«clown und lausbub oder tragische figur»: die biogra e des
TRANSCRIPT
Simon Ammann im Weltcup 2019.
Tumashov / NordicFocus
Hans Fässler liest aus seinem Buch. Simon Ammans Biografie bildet
darin nur der Boden für Fässlers Einfälle.
Bild: Ralf Streule
Was für eine Idee, den Sportredaktor zu einer Lesung von Hans Fässler in
die St.Galler Kellerbühne zu schicken! Wer Fässlers Auftritte in der
Öffentlichkeit kennt, weiss: Er mag den Sport nicht. Und man ahnt: Seine
Ankündigung, aus seinem neuen Buch über den Toggenburger Skispringer
Simon Ammann zu lesen, kann nicht ernst gemeint sein. Der St. Galler ist
pensionierter Englisch-Gymnasiallehrer, ehemaliger SP-Kantonsrat – und
dafür bekannt, die Sklaverei-Geschichte aus lokaler und nationaler Sicht
aufgearbeitet zu haben.
Nein, er möge den professionellen Sport nicht, die Industrie des
Profifussballs verabscheue er sogar, sagt er gleich zu Beginn. Und auch
die Art, wie über Sport berichtet wird, ist nicht sein Ding. Denn wenn «das
ganze Land über eine Medaille jubelt, möchte ich öffentliche Erklärungen
abgeben, das treffe für mich nicht zu».
Was Fässler aber interessiert, ist die Frage, «woher die
kollektive Identifikation mit sportlichen Helden (selten:
Heldinnen) kommt». Was ihn berührt, ist die Geschichte
«eines irgendwie doch recht liebenswürdig-sympathischen
jungen Mannes, der in die unbarmherzige Welt des
Spitzensports und in die nicht minder unbarmherzige
Werbe-, Sponsoring- und Medien-Industrie hineingerät».
Fässlers Ausführungen haben einen Sog, sie faszinieren die
gut 40 Zuhörerinnen und Zuhörer (was in Schutzkonzept-
Zeiten in der Kellerbühne «ausverkauft» bedeutet).
Also tatsächlich. Das Buch liegt vor, Fässler hält es in den Händen: «Nicht
ohne meinen Carbonschuh. Eine Toggenburger Passion.» 127 Seiten.
«Nicht autorisierte Simiographie». Zwei Exemplare gibt es bisher. Ob es
wirklich verlegt wird, lässt Fässler offen – den Ammann-Verlag
zumindest, in dem es erscheinen soll, gibt es nicht mehr. Und Fässlers
Hinweis, er wolle mit der Veröffentlichung noch mindestens bis zur
Vierschanzen-Tournee warten, weil man dann allenfalls Stellen im Buch
umschreiben müsse, kann auch nur ein Scherz sein. Oder?
Fässler mag es, zu provozieren, Verwirrung zu stiften, Querbezüge zu
finden, Dinge aus dem Zusammenhang zu reissen und sie dann wundersam
doch wieder in einen stimmigen Rahmen zu bringen. Und sich zum Beispiel
darüber den Kopf zu zerbrechen, auf welchem Vokal Carbon betont ist.
Oder heisst es Karbon? Ammanns Suche nach dem idealen Carbonschuh
wird für Fässler zur Metapher für die Suche nach dem Lebensinhalt.
Ammans Zusammenstoss mit der Kamera am Super-Zehnkampf 2005 zum
Symbol für das Aufeinanderprallen «Simis» mit den Medien. Überhaupt,
die Berichterstattung über «Gold-Simi» und den «Luftibus» behagt
Fässler wenig.
Bertold Brechts Stilmittel des V-Effekts wird dem V-Stil
der Skispringer gegenübergestellt. Auch Fässlers grosses
Thema, die Sklavereigeschichte, hat Platz. Ammanns
Hauptsponsor, die Helvetia-Versicherung, «wurde 1858 von
einem Mann gegründet , der in Brasilien afrikanische
Sklaven besass, Sklaven mietete, Sklaven eigenhändig
auspeitschte und schwarze Menschen allgemein
verachtete». Er will es ja nur gesagt haben, nebenbei.
Die «Toggenburger Passion» ist nach biblischem Vorbild in 14 Stationen
gehalten, in denen Fässler Eckpunkte von Ammanns Karriere heranzieht -
und dessen drei grosse Stürze jenen von Jesus unter dem Kreuz
gegenüberstellt.
