Teeraum beseelt und formt,von der Anlage des Bauwerks bis zur Wahl der Teegeräte, der Artder Bedienung, dem Kochen der Speisen, der Kleidung, die manträgt, und so weiter, im Vermeiden eines verwickelten Rituals undalles Prunkenden gesucht werden. Die Gerätschaften mögen alt sein,aber sie können so kräftig zum Herzen sprechen, daß es sich frischund bereit fühlt, dem Wechsel der Jahreszeiten und der Landschafts-bilder, die er hervorbringt, zu antworten. Dann will es sich bei nie-mandem einschmeicheln, hat kein Begehren, sondern ist frei vonÜbermut, immer aufmerksam und achtungsvoll gegen die andern.Wer von solcher Gesinnung erfüllt ist, hat die natürliche Anmutdes Benehmens und bleibt immer aufrichtig – das heißt Cha-no-yu.

Der Weg des Cha-no-yu also besteht darin, daß man den Geisteiner selbstverständlichen und harmonischen Vereinigung von Him-

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mel und Erde begreift, die alldurchdringende Gegenwart der fünfElemente am stillen Herdplatz empfindet, an dem die Berge, Flüs-se, Felsen und Bäume wie draußen in der Natur verwandelt erschei-nen, daß man das erquickende Wasser aus dem Brunnen der Erdeschöpft und mit dem eigenen Mund den Duft und Geschmack derWesen in sich aufnimmt. Wie tief ist die Freude, dies harmonischeEinssein von Himmel und Erde zu spüren!›

Die Aufhebung gesellschaftlicher Schranken bei der Teezeremonie

Haben wohl der Teekult und Zen dazu beigetragen, daß ein ange-borenes Gefühl für die Gleichheit und Würde der Menschen im ge-sellschaftlichen Leben Japans immer bewahrt geblieben ist? Demstrengen Gefüge einer gesellschaftlichen Hierarchie zum Trotz, dasin der Feudalzeit sich durchgebildet hatte, ist der Gedanke der Gleich-heit und Brüderlichkeit im Volke lebendig geblieben. Im engen Tee-raum von zehn Fuß im Quadrat werden Gäste verschiedenen gesell-schaftlichen Ranges ohne jeden Unterschied bewirtet. Wenn sie hiereingetreten sind, haben die Maßstäbe der Welt sich in Wind ver-flüchtigt: das Knie des gemeinen Mannes berührt das des Adligen,und beide unterhalten sich mit gleicher Hochachtung über Dinge,die beiden am Herzen liegen. Für Zen gelten in der Tat keinerlei ir-dische Rangunterscheidungen, seine Mönche haben bei allen Klas-sen der Gesellschaft freien Zugang und sind bei allen zu Hause. Esist ein tief eingewurzeltes Bedürfnis des Menschen, die Schranken,die von der Gesellschaft künstlich um uns aufgerichtet sind, beiseite-zusetzen und bei guter Gelegenheit einen freien, natürlichen Um-gang von Herz zu Herzen mit seinem Nebenmenschen zu pflegen,ja sogar mit Tieren, Pflanzen und den sogenannten unbeseelten

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Wesen. Darum heißen wir jeden Anlaß zu solcher Selbstbefreiungwillkommen. Ohne Zweifel meint TAKUAN dies, wenn er von derharmonischen Vereinigung von Himmel und Erde spricht, bei deralle Engel zum Lobgesang sich vereinen.

Ehrfurcht als Wesenszug des Zen

Ehrfurcht ist nach Grund und Wesen ein religiöses Gefühl – dasGefühl für ein Wesen, das höher ist als wir armen sterblichen Men-schen. Dieses Gefühl wird später erst auf die gesellschaftlichen Be-ziehungen übertragen und entartet schließlich zu bloßem Formen-wesen. Unter den heutigen demokratischen Verhältnissen, mögensie auch in manchen Teilen der Welt erst ganz neuerdings sich Gel-tung verschafft haben, ist einer so gut wie der andere, wenigstensvom Standpunkt der Gesellschaft aus, und niemand hat Anspruchauf ganz besondere Ehrfurcht. Allein wenn man auf den ursprüng-lichen Sinn dieses Gefühls zurückgeht, so ist es ein Begreifen dereigenen Unwürdigkeit, eine Einsicht in die eigenen Beschränkun-gen, seien sie leiblicher oder verstandesmäßiger, sittlicher oder gei-stiger Natur. Diese Einsicht weckt in uns die Sehnsucht, über unsselber hinauszugelangen und selbst mit einem Wesen in Berührungzu kommen, das in jeder denkbaren Hinsicht im Gegensatz zu unsselber steht. Die Sehnsucht lenkt unsere Seele zu einem Gegenstandaußerhalb von uns, wenn sie aber zu sich selbst zurückkehrt, so ver-wandelt sie sich in Selbstverleugnung, Bescheidenheit und Schuld-gefühl. Dies alles sind negative Tugenden, positiv gewendet leitensie uns zur Ehrfurcht und zum Wunsche, anderen nicht wehe zu tun.Unser Wesen ist voller Widersprüche: auf der einen Seite fühlenwir, daß wir so gut wie jeder andere sind, gleichzeitig aber haben

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wir ein angeborenes Mißtrauen, daß jeder andere besser sei als wirselber – eine Art Minderwertigkeitskomplex. Im Mahayana-Bud-dhismus29 gibt es einen Bodhisattva Sadhaparibhuta, ‹der andern niewehe tut›. Vielleicht, wenn wir ganz aufrichtig gegen uns, das heißtin der innersten Kammer unseres Wesens ganz allein mit uns sel-ber sind, lebt hier ein Gefühl, das uns zur Selbsterniedrigung gegenandere antreibt. Auf jeden Fall liegt ein tief religiöses Verhalten desHerzens in der Ehrfucht. Zen mag alle geheiligten Standbilder imTempel verbrennen, um in einer kalten Winternacht sich Wärmezu schaffen. Zen mag die ganze Schrift zerreißen, die seine eigeneköstliche Botschaft enthält, um sein eigenstes Dasein zu retten alsdie Wahrheit, die frei von allen äußeren Fallstricken, und mögensie andern noch so bestechend scheinen, in sich selber besteht. AberZen versäumt nie, einen windzerzausten und schmutzbeflecktenarmseligen Grashalm anzubeten. Es vergißt nie, alle die wilden Blu-men des Feldes, so wie sie sind, allen den Buddhas der dreitausendWelten darzubringen. Zen kennt die Ehrfurcht, denn es kennt auchdas Wehetun. Was Zen wie jedes andere Tun fordert, ist die Wahr-haftigkeit des Herzens, nicht irgendeine vorgeschriebene Einstel-lung oder die äußere Form ihrer Gebärde.

TOYOTOMI HIDEYOSHI war zu seiner Zeit der große Beschützer desTeekults und ein Bewunderer SEN-NO-RIKYUS (1521 – 1591), derim wesentlichen der Begründer des modernen Teekults gewesenist. Obgleich er immer nach dem Aufwühlenden, Grandiosen undPomphaften strebte, scheint er doch am Ende etwas vom Sinn desTeekults begriffen zu haben, so wie ihn RIKYU und seine Nachfol-ger pflegten, denn eines Tages widmete er RIKYU bei einer seinerTeegesellschaften folgende Verse:

29 Saddharma-pundarika Sutra, englische Übersetzung von KERN, S. 356.

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‹Bereite den Tee mit Wasser, geschöpft aus des Herzens Tiefe,Dessen Grund unermeßlich ist,Dann wird es wahres Cha-no-yu heißen.›

HIDEYOSHI war in vieler Hinsicht ein rauher und grausamer Des-pot, aber in seiner Liebe zum Teekult dürfte doch etwas Echtes undAufrichtiges liegen, nicht nur die Absicht, ihn für seine politischenZwecke zu nutzen. Seine Verse zeugen vom Geist der Ehrfurcht,wenn er von dem Wasser sprechen kann, das tief aus dem Brunnendes Herzens geschöpft wird.

RIKYU lehrt: ‹Die Kunst des Cha-no-yu besteht einfach darin,Wasser zu kochen, Tee zu bereiten und ihn zu schlürfen.› Das istallerdings einfach genug. Man kann ebensogut sagen: Das Lebendes Menschen besteht darin, geboren zu werden, zu essen und zutrinken, zu heiraten und Kinder auf die Welt zu bringen und amEnde ins Unbekannte wieder dahinzugehen. Nichts kann einfacheraussehen als dies Leben zu leben, wenn man es so auffaßt. Aberwie viele von uns sind imstande, diese Art tief wahrhaften oderbesser gottberauschten Lebens zu führen, das keine Reue hinter-läßt, sondern unbedingt auf Gott allein vertraut? Solange wir le-ben, denken wir an den Tod, und wenn wir sterben, verlangen wirzu leben. Solange wir eine Sache zu tun haben, beschäftigen somanche andere Dinge, oft völlig fremde und meist ganz belanglose,unser Gehirn, lenken es ab und zerstreuen unsern Willen, der ganzauf die gegenwärtige Aufgabe gesammelt sein sollte. Wenn wir Was-ser in die Schale gießen, so fließt nicht Wasser allein in sie, sondernviele Dinge fließen mit hinein, gute und schlechte, Dinge, die uns er-röten machen, Dinge, die gar nirgendwo anders hinfließen könnenals in die Tiefe unseres Unbewußten. Wollte man das Teewasser

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untersuchen, so würde es allen Schlamm enthalten, der den Stromunseres Bewußtseins verwirrt und befleckt. Die Kunst ist vollkom-men erst, wo sie aufhört, Kunst zu sein, das heißt, wenn sie dieVollkommenheit des Kunstlosen erreicht, wenn die innerste Wahr-haftigkeit unseres Wesens sich ausspricht – und das ist der Sinn derEhrfurcht im Teekult. Ehrfurcht bedeutet also Wahrhaftigkeit oderEinfalt des Herzens.

Teekult als geistige Übung: Wichtigkeit der Reinheit

‹Reinheit› als unentbehrliches Element im Geist des Teekults kannman als den Beitrag der japanischen Sinnesart ansehen. Reinheitbedeutet Sauberkeit oder auch geordnetes Wesen, wie man es in al-lem und jedem beobachten kann, das mit dem Kult zusammen-hängt. Frisches Wasser fließt in Fülle durch den Roji-Garten, undwo kein laufendes Wasser erreichbar ist, da steht beim Eingang einsteinernes Wasserbecken. Der Teeraum selber ist fleckenlos rein –das braucht man kaum zu erwähnen.

Die Reinheit im Teekult kann uns auch an die taoistische Lehrevon der Reinheit erinnern. Es liegt hier ein gemeinsamer Zug, denndas Ziel der Bemühung ist in beiden Fällen die Befreiung des Her-zens von den Befleckungen der Sinne. Ein Teemeister meint: ‹DerSinn des Cha-no-yu ist die Reinigung der sechs Sinne von allemUnreinen. Betrachtet man das Kakemono (Hängebild) im Tokono-ma (Bildnische) und die Blume in ihrem Gefäß, so wird das Sehengereinigt. Atmet man den Weihrauchduft ein, so wird der Geruchs-sinn gereinigt. Lauscht man dem Sieden des Wassers im Eisenkes-sel und dem Tröpfeln des Wassers aus dem Bambusrohr, so wird dasOhr gereinigt. Schmeckt man den Tee, so wird der Mund gereinigt.

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Und berührt man die Teegeräte, so wird der Tastsinn gereinigt.Wenn alle Sinnesorgane auf diese Weise gereinigt sind, so ist dasBewußtsein selber von Befleckung gereinigt. Der Teekult ist vorallem eine geistige Übung, und jede Stunde des Tages geht meinBestreben dahin, vom Geist des Teekults nicht abzuweichen, denndieser zielt keineswegs auf bloße Unterhaltung.30›

In einem von RIKYUS Gedichten heißt es:

‹Wenn Roji uns einen Durchgang bedeutet,Der über dies Erdenleben hinausführt,Wie kommt’s, daß die Menschen nur danach trachten,Den Staub des Herzens auf ihn zu streuen?›

Hier wie in den folgenden Gedichten spricht er von seinem eige-nen Seelenzustand, wenn er friedlich aus seinem Teeraum Umschauhält:

‹Im Hof liegen rings nochDie abgefallenen NadelnDer alten Kiefer.Kein Staub ist aufgewühlt,Und still ist mein Herz.›

‹Der lichte MondHoch oben am HimmelBlickt über den Dachrand,Schaut auf ein Herz,Das keine Reue trübt.›

30 Von NAKANO KAZUMA im Hagakure.

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In der Tat, nur ein Herz, das rein, heiter und frei von störendenLeidenschaften ist, kann die Einsamkeit des Absoluten genießen.

‹Der schneebedeckte Bergpfad,Der um die Felsen sich windet,Hat sein Ende gefunden.(Hier steht eine Hütte,Ihr Herr ist ganz einsam.)Er hat keine GästeUnd wartet auf keinen.›

In einem Buche mit dem Titel Nambo-Roku, einem der allerbedeu-tendsten, ja heiligen Texte des Teekults, findet man folgende Stelle, diedarauf hinweist, daß der höchste Sinn des Kults die Verwirklichungeines Buddhalandes der Reinheit auf Erden ist, sei es auch in nochso bescheidenem Maßstab, und die Vereinigung einer idealen Ge-meinschaft in demselben, sei die Versammlung auch noch so vor-übergehend und seien es auch nur wenige, die an ihr teilnehmen.‹Der Geist des Wabi bedeutet, daß ein Buddha-Land der Reinheitgebildet wird, das frei von jeder Befleckung ist. Darum darf in die-sem Roji und in dieser strohgedeckten Hütte kein Fleckchen Staubvon irgendeiner Art vorhanden sein. Herr und Gäste müssen beideunbedingt aufrichtig gegeneinander sein. Keine weltliche Vorschriftvon Rang, Rücksicht und Sitte darf hier gelten. Ein Feuer wird ange-facht, Wasser wird gekocht und Tee wird gereicht – das ist alles, wases braucht, sonst hat die Welt hier gar nichts zu suchen. Was wirhier wollen, das ist einfach: dem BUDDHA-Herzen den reinsten Aus-druck geben. Wo man auf Zeremoniell und Brauch und dergleichenDinge Wert legt, da schleichen sich weltliche Rücksichten mancher

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Art ein, und Herr und Gäste sind leicht geneigt, einander gegensei-tig zu bemängeln. Deshalb wird es immer schwieriger, Menschen zufinden, die den ganzen Sinn des Teekults begreifen. Wäre CHAO-CHOU31 unser Wirt und der erste Zen-Patriarch BODHIDHARMA derEhrengast, und dürften dann RIKYU und ich selber den Staub imRoji zusammenkehren – wäre das nicht eine wahrhaft glücklicheVersammlung?› Man sieht, wie tief durchdrungen vom Zen-Geistdieser Ausspruch eines der Hauptschüler RIKYUS ist.

‹Sabi› und ‹Wabi› als Elemente des Teekults

Als viertes Element der Teekults wird Sabi oder Wabi aufgeführt.Der Erklärung dieses Begriffs soll ein besonderes Kapitel gewid-met sein. Denn in Wahrheit ist dies der wesentlichste Faktor, derden Kult bestimmt, ohne ihn kann überhaupt kein Cha-no-yu, seies wie immer, bestehen, und mit diesem Grundgedanken tritt auchZen in eine noch tiefere Beziehung zu ihm.

Ich habe oben den Ausdruck ‹Stille› für das vierte Element ge-wählt, das den Geist des Teekults ausmacht, aber dies ist vielleichtnicht das rechte Wort für alles das, was in dem chinesischen ZeichenChu enthalten ist. Chu heißt im Japanischen Sabi, aber Sabi bedeu-tet viel mehr als nur Stille. Sein Äquivalent im Sanskrit, Santi,heißt allerdings Stille, Friede, Heiterkeit, und Chu wird im buddhi-stischen Schriftwesen oft verwendet, um Tod oder Nirwana zu be-zeichnen. Allein wo das Wort im Teekult gebraucht wird, deutet eseher in die Richtung von Armut, Einfachwerden, Einsamkeit, und

31 Ein alter chinesischer Zen-Meister, berühmt für seinen Ausspruch:

‹Nimm eine Schale Tee!›.

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Sabi wird hier gleichbedeutend mit Wabi. Um Armut zu schätzenoder alle Schickung einfach hinzunehmen, bedarf es eines stillenGemüts, aber in Sabi wie in Wabi liegt ein Hinweis auf etwas Ob-jektives. Nur eben stille sein, ist weder Sabi noch Wabi. Es muß im-mer etwas Gegenständliches vorhanden sein, das eine Stimmungerweckt, die man als Wabi bezeichnet. Und Wabi ist nicht einfacheine seelische Reaktion auf eine bestimmte Form der Umgebung. Essteckt ein ästhetisches Prinzip darin, und wo dieses fehlt, da wirdArmut zur Armseligkeit und Einsamkeit zur Verbannung oder zuunmenschlicher Ungeselligkeit. Wabi oder Sabi kann man daherals eine ästhetische Wertschätzung der Armut definieren. Wenn esals künstlerisches Prinzip verwendet wird, bedeutet es die Schaffungoder Nachbildung einer Umgebung mit der Absicht, das Gefühl vonWabi oder Sabi zu erwecken. So wie heute diese Ausdrücke gebrauchtwerden, kann man sagen, Sabi beziehe sich mehr auf die einzelnenGegenstände und die Umgebung als Ganzes, Wabi auf den Lebens-zustand, der in der Regel mit Armut oder Mangel oder Unzuläng-lichkeit verbunden ist.

SHUKO, ein Schüler IKKYUS und der Teemeister YOSHIMASAS, pfleg-te seine Jünger mit folgender Geschichte über den Geist des Teekultszu belehren. Ein chinesischer Dichter verfaßte einmal folgende Verse:

‹In den Wäldern drüben tief unter der Last des SchneesSind letzte Nacht ein paar Pflaumenzweige aufgeblüht.›

Als er sie seinem Freunde zeigte, riet ihm dieser, statt ‹ein paar Zwei-ge› ‹ein Zweig› zu schreiben. Der Dichter folgte dem Rat und priesden Freund als seinen ‹Ein-Zeichen-Lehrer›. Ein einsamer Pflau-menzweig voller Blüten inmitten der schneebedeckten Wälder – dar-

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in liegt die Idee des Wabi.Bei einer anderen Gelegenheit soll SHUKO diesen Ausspruch ge-

tan haben: ‹Es ist schön, wenn man ein edles Roß in einem strohge-deckten Stall entdeckt. Ebenso ist es besonders schön, wenn man einseltenes Kunstwerk in einem bescheiden eingerichteten Raume findet.›Das erinnert an die Zen-Redeweise: ‹Ein zerlumptes Mönchsgewandmit einem kühl erquickenden Wind füllen.› Äußerlich ist nichts Be-sonderes zu entdecken, aller Schein spricht gegen den Inhalt, der injedem Fall unschätzbar ist. Ein Leben in Wabi kann also auf dieseWeise definiert werden: unaussprechlich stille Freude, tief unterlauter Armut versteckt. Der Teekult versucht diese Idee künstlerischauszudrücken.

In dem Augenblick allerdings, wo hier auch nur eine Spur vonUnwahrhaftigkeit sich einschleicht, ist das Ganze zerstört und ver-loren. Der unschätzbare Inhalt muß auf die echteste Weise vorhan-den sein, er muß da sein, als wäre er gar nicht vorhanden, er mußfast wie zufällig entdeckt werden. Im Anfang darf man gar nichtauf den Gedanken kommen, hier sei etwas Außergewöhnliches,dann spricht ein gewisses Etwas uns an, man tritt näher, man ver-sucht zu prüfen, und siehe da: eine Mine reinen Goldes schimmertaus dem Unerwarteten hervor. Das Gold aber bleibt immer das glei-che, ob es entdeckt wird oder nicht. Es behält seine Wirklichkeit, dasheißt seine Wahrhaftigkeit gegen sich selber, jenseits von allemZufall. Wabi bedeutet Treue gegen sich selbst. Ein Meister lebt stillin einer anspruchslosen Hütte, ein Freund tritt unerwartet ein, Teewird bereitet, ein frischer Blütenzweig aufgesteckt, und der Be-sucher genießt einen friedlichen Nachmittag, von seinem Gesprächund seiner Bewirtung gleich entzückt. Ist das nicht wahrhafter Tee-kult?

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Nebenbei mag einer die Frage einwerfen: ‹Wie viele von uns sinddenn in der heutigen Zeit in einer solchen Lage wie der Teemeister?Ist es nicht unsinnig, jetzt von müßiger Unterhaltung zu reden?Wir müssen zuerst Brot haben und einen kürzeren Arbeitstag.› InWahrheit aber haben wir sogenannte moderne Menschen zuerst denSinn für Muße verloren, in unseren bekümmerten und geängstetenHerzen ist kein Raum mehr, das Leben wirklich zu genießen, sondernnur dafür, Aufregungen um der Aufregung willen nachzulaufen,damit die innere Angst und Sorge für kurze Zeit erstickt werde. DieHauptfrage ist, ob das Leben zum Genuß von Muße und Bildungoder zum Suchen nach Vergnügungen und aufreizenden Erregungenda ist. Ist diese Frage entschieden und ist es dann nötig, so laßt unsruhig die ganze Mechanik des modernen Lebens verneinen und einneues beginnen. Ich hoffe, es ist nicht unsere Bestimmung, daß wiruns selber dauernd zu Sklaven unserer materiellen Bedürfnisse undBequemlichkeit hergeben.

Ein anderer Teemeister schreibt: ‹In Amaterasu Omikami32 nimmtder Geist des Wabi seinen Anfang. Als dem großen Herrscher seinesLandes stand es ihm frei, die schönsten nur denkbaren Paläste vollerGold, Silber und kostbarer Steine zu errichten, und keiner durftedeshalb ein unrechtes Wort über ihn sagen, und dennoch lebte er ineiner schilfgedeckten Hütte und nährte sich von ungesäubertemReis. Dazu war er in jeder Weise bedürfnislos, bescheiden und stän-dig bemüht. Er ist wahrlich ein höchst trefflicher Teemeister gewe-sen, da er ein Leben des Wabi geführt hat …› Es ist bemerkenswert,daß dieser Schriftsteller Amaterasu Omikami als das Vorbild desTeemannes ansieht, der ein Leben des Wabi führte. Dies zeigt aber,

32 In Wahrheit ist Omikami die Sonnengöttin der japanischen Mytholo-

gie, der Verfasser scheint sie hier als männliche Gottheit anzusehen.

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wie der Teekult die ästhetische Wertschätzung ursprünglicher Ein-fachheit bedeutet. Mit anderen Worten: dieser Kult ist der ästheti-sche Ausdruck einer Sehnsucht, die wir fast alle in der Tiefe unsererSeele empfinden, der Sehnsucht nach einer Heimkehr zur Natur, so-weit unsere Lebensweise sie uns gestattet, ja, nach dem Einssein mitder Natur selber.

Aus diesen Darlegungen wird der Begriff Wabi vielleicht deutli-cher werden. JOTAN war ein Enkel RIKYUS, und von ihm könnte mansagen, er habe das echte Wabi-Leben begründet. Er erklärt Wabi fürdas Wesen des Teekults, das dem sittlichen Leben des Buddhistenentspreche: ‹Es wäre in Wahrheit ein großes Mißverständnis, wollteman Wabi nach außen zur Schau stellen, solange das Innere nichtirgendwie mit ihm übereinstimmt. Solche Leute erbauen sich einenTeeraum, der scheinbar allem, was zu Wabi gehört, angemessenist. Sie geben viel Gold und Silber dafür aus, kaufen seltene Kunst-werke und verkaufen ein Landgut dafür – und das alles nur, umihren Gästen Eindruck zu machen. Dann meinen sie, hier sei wirk-lich Wabi lebendig. Weit entfernt! Wabi bedeutet tatsächlichenMangel, tatsächlich nicht in der Lage sein, sich jeden Wunsch zu er-füllen, tatsächlich ein Leben der Armut und des Verachtetseins.Wenn einer wirklich von seinem Weltleben absteht, weil er sich fürunfähig hält, es zum Erfolg zu führen – das ist Wabi. Aber dannbrütet er nicht über seine traurige Lage. Dann hat er gelernt, sichselber genug zu sein, auch wenn er nicht genug besitzt. Dann strebter nach nichts, was nicht leicht erreichbar ist. Dann weiß er gar nichtsmehr davon, daß er in beschränkten Verhältnissen lebt. Dächte eraber immer noch an seine Armut, sein Entbehren, sein Unglück, sowäre er kein Wabi-Mensch mehr, sondern einfach ein armer Kerl,dem es schlecht geht. Die wirklich begriffen haben, was Wabi ist,

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sind frei von Gier, Heftigkeit, Zorn, Trägheit, Unruhe und Torheit,So entspricht Wabi dem sittlichen Paramita (Vollkommenheit) derBuddhisten …›

In Wabi ist das Ästhetische mit dem Sittlichen und Geistigen ver-schmolzen, und aus diesem Grund erklären die Teemeister ihren Kultfür das Leben selbst und nicht bloß für ein Vergnügen, und sei esnoch so verfeinert. Auf diese Weise ist Zen direkt mit dem Teekultverknüpft. In der Tat haben die meisten alten Teemeister Zen mitgroßem Ernst studiert und die Erkenntnis, die sie darin erreichthaben, auf die Teekunst angewendet.

Religion kann zuweilen als ein Weg definiert werden, um demUnsinn des Weltlebens zu entrinnen. Gelehrte mögen dagegen ein-wenden, wahre Religion wolle nicht dem Leben entfliehen, sondernüber das Leben hinausgelangen und das Unbedingte oder Unend-liche erfassen. Allein, wenn man es praktisch nimmt, ist sie doch einEntrinnen, in dem man ein wenig Zeit findet, aufzuatmen und zusich selber zu kommen. Auch Zen als geistliche Übung hält es nichtanders, aber da es zu tief ins Jenseitige reicht und für gewöhnlicheGeister unzugänglich bleibt, so haben die Teemeister, die Zen stu-dierten, den Weg gefunden, ihr Begreifen durch die Form des Tee-kults in die Praxis umzusetzen. Wahrscheinlich hat zum guten Teilihr ästhetisches Bestreben sie auf diesen Weg geführt.

Wenn man Wabi erklärt, wie es oben geschehen ist, mag derLeser annehmen, Wabi sei mehr oder weniger eine negative Eigen-schaft und die Freude daran sei für Leute gemacht, die am Leben ge-scheitert sind. Das ist bis zu einem gewissen Grade richtig. Aber werunter uns ist wirklich so gesund, daß er nicht zu gegebener Zeit ein-mal irgendeine Art von Arznei oder Kräftigungsmittel nötig hätte?Sodann ist es einem jeden von uns bestimmt, daß er dahinscheiden

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muß. Man kennt den so häufigen psychologischen Fall des tätigenGeschäftsmannes, der körperlich und geistig in voller Kraft steht,aber plötzlich zusammenbricht, wenn er von seinem Geschäft sichzurückzieht. Wie ist das möglich? Einfach deshalb, weil er nicht ge-lernt hat, einen Teil seiner Kraft zurückzuhalten, das heißt, solangeer mitten in der Arbeit stand, nie mit dem Gedanken an eine andereLebensweise sich vertraut gemacht hat. In den früheren Zeiten vollerKriege und Unruhen haben die japanischen Kämpfer, wenn sie mithöchster Bereitschaft ihren Kriegsgeschäften oblagen, klar erkannt,daß sie ihren Nerven nicht immer die äußerste Wachsamkeit und An-spannung zumuten konnten und deshalb irgendwo und irgendwanneinmal einen Weg des Entrinnens nötig hatten. Ihnen muß der Tee-kult genau das gegeben haben, was sie brauchten. So zogen sie sichauf eine Weile in den stillsten Winkel ihres Unbewußten zurück, unddessen Sinnbild war der Teeraum, nicht mehr als zehn Fuß im Qua-drat groß. Und wenn sie wieder heraustraten, so fühlten sie sichnicht nur an Leib und Seele erfrischt, sondern es waren ihnen höchst-wahrscheinlich manche Dinge wieder ins Gedächtnis gerufen worden,die bleibender und wertvoller sind als der bloße Kampf.

Basho und die Haiku-Dichtung

Sabi ist in der Landschaftsgärtnerei und in der Teezeremonie eben-so festzustellen wie in der Literatur. Ich möchte mich hier auf dieLiteratur beschränken, besonders auf jene Form der Literatur, die alsHaiku, das Gedicht in siebzehn Silben, bekannt ist. Diese kürzestedenkbare Form dichterischer Äußerung ist eine eigene Schöpfungdes japanischen Genius. Sie erfuhr in der Tokugawa-Zeit eine großeEntwicklung, insbesondere seit dem Auftreten BASHOS (1643 – 1694).

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BASHO ist ein großer wandernder Dichter, ein leidenschaftlicherNaturfreund gewesen – eine Art Minnesänger der schönen Erde.Er verbrachte sein Leben auf Reisen von einem Ende Japans zum an-dern. Es war ein Glück, daß es damals noch keine Eisenbahnen gab.Die modernen Bequemlichkeiten sind für die Dichtung anscheinendnicht förderlich. Der moderne Geist wissenschaftlicher Analyse läßtkein Geheimnis unentschleiert, Dichtung und Haiku aber gedeihenoffenbar nicht, wo es keine Geheimnisse gibt. Der Fehler an der Wis-senschaft ist es, daß sie der Ahnung keinen Raum läßt, alles wirdbloßgelegt, und was zu sehen ist, wird restlos erklärt. Wo die Wis-senschaft regiert, da zieht die Phantasie sich zurück.

Wir sind gelehrt worden, nackten Tatsachen ins Auge zu sehen,daher ist unser Herz verknöchert. Wo uns keine Weichheit ver-bleibt, verschwindet das Dichterische. Wo der Wüstensand sich aus-dehnt, gibt es kein Grünen und Wachsen mehr. In den Tagen BASHOS

war das Leben noch nicht so nüchtern und bedrückt. Ein Strohhutaus Bambus, ein Rohrstock und eine Baumwolltasche waren demDichter genug, um seine Wanderschaft anzutreten, hier und da ineinem Dörfchen zu verweilen, das ihm gefiel, und jedes Abenteuerzu genießen – wahrscheinlich zumeist nur die Mühen und Entbeh-rungen dieser einfachsten Reiseart. Wird das Reisen zu leicht undbequem gemacht, so geht sein geistiger Sinn verloren. Man mag dieseFeststellung sentimental schelten, allein ein gewisses Gefühl derEinsamkeit, das auf der Reise entsteht, führt den Menschen zumNachdenken über den Sinn des Lebens, denn das Leben ist schließ-lich auch eine Reise von einem Unbekannten zum andern. Ein Zeit-raum von sechzig, siebzig oder achtzig Jahren ist uns vergönnt, da-mit wir den Schleier des Geheimnisses lüften, soweit wir können.Durchjagen wir zu eilig diesen Zeitraum, und sei er noch so kurz,

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so bleibt uns das Gefühl der ewigen Einsamkeit verloren.Was für eine unwiderstehliche Wanderlust BASHO beseelte, sieht

man aus einer der Vorreden zu seinen Reisetagebüchern:‹Sonne und Mond33 sind ewige Wanderer, ebenso die Jahreszeiten,

die kommen und gehen, jahraus und jahrein. Wer sein Leben aufdem schwimmenden Boot verbringt und wer im Sattel der Pferde altwird, für solche Leute ist Reisen das tägliche Brot und ist wirklichihre wahre Heimat. Vor alters gab es viele, die auf der Wander-schaft starben.

