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Compliance | Sibylle Wankel, Justitiarin| 28. Februar 2019 IG Metall
StSt Justitiariat
Compliance Allgemeine Bedeutung und praktische Relevanz
Hans-Böckler-Forum
28. Februar 2019, Berlin
Compliance | Sibylle Wankel, Justitiarin| 28. Februar 2019 IG Metall
StSt Justitiariat 2
Begriff
Allgemeine Bedeutung
Gesetzgebungsvorhaben
Praktische Relevanz im Arbeitsrecht
Fazit
Gliederung
Compliance | Sibylle Wankel, Justitiarin| 28. Februar 2019 IG Metall
StSt Justitiariat
Begriff
Compliance | Sibylle Wankel, Justitiarin| 28. Februar 2019 IG Metall
StSt Justitiariat 4
Begriff
Wird mit „Compliance“ nicht einfach ein bekannter Begriff englisch bzw. „neudeutsch“ gefasst?
Der Duden verrät uns folgendes:
Compliance bedeutet im „Wirtschaftsjargon“
regelgerechtes, vorschriftsgemäßes, ethisch korrektes Verhalten
In der Definition schwingen zwei Ebenen mit:
1. Regeleinhaltung
2. Integrität
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StSt Justitiariat 5
Begriff
Wenn von Compliance die Rede ist, geht es meistens – so auch heute – um die erste Ebene, d.h. das Sicherstellen der Einhaltung von Regeln aller Art, externen wie internen.
Ziel der Beachtung von Compliance ist die Entdeckung, das Abstellen und das Vermeiden von Regelverstößen.
Daneben bezweckt aber jedes Compliance-System auch die grundsätzliche Prävention künftiger Regelverstöße durch Förderung von Integrität.
Daher erstaunt es nicht, wenn die für Compliance zuständigen Vorstände in namhaften Unternehmen neben dem Thema „Recht“ häufig den Zusatz „Integrität“ in der Bezeichnung ihres Vorstandsbereichs führen.
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StSt Justitiariat
Allgemeine Bedeutung
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StSt Justitiariat 7
Untreue und Bestechung
Prominente Fälle: „Schwarze Kassen“ bei Siemens und MAN
Verstrickung bis in die Vorstandsebene, die Vorstände sowie leitende Führungskräfte den Job und viel Geld kostete – bis hin zu vereinzelten Strafverfahren wegen Untreue.
Strafrecht: Mittäterschaft wird nicht allein durch „Vorstands-“ oder „Vorgesetzteneigenschaft“ begründet
Problem: Vermögensnachteil bei Untreue („nützliche Aufwendungen“)
Grundsatzurteil des LG München vom 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, mit dem Ex-Siemens-Vorstand zu 15 Millionen Euro Schadensersatz an Siemens verurteilt wurde. Die zweite Instanz endete mit einem Vergleich; der Manager lebt nicht mehr.
Konsequenzen bei Siemens: Unternehmen zahlte Bußgelder an US-Behörden in Milliardenhöhe; verpflichtende Einsetzung eines Monitors; Compliance-Ausschuss im Aufsichtsrat; Compliance-Abteilung; „Chief Compliance Officer“; Hinweisgebersystem u.v.m.
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StSt Justitiariat 8
Kartellrecht
Zunehmende Bedeutung / Einfluss von Kartellabsprachen wegen entsprechender Entwicklung in den USA
Beispiel: Absprachen unter europäischen LKW-Herstellern kosteten Daimler 2016 ca. 1 Milliarde Euro Bußgeld.
Kronzeugenregelung führt zu „Windhundprinzip“: Der erste zahlt kein Bußgeld; alle anderen zahlen.
Zusätzliches Problem: Entwicklungen komplexer Produkte und Lösungen sind häufig nur im Verbund mehrerer Unternehmen (mit Zulieferern) finanzierbar und nutzen daher prinzipiell auch dem Verbraucher
Kartellrechtsfokus liegt auf Deutschland bzw. Europa, d.h. berücksichtigt nicht globale Wettbewerbssituation (Beispiel: Ablehnung Fusion der Bahnsparten von Siemens und Alstom)
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StSt Justitiariat 9
Geldwäsche
Panama Papers haben etwas aufgedeckt, was schon davor „üblich“ war
Briefkastenfirmen verwalten Kapitalanlagen, insbesondere „Venture Capital“, in großem Stil
Fehlende Transparenz wegen zahlreicher Zwischenebenen / Zwischenfirmen
Herkunft des eingesetzten Kapitals nicht erkennbar
Beherrschbares Risiko oder komplette Abstinenz als Konsequenz?
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StSt Justitiariat 10
Technische Compliance
Diese Compliance-Facette hat nach dem Bekanntwerden der Manipulationen im VW-Konzern an Bedeutung gewonnen.
Inzwischen standardmäßiger Bestandteil von Compliance.
Nicht nur bei Fahrzeugherstellern, sondern auch im Maschinenbau etc. im Fokus.
Unsicherheit, was noch erlaubt und was verboten ist, z.B. Änderung der Einordnung einer bestimmten Vorrichtung in einem Automobil durch Fachwelt, Behörden, Justiz.