Fässler hat zu Ammans Karriere genau recherchiert. Ohne den
Toggenburger persönlich zu kennen, legt er Geschichte um Geschichte vor.
Um darin wichtige Fragen und Figuren zu verflechten. Der Toggenburger
Reformator Huldrych Zwingli darf nicht fehlen, auch Walter Steiner und
Toni Brunner kommen vor. Und natürlich der Bergbahnenstreit und die
schneearmen Toggenburger Winter, also die «tristesse
toggenbourgeoise». Aber auch der Wandel des Sports: «In den 1990er-
Jahren begannen Sportler so zu reden wie Management-Entwickler.»
Beispiele? «Ich will Lösungen vorantreiben.» Oder: « Ich versuche, das
perfekte Set-up zu finden.» Oder: «Leider konnte ich die Leistung nicht
abrufen.» Die Begriffe liegen, vom klugen Erzähler formuliert, schwer in
der Luft. Und erhalten jenen humoristischen Anstrich, der sie eigentlich
stets begleitet.
Dennoch ist Fässlers Auftritt keine fiese Abrechnung, zumindest nicht mit
Ammann, dessen Biografie nur Gerüst ist für Fässlers messerscharfe
Gedanken zu Sport und Leben. Sein Ton ist zwar kompromisslos, aber
nicht vernichtend, eher entlarvend. Auch für den Sportjournalisten. Eine
Plattitüde aus dem Sportjargon jedenfalls bekommt Fleisch am Knochen:
Es gibt Wichtigeres als den Sport.
Zugegeben: Den Einzug Ammanns ins Toggenburg, 2002 nach Doppel-
Olympiagold in Salt Lake City, beschreibt Fässler in biblischer Sprache und
in Anlehnung an den Einzug Christi in Jerusalem so brillant, dass man
diesen Text damals gerne so in der Zeitung gelesen hätte.
Kultur und Skispringen. Dass das funktioniert, haben schon die Wiener
Liedermacher Christoph und Lollo vor 20 Jahren gezeigt, mit zwei Alben
mit «Schispringerliedern». Nicht vorgekommen ist darin Ammann. Es ist
eine Lücke, die Fässler zu schliessen weiss. Mit einem Lied, in dem er über
Ammann singt: «Ist er Clown und Lausbub oder tragische Figur? Er ist so
wie Boby Dylan: auf Never Ending Thur.»
Und wer weiss: Vielleicht ist ja im nächsten Jahr ein gemeinsamer Auftritt
Fässlers mit den beiden Liedermachern geplant. Ein Skispringerabend,
vielleicht mit der wirklichen Veröffentlichung des Buches? Am 11.
September im Baradies Teufen ist die nächste Aufführung geplant. Und
auch im Toggenburg würde Fässler gerne auftreten. Mit einem tête-à-tête
mit Ammann vielleicht? Gut vorstellbar auf jeden Fall, dass Fässler seine
Leistung auch dort wird abrufen können. Das Set-up stimmt.
Lesen Sie auch
«Bünzlichöpf» sind sehr gefragt: Bäckereiverkauft weisse «Mohrenköpfe»
Eine Bäckerei im Kanton Aargau verkauft wegen der
Debatte um die «Mohrenköpfe» nun
Schokoladenerzeugnisse mit weisser Schokolade. Die
sogenannten «Bünzlichöpf» gehen reihenweise über die
Ladentheke. Den Namen der klassichen «Mohrenköpfe» zu
wechseln, kommt wiederum auch für diesen Betrieb nicht in
Frage.
ANZEIGE
Trinkreife Bordeaux
4 trinkreife Bordeaux vom Master of Wine Philipp
Schwander für CHF 59
gratis heimgeliefert
Suizidversuch auf der A1 mit 210 km/h: 32-Jähriger fährt unter Drogeneinflussungebremst in die Mittelleitplanke
Ein Schweizer war angeklagt, mit seiner halsbrecherischen
Raserfahrt einen Unfall mit möglichen Schwerverletzten
oder Todesopfern in Kauf genommen zu haben. Der Mann
erhält eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und
muss sich in psychotherapeutische Behandlung begeben.