Ich kann mich nicht mehr entsinnen, wann es war, aber einst er-griff mich die Sehnsucht nach einem wandernden Dasein, und ichergab mich dem Los einer einsamen Wolke, die im Winde dahin-treibt. Eine Zeitlang verweilte ich am Ufer des Meers, und seit demletzten Herbst ließ ich für eine Weile in einer gebrechlichen Hütteam Fluß mich nieder. Die alten Spinnweben wurden ausgefegt unddie Unterkunft ein bißchen wohnlich gemacht.

Doch als das Jahr zu Ende ging, brach meine Wanderlust wiedergewaltsam hervor. Es war mir, als wäre ein übernatürliches Wesenhinter mir her, dessen Versuchung ich nicht widerstehen konnte. Sohielt mich der Gedanke besessen, das Grenzland von Shirakawa un-ter dem dunstigen Himmel des kommenden Frühlings aufzusuchen.Mein Herz hatte keinen Frieden mehr. Schleunigst wurden die Ga-maschen geflickt, die Schnüre am Reisehut erneuert, und meineWaden mit Moxa (Punktiermethode) behandelt. Dann überließ ich dieHütte einem Freund und brach auf zur Wanderschaft nach dem Nor-den. Mein Herz war erfüllt von dem Mondlicht, das mich bald inMatsushima grüßen sollte.›

33 ‹Sonne und Mond› bedeutet hier die Zeit, der ganze Satz will besagen:

‹Die Zeit entflieht und reißt uns mit sich fort.›

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BASHOS Vorläufer war SAIGYO (1118 – 1190), ein Mann der Ka-makura-Zeit. Auch er war ein wandernder Dichter. Nachdem er seineLaufbahn als Krieger am Kaiserhof aufgegeben hatte, war sein Le-ben ganz dem Reisen und Dichten geweiht. Er war buddhistischerMönch. Wer einmal Japan besucht hat, der hat sicher irgendwo dasBild eines Mönchs im Wanderkleid gesehen, der zum Fuji empor-blickt. Ich weiß nicht mehr, wer es gemalt hat, aber das Bild regtmancherlei Gedanken an, besonders an die geheimnisvolle Einsam-keit des Menschendaseins, doch liegt darin nicht das Gefühl des Ver-lorenseins oder das drückende des Alleinseins, sondern die Ergrif-fenheit vom Geheimnis des Absoluten. Das Gedicht SAIGYOS, das hierillustriert wird, lautet:

‹Der windverwehteRauch des Fuji,Fern schwindet er hin!Wer weiß das LosMeiner Gedanken, die mit ihm schweben?›

BASHO war kein buddhistischer Mönch, aber ein Jünger von Zen.Zu Beginn des Herbstes, wenn hier und da ein Regenschauer ein-setzt, ist die Natur die Verkörperung der ewigen Einsamkeit. DieBäume werden kahl, die Berge scheinen dunkler und strenger, dieFlüsse durchsichtiger, und am Abend, wenn die Vögel müde vom Tagihren Weg heimwärts suchen, sinnt der einsame Wanderer über dasLos des Menschen. Seine Stimmung ist die der Natur. So singt BASHO:

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‹Ein Wanderer –So will ich heißen –Das ist Regen im Herbst.›

Wir brauchen nicht alle Asketen zu sein, aber ich möchte glauben,es lebe in jedem von uns eine ewige Sehnsucht nach einer Welt jen-seits dieser Relativität der Erfahrung, wo die Seele ihr eigenes Schick-sal in der Stille betrachten kann.

Als BASHO noch unter seinem Meister BUCCHO Zen studierte, be-suchte ihn dieser einmal und fragte: ‹Wie geht es dir so in der letztenZeit?›

BASHO: ‹Nach dem letzten Regen ist das Moos grüner als je.›BUCCHO: ‹Welches Buddhawesen ist älter als das grüne Moos?›BASHO: ‹Ein Frosch springt ins Wasser. Horch, wie das klatscht!›Man sagt, damit habe eine neue Epoche in der Geschichte der

Haiku-Dichtung begonnen. Vor BASHO war das Haiku fast nur einSpiel mit Worten gewesen und hatte die Beziehung auf das Lebenverloren. Wie nun BASHO von seinem Meister über die letzte Wahr-heit der Dinge befragt wurde, die noch vor dieser Welt der Sonderun-gen bestand, da sah er einen Frosch in den alten Teich hüpfen, undein Aufklatschen unterbrach die Stille, die ringsum war. Hier ist dieQuelle des Lebens erfaßt, der Künstler sitzt da und achtet auf jedeStimmung seiner Seele, die mit dem fortwährenden Werden der Weltum ihn her sich wandelt, und das Ergebnis sind die vielen Gedichtevon siebzehn Silben, die er uns hinterlassen hat.

Ein anderes seiner Haiku lautet:

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‹Ein entlaubter Zweig,Ein Rabe hockt darauf –Das ist Abend im Herbst.›

Einfachheit der Form bedeutet nicht immer Alltäglichkeit des Ge-halts. Es liegt ein großes Jenseits in der einsamen Krähe, die auf demdürren Baumzweig kauert. Alle Dinge sind aus dem unbekanntenAbgrund der Geheimnisse hervorgekommen, und durch jedes vonihnen können wir einen Blick in den Abgrund werfen. Man brauchtkein ellenlanges Gedicht von vielen hundert Versen zu machen, umdem Gefühl Ausdruck zu geben, das solch ein Blick in den Abgrundaufweckt. Wenn das Gefühl seine höchste Steigerung erlebt, befälltuns Schweigen, denn Worte können es nicht mehr sagen. Auch sieb-zehn Silben sind vielleicht noch zu viel. Auf jeden Fall streben diejapanischen Künstler, die mehr oder weniger vom Zen-Weg berührtsind, ihre Gefühle mit möglichst wenig Worten oder Pinselstrichenauszudrücken. Würden sie zu ausführlich ausgesprochen, so bliebekein Raum für das Suggestive, und eben dies Suggestive ist dasGeheimnis der japanischen Künste.

Manche Künstler gehen darin sogar so weit, daß es gleichgültigwird, auf welche Weise ihre Pinselstriche vom Betrachter ausgelegtwerden, je eher man sie mißversteht, desto besser. Die Striche oderFlecken mögen irgendeine Naturerscheinung bezeichnen, mögen Vö-gel oder Berge oder Menschen oder Blumen oder was immer sein, esist ihnen vollkommen gleichgültig, behaupten sie. Das ist in der Tatein extremer Standpunkt. Denn wenn ihre Striche, Flecken und Flä-chen von verschiedenen Augen verschieden aufgefaßt werden, oftganz anders als der Künstler sie ursprünglich gemeint hat, wozuist dann so ein Bild überhaupt entworfen worden? Vielleicht würde

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der Künstler hier bemerken: ‹Wenn nur der Geist, der ein Werk be-seelt, richtig erfaßt und gewürdigt wird.› Jedenfalls ergibt sich dar-aus, daß die ostasiatischen Künstler der bloßen Form gleichgültiggegenüberstehen. Sie wollten durch ihre Pinselzüge etwas andeuten,was sie innerlich stark bewegt hat. Sie wußten vielleicht selber nicht,wie sie ihrer inneren Bewegung einen artikulierten Ausdruck gebensollten. Sie stoßen nur einen Schrei aus, sie tun nur einen Zug mitdem Pinsel. Das ist vielleicht nicht Kunst, denn wenn sie es tun,liegt keine Kunst darin. Oder wenn Kunst darin liegt, ist es vielleichteine sehr primitive. Ist das wirklich der Fall? Wir mögen noch soweit fortgeschritten sein in der ‹Zivilisation›, das heißt in der Ver-künstelung, so streben wir doch immer nach Kunstlosigkeit, denndiese erscheint uns als Ursprung und Endziel alles künstlerischenBemühens. Wieviel Kunst ist hinter der scheinbaren Kunstlosigkeitder japanischen Kunst verborgen! Voller Bedeutung und Suggestiv-kraft und doch vollkommen kunstlos – wo der Geist des Ewig-Ein-samen so sich ausspricht, da haben wir das innerste Wesen vonSumi-ye und Haiku.

Nach BASHO ist das, was hier als Geist des Ewig-Einsamen be-zeichnet wurde, der Geist des Fuga (oder Furyu, wie es manchenennen). Fuga bedeutet im allgemeinen ‹Verfeinerung des Lebens›,freilich nicht im modernen Sinn einer Erhöhung der Lebensbequem-lichkeit. Es bedeutet die wunschlose Freude am Leben und der Natur,bedeutet die Sehnsucht nach Sabi oder Wabi, nicht aber das Strebennach materieller Annehmlichkeit oder erregendem Genuß. Ein Le-ben des Fuga geht von der Gleichsetzung und Einswerdung des eige-nen Ich mit dem schöpferischen und künstlerischen Geist des Welt-ganzen aus. Ein Mensch des Fuga findet daher seine wahren Freundein Blumen und Vögeln, Felsen und Wassern, Regen und Mond.

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BASHO reiht sich selber in der folgenden Stelle aus dem Vorworteines seiner Tagebücher in die Gruppe solcher Künstler wie SAIGYO,SOGI, SESSHU und RIKYU ein, die alle ‹Furabo› oder Irrsinnige waren,soweit es um ihre Liebe zur Natur sich handelte. BASHOS Vorwortlautet:

‹In diesem Leibe, der aus einhundert Gliedmaßen und neun Öff-nungen besteht, lebt ein Etwas, das wir vorläufig einen Furabo34

heißen wollen. Ist damit wohl ein dünnes, zerfetztes Gewand gemeint,das im Winde flattert? Dieser Bursche war lange Zeit ein begeisterterVerfasser von Kyoku (verrückten Sätzen, das heißt Haiku), denndas hielt er für seine Lebensaufgabe. Manchmal aber wird er es sattund möchte gern auch das wegwerfen. Manchmal hat er den Ehr-geiz andere darin zu übertreffen, dann wird er durch weltliche Wün-sche entsetzlich abgelenkt und fühlt sich höchst unbehaglich. Wahr-haftig oft möchte er gern einen Rang in der Welt haben, aber es(seine Liebe zum Haiku) hielt ihn wieder zurück, darauf auszuge-hen. Ein anderes Mal denkt er daran, als Gelehrter sich niederzulas-sen und die Unwissenden zu unterrichten, aber es (seine Liebe zuHaiku) unterdrückt solche Gedanken wieder. Und am Ende ist erheute noch ein Nichtswisser und Garnichtskönner, außer daß erstandhaft den einen Weg verfolgt. Das ist der Weg, den SAIGYO inseinen Waka (Gedicht von 31 Silben), SOGI in seinen Renga (eben-so in einer Folge), SESSHU in seinen Tuschbildern und RIKYU in sei-nem Teekult gesucht hat. Ein einiger Geist wirkt in allen ihren Wer-ken. Es ist der Geist des Fuga. Wer ihn liebt, nimmt die Natur in sichauf, wird zum Freund der vier Jahreszeiten. Was er auch sieht, wird

34 Fu = Wind, ra = dünnes Kleid, bo = Mönch. Das Wort als Ganzes

bedeutet: ‹ein alter Mönch auf der Wanderschaft, der dahinflattert wie eindünnes Kleid im Wind›.

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ihm zur Blüte, was er auch sinnt, erscheint im Lichte des Mondes.Wer nicht im Lichte des Mondes denkt, ist nur ein niederes Tier.Darum sage ich: Sei mehr als ein Wilder, sei mehr als ein niederesTier, nimm die Natur in dich auf, kehre heim zur Natur!›

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6. RIKYU UND ANDERE TEEMEISTER

Rikyu, der Begründer des Teekults

Es ist vielleicht angebracht, hier einen ganz kurzen Abriß vom Le-ben des SEN-NO-RIKYU zu geben. Er ist der Begründer des Teekults,so wie er heute noch in Japan ausgeübt wird, und jeder Teemeistererhält sein Zeugnis, daß er die Bildung und Eignung zu dieser Kunstbesitzt, aus den Händen von RIKYUS Nachkommen. Es kann sein,daß der Teekult unserer Tage den Geist, der die früheren Meistererfüllt hat, nicht genau übermittelt und nicht so viel von Zen mehrenthält wie in RIKYUS Zeiten. Aber das ist wohl unvermeidlich.

SEN-NO-RIKYU (1518 –1591) wurde als Sohn eines wohlhabendenKaufmanns in Sakai geboren. Sakai in der Provinz Idzumo war da-mals als Hafen für den Handel mit dem Ausland eine blühendeStadt, und unter seinen vielen Kaufleuten scheint der Teekult be-reits gepflegt worden zu sein. Er war eine Art Erholung für sie, undda sie reich waren, besaßen sie vermutlich viele, meist ausländischeGeräte zur Teebereitung. Sehr wahrscheinlich geht die ungewöhn-liche Vorliebe für seltene Kunstwerke, die man bei den Teemeisternbemerkt, auf die Kaufleute von Sakai zurück, die in dieser Hinsichtmit den ästhetischen Neigungen ASHIKAGA YOSHIMASAS übereinstimm-ten. Ich will später ein paar Anekdoten aus der Geschichte des Tee-kults mitteilen, in denen man eine ungemeine oder fast unmäßigeLiebe zu den Teegerätschaften ausgesprochen findet, wie sie nichtnur die Teemeister selber, sondern die Lehensherren aller Gradebezeigten. Sie waren bereit, unerhörte Preise für seltene Schalen oderTeedosen zu zahlen, und die Besitzer solcher Gegenstände wurdenvon großen Herren, Kaufleuten und Gebildeten beneidet.

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RIKYU erlernte die Kunst schon in früher Jugend, und im Altervon fünfzehn Jahren genoß er bereits das Ansehen eines der voll-endetsten Meister des Kults. KAISER OGIMACHI verlieh ihm einenbuddhistischen Ehrennamen, unter dem er seither in der Geschichtebekannt ist, nämlich RIKYU. ODA NOBUNAGA war ein großer Gönnerdes Teekults und erwies RIKYU seine besondere Gunst. Nach NOBU-NAGAS Tode wurde TOYOTOMI HIDEYOSHI auf RIKYU aufmerksam – erwar der Nachfolger NOBUNAGAS, und ihm gelang es schließlich, alsStaatsmann und Feldherr alle Macht über Japan in seiner Hand zuvereinigen. HIDEYOSHI setzte RIKYU dreitausend Koku Reis dafüraus, daß er als Teemeister in seine Dienste trat. In dieser Eigenschaftbegleitete er jenen sogar in seinen verschiedenen Feldzügen gegenseine Widersacher. In jenen unruhigen Zeiten war der Teekult sosehr die Lieblingsunterhaltung der Feudalherren, daß sie ihn selbstmitten in ihren Kriegsgeschäften nicht entbehren mochten. Das ‹Tee-gespräch› diente oft als Vorwand zu politischen Geschäften, und esist recht wahrscheinlich, daß die Feldherren, wenn sie sich in ihrenRaum von viereinhalb Matten zurückzogen, die folgenschwerstenStaatsverhandlungen untereinander pflogen. RIKYU muß als ein stil-ler und verschwiegener Zeuge an ihnen teilgenommen haben. Erwar zu dieser Aufgabe wie geschaffen.

RIKYU hat im Daitokuji, einem der ‹Fünf Berge› Kyotos, Zen stu-diert. Er war sich bewußt, daß der Gedanke des Wabi, dem er imTeekult anhing, aus der Zen-Anschauung herkam, und daß er ohneZen-Schulung in den Geist seiner Kunst nicht eindringen konnte.Während er im praktischen Leben kein Mensch des Wabi, das heißtein Bedürftiger, war, sondern Reichtum, politischen Einfluß und eineungewöhnliche Künstlerschaft besaß, sehnte er sich doch in der Tiefeseines Herzens nach einem wirklichen Wabi-Dasein. Äußere Umstän-

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de wollten es anders: seinen Wünschen zum Trotz wurde er mehrund mehr in die Verwicklungen der Welt hineingezogen, und aus un-bekannten Gründen fiel er bei seinem despotischen Herrn in Un-gnade. HIDEYOSHI befahl ihm, Selbstmord zu begehen. Die schein-baren Gründe, die für seine Todesstrafe vorgegeben wurden, warenhöchst belanglos, und es ist zu vermuten, daß eine viel ernstere,wahrscheinlich politische Angelegenheit dahinter gesteckt hat.

RIKYU war damals über siebzig Jahre alt. Als er HIDEYOSHIS Befehlerhielt, zog er sich in sein Gemach zurück, bereitete sich zum letztenMale den Tee, genoß ihn schweigend und schrieb dann auf japanischund chinesisch seine Abschiedsworte nieder. Die chinesischen Verselauten in ungefährer Übersetzung:

‹Siebenzig Jahre des Lebens –Ha ha! und was für ein Trubel!Mit meinem geheiligten SchwertTöte ich Buddhas und Patriarchen!›

Die japanischen besagen:

‹Ich erhebe das Schwert,Dies Schwert, das mein ist,Das lang mir gehörte –Die Zeit ist gekommen, ist da –Ich zück’ es zum Himmel.›

Dies tragische Ende eines glänzenden Lebens, das dem Teekult undder Verherrlichung des Wabi geweiht war, ereignete sich am28. Tag des 2. Monats im 19. Jahr der Periode Tensho (1591).

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Rikyus Charakter

Die nachfolgenden Geschichten, die man von RIKYU erzählt, mögensie nun geschichtlich oder erfunden sein, werfen ein bezeichnendesLicht auf seinen Charakter:

Als HIDEYOSHI von der wunderbaren Schönheit der Windenblü-ten in RIKYUS Garten hörte, ließ er RIKYU seinen Wunsch, sie zu se-hen, eröffnen. Wie er dann am nächsten Morgen RIKYUS Garten be-trat, da fand er keine Windenblüten, keine Spur von ihnen vor. Erverwunderte sich, sprach aber kein Wort darüber. Als er in den Tee-raum kam, siehe, da hing eine einsame blühende Winde. –

Eines Tages wollte HIDEYOSHI RIKYU in Verlegenheit bringen, zeig-te ihm eine flache goldene Schale mit Wasser und einen blühendenPflaumenzweig und ersuchte ihn, beides zusammenzustellen. RIKYU

besann sich keinen Augenblick, nahm den Zweig in die Hand, streiftedie Blüten ab und ließ sie durcheinander ins Wasser fallen. DieKnospen und die geöffneten Blüten gaben, über dem Goldgrund ver-streut, ein wundervolles Bild. –

Als HIDEYOSHI eines Tages im Frühling bei RIKYU zu Gast war,führte ihn dieser in ein ganz kleines Gemach, nur eindreiviertel Mat-ten groß, das ist weniger als sechs Fuß im Quadrat. Wie er im Be-griff war, einzutreten, bemerkte er ein paar Zweige mit nickenden,voll erblühten Kirschblüten, die aus einem Gefäß von der Zimmer-decke herabhingen. Die Blumen füllten sogar die ganze Türöffnung.Das gefiel HIDEYOSHI sehr, da er trotz seiner Liebe zum Teekult imstillen zu ausschweifender Üppigkeit neigte. Er blieb eine Weile vorder Tür stehen und bewunderte die Pracht der Kirschblüten, die wirk-lich den ganzen Raum ausfüllten. –

Als RIKYU noch als Anfänger den Teekult erlernte, erklärte ihmsein Meister, wie man den Roji – den Hof vor dem Teeraum – keh-

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ren müsse. Den Roji hatte aber der Meister selber schon rein gekehrt.Als RIKYU ihn betrat, war kein Stäubchen darin zu entdecken, aberer begriff sogleich, was der Meister meinte. Er schüttelte den Baumein wenig, so daß ein paar Blätter auf den Boden fielen. Das gefieldem Meister. –

RIKYU besaß ein äußerst empfindliches Feingefühl für das Schönevom Gesichtspunkt des Wabi oder Sabi. Die geringste Kleinigkeit,die dagegen verstieß, entging ihm nicht. Als RIKYU einst zu einemersten Winter-Teegespräch irgendwo eingeladen war, begleitete ihnsein Schwiegersohn. Wie sie den Hof betraten, bemerkten sie, daßdas Tor mit einer altertümlich aussehenden Tür versehen war. DerSchwiegersohn meinte, das habe den richtigen Sabi-Geschmack.RIKYU aber lächelte ein wenig sarkastisch: ‹Das schmeckt durchausnicht nach Sabi, mein Sohn, es ist im Gegenteil eine sehr kostspieligeArbeit. Schau dir’s nur genau an! Eine Tür wie diese gibt es hier inder Gegend gar nicht. Sie muß aus einem fernen Bergtempel, weitvon den menschlichen Wohnungen, stammen. Bedenke, was für eineMenge Arbeit es gebraucht haben muß, sie hierher zu schaffen, unddie mußte der Hausherr teuer bezahlen. Hätte er begriffen, was ech-tes Sabi ist, so hätte er sich in der Nachbarschaft nach einer passen-den Tür umgesehen oder sich eine machen lassen und hätte sie miteinem alten passenden Brett aus einem Schuppen zusammengeflicktDann würde die Türe hier wirklich nach Wabi schmecken. Was wirhier vor uns sehen, ist kein echter Geschmack.› So erhielt der Schwie-gersohn eine praktische Belehrung über die Kunst. –

RIKYU war zu einem Cha-no-yu bei seinem ältesten Sohn geladen.Als er mit einem Freund im Roji stand, sagte er zu diesem: ‹Unterden Schrittsteinen ist einer ein klein bißchen höher als die andern.Mein Sohn scheint das nicht beachtet zu haben.› Diese Bemerkung

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hörte sein Sohn und meinte bei sich selbst: ‹Ich dachte selber voreiniger Zeit daran. Mein Vater bemerkt doch alles im Augenblick!›Während dann die Gäste nach der ersten Schale Tee sich ein wenigausruhten, schlüpfte RIKYUS Sohn heimlich in den Roji hinaus, grubein wenig Erde unter dem Stein aus und brachte diesen so in die rich-tige Höhe. Um die Arbeit unsichtbar zu machen, sprengte er rings-um frisches Wasser. Als RIKYU später auf dem Heimweg über dieSchrittsteine ging, entging seinem Auge die fein ausgeführte Ver-änderung nicht, und er sagte: ‹Sehr gut! DO-AN (das war seines Soh-nes Name) muß meinen Tadel gehört haben, aber wie rasch hat erihn zu Herzen genommen und ihm abgeholfen, noch bevor wir Ab-schied nahmen!› –

Einst wurde RIKYU mit ein paar Freunden zum Tee gebeten. DerHof stand voll herrlicher Bäume, der Boden war mit dem abgefalle-nen Laub der Kashi-Bäume bedeckt, und man hatte das Gefühl, alsschritte man über einen Gebirgspaß. ‹Wie schön!› sagt RIKYU. Nachkurzem Nachdenken fuhr er jedoch fort: ‹Ich fürchte, der Meisterwird den Gang kehren lassen, denn er hat noch keinen Begriff vonSabi.› Und wirklich, als sie nach der ersten Teereichung den Hofwieder betraten, fanden sie die Blätter nur allzu sorgfältig wegge-kehrt. RIKYU erklärte nun seinen Freunden, wie man bei einer sol-chen Gelegenheit verfahren müsse. Und später, als er einen seinerSchüler über die Pflege des Roji belehrte, führte er folgende VerseSAIGYOS als treffenden Ausdruck seiner Empfindung an:

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‹Die Blätter der Kashibäume,Noch bevor sie die Farbe tauschten,Liegen alle herabgewehtÜber dem Pfad zum Bergkloster,Über dem Pfad, einsam und öde.›

(Daß Felsen oder Steinblöcke, Moose und Flechten einen Haupt-bestandteil der japanischen Gartenkunst bilden, besonders wo sie mitdem Teekult verknüpft ist, scheint sehr beachtenswert. Denn sie er-innern an das Leben des Zen-Priesters in den Bergen und ebenso anden Grundsatz des Sabi, der alles beherrscht, was zum Teekult ge-hört. Die Verwendung von Steinen, so wie sie aus den Bergen, Tä-lern, Flußbetten und ähnlichen Umgebungen kommen, trägt sehrdazu bei, dem Roji jene Atmosphäre von Festigkeit, Einsamkeit undaltertümlichem Wesen zu geben, die es erfüllen soll. Das Anwachsenvon Moosen, deren die Kenner eine Fülle verschiedener Arten unter-scheiden, auf den Felsen und dem Boden weckt den Eindruck einerBerggegend, die fern von dem Treiben der Stadt liegt. Diese Ein-drücke sind wesentlich für den Teeraum, denn das Hauptziel desTeekults ist es, aller Geschäftigkeit und ihren Spuren zu entfliehen.) –

Daß RIKYU der große Sachverständige für Wabi gewesen ist, gehtaus folgender Geschichte hervor. Ein Teemann aus Sakai besaß eineTeedose von besonderer Art, die man als Unzan Katatsuki bezeich-net. Da diese Töpferarbeit unter den Teekennern sehr bekannt undgeschätzt war, so war der Eigentümer entsprechend stolz auf sie.Eines Tages lud er RIKYU ein und benutzte diese Teedose. Allein RIKYU

schien sich nicht viel um sie zu kümmern und verließ das Haus,ohne ein Wort darüber zu bemerken. Der Besitzer war tief betroffen,brach die Dose sogleich in Scherben, indem er sie gegen das Gotoku

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(Dreifuß) schlug, und seufzte: ‹Wozu soll ich jetzt noch eine Töpfer-arbeit aufbewahren, die keinen Beifall bei RIKYU gefunden hat?›

Ein Freund des Eigentümers sammelte später die Bruchstücke derDose und kittete sie sorgfältig zusammen, um ihre ursprünglicheGestalt wiederherzustellen. Er vollbrachte diese Arbeit mit großemGeschick und dachte, die geflickte Dose sei immer noch ein recht schö-nes Stück. So kam er auf den Einfall, RIKYU zum Tee einzuladen unddie Töpferdose dabei zu verwenden, um zu sehen, was RIKYU dar-über sagen würde.

Als der Tee bereitet wurde, erkannte RIKYUS scharfes Auge sogleichdie altbekannte Dose, die nun zusammengefügt war. Er fragte:‹Ist das nicht die gleiche Dose, die ich vor kurzem anderswo gesehenhabe? So wie sie jetzt repariert ist, ist sie wirklich zu einem Wabi-Stück geworden.› Der Freund war von dieser Bemerkung hoch ent-zückt und gab die Dose ihrem früheren Eigentümer zurück.

Nachdem sie oft ihre Besitzer gewechselt hatte, gelangte das einstzerbrochene und wieder zusammengeflickte Katatsuki in die Händeeines gewissen Feudalherrn. KYOGOKU ANCHI, einer der berühmte-sten Teemänner des damaligen Kyoto, schätzte sie ganz besondershoch. Ein Freund von ihm, der Arzt war, hörte dies, besuchte denGrafen und sprach ihm scheinbar ganz zufällig von KYOGOKU ANCHIS

Wunsch, die Dose zu bekommen. Der Graf war belustigt und sagteim Scherz: ‹Wenn er zwei Ladungen Gold dafür zahlt, gebe ich siewohl her.›

Der Arzt nahm dies für Ernst und berichtete ANCHI darüber, dererklärte: ‹Wenn es so ist, so bitte ich dich, dafür zu sorgen, daß ichdie Dose für zwei Ladungen Gold bekomme.›

Als der Graf erfuhr, ANCHI sei bereit, den Preis zu zahlen, war erwie vom Donner getroffen und meinte: ‹Ich hatte von vornherein

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gar nicht die Absicht, sie zu irgendeinem Preis der Welt herzuge-ben.› Nun war die Angelegenheit vollends verfahren. Der Arzt,der aus freien Stücken den Vermittler spielte, wußte nicht, was tun.Es gab ein langes Hin und Her zwischen ANCHI und dem Grafen.Jeder der beiden Beteiligten nahm es als Ehrensache auf und ver-steifte sich immer mehr auf seinen Standpunkt. Alle Teemännernahmen Anteil und erboten ihre Dienste, um die Sache beizulegen,und endlich gelang es mit viel diplomatischen Künsten, eine Verein-barung zu treffen, wonach der Graf tatsächlich zwei Ladungen Golderhielt, jedoch nicht als Preis für den umstrittenen Schatz, sondernzur Unterstützung der Armen und Bedürftigen in seiner Grafschaft,und die Kostbarkeit selber als ein freies Geschenk des Grafen anANCHI fiel. Zwei Ladungen Gold entsprachen nach dem damaligenGeldwert zwölftausend Ryo, das wären nach heutiger Währungmindestens hunderttausend Yen.

ANCHI war mit dieser Regelung sehr zufrieden, wenn sie ihn aucheinen guten Teil seiner Mittel kostete. Allein er war mit der Doseselber nicht ganz zufrieden und glaubte, sie sollte noch etwas besserzusammengefügt werden. Er bat KOBORI YENSHU, einen andern gro-ßen Teemeister und Kenner seiner Tage, darüber um Rat. KOBORI

YENSHU aber hatte ein tieferes Verständnis und erklärte: ‹Gerade we-gen dieser Unstimmigkeiten hat sie RIKYU so gefallen und ist einberühmter Gegenstand für die Teemeister geworden. Am besten läßtman sie genau so, wie sie ist.› –

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Das Bambusgefäß des Rikyu

Im japanischen Hausbau spielt die Wandnische (Tokonoma) ausverschiedenen Gründen eine wichtige Rolle. Dieser Rücksprung inder Wand jedes Hauptraumes stammt ursprünglich aus der Zen-Architektur und war für ein heiliges Bild oder Bildwerk bestimmt.Heute kann man jedes Kakemono darin aufhängen, aber die Aus-stattung der Nische mit einem Blumengefäß und einem Weihrauch-behälter zeugt noch von ihrer früheren Geschichte. Auf jeden Fallist das Blumengefäß ein unentbehrliches Stück des Tokonoma, undkein Teeraum wäre vollständig ohne dasselbe. Als TOYOTOMI HIDE-YOSHI die Burg Odawara belagerte, die von Hojo befehligt wurde,leistete dieser den grimmigsten Widerstand, und einige Monate ver-gingen, ohne daß etwas auszurichten war. HIDEYOSHI wünschte Tee-gespräche als eine Art Erholung für seine Feldherren zu veranstalten,allein es war kein passendes Blumengefäß für den Raum aufzutrei-ben. Er bat RIKYU, ihm eins zu besorgen. RIKYU kam auf den Ge-danken, eines aus Bambus zu schneiden, ein ganz neuer Einfall, dennbis dahin hatte man noch nie ein Blumengefäß dieser Art gekanntund verwendet. Er besuchte die Bambushaine in der Nachbarschaft,um einen geeigneten Stamm zu finden, und als er gefunden war,machte er selber ein Gefäß daraus. Als der Bambus austrocknete,bekam er einen Sprung, und dieser Sprunng wurde zum Kennzeichendes Gefäßes, und seither ist es als Onjoji-Gefäß bekannt. Onjojiist ein altes Buddha-Kloster am Biwa-See, und seine Tempelglockeist berühmt für den Sprung, den sie hat. Nach dieser Erinnerung hatRIKYUS Gefäß seinen Namen bekommen.