Erhöhter Dokumentationsaufwand auf allen Ebenen erforderlich, insbesondere bei Software-Entwicklung.
Spezialthema: Gefälschte Zertifizierungs- / Auditunterlagen, um Zulassungsprozesse zu beschleunigen.
Abgasmanipulation / Diesel
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StSt Justitiariat 11
Datenschutz
Eigenständige Bedeutung wegen strenger Vorschriften und hoher Bußgelder
Betrifft alle Bereiche von Unternehmen, extern wie intern
Individual- und Kollektivarbeitsrecht betroffen
EU-DSGVO
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StSt Justitiariat 12
Menschenrechte
Die Einhaltung von Menschenrechten innerhalb globalisierter Lieferketten gewinnt aufgrund entsprechender Aktivitäten, auch am Rande von Hauptversammlungen deutscher Unternehmen, zunehmend an Bedeutung.
In diesem Bereich spielt die Frage von Nachhaltigkeit und Integrität eine besondere Rolle.
Betroffen sind insbesondere die Rohstoffgewinnung (z.B. Kupfer, Kobalt) sowie die Textilherstellung.
Auch die Belastung des Ökosystems und die damit einhergehende Gefährdung von Lebensgrundlagen werden verstärkt kritisiert.
Problem: fehlende Durchsetzbarkeit der Einhaltung der ILO-Normen im internationalen Rahmen
Auch Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte sind betroffen: IndustriAll Global versucht dies über „globale Rahmenabkommen“ mit Konzernen anzugehen. Problem: Systematische Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten bisher nicht durchsetzbar.
Kinderarbeit / Lebensgrundlagen
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StSt Justitiariat 13
Compliance-(Management-)System
Inzwischen haben viele Unternehmen Compliance-(Management-)Systeme.
Solche Systeme werden wie Risikomanagement-Systeme (idR im Rahmen des Jahresabschlusses) anhand folgender Grundelemente auf Konzeption, Angemessenheit und Wirksamkeit geprüft:
Kultur
Ziele
Risiken
Programm
Organisation
Kommunikation
Überwachung / Verbesserung
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StSt Justitiariat
Gesetzgebungsvorhaben
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StSt Justitiariat 15
Haftet das Unternehmen?
Heute gelten die §§ 30, 130 OWiG, d.h. wenn Organmitglieder bzw. Inhaber eines Unternehmens Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten aktiv oder durch mangelnde Aufsicht begehen und dies gleichzeitig eine Pflichtverletzung des Unternehmens darstellt, kann Bußgeld gegen das Unternehmen verhängt werden.
= Opportunitätsprinzip
Gesetzliche Regelung wird als unbefriedigend empfunden und in der Praxis kaum angewandt.
Alternativen:
NRW-Entwurf zum Unternehmensstrafrecht 2013
Kölner Entwurf für ein Verbandssanktionsgesetz 2018 (NZWiSt 2018, 1 ff.)
Österreich: Verbandsverantwortlichkeitsgesetz
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StSt Justitiariat 16
Koalitionsvertrag 2018
Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu.
Wir werden sicherstellen, dass bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden. Bislang liegt es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob auch das betreffende Unternehmen verfolgt wird. Durch die Abkehr vom Opportunitätsprinzip des bislang einschlägigen Ordnungswidrigkeitenrechts sorgen wir für eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung.
Durch klare Verfahrensregelungen erhöhen wir zudem die Rechtssicherheit der betroffenen Unternehmen. Zugleich werden wir spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen schaffen, um der Justizpraxis die notwendige Flexibilität in der Verfolgung einzuräumen.
Wir werden das Sanktionsinstrumentarium erweitern: Die geltende Bußgeldobergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig. Wir werden sicherstellen, dass sich die Höhe der Geldsanktion künftig an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientiert. Bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz soll die Höchstgrenze bei zehn Prozent des Umsatzes liegen. Zudem schaffen wir weitere Sanktionsinstrumente. Weiterhin schaffen wir konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensgeldsanktionen. Die Sanktionen sollen auf geeignetem Weg öffentlich bekannt gemacht werden.
„Unternehmenssanktionen“
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StSt Justitiariat 17
Planungsstand BMJV
Bereitet den GesE für ein „Verbandssanktionsgesetz“ vor
Wechsel vom Opportunitätsprinzip zum Legalitätsprinzip
Compliance-(Management-)System soll entlastend wirken können (ggf. bereits auf der Tatbestandsseite und nicht erst bei der Zumessung)
Soll nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Verbände generell und damit auch für Gewerkschaften gelten
Bisher keine Ausnahmen geplant, sondern höchstens Erleichterung bei der „Sanktionszumessung“, z.B. keine Auflösung
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StSt Justitiariat
Praktische Relevanz im Arbeitsrecht
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StSt Justitiariat 19
Verhaltenskodex
Versuche der AG, über einen Verhaltenskodex bestimmte Regeln bzw. Compliance durchzusetzen, nehmen zu – insbesondere, aber nicht nur bei US-amerikanischen Konzernen
Teilweise sind Verpflichtungen zur Anzeige des Fehlverhaltens von Kolleg*innen enthalten
Entweder über Arbeitsordnung, dann in aller Regel mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG
Oder über individuellen Arbeitsvertrag, dann bei Verwendung von Mustern mitbestimmungspflichtig, wenn persönliche Angaben verlangt werden (§ 94 Abs. 2 BetrVG), und AGB-Recht anwendbar
Wegen Unternehmens- bzw. Betriebsbezug kommt Regelung über Tarifvertrag eher nicht in Frage – wäre aber grundsätzlich zulässig.