ANZEIGE
Audi
Holen Sie sich den neuen Audi A3 & e-tron Sportback online
nach Hause.
Topskorerin wird Profispielerin: 118-facheNationalspielerin aus Rossrüti wechselt indie schwedische Eishockeyliga
Die 24-jährige Eishockeyspielerin Dominique Rüegg aus
Rossrüti wechselt nach Schweden zu Leksands IF. Dort wird
sie zu den erfahrenen Spielerinnen gehören. Das Abenteuer
Schweden bedeutet auch, dass sie nun Profisportlerin ist.
ANZEIGE
Exklusive Looks shoppen
Die schönen Dinge des Lebens: breuninger.com
Jetzt entdecken
Die süssen Alternativen – was taugenZuckerersatzstoffe wirklich?
Nicht weniger Zucker, nein, gar keiner soll es sein für
Anhänger der No-Sugar-Bewegung. Ersatz gibt es zuhauf.
Doch sind Ahornsirup, Kokosblütenzucker und Co. wirklich
gesünder?
Kurztrip in Arboner Künstlervilla: DasSonnenblumenhaus in Arbon wird zumFerienhaus
Das über hundertjährige Sonnenblumenhaus war dem
ehemaligen Stadtrat ein Klotz am Bein. Zuletzt wollte er es
aus finanziellen Gründen gar verkaufen. Die neue Regierung
geht andere Wege: Das Baudenkmal soll künftig Feriengäste
beherbergen und der Stadt so Geld einbringen.
Remo Wyss 25.6.2020
Claudia Schmid 25.6.2020
Daniel Monnin 24.6.2020
Diana Hagmann-Bula (Text) und Lea Siegwart (Illustration) 24.6.2020
Annina Flaig 24.6.2020
«Clown und Lausbub oder tragische Figur»:
Die Biografie des Skispringers Simon
Ammann ist für den Kabarettisten Hans
Fässler Ausgangspunkt für
messerscharfe Gedanken zu Sport und Leben
Das Skispringen interessiert Hans Fässler nicht. Was sich daraus
essayistisch stricken lässt, hingegen sehr. Der Sklaverei-Historiker,
pensionierte Gymnasiallehrer und politische Kabarettist legt in der
St.Galler Kellerbühne ein Buch über Simon Ammann vor. Quasi.
Hören Merken DruckenRalf Streule
26.06.2020, 16.42 Uhr
Teilen
Ammann und die unbarmherzige Welt des Spitzensports
Der Carbonschuh als Metapher für die Suche nach Lebensinhalt
14 Eckpunkte von Ammanns Karriere
Simon Ammann - Hits the CamSpäter ans… Teilen
Fässler rechnet nicht ab, er entlarvt
Auf den Spuren der Schispringerlieder
Christoph und Lollo - FunakiSpäter ans… Teilen
Wegen ihrer Sklaverei-Vergangenheit werden im Ausland
Statuen Denkmäler abgerissen. Nun erreicht die Forderung
auch in der Schweiz Auftrieb – in mehreren Kantonen. Eine
Übersicht.
Der linke St.Galler Aktivist Hans Fässler hat ein Schweizer
Komitee für Reparationszahlungen an Sklaverei-
Nachkommen gegründet. Über 60 Persönlichkeiten des
öffentlichen Lebens haben einen entsprechenden
Minimalkonsens unterzeichnet – darunter auch der St.Galler
Ständerat Paul Rechsteiner.
An einem Podium zu den Raubkunst-Skulpturen im
Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen wurde
bekannt: Ein Brief ins Herkunftsland soll Bewegung in die
Sache bringen.
Gehört die Alfred-Escher-Statue in Zürich
ins Museum? Ein St.Galler Historiker
fordert Rassismus-Debatte in der Schweiz
Benjamin Weinmann, Genf 11.06.2020
Der St.Galler Aktivist Hans Fässler
gründet Komitee für
Reparationszahlungen an Sklaverei-
Nachkommen
09.12.2019
Raubkunst zurück nach Nigeria? Jetzt
ergreift das Historische und
Völkerkundemuseum St.Gallen die
Initiative
Urs Bader 12.02.2020
St. Galler Tagblatt abonnieren
Kontakt AGB und Datenschutz Impressum
Startseite Sport Anmelden
Spezialangebot: 3 Monate lesen zum Preis von 1. Mehr erfahren.