RIKYUS bescheidenes Bambusgefäß wurde von da ab ein geheilig-ter Schatz unter den Teemännern, nicht nur wegen seines künst-lerischen Werts, sondern wegen der historischen Erinnerungen, die

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damit verknüpft sind. Als ein gewisser IYEHARA JISEN sein beneideterEigentümer war, kam einst sein Freund NOMURA SOJI aus Nagoyanach Kyoto, nur um das berühmte Gefäß zu sehen. JISEN schlug ihmdas ab und bat ihn, noch ein Jahr zu warten. In dieser Zeit gab ersich viele Mühe, einen neuen Teeraum zu errichten, in dem kein Bam-bus für irgendeinen Zweck verwendet war. Das Gefäß im Tokonomasollte der einzige Bambus sein, der zu sehen war. Dann lud er SOJI

ein und zeigte ihm seinen Schatz in der richtigen Umgebung. AlsSOJIS Bitte das Jahr zuvor nicht erfüllt worden war, hatte ihn das sehrbekümmert, aber wie er nun sah, was seinem Freund damals vorge-schwebt hatte, war er ihm dankbar und wußte seine künstlerischempfundene Ehrfurcht vor RIKYU und seinem Werk voll zu würdigen.

FUYUKI, ein reicher Kaufmann aus Fukagawa, wünschte es für sei-nen eigenen Teeraum zu erwerben, aber JISEN wollte sich nicht da-von trennen. Später, als JISEN in bedrängte Verhältnisse kam, dach-te er daran, daß FUYUKI ihm einst fünfhundert Ryo für das Bambus-gefäß angeboten hatte, und sandte einen Boten nach Yedo mit derNachricht, JISEN sei jetzt bereit, es um fünfzig Ryo billiger, das heißtzu vierhundertfünfzig Ryo, zu verkaufen. FUYUKI sandte den Botenohne Antwort zurück, befahl aber seinem eigenen Beauftragten, demandern zu folgen und fünfhundert Ryo mit sich zu nehmen statt dervierhundertfünfzig Ryo, die nun verlangt wurden. FUYUKIS Botebrachte dann das Gefäß mit gehöriger Ehrfurcht nach Yedo. SeineAbsicht ging dahin, den Wert eines solchen Schatzes nicht herabzu-mindern, sondern ihm ohne Rücksicht auf einen Geldvorteil die schul-dige Ehrfurcht zu beweisen.

Noch später gelangte das Gefäß an den GRAFEN FUMAI, einenFeudalherrn der Tokugawa-Zeit, der dem Teekult ergeben war undein sehr feines Gefühl für Sabi hatte. Als er einmal das Gefäß im

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Teeraum anbrachte, um seine Freunde zu bewirten, bemerkte seinDiener, daß Wasser aus dem Sprung tropfte und die Matte am Bodennaß machte. Er fragte seinen Herrn, ob er nicht eine Art Tropfen-fänger dafür machen lassen wolle. GRAF FUMAI aber erklärte: ‹DasFuryu (oder Sabi) dieses Bambusgefäßes besteht gerade darin, daßes leck ist.› –

Der Maler Kano Tanyu

Der Maler KANO TANYU (1602 –1674) ist, denke ich, allen Vereh-rern der japanischen Kunst wohlbekannt, so mag es nicht unange-bracht sein, ihn hier in Verbindung mit dem Teekult anzuführen,an dem er großen Anteil nahm. Er, studierte ihn unter der Anlei-tung SOTANS, eines Enkels von RIKYU, der ein großer Verkünder desWabi war, wahrscheinlich noch ausgesprochener als dieser. TANYU

war noch jung, als er anfing, SOTAN aufzusuchen, kaum mehr alszwanzig Jahre alt. Als er nun die weißen Schiebewände in SOTANS

neu errichtetem Teeraum sah, fühlte er ein unwiderstehliches Ver-langen, sie mit eigener Hand zu bemalen. Allein der Teemeisterwollte auf seine Bittte nicht eingehen, da er seinen jungen Schülernicht für erfahren genug zu der Arbeit hielt. TANYU drängte ihndaher an diesem Tage nicht weiter.

Einige Zeit danach kam er einmal zufällig in SOTANS neuen Tee-raum. Der Meister war abwesend. Die Schiebewände waren nochimmer weiß. Der alte Ehrgeiz regte sich wieder, und er dachte, einesolche Gelegenheit werde nicht wiederkehren. Er hatte sich schon zu-vor ausgedacht, was für Bilder hier am Platze wären, um sein Kön-nen zu beweisen. So nahm er seinen Pinsel hervor und begann so-gleich mit der Arbeit. Es sollten ‹die acht Weisen als Trinker› wer-

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den. Wie er weitermachte, wuchs seine Begeisterung, und das Bildwar nahe daran, fertig zu werden, als er jemanden sich nähern hör-te. Er merkte, es war der Meister selber. Er wollte es daher in dergrößten Eile beenden. Die Schritte kamen immer näher. Nun fehl-ten nur noch die Hände an einer Gestalt. Er warf sie, so schnell esging, hin und verließ den Raum in dem Augenblick, als SOTAN ein-trat. Dieser war überrascht, ein so gelungenes Werk aus dem Pinseleines so jungen Künstlers zu erblicken, von dessen Können er bishernicht besonders viel erwartet hatte. Immerhin fand er, als er die Ar-beit näher prüfte, daß die Hände einer Gestalt falsch angebracht,nämlich die Rechte und die Linke verwechselt waren. Er sprach abernicht viel darüber, und das Bild blieb, wie es ausgeführt war.

Später, nachdem TANYU als der größte Maler seiner Zeit undder Liebling des Shogun IYEYASU im ganzen Reich berühmt gewor-den war, fand sein altes Bild mit den falsch angebrachten Händenunter den Kunstfreunden besondere Beachtung.

TANYU besaß eine Katatsuki-Dose, die als Tanemura bekannt undein Gegenstand größter Bewunderung unter den Teemännern war.Er hätte sie für die Welt nicht hergegeben. Als nun der große Branddes Meireki (1657) TANYUS Haus in Asche legte, befahl er einemseiner Diener, die Dose aus der Zerstörung zu retten. Wie aber mitdem Umsichgreifen des Feuers Gefahr für sein eigenes Leben ent-stand, warf der Diener den anvertrauten Schatz fort und lief davon,sich selber in Sicherheit zu bringen. Nach dem Brande fand ein Boteaus Kyoto die Teedose zufällig an der Straße liegen. Er las sie auf undverkaufte sie nach der Heimkehr an einen Kunsthändler in Kyoto.Der Bürgermeister MARINO CHIKASHIGE hörte von dem Fund undkaufte sie von dem Händler, da es sich bei sorgsamer Prüfung heraus-stellte, es sei die ‹Tanemura Katatsuki›. Einige Zeit darauf lud CHI-

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KASHIGE TANYU ein und setzte ihm Tee vor. Als er sich harmlosnach der Teedose erkundigte, erzählte ihm TANYU, wie tief ihn derVerlust schmerze, und bat ihn, nur ja nicht weiter von ihr zu reden.CHIKASHIGE befahl seinem Diener, den fraglichen Gegenstand demGast zu übergeben, und bemerkte ohne Arg: ‹Hier ist ein Tanemura-Doppelstück.› TANYU war über die Maßen erfreut und fand keinenAusdruck für seine Gefühle. Der Bürgermeister war edelmütig ge-nug, ihm die Dose zum gleichen Preis, den er dem Händler bezahlthatte, zu überlassen, bat ihn aber, ihm zum Lohn für seinen gutenWillen zwölf Ansichten des Fuji zu malen. TANYU war einverstan-den. Es war aber keine leichte Arbeit, und der Maler mußte viel Zeitund Geschick auf die Bilder verwenden. Als sie nach langen Mühenvollendet waren, erwiesen sie sich als eines seiner größten Meister-werke.

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II. DER ZEN-BUDDHISMUS UND DIEJAPANISCHE NATURLIEBE

1. KUNST UND KOSMISCHES BEWUSSTSEIN

Der Fuji als Gegenstand der Dichtung

Die Liebe der Japaner zur Natur geht, so möchte ich zuweilen an-nehmen, zu einem guten Teil darauf zurück, daß in der Mitte derHauptinsel von Japan sich der Fuji-Berg erhebt. So oft ich als Reisen-der auf der Tokaido-Strecke am Fuß des Berges vorüberfahre, habeich immer den schönsten Blick auf seinen Gipfel, wenn das Wet-ter nur leidlich ist, und bewundere seine wundervolle Gestalt, dennimmer ist er mit fleckenlosem Schnee bedeckt und ‹hebt sich genHimmel wie ein aufgestellter weißer Fächer› – um die Worte einesDichters der Tokugawa-Zeit1 zu gebrauchen. Das Gefühl, das er imBetrachter aufweckt, ist, scheint mir, nicht ein rein ästhetisches imSinne künstlerischer Schönheit. Es liegt etwas geistig Reines und Er-hebendes über ihm.

Einer der frühen Dichter Japans2 hat den Fuji folgendermaßenbesungen3:

1 ISHIKAWA JOZAN (1583 – 1672).2 YAMABE-NO-AKAHITO im Mannyoshu.3 In den vorliegenden Übertragungen japanischer Gedichte ist kein Ver-

such gemacht, den originalen Rhythmus wiederzugeben. Sie sind zumeistwörtliche Übersetzungen mit möglichst wenig Zusätzen, die nötig sind, umden Sinn für abendländische Leser etwas verständlicher zu machen. Die Vers-teilung soll mehr oder weniger die japanische andeuten.

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‹Zur Bucht von TagoKomm’ ich, und siehe,Von reinem Weiß umhülltSteigt der Fuji-Berg empor –Es ist als fiele Schnee auf uns hernieder.›

Ein anderer Dichter4 des Mannyoshu, der tiefer als AKAHITO, derSänger der Nara-Zeit, empfindet, schreibt:

‹Weit über Suruga und KaiHebt der Fuji sein Haupt hoch empor,Selbst des Himmels Wolken, ehrfürchtig staunend,Wagen es nicht, diese Steile zu überschweben.Selbst die Vögel versuchen umsonstÜber die schwindelnde Höhe zu stürmen.

Wahrlich, ein Gott wacht über Japan,Über Yamato, dem Land des Aufgangs. Hier ist sein heiliges Kleinod, sein Ruhm:Auf den Gipfel des Fuji in SurugaSchauen wir staunend und werden nicht müde.›

Dieses Gedicht auf den Fuji hat etwas Mystisches, wovon wir nochsprechen werden. In seinen Tagen, das heißt im 12. Jahrhundert,muß der Fuji noch ein tätiger Vulkan gewesen sein, der wenigstensdann und wann noch Rauchwolken ausstieß. Solch ein Anblick machtimmer nachdenklich. Sieht man eine einsame Wolke über einem ho-

4 Ein Unbekannter, der auch der Nara-Zeit angehört. Die englische Über-

tragung ist von ASATARO MIYAMOTO.

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hen Berggipfel schweben, so erhebt sich der Sinn über die Geschäfteder Welt.

Nicht den Dichtern allein machte der Fuji tiefen Eindruck. Sogarein Krieger hatte dafür ein Gefühl, wenn er so sich ausdrückt:

‹So oft ich den Fuji sehe,Scheint er verändert,Und mir ist, er erscheine mirImmer zum erstenmal.›

‹Wie soll ich den Fuji beschreibenDenen, die nie ihn erblickt?Nie ist er zweimal der gleiche,So find’ ich nicht einen Weg,Seinen Anblick zu schildern.›

Der Dichter ist DATE MASAMUNE5 (1565 – 1636), einer der be-rühmtesten Feldherren aus dem Zeitalter HIDEYOSHIS und IYEYASUS.Er war ein furchtloser Streiter und Sieger in mancher blutigenSchlacht, in der er mit dem Einsatz des eigenen Lebens gekämpfthat. Zuletzt wurde er Lehensherr der Landschaft Sendai im nord-östlichen Teil von Japan. Wer möchte glauben, daß solch ein tätigerKriegsheld während der furchtbaren Kämpfe des 16. und 17. Jahr-hunderts in seinem Geiste noch Raum gefunden hat, die Natur zubewundern und Gedichte über sie zu schreiben? Aber dies ist tat-sächlich der Fall gewesen, und wir erkennen daraus, wie tief dieLiebe zur Natur dem japanischen Herzen eingeboren ist. HIDEYOSHI

5 Er ist in der japanischen Geschichte bekannt als Absender einer Ge-

sandtschaft an den Papst im Jahre 1613.

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selber, der Sproß einer Bauernfamilie – und zu jener Zeit warendie Bauern tief in Armut, Knechtschaft und Unwissenheit versun-ken –, hat Gedichte verfaßt und die Künste gefördert. Seine Ära istals die Momoyama-Periode ein Glanzpunkt der japanischen Kunst-geschichte.

Heute ist der Fuji gleichbedeutend mit Japan. Wo immer von Ja-pan gesprochen oder geschrieben wird, ist unvermeidlich auch vomFuji die Rede. Das ist recht so, denn das Land der Aufgehenden Son-ne würde gewiß viel von seiner Schönheit verlieren, wenn der Hei-lige Berg ihm genommen wäre. Man muß diesen Berg selber sehen,um seinen Eindruck zu erleben. Bilder und Photographien, so künst-lerisch sie sein mögen, werden dem wirklichen Anblick niemals ge-recht. Wie MASAMUNE singt, er ist nie der gleiche, er wechselt immerseine Gestalt, indem die Luftverhältnisse wechseln und je nachdemer von verschiedenen Seiten und aus verschiedener Entfernung er-blickt wird. Denen, die ihn nie gesehen haben, kann selbst HIROSHIGE

(1797 – 1858) den wahren künstlerischen Rang seines Bildes nichtanschaulich machen. Ein anderer Dichter singt, freilich von einem an-deren Gesichtspunkt aus als MASAMUNE:

‹Im blauen HimmelOder im wolkenverhängten,Schön wahrlichUnd nie verändert –Steht Fujis Gipfel.›

In unseren prosaischen Tagen sind die jungen Leute in Japan när-risch darauf versessen, hohe Berggipfel zu erklettern nur um desKletterns willen, und sie heißen das ‹die Eroberung der Berge›. Was

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für eine Entheiligung! Diese Mode ist ohne Zweifel mit mancherandern, nicht immer nachahmenswerten, aus dem Westen eingeführtworden. Der Gedanke der sogenannten ‹Eroberung der Natur› stammt,glaube ich, aus dem Hellenismus, der die Erde zum Knecht desMenschen, das Meer und die Stürme zu seinen Dienern machen woll-te. Auch die hebräische Weltanschauung läuft darauf hinaus. ImOsten jedoch hat diese Idee, die Natur dem Befehl und der Dienstbar-keit des Menschen und seiner selbstsüchtigen Bedürfnisse zu unter-werfen, niemals Anklang gefunden. Denn für uns ist die Natur im-mer freundlich und hilfreich gewesen, sie ist uns kein Feind, dender Mensch unter seine Gewalt bringen müßte. Wir Menschen desOstens haben die Natur nie als eine uns entgegenstehende Machtempfunden. Im Gegenteil, sie ist uns eine beständige Freundin undGefährtin geblieben, auf die wir uns unbedingt verlassen können,selbst den häufigen Erdbeben zum Trotz, die unser Land erschüt-tern. Die Idee der Eroberung ist uns zuwider. Und wenn wir einenhohen Berg ersteigen, warum sollen wir nicht sagen: ‹Wir habenihn zu unserem Freund gemacht?› Sich nach Gegenständen der Er-oberung umzusehen ist nicht die Einstellung des östlichen Men-schen zur Natur.

Jawohl, auch wir ersteigen den Fuji, aber unsere Absicht istnicht, ihn zu ‹erobern›, sondern uns mit seiner Schönheit, Größe undErhabenheit zu erfüllen. Und wir möchten der strahlenden Morgen-sonne unsere Verehrung darbringen, die hinter den vielfarbigenWolken emporsteigt in ihrer Pracht. Das bedeutet nicht geradezuSonnenanbetung, wenn auch darin nichts geistig Entwürdigendesläge. Die Sonne ist die große Wohltäterin alles Lebens auf Erden,und es ist uns menschlichen Wesen nur angemessen, jeder Art Wohl-täter, sei er beseelt oder unbeseelt, mit einem tiefen Gefühl des Danks

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und der Achtung uns zu nahen. Denn dieses Gefühl ist uns alleingeschenkt, die niederen Tiere scheinen es nicht zu kennen. Heute ha-ben wir in Japan auf den meisten Bergen von allgemeinem Interesseeine Art Drahtseileinrichtung zum Aufstieg, und die Gipfel sindleicht zu erreichen. Der materialistische Nützlichkeitsgeist des heuti-gen Lebens bringt solche Erfindungen hervor, und es gibt vielleichtleicht Entrinnen vor ihnen, ich selber benutze sie auch, wenn ich zumBeispiel auf den Berg Hiei bei Kyoto steige. Nichtsdestowenigerempört sich mein Gefühl. Das Bild der Gleise, die bei Nacht elektrischbeleuchtet sind, spiegelt das moderne Trachten nach schmutzigemGewinn und leichter Vergnügung. Daß der Berg Hiei, im Nordostender alten Hauptstadt von Japan, den DENGYO DAISHI (767 – 822)mit seinem Tendai-Kloster und anderen Ordensbauten einst zumHeiligtum geweiht hat, in dieser Weise kommerziell ausgebeutetwird, ist ohne Zweifel ein Kummer für viele meiner frommen Lands-leute. In der Ehrfurcht vor der Natur liegt ein echtes religiöses Ge-fühl, das ich gern selbst in diesen Tagen der Wissenschaft, derWirtschaft und des Kriegs bewahrt sehen möchte.

Natur als Lebensraum

Wollen wir uns überzeugen, wie sehr die Japaner, trotz ihrer heuti-gen Betonung des Eroberungsgedankens, in die Natur verliebt sind,so sollten wir ihnen zusehen, wenn sie ein Häuschen zum Studiumoder besser zu beschaulicher Betrachtung sich irgendwo in den Berg-wäldern erbauen. Das ist eigentlich kaum ein Bauwerk, sofern mandabei an westliche Größenmaße denkt, denn es enthält nichts alseinen Raum von vierundeinhalb oder sechs Matten (etwa zehn bisfünfzehn Quadratfuß). Es ist mit Stroh gedeckt und steht gewöhn-

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lich unter einer mächtigen Kiefer, im Schutz ihrer ausgestrecktenÄste. Von weitem gesehen ist diese Hütte nur ein ganz unbedeuten-des Fleckchen in der Landschaft, aber sie scheint völlig ihr einver-leibt zu sein. Sie hat gar nichts Auffälliges und gehört irgendwie indas allgemeine Bild, das man vor sich hat. Wenn der Hausherr drin-nen ist – es gibt da keine raumfüllenden Möbelstücke, nur vielleichteine Hängevase an einem Wandpfosten –, wenn er in dieser be-scheidenen Klause sitzt, so hat er das Gefühl, als ob sie eigentlichvon ihrer Umgebung, von all den Naturdingen draußen vor derHütte gar nicht abgesondert wäre. Unter andern Gewächsen sieht ereine Gruppe Platanenbäume vor einem der seltsam geformten Fen-ster wachsen. Einige ihrer breiten Blätter sind erst kürzlich vomSturm zerschlissen worden, so sehen sie aus wie ein altes Mönchs-gewand, das in Fetzen hängt. Deshalb erinnern sie so an die Zen-Gedichte von HAN-SHAN6. Und nicht bloß die Formen der Blätter sindso poetisch, sondern die Art, wie diese und alle die Bäume und Ge-wächse aus der Erde hervorkommen, gibt dem stillen Betrachterdas Gefühl, daß auch er das nämliche Leben wie sie alle lebt. Der Bo-den in diesem Raum der Beschauung ist nur wenig über die Erde er-höht, nur eben soviel, um die Feuchtigkeit abzuhalten und dochden gemeinsamen Urgrund zu fühlen, aus dem alles Leben hervor-sprießt.

Eine Hütte, die in dieser Weise errichtet ist, bildet einen unlös-baren Teil der Natur, und der Einzelmensch, der in ihr sitzt, ist einNaturgegenstand wie andere. Er ist gar nicht unterschieden von densingenden Waldvögeln, den summenden Insekten, den schwankenBlättern und dem murmelnden Quellwasser – selbst vom Fuji-Berg

6 HAN-SHAN, ein mondsüchtiger Zen-Mönch der T’ang-Zeit. Er lebte in

Gemeinschaft mit SHI-TE und hinterließ viele Gedichte.

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nicht, der über dem andern Ufer der Bucht emportaucht. Hier isteine vollständige Verwobenheit von Natur und Mensch und seinemWerk auf einfach-praktische Weise verwirklicht. Und da ich schonwieder vom Fuji spreche, so kommt mir ein Gedicht von OTA DOKWAN

(gestorben 1486), einem Feldherrn des 15. Jahrhunderts, in den Sinn.Als diesen KAISER GOTSUCHI-MIKADO über seinen Wohnsitz befragte,gab ihm der Feldherr folgende Verse zur Antwort:

‹Meine Hütte steht an der Bucht,Die von Kiefern umsäumt ist,Und des Fuji hoher GipfelSteigt über dem Dachfirst empor.›

Der Kaiser, der in Kyoto lebte, hatte den Berg in Wirklichkeit niegesehen, deshalb spricht der Krieger-Dichter besonders von ihm. Undist es nicht merkwürdig, wie er seinen Wohnsitz als Hütte (Ihorioder Iho im Japanischen) beschreibt? Er ist ja der Feldherr, der seinHauptquartier als erster an der Stelle des heutigen Tokyo errichtethat, lange bevor IYEYASU seine große Burg und Hauptstadt hierbegründete, daher muß OTA DOKWANS Residenz schon recht stattlichgewesen sein. Dennoch nennt er sie ein Ihori, worunter wir gewöhn-lich ein armseliges, strohgedecktes Landhäuschen als den Sitz einesvon der Welt geschiedenen Einsiedlers verstehen. Sein naturlieben-der Dichtersinn wollte von einer stolzen, nach menschlichen Künste-leien schmeckenden Behausung nichts wissen. Seine ‹Hütte› schmiegtsich ganz selbstverständlich unter eine Reihe von Kiefern, an denwellenbespülten Strand und den schneegekrönten Fuji, von dem erberichtet. In dieser Hinsicht spiegelt DOKWAN getreu den Charakterdes Japaners, dessen vorherrschende Eigenart die Liebe zur Natur ist.

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Ein in großem Maßstab errichtetes Bauwerk ist ein zu auffälligesDing, als daß es mit den umgebenden Naturdingen eine rechte Ge-meinschaft bilden könnte. Vom praktischen Standpunkt mag es sei-nen Zweck vorzüglich erfüllen, aber es fehlt ihm das Dichterische.Jeder kunstvolle Aufbau, der sich zu mächtig heraushebt, nimmtihm viel von seinem künstlerischen Wert. Erst wenn es in Trüm-mern liegt und seinem ursprünglichen, ausgesprochenen Zweck nichtmehr dient, wird es wieder zu einem Naturgegenstand und als sol-cher bewundert, auch wenn in dieser Bewunderung manches steckt,was mit der historischen Bedeutung der Ruinen zu tun hat.

Ferner hatte wohl KAISER GOTSUCHI-MIKADO von der Musashino-Ebene, in der DOKWANS Burg lag, schon gehört. Da Japan ein sehrbergiges Land ist, besitzt es nicht viele Ebenen, die von Musashino,in der jetzt die Landeshauptstadt liegt, ist eine der größten, und derKaiser, der wahrscheinlich aus dem rings von Bergen umschlossenenKyoto nie herausgekommen war, mag neugierig gewesen sein, zuhören, wie groß die Ebene von Musashino war. So befragte erDOKWAN, und dieser erwiderte in Versen:

‹Keine Tautropfen sieht man rings um meine Hütte,Obgleich gerade ein Sommerregen niedergingÜber die Ebene von Musashino –Viel weiter muß sie sein als die Regenwolken.›

Das gefiel dem Kaiser gar sehr, so schenkte er dem hochbegabtenKrieger-Dichter aus dem rauhen Osten das Gedicht:

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‹Ich hielt Musashino nur für eine Steppe,Von nichts überwachsen als wilden Disteln.Wie freudig überrascht es mich,So zarte Worte dort blühend zu finden.›

DOKWAN gehört zu den im Volke beliebtesten Helden Japans. Zuseinem Unglück lebte er in jenem Zeitalter, da das Shogunat derAshikaga seinem Untergang sich näherte und das Land am Abgrunddes Chaos stand. Er wurde von einem verräterischen Gegner durcheinen Lanzenstich feige ermordet. Sein Abschiedsgedicht lautet:

‹Bis gestern war dieser mein LeibGleich einem Henamushi-BeutelEin Behälter irriger Haftungen –Zerriß er nun endlich zum letztenmal?›

Dichtung und kosmisches Bewußtsein

Der Dichter und Feldherr OTA DOKWAN hatte das Glück, den Anblickdes Berges in seinem Schneegewand gegen die schäumenden Wogendes blauen Meeres zu genießen. Aber die Herzen des Hausherrn undder Hausfrau in der zerfallenen Hütte von Ugetsu wurden zwischendem Mond und den Tropfen des Herbstregens hin- und hergerissen,sie waren in großer Unruhe und wußten nicht, was sie tun sollten.Allein in dieser Unentschlossenheit, was mit ihrer – diesmal wirklicharmseligen – Hütte geschehen solle, tritt uns ebensoviel dichterischesGefühl und vielleicht mehr noch entgegen als in DOKWANS Fall.Die Liebe des Japaners zur Natur ist hier greifbar aufgezeichnet.Die Geschichte ist kurz die folgende:

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Ugetsu, das bedeutet ‹Regen und Mond›, heißt ein No-Drama,das auf ein Ereignis aus SAIGYOS Wanderungen durch Japan zurück-geht. SAIGYO (1118 – 1190), der Priester-Dichter der frühen Kama-kura-Zeit, kam eines Abends zu einem einsam stehenden Haus undbat um Unterkunft für die Nacht. Ein altes Ehepaar wohnte darin,und das Haus sah sehr zerfallen aus. Der alte Mann wollte die Bittedes Mönchs nicht erfüllen, weil die Umstände im Hause nicht gut ge-nug für ihn seien, sein Weib aber, die den Wanderer als BUDDHA

Priester erkannte, wollte ihm gern ein Nachtlager gewähren. Alleindie Tatsache blieb bestehen: die Hütte war nicht im rechten Zustandum einen Gast zu beherbergen. Der Grund war dieser: die alte Frauliebte das Mondlicht so sehr, daß auf ihren Wunsch das zerrisseneDach nicht geflickt worden war. Der alte Mann aber lauschte be-sonders gern dem Rieseln der Regentropfen auf das Dach, und die-ses war nicht zu hören, solange das Dach wie jetzt unausgebessertblieb. Sollte die Hütte ohne Dach bleiben dem Monde zulieb? Odersollte sie um des Regens willen wieder hergestellt werden? Der Herbstist schon da. Die schönste Zeit für das Mondlicht kommt heran, undzugleich bringen die herbstlichen Regenschauer soviel Freude, wennman still in der Hütte sitzt und ihnen lauscht. Solange diese Fragenicht entschieden ist, wäre es höchst ungastlich von Seiten des Haus-herrn und der Hausfrau, einen Fremden bei sich zu beherbergen,dachten sie:

‹Unsere arme Hütte,Soll sie gedeckt oder nicht gedeckt werden?›

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SAIGYO rief aus: ‹Das ist ein gutes Gedicht, das zur Hälfte fertigist!›

‹Wenn Ihr Euch auf das Dichten versteht›, meinte das alte Ehe-paar, ‹so vollendet die Verse, dann wollen wir Euch Unterkunft ge-ben, so gut es eben geht.›

SAIGYO erwiderte auf der Stelle:

‹Soll das Mondlicht hereintropfen?Soll der Regen aufplätschern?Unser Sinn ist gespalten,Und diese arme Hütte,Soll sie gedeckt oder nicht gedeckt werden? 7›

Der Priester-Dichter wurde nun hereingebeten. Während die Nachtfortschritt, schien der Mond immer strahlender, erhellte die fernenFelder und Berge und warf sein Licht auch ins Innere der Hütte. Aberhorch, es kommt ein Regenschauer! Die Bäume rauschen! Nein, esist das dürre Laub, das gegen das Haus pocht. Ein Wind hat sich er-hoben, aber der Himmel ist klar wie zuvor. Es ist ein Schauer vonfallenden Blättern im Mondschein.