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StSt Justitiariat 20
Hinweisgebersystem (Whistleblowing)
Rechtsprechung: leichtfertiges „Anschwärzen“ potenziell treuwidrig und arbeitsvertragliche Pflichtverletzung (= Kündigungsgrund; BAG, 15. Dezember 2016 – 2 AZR 42/16)
EU-Richtlinien-Vorschlag zum erhöhten Schutz von Whistleblowern (COM (2018) 218 final v. 23.4.2018) sieht 3-Stufen-System für Hinweisgeber vor:
1. Interne Meldekanäle einschalten
2. Zuständige Behörde einschalten
3. Medien / Öffentlichkeit einschalten
Europäisches Parlament befürwortet Wahlrecht zwischen den 3 Stufen. Bundesregierung hat ausdrücklich dagegen interveniert im Sinne einer verpflichtenden Einhaltung des 3-Stufen-Systems. Aktuell laufen Trilog-Gespräche.
Stand der Gesetzgebung zum Geschäftsgeheimnisschutzgesetz:
Ausnahmen bzw. Rechtfertigung, wenn Hinweise geeignet sind, „das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“ = Schutz nicht stark genug.
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StSt Justitiariat 21
Interne Ermittlungen
Mitbestimmungsrechte und individuelle Rechte berücksichtigen
E-Mail-Screening
Interviews / Verhöre
Arbeits-, zivil- und ggf. sogar strafrechtliche Sanktionen als Konsequenz
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StSt Justitiariat 22
Betriebsrat
Verstöße gegen BetrVG in der Regel über § 23 BetrVG abgedeckt.
Wenn gleichzeitig Verstoß gegen Arbeitsvertrag, ggf. auch arbeitsrechtliche Konsequenzen möglich (umstritten)
Sonderthema: Betriebsratsvergütung
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StSt Justitiariat 23
Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat
Auch Aufsichtsratsmitglieder unterliegen einer Legalitätspflicht, d.h. müssen Compliance-Verstößen grundsätzlich nachgehen und die dafür Verantwortlichen – auch Vorstandsmitglieder – zur Rechenschaft ziehen.
Unternehmensinteresse kann entgegenstehen.
Erforderlich ist eine dauernde Abwägung und Beurteilung der Erfolgsaussichten, ggf. unter Einschaltung externen Sachverständiger (Rechtsberater), aber das entbindet nicht von eigener Prüfung der Auskunft zumindest auf Plausibilität.
Persönliches Haftungsrisiko
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StSt Justitiariat 24
Welche Themen bewegen Arbeitgeber?
Arbeitszeitverstöße
Datenschutzverstöße
Verstöße gegen Beitrags- (§ 266a StGB) und Steuerpflicht (§ 41a EStG) in Fällen von unzulässiger AÜ bzw. bei Scheinwerkverträgen:
Strafbar, wenn AG-Eigenschaft bekannt war
Irrtum über dieselbe wurde bisher bei § 266a StGB als – unbeachtlicher – Verbotsirrtum eingeordnet, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen, die AG-Eigenschaft begründen, bekannt waren
Bei Steuerhinterziehung wird vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum angenommen (BGH, 24. Januar 2018 – 1 StR 331/17) – Tendenz geht zu letzterem auch bei § 266a StGB
Compliance | Sibylle Wankel, Justitiarin| 28. Februar 2019 IG Metall
StSt Justitiariat
Fazit
Compliance | Sibylle Wankel, Justitiarin| 28. Februar 2019 IG Metall
StSt Justitiariat 26
Fazit
Die Themen, die unter dem Begriff „Compliance“ diskutiert werden, sind nicht wirklich neu.
Die Bedeutung ist in den letzten Jahren wegen diverser Unternehmens-“Skandale“ gestiegen.
Bußgelder, die ein Unternehmen zahlen muss, können nicht mehr investiert werden, d.h. sind auch für die Arbeitnehmer*innen verloren. Daher sind wirksame Compliance-(Management-)Systeme grundsätzlich sinnvoll.
Die Relevanz in etlichen Arbeitsrechtsbereichen erfordert ein
proaktives Einfordern von Mitbestimmungsrechten und
zusätzliche individualrechtliche Schutzmechanismen (insbesondere für Whistleblowing).
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StSt Justitiariat
IG METALL StSt Justitiariat
Sibylle Wankel
Wilhelm-Leuschner-Str. 79 60329 Frankfurt am Main
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!