7 Es gibt von SAIGYO ein anderes Gedicht ähnlichen Inhalts:

‹In die Hütte träufelt der Regen,Und ich bin feucht geworden,(Doch bleibt das Dach ungeflickt)Denn ich denke des Monds, der mich liebend besucht.›

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‹Wenn die toten Blätter in Scharen fallen,Und ich still des Nachts in der Hütte sitze,Dann fällt es schwer zu unterscheiden:Schauert der Regen draußenOder ist’s kein Regen?8›

Der Blätterfall im Herbst hat oft das dichterische Empfinden der na-turliebenden Japaner angeregt. Die Stimmung weckt ein Gefühl derEinsamkeit, das zu sinnender Beschaulichkeit verlockt. Auch aufSAIGYO machte sie tiefen Eindruck. Wenn er allein in seiner bescheide-nen Einsiedelei irgendwo in den Bergen weilte, weckte ihn desNachts das Geräusch der fallenden Blätter, die wie ein Schauer gegendas Dach und das Amado (Schiebetür) rieselten, und das Gefühl desAlleinseins mit der Seele der Herbstnatur wurde noch stärker. DasGedicht, in dem er dies ausspricht, ist nicht nur beschreibend, es spie-gelt die ganze Stimmung der Jahreszeit:

‹Ist’s ein vorüberrauschender Schauer,Der mich im Bette wachhält?Nein, das fallende Herbstlaub ist’s.Das dem Winde nicht widersteht.›

Vom praktischen Standpunkt ist Regen ein unbequemes Ding, aberin der japanischen Literatur wie in der chinesischen Dichtung ist soviel vom Regen die Rede – besonders von dem sachten und gelindenRegen, wie er in Japan fällt –, der uns das innerste Geheimnis desWirklichen zuraunt. Hören wir SAIGYO noch einmal:

8 Von MINAMOTO-NO-YORIZANE, 13. Jahrhundert.

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‹Ganz umfangen vom Frühlingsregen,Bin ich allein in der einsamen HütteUnd fremd geworden dem Menschenwesen.›

Um die Poesie und Philosophie des Frühlingsregens wahrhaft zubegreifen, muß man in Japan leben und in einem strohgedecktenHäuschen, einen Rasenstreifen vielleicht und einen kleinen Teichvor dem sechs Matten großen Wohnraum. ‹Fremd geworden demMenschenwesen›, aber tief vertraut mit der Natur war unser Dichter.

DOGEN (1200 – 1253) war der Gründer des Soto-Zweiges im ja-panischen Zen-Buddhismus. Unter seinen Gedichten ist das folgendeam berühmtesten geworden; es verdient in diesem Zusammenhangangeführt zu werden:

‹Ach, den Wolken gleich treiben wir durch Geburten und Tode!Den Pfad des Unwissens und den Pfad der Erleuchtung – wir

wandeln sie träumend.In meinem Gedächtnis haftet nur eins, auch nach dem Erwachen:Des Regens Rauschen, dem einst des Nachts in der Hütte ich lauschte.›

In ‹Waiden› gibt THOREAU eine Andeutung von dem, was manzuweilen als kosmisches Bewußtsein oder kosmisches Gefühl bezeich-net und das ihn erschütterte, als er einmal dem fallenden Regenlauschte: ‹Ich habe mich nie einsam oder im mindesten von demGefühl des Alleinseins bedrückt gefühlt, nur einmal, und das war einpaar Wochen, nachdem ich in die Wälder gezogen war, da zweifelteich, ob die Nähe und Nachbarschaft der Menschen für ein heiteresund gesundes Leben nicht doch unentbehrlich sei. Das Alleinseinwurde mir unbehaglich. Aber zur selben Zeit war ich mir bewußt,

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daß meine Stimmung etwas Ungesundes hatte, und ich ahnte schonmeine Genesung voraus. Und mitten unter einem sachten Regen-fall, während ich noch mit solchen Gedanken mich quälte, empfandich auf einmal eine so süße und wohltuende Vertraulichkeit in derNatur, im Niederplätschern der Tropfen, in jedem Geräusch und je-dem Anblick rings um mein Haus, ein unendliches, unbeschreiblichesBefreundetsein nahm auf einmal wie eine Lebensluft mich umfangen,und die eingebildeten Vorteile menschlicher Nachbarschaft wurdenmir vollends zu nichts, und seither habe ich nie wieder an sie ge-dacht. Die kleinste Tannennadel regte sich und schwoll mir liebendentgegen und wurde mein Freund. Ich ward mir so deutlich derGegenwart eines mir verwandten Wesens bewußt, selbst in einerUmgebung, die wir rauh und düster zu schelten pflegen. Ich wußtenun, daß der nächste Blutsfreund und die menschlichste Gegenwartnicht irgendein Mensch, ein Bauer sein konnte, und ich empfand:keine Stelle auf Erden wird je mir wieder ein Fremdes sein.›

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2. STEIGERUNG DES JAPANISCHEN NATURGEFÜHLSDURCH ZEN

Die Naturerfahrung als Hintergrund der japanischen Kultur

Die Liebe zur Natur, die das japanische Volk ursprünglich besaß,lag ohne Zweifel in seinem angeborenen ästhetischen Sinn für schö-ne Dinge. Aber die Bewunderung des Schönen ist im Grunde einreligiöses Gefühl, denn niemand kann echte Schönheit entdecken undgenießen, der nicht religiös ist. Und es ist nicht abzuleugnen, daßZen dem angeborenen Gefühl der Japaner für die Natur einen un-geheuren Ansporn gegeben hat, nicht nur indem es dasselbe biszum höchsten Grad der Empfindlichkeit schärfte, sondern indem esihm zugleich einen metaphysischen und religiösen Hintergrund gab.Wenn im Anfang die Japaner schlicht und naiv sich zu dem Schönenhingezogen fühlten, das sie in ihrer Umgebung erblickten, und fer-ner, wenn sie alle Dinge in der Natur als gleichermaßen mit Lebens-kraft beseelt ansahen in der Weise primitiver Menschen, die selbstunfühlende Gegenstände aus ihrem animistischen Gesichtspunkt be-trachten, so erhielt die ästhetische und religiöse Empfindsamkeitder Japaner immer weitere Nahrung, je tiefer sie sich in der Zen-Lehre des Buddhismus bildeten. Und diese Nahrung kam zu ihnenin der Gestalt einer erhabenen sittlichen Schulung und einer höchstvergeistigten Intuition.

Das bedeutet: der schneegekrönte Gipfel des Fuji wird jetzt er-blickt als aufsteigend vor dem Hintergrund der ‹Leere›; die Kie-fern, die den Klosterbezirk umrahmen, sind immer frisch und grün,da sie ‹wurzellos› und ‹schattenlos› sind; die Regentropfen, die aufdas Dach meiner armseligen Hütte plätschern, bringen mir den

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Widerhall der alten Tage, da SECCHO und KYOSEI, SAIGYO und DOGEN

über ihren Schall ihre Gespräche führten. Das Mondlicht, das in denleeren Raum HAN-SHANS und des alten Ehepaars im Haus Ugetsu‹träufelte›, wird heute abend auch dein Hotel mit all seinen moder-nen Bequemlichkeiten besuchen. Du sagst vielleicht, das Universumbleibe immer das gleiche, mit oder ohne Zen. Ich aber verkündigefeierlich, daß ein neues Universum geschaffen wird in jedem Augen-blick, da Zen aus seiner strohgedeckten Einsiedelei von viereinhalbMatten hinausblickt. Das mag allzu mystisch klingen, aber ohnedie volle Erkenntnis dieses Sachverhalts wäre nicht eine Seite in derGeschichte der japanische Dichtung, der japanischen Kunst und desjapanischen Handwerks geschrieben worden. Nicht nur die Ge-schichte der Künste, sondern die Geschichte des sittlichen und geisti-gen Lebens der Japaner würde ihre tiefere Bedeutung verlieren, wennman sie von der Zen-Weise, das Leben und die Welt zu deuten, ab-trennen wollte. Und ohne diese wäre es dem japanischen Volkschwerlich gelungen, dem beispiellosen Ansturm der modernen Wis-senschaft, der Maschinen und des kommerziellen Industriewesenszu widerstehen.

Im folgenden möchte ich den Zen-Geist erläutern, wie ihn RYO-KWAN (1758 – 1831) gelebt hat, ein buddhistischer Mönch, der seinanspruchsloses Dasein im frühen 19. Jahrhundert in der ProvinzEchigo verbrachte. Daß er ein Mönch war, kann die Wahrheit mei-ner Behauptung, Zen sei tief in das Leben des japanischen Volkeseingedrungen, keineswegs, wie man glauben möchte, abschwächen.Denn alle, die mit ihm in Berührung kamen, das heißt die ganze Ge-meinschaft, in der er sich bewegte, lobten sein Leben und erblick-ten etwas von bleibendem Wert darin. Um die Windrichtung zu be-urteilen, genügt es, einen einzigen Grashalm anzusehen. Wenn wir

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den einen RYOKWAN kennen, so kennen wir hunderttausende RYO-KWANS in japanischen Herzen.

Der Mönch Ryokwan als Verkörperungjapanischen Zen-Geistes

RYOKWAN war ein Zen-Mönch und gehörte der Soto-Schule9 an.Seine Hütte stand im nördlichen Teil unseres Landes und blickteauf das Japanische Meer. Vom gewöhnlichen Standpunkt der Weltaus gesehen, war er ein ‹großer Narr› und ein Mondsüchtiger, esfehlte ihm, was man gesunden Menschenverstand heißt und wovonwir Weltmenschen zuviel besitzen. Aber er war sehr beliebt und ge-achtet unter seinen Nachbarn, Streitereien und andere lästige Zu-fälle, die oft unser tägliches Leben verdüstern, waren sogleich bei-gelegt, wenn er unter ihnen erschien. Er war ein vollendeter Dich-ter in chinesischer und japanischer Sprache und auch ein großerKünstler der Schrift. Leute aus den Dörfern und aus der Stadt liefenihm um eine Schriftprobe nach, und es fiel ihm schwer, solche Bittenabzuschlagen, denn sie wandten mancherlei Listen an, um ihre Wün-sche erfüllt zu sehen.

Ich sagte, er war ein Mondsüchtiger und ‹ein großer Narr› –das ist der Schriftstellername, den er sich selber beilegte. Aber erhatte ein sehr empfindsames Herz für alles Menschliche und Natür-liche. In der Tat war er die verkörperte Liebe – eine Offenbarungdes Kwannon Bosatsu10. Seine Einsiedelei auf einem Berg fern vondem Dorfe wurde einmal (oder zweimal) von einem Einbrecher heim-

9 Von DOGEN in der Kamakura-Zeit (1185 – 1392) begründet.10 Der Bodhisattva Avalokitesvara.

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gesucht. Dieser Mensch muß völlig fremd in der Gegend gewesensein, sonst hätte er nie daran gedacht, in dieses Mannes Obdach sei-nen Raub zu suchen. Natürlich fand er nichts, was er hätte davon-tragen können. Er war sehr enttäuscht. Dies rührte RYOKWANS Herz,und er schenkte ihm die Kleider, die er anhatte. Der Einbrecherschlich eilends davon und ließ das äußere Amado offen, durch dasnun der volle Mond sein Licht in RYOKWANS Raum ergoß. Da er-wachte der Dichter in ihm:

‹Der Einbrecher schleppt mir den Mond nicht fort:Strahlend scheint er zum Fenster herein!O wie jenseitig klar ist sein Glanz!›

Ein anderes Gedicht von ihm lautet:

‹Wo, so frag ich, wird er die Nacht verbringen,Die eiskalte, frostige Nacht,Da es auch noch zu stürmen beginnt –Ein Wandrer, allein in der finsteren Welt?›

Auch dieses soll der menschenfreundliche Einsiedler nach einemandern unwillkommenen Besuch eines Fremdlings verfaßt haben.Der Heimgesuchte muß aber auch selber unter der Frostnacht in dereinsamen Hütte gelitten haben. Gewiß kam er am nächsten Morgenmit fließender Nase und zitternd vor Kälte zu seinem Elternhaus,um Bettdecken zu erbitten.

Auch gegen die Bettler war er gütig. Wenn er von seinem eigenenBettelgang nach Hause ging, war er imstand, alles, was er bei sichhatte, einem unglücklichen Mitmenschen zu überlassen, den er zu-

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fällig antraf. Bei solch einer Gelegenheit muß er diese Verse ge-macht haben:

‹Wäre mein schwarz gefärbtes GewandWeit und breit genug,Möchte’ ich wohl alle Armen der WeltMit meinen Ärmeln bedecken.›

Er kannte fast gar keine Bedürfnisse für sich selber. Als einer derLehnsherren aus den benachbarten Bezirken einst seine Hütte auf-suchte, um ihn mit sich in seine eigene Stadt zu nehmen und viel-leicht einen Tempel für seine Unterkunft und Religionsübung zu er-bauen, blieb der Bettler-Dichter eine Weile ganz still. Wie er dannhöflich um Antwort gebeten wurde, schrieb er dies:

‹Was mein Herd braucht,Schenkt mir der Wind –Ich sammle die abgefallenen Blätter.11›

So beglückt in seiner Armut, war der Zen-Dichter ein großer Lob-gänger der Armut. Seine Gedichte, besonders die chinesischen, sindvoll solcher Empfindungen. Er scheint ein glühender Bewunderer desHAN-SHAN aus der T’ang-Zeit gewesen zu sein, denn seine Verse er-innern sogleich an die hohe geistige Luft, in der HAN-SHAN sich be-wegte. Hier ein Gesang auf die Armut:

11 Das will sagen, daß alle seine Bedürfnisse von den mütterlichen Hän-

den der Natur befriedigt werden und daß er kein Verlangen hat, seineFreiheit für den Dienst eines Lehnsherrn zu verkaufen.

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‹In Lumpen, in LumpenUnd wieder in Lumpen – das ist mein Leben:Zum Essen pflücke ich Kräuter vom Wegrand,Zur Hütte wird Stroh und Bambus gesammelt,Im Mondlicht sitz’ ich versunken die ganze Nacht durch,Wenn ich Blumen sehe, vergess’ ich den Heimweg –Dies Torenleben hab’ ich zu meinem gemacht,Seit ich in Buddhas Bruderschaft eintrat.›

Die Lehren Ryokwans

Welche Lehren hatte er in BUDDHAS Bruderschaft empfangen? Einigeseien hier mitgeteilt:

‹Die Vergangenheit ist schon vorüber,Das Zukünftige ist noch nicht da,In der Gegenwart ist keine Heimat,Alles wandelt sich immer, nirgends ist fester Halt.Namen und Worte sind selbstgeschaffne Verwirrung –-Was vergeudest du so dein Leben müßig den Tag lang?Gib deine alt-vermoderten Ansichten auf,Laß deine neumodischen Einbildungen fahren!Ehrlich und ganzen Herzens forsch’ und spiegle dich in dir selber!Forschend und spiegelnd, spiegelnd und forschend,Bis der Augenblick kommt, da kein Forschen ferner mehr möglich,Denn dies ist die Zeit, da du siehst, daß all dein Leben ein Wahn ge-

wesen.›

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Man sieht hieraus, wie fleißig RYOKWAN sich dem Studium desBuddhismus ergeben hatte, bevor er dazu kam, sein ‹Torenleben› inden ewigen Strom des Karma münden zu lassen.

‹Woher kommt mein Leben?Wohin wird es enden?In meiner Hütte sitz’ ich alleinUnd sinne ruhevoll, doch mit Ernst.Mit all meinem Denken weiß ich kein Woher,Noch irgendein Wohin zu ersinnen.So ist auch meine GegenwartEwiger Wechsel – alles in Leere!In dieser Leere schwebt das Ich eine WeileMit seinem Ja und seinem Nein.Ich weiß nicht, wohin mit Ja oder Nein –So treib’ ich im Karma dahin, vollkommen befriedet.›

Was ist nun das praktische Ergebnis dieser Philosophie des ‹Gar-nichts-Wissens› und ‹Das-Karma-seinem-eigenen-Wirken-Überlas-sens›, wohin es auch führen mag? Kurz, was bedeutet RYOKWANS

Leben absoluter Passivität oder Abhängigkeit oder Leere? SeineBinsenhütte war in der Tat höchst anspruchslos, gerade groß genugfür ihn selber. Daher ihr Name Gogo, das bedeutet ein halbes Sho(weniger als ein Viertel) Reis – soviel wie ein erwachsener Menschzum Unterhalt für einen Tag nötig hat.

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‹Meine einsame Hütte, Gogo-an genannt,Gleicht an Gestalt einer Hängeglocke.Sie steht von mächtigen Kryptomerien rings umgeben,Ein paar Gedichte schmücken innen die Wand,Zuweilen liegt auf dem Kochtopf dicker Staub,Oft steigt vom Herde kein Rauch empor.Der einsame Wandrer ist ein Mann aus dem Dorf im Osten,Der manchmal an die Tür pocht, wenn der Mond hell strahlt.›

‹Eines Winterabends war ich überwach,Nahm einen Stab und trat aus der Tür.Die Grillen sangen unter den alten Ziegeln,Das tote Laub fiel dicht von den schauernden Bäumen.Ferne hört ich den Strom murmeln und ziehn.Langsam hob sich der Mond über den höchsten Berg:Alles zusammen ergriff mich zu tiefer Beschauung,Nach einer Weile erst fand ich: mein Kleid war durchnäßt und schwer

vom Tau.›

Die Liebe Ryokwans zu Pflanze, Tier und Kind

Dieser Apostel der Armut und Einsamkeit – oder soll man ihn bes-ser einen großen Naturmystiker heißen? – hatte ein warmes Herzfür die Natur und alle Naturwesen, Pflanzen und Tiere. Da er in sei-nen Gedichten auf einen Bambushain anspielt, der seine Hütte um-gab, so müssen viele Bambusschößlinge dort aufgewachsen sein. Erliebte sie sehr, und ich denke nicht bloß als Nahrung, sondern weilsie so gerade aufschössen, so frisch und grün das ganze Jahr hin-durch blieben. Ihre Wurzeln haften fest im Boden, aber der Stamm

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ist hohl, ein Sinnbild der Leere. RYOKWAN liebte diesen Charakteram Bambus. Einst, so heißt es, begann ein jung aufkeimender Schöß-ling den Boden seiner Kammer zu durchbrechen. RYOKWAN verfolgtesein Wachstum mit liebevollem Anteil. Zuletzt sah er, wie der Bam-bus zu hoch für den Raum wurde, und wollte deshalb das Dach ent-fernen. Er nahm eine Kerze, um ein Loch hindurchzubrennen. Hielter das wohl für den bequemsten Weg, um zum Ziele zu kommen?Vielleicht hegte er gar keine überlegte Absicht, sondern wollte nurder jungen Pflanze Platz schaffen, und da ihm gerade die Kerze zurHand war, nahm er sie zu Hilfe. Unglücklicherweise fing das Dachin größerem Umfang Feuer, als er erwartet hatte, und das ganze Bau-werk – mit Einschluß des Bambus, nehme ich an – brannte nieder.In der Tat: ein Höhepunkt der Torheit, dies Anbrennen des Dachsum eines Bambusschößlings willen – wenigstens von unserem prak-tischen Standpunkt aus! Und doch bin ich geneigt, diese Torheit zuverzeihen oder vielmehr zu bewundern. Es liegt etwas so Echtes oder,möchte ich sagen, so Göttliches in seinem Mitgefühl für den Bambus-sproß. Etwas Derartiges liegt ja in jeder Handlung echter Liebe. WirMenschen, die wir in praktischen und schmutzigen Rücksichten allerArt befangen sind, haben die Fähigkeit verloren, jedem reinen Im-puls eines Freundschaftsgefühls zu folgen. Wie oft unterdrückenwir mit kalter Überlegung einen solchen Impuls! Vielleicht sindunsere Impulse nicht immer so völlig selbstlos, wie es bei unseremmondsüchtigen Dichter der Fall war, und dies mag uns als bewußteRechtfertigung dienen, sie zu unterdrücken. Dann aber sollte unserLeben erst von allem Unreinen befreit sein, bevor wir gegen RYO-KWAN etwas einwenden dürfen.

RYOKWANS Liebe zu den Kieferbäumen erhellt auch aus seinen Ge-dichten. Er scheint kein großer Redner oder Schreiber gewesen zu

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sein, aber alles, was sein empfindsames Herz berührte, wurde in sei-nen Gedichten aufgefangen, die je nach seiner jeweiligen Stimmungin verschiedenen Formen entstanden, bald auf chinesisch, bald imklassischen Japanisch von einunddreißig Silben oder in der kürzerensiebzehnsilbigen Form, bald in der Art des Volkslieds oder im viel-silbigen Stil des Mannyoshu. Er beherrschte alle diese Stilarten voll-kommen, hielt sich aber nicht streng an literarische Regeln, sondernwahrte sich oft seine Freiheit auch ihnen gegenüber. Die andere Lieb-lingskunst, mit der er seinem Innenleben Ausdruck gab, war dieSchrift. In unserem Zusammenhang sind seine Schöpfungen alsSchriftsteller besser geeignet, die innerlichen Gefühle, die ihn be-wegten, uns erfassen zu lassen. So singt er von einem alten Kiefern-baum in Kugami:

‹In KugamiDem Otono gegenüberSteht eine einsame KieferGewiß seit vielen Geschlechtern.Wie voll göttlicher WürdeRagt sie gen Himmel!

Des MorgensGeh ich an ihr vorüber,Des AbendsTrete ich unter sie.Stehend schau’ ich emporUnd werd es nicht müde:O du einsame Kiefer!›

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Es muß wohl etwas tief Bezauberndes an diesem uralten Baumegewesen sein. Jedes alte Baumgewächs weckt ja ein Gefühl des Ge-heimnisses im Beschauer, das ihm eine ferne Welt zeitloser Ewigkeitnahe bringt.

In Iwamuro gab es eine andere Kiefer, die RYOKWANS Mitleid tiefansprach. Es muß ein junger Baum gewesen sein, der keine statt-lichen Äste weit aussandte. Es regnete heftig, und RYOKWAN erblickteihn ganz durchnäßt.

‹In IwamuroMitten in den FeldernSteht eine einsame Kiefer.Wie leid’ ich mit der einsamen,Die ganz allein steht,Ganz ertrunken im Regenschauer.Wär sie ein Menschenwesen,Ich gäbe ihr eine Regenhülle,Ich hülfe ihr mit einem Regenhut.Wahrlich, Mitleid verdient die einsame Kiefer.›

Japan ist das Land der Kiefern und Kryptomerien. Diese machenden stärksten Eindruck, wenn sie in Gruppen oder langen Reihenbeieinander stehen, jene sind am schönsten, wenn sie einzeln sicherheben. Die japanische Kiefernart, die Matsu heißt, breitet ihre Ästeunregelmäßig aus, und ihr Stamm ist gewunden. Eine einzelne alteKiefer, die seit langen Jahren vor unserem Zimmer wächst, ist solchein tröstlicher Anblick für den Gelehrten oder den Mönch. RYOKWAN

empfand natürlich Mitleid mit dem Baum im Felde, den der Regendurchnäßte, aber bei SAIGYO stand der Baum in einer andern Um-

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gebung, und der Mann selber war anders in seinem Wesen, jeden-falls damals in einer anderen Stimmung. Daher lautet SAIGYOS Ge-dicht:

‹Noch lange künftige ZeitenSteh hier, sprossend wie heut,Und gedenk unserer FreundschaftstageNach meinem Tode noch, o du Kiefer!Denn mein Los ist’s, zu lebenUngekannt, ungeliebt.›

‹Müde, hier immer zu stehen,Wenn ich weiterwandern muß,O Kiefer, wirst du nicht einsam sein?›

RYOKWAN, der die Bäume so liebte, war auch ein Freund der Läu-se, vielleicht auch der Flöhe, der Stechmücken und so weiter. Erhatte ein zärtliches Mitgefühl mit allen Wesen. Ein merkwürdiger,wenn auch nicht gerade anmutiger Zug, der von ihm berichtet wird,ist seine Fürsorge für die Läuse. Die Geschichte ist für seine Einstel-lung zu anderen Lebensformen bezeichnend. Man sah ihn oft aneinem der ersten warmen Tage im Winter, wie er seinen Läusen zueinem Sonnenbad und zu Bewegung in frischer Luft verhalf. Einenach der andern holte er sie aus seinen Unterkleidern heraus, setztesie auf Papierbogen und legte diese in die Sonne. Bevor es am Abendwieder kühler wird, pflückt er sie wieder weg und versetzt sie inseinen Fudokoro (Gewandtasche) zurück mit den Worten:

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‹O Läuse, Läuse,Wäret ihr Grillen,Die in den Herbstfeldern singen.Mein Fudokoro wäre wahrlichFür euch die Musashino-Ebene.›

Der Gegenstand ist leider nicht eben erbaulich, aber RYOKWANS

echte, ganz selbstlose Liebe zu solchen Geschöpfen hat etwas tiefRührendes. Unsere modernen Ideen von Hygiene und Reinlichkeitsind gegen das Beherbergen von Wesen dieser Art, aber ich hörte,es sei noch nicht allzulange her, daß in England Herren und Damender höchsten Stände nicht frei von Ungeziefer gewesen seien, daßsie zum Teil wegen dessen lästiger Anwesenheit Perücken auf denKöpfen trugen und selbst diese Perücken oft voller Nissen steckten.Ein Gelehrter bemerkt: ‹Noch bis tief im 18. Jahrhundert betrach-tete man Läuse als ein unvermeidliches Übel›12. Er bemerkt ferner,GEORGE WASHINGTON habe in seinem 14. Lebensjahr einen Paragra-phen über ‹Anstandsregeln› abgeschrieben, der folgende bedeutsamenVorschriften enthielt: ‹Töte kein Ungeziefer, wie Flöhe, Läuse, Zeckenund dergleichen, in Gegenwart anderer Leute; siehst du irgendwel-chen Kot oder Speichel am Boden, so deck ihn mit dem Fuß geschicktzu; haftet er an den Kleidern deiner Gefährten, so nimm ihn heim-lich weg, und wenn er an deinen eigenen Kleidern klebt, so be-dank dich bei dem, der ihn wegtut!›

RYOKWAN liebte die Kinder sehr, was man ja bei seinem Charakter,der der eines Kindes war, auch erwarten darf. Er spielte gernmit ihnen, besonders Versteckspiele und Temari (Handball). EinesAbends war an ihm die Reihe, sich zu verstecken, und er verbarg

12 HANS ZINSSER in ‹The Atlantic Monthly›, Januar 1935.

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sich sorgfältig in einem Strohschober auf dem Feld. Es wurde dunk-ler, und die Kinder, die ihn nicht finden konnten, gingen heim. Früham nächsten Morgen kam ein Bauer aufs Feld und hatte als ersteArbeit den Strohschober fortzuräumen. Als er RYOKWAN darin fand,rief er: ‹O RYOKWAN SAMA, was macht Ihr denn hier?› Der mond-süchtige Dichter antwortete: ‹Pst, sprich nicht so laut, sonst findenmich die Kinder!› Hatte er wirklich die ganze Nacht unterm Strohauf die Kinder gewartet? War er gar nicht auf den Gedanken gekom-men, die Jungen könnten ebenso unzuverlässig und enttäuschend seinwie die Erwachsenen? Aber solche Überlegungen entsprechen unsermmenschlichen Denken in dieser Welt des Unwirklichen, sein Gedan-kengang war vielleicht ein anderer, es war der, daß man das Dach ver-brennen müsse, um den Bambusschößling zu behüten. Aus reinerEinfalt verbrachte er die ganze Nacht im freien Feld mit dem ein-zigen Gedanken, sich vor seinen jungen, arglosen und gelegentlichauch boshaften Freunden zu verstecken. Die Geschichte klingt soübertrieben, daß man ihre Echtheit bezweifeln möchte, aber die Tat-sache, daß sie so verbreitet wurde, beweist zur Genüge seine Be-reitschaft, jeden Augenblick in dieser Weise zu handeln.

Unser heutiges Leben steht unter so vielen und mannigfaltigenRegeln herkömmlicher Sitte. In Wahrheit sind wir Sklaven von Vor-stellungen unnd Meinungen, Moden und Überlieferungen, die denpsychologischen Hintergrund oder wie man es heute nennt, dieIdeologie des modernen Menschen als Glied einer Gemeinschaft bil-den. Wir sind nie imstande, so zu handeln, wie WHITMAN uns an-rät. Wir leben im Zustand regelrechter Sklaverei, wenn wir es auchnicht bemerken oder vielmehr nicht zugeben wollen. Sehen wir nun,wie RYOKWAN sich ganz dem Hang seines Gefühls überläßt, das, umdem üblichen Sprachgebrauch zu folgen, durch und durch rein ist

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von allen egoistischen Flecken, so fühlen wir uns so erquickt, alswären wir in eine andere Welt versetzt. In seiner Liebe zu den Kin-dern finden wir denselben Zug seelischer Unabhängigkeit und Un-mittelbarkeit, wie ihn sein Gefühl für eine einsame Kiefer oder denaus dem Boden brechenden Bambusschößling enthüllte. Daß er sogern Temari und Otedama mit Kindern spielte, weist ebenfallsauf jenen freien spielenden Geist hin, der uns allen angeboren ist,dem wir aber nicht seinen Lauf lassen, weil wir uns einbilden, einsolches Spielen sei unter der Würde von Erwachsenen.

Wenn kleine Mädchen Temari und Otedama spielen, wird das Ge-winnen durch Absingen kindlicher Reime abgezählt. Das Aufpral-len des Temari, das Drehen der Hände und der rhythmische Zu-sammenklang der Stimmen – so einfach das ist, so hilft es vielleichtRYOKWANS einfachem und arglosem Gemüt, sich so in der BewegungLuft zu machen. Aus diesem Grund tanzte er auch gern bei fest-lichen Gelegenheiten einen ganz schlichten Volkstanz. Einst fandman ihn unter den Bauern, als junge Frau verkleidet, tanzen. Alseiner der Tänzer aus der Nähe RYOKWAN erkannte und eine Bemer-kung machte, er oder vielmehr sie tanze wirklich gut, tat er, als ober’s nicht höre, weil die Bemerkung mit Absicht recht laut gemachtwurde. Es heißt, er habe später seinen Freunden mit offensichtlichemStolz davon erzählt.

Zen und die Rückkehr zur Natur

In jedem unter uns lebt eine Sehnsucht nach der Rückkehr zu einereinfacheren Lebensform, die auch eine einfachere Art bedeutet, Ge-fühle zu äußern und Wissen zu gewinnen. Der sogenannte ‹Weg derGötter› deutet darauf hin. Ich weiß zwar nicht genau, welche Be-

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deutung die Verkündiger des Kamigarano-michi dieser Bezeichnunggeben möchten, doch scheint es mir ziemlich sicher, daß sie darun-ter eine Rückkehr, eine Bewahrung oder Erneuerung des Weges ver-stehen, auf dem die Götter gewandelt und gelebt haben sollen, bevorder Mensch auf die Erde kam. Dies war ein Weg der Freiheit, derNatürlichkeit und des unmittelbaren Lebensgefühls. Warum habenwir ihn verloren? Darin liegt ein großes und grundlegendes religiö-ses Problem. Seine Lösung gibt den Schlüssel zum Verständnis man-cher Seiten des Zen-Buddhismus und auch der japanischen Liebe zurNatur. Wenn wir sagen, wir möchten natürlich sein, so meinenwir vor allem: frei und unmittelbar sein im Ausdruck unserer Ge-fühle, direkt und ohne Vorbedacht sein in der Reaktion auf unsereUmgebung, nicht die Wirkung unseres Handelns auf andere oderauch auf uns selber vorausberechnen und unser Leben so führen,daß wir keinerlei Gedanken an Gewinn, Wertschätzung, Verdienstoder andere Folgen unseres Tuns hegen. Natürlich sein bedeutet alsowieder zum Kinde werden, wenn auch nicht unbedingt in seiner Ver-standeseinfalt oder in seiner Gefühlsroheit. In gewissem Sinn istdas Kind ein Bündel egoistischer Triebe, aber in ihrem Ausdruckist es vollkommen ‹natürlich›, es kennt keine Bedenken und Über-legungen, was ihre praktische und weltliche Wertschätzung oderMinderwertigkeit angeht. In dieser Hinsicht ist das Kind den Engeln,ja, den Göttern gleich. Es kennt keinerlei gesellschaftliche Fiktionen,die das Benehmen der Erwachsenen tadellos, allem Herkommen undallen Vorschriften entsprechend gestalten. Es lebt unter keinem der-art künstlichen und von Menschen gemachten Zwang. Das praktischeErgebnis eines solchen Betragens mag für den Geschmack der soge-nannten gebildeten, kultivierten und höchst verfeinerten Weltmen-schen nicht immer erfreulich sein. Allein es handelt sich hier nicht

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um derartige praktische Überlegungen, sondern um die Echtheit derMotive, das Nichtberechnende des Gefühls und die Unmittelbarkeitdes Reagierens. Wo keine Verkrümmtheit und keine Verkümmerungdes Herzens ist, da sprechen wir von einem natürlichen und kind-lichen Gemüt. Darin liegt etwas tief Religiöses, und Engel werdenzuweilen als Säuglinge mit Flügeln dargestellt. Darum malen auchdie Zen-Künstler mit besonderer Vorliebe HAN-SHAN und SHI-TE oderPUTAI mit seiner Kinderschar.

Rückkehr zur Natur bedeutet daher nicht etwa eine Rückkehr zuder natürlichen Lebensweise, die man bei den primitiven Völkernder prähistorischen Welt vorfindet. Sie bedeutet ein Leben der Freiheitund Selbstbefreiung. Das, was unser heutiges Dasein ganz be-sonders hemmt und verwickelt macht, ist die Vorstellung der Zweck-bestimmtheit, die jeden Vorgang des Lebens beherrscht. Diese Vor-stellung ist ganz in der Ordnung, soweit sie unsere sittliche, wirt-schaftliche, verstandesmäßige und erdgebundene Existenz betrifft,aber dieses unser Dasein umfaßt und bedeutet viel mehr als alle dieseBetrachtungsweisen. Denn wir fühlen uns mit ihnen niemals völligbefriedigt und suchen nach etwas, das in Wahrheit viel tiefer grün-det als ein bloß sittliches und intellektuelles Dasein. Solange wir aufder Ebene des zweckbestimmten Daseins verharren, sind wir kei-neswegs frei. Und Unfreiheit ist der Grund aller Sorgen, alles Elendsund allen Streits, die auf der Erde umgehen.

In solcher Weise frei zu sein von allen bedingenden Regeln oderVorstellungen, ist das Wesen des religiösen Lebens. Wenn wir in un-seren Regungen und Bewegungen welcher Art auch immer noch einerAbsicht bewußt sind, haben wir keine Freiheit. Freiheit bedeutetAbsichtslosigkeit, was durchaus nicht Zügellosigkeit heißen will.Die Idee einer Absicht liest der menschliche Verstand aus bestimm-

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ten Bewegungsabläufen heraus. Sowie die Zweckbestimmtheit inunser Leben eintritt, hören wir auf, religiös zu sein, und werden zusittlichen Wesen. So ist es auch in der Kunst. Wo in einem sogenann-ten Kunstwerk eine Absicht zu deutlich sich ausspricht, ist es ausmit der Kunst, und es wird zur Maschine oder zur Reklame. DieSchönheit entflieht, und häßliche Menschenhände werden nur allzusichtbar. Soheit in der Kunst besteht in ihrer Kunstlosigkeit, das heißtAbsichtslosigkeit. Darin nähert sich die Kunst der Religion, und dieNatur ist ein vollkommenes Beispiel der Kunst, insofern keinerleiAbsicht erkennbar ist, sei es in den Wogen, die seit dem ursprung-losen Anbeginn der Zeiten über den Stillen Ozean rauschen, seies im Berge Fuji, der mit uraltem, makellos reinem Schnee bedeckt,hoch in den Himmel emporsteigt. In der Blume können wir, als vonNützlichkeitsvorstellungen besessene Wesen, ihre Bestimmung zumSamen ablesen und im Samen die Bewahrung der Lebenskraft fürkommende Jahre. Allein vom religiös-ästhetischen Gesichtswinkelgesehen, sind Blumen als Blumen rot oder gelb und Blätter als Blät-ter grün, und darin hat kein Gedanke an Nützlichkeit oder Zweck-mäßigkeit oder Lebensgesetzlichkeit auch nur den geringsten Platz.

Wir bewundern eine Maschine, die aufs Sorgfältigste und feinsteausgedacht ist und mit genauester Wirkung arbeitet, aber wir habenkein Gefühl, das uns zu ihr hinzieht. Sie ist ein völlig von uns ge-schiedener Gegenstand, der bereitsteht, unserm Befehl zu gehorchen.Mehr als das: wir kennen jeden Teil ihres Mechanismus und denZweck, zu dem er gemacht ist. In dem ganzen Gefüge gibt es nichtdas geringste Geheimnis. Es liegt nichts Verborgenes, keine selbst-tätige Schöpferkraft in ihr beschlossen. Alles ist vollkommen er-klärbar, den Gesetzen unterworfen, die von der Physik, der Dyna-mik, der Chemie oder wer weiß was für Wissenschaften entdeckt

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worden sind. Aber eine Tuscheskizze, die nur aus ein paar Strichenvon eines Künstlers Pinsel besteht – und sei sie scheinbar noch soflüchtig hingeworfen – weckt doch ein allertiefstes Gefühl in unsund zwingt den ganzen Menschen in ihren Bann. Ebenso geht, wennwir die Natur ins Auge fassen, unser ganzes Wesen in sie ein undempfindet jeden ihrer Pulsschläge wie unsern eigenen. Hier von Iden-tifikation, von Gleichsetzung zu reden, ist eine Entweihung, denndies wäre eine mechanische und logische Vorstellung, die auf jenenLebensvorgang nicht angewandt werden kann. Hier aber hat Zensein Reich, und hier liegt der Gesichtswinkel, aus dem Menschen wieRYOKWAN die Welt überblicken.

Das Bild von Buddhas Nirwana – auch ein Ausdruckjapanischen Naturgefühls

Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich noch über das Bild vonBUDDHAS Nirwana ein paar Worte sagen. Es mag scheinen, als obdieses Thema nicht gerade hierher gehöre. Was hat das Nirwana-Bild mit der japanischen Liebe zur Natur oder mit dem Zen-Buddhis-mus zu schaffen? mag man einwenden. Was ich aber in diesem Bilde,so wie es allgemein in Japan dargestellt wird, sehen möchte, hateine recht bedeutungsvolle Beziehung auf die buddhistische Einstel-lung zur Natur. Und da das Bild mit den Zen-Klöstern in Japan engzusammenhängt, da es ferner für den Japaner ganz allgemein einenbesonderen Zauber besitzt, so möchte ich hier einen oder zweiPunkte im Hinblick auf die Szene von BUDDHAS Nirwana herausheben.Es ist mir nicht gelungen, die historische Entwicklung der Nir-wana-Darstellung, so wie sie uns heute vorliegt, zu ermitteln. Da

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die Überlieferung die erste Idee oder besser die erste Urheberschaftdes Bildes dem WU TAO-TZE, dem berühmten Maler der T’ang-Zeit,zuschreibt, so ist es wahrscheinlich zuerst in China entstanden. Ichkann freilich im Augenblick nicht beurteilen, wie weit und wie starkes in die Vorstellungswelt des chinesischen Volkes eingegangen ist.Gewiß aber ist es in Japan in das religiöse Bewußtsein des Volkestief eingedrungen. Dies Bild hat eine innerste Verbindung mit dembuddhistischen Leben, besonders unter den Zen-Anhängern, in Ja-pan gewonnen. Es muß etwas in ihm liegen, das mit großer Kraft zuuns allen spricht.

Das eine Hauptelement des Nirwana-Bildes ist natürlich die Mit-telfigur des BUDDHA, der umringt von seinen Jüngern friedlich ver-scheidet. Man vergleiche dies Ende mit der Kreuzigung CHRISTI, demdas Blut aus dem Haupt und aus den Seiten quillt. Er ist aufrechtans Kreuz gestreckt mit einem Ausdruck von äußerstem Leiden undQual, während der BUDDHA aussieht, als läge er im Frieden schlum-mernd auf seinem Lager, ohne irgendein Zeichen der Trauer. Deraufrechte CHRISTUS stellt einen gewaltigen Geist des Kampfes dar,der liegende BUDDHA ist ganz voller Ruhe. Wenn wir ihn anschau-en, entschwindet alles, was dem Geist der Befriedung widerstreitet,aus unserem Bewußtsein.

Der BUDDHA liegt da, nicht nur mit sich selbst befriedet, sondernmit der ganzen Welt und allen beseelten und unbeseelten Wesen inihr. Man betrachte die Tiere hier, die Götter hier, die Bäume hier,die über sein Scheiden weinen. Für mein Gefühl ist gerade dieser Zugin dem Bilde von der allerschwersten und tiefsten Bedeutung. Ist ernicht ein schlagender Beweis für die Tatsache, daß der Buddhist nichtim Krieg mit der Natur liegt, sondern daß er und die Natur eins sind,indem sie das Leben des Dharma leben?

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Dieser Gedanke und das wahrhafte Gefühl, ein und dasselbe Le-ben im Dharma zu leben, läßt den Buddhisten sogleich in der umge-benden Natur sich zu Hause fühlen. Wenn er dem Rufen eines Berg-vogels lauscht, so erkennt er die Stimme seiner Eltern, wenn er dieLotosblumen im Teiche betrachtet, so entdeckt er in ihnen die unsäg-liche Glorie und Herrlichkeit des BUDDHA-KSHETRA. Selbst wenn er sei-nem Feind entgegentritt und im Dienst einer größeren Sache ihm dasLeben nimmt, so betet er für ihn, daß sein eigenes Verdienst ihm zurkünftigen Erlösung verhelfen möge. Aus diesem Grunde wird dersogenannte Ritus der Seelen Versöhnung für die Windenblüten ge-feiert, die ausgejätet werden, um besseren Pflanzen Platz zu machen,oder für die armen Tiere jeder Art, die zu verschiedenen Zweckenum der Menschen willen geschlachtet werden, oder selbst für die ab-genutzten Pinsel der Maler, die ihnen auf so mancherlei Weise ge-dient haben, ihre Meisterwerke in dem oder jenem Stil zu schaffen,Man erkennt hier, wie tief die Liebe zur Natur bei den Japanerndurchdrungen ist von religiöser Erkenntnis und Empfindung. DasNirwana-Bild ist dafür ein erhabenes Beispiel und wirft auf die ja-panische Psychologie ein helles Licht.

Wie mir erzählt wird, ist es dem Genius der Zen-Mönche und-Künstler der Sung-Zeit zu verdanken, daß auch die Buddhas undBodhisattvas zusammen mit den Tieren und Pflanzen auf dem Bildedargestellt wurden. Bis dahin waren Buddhas und Bodhisattvasals Wesen gedacht worden, die über menschliche Gefühle erhabenund wahrhaft übernatürliche Wesen seien. Aber als Zen den beherr-schenden Einfluß auf das religiöse Bewußtsein der Chinesen und derJapaner gewonnen hatte, da nahm er den Glaubensgestalten jenenerhabenen, teilnahmlosen oder besser unnahbaren Ausdruck, der siebis dahin gekennzeichnet hatte. Sie stiegen von ihrem transzenden-

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talen Sockel herab, um sich unter uns gewöhnliche Wesen zu men-gen, ebenso auch unter gewöhnliche Tiere und Gewächse, unteranorganische Felsen und Berge. Wenn sie redeten, so nickten Steinemit ihren Häuptern, und Pflanzen öffneten ihre Ohren. Aus diesemGrund nehmen an BUDDHAS Nirwana alle Gestalten der Wesen einenso innigen Anteil, wie wir es auf dem Bilde beobachten.

Das berühmte Nirwana-Bild des Zen-Klosters Tofukuji in Kyotoist von einem der dortigen Mönche geschaffen worden. Es ist einesder umfangreichsten Hängebilder seiner Art in Japan. Es mißt un-gefähr 39 X 26 Fuß, und es wird berichtet, zur Zeit eines Bürger-Krieges, der einen großen Teil von Kyoto zu Beginn des 16. Jahr-hunderts in Trümmer legte, hätten die Krieger des Hosokawa-Ge-schlechts dieses Nirwana-Bild des CHO-DENSU (1352 – 1431), einesder größten japanischen Meister, dazu verwendet, um ihr Lager ge-gen den Wind zu schirmen. Es gibt auch eine Legende von der Ent-stehung dieses berühmten Werkes, die für die buddhistische Lebens-philosophie bezeichnend ist. Als CHO-DENSU an dieser großen Auf-gabe arbeitete, pflegte ein Kätzlein ihn aufzusuchen und zu seinenFüßen das Fortschreiten des Gemäldes zu beobachten. Der Meister,dem es gerade an mineralischem Ultramarin fehlte, sagte im Scherzzu ihm: ‹Wenn du imstande bist, mir die Farbe, die ich brauche, zubringen, so male ich dein Bild in das Nirwana.› Die Katze fehltaus unbekannten Gründen im allgemeinen auf den bis dahin entstan-denen Nirwana-Bildern. Daher CHO-DENSUS Bemerkung. Und, wun-derbar genug, am folgenden Morgen brachte ihm das Kätzlein dengesuchten Farbstoff und führte ihn überdies an die Stelle, wo er imÜberfluß zu finden war. Der Künstler freute sich über die Maßen,und um sein Wort zu halten, malte er das Kätzlein in sein Nirwana-Bild, das dafür in ganz Japan ein besonderes Ansehen gewann. Ist

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das nicht eine seltsame Geschichte? Sie macht die buddhistische Ein-stellung zur Tierwelt recht deutlich, die zugleich die des ganzen ja-panischen Volkes ist.

Naturgefühl und Künstler

Die ganze japanische Literatur ist voll von Geschichten dieser Art.Aber anstatt noch mehr solcher Geschichten anzuführen, wird esunserem Zwecke dienlicher sein, wenn wir noch einige Züge aus derjapanischen Kulturgeschichte mitteilen, in denen ein tiefes Gefühlfür Dinge der Natur bei unseren Dichtern und Künstlern zum Aus-druck kommt. Und es ist bezeichnend, daß diese Dinge sich nichtausschließlich auf Gegenstände beschränken, die man allgemein alsschön betrachtet, oder auf solche, die auf eine Ordnung jenseits die-ser flüchtigen und immer sich wandelnden Welt hindeuten. DieseWandelbarkeit selber ist häufig gerade der Gegenstand der Bewun-derung. Denn sie bedeutet Bewegung, Fortschritt und ewige Jugend,sie ist mit der Tugend des Nichthaftens verbunden, die kennzeich-nend für den Buddhismus und eine Seite des japanischen Wesens ist.

Die Winde ist, wie allen bekannt, eine der verbreitetsten blühen-den Pflanzen in Japan. Für den Gärtner ist es eine richtige Kunst,diese Pflanze so zu ziehen, daß sie eine bestimmte künstlerische Auf-gabe erfüllt, und Wettbewerbsausstellungen werden im Frühsom-mer überall im Lande veranstaltet. Eine ganze Menge wechselnderBedingungen muß sehr gründlich berücksichtigt werden, wenn manschöne große Blüten aus den Ranken züchten will. Aber in der Re-gel blüht die Winde überall in großer Fülle den ganzen Sommerdurch, wo nur ein Gartenhag, eine Mauer oder eine Hecke steht. EineEigentümlichkeit ist es, daß die Winde jeden Morgen frisch erblüht

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und keine Blüten vom gestrigen Tag bewahrt. So prächtig die Blu-men am Morgen sind, so welken sie schon vor dem Mittag dahin.Diese flüchtige Pracht hat der japanischen Phantasie reiche Anre-gung gegeben.

Ich weiß nicht, ob diese Neigung zum vorübereilenden Augenblickin der Psychologie des Japaners ihm im Blute liegt oder in gewis-sem Umfang aus der buddhistischen Weltanschauung stammt. Tat-sache ist aber, daß Schönheit etwas Momentanes, immer Fließen-des ist: wird sie nicht empfunden und bewundert, solange sie vonLeben erfüllt ist, so wird sie zur bloßen Erinnerung und hat ihreLebendigkeit verloren.

Dafür ist die Windenblüte ein Beispiel:

‹Jeden Morgen, wenn die Sonne aufgeht,Sind die Blüten jung und frisch,Strahlend im ersten Erwachen zum Leben.Wer will die Ranken kurzlebig schelten?Sie blühen und blühen doch fort und fort.›

Schönheit ist immer lebendig, denn sie kennt keine Vergangenheit,keine Zukunft, sondern allein die Gegenwart. Zauderst du, wendestdu den Blick, so ist die Schönheit schon dahin. Die Windenblüte mußman in ihrem ersten Erwachen bei Sonnenaufgang bewundern, eben-so auch den Lotos. Auf diese Weise haben die Japaner durch dieZen-Lehre gelernt, die Natur zu lieben und mit dem Leben ständigin Berührung zu bleiben, das alle Dinge, auch die Menschen, durch-strömt.

Ein anderes Gedicht lautet:

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‹Die Kiefer hat ein Leben von tausend Jahren,Die Winde blüht nur einen einzigen Tag –Und doch haben beide ihr Schicksal erfüllt.›

Darin liegt kein Fatalismus. Jeder Augenblick pulst voller Leben,sowohl in der Kiefer wie in der Windenblüte. Die Bedeutung diesesAugenblicks ist nicht nach den tausend Jahren der einen oder demkurzen Tag der andern bemessen, sie liegt im Augenblick selber.Denn dieser ist in beiden das Unbedingte. Schönheit als solche kannalso nicht durch den Gedanken an ein unabwendbares Schicksal oderihre Flüchtigkeit beeinträchtigt werden.

Als CHIYO (1702 – 1775), die Haiku-Dichterin aus der ProvinzKaga, am Morgen zum Nachbarhaus eilte, um ihr Wasser zu schöp-fen, weil die Winden mit ihren Blüten den eigenen Brunnen über-wucherten, da war ihr Herz so voll von der Schönheit der Blumenund von zärtlichem Mitgefühl für das Gewächs, daß sie gar nichtdaran dachte, um ihrer praktischen Bedürfnisse willen daran zu rüh-ren. Sie hätte die Ranken ja leicht und bequem von dem Seil oderdem Brunnenstock ablösen können, um den sie vermutlich sich ge-schlungen hatten. Aber der Gedanke kam ihr gar nicht in den Sinn.Die so schön sich entfaltende Windenblüte hatte etwas Heiliges fürsie – wenn es auch nur eine ganz gewöhnliche Sorte war. Die Dich-terin erfaßte im Augenblick einen Strahl dieser Heiligkeit, und auchwir vermögen von dieser Eingebung in ihrem Siebzehnsilber etwaszu spüren:

‹Mein Trog ist gefangenVon der Windenblüte,So bitt’ ich um Wasser.›

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Was man eine göttliche Eingebung nennen kann, zuckt oft wie einBlitz in unserem Bewußtsein auf, sobald wir ein Stück Natur er-blicken – es braucht nicht einmal schön, sondern kann für den All-tagsgeschmack sogar häßlich sein, und wir sind über unser irdischesGeschäft so hinausgehoben, daß die einfache Äußerung unseres Er-lebnisses dem Außenstehenden merkwürdig faktisch und prosaischerscheinen kann. Nur wenn er sich zu der gleichen Höhe aufschwingt,kann er die volle Bedeutung der Äußerung erfassen und einen Blickin das Geheimnis tun, das in dem Gefühl des Dichters für die Naturverborgen liegt. Der Frosch gilt für gewöhnlich nicht als ein schönesGeschöpf, aber wenn er auf einem Blatt des Lotos oder Basho hockt,das frisch im Morgentau schimmert, dann weckt er des Haiku-Dich-ters Einbildungskraft.

‹Ein einsamer Frosch, vom Regen durchnäßt,Reitet auf einem Basho-BlattUnd regt sich unruhig.›

Hier wird ein stilles Sommerbild gemalt in der Gestalt eines grün-rückigen Amphibiums. Manche Leute mögen einen solchen Eindruckals zu unbedeutend für eine dichterische Bemerkung ansehen, alleinfür den Japaner und besonders für den buddhistischen Japaner gibtes nichts Unbedeutendes. Der Frosch ist genauso wichtig wie derAdler oder der Tiger. Jede seiner Bewegungen ist unmittelbar mit demUrquell des Lebens verbunden, und in ihr und durch sie kann mandie tiefste religiöse Wahrheit lesen. So entstand BASHOS Gedicht aufeinen Frosch, der in den alten Teich seines Gartens sprang. DieserSprung ist eine ebenso gewichtige Angelegenheit wie Adams Sturzaus dem Paradies, denn auch in ihm liegt eine Wahrheit, die das Ge-

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heimnis der Schöpfung enthüllt.

‹Von einem KätzchenBeschnüffelt,Schleicht die Schnecke gleichgültig weiter.›

Auch darin liegt ein Stückchen menschlicher Verspieltheit undsüßen Gefühls.

Noch ein anderes Haiku, in dem eine gewisse Verspieltheit auf-leuchtet und doch zugleich ein tiefer philosophischer Gedanke ver-hüllt ist:

‹Auf die TempelglockeLieß er sich nieder und schläft –O dieser Schmetterling!›

Zunächst ist der Gegensatz bedeutsam: der Schmetterling ist nurein kleines und flüchtiges Geschöpf, sein Leben währt kaum einenSommer lang, aber solange er lebt, scheint er sein Dasein im höchstenMaß zu genießen, flattert von Blüte zu Blüte und badet sich in derheiteren Sonne; oft findet man ihn friedlich träumend am Randeiner mächtigen Tempelglocke. Der Tempel ist meistens ein stillerOrt, der den Sinn auf das Ewige lenkt, und seine Glocke ist unge-heuer groß im Vergleich mit dem Schmetterling. Sogar in den Far-ben besteht ein Gegensatz – das zierliche, kleine, weiße Geschöpf,zart und äußerst gebrechlich, das auf die dunkle, schwere, unbeweg-liche Glocke sich niederläßt. Aber das Haiku ist nicht bloß beschrei-bend, es birgt einen religiösen Sinn. Des Menschen Leben ist keines-wegs mehr wert als das des Schmetterlings, es gewinnt seine Be-

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deutung nur, wenn es mit etwas viel Bleibenderem und Allerhalten-dem verbunden ist. Das Spielerische aber, das dem Dichter BUSON

vorschwebte, liegt in der völligen Ahnungslosigkeit des Schmetter-lings, daß plötzlich etwas geschehen könnte, was den tiefsten Grundseines Daseins erschüttert. Die Mittagstunde kommt heran, und derMönch wird die Glocke schlagen und eine Folge schrecklicher Don-nerklänge ihr entlocken. Diese Ungewißheit des Kommenden istallen Formen des Lebens verhaftet. Der Mensch sucht ihr durch diesogenannte Wissenschaft zu entgehen, aber seine Begierde setzt sichdurch, und alle wissenschaftlichen Berechnungen sind auf den Kopfgestellt. Wenn die Natur ihn nicht zerstört, so zerstört der Menschsich selber. Es steckt eine große Lebensweisheit hinter dem epigram-matischen Ausspruch BUSONS.

Anspielungen auf solche Natureindrücke begegnen uns überallin der japanischen Literatur, ganz besonders aber in der Haiku-Dichtung, die während der Tokugawa-Zeit eine wundervolle Blüteerlebte. Das Haiku befaßt sich mit Vorliebe mit den kleinen Lebewe-sen wie Fliegen aller Art, Läusen, Flöhen, Käfern, Grillen, mit Vö-geln, Fröschen, Katzen, Hunden, Fischen, Schildkröten und so weiter.Es steht auch in engster Beziehung zu Gemüsepflanzen, Gewächsenaller Art, zu Felsen, Bergen und Bächen. Und wir wissen: das Haikuist für den japanischen Menschen eines der beliebtesten Mittel, seinephilosophischen Intuitionen und seine dichterische Naturbewunde-rung auszudrücken. In dem Gefühl, das in die kleinstmögliche Zahlvon Silben gepreßt wird, entdecken wir die Seele Japans in durch-sichtiger Klarheit gespiegelt. Es zeigt uns, wie dichterisch oder intui-tiv seine Empfänglichkeit gegenüber der Natur und all ihren Gegen-ständen ist, mögen sie beseelt oder unbeseelt sein.

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Ich brauche kaum darauf hinzuweisen, daß das Haiku den GeistBASHOS, seines Schöpfers in der neueren Zeit, verkörpert und daßder Geist BASHOS nichts anderes als der Zen-Geist ist, der sich in sieb-zehn Silben ausspricht.

Teekult und Naturgefühl

Wahrscheinlich ist das beste Mittel, um die japanische Liebe zurNatur und ihre Beziehung zum Geist des Zen-Buddhismus deutlichzu machen, eine Betrachtung der verschiedenen Vorstellungen, dieim Bau des Teeraums oder Teehauses sich kundgeben, wo der soge-nannte Teekult nach einer Reihe festgelegter Regeln vollzogen wird.Diese Regeln sind keineswegs willkürlich aufgestellt worden, sie sindvielmehr im Lauf der Zeit fast unbewußt aus der künstlerisch ge-schulten Gesinnung der Teemeister herausgewachsen, und in derFormung dieser Gesinnung finden wir den japanischen Instinkt fürdie Natur sittlich, ästhetisch und geistig durch die Zucht der Zen-Philosophie herangebildet. Wenn wir erst über den Teekult, seineGeschichte, seine Praxis, seine Voraussetzungen, seine geistigen Hin-tergründe alles wissen und auch mit der sittlichen Atmosphäre,die von ihm ausstrahlt, vertraut sind, so dürfen wir sagen, wirhätten die Geheimnisse der japanischen Seele begriffen. Dieser Ge-genstand ist überaus interessant, da er aber eine sehr ausführlicheBehandlung beansprucht, so sei er für eine andere Gelegenheit vor-behalten.

Ich möchte hier nur einen Teeraum in einem der Nebenklösterdes Daitokuji beschreiben, jenes Zen-Tempels, der der Hauptsitz desTeekults ist. Wo eine Flucht unregelmäßig angeordneter Schrittstei-ne endigt, steht eine ganz unansehnliche strohgedeckte Hütte, nied-

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rig und anspruchslos im höchsten Maß. Den Eingang bildet nichteine Tür, sondern nur eine Art Öffnung; um durch sie hindurchzu-schlüpfen, muß der Besucher sich alles Drum und Dran entkleiden,das heißt sein Langschwert und sein Kurzschwert ablegen, die einSamurai in der Feudalzeit überall bei sich zu tragen pflegte. Das In-nere ist ein kleiner, halbdunkler Raum von ungefähr zehn Fuß imQuadrat, die Decke niedrig, von ungleicher Höhe und Konstruktion.Die Tragpfosten sind nicht blank geglättet, sondern meist aus unbe-arbeitetem Holz. Nach einer kleinen Weile wird der Raum allmählichheller, indem unser Auge sich dieser Umgebung anpaßt. Nun be-merken wir ein altertümliches Kakemono (Hängerolle) in der Nischemit ein paar Schriftzügen oder einer Tuschmalerei (Sumi-ye). EinWeihrauchgefäß verbreitet einen Duft von Wohlgeruch, der eigen-tümlich beruhigend auf die Nerven wirkt. Das Blumengefäß in derNische enthält nicht mehr als einen einzigen Blütenzweig oder Blü-tenstengel, der in keiner Weise üppig oder auffallend ist; aber wieeine kleine weiße Schwertlilie, die unter einem Felsblock und umge-ben von dunklen Kiefern blüht, wird die Schönheit der bescheidenenBlume durch die Umgebung hervorgehoben und zieht die Aufmerk-samkeit der ganzen Versammlung von Gästen auf sich. Es sind nurvier oder fünf eigens eingeladen, um eine Schale Tee miteinander zuschlürfen und dabei alle Sorgen der Welt zu vergessen, die sie sonstbedrücken mögen.

Jetzt lauschen wir dem Summen des kochenden Wassers im Tee-kessel, der auf einem dreifüßigen Rahmen über dem Feuer steht.Dieses ist in einer viereckigen Aushöhlung des Bodens angefacht.Das Summen kommt eigentlich nicht vom Kochen des Wassers, son-dern von dem schweren Eisenkessel, und die Kenner vergleichen essehr treffend mit einem leisen Wind, der durch den Kiefernhain geht.

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Es trägt viel zu der heiteren Stille des Raumes bei, denn hier hat derMensch das Gefühl, als säße er allein in einer Berghütte, wo eineweiße Wolke und die Musik der Kiefern seine einzigen trostreichenGefährten sind.

Wenn man in dieser Umgebung mit guten Freunden eine SchaleTee zu sich nimmt und dabei gewöhnlich über die Sumi-ye-Skizze inder Nische oder über Kunstfragen plaudert, die von den Teegerätenin dem Raum angeregt werden, so fühlt sich der Sinn merkwürdigüber die Zufälle des Lebens hinausgehoben. Der Krieger ist von sei-nem täglichen Geschäft des Kämpfens erlöst, der Kaufmann von demGedanken an das Geldverdienen, das ihn sonst nicht zur Ruhekommen läßt. Bedeutet es wenig, wenn man in dieser Welt der Eitel-keit und des Streits einen noch so bescheidenen Winkel findet, in demder Mensch sich über die Schranken der Relativität erheben undeinen Blick auf Ewiges tun darf?

Meine Antwort ist in CHAO-CHOUS Einladung seiner Zen-Schülerzu einer Schale Tee enthalten. Man kann der Meinung sein, an demSchlürfen eines derartigen Getränks könne wahrhaftig nichts liegen,und die Japaner machten wirklich zuviel Gerede über alltägliche Be-langlosigkeiten, wo es doch im heutigen Leben so viel ernsthaftereDinge zu bedenken gebe. Wie immer man zu dieser Frage sich stellenmag, so bin ich gewiß: die Zen-Meister und die Tee-Meister werdenruhig und heiter bei ihrem Zen, ihrem Tee, ihrem Wabi oder Sabibleiben. Denn sie sind von dem Wert ihres Tuns fest überzeugt.

Einst kam ein Mönch zu CHAO-CHOU (9. Jh.), der ihn fragte: ‹Bistdu immer hier gewesen?› Und der Mönch antwortete: ‹Nein, Mei-ster.› CHAO-CHOU sprach: ‹Nimm eine Schale Tee!›

Als ein anderer Mönch zu ihm kam, stellte er ihm die gleiche Fra-ge, auf die der Mönch antwortete: ‹Ja, Meister, ich bin schon einmal

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hier gewesen.› CHAO-CHOU sprach: ‹Nimm eine Tasse Tee!›Später erkundigte sich der Inju (das Oberhaupt der Mönche): ‹Wie

kommt es, Meister, daß Ihr die Mönche ganz gleich behandelt, obsie nun schon lange hier sind oder nicht?› CHAO-CHOU rief: ‹O Inju!›Der Inju erwiderte: ‹Ja, Meister›, und CHAO-CHOU sprach: ‹Nimm eineSchale Tee!›

Noch später hörte MU-CHOU, ein anderer Meister, davon reden undbefragte einen Mönch, der von CHAO-CHOU kam und ihm Auskunftgab. ‹Was meint wohl CHAO-CHOU?› ‹Gar nichts, es ist nur sein alterTrick!› MU-CHOU sprach: ‹Der arme CHAO-CHOU, er weiß nicht einmal,daß du ihm einen Schöpfeimer voll Mist über den Kopf geschüttethast.› Mit diesen Worten schlug der Meister den Mönch. Nun wandtesich MU-CHOU an einen der ihm aufwartenden Jünglinge: ‹Was denkstdu über CHAO-CHOU?› Der verneigte sich ehrfurchtsvoll vor ihm, undder Meister schlug ihn.

Der Mönch, der von CHAO-CHOU kam, suchte später den Jünglingauf und fragte ihn: ‹Was meinte dein Meister, als er dich kürzlichschlug?› Sprach dieser: ‹Wäre er nicht mein Meister, kein andererdürfte mich so schlagen.›

Nach alledem ist das Schlürfen einer Schale Tee keine gleichgültigeAngelegenheit, sondern voll ernster Konsequenzen. Der sogenannteTeekult dürfte uns auch etwas sehr Gewichtiges zur Kulturgeschich-te des japanischen Volkes zu sagen haben.

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3. JAPANISCHE KIRSCHBLÜTEN-DICHTUNGALS AUSDRUCK JAPANISCHER NATURLIEBE

Die folgenden Verse auf die Kirschblüte sind ziemlich willkürlichaus der japanischen Dichtung gepflückt, um zu zeigen, wie leiden-schaftlich das Volk Japans den Blumen, ja in Wahrheit allen Natur-erscheinungen ergeben ist. Dies Gefühl ist nicht unbedingt mit Zenverbunden, aber, wie ich schon früher bemerkte, Zen hat zu einemguten Teil dazu beigetragen, das ästhetische Feingefühl der japani-schen Seele zu vertiefen und es schließlich in einer religiösen In-tuition zu verwurzeln, die einem mystischen Begreifen der Naturentspringt.

Wie immer bisher sind die Übertragungen ziemlich wortgetreu,mit nur ebenso vielen Erläuterungen, um den Sinn der originalenWorte in ihrem abendländischen Gewand verständlich zu machen.Wie alle Gedichte, gleichgültig in welcher Sprache, können auch diejapanischen nicht mit allen Feinheiten der Empfindung und allen li-terarischen Kunstgriffen in einer fremden Sprache wiedergegebenwerden. Nebenbei möchte ich darauf hinweisen, daß wie in derSumi-ye-Malerei der japanische Geist auch in der Dichtung es fertig-gebracht hat, seine Gefühle mit der kleinstmöglichen Zahl von Wor-ten auszudrücken. Aus dem Waka von einunddreißig Silben ist dasHaiku von siebzehn geworden. Manche meinen, der japanische Geisthabe noch keine klare Grenze zwischen Philosophie und Leben oderzwischen Vorstellungen und unmittelbarer Erfahrung gezogen. Dasbedeutet, er habe den höchsten Grad des verstandesmäßigen Den-kens noch nicht erreicht, und aus diesem Grunde gebe er sich mitder kürzesten dichterischen Form der Waka und Haiku zufrieden,in denen keine kunstvolle Gedankenführung noch eine verstandes-

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gerechte Entwicklung höchst veredelter Gefühle sich durchführenlasse. Andere stellen fest, der japanische Wortschatz sei arm undbeschränkt, daher sei mit einem solchen Ausdrucksmittel keine großeDichtung zu schaffen. Diese kritischen Bemerkungen mögen bis zueinem gewissen Grade richtig sein, aber alle Verallgemeinerungenenthalten nur eine teilweise Wahrheit. Der Sinn der japanischenDichtung wartet noch in verschiedenen Richtungen auf eine ge-rechte Untersuchung, nicht zum wenigsten nach den psychologischen,philosophischen und historischen Grundlagen, aus denen sie er-blüht ist.

Eines aber wenigstens möchte ich zur japanischen Dichtung be-merken: Infolge ihrer Kürze verzichtet sie darauf, von den Gedan-ken, Erlebnissen und Umgebungen ausführlich zu sprechen, die zurAbfassung eines Gedichts geführt haben oder aus ihm weiter ent-wickelt werden können. Diese Auslassungen hat der Leser selbst zuergänzen, er muß daher mit den leiblichen und seelischen Verhält-nissen wohl vertraut sein, in denen der Dichter lebt. Das dichterischeGenie des letzteren beruht darin, daß er die bedeutsamsten Beziehungs-punkte auszuwählen weiß, durch die er den Leser veranlassen kann,alle dichterischen Assoziationen, die in seinen Silben enthalten sind,mit der stärksten Wirkung in sich heraufzubeschwören. Wir müssenuns aber auch daran erinnern, daß das Geheimnis des Haiku nichtunbedingt auf der bloßen Suggestion beruht.

Nehmen wir ein paar Beispiele. RYOTA, ein Dichter des 18. Jahr-hunderts, macht ein Haiku als Ausdruck seines Gefühls gegenüberdem Mond, der sich infolge der andauernden Frühlingsregen Nacht umNacht vor ihm verborgen gehalten hat, jetzt aber leise und unver-hofft hinter den Kiefernwipfeln erscheint. Das muß eine äußerst froheÜberraschung für ihn gewesen sein. Die Regenzeit ist in Japan sehr

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trübe und lästig für Menschen, die das Mondlicht an einem Frühlings-abend lieben, wenn sein sanfter, weicher, alles lösender Schein weitüber die neblige, dunsterfüllte Erde fließt.

‹Es ist Juni und Regenzeit.Da, in der Nacht, wie ein heimlicher LauscherHinter den Kiefern: der Mond!›

Das Haiku ist, so wie es dasteht, ohne Zweifel für die meistenabendländischen Leser unverständlich, während seine chinesischeÜbersetzung in vier Zeilen von je fünf Charakteren eine genauereVorstellung vermittelt:

‹Sommer ist’s, und dumpf meine Strohhütte;Jeden Abend schlaf ich im Regengeriesel ein.Da auf einmal hängt oben der volle MondUnd der Kiefern Schatten unten im Garten.13›

TENTOKUS menschenliebendes Herz entlockte ihm folgendes Haiku,das heute zum Sprichwort geworden ist:

‹Heut kam der erste Schnee!Auch du eines Menschen Kind,Fäßchenaufklauber!›

Das ist allem Anschein nach Unsinn. Für den Japaner aber, der weißwas der erste Schnee im Jahr bedeutet und auch, was ein Fäßchen-

13 Englische Übersetzung von BASIL HALL CHAMBERLAIN in seinem Auf-

satz: Basho and the Japanese poetical Epigram.

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aufklauber in der Feudalzeit war, ist dieses Haiku wahrhaft ergrei-fend. Der erste Schneefall erfolgt gewöhnlich am ersten kalten Win-tertag, aber am selben Tag pflegen auch die wohlhabenden Leuteauszugehen und mit ihren Freunden ein kleines Sakegelage in einerVorstadtschenke und ihrem schönen Garten zu veranstalten. DerDichter war höchstwahrscheinlich auch unterwegs zu solch einer Ge-sellschaft, da sah er einen armen Jungen die kleinen Sakefäßchenaufsammeln, die man auf die Straße geworfen hatte. Der Junge warsicher nicht warm angezogen, wahrscheinlich in Lumpen – undbarfuß. Das erregte des Dichters Mitgefühl. Der Junge ist auch einesMenschen Kind, warum muß er leiden, wenn so manche andere vomselben Alter in müßigem Reichtum schwelgen? Der Gerechtigkeits-sinn empört sich. Wäre TENTOKU ein HOOD gewesen, so hätte er ge-wiß einen ‹Gesang vom Hemd› geschrieben.

Das Waka hat einunddreißig Silben und kann daher etwas mehraussprechen als ein Haiku, aber hier bedarf es oft einer Erläuterung,um die nur angedeuteten Gedanken in den rechten Zusammenhangzu rücken. Wenn das Waka sich nicht zu einer größeren Anzahl vonWorten entwickelt hat, liegt es daran, daß der japanische Dichter,sobald er sich ausführlicher ausdrücken wollte, zu dem sogenanntenProsagedicht seine Zuflucht nahm. Wir haben mehrere Formen da-von in unserer Literatur.

Die nachstehenden Gedichte auf die Kirschblüte sind in vier Grup-pen eingeteilt. Die erste (A) befaßt sich vornehmlich mit Wind undRegen, die oft zu früh die Blütenblätter zerstreuen. Es ist ja keineausdauernde Blüte, sie währt nur eine Woche ungefähr. Früh imApril ist sie mit einem Schlag aufgebrochen, dann sehen Berghängeund Flußtäler aus wie ein einziges Blütenmeer. Das fällt um somehr ins Auge, als um diese Zeit die meisten Bäume noch kahl sind.

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Die zweite Gruppe (B) besingt den herrlichen Anblick, wenn dieKirschen in voller Blüte stehen. Es ist ein wahrhaft wunderbares Bild,wenn zum Beispiel der ganze Berg Yoshino von der üppigen, meistrosenfarbenen Blütenpracht bedeckt ist. Ist dann ein warmer, er-quickender Sonnenglanz in der dunstigen Luft über sie ausgebrei-tet, so gerät die ganze Bevölkerung von Tokyo oder Kyoto außer sichvor Freude. Die dritte Gruppe (C) spielt auf den Sinn dieses Blühensan, auf welche Weise immer die Dichter ihn deuten mögen. Die letzteGruppe (D) drückt ihre Sehnsucht aus, daß die Kirschblüte baldkommen möge. Was die Japaner so viel an sie denken macht, liegtsicher daran, daß sie für das Volk unserer Heimat das Sinnbild desFrühlings ist. Wenn die Kirschen blühen, hat diese Jahreszeit ihrenGipfelpunkt erreicht, die Tage werden länger, und wir sind glück-lich, daß der Winter hinter uns liegt.

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A

Wo bleibt eine Zuflucht vor dem Sturm, der die Blüten entblättert?Kann einer mir’s sagen?In seinem Hause will ich ihn suchenUnd meine Klage ihm singen.

Mönch SOSEI (10. Jahrhundert)

Ich glaubte, dies sei das Tor am Grenzpaß,Wo keinem Wind der Durchlaß gewährt sei.

(Anspielung auf den Namen Na-ko-so)Doch ach, der Bergpfad ist überschüttetMit abgefallenen Kirschblütenblättern!

MINAMOTO YOSHIIYE (1051 – 1108)14

14 YOSHIIYE aus dem Haus der MINAMOTO war ein großer Krieger, beson-

ders als Bogenschütze, und verstand sich auf Furyu. Als er ABE SADATO inder sogenannten Kleiderfeste besiegt hatte, sandte er ihm folgende Spott-verse :

‹Ach, deine KleiderfesteIst endlich in Lumpen zerfallen.›

Um wenigstens als Dichter nicht geschlagen zu werden, antwortete SADATO

sogleich:‹Wie schade darum!Zu lange getragen,Zerschlissen die Fäden.›

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Wie schade, ihr Kirschenblüten, daß ihr so schleunig entblättert!Warum folgt ihr des Frühlings Seele nicht,Die so friedvoll, so heiter, so in sich beseligt?

FUJIWARA TOSHINARI (1114 – 1204)

Laßt uns den Wind nicht ungerecht schelten,Wenn er die Blüten so grausam entblättert –Vielleicht verlangt es sie selber, dahinzuscheiden, bevor ihre Zeit kam.

Mönch JIYEN (1155 –1225)

Nirgends ist jetzt mehr der Frühling.Ich schelte den Wind und die Welt nicht,Denn im fernsten Winkel von YoshinoIst keine Kirschblüte mehr zu erblicken.

FUJIWARA SADAIYE (1162 –1241)15

15 Einer der Zusammensteller des Shin Kokinshu. Diese neue Sammlung

von Waka-Gedichten enthält die besten Beispiele aus der Zeit des abge-dankten Kaisers GOTOBA und wurde 1205 unter persönlicher Aufsicht desKaisers herausgegeben.

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B

Die Jahre vergingen, alt bin ich geworden –Es ist nicht zu leugnen –Doch wenn ich rings die Kirschblüten sehe,Wie freudig wallt mir die Seele!

FUJIWARA YOSHIFUSA (804 – 872)

Dort kommt ein HolzsammlerUnd steigt den gewundenen Bergpfad herab:‹Sag mir, mein Freund,Sind dort auf dem Gipfel Kirschblüten oder sind’s Wolken?›

MINAMOTO YORIMASA (1104 – 1180)

Am Berge die Bäume wiesen kürzlich noch keine Spur,Daß sie Kirschblüten trügen,Nun aber stehn sie in voller Pracht,Und der ganze Berg ist ein einziges Leuchten

MINAMOTO YORIMASA

Meines Herzens Sehnsucht, Jahre um Jahre gehegt,Die Kirschen von Yoshino blühen zu sehen,Heut ist sie endlich erfüllt!

TOYOTOMI HIDEYOSHI (1536 – 1598)16

16 Über seine Liebe zum Teekult siehe S. 113 pass.

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Wie strahlend, und doch wie friedlich und heiterDes Frühlings Seele ist!Aus seiner Seele, gewiß,Brechen all die Bergkirschenblüten hervor.

KAMO NO MABUCHI (1697 –1769)

O möchten doch alle, die auf dem Erdball wohnen,Zu unserem Lande kommen,Zum Berge von Yoshino kommen,Die Kirschen in voller Blüte zu sehen!

KAMO NO MABUCHI

Die langen Frühlingstage wählten sie als die schönsten,Nun feiern die Kirschen selig die Blütenzeit.Wie ich sie anschaue, denk ich der alten Tage der Götter – (der

Tage des Friedens).

ISHIKAWA YORIHIRA (1191 – 1859)

Der Yoshino-Berg liegt hinter Nebeln –Ich weiß nicht, wo er steht.Aber soweit ich nur schauen kann,Ist nichts als ein Meer von blühenden Kirschen.

HATTA TOMORI (1799 –1874)

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Trüg ich ein altes Schwert und scharlachfarbene Rüstung,So stünd ich, ein besseres Bild,Inmitten der Bergkirschbäume in ihrer Pracht.

OCHIAI NAOBUMI (1861 –1903)

SAIGYO, von dem schon oft in diesem Werk die Rede war, ist nichtnur für die Geschichte der japanischen Literatur, sondern auch fürdie des buddhistischen Einflusses auf die japanische Kultur ein un-auslöschlicher Name. Er gehört der Zeit vor Zen an, aber sein tief-sinniger Geist, sein Verständnis für die Natur und sein brennendesVerlangen, ganz mit der Natur zu leben und in ihr aufzugehen,bringen ihn in die engste Verbindung mit SESSHU, RIKYU, BASHO undvielen andern. Tatsächlich hat sich BASHO selber in die gleiche Reihemit SAIGYO gestellt. SAIGYOS Liebe zu den Kirschen ging so weit,daß er sich folgendermaßen aussprach:

‹Mein Gebet ist, ich möchte unter den Kirschblüten sterbenIm blühenden Frühlingsmonat,Wenn es Vollmond ist.›

In Japan und China wird der Tod des BUDDHA am 15. Tag des2. Monats (nach dem Mondjahr) begangen. Daher SAIGYOS Wunsch,um diese Zeit, zu der auch die Kirschen blühen, zu sterben. Der zwei-te Monat entspricht ungefähr der zweiten Hälfte des März und derersten des April nach unserem Kalender. SAIGYOS Gebet wurde er-hört, denn er starb am 16. Tag des 2. Monats im ersten Jahr derKenkyu-Periode (1190). Seine Anhänglichkeit an die Kirschen gingnoch über das Grab hinaus, denn seine Bitte war:

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‹Bringet dem Buddha Kirschblüten dar,Wenn Menschen in Zukunft meiner gedenken!›

Unter anderen Kirschblütengedichten SAIGYOS finden sich folgende,die zeigen, wie sehr er in sie wie in andere Wesen der Natur verliebtwar:

‹Unbekannt und ungeachtet lebe auch ich in der Welt.Warum entschwinden die Kirschblüten dennSo ungerührt den Augen der Menge, die sie bewundern?›

‹Das Jahr rückt vor; wie könnten Blumen des Frühlings vergessen?Gewiß, bald brechen sie hervor.So wart’ ich müßig auf sie den ganzen Tag unter Bäumen.›

‹Tief im Herzen verlangt’s mich, zu wissen,Auf welchen BergesgipfelnDie Kirschen zuerst erblühn:Wie sehnt es mich nach ihrem Anblick!›

Gleich den meisten Japanern war er auch ein großer Liebhaber desMonds. Das Mondlicht hat eine besondere Anziehungskraft für diejapanische Phantasie, und kein Japaner, der überhaupt ein Wakaoder ein Haiku verfassen möchte, kann am Monde vorbeigehen.Das liegt zu einem guten Teil an den Wetter- und Luftverhältnis-sen des Landes. Der Japaner liebt das Sanfte und Zärtliche, dasHalbdunkel, die leisen Andeutungen und alles, was dieser Art ist.Wenn auch ein Erdbeben ihn zuweilen erschüttert, sitzt er doch gernstill im Mondlicht und läßt sich von seinen blassen, bläulichen Strah-

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len umfangen, die ein Trost für die Seele sind. Er ist im allgemeinender scharfen Helle, dem Aufreizenden und dem Allzudeutlichen ab-geneigt. Das Mondlicht ist gerade leuchtend genug, aber in unsererfeuchten Luft erscheinen alle Dinge darin nicht zu sehr ausgespro-chen, ein gewisser geheimnisvoller Duft durchdringt alles, und dasrührt besonders an das Gemüt des Japaners. Während SAIGYO alleinin seiner Bergklause sitzt, vereinigt er sich mit dieser Mondseele,deren er sogar nach dem Tode nicht vergessen kann oder der zuliebees ihm schwer wird, aus dem Leben zu scheiden, ob er sonst schon angar nichts Irdischem mehr haftet. Wahrlich, das Land der Reinheitist ja nichts anderes als die überweltliche Spiegelung einer solchenästhetisch-geistigen Hingabe.

‹Keine Seele besucht meine Hütte,Nur des Mondes befreundetes Licht,Der über die Wälder hervorspäht.›

‹Eines Tages werde ich, ach,Aus dieser Welt hinscheiden IDoch ewig verlangt mein HerzNach dem Mond, nach dem Mond!›

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C

Zum Dorf in den Bergen am FrühlingsabendKomm ich und lausche der TempelglockeSchau, wie die Kirschen in Blüte stehnUnd Blumenblätter leis niederschweben.

Mönch NOIN (10. Jahrhundert).

Shiga, die alte Hauptstadt, liegt ganz in Trümmern.Nur die Bergkirschen alleinBlühen strahlend wie immer.

TAIRA NO TADANORI (1143 –1183).

Abend brach ein:Unter dem Kirschbaum dort such’ ich mein BettUnd bin die Nacht bei den Blüten zu Gast.

TAIRA NO TADANORI.

Sie blühen und wehen dahin,Und es bleibt nur Regen und Wind –Die Kirschenblüte ist schon vorüber!Doch ihre Seele ist nie entblättert.

DATE CHIHIRO (1803 – 1877).

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D

‹Wenn die Kirschen anfangen zu blühen,So melde mir’s gleich!›Der Mann aus den Bergen vergaß es nicht.Ich hör’ ihn kommen. ‹Sattelt mein Roß, geschwind!›

MINAMOTO NO YORIMASA.

Wenn in Yoshino die Kirschblüte sich naht,Zieht es mein Herz sehnend zum weißen Gewölk,Das die Berghäupter am Frühlingsmorgen umschwebt.

SAKAWADA MASATOSHI (1580 –1643).

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ANHANG I

Fragen der Religion und Philosophie

Um den Weg, auf dem Zen einige wichtige Fragen der Religionund Philosophie behandelt, näher aufzuklären, folgen hier zwei Bei-spiele mit dem Kommentar eines Zen-Meisters.

1

Unter der T’ang-Dynastie fragte ein Mönch den TAI-SUI: ‹Wenn derKalpa-Endbrand ausbricht und alle die Welten verzehrt, wird dannwohl das (innerste, geheimnisvolle) Dies auch vernichtet?›

TAI-SUI: ‹Ja, es wird vernichtet.›Mönch: ‹Wenn ja, verschwindet es wie alles andere?›TAI-SUI: ‹Ja, es verschwindet wie alles andre.›Dieses Mondo wird von YÜAN-WU (Sung-Zeit) in seinem Pi-yen-

chi folgendermaßen kommentiert:‹Der Fa-chen TAI-SUI war ein Schüler des TAI-AN und stammte aus

der Stadt Yen-t’ing in T’ung-chuan. Er studierte Zen unter mehr alssechzig Meistern. Während er bei KUEI-SHAN verweilte, versah er denDienst des Huo-tou (Feuer-Haupt) und hatte die Obhut über dasHerdfeuer. Eines Tages fragte ihn KUEI-SHAN: ,Du bist nun schoneinige Jahre hier bei mir, doch scheint es, du weißt noch nicht, mireine Frage zu stellen, noch zu begreifen, wie sie lauten soll.’ SUI er-widerte: ,Was für eine Frage soll ich denn an Euch richten?’ KUEI-SHAN schlug vor: ,Wenn du es nicht weißt, so frag einfach: Was istder BUDDHA?’ SUI aber legte schnell seine Hand auf des MeistersMund und hielt ihn zu. Darauf bemerkte KUEI-SHAN: ,Auf diese

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Weise wirst du nicht einmal einen finden, der den Boden für dichfegt.’

Später kehrte TAI-SUI in seine Geburtsstadt heim und errichteteam Fuß des Peng-kou eine kleine Bude, in der er drei Jahre langden Vorüberwandernden Tee ausschenkte. Darauf berief man ihn,um den TAI-SUI (den Berg als Abt) zu ,öffnen’, wo ein Kloster er-baut wurde. Einer der Mönche fragte ihn einst: ,Wenn der Kalpa-Endbrand alle die Welten verzehrt, wird Dies auch vernichtet wer-den oder nicht?’ Diese Frage stammt aus einer buddhistischen Schrift,worin die physische Entwicklung des Weltalls als ein Durchgangdurch vier Perioden beschrieben wird: Entstehen, Bestehen, Zerstö-rung und Verschwinden. Wenn am Ende eines Kalpa der Welt-brand ausbricht, so steigt er auf bis zum dritten Dhyana-Himmel.Jener Mönch verstand aber den letzten Sinn der Schriftworte nicht.

Fragen wir: Was ist mit dem Dies dieser Fragestellung in Wirk-lichkeit gemeint? Manche geben ihm eine verstandesmäßige Aus-legung und sagen: Dies ist die ursprüngliche Natur aller Wesen.SUI antwortete: ,Ja, es wird vernichtet.’ Der Mönch fragte weiter:,Verschwindet es dann wie alles andere?’ SUI sprach: Ja, es ver-schwindet wie alles andere.’ Das wird von vielen mißverstanden, dieunfähig sind, die wahre Bedeutung zu erfassen. Wenn TAI-SUI er-klärt, das Dies verschwinde wie alles andere, wohin geht es dannwirklich? Hätte hinwiederum TAI-SUI gesagt: Das Dies verschwin-det nicht wie alles andere, was dann? Darum spricht ein alter Meister:Willst du in Wahrheit das Wesen treffen, so versuch keine Fragezu stellen!’

In späterer Zeit gab es einen Mönch, der das Oberhaupt vonHsü-Shan fragte: ,Wenn der Kalpa-Endbrand ausbricht, werden alleWelten vernichtet; wird dann das Dies vernichtet oder nicht?’

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Der Meister sprach: ,Nein, es wird nicht vernichtet.’Wieder fragte der Mönch: ,Warum nicht?’,Weil Dies und alle Welten das gleiche sind’, war des Meisters

Antwort.In der Tat, ob man sagt Dies wird vernichtet, oder, ob man sagt,

Dies wird nicht vernichtet – das Ergebnis ist das gleiche. JederSatz ist genug, um den Atem stocken zu machen.

Jener erste Mönch konnte TAI-SUI nicht begreifen und war dar-über sehr bekümmert. Darum begab er sich zum T’OU-SHAN undhoffte, mit Hilfe des dortigen Meisters die Frage zu lösen.

T’OU-SHAN fragte ihn: ,Wo kommst du her?’Mönch: ,Von TAI-SUI im Lande Shu.’T’OU-SHAN: ,Was hat TAI-SUI zu sagen?’Der Mönch berichtete alles, was zu TAI-SUI über das Schicksal

des Dies verhandelt worden war. T’OU-SHAN erhob sich vonseinem Sitz, verbrannte Weihrauch, verneigte sich ehrfurchtsvollin der Richtung des Berges und sprach: ,Ein Buddha ist im west-lichen Shu erschienen, eile dich und kehre zu TAI-SUI zurück!’ DerMönch wanderte wieder nach Shu, und als er TAI-SUI erreichte,fand er zu seinem Jammer seinen alten Meister bereits in Nirwanaeingegangen.›

2

Ein Mönch stellte PAI-CHANG die Frage: ‹Was ist das wunderbarsteEreignis auf Erden?›

PAI-CHANG antwortete: ‹Hier sitze ich ganz für mich selbst.›Der Mönch neigte sich vor dem Meister, und dieser schlug ihn.YÜAN-WUS Kommentar dazu lautet:

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‹Wer ein Auge hat, zu unterscheiden, zögert nicht, wenn es nottut, sein Leben zu wagen. Denn solange du dich nicht in des TigersHöhle wagst, wirst du nie ein Tigerjunges fangen. PAI-CHANG istein großer Meister und gleichsam ein geflügelter Tiger. Aber die-ser Mönch trotzte der Gefahr und faßte ihn am Bart. Darum seineFrage: ,Was ist das wunderbarste Ereignis auf Erden?’ Er besitztdas Auge der Unterscheidung, daher nimmt sich PAI-CHANG dieMühe, ihm zu antworten: ,Hier sitze ich ganz für mich selbst.’ Daswird man verstehen, wenn man auf die Zeit vor der Frage des Mönchszurückgehen kann. Der Mönch verneigte sich. Das ist keine gewöhn-liche Verneigung, der Mönch kennt PAI-CHANG durch und durch.Aber gute Freunde tun manchmal, als ob sie einander nicht kenn-ten, sie hüten sich, all dem Ausdruck zu geben, was sie in sich tra-gen. Auf die Verneigung antwortet der Stock. Hieraus sehen wir:wenn der Meister ausatmet, so ist alles mit einem Zug in Ordnunggestellt; wenn er einatmet, so ist alles ausgewischt und keine Spurmehr übrig.

Fragen wir: Was meint der Mönch mit seiner Verneigung? Hatsie sich gebührt? Und wenn, was veranlaßt PAI-CHANG, ihn zuschlagen? Hat sich aber die Verneigung nicht gebührt, woran liegtes, daß sie sich nicht gebührt? Wenn wir zu diesem Punkt kom-men, finden wir, daß ein geübter Geist dazu gehört, vom höchstenGipfel aus zwischen Schwarz und Weiß, Rein und Trüb zu unter-scheiden. Des Mönchs Verneigung ist gleich, als wollte er den Lö-wen in seiner Höhle reizen; er weiß seinen Leib herumzuwerfen. Eswar ein Glück, daß der alte Meister PAI-CHANG durch das listigeBetragen des Mönchs sich nicht täuschen ließ. Er entdeckte sofort,was dem Manne, der sich vor ihm verneigte, durch den Sinn gingund gebrauchte seinen Stock mit der rechten Wirkung. Wäre es ein

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Geringerer als PAI-CHANG gewesen, so hätte er bei dem Mönch nichtsausrichten können.›

Für alle, die in die Geheimnisse der Zen-Behandlung dieser reli-giös-philosophischen Probleme nicht eingeweiht sind, bleiben dieobigen Mondo und Kommentare vollkommen rätselhaft. Aber eineswenigstens werden sie hier bemerken, nämlich daß Zen dem ge-wöhnlichen Weg des Räsonierens nicht folgt oder daß Zen einenanderen Standpunkt hat, aus dem es anschaut und urteilt. Wir mö-gen fragen: ‹Warum ist Zen in seiner Darlegung dieses besonderenStandpunkts nicht ausführlicher und verhüllt ihn vielmehr, wie esuns scheinen muß!› Die Antwort wird lauten: Zen will uns keines-wegs mit Absicht sozusagen in die Irre führen, sondern es liegt imWesen der Sache, daß es gar keinen andern Weg gibt, Zen begreif-bar (das heißt erlebbar) zu machen, als eben diesen, den alle aufein-anderfolgenden Meister in China und Japan beschritten haben.Hätten sie wie die Philosophen den logischen oder dialektischenWeg eingeschlagen, so gäbe es kein Zen. In Wahrheit tun sie ihrBestes, um sich auf die lebenswichtigste und durchdringendste Wei-se, die sie nur finden können, auszudrücken.

Nehmen wir das erste Mondo über das Schicksal des Dies, wenndas ganze Weltall der Vernichtung anheimfällt, so erklärt der eineMeister, das Dies habe das gleiche Los wie alles übrige – das kön-nen wir dahin verstehen, daß die vom Leib unterscheidbare Seelemit dem Verschwinden des letzteren selber verschwinde. Aberda ist ein anderer Meister, der dieser Behauptung scheinbar wider-spricht, denn er sagt, die Seele folge dem Los des Leibes nicht. Seinezweite Erklärung, wenn er nach dem Warum gefragt wird, lautet:Die Seele ist der Leib, und der Leib ist die Seele, und da sie einund dasselbe sind, so wird keines von beiden vernichtet. Nun kann

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man den Gesichtspunkt dieses Meisters so auffassen: Es ist vonGrund auf ein Irrtum, Seele und Leib, Sinn und Welt, Mein undDein zu unterscheiden, wie es im allgemeinen die meisten Philo-sophen ebenso wie die Leute auf der Straße tun. Und auf Grunddieses Irrtums von Anbeginn werden wir in eine endlose Folge vonlogischen Schwierigkeiten verwickelt. Der beste Weg, um zu einemwahrhaften Begreifen der Sache zu kommen, ist ‹gar nicht zu fra-gen› – und hier ist Zen. Sobald eine Frage aufgeworfen wird, sofolgt daraus das Problem: ‹Wird das Dies vernichtet?› oder ‹Wirddas Dies nicht vernichtet?› Heißt es, das Dies wird vernichtet, soist der Frager über das Schicksal seiner kostbaren Seele oder vonirgend etwas, das ihm sehr teuer ist, äußerst bekümmert. Heißt esaber wiederum, das Dies werde nicht vernichtet, so ist er ebensobekümmert über sein Woher und sein zukünftiges Wohin.

Das zweite Mondo schneidet all diese logischen Verwicklungenund geistigen Kümmernisse kurzerhand ab, denn PAI-CHANG istauf die positivste Weise bejahend und schlüssig: ‹Ich sitze hier ganzfür mich selber.› Jener Philosoph ist ein schwachmütiger Bursche,der erklärt hat: Cogito ergo sum. Der Zen-Meister hat mit solchendialektischen Witzeleien nichts zu schaffen, er gibt geradenwegs sei-nen endgültigen und unwiderruflichen Wahrspruch: ‹Ich sitze hierganz für mich selber.› Ist das nicht die wunderbarste Tatsache vonder Welt? Zen verlangt nur, daß man dieses Wunder ganz festerfaßt und gar keine weiteren Fragen stellt. Denn in Wahrheit isthier gar keine Frage möglich. Das ist gewiß nicht die Schlußfolge-rung, zu der wir nach mühevollem Erwägen gelangen. PAI-CHANG

gibt uns hier die ganze Wahrheit ohne jede Zurückhaltung, wirhaben sie in dem gleichen Sinn aus vollem Herzen und ohne Zö-gern anzunehmen, und Zen ist vollkommen befriedigt.

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3

Es gibt ein Mahayana-Sutra, das im Zen-Studium sehr viel be-nutzt wird, und da es die grundlegenden Erkenntnisse nicht nurvon Zen, sondern des gesamten Buddhismus darlegt, so möchte iches hier in seinen Grundzügen wiedergeben und hoffe, damit denGegenstand, von dem wir handeln, verständlicher machen und ab-klären zu können. Für Zen-Jünger sind zwar die sogenannten Mon-do, von denen wir schon einzelne angeführt haben, ‹verständlicher›und treffen das Wesentliche schärfer, allein da wir mehr an die Aus-einandersetzung mit Worten gewöhnt sind, so wird ein Abriß desSutra sicher von Nutzen sein. Auch da noch findet man hier keinelogische Gedankendarstellung, es mag eher wie eine Folge parado-xer Aussprüche erscheinen.

Das Sutra, von dem die Rede ist, heißt Yuima-kyo (im SanskritVimalakirti-Sutra). Es war einer von den drei ersten Mahayana-Tex-ten, die SHOTOKU TAISHI im frühen 7. Jahrhundert studiert und kom-mentiert hat. Wenn der Buddhismus in Japan feste Wurzeln ge-faßt und den Charakter unseres Volks in mehr als einer Hinsichtgeformt hat, so war es diesem Prinzen zu verdanken, der von denBuddhisten mit Recht als der Vater des Glaubens in Japan verehrtwird. Er war groß nicht nur als frommer buddhistischer Denker,sondern ebenso als Staatsmann, Erzieher, Bauherr, als Ordner dersozialen Verhältnisse und als künstlerischer Schöpfer auf den ver-schiedensten Gebieten. Das Horyuji bei Nara ist sein Denkmal, dassein Andenken unsterblich erhält. So ist es vielleicht der beste Wegsich der Zen-Philosophie zu nähern, daß man mit dem Inhalt desYuima-kyo sich vertraut macht.

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Das Yuima-kyo wurde von KUMARAJIVA im Jahre 406 zum ersten-mal ins Chinesische übersetzt. Dank seiner tiefen philosophischenund religiösen Erkenntnis und wohl auch seinem dramatischen Auf-bau und seinem hohen literarischen Rang hat dieses Sutra einengroßen geistigen Einfluß ausgeübt, nicht nur in Japan, sondern auchin China. Die Kenntnis seiner Lehre wird unserem Verständnisfür den Buddhismus sehr nützlich sein. Es ist nicht genau ermit-telt, wann das Sutra in Indien verfaßt worden ist. Nur so vielläßt sich sagen, daß es vor der Zeit NAGARJUNAS entstanden ist, dasheißt um den Beginn der christlichen Zeitrechnung. Die Haupt-gestalt des Sutra ist YUIMA, ein wohlhabender Haushalter in Vai-sali zur Zeit des BUDDHA. Er war in der Philosophie des Mahayanagründlich bewandert, war ein großer Menschenfreund und ein sit-tenstrenger Anhänger des Buddhismus. Obschon er in der Weltals Laie lebte, erregte seine fleckenlose Lebensführung allgemeineBewunderung. Eine Zeitlang schien er kränklich zu sein. Das wareines seiner Hoben, das heißt ‹geschickten Mittel› oder ‹Geheimnis-wege› (Upayakausalya), durch die er seine Umgebung über dieFlüchtigkeit des Menschenlebens belehren wollte. Die ganze StadtVaisali, die großen Adelsherren, die Brahmanen, die Beamten unddas Volk aller Klassen beeilte sich, ihn aufzusuchen, und erkundigtesich ängstlich nach seinem Ergehen.

Als der BUDDHA dies erfuhr, wollte er auch einen seiner Jüngerzu YUIMA senden. Allein sie alle lehnten es ab, den Wunsch desBUDDHA zu erfüllen, und entschuldigten sich damit, daß keiner vonihnen der Aufgabe gewachsen sei, sich mit dem großen Mahayana-Denker und Heiligen auszusprechen. Sie hatten alle zum mindesteneinmal früher eine solche Erfahrung gemacht, ein jeder war schmäh-lich von ihm widerlegt worden, und keinem war es gelungen, sei-

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nen Standpunkt gegen seine Gedankengänge zu verteidigen. Es istvielleicht von Interesse, ein oder zwei Beispiele solcher religiös-phi-losophischer Gespräche zwischen YUIMA und den Jüngern BUDDHAS

anzuführen, denn es zeigt sich hier, welcher Art ÜberlegungenYUIMA vorbringt, um die Hinayana-Jünger des BUDDHA zu schla-gen:

Der große KASSYAPA wanderte einst umher, um Almosen unterden Armen zu sammeln. YUIMA begegnete ihm und sprach: ‹Dubrauchst nicht mit Absicht den Reichen aus dem Wege zu gehen.Wenn du gehst, um Almosen zu bitten, so muß dein Sinn von jederUnterscheidung befreit, dein Herz von unparteiischer Liebe erfülltsein. Almosen zur Nahrung mußt du empfangen, als ob du über-haupt nichts empfingest. Am Gedanken haften, daß man etwasempfange, heißt schon Unterscheidung. Erhebe dich über die Vor-stellungen von Ich und Nicht-Ich, von Gut und Böse, von Gewinnund Verlust, so wirst du erst fähig sein, allen Buddhas und Bodhi-sattvas Opfer darzubringen mit der Schale voll Reis, die du von dei-nem Spender empfängst. Solange du diesen Zustand der Vergeisti-gung nicht erreicht hast, bist du nur ein unnützer Verbraucher derNahrung, die du von den Armen zu sammeln trachtest in der Mei-nung, du gebest ihnen so eine Gelegenheit, Gutes zu tun.›

Als SUBHUTI aufgefordert wurde, YUIMA aufzusuchen, bekannte erfolgendes und erklärte sich für unwürdig, zu ihm zu gehen: ‹Alsich einst in das Haus des alten Weisen kam, um mein Almosen zuerbitten, füllte er meine Schale mit Reis und sprach: ,Nur ein sol-cher ist würdig dieser Speise, der nicht an ihr hängt, denn für ihnsind alle Dinge gleich. Und stünde er mitten in jeder Art von Ver-haftungen der Welt, so ist er doch frei von ihnen. Er nimmt alleDaseinsformen an, wie sie sind, und haftet doch nicht an ihnen.

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Lausche nicht dem Buddha und sieh ihn nicht an, sondern folge dei-nen Irrlehrern und gehe, wohin sie gehen. Sind sie zur Hölle ver-dammt, so geh mit ihnen, und wenn du, so handelnd, kein Zögernund kein Widerstreben kennst, dann darfst du auch diese Speiseannehmen. Die Spender erwerben sich kein Verdienst, Mildtätigkeitist keine Ursache des Segens. Wenn du nicht fähig bist, mit den Dä-monen zu wandeln und zu wirken, so hast du kein Recht auf dieseSpeise.’ Als ich das vernahm, war ich wie vom Donner getroffenund wollte vor ihm davonlaufen ohne meine Schale. Aber er sprach:,Alle Dinge haben nur ein scheinbares Dasein, sie sind nichts als Na-men. Die Weisen allein sind ohne Haftung. Sie gehen über das Er-kennen hinaus und wissen, was Wirklichkeit ist. Sie sind wahrhaftbefreit und darum ohne Furcht.’ Da es sich so verhält, sehe ich ein,daß ich nicht geeignet bin, hinzugehen und nach seinem Ergehen zufragen.›

Noch ein Beispiel für viele. Als die Reihe an MAITREYA kam,hatte er dies zu berichten: ‹Als ich vor Zeiten im Tushita-Himmelweilte und vor dem Herrn des Himmels und seiner Heerscharenüber ein Leben der Nichtwiederkehr sprach, erschien mir YUIMA undredete folgendermaßen zu mir: ,O MAITREYA, wie ich vernehme, hatder Buddha Shakyamuni dir geweissagt, daß du die vollkommeneErleuchtung im Lauf eines einzigen Lebens erlangen wirst. Nunmöchte ich gern wissen, was dieses eine einzige Leben in Wahr-heit bedeutet. Ist es dein vergangenes, dein zukünftiges oder dein ge-genwärtiges Leben? Wenn es ein vergangenes ist, so ist das Vergan-gene vergangen und ist nicht mehr. Wenn es das zukünftige ist, soist das Künftige noch nicht da. Wenn es das gegenwärtige ist, so istdas Gegenwärtige ortlos. (Das heißt, die Gegenwart hat keinenfesten Punkt in der Zeit. Sagst du, dies ist gegenwärtig, so ist es

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schon vorüber.) Da dieses sich so verhält, so fällt das sogenanntegegenwärtige Leben, wie es in diesem Augenblick von einem jedenunter uns gelebt wird, nach der Lehre des BUDDHA nicht unter dieBegriffe von Geburt, Alter und Tod.

Nach des BUDDHA Wort sind alle Wesen aus Soheit (Tathata) undleben in Soheit; nicht nur die Weisen und Heiligen, sondern einjeder unter uns – und auch du selber, o MAITREYA. Wenn der BUDDHA

dir verheißen hat, daß du die vollkommene Erleuchtung erlangstund in Nirwana eingehst, so müssen alle fühlenden und unfühlen-den Wesen ebenfalls der Erleuchtung gewiß sein. Denn solange wiraus Soheit und in Soheit bestehen, ist diese Soheit eine und die-selbe, und wenn einer von uns die Erleuchtung erlangt, so wer-den auch alle andern ihrer teilhaftig. Und in dieser Erleuchtunggibt es keinerlei Unterscheidung. Wo willst du, o MAITREYA, deinLeben der Nichtwiederkehr lassen, wenn es in Wahrheit weder Er-reichen noch Nichterreichen, weder Leib noch Seele gibt?’

O du Erhabener, als YUIMA diese Rede im Tushita-Himmel sprach,da erkannten die zweihundert Herren der Götter auf einmal dasKshanti im ungeborenen Dharma. Darum bin ich nicht geeignet, beidem alten Denker von Vaisali irgend etwas auszurichten.›

In dieser Weise lehnten es die Jünger BUDDHAS in dieser Ver-sammlung einer nach dem anderen ab, seinen Wunsch zu erfüllen,der voll tiefer Bedeutung war. Am Ende aber nahm MANJUSRI denAuftrag an. Begleitet von achttausend Bodhisattvas, fünfhundertSravakas und Hunderttausenden von Herrschern der Götter zoger in Vaisali ein. YUIMA wußte dies wohl, er entblößte sein Gemachvon jeglicher Einrichtung und ließ nur eine Liegestatt darin, aufdie er sich selber niederlegte. Auch hatte er keinen von all seinenDienern um sich, sondern blieb allein in seinem Gemach von zehn

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Fuß im Quadrat.Das Gespräch des Bodhisattva mit diesem verschlagenen Weisen

und Heiligen, dessen Erkenntnis unter den Jüngern des BUDDHA oh-negleichen war, begann folgendermaßen:

YUIMA: ‹O MANJUSRI, du bist wahrhaftig willkommen. Aberdein Kommen ist Nicht-Kommen, und mein Sehen ist Nicht-Sehen.›

MANJUSRI: ‹Du hast recht. Ich komme, als käme ich nicht, undscheide, als schiede ich nicht. Denn mein Kommen ist von nirgend-wo, und mein Scheiden geht nirgendhin. Wir sagen, wir sähen ein-ander, und doch ist kein Sehen zwischen den beiden. Aber lassenwir dies eine Weile beiseite, denn ich bin im Auftrag des BUDDHA

hier, um nach deinem Befinden zu fragen. Geht es dir besser? Wiebist du krank geworden? Und bist du nun geheilt?›

YUIMA: ‹Aus der Torheit entsteht das Begehren, und dies ist dieUrsache meiner Krankheit. Weil alle fühlenden Wesen leiden, des-halb leide ich, und wenn sie vom Leiden geheilt sind, so werde auchich geheilt sein. Ein Bodhisattva nimmt ein Leben von Geburt undTod allen Wesen zuliebe auf sich. Solange es Geburt und Tod gibt,gibt es auch Leiden.›

Während das Gespräch zwischen YUIMA und MANJUSRI in dieserRichtung weitergeht, ereignen sich ein oder zwei Zwischenfälle mitSariputra, einem der verständnisvollsten Hörer (Sravaka) aus derGefolgschaft des BUDDHA, die hier versammelt sind.

SARIPUTRA bemerkt, daß YUIMAS Gemach leer von jeder Einrich-tung ist mit Ausnahme der Liegestatt, und verwundert sich, wie derHausherr für all die Bodhisattvas und Jünger, die mit MANJUSRI

gekommen sind, Ruhesitze bereiten will. YUIMA liest SARIPUTRAS

Gedanken und fragt, ob SARIPUTRA um des Dharma willen oder umdes Ruhesitzes willen gekommen ist. Nachdem er versichert hat, daß

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er um des Dharma willen gekommen ist, belehrt ihn YUIMA, wieman das Dharma suchen soll. Das Suchen nach dem Dharmaberuht nicht darin, daß man irgend etwas sucht noch an irgendetwas haftet. Denn solange es irgendein Suchen oder Haften gibt,so erwächst daraus jede Art sittlicher und geistiger Hemmung, undman wird unrettbar verwickelt in die Maschen der Widersprücheund des Entweder-Oder. Daher kommt kein Ende des Leidens indiesem Leben.

YUIMA wird von MANJUSRI belehrt, wo man die besten Ruhe-sitze findet, da dieser auf seiner geistigen Pilgerschaft jedes denk-bare Buddhaland in allen tausend Welten besucht hat. YUIMA

läßt sogleich zweiunddreißigtausend Ruhesitze aus diesem Buddha-land kommen. Jeder von diesen kunstvoll geschmückten Sitzenist hoch und breit und jedem erhabenen Bodhisattva als Thron an-gemessen. Das scheinbar so kleine Gemach YUIMAS hat Raum füralle diese Sitze, von denen jeder so hoch ist wie der Berg Sumeru.Alle Besucher werden eingeladen, sich niederzulassen. Die Bodhisatt-vas nehmen bequem ihre Plätze ein, aber die Sravakas sind nicht im-stande, zu den Stühlen emporzusteigen, denn sie sind allesamt zuhoch für sie. Da er gewahr wird, wie klein das Gemach ist, in demdiese ganze Schar eingeladen ist, sich niederzulassen, verwundert sichSARIPUTRA wiederum, wie das geschehen kann, denn ein einzelnesSenfkorn kann unmöglich alle Weltberge in sich aufnehmen, undeine einzelne Pore der Haut (Romakupa) kann unmöglich die vierWeltmeere mit allen Fischen, Schildkröten, Krokodilen und so wei-ter in sich einziehen.

Einen anderen Zwischenfall, der dem SARIPUTRA widerfährt undder für die ganze Gedankenrichtung des Sutra höchst bezeichnendist, bietet seine Begegnung mit einer Himmelsfürstin. Sie befand

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sich unter der Versammlung und lauschte dem großen Zwiege-spräch zwischen YUIMA und MANJUSRI. Dann ließ sie einen Regenhimmlischer Blüten auf die Hörer sich niedersenken. Die Blütenglitten an den Leibern der Bodhisattvas herab, blieben aber an denender Sravakas und auch an SARIPUTRAS Leibe haften. Er versuchte sieabzustreifen, aber vergebens. Die Göttin fragte ihn, warum er das tue.

Antwortete SARIPUTRA: ‹Das ist nicht in Übereinstimmung mitdem Dharma.›

Die Göttin: ‹Sprich nicht also! Diese Blüten sind frei von Unter-scheidung. Aber infolge deiner eigenen Unterscheidung haften siean deinem Ich. Sieh die Bodhisattvas an! Da sie gänzlich frei vondiesem Mangel sind, haftet keine Blüte an ihnen. Wenn alle ausder Unterscheidung geborenen Gedanken entfernt sind, können diebösen Geister selber dem Wesen nichts anhaben.›

SARIPUTRA: ‹Wie lange bist du schon in diesem Gemach?›Die Göttin: ‹So lange, wie du selber erlöst bist.›Nachdem die Unterhaltung in dieser Art weitergegangen ist, zeigt

SARIPUTRA sein Erstaunen über die tiefe Erkenntnis dieser himmli-schen Schönheit und fragt sie zuletzt, warum sie sich nicht in einemännliche Gestalt verwandle. Die Göttin erwidert sogleich: ‹Seitzwölf Jahren habe ich nach der Weiblichkeit meines Wesens gesucht,aber ich habe sie nicht gefunden. Warum soll ich mich also ver-wandeln?›

Diese Gespräche sind jedoch nur Seitenwege, und wir müssen zuden Hauptgestalten des Sutra, zu YUIMA und MANJUSRI, zurückkeh-ren. Ihre Unterhaltung dreht sich um die Frage der Nicht-Zweiheit,das heißt Advaita. YUIMA bittet jeden der versammelten großen Bod-hisattva, diesen Begriff zu bestimmen. Nachdem ein jeder seine Auf-fassung ausgesprochen hat, bittet YUIMA MANJUSRI, sich zu äußern.

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MANJUSRI spricht: ‹Soviel ich verstehe: wo kein Wort mehr zu sa-gen, kein Zeichen zu erblicken, keine Wahrnehmung mehr aufzu-nehmen ist, und wo von irgendeiner Frage gar keine Rede mehrsein kann – da betritt man das Tor von Advaita.›

MANJUSRI fragt dann: ‹O YUIMA, und was ist deine Meinung jetzt,da wir alle uns über den Gegenstand ausgesprochen haben?› YUIMA

schweigt und spricht kein einziges Wort. Darauf bemerkt MANJUSRI:‹Wohlgetan, wahrhaft wohlgetan, o YUIMA! Das ist in Wahrheitder Weg, das Tor von Advaita zu durchschreiten, das keine Worteund keine Zeichen erklären können.›

In dieser Frage des Advaita gipfelt das Yuima-Sutra, aber esfolgt noch eine letzte Episode. Der geschäftige SARIPUTRA denktdaran, daß die Zeit des Mahles herankommt, und verwundert sich,wie YUIMA alle die Bodhisattvas und anderen Wesen in seinemGemach von zehn Fuß im Quadrat bewirten will. Da er erkennt,was SARIPUTRAS Sinn beschäftigt, verkündet YUIMA, daß allen Ver-sammelten ein übernatürliches Mahl sogleich aufgetragen wird.Er versetzt sich in den Zustand der Beschauung und durchdringtkraft seiner Zaubermacht alle Welten, die so zahlreich sind wie derSand an den zweiundvierzig Gangesströmen. So gelangt er in einBuddhaland, das Duftland heißt, und bittet den BUDDHA, der überdasselbe gesetzt ist, ihm von seiner Speise etwas abzugeben. DieBitte wird gewährt, und YUIMA kehrt mit dem Mahl für die Ver-sammlung zurück, und alle Anwesenden werden satt von der Spei-se, obgleich es nur ganz wenig ist. Die Mahlzeit besteht freilichnicht in der Einnahme von roher, stofflicher Nahrung. Es ist einätherisches Essen, bei dem es genug ist, den köstlichen Duft zuschmecken, um jedes Hungergefühl zu stillen, das in all diesen er-habenen Wesen entstehen mag.

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Danach erscheinen sie allesamt, der große Denker und HeiligeYUIMA mit ihnen, vor dem BUDDHA, der ihnen nun von demLande berichtet, aus dem YUIMA herkommt. Dies Land heißt Abhira-ti, das Land der vollkommenen Freude, über das der Buddha Ak-shobya (der Unbewegliche) die Herrschaft hat. Auf des BUDDHA Er-suchen bringt YUIMA durch ein Wunder das ganze Land vor dieAugen der Versammelten. Man erblickt es mit dem dort thronendenBuddha Akshobya, mit seinen Bodhisattvas, Sravakas, allen Ar-ten von Göttern und Nagas und anderen geistigen Wesen, mit sei-nen Gebirgen und Strömen und Meeren, mit Gewächsen und Blu-men und mit seinen Bewohnern beiderlei Geschlechts. Eine be-sondere Eigentümlichkeit dieses Buddhalandes ist es, daß es mit dreiReihen von Treppen versehen ist, die zum Tushita-Himmel emporund auch zu unserer Welt hinabführen. Die Versammlung ist vonseinem Anblick entzückt und wünscht, in diesem Land des Aksho-bya wiedergeboren zu werden. Das Sutra schließt mit dem üblichenSegenswunsch des BUDDHA für das Fortwirken des Dharma auf die-ser Erde und dem Gelübde aller in der Versammlung Anwesenden,der Belehrung des BUDDHA zu folgen.

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ANHANG II

Das No-Spiel

Das Studium des No-Spiels ist in Wahrheit das Studium der ja-panischen Kultur überhaupt. Es birgt die sittlichen Ideale, die reli-giösen Glaubensformen und die künstlerischen Bestrebungen desVolkes in sich. Da es in früheren Zeiten vor allem von der Samurai-Klasse gepflegt wurde, ist es mehr oder weniger in eine Atmosphärefeierlicher Strenge gehüllt. Das folgende Stück, das unter den zwei-hundert beliebtesten ausgewählt ist, hat ein besonderes Interessefür Zen.

‹Yamauba› ist eines von den buddhistischen Stücken, durch unddurch gesättigt mit tiefen Gedanken, die vor allem aus Zen ge-schöpft sind. Wahrscheinlich ist es von einem buddhistischen Prie-ster verfaßt, um die Zen-Lehre zu verbreiten. Es ist vielfach falschgedeutet worden, und die meisten Liebhaber des No begreifen denwahren Sinn des Stückes nicht. Yamauba, wörtlich ‹die alte Berg-frau›, vertritt das Prinzip der Liebe, die heimlich in jedem von unslebendig ist. Gewöhnlich sind wir ihrer nicht bewußt und treibendie ganze Zeit Mißbrauch mit ihr. Die meisten unter uns bildensich ein, Liebe sei etwas, das schön von Erscheinung, jung, zart undbezaubernd sein müsse. Aber das ist sie in Wahrheit nicht, denn sietut harte Arbeit, ohne daß wir es merken und ohne daß sie darübermurrt. Was wir bemerken, ist das oberflächliche Ergebnis ihrer Ar-beit, und wir erklären es für schön – denn naturgemäß sollte dasWerk der Liebe schön sein. Aber die Liebe selber, wie ein Bauern-weib, das harte Arbeit verrichtet, sieht abgemergelt aus, von denSorgen um andere ist ihr Gesicht voller Falten, und ihr Haar ist weiß.

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Sie hat soviel verwickelte Probleme, die sie lösen soll. Ihr Lebenist eine Folge von Mühsal, die sie freilich gern erträgt. Sie wan-dert von einem Ende der Welt zum andern und kennt keine Ruhe,keine Rast, keine Erholung. Die Liebe in dieser Gestalt, das heißtvom Gesichtspunkt ihrer unermüdlichen Arbeit, ist recht passendverkörpert in Yamauba, der alten Frau aus den Bergen.

Die Sage von Yamauba muß den Japanern seit alten Tagen ver-traut gewesen sein. Sie war ursprünglich vielleicht kein häßlichesaltes Weib. Wenn sie auch meist als gealtert dargestellt wurde,so hatte sie doch ein wohlmeinend-herzliches Wesen und hinter-ließ Segen auf ihren Spuren, wenn sie in die Dörfer hinunterstieg.Man glaubte, sie wandere umher von Berg zu Berg und schaue nachden Bauern und Bergbewohnern. Der Verfasser des Stücks ‹Yamauba›machte diese Vorstellung zur Hauptgestalt seines Werks und ließsie als unbekannte und unsichtbare Macht hinter der sichtbaren Na-tur und Menschheit sich auswirken. Wir reden gern von solch einerMacht in unserer Philosophie, Theologie und Literatur, aber siebleibt eine Redensart, wir scheuen davor zurück, sie als wirkliche Ge-genwart zu erblicken. Wir gleichen dem Maler, der gern Drachenmalte, aber in äußerstem Schrecken das Bewußtsein verlor, als derDrache selber vor ihm erschien, damit er das mythische Wesen wahr-heitsgetreuer darstellen könne. Wir singen von Yamauba, aber wennsie in eigener Person vor uns tritt und uns das Innere ihres Da-seins enthüllt, so sind wir in Verlegenheit und wissen nicht, waswir anfangen sollen. Sind wir jedoch entschlossen, in die tiefstenSchlupfwinkel unseres Bewußtseins einzudringen, wie Zen es unsanrät, so dürfen wir nicht davor zurückschrecken, die Wirklichkeitmit beiden Händen zu ergreifen.

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Mit dieser vorangeschickten Bemerkung wird das Stück Yamaubaverständlich werden, dessen Sinn von ausländischen wie von japa-nischen Schriftstellern gröblich mißdeutet worden ist. Die No-Spielesind schwer zu übersetzen, vielleicht sind sie überhaupt nicht über-setzbar, und ich habe nicht den Ehrgeiz, das Unmögliche zu versu-chen. Im folgenden wird daher nur ein nackter Abriß der Handlungohne die literarischen Ausschmückungen gegeben, mit denen sieauf das üppigste umkleidet ist:

In der Hauptstadt lebte einst eine Tänzerin, bekannt als Hyaku-ma-Yamauba, weil sie das Lied von Yamauba so wundervoll sangund tanzte, daß ihr die Leute diesen Beinamen gegeben hatten. EinesTages kam sie auf den Gedanken, den Tempel Zenkoji in der Pro-vinz Shinano aufzusuchen, sie machte sich daher in Begleitung ih-rer Dienerin auf die lange und mühselige Reise über die Berge desnördlichen Japan. Das Stück beschreibt diese Wanderschaft in demüblichen farbenreichen Stil, der die Literatur dieser Zeit kennzeich-net. Zuletzt kamen beide an den Fluß Sakai, der die Grenze vonEcchu und Echigo bildet.

Dienerin: ‹Endlich haben wir die Grenze von Ecchu und Echigoerreicht. Laß uns hier ein wenig ausruhen und über die WeiterreiseErkundigungen einziehen.›

Tänzerin: ‹Man berichtet viel von dem Reinen Lande im We-sten, das jenseits von tausend Millionen von Buddhaländern ge-legen ist, aber hier sind wir wenigstens auf dem geraden Wege zumTempel Amidas, über dem der BUDDHA im letzten Augenblick un-seres Erdenlebens erscheinen wird, uns zu begrüßen. Laß uns denWagen hier lassen und zu Fuß über den Bergpaß von Agero wei-terziehen, denn verdienstlicher ist es, zu wandern. Wir sind ja aufdem Weg zu Buße und Einkehr.›

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Dienerin: ‹Wie seltsam! Es ist noch nicht Abend, doch brichtschon das Dunkel herein. Was sollen wir tun?›

Während sie so in Unruhe waren, erschien vor ihnen ein Weibund sprach: ‹Ihr Wanderer, kehrt bei mir ein! Ihr seid hier auf demPaß von Agero fern von den Wohnungen der Menschen, und derAbend bricht schnell herein. Verbringt die Nacht in meiner armseli-gen Hütte mit mir!›

Dies Anerbieten nahmen sie mit großer Freude an. Nachdem siesich niedergelassen hatten, sprach das fremde Weib eine Bitte aus:sie wünschte, die Sängerin das Lied von Yamauba singen zu hören.Diesen Wunsch hatte sie lange gehegt, und in dieser Absicht hattesie den Tag seine Schritte zur Nacht beschleunigen machen, damitsie ihre einsame Herberge den Wanderern auftun konnte. Diesestanden vor einem Rätsel, denn sie begriffen nicht, wie ihre Wirtinso genau wissen konnte, wer sie waren.

Weib: ‹Es hilft euch nichts, daß ihr vor mir verbergen wollt, werihr seid. Die mir gegenübersitzt, ist niemand anders als Hyakuma-Yamauba selbst, deren Ruhm eben jetzt die ganze Hauptstadt er-füllt. Ihr Lied handelt von Yamauba, die von Berg zu Bergenwandert. Laßt mich denn der wunderbaren Weise lauschen! Wenndu schon von Yamauba singst, so weißt du vielleicht doch nicht,wer sie in Wahrheit ist. Du meinst vielleicht, sie sei eine Art bö-ser Geist, der in den Bergen haust. Ob sie ein Geist oder ein mensch-liches Wesen ist, darauf kommt es nicht an. Wenn man unter Ya-mauba ein altes Weib versteht, das in den Bergen lebt, so ist sieniemand anders als ich selber. Du singst von ihr, und wenn sichwirklich dein Herz zu ihr neigt, warum soll nicht ein Opfer demBUDDHA gebracht und Gebete für ihre Erleuchtung und Erlösunggesprochen werden? Bring heut dein Lied und deinen Tanz dem

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BUDDHA dar, von dem alle Tugend ausgeht! Das ist der Grund, war-um ich dich zu sehen wünschte.›

Tänzerin: ‹Das ist wirklich ein Wunder! Du bist in Wahrheit Ya-mauba selbst?›

Weib: ‹Die einzige Absicht, daß ich vor euch erscheine, nachdemich über so viele Berge gewandert, war’s, um mit eigenen Ohrenzu hören, warum mein Name gepriesen wird. Sing mir, o meineFreundin und Tänzerin, dein Lied von Yamauba!›

Die Tänzerin aus der Hauptstadt erklärte sich nun bereit, ihrerWirtin gefällig zu sein. Als sie im Begriff war, ihr Singen und Tan-zen zu beginnen, verkündete ihr das seltsame Weib, sie wolle sichin ihrer ursprünglichen Gestalt offenbaren und die ganze Nacht zu-sammen mit ihr singen. Darauf verschwand sie. (Hier möchte ichanmerken, daß wir, besonders wir Philosophen und Verstandes-menschen, gern mit Vorstellungen statt mit Wirklichkeiten spie-len. Und wenn die Wirklichkeit vor uns tritt, so sind wir entsetztoder machen den Versuch, sie unsern vorgefaßten Vorstellungen an-zugleichen. Das ist in gewissem Umfang berechtigt, denn wir sindalle unverbesserliche Idealisten, dem Wehgeschrei der Realisten zumTrotz. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß es etwas gibt, was un-ter keiner Kategorie, sei es Idealismus oder Realismus, zu fassen ist,und diesem Etwas müssen wir unmittelbar ins Auge sehen, um zumwahren Urgrund unseres Lebens zu gelangen.)

Zwischenspiel

Während die Tänzerin und ihre Dienerin ihre Vorbereitungen zudem Auftreten trafen, um das ‹die alte Bergfrau› sie so dringlichgebeten hatte, hörten sie diese mit sich selber reden und ihre Wor-

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te waren ungefähr diese: ‹Wie tief ist das Tal! Wie bodenlos derAbgrund! Hier sehe ich Menschen, die unter dem bösen Karma derVergangenheit leiden, dort sehe ich Menschen, die sich ihres gutenKarmas der Vergangenheit erfreuen. Gut und Böse sind aber nurNamen, sie kommen aus der nämlichen Quelle. Was ist denn wirk-lich, das Kummer oder Freude verdient? Fernhin wollen wir blickenin das Reich der jenseitigen Weisheit, und dort erkennen wir dieWelt der Sonderungen vor unsern Augen, und nichts ist vor unsverborgen. Die Ströme fließen wie gewundene Schlangen durchdie Täler, die Felsen stehen wie Wogen, die sich im Meer erheben.Wer hat die purpurdunklen Bergzüge ausgehauen, die sich drübenerheben? Wer gab den smaragdgrünen Wassern ihre Farbe, die inder Sonne glänzen?›

Die uralte Frau taucht nun in ihrer wahren Gestalt aus dem Dik-kicht der Wälder vor ihnen auf. Sie erschrecken vor ihr. Ihre Stimmeist der Menschen Stimme, ihr Haar ist silberweiß, ihre Augen leuch-ten wie ein Paar Sterne, ihr Gesicht ist rötlich wie die Farbe vonDachziegeln. Aber sie beruhigt sie, daß sie keine Angst haben sol-len, denn sie enthüllt sich nur, damit sie erkennen sollen, welcheArt Arbeit sie im Hintergrund des Daseins verrichtet, das wir nuran der Oberfläche erblicken, und die äußere Wirkung ihrer geisti-gen Stärke wahrnehmen, die in ihrer Gestalt versinnbildlicht ist.Nun folgt eine Art Vorspiel zu dem Lied von Yamauba, das vonYamauba selber und der Sängerin aus der Hauptstadt gesungen wird.In Wahrheit ist schwer zu unterscheiden, was Yamauba selber übersich und was die Sängerin über sie berichtet. Ihre Stimmen vermi-schen sich, und der Leitgedanke ist, von der Rolle zu singen, die ‹diealte Bergfrau› im Drama der Welt Tag für Tag vor aller MenschenAugen und dennoch ungesehen spielt.

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Das Lied beginnt mit der Anspielung auf das seltene Zusammen-treffen zwischen der Tänzerin und der Uralten, zwischen Einbil-dung und Wirklichkeit, zwischen Spiel und Leben. ‹Die Dichter ha-ben schöne Worte für den Frühlingsabend, wenn die Blumen er-blüht sind und der Mond in seiner Fülle steht. Sie sagen, ein Augen-blick von ihm sei tausend Goldstücke wert. Die Begegnung vonHyakuma-Yamauba und Yamauba selber ist mehr wert als das. Solaßt uns singen von dem nie erlebten Erlebnis! O daß unsere Wortezu sagen vermöchten, was es in Wahrheit bedeutet!

Lasset uns singen wie Vögel, die mit den Flügeln schlagen, laßtuns die Pauke schlagen, daß es rauscht wie der Wasserfall, laßt un-sere Ärmel flattern wie Blütenblätter oder Schneeflocken im Wind.Jeder Laut, jede Bewegung entspringt aus dem Dharma. Auch Ya-maubas Wandern von Bergen zu Bergen, so voller Mühsal und vol-ler Kummer – es wurzelt im Dharma.›

Dies führt zur Beschreibung von Yamaubas Wohnstatt, die alsBerg im Meere versinnbildlicht ist.

Der Berg ist eigentlich nur eine Anhäufung von Staubkörnchen,aber er steigt höher und höher bis zu vielen tausend Fuß empor,und sein Gipfel verliert sich in den Wolken. Das Meer ist nichts alseine Ansammlung von Tautropfen im Moose, aber sie sammeln sichins Unendliche, und es entsteht die grenzenlose Wasserflut mit ih-ren anschwellenden Wogen. Wenn sie gegen die Felsen schlagen,erzittern alle Täler und Höhlen von ihrem Donnerklang, und dieUfergrotten erfüllt der Widerhall, bis er im leeren Raum dahinstirbt.

‹Hier ist meine Behausung inmitten der hohen Gipfel und überden tiefen Schluchten, wo ein gewaltiger Wasserfall fern jenseitsder Bergeswogen hinabstürzt. Wenn der Mond der Soheit aufsteigtam andern Ende des Horizonts, so fällt sein Bild über die endlos kräu-

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selnden Wellen wie schimmerndes Silber. Wenn ein Wind durchdie Wälder hinter meiner Behausung streift, ist sein schweres Rau-schen stark genug, die Welt aus dem Traum ihrer Trugbilder zu er-wecken. Mitten darin, das heitere Mondlicht vor mir, das Rauschender Bäume in meinem Rücken, weile ich, als säße ich einsam in einemalten Gerichtshof, in dem kein Lärm und Streiten zu hören, keinSchlagen der Verbrecher zu vernehmen ist.

Wenn ich allein in den Bergen sitze, die dem Menschentreibenam fernsten sind, so lausche ich oft, wie ein einsamer Vogel oderein wandernder Holzfäller singt, und nehme die tiefe Stille ringsin mich auf. Wenn ich zum höchsten Gipfel des Dharma-Wesensemporschaue, so denke ich unseres endlosen Suchens nach der erha-bensten Wahrheit. Wenn ich hinabblicke in die grundlose Tiefedes gähnenden Tals dort unten, so gemahnt es mich an den Abgrundder Unwissenheit, in dem alle Wesen versinken, und ich begreife,wie unerschöpflich meine Aufgabe ist.

Ihr mögt mich fragen, woher ich komme, aber in Wahrheit gibtes kein Woher meines Kommens, noch habe ich irgendein Haus oderHeimat. Mit den Wolken schwebe ich von Bergen zu Bergen unddrücke meine Fußspur in die Enden der Erde. Nicht gehöre ich zurWelt der Menschen, doch lebe ich unter ihnen in meinen Verwand-lungsgestalten. Hier bin ich erschienen nach dem Karma meinesWillens in der Form einer Bergfrau. Vom Standpunkt des unbe-dingten Einsseins gesehen, sind Gut und Böse nur Namen, und Formist Leere, Leere ist Form. Des BUDDHA geheiligte Lehren sind in dieWelt vermischt. Erleuchtung ist unter Leidenschaft und Verlangenzu suchen. Wo der BUDDHA ist, da sind Wesen, und wo Wesen sind,da hat auch Yamauba ihr Dasein. Die frischgrünen Blätter der Wei-den und die vielfarbigen Blumen grüßen den Frühling. Das ist der

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Weg der Welt und des Dharma.Wenn ich in der Welt und mit der Welt weile, so helfe ich manch-

mal den Bauern, die in die Bergwälder steigen, Reisig zu sammeln,und schwer beladen im Schatten der Blütenbäume ein wenig derRast genießen. Im Mondlicht wandre ich mit ihnen, ich teile dieBürde und begleite sie bis in die Dörfer, wo eine friedevolle Nachtnach des Tages Arbeit sie erwartet. Manchmal helfe ich den Webe-rinnen, ohne daß sie es merken. Wenn sie den Webstuhl ans Fen-ster rücken und das Schiffchen zu werfen beginnen, hört man drau-ßen die Nachtigall flöten zum Klang der Räder und Tritte: flinkgeht die Arbeit und ganz von selber voran, als lenkte sie niemandund liehe unsichtbare Hände. Wenn im späten Herbste der Frost dieRinde der Erde versteinert, so denken die Hausfrauen an warmeKleider gegen den schnellen Anbrach des Winters, und aus jedemHaus im Dorf hört man das Klopfen und Stopfen von Tuch oderSeide im Mondlicht. Sie ahnen nicht, daß Yamaubas Hand mit jedemSchlage der ihren sich regt.

Kehrst du zurück in die Hauptstadt, so magst du singen vomAnteil, den Yamauba an alledem hat. Freilich, wenn ich das wün-sche, so hafte ich damit noch immer an der Welt. Sag also, was duwillst, immer bleibt es mein Los, von Berg zu Bergen so fortzuwan-dern, mag das Werk noch so mühselig sein.

Selbst im Schatten eines Baumes beieinanderzusitzen oder Was-ser aus dem gleichen Flusse zu schöpfen, dankt jeder nur dem Kar-ma seines vergangenen Daseins – wieviel mehr denn wir beide! KeinZufall ist’s, daß du Ruhm gewannst durch dein Singen von mir.Alle Töne, selbst alltäglicher und leichtfertiger Weisen Sang,führen am Ende zur Enthüllung der Buddha-Herrlichkeit hin. Lebwohl, o Tänzerin aus der Hauptstadt, es ist Zeit, daß wir scheiden,

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leb wohl!›Damit nimmt Yamauba von Hyakuma und ihrer Dienerin Ab-

schied. Bald darauf hören sie aus einiger Entfernung das Berglied Ya-maubas, die ihren Augen entschwunden ist, niemand weiß wohin:‹Lebt wohl, lebet wohl! Ich kehre heim zu meinen Bergen. Von Bergzu Berg will ich schweifen, im Frühling die Bäume sehen in der schwe-ren Last ihrer Blüten, im Herbst im Mondeslicht wandern, wo esam strahlendsten schimmert, im Winter hinschweben im Schnee-fall, der alle Berge mit Weiß umfängt. Ewige Wiedergeburt ist meinLos, mein liebendes Haften an allem Wesen hat eine Weile Ya-maubas Gestalt mich annehmen lassen, und so ward ich zum Ge-genstand deiner Kunst.›

Siehe, hier weilte sie noch eben zuvor.Jetzt ist sie nicht mehr zu sehen, nirgend mehr.Über die Berge schwebt sie dahin,Durch die Täler noch hallt, schwindend, ihr Lied.Ewig von Bergen zu Bergen, wandernd und wandernd,Ist sie entschwunden ins Land Nirgendwo.

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ENZYKLOPÄDISCHES STICHWORT

‹GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DES ZEN›

Das Wort ‹Zen› ist die japanische Wiedergabe des chinesischenCh’an, der Abkürzung von Ch’an-na, das seinerseits den Laut desSanskritwortes Dhyâna darstellen soll. Dhyâna bedeutet die buddhi-stische Meditation, die Beschwichtigung aller Unruhe des Gedan-kens und ist die Vorstufe der eigentlichen ‹Erleuchtung›. Damit istder Weg gekennzeichnet, den das Zen von Indien über China nachJapan gegangen ist. Wer über Zen liest, darf sich also nicht wun-dern, daß die grundlegenden Begriffe in der altindischen Literatur-sprache des Sanskrit auftauchen und die meisten und wichtigstenQuellen über das Zen chinesisch geschrieben sind.

GAUTAMA BUDDHA (ca. 560–480 v. Chr.) hat über die ‹Erleuch-tung›, die er unter einem Feigenbaum erfahren hat, nicht viel ge-sprochen, als mystische Erfahrung entzog sie sich jedem Versuch,sie in Worte zu fassen. Nach seinen Andeutungen geschah ihm da-bei wohl die befreiende Einsicht, daß das mit seinen Ängsten undWünschen in diese Welt verstrickte ‹Ich› nichts als eine Illusion derSinne ist. GAUTAMAS stark in altindischer Tradition wurzelnde Über-zeugung, daß der schmerzvolle Kreislauf des Werdens, Vergehensund Wiedererstehens durch dieses ‹Wissen› von der Nichtverschie-denheit unseres wirklichen Seins von dem absoluten Sein beendetwerden kann, bildet daher den Hauptpunkt der buddhistischen Lehre.BUDDHAS Predigten sind während seines Lebens nicht aufgezeich-net, sondern mündlich tradiert und erst nach etwa vier Jahrhunder-ten von den Anhängern seiner Lehre niedergeschrieben worden.

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Unterschiede in Überlieferung und philosophischer Auslegung führ-ten zur Begründung zahlreicher Lehrmeinungen und Schulen, unddurch das scholastische Gestrüpp ist das Herzstück von BUDDHAS

Lehre, die mystische Erleuchtung, gleichsam verdeckt worden.Nachdem dann der Buddhismus in der Form des weltoffenen

‹Großen Fahrzeugs› (Mahâyâna), bei dem sich der Einzelne – im Un-terschied zum ‹Kleinen Fahrzeug› (Hînayâna) – um die Erlösungaller Wesen bemüht, im ersten nachchristlichen Jahrhundert alsechte Religion auch nach China gedrungen war, hat im sechstenJahrhundert die von Legenden umwobene Gestalt des dort missio-nierenden Inders BODHIDHARMA die erlösende Meditation in denMittelpunkt seines Wirkens gestellt. Dem praktischen Sinn der Chi-nesen leuchtete diese Seite des Buddhismus eher ein als der dialek-tische Streit der gelehrten Schulen. BODHIDHARMAS kraftvolle Per-sönlichkeit wie auch die Eigenart seiner Lehre offenbaren sich ameinprägsamsten in dem – aus einer späteren Zeit stammenden –Bericht seines Zwiegesprächs mit dem frommen KAISER WU des klei-nen Staates Liang. Der Kaiser sagte: ‹Man vermag kaum aufzu-zeichnen, wieviele Tempel ich bauen, Buddhapredigten ich abschrei-ben und Mönche ich weihen ließ. Welche Verdienste habe ich mirdadurch erworben?› Der Meister (BODHIDHARMA) erwiderte: ‹Garkeine!› Der Kaiser: ‹Weshalb?› Darauf der Meister: ‹Das sind nurwertlose Verdienstgründe, die noch eng mit der Wiedergeburt ver-knüpft sind. Sie sind wie Schatten, die der Gestalt folgen, sie be-sitzen keine eigene Wesenheit›. Der Kaiser: ‹Worin bestehen dannwahre Verdienste?› Der Meister: ‹Es ist das reine Wissen, wunder-bar und rund. Sein Wesen ist Leere und Stille. Solcherlei Verdienstläßt sich nicht durch weltliches Tun erlangen›. Darauf fragte derKaiser von neuem: ‹Welches ist der höchste Sinn der heiligen Wahr-

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heit?› Der Meister: ‹Offene Weite – nichts von heilig!› Der Kaiser:‹Wer ist das, der mir so zu entgegnen wagt?› Der Meister: ‹Ich weißes nicht!›

Dieses Gespräch gibt den Kernpunkt des Zen wieder, das inBODHIDHARMA seinen ersten ‹Patriarchen› sieht. Die letzte Wahrheitliegt jenseits aller Gegensätze, selbst Begriffe wie Heilig und Un-heilig, Gut und Böse führen nur vom Wesentlichen ab, das unsag-bar bleibt. Und wie sollte BODHIDHARMA angeben können, was erselber sei? Besteht das erleuchtende Wissen doch gerade in der Er-kenntnis, daß es ein Ich gar nicht gibt.

Die schnelle Verbreitung, die der Buddhismus und vor allem Zenin China gefunden haben, erklärt sich auch dadurch, daß die alt-chinesische Weisheitslehre des Taoismus den Boden gut vorbereitethatte. Zen und Taoismus hielten beide nichts von dieser Welt mitihren Begriffen und Widersprüchen. Bald konnte von den Zen-Mei-stern das Wort ‹Tao›, der ‹Weg›, der Welturgrund, das verborgene,wahre Sein, das die beiden ‹Schöpfer› des Taoismus LAO-TSE (vermut-lich 5. vorchri. Jhr.) in seinem ‹Buch vom Weg und Sinn› (Tao-te-king) und CHUANG-TSE (4. vorchr. Jhr.) in seinem ‹Wahren Buchvom südlichen Blütenland› poetisch zu umschreiben suchten, un-schwer mit der letzten, unaussprechbaren Wahrheit des Buddhis-mus, der Buddhaschaft aller Dinge identifiziert werden.

Sehr aufschlußreich hierfür ist die berühmte Hymne des Zen-Meister SENG TS’AN (gest. 606), ‹Der Stempel des gläubigen Her-zens›. Sie beginnt:

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Der Höchste Weg ist durchaus nicht schwer,nur abhold jedem langen Wählen.Doch wer nicht liebt und nicht mehr haßt,dem erscheint sie frei in hellem Licht.Nur ein Haar breit von ihr getrennt,ist man ihr wie der Himmel von der Erde so fern.Wer dicht vor Augen sie haben will,lasse von allem Willfahren und Widerstreben.

Die letzte Wahrheit ist nicht mitteilbar. Jeder muß sie selbst erfah-ren. In Zen-Kreisen verweist man bald auf einen frommen Bericht,nach dem BUDDHA eines Tages seinen Jüngern, statt zu predigen,schweigend eine Blume gezeigt habe. Allein MAHÂKÂSHYAPA begriffdiese Gebärde spontan, er lächelte BUDDHA still entgegen, woraufBUDDHA ihm die Weitergabe seiner Lehre übertragen haben soll.

Da Zen die Autorität der buddhistischen Schriften, alle dogma-tische und philosophische Spekulation verneint, sich ‹nicht aufSchriftzeichen begründet›, sondern das Innere des Menschen als diealleinige Quelle der rechten Erkenntnis ansieht, spielt die ‹Übertra-gung von Geist zu Geist› eine besondere Rolle: die Persönlichkeitdes bereits erleuchteten Meisters steht dem suchenden Schüler füh-rend und helfend zur Seite. In welch praktischen Formen dies ge-schieht, hängt von der Art des Meisters ab. Nicht selten ist es zurrechten Zeit ein überraschendes, kurzes ‹Löwengebrüll› oder eingrober Stockschlag, der die letzte Schale sprengen soll, ähnlich wieein leichtes Klopfen an ein fast reif gebrütetes Ei das Hühnchen aus-schlüpfen läßt.

Einer der kraftvollsten Zen-Meister war HUI-NÊNG (638–713),dem es wohl vor allem zu danken ist, wenn Zen nun wundersam

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aufblühte und bald alle anderen buddhistischen Schulen überflügel-te. HUI-NÊNG war im Kloster des damals führenden Zen-Meistersnur als einfacher Arbeiter zugelassen und offenbar ganz ohne Ge-lehrsamkeit, aber er begriff das Wesentliche mit so mächtiger In-tuition, daß ihn der Abt zur Überraschung aller zu seinem Nach-folger ernannte. Durch die originelle und vitale Frische seiner Pre-digten trug HUI-NÊNG wesentlich dazu bei, Zen, das bisher mehr vonden gebildeten Schichten gepflegt wurde, populär zu machen. Er be-tonte die ‹Plötzlichkeit› der Erleuchtung, was seiner eigenen Veran-lagung und im Grunde auch chinesischer Mentalität besser entsprach.HUI-NÊNG vermied bewußt, von einer ‹ursprünglichen Reinheit› desMenschen zu sprechen, die etwa durch langanhaltende Meditationzurückgewonnen werden könne, gleichwie man einen trüben Spie-gel wieder reinzuwischen vermag. Eine solche Vorstellung bewegt,so fürchtete HUI-NÊNG, nur zu leicht zur Annahme eines ja garnicht vorhandenen Subjekt-Objekt-Verhältnisses. Langes meditie-rendes Sitzen führt zudem oft zu Quietismus. Entscheidend war nachHUI-NÊNG vielmehr Prajñā, die ‹Weisheit›, die Kraft, die von derletzten Wirklichkeit gar nicht verschiedene eigene Natur intuitivzu schauen. Die Meditation, Dhyâna, hat nur die Funktion, denGeist zur Beruhigung zu bringen; sie ist die Vorstufe der höchstenbuddhistischen Tugend, Prajñā.

Auf HUI-NÊNG, den Schöpfer des chinesischen Zen, folgte in dennächsten Jahrhunderten eine Menge höchst origineller Meister. Al-les wird nun mit größter Entschiedenheit auf die Erleuchtung, dasAufleuchten der letzten Erkenntnis abgestellt, die dem angestrengtRingenden irgendwann aufgeht. Jeder Versuch, diese Erfahrung mitWorten zu beschreiben oder gar zu analysieren, mißlingt mit Not-wendigkeit, aber offenbar handelt es sich, wie schon angedeutet, um

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die überwältigende, ja geradezu umstürzende reine Erfahrung desWeltzusammenhangs des letzten Seins. Der wachsende Zulauf, denZen fortan erfuhr, machte es nun in den Klöstern gleichwohl not-wendig, die Mönche methodisch anzuleiten, und so entwickelte mandas System der Kung-an, Problemstellungen, denen lakonische,zumeist paradoxe Aussprüche berühmter Zen-Meister zugrunde lie-gen. Diese Kung-an sind in ihrer Mehrzahl so beschaffen, daß siemit dem Verstand unmöglich eindeutig oder auch nur annäherndbeantwortet werden können, ja, sich jedem logischen Begreifen ver-sagen. Sie provozieren aber gerade durch dieses Dilemma eine ge-waltige geistige und psychische Spannung, aus der dann zu irgend-einem Zeitpunkt das konkrete Erlebnis der ‹Erleuchtung› befreit, ja,geradezu erlöst. Zur Förderung der Bemühungen um die Kung-an,die also zur Offenbarung des letzten Geheimnisses führen sollen,pflegte man eine besondere Sitztechnik, die auf indische Yogaprak-tiken zurückgeht.

Aber weder diese Sitztechnik noch die Problemstellungen derKung-an sind der eigentliche Zweck des Zen. Ziel ist nicht die Welt-flucht. Im Gegenteil, Zen steht mitten im Leben. Es ergreift alleArten des praktischen Seins. Der Geist der offenen Weite und Frei-heit, der Zen durchpulst, ergriff und faszinierte im China des neun-ten bis dreizehnten Jahrhunderts vor allem auch die Dichter undMaler, er beschwingte ihre Phantasie und brachte unvergleichlichschöne Werke hervor.

Die außerordentliche Wirkung des Zen auf Japan vermag manwohl nur zu begreifen, wenn man bedenkt, daß der Buddhismus –wenn auch zunächst in dem Gewand anderer Schulen – als der Trä-ger der überlegenen Festlandskultur bereits seit Mitte des sechstenJahrhunderts begonnen hatte, Fuß zu fassen. Mit Hilfe von einge-

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wanderten Chinesen und Koreanern, dann aber bald durch ein-heimische Künstler wurden prachtvolle Tempel erbaut, bei denenman wundervolle Feste feierte und deren Mönche die geistigen Lehr-meister des Volkes wurden. Am Kaiserhofe selbst, dem allesbe-herrschenden Zentrum der damaligen Kultur, gedieh seit dem neun-ten Jahrhundert vor allem eine buddhistische Richtung, welche diezeremonielle Seite der Lehre ausbaute. Der dabei entfaltete dekora-tive Prunk sprach die starke künstlerische Veranlagung der Japanermächtig an und bildete sie weiter. Dieser aristokratisch-ritualistischeBuddhismus verwandelte sich mit dem Niedergang der höfischenKultur und dem Aufstieg niederer Volksschichten, zumal des ein-fachen Ritterstandes, der im dreizehnten Jahrhundert die politischeMacht an sich riß, in eine schlichte Frömmigkeit. In dieser Abwen-dung von allem auf die Sinne wirkenden Glanz sind sich die beidennun plötzlich aufblühenden buddhistischen Erneuerungsbewegungen,die ‹Schule des Reinen Landes› und die Zen-Schule, gleich. Sie unter-scheiden sich nur darin, daß die erstere alles auf die Gnade des über-sinnlichen Buddha des Unermeßlichen Lichtes und die durch ihn ver-mittelte Hinübergeburt ins ‹Paradies des Reinen Landes› setzte, wäh-rend Zen die Erlösung aus eigener Kraft anstrebte.

Die erste Berührung der japanischen Buddhisten mit der chine-sischen Zen-Tradition war schon um die Mitte des siebenten Jahr-hunderts erfolgt. Im übrigen wurde die Meditation auch bei denanderen buddhistischen Schulen von Anfang an als eine unter an-deren religiösen Übungen gepflegt. Im zwölften und vor allem drei-zehnten Jahrhundert kam es dann zu einem gewaltigen Einstrom desZen. Der Mönch EISAI (1141–1215), ein freier und mächtiger Geist,begründete nach zweimaligem Aufenthalt in China die auf den Zen-Meister LIN-CHI (jap. Aussprache RINZAI) zurückgehende Rinzai-

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Schule, und DOGEN (1200–1253) nach einem fünfjährigen Studiumin China die sich auf den Zen-Meister TUNG-SHAN LIANG-CHIEH be-rufende Sôtô-Schule. EISAI stand noch stark im Bann anderer buddhi-stischer Schulen und wollte zunächst nichts weiter, als durch die demZen eigene strenge Selbstdisziplin die absinkende Mönchszucht stär-ken. Er war aber überzeugt, daß fünfzig Jahre nach seinem Todedas Zen in Japan machtvoll aufblühen werde. Und so geschah esauch. Der Unterschied zwischen den beiden Schulen Rinzai undSôtô besteht im wesentlichen darin, daß das Rinzai-Zen die Pro-blemstellungen der Kung-an (jap. Kôan) in den Mittelpunkt stellte,während das Sôtô-Zen das Ziel der Erleuchtung durch stillsitzende,gedankenleere Meditation zu erlangen suchte, wobei das Zazen, dieSitztechnik, nicht nur ein Mittel zur Erleuchtung, sondern bereitsdie eigentliche Form ist, in der das ‹wahre Selbst› erlebt wird.

In den kriegerisch verworrenen Zeitläuften war die Meditations-welt des Zen ein helles Licht, das die Menschen zur Entfaltung ihrereigenen Kräfte ermutigte. Zen wurde vor allem von den Ritternwillkommen geheißen; mit seinem Selbstbewußtsein und der über-legenen Haltung gegenüber Leben und Tod entsprach es dem Bu-shidô der Ethik des furchtlosen Ritterstandes.

Von der Mitte des vierzehnten bis zum Ende des fünfzehntenJahrhunderts war dann eine Zeit erholsamen Friedens. Nun durch-drang das Zen mit seiner Liebe zum schlicht Natürlichen, seinerKonzentration des Gedankens und Empfindens, seinem heißen Be-mühen, in den Erscheinungen dieser immer gleich wesenhaft schö-nen Welt das geheimnisvoll Ganze zu sehen, das tägliche Leben. Mitseinen schöpferischen Impulsen der Unmittelbarkeit und Intuitionbefruchtete es die ungewöhnliche ästhetische Sensibilität, die Ja-pan seit jeher gekennzeichnet hat.

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Vom Beginn des sechzehnten Jahrhunderts an begann das Zen alsreligiöse und kulturelle Macht langsam zu ermatten. In der erstenHälfte des siebzehnten Jahrhunderts trat durch einen chinesischenZen-Mönch eine weitere Schule neben Rinzai und Sôtô. Im achtzehn-ten Jahrhundert schuf der geistvolle Rinzai-Meister HAKUIN (1685bis 1768) durch Erziehung von Mönchen und vor allem von Laiendie Grundlage, welche heute die Rinzai-Schule trägt.

Der 1945 verstorbene ‹erste originäre und weltliche PhilosophJapans› NISHIDA wurzelt, bei aller Beziehung zur deutschen undfranzösischen Philosophie, tief im Zen. Professor DAISETZ SUZUKI,der große Zen-Meister unserer Tage, ist nicht ohne Grund wohl derwirkungsvollste Pionier japanischer Kultur.

O. Benl

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ÜBER DEN VERFASSER

SUZUKI, TAISETSU (DAISETSU), 1870 geboren, durch frühen Tod desVaters zur Aufgabe des Studiums gezwungen, war zunächst Eng-lisch-Lehrer an Volksschulen, besuchte aber dann die Kaiserliche Uni-versität Tôkyô. Ein Besuch im Zen-Tempel Engakuji entschied übersein weiteres Leben: er widmete sich der wissenschaftlichen Erfor-schung und der Praxis des Zen und entschloß sich, auch außerhalbJapans ostasiatische Weisheit zu vermitteln. Er ging 1897 nach Chi-cago, half dort bei der Herausgabe einer wissenschaftlichen Zeit-schrift, erregte 1900 durch seine Übersetzung und Interpretation desMahâyâna-śraddhotpâda-śastra (Lehrtext über die Entstehung desGlaubens an das Mahâyâna) die Aufmerksamkeit wissenschaftlicherKreise und wandte sich hinfort vor allem dem Studium der alten chi-nesischen Zen-Meister zu. 1909 reiste er nach Europa und kehrte1910 nach 14jähriger Abwesenheit nach Japan zurück, wo er zu-nächst Professor an der Adelsschule, Dozent an der Kaiserlichen Uni-versität in Tôkyô und ab 1921 Professor an der Ôtani-Universitätin Kyôto war. Auf zahlreichen Auslandsreisen hielt er Vorträge überZen. Was Europa heute von Zen weiß, verdankt es vor allem Pro-fessor SUZUKIS Interpretation. TAISETSU SUZUKI starb 1966 in Tôkyô.

O. Benl

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Wichtigste Veröffentlichungen:

Studies in the Lankâvatâra Sûtra. London 1930Essays in Zen Buddhism. 1st Series: London 1927, New York 1949; 2nd

Series: Kyôto 1933, London 1950; 3rd Series: Kyôto 1934, London 1953A Manual of Zen Buddhism. Kyôto 1935, London 1950Die große Befreiung. Leipzig 1939The Zen Doctrine of No-mind. London 1949Leben aus Zen. München-Planegg 1955

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LITERATURHINWEISE

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In: Monumenta Nipponica VII. Tôkyô 1951–, Das Wu-mên-kuan oder ‹Paß ohne Tor›. In: Monumenta Serica

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